Sara Douglass – Die Sternenbraut (Unter dem Weltenbaum 1)

„Die Sternenbraut“ bildet den Auftakt zu Sara Douglass‘ |Weltenbaum|-Zyklus, einer insgesamt sechs Bände umfassenden Reihe, deren letzter am 30. September herauskommen wird.

Schlechte Nachrichten erreichen Jayme, den Bruderführer und Obersten vom Orden des Seneschalls, der Kirche von Achar. Gestaltlose, grausame Wesen, scheinbar unverwundbar, tauchen immer wieder in den Nordlanden auf und greifen Soldaten des dortigen Außenpostens an. Die Brüder dort vermuten dahinter die |Unaussprechlichen|.
Um mehr darüber zu erfahren, schickt Jayme Axis, den Anführer seiner Truppen, zum Wald der schweigenden Frau, um von den dort lebenden Brüdern so viel wie möglich über die Unaussprechlichen zu erfahren. Danach soll er mit seinen Männern nach Norden reiten, um den Grenzposten zu verstärken. Ein Adliger des Reiches drängt Axis auch noch seine Tochter Faraday auf, die mit dessen verhasstem Halbbruder Bornheld verlobt ist. Axis soll sie nach Arkness geleiten, das auf seinem Weg liegt.
Doch die Reise verläuft keineswegs wie geplant und stürzt die beiden in heillose Verwirrung von Gefühl und Glauben.

Im Grunde gibt es über den ersten Band noch nicht allzu viel zu sagen. Handlung ist noch nicht übermäßig viel vorhanden, am Ende des Buches ist Axis noch nicht mal an der Front angekommen. Salopp formuliert könnte man sagen, der erste Band besteht aus 365 Seiten Einleitung, der Anlage von Charakteren und Handlungssträngen, der Welt, in der die Erzählung spielt, und ihrer Geschichte. Dabei lässt die Autorin sich viel Zeit; ein Charakter nach dem anderen wird langsam aufgebaut und in das Geschehen eingefügt, sodass auch die Beziehungen der Personen untereinander deutlich werden. Der Charakterzeichnung tut das gut, die Hauptfiguren des Buches, Axis und Faraday, erhalten dadurch Tiefe und Echtheit. Der Weltentwurf macht anfangs gelinde Schwierigkeiten, denn auch hier lässt die Autorin es langsam angehen, und man muss sich ein Stück weit einlesen, bis die Sache durchschaubar wird, da manche Begriffe wie zum Beispiel „Seneschall“ eine andere Bedeutung haben als gemeinhin üblich.

Sobald sich jedoch die anfängliche Verwirrung gelegt hat, entwickelt das Buch erste Spannung. Kaum hat der Held sich aufgemacht, die Welt zu retten, tauchen bereits die ersten Stolpersteine auf, und schon bald, genau genommen gleich nachdem man sich in die Welt hineingedacht hat, wird einiges wieder auf den Kopf gestellt. Menschen sind nicht, was sie zu sein scheinen, Wahrheiten entpuppen sich als unwahr, Sichtweisen verschieben sich.
Unterstützt wird dieser leichte Spannungsbogen noch von kurzen Geschehnissen wie dem Eissturm, die nicht nur der Entwicklung der Personen dienen, sondern auch Leben in die Handlung bringen und so über Längen hinweghelfen. Gegen Ende des Buches sind so viele Handlungsstränge und Fallstricke angelegt, so viele Rätsel und Geheimnisse angedeutet, dass das Potenzial für steigende Spannung locker für die folgenden beiden Bände ausreichen dürfte.

Sara Douglass erzählt flüssig und geschickt. Besonders intensiv wird ihre Sprache in dunklen, bedrohlichen Situationen wie Axis‘ Albträumen oder dem Eissturm. Auf übermäßig blutige Details wurde jedoch – abgesehen von Faradays Vision – verzichtet. Bei steigender Bewegung und Zuspitzung der Handlung dürften beide Punkte ein klares Plus für die Spannung bedeuten.

„Die Sternenbraut“ ist ein vielversprechender, wenn auch langer Einstieg, was allerdings bei knapp 2.500 Seiten Gesamtlänge des Zyklus nicht wirklich stört. Trotz gängiger Bausteine wie Bedrohung der Welt durch einen grausamen Zauberer, Prophezeiungen und Feindschaft und Misstrauen zwischen den bedrohten Völkern, wirken die Ideen, soweit sie sich bisher herauskristallisiert haben, eigenständig und machen neugierig auf Details. Die Hauptpersonen sind glaubwürdig, keine statischen Figuren, sondern auf Entwicklung angelegt und frei von Stereotypen.
Man darf also gespannt sein, wie die Geschichte weitergeht und ob es der Autorin gelingt, die hohen Erwartungen zu erfüllen, zu denen der Start berechtigt.

Sara Douglass arbeitete zuerst als Krankenschwester, bevor sie ein Studium in historischen Wissenschaften begann. Sie promovierte und arbeitete in den folgenden Jahren als Dozentin für mittelalterliche Geschichte. Das Schreiben fing sie nebenbei an, als Ausgleich zum Stress. Nach dem Erfolg ihres |Weltenbaumzyklus| stieg sie aus ihrem Beruf aus und konzentrierte sich aufs Schreiben und ihren Garten. Sie lebt in einem Cottage in Bendigo/Australien. Außer dem Weltenbaumzyklus schrieb sie diverse Romane und Kurzgeschichten.

Taschenbuch: 388 Seiten
www.saradouglass.com
www.piper.de

Picciotto, Richard – Paisner, Daniel – Unter Einsatz meines Lebens. Ein New Yorker Feuerwehrmann im World Trade Center

Es ist ein Arbeitstag wie so viele andere im Berufsleben des Feuerwehrmanns Richard Picciotto. In 28 Jahren hat er sich bis zum Battalion Commander des FDNY (Fire Department of New York) Battalion 11 empor gearbeitet – ein hoher Posten mit viel Verantwortung, der dem „Chief“ jedoch die Möglichkeit bietet, gemeinsam mit seinen Männern vor Ort Brände zu bekämpfen.

Dieser 11. September 2001 führt Picciotto und seine Gefährten in das „ganz Große“, jenes gefürchtete, halb mythische Feuer, dem sie womöglich nicht gewachsen sind: Terroristen haben eine Verkehrsmaschine in den Südturm des „World Trade Center“-Komplexes gelenkt. Das mehr als 400 Meter hohe Gebäude steht in Flammen. Kurze Zeit darauf rammt ein weiteres Flugzeug den Nordturm.

Aus ganz Manhattan, dann aus ganz New York eilen Feuerwehrleute an den Ort des Geschehens. Auch Battalion 11 ist, obwohl eigentlich nicht zuständig, zur Stelle. Picciotto stürmt mit seinen Männern in den Nordturm. Apokalyptische Szenen spielen sich hier ab, die Menschen oberhalb der Feuergrenze sind verloren. Unterhalb macht die Räumung Fortschritte, als der Nordturm einstürzt.

Die Feuerwehrleute wissen nun, dass auch sie in Lebensgefahr schweben. In Windeseile beginnen sie den Nordturm zu evakuieren, als das Befürchtete eintritt und auch dieser in sich zusammenbricht. Noch immer sind überall Feuerwehrleute im Gebäude. Auch Picciotto und einige Kollegen geraten in den Sog des Untergangs.

Wie durch ein Wunder werden sie bei dem Einsturz nicht zermalmt wie 343 andere Feuerwehrleute, sondern in einen Treppenhaus-Hohlraum gewirbelt. Unter dem Schuttberg des gigantischen Nordturm finden sie sich lebendig begraben wieder. In dem Chaos nach dem Inferno ist die Angst berechtigt, dass niemand sie finden oder auch nur suchen wird. Also beginnen die geschockten, verletzten Überlebenden, verzweifelt nach einem Ausweg zu suchen …

Eine Gruppe gut ausgebildeter, erfahrener Profis gerät in eine Krise, die sie in völlige Hilflosigkeit stürzt: Das ist eine Geschichte, die es zweifellos wert ist erzählt zu werden. Zwar wurde uns über den Terroranschlag auf die „Twin Towers“ in den vergangenen Jahren mehr als genug Lesestoff geboten. „Unter Einsatz meines Lebens“ bietet jedoch in doppelter Hinsicht eine ungewöhnliche Perspektive: Zum einen schrieb dieses Buch ein Mann, der buchstäblich „vor Ort“ war und dessen Erfahrungen unmittelbar sind. Zum anderen entstand Picciottos Bericht kaum drei Monate nach den Ereignissen, die hier noch „frisch“ und weitgehend ohne den Filter nachträglicher Interpretation rekonstruiert werden.

Richard Picciotto ist kein Schriftsteller; er spricht es selbst immer wieder an. Das hat seine Vorteile, weil er so schreibt, wie er vermutlich auch seine Einsatzberichte als Feuerwehrmann verfasst: nüchtern, den Blick auf Abläufe gerichtet, die minutiös beschrieben werden. (Um die Lesbarkeit des Ergebnisses zu garantieren, wurde mit Daniel Paisner ein Profi als Co-Autor engagiert.) Weil er nach knapp drei Jahrzehnten seinen Job in- und auswendig kennt, gibt es viele interessante Fakten und Interna über die militärähnlich strukturierte New Yorker Feuerwehr zu erfahren.

Weniger sachlich bzw. fachbezogen sind Picciottos Erinnerungen an den 11. September 2001. Schock und Stress trüben verständlicherweise das Bild, doch seine Schilderungen sind trotzdem von großer Bedeutung: Es gibt kaum Zeugen, die sich bis zuletzt in den beiden Türmen aufhielten und dies überlebten, um dann darüber berichten zu können.

Sehr anschaulich und fesselnd beschreibt Picciotto die Mischung aus Professionalität und Todesangst, die ihn wechselweise „funktionieren“ ließ und dann wieder lähmte. Als Leser fragt man sich natürlich, wie man selbst in einer solchen Situation reagieren würde. Picciotto macht deutlich, dass jede Vorstellungskraft versagen kann. Ständig erinnert er sich an sein Unvermögen, den Umfang der Katastrophe tatsächlich zu begreifen. Mitten in New York hielt er sich auf und kam sich doch vor wie gestrandet auf einem fremden Planeten. Wie Picciotto es in Worte fasst, glaubt man ihm das.

Bewusst beschränkt sich der Verfasser darauf, von „seinem“ 11. September 2001 zu berichten. Wie gesagt entstand „Unter Einsatz meines Lebens“ nur kurze Zeit später. Über die Hintergründe der Untat war da noch nicht viel bekannt. Um diese geht es auch gar nicht in Picciottos Buch. Er bedient diejenigen Leser, die es drängt, dem Unglück ein „Gesicht“ zu geben. So monumental war die Katastrophe jenes Septembertags, dass eines manchmal in Vergessenheit gerät: Jedes Opfer war ein Individuum, nicht nur Beiwerk eines schrecklichen Spektakels.

Ein lesenswertes Buch und auf seine Weise keinen „literarischen Schnellschuss“ auf der Jagd nach dem raschen Dollar hat Picciotto also verfasst. Einwände lassen sich dennoch gegen dieses Werk erheben. Aber „darf“ man das denn überhaupt? Gilt es nicht ehrfürchtig zu schweigen, wenn ein echter Held davon erzählt, wie er und seine Kumpels ihren „Job“ taten und dabei nicht nur an sich selbst, sondern vor allem an die ihnen zur Rettung anvertrauten Mitbürger dachten? „Sie nennen uns Helden, aber wir tun nur unsere Arbeit.“ – statt einer Widmung leitet dieses Zitat das Buch ein; derartig zur Schau gestellte Bescheidenheit kann durchaus als Koketterie ausgelegt werden. Am 11. September taten die Feuerwehrleute von New York weit mehr als ihre „Arbeit“.

Weiterhin berichtet der Autor vom Ende des World Trade Centers, jenes Gebäudekomplexes, der nach einem hochkriminellen Akt unentschuldbaren Terrors in Trümmer fiel und dessen „Ground Zero“ in einem zweiten Schritt – hier betreten wir den unsicheren Boden zwischen Sachlichkeit und wogenden Gefühlen – zur nationalen Weihestätte erhoben wurde.

Viel Schindluder wurde seither bekanntlich mit „11/9/2001“ getrieben. Jene, die trotz des Schocks zu Mäßigung bzw. Nachdenken rieten, wurden niedergeschrieen oder als „Landesverräter“ eingeschüchtert. Zusammen mit der Ungeheuerlichkeit des Geschehens entwickelte sich eine Art Reflex, der bei der Nennung von Reizworten wie „World Trade Center“ oder „Ground Zero“ zu bestimmten Reaktionen zwingt. Dazu gehört die Unterdrückung kritischer Fragen. „Unter Einsatz meines Lebens“ ist kein Produkt, sondern ein Bestandteil dieser Entwicklung. Als Picciotto schrieb, formierten sich die Fronten erst. Wir hören einen noch nicht indoktrinierten „WTC“-Zeugen. Das macht seine Worte besonders wertvoll.

Obwohl sich Picciotto um Sachlichkeit bemüht, misslingt es ihm – aber es misslingt ihm interessant bzw. viel sagend. Da ist auf der einen Seite das Zusammengehörigkeitsgefühl der Feuerwehrleute – sehr leicht nachvollziehbar, weil diese regelmäßig in Situationen geraten, die es lebenswichtig erscheinen lassen, sich auf die Kollegen verlassen zu können. Dieser Teamgeist wird indessen von Picciotto geradezu hollywoodlike überhöht. Eine New Yorker Feuerwache funktioniert wie ein Uhrwerk, der Vorgesetzte ist Kumpel, aber doch immer geachteter Chef. Feuerwehrleuten sind harte Jungs mit goldenen Herzen, die in ihrer Wache wohnen, schon Stunden vor dem Dienst dort erscheinen, eigentlich nur nach Hause fahren, um dort ihren Familien liebevoller Ehegatte und Vater zu sein, und sich auf jedes Feuer stürzen wie einst die US-Kavallerie auf widerspenstige Rothäute.

So geht es recht märchenhaft immer weiter. Picciotto übertreibt es völlig unnötig, denn die Taten der New Yorker Feuerwehrleute während des „World Trade Center“-Brandes sprechen eindeutig für sich und sie. Deshalb muss man wohl davon ausgehen, dass die Verklärung Absicht ist.

Mit Kritik hält sich Picciotto dagegen lange und überhaupt zurück. Man muss schon genau lesen, um zu erfahren, dass doch nicht alles Gold ist im US-Feuerwehr-Imperium. Die Männer sind schlecht bezahlt und unzureichend ausgerüstet, ihre Einsatzkoordination ist mangelhaft. Aber auch hier stützt sich Picciotto auf simple Schwarz/Weiß-Bilder: Während „an der Front“, d. h. in den Wachen und auf der Leiter, trotz aller Schwierigkeiten perfekte Arbeit geleistet wird, sitzt der „Feind“ – die Bürokratie – weit ab von jedem Feuer am Schreibtisch und zählt ohne Wissen und Verstand Erbsen, statt Entschlossenheit zu zeigen und die Geldbörse zu zücken. Wen präzise er damit meint, verrät uns Picciotto leider nicht; sein Mut reicht zwar aus, sich in ein brennendes Gebäude zu stürzen, aber mit der Stadtverwaltung legt er sich lieber nicht an.

So mischen sich mehr und mehr propagandistische Töne in Piciottos Schilderung. Er will mit seinem Bericht nicht nur informieren, sondern etwas erreichen: ein höheres Budget, mehr Entscheidungsfreiheit, weniger Gängelei. Das ist in Ordnung und wird zudem so offen und naiv vorgetragen, dass sich kein Leser manipuliert fühlen dürfte.

Dasselbe gilt für die unbeholfenen Patriotismen, die offenbar zur US-Mentalität gehören. Ein Feuer ist kein Feuer, sondern ein „Feind“, dessen unheilvolles Wirken Piciottos Mannen sehr persönlich nehmen. Lauter Individualisten verwandeln sich zu seiner Bekämpfung – und auch diese Bezeichnung ist hier ganz wörtlich zu nehmen – in ein Team, das alle an einem Strang ziehen lässt. Man kann das begeistertes Engagement nennen, man darf aber (ohne sich als europäischer Zyniker abqualifizieren zu lassen) auch leise Zweifel anmelden, ob dieses markig-idyllische Idealbild der Wirklichkeit entspricht.

Hoffmann, Arne – Lexikon der Tabubrüche, Das

Der sehr erfolgreiche Journalist Arne Hoffmann, der schon in vorherigen Büchern mit besonders Grenzen aufbrechenden Themen wie Sadomasochismus oder gar dem Sexismus durch Frauen Aufsehen erregte, legte 2003 ein Lexikon der zeitgenössischen Tabus vor. Wenn man sich die scheinbare sexuelle Freizügigkeit in den Medien unserer Gesellschaft ansieht, denken viele sicherlich, wir lebten eigentlich schon heute in „Sodom und Gomorra“ – aber dabei ist auch unsere jetzige Welt alles andere als tabulos, wie uns „Das Lexikon der Tabubrüche“ unterrichtet.

In seiner Einführung erklärt Hoffmann, was ein Tabu ist und woher der Begriff überhaupt stammt, welche Tabus es bei uns gab und wie sie sich immer mehr verschoben haben. Danach beginnt das spannende Lexikon von A – Z, wobei auch immens viele Fernsehserien und Filme aufgelistet werden. Vieles ist – um ein solches Lexikon zu füllen – natürlich eigentlich eher unwesentlich und harmlos. Erstaunlich finde ich, wie viel Aufmerksamkeit auf jede Andeutung von Homosexualität und lesbische Liebe in überzogen wirkender akribischer Weise in Film und Fernsehserie gelegt wird.

Wirklich interessant dagegen sind die vielen Verschiebungen gesellschaftlicher Ansichten, z. B. bei Sex mit Minderjährigen und Pädophilie, die in den 70er Jahren durchaus ausgewogen diskutiert werden konnten, als eine breite Bevölkerungsschicht noch für die völlige Abschaffung der Altersbegrenzungen eintrat, wogegen heute deutlich die Mehrheit Sex mit Kindern völlig verachtet. Im Großen und Ganzen wird Sex in jeder Art ansonsten fast komplett toleriert, auch extreme Gewaltdarstellungen im Kino. Die Realität solcher Behörden wie FSK und Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften – eine bundesdeutsche Absurdität, welche sich durch völlige Unqualifiziertheit und Zufallsbewertungen äußerst blamabel zu künstlerischer Freiheit und Verstümmelungen hervortut – wird letztlich zu Recht in Frage gestellt und ihre endgültige Abschaffung gefordert.

Aufschlussreich sind die Tabus, die heutzutage zu politischen Themen stattfinden. Angefangen mit dem Irak-Krieg und dem Anti-Amerikanismus bis hin zu den immer stärker auftretenden Distanzierungen und Skandalen wegen angeblichen Antisemitismus‘, wo z. B. die Möllemann-Affaire mit dessen Freitod endete und sein Widersacher, der in Frauenhandel und Prostitution verstrickte Michel Friedman, relativ ungeschoren aus den Skandalen herausgelangen konnte. Einige solcher Fälle mehr werden ausgiebig dargestellt. Sogar eine politische Diskussion wie eine mögliche rot-rote SPD-PDS-Regierung zählte zu den absoluten Tabus unserer Gesellschaft.

Natürlich haben auch Satanismus (und sein medienbekanntestes Beispiel, die Rudas), Vampirismus, Zoophilie, Kannibalismus (der Kannibalenmord per Internet) und Nekrophilie größere Beiträge innerhalb des Lexikons. Kannibalismus gibt es eigentlich kaum und wird kulturgeschichtlich relativ neutral bewertet, ohne völlig verurteilt zu werden. Auf mich persönlich schockierender wirken interessanterweise die beiden Beiträge zu Nekrophilie und zu Zoophilie, weil beide Artikel sich lesen wie eine praktische Anleitung zum Nachvollziehen. Ausführlich wird erklärt, wie man Leichenwürmer vermeidet – Nekrophilie geschieht viel häufiger als man annehmen würde – und auch eine ganze Reihe sodomistischer Ratschläge wird sehr konkret gegeben, welche Tiere auf welche Art zu nutzen sind und worauf genau geachtet werden müsste.

Das sind dann auch tatsächliche Highlights, wobei es verwundert, dass diese zu beschreiben erlaubt ist und das Tabubuch deswegen nicht schon selber indiziert wird. Aber das kann ja noch kommen. Natürlich ist die Auswahl, die ich in dieser Besprechung jetzt traf, sehr subjektiv hervorgehoben. Selbstverständlich wird jeder Leser seine eigenen ihn besonders interessierenden Beiträge finden. Ich bin der Ansicht, dass dies ein lohnenswertes Buch ist, in das man immer wieder hineinschauen wird und aus dem man sich sicherlich auch dieses Buch oder jenen Film, die dort erwähnt werden, unbedingt mal besorgen wird.

Verlagsinformation zum Autor: |Tabubrüche sind ein Leitmotiv in den bisherigen Veröffentlichungen Arne Hoffmanns. Sie finden sich sowohl in SM-Erotika wie »FOX« (Marterpfahl-Verlag 2002) als auch in Sachbüchern wie dem »Lexikon des Sadomasochismus« sowie dem jetzt schon berühmt-berüchtigten »Sind Frauen bessere Menschen?«, in dem er sich mit häuslicher und sexueller Gewalt durch weibliche Täter auseinandersetzte und den Feminismus demontierte (Schwarzkopf & Schwarzkopf und Lexikon Imprint Verlag, 2001).
Hoffmann ist nicht-praktizierender Bisexueller und wandte sich im Herbst 2001 einer Schauspielerkarriere zu, als deren erster Höhepunkt er im Dorftheater seines Heimatortes die Titelrolle in »Warten auf Godot« verkörpern durfte. Wenige Monate später begann er seine Arbeit an einer Novelle, die zentrale Elemente von Shakespeares »Cardenio« sowie Büchners »Pietro Arentino« aufgreifen wird. Ostern 2002 ernannte sich Arne Hoffmann ex cathedra zum evangelischen Papst und gilt seitdem als unfehlbar. Versuchen Sie mal, ihn davon abzubringen … |

Speziell bei |wikipedia|: http://de.wikipedia.org/wiki/Sexualmoral

Stirling, Steve / Feist, Raymond E. – Dieb von Krondor, Der (Die Legenden von Midkemia 3)

Beim Lesen der Ankündigung von „Jimmy the Hand“/“Der Dieb von Krondor“ empfand ich eine große Vorfreude, war diese Figur doch eines der Highlights in Raymond Feists |Midkemia|-Romanen gewesen. Oft empfand ich Bedauern, wenn Jimmy als gereifte, gesetzestreue Person in späteren Romanen auftauchte, weil ich mich um große Teile seiner ereignisreichen jüngeren Jahre gebracht fühlte. Und nun, „Legends of the Riftwar 3: Jugendabenteuer von Jimmy the Hand“! Die Geschichte beginnt mit der Abreise von Arutha und Prinzessin Anita aus dem von Bas-Tyran beherrschten Krondor. Prima, denke ich, endlich werden die Lücken aufgefüllt, … aber ist es wirklich nötig, jeden Schritt und jeden Gedanken ab jetzt ausführlich zu schildern?

Na ja, dass er ein erfülltes Sexleben in seinem zarten Alter hat, mag ja noch ganz interessant sein, auch die genaue Beschreibung jeder stinkenden Windung des Kanalsystems, … aber wo bleiben die Abenteuer? … ah ja, jetzt befreit er mit Hilfe eines gekauften Zauberpulvers gefangene Diebe aus den tiefsten Kerkern der Zitadelle! … und jetzt wird er aus Krondor verbannt, weil er gegen die Anweisungen des Anführers verstoßen hat – interessant, ein Ortswechsel, damit Feist mehr Freiheiten beim Erzählen der Abenteuer hat. … und jetzt … wo bleiben die Abenteuer?

Um es kurz zu machen, es wird dann schon noch eine abstruse Geschichte um einen Landedelmann geschildert, dessen Frau vor 17 Jahren bei der Geburt ihres Sohnes gestorben ist, und die durch einen Zauberer in einem halbtoten Zustand gehalten werden kann, aber nur, wenn ständig kleine Kinder geschlachtet werden. Jimmy gelingt es, mit Hilfe von zwei halbwüchsigen Mädchen und drei sechs- bis achtjährigen Kindern alle schwer bewaffneten Wachen, den Magier und den Baron zu überwältigen und dem grausamen Spiel ein Ende zu bereiten. Halt, ein Dämonenjäger aus dem Tempel der Todesgöttin ist auch noch dabei, weil nach 17 Jahren der Göttin aufgefallen ist, dass da ganz in der Nähe schwarze Magie gewirkt wird!

Eine Geschichte mit Schwert und Magie, ein Happy-End, Jimmy kehrt nach Krondor zurück und fühlt sich in den Abwassergräben wieder richtig zu Hause. Was will man mehr? Her mit dem nächsten Buch …

Halt, bloß nicht! Man bleibe mir bitte mit so einem Mist zukünftig vom Leib! So viel unnötiges Gelabere habe ich selten gelesen! So wenig Spannung und so wenige Ideen, auf so viele Seiten ausgewälzt, wurden mir noch selten zugemutet! Wenn da nicht „Jimmy the Hand“ draufgestanden hätte, wäre das Buch schon viel früher in die Ecke geflogen!
So aber konnte ich wenigstens noch die einzigen Seiten, die in diesem Buch wirklich von Raymond Feist stammten, im Nachwort lesen: Dass er bei „Legends of the Riftwar“ einen neuen Weg der Zusammenarbeit mit Co-Autoren eingeschlagen hat, indem er mit ihnen die Handlung kurz entworfen hat, und sie danach selbstständig ihre Geschichte hat erzählen lassen, im Gegensatz zu den Büchern mit Jenny Wurts, wo die Kapitel hin und her gegangen sind, bis man nicht mehr unterscheiden konnte, was von wem war.

Tja, Herr Feist, da haben Sie sich mit Steve Stirling aber leider vergriffen. Von dem lese ich bestimmt kein anderes Buch mehr (hat unter diesem Namen ja auch sonst nichts veröffentlicht)! Die beiden anderen Autoren, William Forstchen und Joel Rosenberg, haben nach dem gleichen Rezept tolle Bücher abgeliefert und damit ihre anderen Bücher empfohlen, und die Zusammenarbeit mit Jenny Wurts hat die besten |Midkemia|-Romane von allen hervorgebracht, aber „Der Dieb von Krondor“ ist eine Zumutung!

Mist … und ich hatte mich so gefreut!

_Dr. [Gert Vogel]http://home2.vr-web.de/~gert.vogel/index.htm _

Ilya Zbarski / Samuel Hutchinson – Lenin und andere Leichen

Zbarski Lenin Cover kleinEin Leben im Dienst eines Toten

Nachdem im Jahre 1991 die Sowjetunion ihr Ende fand, haben viele Erinnerungen an die Jahre hinter dem „Eisernen Vorhang“ den Weg in die Buchläden gefunden. Darunter befinden sich wichtige historische Grundlagenwerke ebenso wie eher kuriose, dem Sensationellen verhaftete Elaborate, die auf den schnellen Rubel (besser aber Dollar) zielen.

„Lenin und andere Leichen“ tendiert mal in die eine, mal in die andere Richtung. Der Verfasser Ilya Zbarski ist grundsätzlich ein Mann der Wissenschaft, der auf seinem Spezialgebiet, der Biochemie, viel geleistet hat. Andererseits war er aber auch 18 Jahre Mitglied in einem Arbeitsteam, das sich unter Einsatz von Fachwissen und viel Geld sowie mit Leib und Seele einem bizarren Auftrag widmete. Ilya Zbarski / Samuel Hutchinson – Lenin und andere Leichen weiterlesen

Morag Joss – Des Hauses Hüterin

Eine alternde, einsame „Haussitterin“ beschließt, das ihr anvertraute Landhaus zu behalten. Zwei junge Loser schließen sich ihr an. Das Trio will sich nicht mehr aus ‚seinem‘ Heim vertreiben lassen und ist bereit, jeden Preis dafür zu zahlen – Mord inklusive … – Düsterer, kammerspielähnlicher Thriller um drei Außenseiter, die von ihrem Platz an der Sonne träumen, um ihn sich schließlich gewaltsam anzueignen. Natürlich gibt es kein Happy-End, was konsequent eine spannende aber deprimierende Lektüre zu ihrem logischen, traurigen und leichenreichen Abschluss bringt.
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Jeschke, Wolfgang / Mamczak, Sascha (Hrsg.) – Science Fiction Jahr 2003, Das

850 Seiten offeriert das „Das Science Fiction Jahr 2003“, ein wahrhaft dicker Wälzer, zusammengestellt von Wolfgang Jeschke und Sascha Mamczak. Dominiert wird der Band vom alles umspannenden Thema „Religion“, dem sich auf mehr als 250 Seiten gewidmet wird. Aufgrund der Fülle des gebotenen Materials picke ich das heraus, was für mich in erster Linie augenfällig war. Das bedeutet aber keineswegs, dass der übrige Teil des Buches nicht der Rede wert oder schlecht war.

„Möge die Macht mit dir sein!“ betitelt sich das einleitende Essay von Linus Hauser. Quer durch die Science-Fiction-Literatur stapft er, dabei zahlreiche Sidesteps in Technik und Fortschritt machend und Hinweise gebend auf pseudoreligiöse Heilsbringer, die insbesondere ihr Bestes, aber nicht das unsrige im Auge haben. L. Ron Hubbard und „Scientology“ dürfen in diesem Zusammenhang selbstverständlich nicht fehlen, auch wenn ich den Eindruck gewonnen habe, dass es in den vergangenen Jahren etwas stiller um diese äußerst suspekte Gemeinschaft (sehr vorsichtig umschrieben …) geworden ist. Und ob mich das beruhigen mag, bezweifele ich sehr.

Meine Zustimmung erhält natürlich, dass unter dem Aspekt „Technikglaube und Führerglaube“ scheinbar ehrenwerte Herren wie Wernher von Braun, wenn auch in wenigen Worten, aber dem Rahmen doch angemessen, vom Podest gehoben werden, auf dem sie noch zu meiner Jugendzeit unbehelligt thronen durften. In den 70ern dem Konstrukteur der Saturn-Raketen an die Karre fahren – ein Unding, Sakrileg vielleicht sogar, war er doch „Unser Mann fürs All“. Untaten dürfen nicht vergessen werden, und selbst wenn sie nur in knapper Form festgehalten werden, gehören sie gerade zur Thematik „Technikglaube“ und dessen unheilvollen Auswirkungen.

Wie sehr L. Ron Hubbard wenigstens als beispielhafter Epigone einer religiösen Fehlleitung dienen kann, beweist Thomas Körbel im bezeichnenden Artikel „Ich bin der Auserwählte!“ Er setzt sich mit den „schöpferischen Mythologien der Science-Fiction“ auseinander. Sehr gut, dass auch höchst frische Genreentwicklungen wie „Matrix“ Eingang in einen solchen Text finden, denn ein Jahrbuch hat besonders auf die Tagesaktualität nicht nur Rücksicht zu nehmen, sondern muss sie auch in den Kontext einbeziehen.

Robert Hector ist gleich mit zwei längeren Beiträgen (neben seinen Rezensionen) vertreten: „Mad Max, Leibowitz & Co.“ nimmt alternative Endzeit-Visionen ins Visier, zu Anfang recht rüde alles über einen Kamm scherend durch die bloße Aneinanderreihung von Schlagworten wie „nuklearer Holocaust, globale Erwärmung, Terroranschläge …“, verbunden mit der Frage „Was steht der Menschheit bevor?“ Na ja, wenn ich derartig eingestimmt werde, bleibt mir als Leser nur die Kugel. Doch nach dieser populistischen Einleitung beschäftigt sich Herr Hector mit „Maddrax“, „Mad Max“ oder „Leibowitz“, erzählt von eben den dort stattfindenden Katastrophen, um dann den Kreis mit „Zurück in die Wirklichkeit: Globale Katastrophen in naher Zukunft?“ zu schließen.

Ach, hat er diese nicht schon längst aufgelistet, Aids zählt er dazu, geklonte Menschen – viel ärger mag es nicht mehr kommen (wo er doch eine „gewisse Lust am Untergang“ verspüren will)? Doch, es geht noch schlimmer: „Kampf der Kulturen“ (der einseitige Absatz endet mit „Es kocht in dieser Welt – die große Explosion lässt nicht mehr lange auf sich warten“ – das lässt sich nicht von der Hand weisen, doch ob ein paar warnend-mahnende Worte des Autors irgendeine Art von tragender Bedeutung haben werden?), „Biologische Waffen“, „Treibhauseffekt“, „Angriff aus dem All“ … Leider der phrasenhafteste Artikel des gesamten Buches.

Peter M. Gaschler hat sich die Filmszene 2002 & beyond vorgenommen. Oldies wie „Alphaville“ oder „The Andromeda Strain“ stehen dort neben Neufilmen wie „Die Monster AG“ – liest sich alles gut recherchiert. Und keiner wundere sich, wenn ein Film mit Titel „Der Untergang des Römischen Reiches“ aus dem Jahre 1963 Einlass in das Science-Fiction-Jahrbuch erhielt, die Grenzen zwischen den Subgenres Fantasy und Science-Fiction werden im Jahrbuch durchaus fließend gehalten. Meist verschwimmen sie sogar, wie wir in der Rubrik „Computer“ erlesen, wo eindeutige Fantasy-Titel namens „Neverwinter Nights“ oder „The Art of Magic“ die Rollenspiel-Abteilung dominieren.

Doch eigentlich mag ich mich mit dieser Rubrik am wenigsten anfreunden. Woran das liegt? An der Schnelllebigkeit des Spielemarktes. Das besprochene Spiel „Serious Sam 2“ beispielsweise erschien Anfang 2002, heute ist es längst wieder überholt worden von der technischen Entwicklung. Etwas in dieser Art kann nur eine punktuelle Betrachtung sein, ein ausschnittweiser Rückblick, der nicht Fisch noch Fleisch ist. Viel mehr noch, als dies bei Film und Literatur der Fall ist, leben die PC- und Konsolenspiele vom schnellen Umschlag speziell der „Software“. Und deshalb besänftigt mich der Bücherteil ein wenig – mit dem bitteren Beigeschmack, dass ihm nur zwei magere Seiten mehr als dem Spielepart zugebilligt wurden!

Ans Herz gewachsen, sehr übertrieben formuliert, ist mir Hermann Urbanek durch seine unermüdliche Fleißarbeit, die ihren Ausfluss in „Die deutsche SF-Szene 2001/2002“ erhält. Wofür eine Mitgliedschaft im |Science Fiction Club Deutschland| alleine lohnt, bereitet er für das Jahrbuch in kondensierter Form noch einmal auf. Kein Mensch außer ihm mag überprüfen, ob auch nur ein einziger Titel ihm nicht irgendwie unter die Augen gekommen ist (und sei es bloß durch die reine Namensnennung), weswegen ich einfach davon ausgehe, dass die Auflistung so weit wie irgend möglich komplett ist. (Nicht unterschlagen darf ich, dass er gleich noch die amerikanische und die britische Szene mit anhängt, aber da kann er einfach nicht „komplett“ sein, oder doch?) Bei all der Mühe sollte bedacht werden, dass es sich um keine kritische Betrachtung handelt, und so sind Hermann Urbaneks Bemerkungen wie „zu den besonderen Höhepunkten der letzten Monate zählten die MIDGARD-Romane ‚Lechvelian‘ von Ralph Sander …“ zu ignorieren. Für mich sind das beschönigende Verzierungen, die dem Wert der Arbeit letztlich aber keinen Abbruch leisten können.

Nicht eingegangen bin ich auf Beiträge von Brian W. Aldiss (wie immer sehr gut lesbar; diesmal eine Rede anlässlich eines Literaturkongresses), Interviews mit William Gibson oder Marcus Hammerschmitt, Betrachtungen zu Philip K. Dicks Spätwerk (nein, nicht von Uwe Anton). Und vieles mehr.

Das Vorwort zum Jahrbuch 1986 von Wolfgang Jeschke hat leider auch heute noch Bestand: „Ich muss der Tatsache Rechnung tragen, dass nur ein Bruchteil der Science-Fiction-Leser an Hintergrundinformationen, Autoreninterviews und Berichten aus der Szene interessiert ist.“ Heute klingt das so: „Dass sich dieser Markt wandelt, ist unbestritten; dass es insbesondere im Wandel einer kritischen Betrachtung bedarf – sei es im HEYNE SF-Jahr oder anderswo – hoffentlich auch.“ Das Jahrbuch war immer (wie auch sein Vorgänger „Das Science Fiction Magazin“ bei |Heyne|) ein aus Verlegersicht eher unrentables Geschäft, wie Wolfgang Jeschke Mitte der 80er Jahre bereits kundtat. Daran hat sich offenbar, so lässt es sich den Worten entnehmen, nichts geändert.

Das ist sehr bedauerlich, denn eine Gratwanderung zwischen dem kaufmännischen „Es rechnet sich nicht“ und der Notwendigkeit, ein derart fundiertes Sekundärwerk zu publizieren, wird eines Tages ein trauriges Ende nach sich ziehen.

Deshalb: Trotz des hohen Preis, verglichen mit den üblichen Romanwerken, gehört ein Periodikum wie „Das Science Fiction Jahr“ in den Bücherschrank. Die Beiträge sind nicht allesamt widerspruchslos zu goutieren, aber genau das zeichnet ein derartiges Buch aus: Ansätze bieten zum eigenen Nachdenken, Grundlage sein für Diskussionen, sich Beschäftigen mit der Literatur, die man mag, dem phantastischen Film, in den man gerne „abtaucht“.

„Das Science Fiction Jahr 2003“ lege ich jedem Interessierten sehr nahe ans Herz.

_Karl-Georg Müller_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Kay, Guy Gavriel – Löwen von Al-Rassan, Die

Einst herrschte Frieden auf der Halbinsel Esperana, dann kam das Wüstenvolk der Ashariten von Süden über das Meer und errichtete das mächtige Reich Al-Rassan, dessen Herrscher die den Sonnengott Jad anbetenden Bewohner immer weiter nach Norden zurückdrängten. Als eines Tages der letzte Kalif von Al-Rassan ermordet wird, gerät ganz Esperana in Aufruhr, und zwischen den verschiedenen Volksgruppen entbrennt der Kampf um die Vorherrschaft.

In dieser turbulenten Zeit treffen drei herausragende Persönlichkeiten in der zu einem Schmelztiegel der Kulturen gewordenen Stadt Ragosa zusammen:

Der Dichter und Mörder des letzten Kalifen, der smarte und charmante Asharit Ammar Ibn Khairan, wird den ehrenhaftesten Streiter Jads, Hauptmann Rodrigo Belmonte, und der außergewöhnlichen Heilerin Jehane Bet Ishak vom Volk der Kindath begegnen. Zwischen Ammar und Jehane entwickelt sich eine leidenschaftliche Liebesbeziehung, während der bei den Ashariten verfemte Kalifenmörder Freundschaft mit dem verbannten Söldnerhauptmann Rodrigo schließt. Über den guten Beziehungen der drei liegt jedoch ein Schatten:

Die jadditischen Völker des Nordens blasen zum heiligen Krieg gegen das zersplitterte Al-Rassan, während vom Süden die Muwardis aus den asharitischen Stammlanden über das Meer setzen, um die in ihren Augen moralisch verdorbenen Gläubigen Al-Rassans zurück auf den Weg Ashars zu führen.

Die letzten Tage Al-Rassans sind gekommen – eine einzigartige, multikulturelle Gesellschaft steht vor ihrem unvermeidbaren Ende. Werden in dieser Lage Glauben und Ehre über Freundschaft und Toleranz siegen? Oder werden Rodrigo Belmonte und Ammar Ibn Khairan, die „Löwen von Al-Rassan“, sich auf dem Schlachtfeld als Feinde gegenüberstehen?

_Der Autor: Guy Gavriel Kay_

„Die Löwen von Al-Rassan“ ist der sechste Roman des 1954 in Weyburn (Kanada) geborenen Guy Gavriel Kay. Als Autor ist er bekannt für seine sprachliche Exzellenz – als Beispiel sei nur genannt: Er half Christopher Tolkien beim Lektorat des „Silmarillion“.

Kay ist alles andere als ein Vielschreiber – Klasse statt Masse. Deshalb nimmt sich die Zahl seiner bisher erschienenen Romane eher bescheiden aus:

„Die Fionavar-Trilogie“ (1984-86)
(dt. „Silbermantel“ , „Das wandernde Feuer“, „Kind des Schattens“)

„Tigana“ (1990)
(dt. „Der Fluch“ und „Der Hofnarr“)

„Ein Lied für Arbonne“ (1992)
„Die Löwen von Al-Rassan“ (1995)

[„Der Sarantium-Zyklus“ 242 (2000)
Die US-Ausgabe besteht aus den zwei Bänden „Sailing to Sarantium“ und „Lord of Emperors“, die deutsche Ausgabe aus vier Büchern: [„Das Komplott“, 242 „Das Mosaik“, „Der Neunte Wagenlenker“ und „Herr aller Herrscher“.

Der Gedichtband „Beyond this Dark House“ (2003) und das Wikingerepos „The Last Light of the Sun“ (2004) wurden noch nicht übersetzt. Die Erscheinungsdaten sind jeweils die der amerikanischen Erstausgabe.

_Willkommen zur Reconquista!_

Al-Rassan ist nichts anderes als Al-Andalus, das maurische Reich auf der iberischen Halbinsel. Somit ist Esperana schlicht und ergreifend das Spanien einer stürmischen Zeit: Die Reconquista, die Vertreibung der Mauren durch die christlichen Könige Leons, Navarras und Kastiliens, nimmt in Kays Werk gerade ihren Anfang.

Ähnlich der Geschichte sind zahlreiche der Figuren Kays lose an tatsächliche historische Persönlichkeiten angelehnt. So ist Rodrigo Belmonte eindeutig als Rodrigo Diaz de Vivar, bekannter als der legendäre Volksheld „El Cid“, zu erkennen. Aber auch für Ammar Ibn Khairan gibt es eine Entsprechung (Muhammad Ibn Ammar), ebenso für den jüdischen Kanzler Mazur Ben Avren des ragosischen Herrschers. Einzig die charakterstarke jüdische Heilerin Jehane ist von den Hauptfiguren ohne historisches Pendant.

Dabei hält sich der Roman nicht sklavisch eng an die tatsächliche Geschichte; so werden die Legenden um El Cid stark eingeschränkt, Eheprobleme wie in der durch Sophia Loren und Charlton Heston bekannt gewordenen gleichnamigen Hollywood-Verfilmung, oder die bekannte Episode mit dem tot aufs Pferd gebundenen El Cid, dessen bloßer Anblick die Mauren in Flucht schlägt, findet man hier nicht.

Stattdessen wird die einzigartige Mischkultur dieser Zeit eingefangen – ein Zauber wie aus 1001 Nacht. Neben den glänzend präsentierten drei Freunden, die auf Irrwegen immer wieder zueinander finden, treffen religiöse Eiferer beider Religionen aufeinander, schleichen Assassinen sich durch die nächtlichen Städte, lauert Belmonte mit seinen Söldnern den eigenen Landsleuten auf, während die schöne Konkubine Zabira Könige verführt und ihre Söhne gerne als Thronfolger Cartadas sehen würde …

Überraschende Wendungen zeichnen die Geschichte aus, während das drohende Ende stets klar wie ein Damoklesschwert über den beiden Löwen und Jehane schwebt. Der Kampf zwischen Jadditen und Ashariten steht unmittelbar bevor, und die Kindath drohen zwischen beiden Seiten zermalmt zu werden.

Kay spielt mit dem Leser, oft lässt er ihn in den Glauben, eine bestimmte Person wäre soeben gestorben … um wenige Seiten später den darob entsetzen Leser zu verblüffen und ein neues Opfer zu präsentieren.

Wird Ibn Khairan wie sein historisches Vorbild im Kerker enden? Wird Rodrigo Belmonte die Murawids vertreiben, so wie es El Cid getan hat? Was wird aus den Kindath und Jehane?

_Ein märchenhaft schönes Plädoyer für Völkerverständigung und Toleranz_

Eine exotische, faszinierende Welt, in die man gerne eintaucht. Verbunden mit der Erkenntnis, wie schädlich Intoleranz und Fanatismus sein können. An den christlichen Kreuzzügen und den ebenfalls fundamentalistisch-engstirnigen Almoraviden geht Al-Rassan, das Paradies dreier Völker, zugrunde.

Jehane repräsentiert das Wissen und die hohe Kunst der jüdischen Heiler, Ammar den Witz und die Kultur der Mauren, Rodrigo die Ehrenhaftigkeit des Rittertums. Hier wird natürlich romantisiert: El Cid war ein Condottiere, dem der eigene Vorteil näher war als das seiner Landsleute oder gar das Gottes, seine Ehrenhaftigkeit darf man bezweifeln, er war wohl keinen Deut besser als die anderen Söldnerführer, aber eben der erfolgreichste – und wurde zur Legende. Muhammad Ibn Ammar ist etwas näher an der Historie geschildert, allerdings darf man bezweifeln, dass er tatsächlich ein so verwegenes, liebenswertes und charmantes Schlitzohr war.

Die Schuld am Untergang Al-Rassans tragen seine Bürger selbst: So hat Ammar selbst mit seinen Morden einen entscheidenen Beitrag zum Untergang des zerstrittenen Al-Rassan geleistet. Die Jadditen / Christen verfolgen wie so oft in der Geschichte die Juden organisiert, was unter den Kalifen Al-Rassans zwar auch keine Seltenheit war, aber in weit geringerem Maße. Es ist verbürgt, das Granada einen jüdischen Kanzler hatte. Man kann wohl nicht Jahrhunderte zusammenleben, ohne eine gewisse Toleranz und Einsicht zu entwickeln.

Diese Perle Ashars wird jedoch zerstört, und der Leser trauert um das schöne Al-Rassan. Nicht verraten möchte ich, wie dieser Konflikt zwischen den beiden „Löwen“ der jeweiligen Religionen, Ammar und Rodrigo, enden wird.

Die zahlreichen strahlenden Haupt- und Nebenfiguren stehlen sich ein wenig gegenseitig die Schau, meine Hauptkritikpunkt an diesem Buch. Das wird allerdings aufgewogen durch Kays hohe Erzählkunst:

|“Guy Gavriel Kay could write about a peasant going to pick up a pail of water and you’d probably hang on every word.“|

Diesem Satz kann ich nur zustimmen: Kay könnte über einen Bauern schreiben, der mit einem Eimer Wasser schöpft, man würde ihm dennoch an den Lippen kleben. Diese hohe Erzählkunst droht natürlich in der Übersetzung verlorenzugehen. Hier kann ich jedoch Entwarnung geben: Kein einziger Setzfehler, keinerlei Wortdreher, eine tadellose Übersetzung. Die mir vorliegende deutsche Erstausgabe von 1996 ist ein hochwertig gebundenes Buch mit einem wunderschönen und vor allem passenden Titelbild, das die drei Helden des Buches detailgetreu eingefangen hat. Eine Taschenbuchfassung erschien zwei Jahre später ebenfalls.

_Fazit_

Das Buch ist ein Zauber aus 1001 Nacht, eine wunderschöne Chronik des unvermeidlichen Endes Al-Rassans. Man muss nicht historisch bewandert sein und alle historischen Figuren kennen, um der Faszination und Exotik des idealisierten Al-Rassans zu erliegen und einige Lehren daraus zu ziehen. Besser miteinander als gegeneinander, trefflich dargestellt in diesem Buch.

Die hochwertige Präsentation des Hardcovers, das sogar ein Lesebändchen hat, macht das Buch zu einer eindeutigen Empfehlung. Einzig der Overkill an strahlenden Helden und Heldinnen kann gelegentlich ein wenig die Begeisterung dämpfen.

Homepage des Autors:

Welcome

Rodrigo Belmonte alias „El Cid“, Rodrigo Diaz de Vivar:
http://de.wikipedia.org/wiki/El__Cid

Ammar Ibn Khairan alias Muhammad Ibn Ammar:
http://de.wikipedia.org/wiki/Ibn__Ammar

Die Reconquista:
http://de.wikipedia.org/wiki/Reconquista

Asimov, Isaac – Meine Freunde, die Roboter

Isaac Asimov ist heute einer der bekanntesten SF-Autoren überhaupt. Einen großen Teil seines Ruhmes verdankt er sicherlich seinen Robotergeschichten, vor allem jenen, die in den 50er Jahren erschienen und in denen er die drei Robotergesetze formulierte.

Asimov, Professor für Biochemie und Autor vieler populärwissenschaftlicher Bücher, war zweifellos eine herausragende Figur der us-amerikanischen SF der vierziger und fünfziger Jahre, wobei er sich allerdings weniger durch stilistische Brillanz oder eingängige Charakterstudien auszeichnete, sondern durch naturwissenschaftliches Wissen und gute Ideen. Nicht umsonst wandte er sich wie kein zweiter Geschichten zu, in deren Mittelpunkt Roboter standen, ersparte ihm dies doch jedwede Introspektion und Charakterisierung, ein Bereich, den Asimov nicht beherrschte und niemals beherrschen sollte (so bleiben fast rundweg alle Protagonisten Asimovs blass und farblos).

Von Asimovs hervorragenden Ideen profitieren jedoch viele der hier veröffentlichen Kurzgeschichten, die auch heute noch immer gut lesbar sind. Leider suggeriert die vorliegende Ausgabe, dass es sich hier um gesammelte Kurzgeschichten zum Thema Roboter handelt. Dem ist jedoch nicht so, denn die vorliegende Ausgabe ist lediglich die Zusammenfassung dreier Kurzgeschichtensammlungen des Autors, die dereinst bereits als einzelne Taschenbücher im |Heyne|-Verlag (06/3217, 06/3066 und 06/3621 in den Jahren 1966, 1970 und 1976) erschienen waren (wobei „Ich, der Robot“ bereits 1952 in der legendären vierbändigen Reihe des |Rauch|-Verlags erschien, der ersten SF-Reihe überhaupt auf deutschem Boden). Die drei Storysammlungen erschienen 1982 erstmals gesammelt als Band 20 der |Heyne Bibliothek der Science-Fiction-Literatur|.

Lediglich die erste Kurzgeschichtensammlung enthält nur Robotergeschichten, darunter das berühmte „Liar!“, wo ein Roboter die Menschen beschwindelt, um ihnen nicht die ungeschminkte Wahrheit sagen zu müssen und sie damit zu verletzen.

Die folgenden beiden Storysammlungen enthalten nur teilweise Robotergeschichten, wobei deutlich wird, dass Asimov vor allem in den 50er Jahren ein Schriftsteller mit Ideen und Verve war, der seine Leser begeistern und mitziehen konnte. Vor allem die letzte Einheit aus den 70er Jahren zeigt dann jedoch deutlich, dass Asimov nicht mehr auf der Höhe der Zeit war.

Asimov hatte sich in den 60er Jahren eine lange Schaffenspause in der SF gegönnt, die wohl damit zusammenhing, dass ihm die Ideen ausgingen. Zudem bahnte sich Ende der 60er eine literarische Revolution in der SF an. Die |New Wave| kam auf und stellte das Genre mit der Forderung, den |Inner Space| zu erforschen, auf den Kopf. Diese Entwicklung wollte und vor allem konnte Asimov nicht mitmachen, fehlten ihm hierzu doch die literarischen und stilistischen Möglichkeiten. Erst im Jahre 1972, als die |New Wave| abzuebben begann, kehrte Asimov in die SF zurück. Sein Roman „The Gods themselves“ (dt. „Lunatico oder die nächste Welt“) wurde zwar von seinen Fans gefeiert, machte aber deutlich, dass Asimovs beste Tage vorbei waren.

Auch wenn Asimovs Popularität bis heute vor allem unter den Fans ungebrochen ist, so muss doch angemerkt werden, dass unter literarischen Aspekten die Werke des Amerikaners keine Meilensteine sind. Vor allem die späteren Werke sind kaum das Lesen wert, oder zumindest nur für seine Fans. Dies gilt auch für die in diesem Buch veröffentlichten Kurzgeschichten aus den 70er Jahren.

Was bleibt, sind Asimovs ältere Werke, als der Autor noch nicht den Ehrgeiz hatte, alle seine Erzählungen und Romane auf Teufel komm raus miteinander zu verknüpfen, wie er dies später tat. So sind auch Asimovs Geschichten aus den 40er und 50er Jahren heute noch meist sehr lesenswert und bestechen durch ihre Ideen, egal ob sie von Robotern handeln oder nicht.

_Gunther Barnewald_ © 2002
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ veröffentlicht.|

Aldous Huxley – Schöne neue Welt

„Gemeinschaftlichkeit, Einheitlichkeit, Beständigkeit“, so der Wahlspruch in Huxleys schöner neuer Welt. Dahinter verbirgt sich eine Gesellschaft, die, in ein strenges Kastenwesen unterteilt, ihren Lebenssinn im staatlich gesteuerten Konsum findet. Horden von in Khaki gekleideten Delta-Klonen – Bokanowskygruppen – finden ihr Glück beim Zentrifugalbrummball, Alphas amüsieren sich in Fühlkinos oder mit Vibrovakuumapparaten, Betas spielen Hindernisgolf. Alle zusammen werden sie schon pränatal in Brutflaschen auf ihre zukünftige Rolle im Gesellschaftsleben vorbereitet. Das Bokanowskyverfahren kennt als Hauptstütze der Gesellschaft keine Mutter und keinen Vater. Epsilon-minus-Halbkretins erhalten bis zu ihrer „Entkorkung“ Chlor, Ätznatron, Blei und Teer zugesetzt, um ihrer Aufgabe als zukünftige Chemiearbeiter gerecht zu werden und diese Arbeit zudem physiologisch zu lieben. Nach der Entkorkung schließt sich die Normung an. In Schlafschulen werden die einzelnen Klone mit jeweils für ihre Kaste spezifischen Schlafschulweisheiten konditioniert. Die Furcht vor dem Tod wird abgenormt, es gibt keine alten Menschen, keine Bücher, keine Ängste, keine Liebe, keine Krankheiten, keine Armut, weder Religion noch Kunst, nur Spiel und Spaß. Soma, eine synthetische Droge, erstickt jeglichen trotz Normung aufkeimenden Kummer, revolutionäre und damit gesellschaftsschädliche Gefühle und tötet jeden Ansatz individuellen Denkens. Regiert wird diese Gesellschaft von zehn Weltaufsichtsräten. Ihnen obliegen die Zensur, die Reglementierung und Bestrafung bei Abweichungen von der Norm. Der Kollektivismus wird durch extrem modern anmutende Motivationstrainings gepflegt.

Sigmund Marx, ein sowohl physiognomisch als auch psychologisch von der Norm abweichender Feigling, bringt aus einer Reservation den „Wilden“ Michel in seine Welt mit. Natürlich geboren, ohne Normung aufgewachsen, ist Michel ein Exot. Die neue Welt ist ihm unverständlich und je mehr er davon sieht, desto mehr fühlt er sich abgestoßen. Eine unglückliche Liebe bringt sein labiles Wesen an den Rand des Wahnsinns. In einer Diskussion mit dem Weltaufsichtsrat Mustafa Mannesmann muss Michel erkennen, dass seine revolutionären Gedanken nicht nur bei der Herrscherriege, sondern auch in der Bevölkerung auf Unverständnis stoßen müssen, dass seine Kritik an diesem Gesellschaftssystem zwar berechtigt sein mag, aber nichts ändern wird, und dass es für ihn in dieser Gesellschaft keinen Platz geben wird. Da ihm auch der Rückweg in seine alte Welt verwehrt ist, bleibt ihm nur noch der Freitod.

Im Gegensatz zu Orwells „1984“, oft in einem Atemzug mit Huxleys Werk genannt, fühlen sich Huxleys Menschen nicht unterdrückt. Sie sind glücklich mit dem, was sie sind und was sie tun. Die Vorstellung, etwas könne sich daran ändern, bereitet ihnen Unbehagen und deshalb ist Huxleys Welt wesentlich glaubhafter. Orwell bedient sich in der Geschichte, Huxley (1894 – 1963) ist innovativ. Ein totalitäres Regime, wie von Orwell beschrieben, hat, und das lehrt die Geschichte, langfristig keinen Bestand. Huxleys Welt ist dauerhaft, ein stabiles System mit Klonierung und „neo-pawlowscher“ Normung als Basis für Beständigkeit, Einheitlichkeit und Gemeinschaftlichkeit, mit Konsum als Selbstzweck und Soma als staatlich verordnetes, magisches, nachwirkungs- und nebenwirkungsfreies Antidepressivum.
„Schöne neue Welt“, in den Dreißigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts als Utopie begonnen, entwickelt sich mittlerweile zu einer beißenden Gesellschaftssatire, da die Ähnlichkeiten unserer Gegenwart zu Huxleys Welt immer frappanter werden. Huxleys Roman zählt sicher zu den besten SF-Werken, die bisher geschrieben worden sind.

Mehr über A. Huxley bei |wikipedia|: http://de.wikipedia.org/wiki/Aldous__Huxley

_Jim Melzig_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

|Unsere hauseigene Rezension von Michael Matzer findet ihr in aller Ausführlichkeit [an dieser Stelle. 2462 |

S. S. Van Dine – Der Mordfall Terrier

Ein als Selbstmord aufwändig getarnter erster Mord in einem hermetisch verschlossenen Raum, ein niedergeschlagener Hund, an falscher Stelle auftauchende Mordwerkzeuge: viel Grübelarbeit für Philo Vance … – Ein Meisterwerk des klassischen Kriminalromans, das unerschrocken ein schon damals zum Klischee gewordenes Element – den perfekten Mord – aufgreift und meisterlich entwickelt.
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Baudelaire, Charles / Huysmans, Joris-Karl / Mirbeau, Octave – Blumen des Bösen, Die / Tief unten / Der Garten der Qualen

Es gibt Klassiker der unheimlichen Literatur, welche heute nur noch selten ihren Weg zu den Lesern finden, da die Autoren zumeist vergessen sind und nur noch Kenner der Phantastik aus literaturhistorischem Interesse heraus versuchen, antiquarische Exemplare zu ergattern. Löblicherweise erscheinen nun im |area|-Verlag einige dieser Werke im edlen Hardcover zu moderaten Preisen.

Im vorliegenden Band sind drei Werke vereint, welche bislang – bis auf eine Ausnahme – selten lieferbar waren. Es sind dies die Gedichtsammlung „Die Blumen des Bösen“ von Charles Baudelaire, „Tief unten“ von Joris-Karl Huysmans und „Der Garten der Qualen“ von Octave Mirbeau.

_Charles-Pierre Baudelaire_ (1821 – 1867) ist den Phantastik-Kennern als Poe-Übersetzer bekannt. Baudelaire hat die Poe-Rezeption in Frankreich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts angestoßen und damit auch für die Verbreitung der Poe’schen Werke in Deutschland viel Gutes getan, nachdem E. A. Poe einige Zeit zu Unrecht vergessen war. Seine eigenen Werke stecken – wie bei Poe – voller rätselhafter, verschrobener Charaktere und behandeln die Themen Tod, Verwesung, Gewalt. Dies ist auch in der viel gelobten Gedichtsammlung „Die Blumen des Bösen“ („Les Fleurs du mal“, 1857) der Fall. In nahezu hundert Gedichten beschwört Baudelaire eine Welt voller Wahnsinn und Zerfall, und das in einer poetischen Sprache, die voller betörender Bilder ist. Diese Sammlung gilt zu Recht als ein Meilenstein in seinem Werk und ist schwer zu übersetzen. Die Ausgabe des |area|-Verlages wurde von Terese Robinson übersetzt, welche mit großer Akribie daran ging, den Rhythmus des französischen Originals und seine Bildsprache auch im Deutschen beizubehalten. Das Ergebnis ist gelungen.

„Tief unten“ („Là-bas“, 1891) von _Joris-Karl Huysmans_ (1848 – 1907) ist ein Roman, der das Thema Satanismus in aller Breite und Ausführlichkeit schildert. Die Hauptfigur des Romans ist Durtal, ein Schriftsteller, der als ein Dandy des |Fin de Siècle| geschildert wird. Er recherchiert für eine Biographie über Gilles de Rais, besser bekannt als „Blaubart“. Gilles de Rais hatte sich der Legende nach ganz dem Satanismus verschrieben und versuchte die Gunst des Teufels zu erringen, in dem er u. a. Kinder auf grausamste Weise ermordete. Durtal ist auf dunkle Art fasziniert von seinen Ergebnissen und nimmt an Schwarzen Messen teil. Doch davon ist er angewidert und wendet sich ab, um wieder die Einsamkeit eines Dandys zu leben.
Das Werk ist eine Mischung aus Essay und Roman und zeigt vor allem den historischen Satanismus des |Fin de Siècle| als eine Sinnsuche in einer für die damaligen Künstler als sinnlos empfundenen Welt.

_Octave Mirbeau_s „Der Garten der Qualen“ wendet sich dem Thema Sadismus zu. In China erlebt ein französischer Exilant, wie Gefangene in einem Straflager, das einem Garten nachempfunden ist, zu Tode gequält werden. Die Methoden sind dabei dermaßen perfide, dass sich ein Clive Barker hiervon inspirieren lassen und diese nicht extremer schildern könnte. In bester Tradition eines Marquis de Sade schildert Mirbeau (1848-1917) die Qualen als Mittel zum sexuellen Genuss der Betrachterin, einer schottischen Adeligen. Am Ende jedoch überwältigt auch sie das Gesehene und sie fällt in eine Ohnmacht, wobei klar ist, dass die Adelige wieder und immer wieder zu Besuch in den „Garten der Qualen“ gehen wird. Dieser Roman diente Kafka als Vorlage für „In der Strafkolonie“.

Alle drei Werke sind wahre Klassiker der unheimlichen Literatur und jedem empfohlen, der sie noch nicht kennt. „Der Garten der Qualen“ ist normalerweise besonders schwer zu erhalten, demnach sollte man nicht zögern zuzugreifen, vor allem, da der Preis für ein Hardcover wirklich günstig ist.

_Markus K. Korb _
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Steve Alten – Höllenschlund

Ein urzeitlicher Riesenhai geht auf Menschenfang, während ein besessener Wissenschaftler sich an seine Flossen heftet, um ihn auszuschalten … – Schier unfassbar in seiner Mischung aus schlecht inszenierter Action und einschlägigen Uralt-Klischees, schlägt dieser Schmalspur-Thriller durch seine holzschnitthafte Figurenzeichnungen dem Fass (bzw. den Lesern) endgültig die Krone (oder die Flosse) ins Gesicht.
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Interview mit Thomas Thiemeyer

|Thomas Thiemeyer überraschte mich mit seinem abenteuerlichen Romandebüt [„Medusa“ 482 sehr angenehm. Der sympathische Autor kam gerade von der an diesem Wochenende gelaufenen Elster-Convention zurück und unterhielt sich mit mir über sein Buch, die nächsten Projekte, die Convention und metallischen Musikgeschmack.|

_Andreas Jur:_
Hallo Thomas, ich grüße dich! Gratulation zunächst zu deinem gelungenen Erstlingswerk! War eine nette Überraschung, als Droemer/Knaur mir das lecker Büchlein auf gut Glück in den Briefkasten befördern ließ, sonst wäre mir die „Medusa“ wohl tatsächlich glatt entgangen. Wie sieht die Resonanz der Pressekollegen und seitens der Leserschaft bislang aus?

_Thomas Thiemeyer:_
Überraschend positiv. Zwar hat sich niemand die Mühe gemacht, so ins Detail zu gehen wie ihr bei Buchwurm.info, aber die einhellige Meinung scheint zu sein, dass alle es für einen spannenden, gut zu lesenden Abenteuerroman halten. Und mehr wollte „Medusa“ nie sein.

_Andreas Jur:_
Hast du schon Rückmeldung bezüglich der Verkaufszahlen von „Medusa“?

_Thomas Thiemeyer:_
Leider nein, denn es ist nicht leicht, an solche Zahlen zu kommen. Die Redakteure wissen sie oft selbst nicht. So habe ich erst kürzlich erfahren, dass das Buch mit einer Auflage von 12.000 Stück an den Start gegangen ist, also eine beachtliche Zahl für ein Hardcover. Was den Reinverkauf in die Buchhandlungen betrifft, so habe ich von Vertreterseite nur Gutes gehört, aber das bedeutet noch lange nicht, dass der Abverkauf an den Endkunden ebenso flott läuft. Hier spielt der Faktor Glück noch eine große Rolle.

_Andreas Jur:_
Der Verlag hat offenbar große Erwartungen in deinen ersten großen Roman gesteckt. Solides Hardcover, aufwendige Umschlaggestaltung mit Prägedruck, Innenabdruck einer Karte, breite Pressebeschickung mit Vorabexemplaren … Hast du dergleichen erwarten können?

_Thomas Thiemeyer:_
Überhaupt nicht. Ich wäre ja schon froh gewesen, wenn ein Verlag die „Medusa“ als Taschenbuch herausgebracht hätte. In einer Zeit, in der es von tausend eingesandten Manuskripten nur eines es schafft, als Buch gedruckt zu werden, muss man mit allem zufrieden sein. Anfangs sah es auch recht düster aus. 2003 schickte ich das fertige Manuskript an meinen Agenten Bastian Schlück, der es postwendend an |Bastei Lübbe| weiterreichte, die das Buch optioniert hatten. Nach kurzer Zeit flatterte jedoch eine Absage herein, die mir ziemlich zu schaffen machte und deren Argumentation ich bis heute nicht ganz nachvollziehen kann. Aber sei’s drum, Geschmäcker sind eben verschieden. Kurze Zeit später war die Buchmesse in London und auf einmal ging alles sehr schnell. Sowohl |Goldmann| (|Blanvalet|) als auch |Droemer/Knaur| interessierten sich dafür. Für einen Autoren und seinen Agenten natürlich eine Traumsituation. Den Zuschlag bekam |Knaur|, denn er lockte mit einem Hardcoververtrag mit anschließender Herausgabe als Taschenbuch. Im Nachhinein betrachtet hat mir Stefan Bauer von |Bastei| mit seiner Absage also einen riesigen Gefallen getan.

_Andreas Jur:_
Wie zufrieden ist denn dein neuer Verlag mit dem bisherigen Erfolg?

_Thomas Thiemeyer:_
Von Erfolg kann noch keine Rede sein. Alles, was ich bisher zu hören bekommen habe, der Reinverkauf, die guten Rezis, die Lesermeinungen, all das sind Vorschusslorbeeren. Die Tendenz sieht zwar gut aus, aber das letzte Wörtchen wird an der Kasse des Buchhändlers gesprochen. Ich bleibe da bis zuletzt sehr kritisch.

_Andreas Jur:_
Und dann wird trotz des großen Glücksfaktors (der bei einem noch unbekannten Autorennamen ja immer ein Problem in dieser Masse von Neuveröffentlichungen ist) die „Medusa“ wie erwähnt gleich als Hardcover geadelt und eine Taschenbuchausgabe soll es später auch noch geben. Wittert man von so viel unerwarteter Beachtung die Luft des Größenwahns oder hält sich der Blutdruckpegel in Grenzen?

_Thomas Thiemeyer:_
Durch meine Bilder bin ich es gewohnt, in der Öffentlichkeit zu stehen und sowohl Lob als auch Kritik einzustecken, und das schon seit fünfzehn Jahren. Ich glaube, das hat mir geholfen, mit dieser Situation umzugehen. Bisher stehe ich noch mit beiden Beinen fest auf der Erde. Das kann sich natürlich schlagartig ändern, wenn Steven Spielberg anruft …

_Andreas Jur:_
Ich habe gelesen, dass du zuvor schon im Kinder- und Jugendbuchbereich tätig warst. Um welche Themen ging es da?

_Thomas Thiemeyer:_
Im Kinder- und Jugendbuchbereich habe ich vorwiegend als Illustrator gearbeitet. Dabei habe ich Bücher zum Thema Saurier, Indianer, Ritter, Urmenschen und Naturphänomene gemalt. Geschrieben hätte ich gerne schon früher, aber da waren die Verlage sehr konservativ. Sie haben sich sicher gedacht, „wer malen kann, kann nicht auch noch schreiben“. Diese „Schuster bleib bei deinen Leisten“-Mentalität ist leider sehr weit verbreitet. Daher musste ich schon in die Erwachsenenliteratur wechseln, um schreibtechnisch Fuß zu fassen. Ein Kinderbuch habe ich aber dann doch geschrieben, ein kleines Buch über zwei Kinder, die auf dem Mars ein Abenteuer erleben, aber das Angebot kam, nachdem ich die „Medusa“ schon fertig geschrieben hatte.

_Andreas Jur:_
Dass die Kombination Illustrator/Autor durchaus geschmackvolle Früchte tragen kann, sieht man ja auch beispielsweise bei deinem Kollegen Michael Marrak. Hauptsächlich hast du dir also bislang als Illustrator und Maler einen Namen gemacht, deine Bilder schmücken allerhand Buchveröffentlichungen und es sind auch einige preisgekrönte darunter. Welche Preise gab es denn bislang und wofür jeweils?

_Thomas Thiemeyer:_
1989 „Das große Buch der Saurier“: Nominierung für den |Deutschen Jugendbuchpreis|.
1999 „Auf zwei Planeten“: |Kurd-Lasswitz-Preis| für beste Umschlagillustration.
2001 „Quest“: |Kurd-Lasswitz-Preis| für beste Umschlagillustration und Innenillustration.
2002 „Jupiter“: |Kurd-Lasswitz-Preis| für beste Umschlagillustration.
2003 „Der Asteroidenkrieg“: |Kurd-Lasswitz-Preis| für beste Umschlagillustration.

_Andreas Jur:_
Ich bin in der Tat beeindruckt und bis auf das Saurierbuch sind mir die Werke sogar bekannt – große Namen. Auf welche Weise malst du denn am liebsten? Welchen Stellenwert hat der Computer? Und wie ist die schöpferische Balance zwischen Auftragsarbeiten und innerem Impuls dabei?

_Thomas Thiemeyer:_
Am liebsten male ich groß, fett und in Öl. Minimum 100cm x 70cm, zum Aufhängen und mit einem schönen Holzrahmen drumherum. Als Buchillustration ist so etwas natürlich viel zu aufwendig und technisch schwer zu reproduzieren. Buchillustrationen fallen naturgemäß kleiner aus und werden auf biegsamen Malkarton angefertigt, für die spätere Repro auf einem Trommelscanner. Trotzdem arbeite ich |so| immer noch viel lieber als am Computer, denn das Malerlebnis, der Umgang mit dem bockigen, widerspenstigen Material ist eine Herausforderung, die riesig Spaß macht. Computerillus fertige ich eigentlich nur noch an, wenn’s schnell gehen muss, oder wenn das Motiv so aufwendig ist (Stichwort Massenszenen oder komplizierte Architektur), dass es nicht anders geht.

_Andreas Jur:_
Knaur ist vermutlich dankbar dafür, dass du dein Buchcover selbst gestaltet hast. Das bot sich ja geradezu an. Wie kam der Sprung vom Illustrator zum Buchautor zustande? Über die Kontakte, die du durch deine bilderstürmende Verlagsarbeit geknüpft hast? Kaffeekränzchen mit den Kollegen Eschbach und Co.?

_Thomas Thiemeyer:_
Andreas Eschbach, Rainer Wekwerth und Michael Marrak, mit denen ich gut befreundet bin, haben mir zwar mit ihren Tipps, Anregungen und (teilweise harschen) Kritiken sehr geholfen, aber den Sprung in die Verlagslandschaft konnten sie mir nicht abnehmen. Den muss jeder selbst machen. Letztendlich zählt nur die Qualität. Eine große Hilfe ist es aber, wenn man einen guten Agenten hat. Und mit Bastian Schlück habe ich einen der besten.

_Andreas Jur:_
Woher kamen die Inspirationen für die Orts- und Themenwahl für „Medusa“? Liegt dir Afrika sehr am Herzen? Die kulturellen Einblicke, die du uns im Roman gibst, klingen nach mehr als bloßer Recherche und auch nach echtem Respekt für Land und Leute.

_Thomas Thiemeyer:_
Seit meinem Besuch bei den entlegenen Saurierfundstätten von Tendaguru im Süden Tanzanias bin ich total auf Afrika geeicht. Alles an diesem Kontinent fasziniert mich, das Land, die Menschen, die Tiere und natürlich diese uralte, geheimnisumwitterte Aura, die über allem liegt (Stichwort: Wiege der Menschheit usw.). Auch mein zweiter Roman, der, wenn es die Götter so wollen, im Herbst nächsten Jahres erscheinen wird, spielt wieder in Afrika. Dann allerdings an einem noch gefährlicheren Ort. Nämlich im Kongo, dem sogenannten „Grab der weißen Mannes“.

_Andreas Jur:_
Siehst du dein Buch eher als Abenteuerroman oder mehr als der Mystery-Thriller, unter dem das Werk in erster Linie firmiert?

_Thomas Thiemeyer:_
Schwerpunkt ist eindeutig Abenteuer und wissenschaftliche Glaubwürdigkeit. Der Mystery-Aspekt ist für mich das Sahnehäubchen. Ein nicht zu unterschätzender Faktor, der das Buch über die Erklärbarkeit unserer nüchternen, technisierten Welt hinaushebt. Worum es mir geht, ist, dem Leser zu zeigen, dass es viele Dinge auf unserem Planeten gibt, die wir nicht verstehen und vielleicht nie verstehen werden. Und das es sich lohnt, einen offenen Blick zu behalten.

_Andreas Jur:_
Eine gute Botschaft, und die Mischung von Abenteuer/Wissenschaft/Mystery ist dir ja ebenfalls stimmig gelungen. Wo wir eben bei der Recherche waren: Hattest du da für „Medusa“ viel zu tun? Wer hat geholfen? Und wie viel Planung und Marktkalkül steckte hinter dem „Medusa“-Projekt? Gerade als deutscher Autor im phantastisch angehauchten Bereich ist es ja arg schwer, den Fuß überhaupt in die Tür zu bekommen.

_Thomas Thiemeyer:_
Da ich selbst nie in Algerien oder im Niger war, musste ich natürlich viel recherchieren. Alle beschriebenen Orte existieren tatsächlich und man kann sie besuchen, auch wenn ich das aus Gründen der Sicherheit keiner Leserin und keinem Leser empfehlen möchte. Man denke nur an die entführten Sahara-Touristen. Ich halte eine gute Recherche für unabdingbar, um dem Leser das Gefühl zu geben, es könnte sich wirklich alles so zugetragen haben wie in dem Buch beschrieben. Das wäre dann aber auch schon so ziemlich das einzige, was ich mit dem Begriff „Kalkül“ beschreiben würde. Alles andere ist bei mir pure Lust an solchen Geschichten. Ich glaube auch nicht, dass man einen kommerziellen Erfolg auf dem Reißbrett planen kann. Dafür gibt es zu viele Beispiele, bei denen das grandios in die Hose gegangen ist. Natürlich ist es nicht leicht, einen Fuß in die Tür zu bekommen, besonders in diesen schwierigen Zeiten. Was mir aber sicher geholfen hat, ist die Tatsache, dass diese Art der Literatur bisher nur von Engländern und Amerikanern verfasst wurde und dass diese erstens sehr teuer im Einkauf sind und zweitens häufig zu unglaubwürdig und übertrieben action-lastig sind.

_Andreas Jur:_
Einen Teil der Detailarbeit hat dir vermutlich dein früheres Studium abgenommen, dessen Grundwissen du bei deiner Themenwahl ja sehr sinnvoll einsetzen konntest. Erzähl doch mal, was und wo du genau gelernt bzw. studiert hast.

_Thomas Thiemeyer:_
Ich habe insgesamt acht Semester an der Geologisch/Geographischen Fakultät der Universität zu Köln studiert und gearbeitet. Und obwohl ich mich letztendlich entschieden habe, eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen, ist dies eine Zeit, die, im Nachhinein betrachtet, für meine Arbeit als Schriftsteller von großer Wichtigkeit ist.

_Andreas Jur:_
Wie ist deine Arbeitsplanung beim Schreiben? Hast du einen festgelegten Tagesablauf? Wie sieht der Alltag bei Familie Thiemeyer aus?

_Thomas Thiemeyer:_
Früh morgens aufstehen (meistens so um kurz nach sechs), mit meiner Frau Kaffee im Bett trinken, die Kinder wecken, anziehen, abfrühstücken und in die Schule schicken, mich von meiner Frau verabschieden, die als Leiterin für Lektorat und Herstellung in einem Stuttgarter Verlag arbeitet, die plötzliche Ruhe genießen, dreimal mit den Fingern knacken und mich dann an die Arbeit machen. Je nachdem, was gerade ansteht an den Zeichentisch oder an den Schreibcomputer.

_Andreas Jur:_
Einer deiner Protagonisten hat den Decknamen „Chris Carter“ – Bist du Akte-X-Fan?

_Thomas Thiemeyer:_
Ehrlich gesagt ist das ein blanker Zufall. Bis auf den Kinofilm habe ich nie eine Folge von Akte-X gesehen und hättest du die Parallele nicht entdeckt, wäre sie mir nie aufgefallen. Aber was soll’s? Akte-X passt doch ganz gut, oder?

_Andreas Jur:_
Ziemlich gut sogar, daher ja meine erste Vermutung. Manche Dinge sind scheinbar schon so zufällig, dass man kaum an Zufall glauben kann. Bei allem Mystery-Gehalt bleibt deine Geschichte allerdings weitgehend auf dem Teppich der Wissenschaften und überlässt einige phantastischere Überlegungen durch Andeutungen mehr der Phantasie des Lesers. Bist du mehr Träumer oder Realist?

_Thomas Thiemeyer:_
Oh je, was soll ich dazu sagen? Beides vermutlich, und zwar immer der Situation entsprechend. Wenn ich meine Steuererklärung machen muss, bin ich wahrscheinlich eher der Realist, und im Bett … aber das geht euch nun wirklich nichts an.

_Andreas Jur:_
Schade aber auch, unsittliche Details steigern die Leserzahl enorm.
Stichwort Kinofilm: Ich hatte die Bildhaftigkeit deines Romans recht lebhaft vor Augen. Sind Filme eine Inspirationsquelle für dich?

_Thomas Thiemeyer:_
Ich vermute, dass die viel erwähnte Bildhaftigkeit eher von meiner Tätigkeit als Illustrator herrührt, aber ich muss gestehen, dass ich auch ein großer Filmfan bin. Noch mehr, seit ich mir einen 16:9-Fernseher mit DVD-Player angeschafft habe. Für’s Kino bleibt mir oft wenig Zeit und außerdem liebe ich es, die Filme im Original zu sehen. Dank verschiedener Tonspuren jetzt kein Problem mehr. Und was das Genre angeht: Horror, SF, Thriller, Fantasy, Komödie, querbeet. Nur gut müssen die Filme sein. Also einen Schrott wie „Die Passion Christi“ schaue ich mir nicht an. Im Moment freue ich mich auf „The Village“ von M. Night Shyamalan.

_Andreas Jur:_
Darauf bin ich auch gespannt, hatte noch nicht die Gelegenheit, ihn mir anzusehen.
Wie sieht es bei deiner künstlerischen Vielseitigkeit mit der Musik aus? Ich habe mir sagen lassen, dass du dich für die hart rockenden Klänge erwärmen kannst. Was hörst du denn so? Lässt du dich während des Schreibens von Musik als Hintergrundlandschaft treiben?

_Thomas Thiemeyer:_
Also beim Schreiben lausche ich ausschließlich dem Klackern meiner Tastatur. Alles andere würde mich nur ablenken oder beeinflussen. Aber in den Pausen oder am Abend darf’s auch mal richtig krachen. Richtung: straight und rockig mit einem Hauch von Punk. The Cult, Creed, Thin Lizzy, Warrior Soul, Social Distortion, AC/DC, Metallica, so diese Mischung. Ich stehe aber auch auf Klassik, Soundtracks und Bombastisches à la Vangelis, nicht zu vergessen Peter Gabriel und Kate Bush.

_Andreas Jur:_
Na, damit kann sich meine CD-Sammlung auch gut anfreunden. Ein Musikfreund ganz nach meinem Geschmack. Was hältst du denn vom aktuellen |Metallica|-Album „St. Anger“? Das hat in Metallerkreisen ziemlich die Gemüter erhitzt. Und kennst du die neuere Coverversion von |Within Temptation| zu Kate Bushs ‚Running up that Hill‘? Ich scheine bei uns einer der wenigen zu sein, die die neue Fassung für gelungen und nicht für Blasphemie halten.

_Thomas Thiemeyer:_
Ich muss gestehen, dass ich die trockene, beinharte Art von „St. Anger“ durchaus mag. Da ich von Zeit zu Zeit auch mit der Punkszene flirte, habe ich sowieso etwas übrig für diesen völlig abgespeckten „Garagensound“. Ich halte es nach der „Ohrwurm“- und „Bombastsound“-Phase der vier Vorgänger für ein absolut erfrischendes Album.
Das Remake von ‚Running up that Hill‘ habe ich zwar noch nicht gehört, bin aber sicher, dass ich den Gedanken daran schon als Blasphemie empfinde.

_Andreas Jur:_
Hör dir die Version einfach mal bei Gelegenheit an; ist zwar kein Klassikerersatz, aber doch gelungen.
Wirst du mit „Medusa“ auf Lesereise sein?

_Thomas Thiemeyer:_
Unbedingt, so mich die Buchhändler denn einladen. Aber damit ist wohl erst zu Beginn des nächsten Jahres zu rechnen. Den Anfang machte allerdings meine Premieren-Lesung samt Signieraktion am 18.09.2004 auf der |Elster|-Con in Leipzig.

_Andreas Jur:_
Die |Elster|-Convention ist ja seit heute vorüber. Wie war’s dort für dich – als Besucher wie auch in beruflicher Sache? Wie ist es, auf SciFi-Giganten wie Orson Scott Card oder John Clute zu treffen (falls sie dir dort über den Weg gelaufen sein sollten)?

_Thomas Thiemeyer:_
Eigentlich habe ich mich weniger auf John Clute und Orson Scott Card (mit dem ich 2000 auf dem „Utopia“-Festival schon das Vergnügen hatte und der von meinen Bildern ganz begeistert war) gefreut, sondern auf Kai Meyer. Obwohl er schon lange „im Geschäft“ ist, bin ich ihm noch nie persöhnlich begegnet. Wie sich jetzt herausgestellt hat, ein großes Versäumnis, denn er ist ein rundum sympathischer, lockerer Typ, mit dem ich viele Interessen teile und dem, trotz seines Erfolges, der Ruhm noch nicht zu Kopfe gestiegen ist. So sollte es immer sein!
Ansonsten habe ich auf der |Elster|-Con meine Feuertaufe bestanden. Meine erste Lesung vor Publikum! Ich habe den Eindruck, dass alle sich gut unterhalten gefühlt haben. Es gab kein Geraschel, niemand verließ den Saal und der Beifall hallt mir jetzt noch in den Ohren. Ein rundum schönes Erlebnis!

_Andreas Jur:_
Was können wir also in nächster Zeit noch von dir erwarten? Und was entsteht unter dem Arbeitstitel „Pacifica“?

_Thomas Thiemeyer:_
Wie schon erwähnt, steht als nächstes ein zweiter Afrika-Roman an, in dem es um die Jagd nach einem legendenumwobenen und hochgefährlichen Lebewesen geht, und der bereits fix und fertig beim Verlag liegt. Und dann ist da noch der Roman, an dem ich gerade schreibe, über den ich aber noch nichts verraten möchte.
„Pacifica“ ist eine Geschichte über eine riesige Wasserstadt, die ich vor Jahren geschrieben habe und bei der ich mir nicht sicher bin, ob sie jemals Buchluft schnuppern wird. Erstens, weil es reinrassige Science-Fiction ist, die sich ja bekanntermaßen schlecht verkauft und zweitens, weil sie meinen eigenen Anforderungen nicht mehr genügt. Ich müsste also viel umschreiben und ob sich das momentan lohnt, wage ich zu bezweifeln. Aber immerhin hat mich die Story zu einem Bild inspiriert, das von der Jury des |Spectrum|-Jahrbuchs (der Bibel für jeden Fantasy-Illustrator) für den Abdruck ausgewählt wurde: http://www.thiemeyer.de/Spectrum.html. Hier schließt sich der Kreis also wieder.

_Andreas Jur:_
Vielleicht wird ja doch noch etwas daraus, die Science-Fiction ist derzeit wieder in einem erfreulichen Auftrieb. Ich bedanke mich jedenfalls für das Gespräch und wünsche dir viel Erfolg für die Zukunft, Thomas. Wir sprechen uns dann wohl im nächsten Herbst wieder, hoffe ich.

Bruce Alexander – Wer die Wahrheit kennt

Das geschieht:

London 1772: Die Reichen & Mächtigen zittern, denn eine Rotte ruchloser Räuber erdreistet sich, sie in ihren feudalen Stadtsitzen zu überfallen und auszurauben. Die Bande ist gut organisiert, geht professionell und schwer bewaffnet zu Werke und schreckt vor Gewalt nicht zurück. Wütende VIPs, verängstigte Bedienstete und leere Schmuckschatullen bleiben zurück, wenn die Schurken das Feld räumen – und dieses Mal eine Leiche: Im Haus von Lord Lilley of Perth haben die Schurken einen Hausdiener erschossen, der ihnen in die Quere kam.

Der Fall geht an Sir John Fielding, Richter am Gericht in der Bow Street und Chef der Bow Street Runners, der ersten regulären Polizeitruppe der Stadt. Obwohl er sein Augenlicht verloren hat, ist Fielding ein begnadeter Kriminalist, der sich höchst fortschrittlicher Methoden bedient. An den Tatorten führt er gern selbst die ersten Verhöre und lässt sich bei der Indiziensicherung von Jeremy Proctor, seinem jungen Assistenten und Leibwächter, zur Hand gehen.

Viel hat das Personal in Lord Lilleys Haus nicht zur Lösung des Falls beizutragen. Allen ist allerdings aufgefallen, dass die Räuber von schwarzer Hautfarbe waren – eine bemerkenswerte Tatsache in einer Zeit, da den Farbigen in der englischen Gesellschaft höchstens die Rolle unterwürfiger und exotischer Diener vorbehalten ist. Hier gehen offensichtlich nicht vom britischen Herrenvolk beeindruckte und deshalb doppelt gefährliche Männer ihrem verbrecherischen Metier nach.

Schwarze Männer attackieren weiße Herren! Das sorgt für Aufregung in London, was vielen unglückseligen Dienern aus Afrika oder aus den amerikanischen Kolonien unerfreuliche Aufmerksamkeit beschert. Aber ist etwa genau das die Absicht der Räuber? Sind die Verbrecher wirklich farbig, oder geben sie dies der Ablenkung wegen nur vor? Diese Fragen stellt sich Richter Fielding, nachdem ein Attentat auf ihn verübt wurde, das ihn allerdings nicht von weiteren Ermittlungen abhält. Dies missfällt seinen Kontrahenten – mit den zu erwartenden lebensbedrohlichen Folgen …

Die Angst des Herrn vor seinem Sklaven

Dass sich pöbelhaftes Diebespack am Eigentum der von GOTT dem HERRN begünstigten Oberschicht vergreift, ist schon ein starkes Stück, das allein in diesem Jahr 1772 die Schuldigen unverzüglich an den Galgen bringen würde. Aber dass hinter den Überfällen womöglich farbige Menschen zweiter Klasse stehen, gibt den Ereignissen eine ganz andere Dimension: Schwarze Männer sind zum Gehorchen und Arbeiten unter der weisen Führung weißer Herren auf dieser Welt! Ein Verstoß gegen diese Regel ist geradezu eine Todsünde. Vor allem rüttelt es an politischen und gesellschaftlichen Grundfesten und kann daher keinesfalls geduldet werden.

Ohnehin wirft die Anwesenheit schwarzen Mitbürger in England ein diffiziles juristisches Problem auf: Kluge und der Gerechtigkeit verpflichtete Männer stellen die Frage, wieso es möglich sein kann, dass die Sklaverei auf der Insel selbst verboten ist, während in den Kolonien, die denselben Gesetzen unterstehen wie das Mutterland, Menschen ge- und verkauft werden können. Jene, die davon profitieren, sind selbstverständlich nicht an einer Änderung des status quo interessiert und gern bereit, gegen gefühlsduselige = geschäftsschädliche Philanthropen vorzugehen.

So kämpft Sir John Fielding in seinem aktuellen Abenteuer gleich gegen zwei Feinde. Die Entlarvung der Räuber verursacht ihm dabei nicht halb so viel Kopfweh wie die „Hängt-sie-vorsichtshalber-alle-auf!”-Stimmung, die sich in London breitzumachen beginnt. Viele unschuldige schwarze Menschen geraten in Gefahr. Auf Fürsprecher können sie kaum hoffen, auf Schutz noch weniger.

Die Angst des Bürgers vor seiner Polizei

Denn wir befinden uns hier in einer Zeit, und einer Stadt, in der es geradezu eine Beleidigung ist, „Polizist“ genannt zu werden. Der typische „Bow Street Runner“ klärt ein Verbrechen höchstens, wenn es unter seinen Augen geschieht, und selbst dann in der Regel unter Einsatz seines Knüppels. „Deduktion“ ist ein Fremdwort, eine Ermittlung anhand von Indizien gilt beinahe als Zauberei. Das Mittelalter ist dem London von 1772 immer noch näher als die Moderne. Seit dem Großen Brand von 1666 ist schon wieder ein Jahrhundert verstrichen, das nicht dem Fortschritt der desolaten Gesellschaftsordnung gewidmet wurde. Es gibt kein soziales Netz, das Gesetz basiert eher auf Rache als auf Gerechtigkeit und ist ganz sicher auf jenem Auge blind, das sich auf die Unterprivilegierten richtet.

Sind dem Leser solche Fakten bewusst, gewinnt die an sich wenig originelle Handlung eigenen Qualitäten. Andere Zeiten, andere Sitten: Bruce Alexander führt es uns plastisch vor Augen, weil er es selbstverständlich in seine Geschichte eingehen lässt. Ein bisschen didaktisch geht er dabei manchmal vor, aber anschließend hat man begriffen, was London in ein Pulverfass verwandelt.

Sehr erfreulich ist Alexanders Verzicht auf jene offensive Entrüstung – „Nein, wie ungerecht!“ -, wie sie z. B. Anne Perry zum Stilmittel erhebt bzw. missbraucht. Man kann und darf die Menschen einer vergangenen Epoche nur bedingt nach den moralischen Standards der Gegenwart beurteilen; sie wussten es bis zu einem gewissen Grad tatsächlich nicht besser.

Geschichte ohne genaue Zielrichtung

Schade nur, dass die vielversprechenden Elemente dieses Romans sich nur mühsam zu einer schlüssigen Handlung fügen wollen. Über mehr als vierhundert Seiten erstreckt sie sich, doch der Leser fragt sich bald nach dem Grund, denn die meiste Zeit beschreibt der Verfasser, wie Jung Jeremy von Ort zu Ort läuft, um des Richters kryptischen Anweisungen Folge zu leisten.

Es geht kaum voran mit der Kriminalgeschichte, die durch historische Anekdoten und behagliche Beschreibungen des städtischen Alltags keinesfalls ersetzt werden kann. Die Kriminalistik ist ein mühsames Geschäft voller Sackgassen und Irrtümer. Fatal ist nur, dass man Autor Alexander nicht abnimmt, dass er genau diese Mühsal darstellen wollte.

Stattdessen scheint er selbst nicht recht zu wissen, was er eigentlich erzählen möchte. So schindet er Zeit und füllt viele Seiten mit unnötigem und nicht einmal interessantem Geplänkel. Statisch mäandert die Handlung bis zum angestrengt wirkenden Finale umher. Man liest manchmal gespannt, aber man fiebert niemals mit. Ohnehin legt Alexander keine Indizien, sondern eher Fußangeln aus, sodass man schon allzu früh weiß, wohin der Hase laufen wird. Überraschungen bleiben erwartungsgemäß aus.

Der Mann vor Sherlock Holmes

John Fielding ist eine historische Gestalt. Ob er im Winter des Jahres 1721 schon blind geboren wurde oder sein Augenlicht erst später verlor, weiß man nicht. Fest steht, dass Fielding in der historischen Kriminologie eine prominente Stellung einnimmt, auch wenn er heute meist im Schatten seines als Schriftsteller berühmter gewordenen Halbbruders Henry – sein „Tom Jones“ ist ein unsterblicher Klassiker des Schelmen- und Gesellschaftsromans – steht.

John begann seine Laufbahn als Assistent des Bruders Henry begann ab 1748 als Friedensrichter und später als Ratsherr damit, der kaum strukturierten Ordnungsmacht seiner Heimatstadt eine solide Basis und Durchsetzungskraft zu verschaffen. Ab 1750 schufen die Brüder gemeinsam die erste echte Polizeiorganisation: die Bow Street Runners. Während es bisher nur Stadtwächter gegeben hatte, schickten die Fieldings die Runners auf die Straße – daher der Name. Sie ‚erfanden‘ den Steckbrief, führten – für die damalige Kopf-ab-Mentalität sensationell – eine Kronzeugenregelung für überführte Verbrecher ein und machten sich für eine Liberalisierung der Gesetze für jugendliche Straftäter stark. Als Henry Fielding 1754 starb, rückte John an seine Stelle und setzte das begonnene Werk trotz seiner Behinderung mit Erfolg fort. 1761 wurde er geadelt; zwanzig Jahre später starb er. Unter seinem Spitznamen „The Blind Beak“ war er längst zu einer legendären Gestalt geworden.

Bruce Alexander macht aus ihm eine Art Sherlock Holmes, setzt seiner ansonsten möglicherweise gar zu offensichtlichen Genialität aber eine Grenze, indem er ihn mit einem Gebrechen schlägt. Das ermöglicht ihm die Einführung einer zweiten Hauptfigur. Jeremy Proctor ist Fieldings Watson, der in Vertretung des Lesers die dummen Fragen stellt, um seinen Herrn in besseres Licht zu setzen. Zudem ist Jeremy jung, neugierig und beweglich, was es Alexander ermöglicht, ihn wie eine Schachfigur durch London springen zu lassen.

Dünnblütige Figuren vor saftiger Kulisse

Jeremy ist ein Kind seiner wenig mitleidvollen Zeit – eine Waise, die das Glück hatte, Sir Johns Aufmerksamkeit zu erregen. Der ist nun Vaterfigur und Lehrer in Personalunion. Die Fielding-Romane schildern auch Jeremys Weg zum erwachsenen, gut ausgebildeten Ermittler.

Dem heutigen Leser dürfte Jeremy als Person flach erscheinen. Er ist stets ein wenig zu eifrig und zu ‚vernünftig‘, um für sich einzunehmen. Damit reiht er sich in das Feld der übrigen Figuren ein. Bruce Alexander ist sicher kein begnadeter Schriftsteller. Er erzählt Geschichten ‚aus zweiter Hand‘. Diese wimmeln von beschränkten & dünkelhaften Adligen, dümmlichen & kichernden Zofen, steifen & hochnäsigen Butlern und was der wandelnden Klischees mehr ist.

Niemand wirkt lebensecht, alle scheinen sie Rollen zu spielen – oftmals im Halbschlaf. Als Leser nimmt man an ihrem Schicksal keinen echten Anteil. Auch der an sich interessante Konflikt um die Menschenrechte der ‚schwarzen‘ Engländer kommt nie über das Niveau politisch korrekter Zustimmungsbekundungen hinaus. Die Vergangenheit ist für Alexander nur exotische Folie für eine Story, die ohne diesen Bonus reichlich mager daherkäme.

Autor

Bruce Alexander Cook wurde am 7. April 1932 in Chicago, US-Staat Illinois, geboren. Sein Interesse an der Schriftstellerei blieb zunächst akademisch: Bruce studierte Literatur. Seinen Wehrdienst leistete Cook als Übersetzer ab; er wurde u. a. in Deutschland eingesetzt.

Nach der Rückkehr ins Zivilleben und inzwischen verheiratet, begann Cook Anfang der 1960er frei- und hauptberuflich für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften zu schreiben. 1971 veröffentlichte er das Sachbuch „The Beat Generation“. Es folgten weitere Sachbücher und Biografien und 1978 „Sex Life“, ein erster Roman. Unter dem Pseudonym Bruce Cook erschienen vier Romane um den südkalifornischen Privatdetektiv Antonio „Chico“ Cervantes.

Erst die örtlich und zeitlich denkbar weit von seiner Heimatstadt Los Angeles entfernt angesiedelten Historienkrimis um den (realen) Richter und frühen Kriminologen Sir John Fielding brachten Alexander 1994 den endgültigen Durchbruch. Er setzte die Reihe bis zu seinem Tod am 9. November 2003 in Hollywood fort. Sie umfasste zehn Bände; ein elfter wurde postum von seiner Witwe und dem Autor John Shannon beendet.

Taschenbuch: 412 Seiten
Originaltitel: The Color of Death (New York : G. P. Putnams Sons 2000)
Übersetzung: Andreas Jäger
http://www.randomhouse.de/btb

Der Autor vergibt: (2.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (8 Stimmen, Durchschnitt: 1,50 von 5)

Fiktion & Wahrheit

_von Mathias Bröckers_

Nach zwei Büchern über die Verschwörungstheorien des 11. September werde ich in der Presse und bei Diskussionsveranstaltungen oft als „Verschwörungstheoretiker“ vorgestellt. Eigentlich ist gegen die Bezeichnung nichts einzuwenden. Dennoch beginne ich meine Beiträge, wie unlängst bei einer Diskussion mit einem Redakteur des |SPIEGEL| an der Uni Göttingen, gern mit der Richtigstellung einer Verwechslung: Ich befasse mich zwar mit Verschwörungen und Verschwörungstheorien, vertrete selbst aber keine Theorie des 11.9.; im Unterschied zu den Kollegen beim |SPIEGEL| und in den großen Medien, die seit dem 11.9. eine Geschichte wiederholen, für die bis heute keine gerichtstauglichen Beweise vorliegen: die Legende der Alleintäterschaft von Osama Bin Laden und den 19 Hijackern – eine lupenreine Verschwörungstheorie.

Noch einmal kurz zur Begriffsbestimmung: Verschwörungen sind das Selbstverständlichste der Welt: A und B verabreden sich hinter dem Rücken von C, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Das geschieht im Wirtschaftsleben genauso wie in der Natur, ist in der Politik ebenso an der Tagesordnung wie am Arbeitsplatz – sowie, vor allem, im Liebesleben. Die am meisten gehegte Verschwörungstheorie überhaupt ist wahrscheinlich der Verdacht, dass der Liebespartner heimlich noch ein anderes Verhältnis haben könnte. Verschwörungstheorien sind also Annahmen über mögliche Verschwörungen, die auf Indizien, Verdachtsmomenten, Hinweisen – oder auch purer Einbildung – beruhen; wird die Theorie durch einen definitiven Beweis erhärtet – der Partner wird beim Seitensprung ertappt, oder Dokumente über illegale Polit-Machenschaften geraten an die Öffentlichkeit –, fliegt die Verschwörung auf und ist beendet. Oft aber ist solch ein definitiver Beweis nicht zu erbringen und so fristen Verschwörungen bisweilen ein ebenso langes Leben wie Verschwörungstheorien.

Für die Vorhersage, dass den Verschwörungstheorien des 11.9. solche Langlebigkeit blühen wird, bedarf es keiner großen Prophezeiungsgabe. Nach drei Jahren und der angeblich größten Polizeifahndung aller Zeiten wissen wir kaum mehr als nach drei Tagen: dass 19 Araber im Auftrag Osamas mit Teppichmessern vier Flugzeuge kaperten, das |World Trade Center| zum Einsturz brachten und fast 3.000 Menschen ermordeten. Die erst nach 15 Monaten und auf Druck der Opferfamilien eingesetzte 9/11-Untersuchungskommission hörte zwar viele Zeugen und wälzte tausende von Dokumenten – brachte zu den Hintermännern, der Finanzierung und dem genauen Ablauf der Tat aber nichts wirklich Neues ans Licht. Von Augenzeugen, die aus erster Hand hätten berichten können – etwa aus der Zeit, die die Hijacker in Florida verbracht hatten –, wurde kein einziger auch nur gehört. Ein Vorwurf, den sich die zehn vom Präsidenten bestimmten Mitglieder der Kommission gelassen anhören können, bestand doch ihr offizieller Auftrag gar nicht in der Aufklärung der Anschläge – sondern in Empfehlungen, wie sie künftig zu verhindern seien. Da sich die Prävention künftiger Terrorattacken ohne Aufklärung vergangener Anschläge aber nicht so recht planen lässt, forderte die Kommission auch Beweismittel über den 11.9. an – wie Flugschreiber-Daten, Aufzeichnungen des Funkverkehrs, Protokolle der Luftabwehr und weiteres –, die jedoch unter Berufung auf die „nationale Sicherheit“ nur auszugsweise oder überhaupt nicht freigegeben wurden. Die von Bush’s Vize Dick Cheney handverlesene Kommission, deren Mitglieder sich alle durch enge Verbindungen zur Öl-, Militär,- oder Geheimdienst-Branche auszeichnen, nahm diese Blockaden klaglos hin; das einzige halbwegs unabhängige Kommissionsmitglied, das sich über die Verhinderung der Ermittlungen lautstark beklagte – Senator Max Cleeland – wurde umgehend ausgetauscht. Nachdem der Bericht dann fertig gestellt war, stellte der Kommissionsleiter Thomas Kean fest, dass „alle wichtigen Beweismittel“ zur Verfügung gestanden hätten.

Wie wichtig die Aufklärung dieses Massenmords von der Regierung eingestuft wurde, lässt sich schon an dem Budget der Kommission ermessen – es betrug ursprünglich 3 Millionen Dollar und wurde nach Protesten auf 15 Mio. $ erhöht. Zum Vergleich: Für die Aufklärung von Clintons „Monicagate“ wurde seinerzeit fast fünfmal soviel ausgegeben: 70 Mio. $.

Warum weigerte sich das Weiße Haus hartnäckig, die Anschläge überhaupt von einer Regierungskommission untersuchen zu lassen und agierte, nachdem öffentlicher Druck eine Untersuchung unvermeidlich gemacht hatte, ganz so, als ob ihr an der Nicht-Aufklärung des Verbrechens mehr gelegen sei als an seiner Aufdeckung? Diese Frage führt uns mitten in das Feld, auf dem die Verschwörungstheorien des 11.9. blühen – und eine erste Antwort könnten die Vorbereitungen der Irak-Invasion liefern.

Verteidigungsminister Rumsfeld und sein Vize Wolfowitz haben mittlerweile mehrfach bekannt, dass die konkreten Planungen zum Irakkrieg direkt nach den Anschlägen auf WTC und Pentagon begannen. An jenem Tag, an dem das FBI die Liste der verdächtigen 19 Hijacker veröffentlichte, von den 15 aus Saudi-Arabien stammten. Zweifel an ihrer Identität tauchen zwar auf, werden aber nur oberflächlich bereinigt, weitergehend untersucht wird nichts, Täter und Hintermänner bleiben nebulös – aber die „Spin-Doktoren“ übernehmen nun die propagandistische Verarbeitung. Mit Erfolg: Achtzehn Monate später, kurz vor dem Einmarsch in Irak, ergeben Umfragen in den USA, dass 60 Prozent der Bevölkerung die Hijacker für Iraker halten – und den Marsch auf Bagdad für eine gerechte Bestrafungsaktion. Die Nicht-Aufklärung des wahren Hintergrunds der Täter und ihre Fortexistenz als phantomhafter Wechselbalg namens „Al Quaida“ hat sich für die US-Regierung also als sehr nützlich erwiesen. Gerade konkret genug, um geographisch („Araber“) und ideologisch („Islamisten“) ein Feindbild abzugeben, aber auch so diffus, dass es mit ein paar Drehungen an der Spin-Schraube flexibel einsetzbar bleibt.

Nur die Nicht-Aufklärung der Katastrophe, die Nicht-Ermittlung der konkreten Planer und Hintermänner ermöglichte ihre optimale Ausbeutung für propagandistische Zwecke – und mit dem Abschlussbericht der 9/11-Kommission ist die Legende von „Osama und den 19 Hijackern“ als Alleintätern – und die von „Pleiten, Pech und Pannen“ von Geheimdiensten, Luftüberwachung und Polizei – zur offiziellen Geschichtsschreibung geworden.

Wie dabei alle widersprüchlichen, nicht ins Bild eines Überraschungsangriffs islamistischer Fanatiker passenden Nachrichten verschwanden, zeigt beispielhaft die Berichterstattung über die letzten Tage des verdächtigen „Terrorchefs“ Mohammed Atta. Am 16. September 2001 berichteten zahlreiche Medien – von der „Washington Post“ bis zum Lokalblatt „Charleston Post & Courier“ – detailliert und unter Berufung auf den Barkeeper Tony Amos, dass Atta in „Shukkums Restaurant“ in Hollywood/Florida zwei Abende vor dem Attentat gezecht hatte: Nach drei Stunden hatte er fünf „Stolichnaya“-Wodka intus und sein Kumpan Al-Shehhi ebenso viele „Captain Morgan“-Rum; und es kam wegen der Bezahlung der Rechnung zu einer lautstarken Auseinandersetzung, bei der sich Atta als Pilot der „American Airlines“ ausgab. Elf Tage später liest sich die Geschichte dieses Trinkgelages schon ganz anders. Im Bericht der „Los Angeles Times“ sind die Alkoholika verschwunden: „Am selben Abend (7. Sept.), unten an der Küste Floridas, gingen Atta und Al-Shehi in Shuckums Sports Bar in Hollywood, zusammen mit einem noch unidentifizierten dritten Mann. Der Betreiber, Tony Amos, sagt, dass Atta ruhig für sich saß, Preiselbeersaft trank und Videogames spielte und Al-Shehi mit dem anderen Gast Mix-Drinks konsumierte und diskutierte …“

Der Barkeeper ist nur einer von vielen Augenzeugen, die auf das Desinteresse der 9/11-Kommission stießen – auch keine der Aussagen von Nachbarn, Vermietern oder Taxifahrern aus dem Rentnerstädtchen Venice, die mit Atta persönlich zu tun hatten, wurde bei den Ermittlungen berücksichtigt. Schon gar nicht Attas Freundin Amanda Keller, die sechs Wochen mit ihm ein Appartment geteilt hatte. Der Investigativ-Journalist Daniel Hopsicker, der seit dem 11.9. in Florida recherchiert, hat mit vielen dieser Augenzeugen gesprochen, und sein Report („Welcome to Terrorland“, Frankfurt 2004) macht klar, warum sie für die „Aufklärung“ unerwünscht sind: Ihre Aussagen decken sich nicht mit dem Bild des islamistischen Fundamentalisten, das FBI und Medien von „Terrorchef“ Atta gezeichnet haben. Neben dem Konsum von Alkohol belegen diese Zeugen weitere gänzlich unislamische Vorlieben Attas, wie Striptease-Bars, Schweinekottelets oder Kokain – kurz: Atta verhielt sich nicht wie ein vernagelter Islamist, sondern eher wie ein weltläufiger Agent. Als wir seinen ehemaligen Arbeitgeber in Hamburg, bei dem Atta während seines Studiums einen Job als Planzeichner hatte, zwei Jahre nach den Anschlägen zu diesen Fakten befragen, schüttelt er den Kopf: „Das ist nicht der Mohamed, den wir kennen. Wissen Sie, diese Geschichte ist mittlerweile so verrückt, ich könnte mir vorstellen, dass er jeden Moment hier hereinspaziert kommt, weil sich alles als Missverständnis aufgeklärt hat.“ Die Arbeit der 9-11-Kommission hat nicht dazu beigetragen, die Unklarheiten zu beseitigen, im Gegenteil bekundet Hopsicker, der die letzten öffentlichen Hearings in Washington verfolgte: „Wir waren platt, als die Präsentation offensichtlich den bereits veröffentlichten und von den großen Medien berichteten Fakten über die letzten Tage Mohammed Attas widersprach. Es war falsch und es war so offensichtlich falsch, dass man sich fragen musste, was hier eigentlich vorgeht.“

Denn Atta war nicht nur am 7. September in dieser Bar in Florida – auch am 9. September, als er laut Untersuchungskommission auf dem Weg von Baltimore nach Boston gewesen sein soll, hielt er sich noch an der Goldküste Floridas auf. Dieses Mal in Pompano Beach, wo er bei „Warrick Rent a Car“ mit Marwan Al Shehhi einen Mietwagen zurückgab, wie eine Kopie des Mietvertrags beweist. Der offizielle 9/11-Report jedoch behauptet:
„Am 7. September flog er von Fort Lauderdale nach Baltimore, … Am 9. September flog er von Baltimore nach Boston. Dort trafen zu diesem Zeitpunkt Marwan al Shehhi und sein Team für Flug 175 ein. Atta wurde mit Al Shehhi in seinem Hotel gesehen.“

Wenn Atta am 7. September stundenlang in einer Bar in Florida zubrachte und am 9. September dort auch noch ein Mietauto zurückgab – wie kann er gleichzeitig am 7. im Flugzeug nach Baltimore und am 9. auf dem Weg nach Boston sein? Wenn wir davon ausgehen, dass der wahabitische Wodkaliebhaber Atta nicht über die Gabe der Bilokation verfügt, bleibt eigentlich nur die Möglichkeit eines Doppelgängers, wie wir sie anhand weiterer Widersprüchlichkeiten von Zeugenaussagen über den „Terrorchef“ in unserem letzten Buch „Fakten, Fälschungen und die unterdrückten Beweise des 11.9.“ erörtert haben. Jene „zwei Attas“, von denen der eine als verkniffener fundamentalistischer Islamist posiert, der nie einer Frau die Hand reichen würde – und der andere mit dem Strip-Girl Amanda Keller zusammenlebte, Wodka trank und gern Schweinskoteletts aß … Während Atta 1 sich auf Selbstmordmission befindet und als Beweis für seinen Fanatismus sein Testament am Flughafen hinterlässt, eröffnet Atta 2 am 25. August 2001 laut „Boston Globe“ ein „Frequent Flyer“-Konto zum Meilensammeln …

Die Merkwürdigkeiten sind offensichtlich. Wie aber kommt es, dass nach drei Jahren, der angeblich größten FBI-Fahndung aller Zeiten und 20 Monaten Untersuchung durch diverse Regierungskommissionen, diese Widersprüche und Ungereimtheiten nicht aufgeklärt sind? Fragen wie diese sind keine Kleinigkeiten, schließlich handelt es sich hier um den vermeintlichen Haupttäter eines Massenmords; und die wenigen Journalisten, die sie stellen, sind weder böswillig noch verrückt. Sie stellen nur die Fragen, die jeder Ermittler, jeder Kriminalist und natürlich jeder Untersuchungsauschuss stellen müsste, dem es wirklich um Aufklärung des Falles geht. Doch darum geht es der US-Regierung und ihren Kommissionen ganz offensichtlich nicht.

Stephen Brill beschreibt in seinem Report „After: The Rebuilding and Defending of America“ (New York 2003, S. 37) folgende denkwürdige Szene am 12. September 2001:

Als FBI-Chef Robert Mueller Bush versicherte, alles werde getan, um die an den Anschlägen Beteiligten zur Strecke zu bringen, bürstete Bush ihn ab: »Unsere Prioritäten haben sich geändert«, sagte er. »Wir müssen uns darauf konzentrieren, den nächsten Angriff zu verhindern, statt uns darüber Sorgen zu machen, wer diesen verursacht hat.«

Am 12. September also – die Trümmer der Twin Towers rauchten noch – wurde der Beschluss gefasst, die Fahndung nach den Tätern und Hintermännern des Massenmords einzustellen, weil sich die „Prioritäten“ geändert hatten – in Richtung Irak. Der Nachrichtensender CBS meldete im April 2002:

|»Wie CBS erfahren hat, sagte Verteidigungsminister Rumsfeld am 11. September, kaum fünf Stunden nach dem Einschlag der Maschine ins Pentagon, seinen Mitarbeitern, die Pläne für einen Angriff auf Irak hervorzuholen, auch wenn es keinen Beweis für eine Verbindung Saddam Husseins mit den Anschlägen gibt.«|
http://www.cbsnews.com/stories/2002/09/04/september11/main520830.shtml

Dieser Intention wurde vom ersten Tag an also alles untergeordnet – die Terroranschläge wurden nicht aufgeklärt, sondern für die Propagandazwecke dienstbar gemacht.

Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz bekundete nach der Tat:

|»Diese Operation war zu ausgeklügelt und zu kompliziert, als dass sie von einer Terroristengruppe allein hätte durchgeführt werden können …«|,

– und hier geben wir ihm völlig Recht. Die Lüge, die Wolfowitz dieser wahren Feststellung dann hinzufügte:

|»… ohne einen staatlichen Geldgeber. Der Irak musste ihnen geholfen haben«| (Zit. n. Clarke, Richard A.: Against all Enemies, S. 30)

– diese Lüge aber ist mittlerweile als solche entlarvt. Es bleibt also nur noch die Kleinigkeit zu klären, wer diese staatlichen Planer, Hintermänner und Geldgeber waren.

Das letzte Beispiel zeigt, wie Mythen – in diesem Fall die Verschwörungstheorie einer Verwicklung des Irak in die Taten des 11.9. – geschaffen und konstruiert werden. Ein rationaler, einleuchtender Kern – dass die Luftverteidigung einer Supermilitärmacht nicht allein von einem Dutzend Studenten mit Teppich-Messern zwei Stunden lang ausgeschaltet werden kann, scheint logisch – dieser logische Kern wird mit einer von Fakten völlig ungedeckten Behauptung – „der Irak steckt dahinter!“ – zusammengepackt – und fertig ist Verschwörungs-Legende. Um zum Mythos zu werden – laut Definition (|Encyclopaedia Britannica|) „eine Geschichte, die durch viele Nacherzählungen zur akzeptierten Tradition einer Gesellschaft wird“ – bedarf es jetzt nur noch der vielfältigen, dauerhaften Nacherzählung und im Medienzeitalter ist bekanntlich nichts leichter als das. Die multimediale Wiederholungsschleife der Nacherzählung hat nicht nur den in der PR-Branche „Penetration“ genannten Effekt der massenhaften Verbreitung und Memorierung in der Bevölkerung, sie sorgt auch für ein weiteres Charakteristikum des Mythos, nämlich seine Urheberlosigkeit. Der Ursprung, der Autor, der Erfinder der Geschichte werden im Zuge der permanenten Nacherzählung verwischt und der allgemeinen Überlieferung zugeschrieben. Praktischerweise ist dann später – wenn sich die Unwahrheit des Mythos herausstellen sollte – auch niemand konkret verantwortlich und haftbar zu machen.

Fakten sind sozusagen der natürliche Gegner von Mythen – wo alle Unklarheiten mit eindeutigen Tatsachen dokumentiert sind, ist kein Platz mehr für die nebulöse Unschärfe des Mythos. Um nützliche Mythen aufrecht zu erhalten, müssen Fakten deshalb ferngehalten oder manipuliert werden. Eine Paradebeispiel dafür lieferten die „aufgesexten“ Dossiers, mit denen Englands Premier Blair uralte Erkenntnisse über den Irak zur akuten 45-Minuten-Bedrohung durch ABC-Waffen hochstilisierte – die von den UN-Inspektoren ermittelten aktuellen Tatsachen einer weitgehend abgewrackten irakischen Armee mussten dafür ausgeblendet werden.

Bevor US-Soldaten nach dem Einmarsch in Bagdad die Saddam-Statue stürzten, schmückten sie diese mit einem |Stars & Stripes|-Banner – es war die Fahne, die am 11.9. über dem Pentagon geweht hat. Der symbolische Akt, mit dem die GIs demonstrierten, in welchem Glauben man sie in den Irak geschickt hatte, zeigt einmal mehr, wie Mythen instrumentalisiert und inszeniert werden. Und wie wichtig es in diesem Zusammenhang war, die Täter des 11.9. nicht zu ermitteln, sondern im Status des mythisch Nebulösen zu belassen. Diese Operation ist den „Spin Doktoren“, den PR-, Propaganda- und Stimmungsmachern des Weißen Hauses, hervorragend gelungen – unter dem Namen „Al Quaida“ wurde ein Allzweckteufel und Universaldämon geschaffen, der zwar nicht konkret fassbar, aber als potenzielle Bedrohung überall einsetzbar ist.

Dass es keine terroristische Organisation dieses Namens gibt, dass „ana raicha al quaida“ im umgangssprachlichen Arabisch „Ich muss mal aufs Klo“ bedeutet – und höchstens eine Komikertruppe so einen Namen wählen würde –, dass ihr vermeintlicher Chef Osama Bin Laden in mehreren Interviews nach den Anschlägen jede Beteiligung daran zurückwies, dass es sich bei den geständigen Kronzeugen und angeblichen Masterminds des 11.9. – Binalshib & Khalid Scheich Mohamed – um zwei Phantome handelt, die kein Richter, kein Staatsanwalt und keine Untersuchungskommission je befragen konnte oder zu Gesicht bekam; dass die 9/11-Kommission nach knapp drei Jahren bekennen muss, die Finanzierung (sprich: die Planer & Hintermänner der Terroristen) sei weiterhin „unklar“… – all dies zeigt – und es ließen sich noch mindestens zwei Dutzend weitere Anomalien und Merkwürdigkeiten aufführen –, dass die Ergebnisse der angeblich größten Fahndung aller Zeiten nahezu gleich Null sind. Und die Legende der Alleintäterschaft von Osama & der Wilden Neunzehn tatsächlich nichts anderes ist als ein Mythos.

Nicht mehr habe ich in der Kolumne bei „telepolis“ und in den Büchern immer wieder behauptet – aber auch nicht weniger – und wurde vermutlich eben deshalb so vom Zorn der Großmedien getroffen, die ihrem Publikum – zwischen der Werbung – eben diesen Mythos bis heute als Realität verkaufen. Allen voran der |SPIEGEL|, der letzte Woche „Die dunkle Welt der Folter“ auf dem Titel hatte und es an Entrüstung nicht fehlen ließ, war sich vor einem Jahr nicht zu schade, aufgrund von Aussagen, die wahrscheinlich unter Folter erpresst wurden, einen reißerischen Aufmacher zu produzieren: „Das Geständnis“. Darin wurde behauptet, zu den offenen Fragen und der Vorgeschichte des Verbrechens des 11.9 könnte nun „ein genaues Bild“ gezeichnet werden. Dass es sich dabei um alles andere als um ein genaues Bild, sondern um eine unüberprüfbare Legende handelte, wurde bei den Gerichtsverhandlungen gegen die Hamburger Wohngenossen Mohamed Attas in Hamburg deutlich. Dass bis heute niemand für die Verbrechen verurteilt wurde, hat einen einfachen Grund: Es gibt keine Beweise.

Richard Clarke schreibt in seinem Buch „Against all Enemies“:

|“Verschwörungstheoretiker hängen gleichzeitig zwei einander widersprechenden Überzeugungen an. A) dass die US-Regierung so inkompetent ist, dass sie Erklärungen übersieht, die von Theoretikern enthüllt werden können, und b) dass die US-Regierung ein großes, saftiges Geheimnis für sich behalten kann. Die erste Überzeugung hat eine gewisse Berechtigung. Die zweite Vorstellung ist reine Fantasie.“|

Hätte der einstige „Antiterrorzar“ der Vereinigten Staaten mit Letzterem Recht, könnten Staaten so gut wie gar nichts geheim halten, was natürlich Unsinn ist. Als Mann vom Fach weiß Clarke natürlich auch genau, dass er hier Unsinn redet, aber eben solchen, der seinen Zweck erfüllt: nämlich „Verschwörungstheorien“ als „Phantasie“ erscheinen zu lassen. Als gäbe es keine verdeckten Operationen, als hätte eine US-Regierung noch nie zu solchen „black ops“ gegriffen, um ihre Interessen im In- und Ausland durchzusetzen, als hätten Ereignisse wie die „Schweinebucht“, „Watergate“ oder „Iran-Contra“ nie stattgefunden. Das „Manhattan Project“ – die Entwicklung der Atombombe in den 40er Jahren – blieb zum Beispiel ebenso über Jahre „top secret“, wie die Entwicklung des „Stealth“-Bombers in den 80ern – beides Großprojekte, an den Hunderte von Mitarbeitern beteiligt waren. Es gibt also sehr wohl klandestine Operationen – „saftige Geheimnisse“ in Clarkes Worten – die erfolgreich geheim gehalten werden können.

Dass Richard Clarke als einziger leitender Beamter der Bush-Regierung die Courage hatte, sich bei der Bevölkerung für sein Versagen zu entschuldigen, zeichnet ihn aus; angesichts der Augenwischerei, mit der er uns hier die Unmöglichkeit geheimer Regierungspolitik präsentiert, verstärken sich freilich die Bedenken, dass auch sein „mea culpa“ vor dem 9/11-Untersuchungsausschuss eine wohlkalkulierte Inszenierung im Rahmen ihrer „Operation Whitewash“ war. Zumal Clarke einige wichtige Bausteine für die „Pleiten, Pech und Pannen“-Theorie lieferte, allen voran das schöne Bonmot des FBI, als es ihm die Namen der „Hijacker“ mitteilte: „Die CIA hat vergessen, uns von ihnen zu erzählen“. So was kommt natürlich vor, genauso wie Klatsch und Tratsch im Weißen Haus – Gedächtnisaussetzer, menschliche Schwächen, Behördenschlamperei, „not connecting the dots“ – aber Verschwörungen, die gibt es nicht … Es gibt nur „Verschwörungstheorien“ und die sind reine Phantasie …

Zum Parteitag der Republikaner in New York vergangene Woche wurde eine repräsentative Umfrage über den 11.9. unter den Bewohnern von New York City durchgeführt. Danach ist die Hälfte der Bürger von New York, 49,3 Prozent,(Zogby Poll) mittlerweile der Meinung, dass die Regierung von den Anschlägen vorher informiert war und sie aus Opportunitätsgründen geschehen ließ. Ähnliche Umfrageergebnisse sorgten vor einem Jahr in Deutschland für große Aufregung – sie wurden mit dem „Anti-Amerikanismus“ erklärt und einer handvoll Autoren – darunter Andreas v. Bülow, Gerhard Wisniewski und mir – in die Schuhe geschoben, die die Vorurteile der Bevölkerung mit verantwortungslosen Verschwörungstheorien fütterten. Dass dies völliger Humbug ist, zeigt das aktuelle Meinungsbild der direkt Betroffenen aus New York, denen man schwerlich Anti-Amerikanismus vorwerfen kann. Und auch nicht, dass sie von einem Dutzend skeptischer Websites und Alternativblätter manipuliert worden sind. Nein – diese Ergebnisse zeigen schlicht und einfach, dass die offizielle Version unglaubwürdig ist – und die dafür vorgebrachten Beweise in keiner Weise überzeugend. Die Schlüsse, die daraus zu ziehen wären, sind ebenso schlicht und einfach: Weitere Ermittlungen sind notwendig, sei es in Form von Gerichtsverfahren – eine Witwe des 11.9. , Ellen Mariani, hat die US-Regierung wegen Mitwisserschaft und Vertuschung des Verbrechens verklagt –, sei es in Form wirklich unabhängiger Untersuchungskommissionen oder eines internationalen Tribunals.

Zum Abschluss will ich die meines Erachtens wichtigsten Punkte und Themenfelder nennen, die weiterer Ermittlungen bedürfen:

Die wirkliche Identität der 19 Hijacker, die nach wie vor ungeklärt ist – die Original-Passagierlisten der vier Todesflüge, die die Namen der jeweiligen Entführer enthalten müssten, sind bis heute unveröffentlicht.

Die Zeugen in Venice, wo sie sich monatelang aufhielten und zahlreiche Kontakte unterhielten. Atta traf sich regelmäßig mit einer Gruppe deutscher „brothers“, wie er sie nannte, lebte sechs Wochen mit einem Dessous-Modell zusammen und legte auch ansonsten ziemlich unislamisches Verhalten an den Tag.

Das Umfeld der Flugschulen in Venice, Florida, wo die Hijacker trainierten. Sie weisen alle Anzeichen von CIA-Tarnfirmen auf – und gehörten nicht dem Holländer Rudi Dekkers, sondern einem dubiosen Finanzier, Wally Hilliard. In derselben Woche, in der sich Atta bei Hufman Aviation anmeldete, wurde eine seiner Maschinen mit 40 Pfund Heroin an Bord beschlagnahmt.

Die Hintergründe, warum die Fahndung nach den verdächtigen Flugschülern durch die FBI-Zentrale blockiert wurde und die z. T. seit Jahren wegen Terrorverdachts auf verschiedenen „watch lists“ stehenden Flugschüler sich in den USA so frei bewegen konnten.

Die Aussagen der ehemaligen FBI-Übersetzerin Sibel Edmonds, die nach dem 11.9. auf Abhörprotokolle aus den Wochen davor stieß, aus denen sich ein Zusammenhang der Anschläge mit einer groß angelegten Waffen-, Drogenschmuggel und Geldwäsche-Operation ergab. Ihr wurde von Justizminister Ashcroft ein Aussageverbot erteilt, mit der Begründung, dass die „nationale Sicherheit“ und die „Interessen eine befreundeten Nation“ davon betroffen seien.

Die Vorwarnungen, die dazu führten, dass prominente Politiker wie Justizminister Ashroft oder auch San Franciscos Bürgermeister Willie Brown vor und am 11.9. keine Linienmaschinen mehr benutzten.

Die „wargames“, die am Morgen des 11.9. stattfanden und bei denen die Entführung von Zivilflugzeugen simuliert wurden. Nur eines dieser Manöver taucht im Abschlussbericht der Kommission einmal in einer Fußnote auf. Auch in den Monaten zuvor waren ähnliche Manöver durchgeführt worden, unter anderem das Szenario einer ins Pentagon einschlagenden Maschine.

Der Zusammenhang dieser Wargames mit dem völligen Ausbleiben der Luftabwehr am Morgen des 11.9. – sowie mit der Aussage von Condy Rice, dass man sich Flugzeuge als Bomben einfach nicht vorstellen konnte.

Die Nichterreichbarkeit von Verteidigungsminister Rumsfeld, der nach den Einschlägen in New York laut Abschlussbericht fast eine Stunde lang im Pentagon unauffindbar war – sowie die des obersten Militärs Richard Myers, der im Kongressgebäude über seine Beförderung sprach und erst nach dem Crash der vierten Maschine auftauchte.

Die Untersuchung der gesamten technischen Ungereimtheiten – von den zahlreichen Handyanrufen aus großer Flughöhe, die sendetechnisch nur schwer möglich sind, über die Pulverisierung des gesamten riesigen Boeing-Jets im Pentagon, bei dem dann zwar keine größeren Flugzeugteile, aber angeblich noch alle Passagiere identifizierbar waren, bis hin zu dem gegenüber den Twin Towers liegenden Hochhaus „WTC 7“, das völlig unerklärlich und ohne „Feindeinwirkung“ am Nachmittag des 11. 9. zusammenstürzte.

Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen – ich will es bei diesen offenen Fragen bewenden lassen. Sie zeigen deutlich genug, dass von einer Aufklärung der Verbrechen des 11. 9. bis heute nicht die Rede sein kann, ja, nicht einmal von einer ordentlichen polizeilichen Ermittlung. Die Gründe für diese Nicht-Ermittlung haben wir oben genannt: Am 12. 9. hatte die US-Regierung ihre „Prioritäten“ geändert, am Vorabend soll Bush notiert haben „wir haben heute das Pearl Harbor des 21. Jahrhunderts erlebt“. Von dem Pearl Harbor des letzten Jahrhunderts wissen wir mittlerweile, nachdem die Archive die 50 Jahre lang geheim gehaltenen Unterlagen u. a. über den decodierten japanischen Funkverkehr freigegeben haben, dass die US-Regierung damals über den bevorstehenden Angriff genau informiert war, ihn aber geschehen ließ, um die kriegsunwillige Bevölkerung zum Kriegseintritt zu motivieren. In der historischen Rückschau können wir für diesen schmutzigen Trick gerade als Deutsche nur dankbar sein; ohne Roosevelts Opfer von knapp 3.000 Landsleuten in Pearl Harbor wäre die Befreiung Deutschlands vom Faschismus nicht gelungen. Werden die Historiker der Zukunft – wenn in 50 oder 70 oder 100 Jahren alle unter dem Zauberwort „national security“ verbannten Dokumente eine Aufklärung des Verbrechens ermöglich – dem „Kriegspräsidenten“ Bush ein ähnliches Zeugnis ausstellen?

Ich fürchte nein – auch wenn er mit den Osamas und Saddams stets neue Hitlers als Weltbedrohung aus dem Hut zaubert, und vielleicht demnächst noch ein besonders fettes Kaninchen, termingerecht zur Wiederwahl. Der Mythos, dass 9/11 aus einer afghanischen Höhle organisiert und als Überraschungsangriff ausgeführt wurde – dass also der Schrecken von überall und potenziell jedem droht – ist unabdingbar für die Strategie präventiver imperialer Kriege – und so lange diese in Washington das Maß aller Dinge ist, fürchte ich, werden wir mit der Fiktion, dem Mythos, der Verschwörungstheorie von Osama und der Wilden Neunzehn leben müssen.

[Mathias Bröckers]http://www.broeckers.com
|Vortrag an der Evangelischen Akademie, Bonn-Bad Godesberg, am 7. September 2004|

Mathias Bröckers ist u. a. Autor von „Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9.“ sowie „Fakten, Fälschungen und die unterdrückten Beweise des 11.9.“ (zusammen mit Andreas Hauß & Daniel Hopsicker), erschienen bei |zweitausendeins|. Er veröffentlichte zudem zahlreiche Artikel im kritischen Magazin |[Telepolis.]http://www.heise.de/tp |
Siehe auch unsere [Rezension 103 zu „Fakten, Fälschungen und die unterdrückten Beweise des 11.9.“

Giebel, Marion – Kaiser Julian Apostata. Die Wiederkehr der alten Götter

In diesem Buch wird eine der schillernsten Figuren der Spätantike durch die bewährte Hand der Altphilologin Marion Giebel zu neuem Leben erweckt. Julian, der Abtrünnige – diesen Namen hatte ihm schon die frühe Kirche angehängt und damit die Richtung für die Bewertung des Kaisers bis in die neuere Zeit vorgegeben. Denn Julian war der letzte „echte“ Römer – oder, wie man genauer sagen müsste, der letzte Römer von geschichtlicher Bedeutung, der sich dem griechischen Hellenentum und dem Heidentum vollständig verpflichtet fühlte. Aus dem konstantinischen Kaiserhaus stammend, wich er vom Weg seines berühmten Onkels Konstantin, genannt „der Große“, ab, der das Christentum zur Staatsreligion des römischen Reiches erhoben hatte. Für die zwei Jahre der Regierung Julians aber bestimmten ein letztes Mal die heidnischen, altrömischen, neuplatonischen und den Mysterienkulten eigenen Lehren das religiöse und politische Leben des Imperiums. Frau Giebel spricht im Untertitel ihres Buches von der „Wiederkehr der alten Götter“.

Marion Giebel ist vor allem mit ihrer Einführung in die spätantiken Mysterienkulte in Griechenland, Rom und Ägypten („Das Geheimnis der Mysterien“) bekannt geworden. Auch in der |rororo|-Monographien-Reihe sind einige Bände von ihr zu Personen der Antike wie Augustus oder Sappho erschienen. Bei |Patmos/Artemis & Winkler| liegen neben der erwähnten Einführung ihre Studien über „Reisen in der Antike“ und „Tiere in der Antike“ vor. Zudem hat sie viele antike Texte mit Kommentar herausgegeben, z. B. zum Orakel von Delphi und eben auch Julians Selbstpersiflage „Der Barthasser“.

Sie ist zweifellos eine spannende Erzählerin, die sich sehr um Plastizität und einen geradezu minutiösen Verlauf ihrer Abhandlungen bemüht. Kaiser Julian wird in ihrem Buch von den verschiedensten Blickwinkeln aus betrachtet: Sie untersucht genauso die Wurzeln seines Verhaltens in seinen Kindheitserlebnissen wie seine Begegnungen mit der griechischen Tradition und den Weisheitslehrern, analysiert seine Leistungen als Feldherr und Religionserneuerer, schildert seine Bemühungen um die Philantrophie, d. h. Menschenliebe, und stellt die Frage nach den Umständen seines Todes. Um dieses umfassende Bild legt sich als schmückender Rahmen eine tiefe Sympathie für die Gestalt Julians, die in dieser Form einmalig in der modernen Forschungsliteratur dasteht. Erfreulicherweise werden dann auch einige der erfundenen christlichen Horrorgeschichten über Julian einem kritischen Blick unterworfen, die oftmals in der Geschichtsschreibung noch unbesehen übernommen wurden.

Schauplatz des Buches ist das 4. Jahrhundert n. Chr. Gleich zu Beginn wird die zentrale Fragestellung des Buches ins Blickfeld gerückt: |“Ist der Übergang vom heidnischen zum christlichen Rom zwangsläufig und mehr oder weniger reibungslos abgelaufen? (…) Julian Apostata ist der Repräsentant des spätantiken Heidentums; er machte sich zum Anwalt der vielen, die an ihrem althergebrachten, für sie durchaus noch lebendigen Götterglauben festhalten wollten. Er nannte die religiöse Tradition ‚Hellenismus‘, weil sie nicht aufs Theologische beschränkt war. Sie umfasste vielmehr die gesamte vom Griechentum geprägte Bildung und Kultur, auch die ethischen und staatspolitischen Vorstellungen, die sein Herrscherbild bestimmten.“| (S. 8) Gerade von Julian aber besitzen wir erstaunlich viele Selbstzeugnisse, die es uns möglich machen, die Gedanken des Kaisers ganz direkt kennen zu lernen. Fest steht, dass sich Julian in der Tradition der griechischen Padeia, also der tugendhaften Lebensführung und Erziehung, sah und sich – insbesondere auf seinem Feldzug in Gallien – den Philosophenkaiser Marc Aurel zum Vorbild nahm.

Das asketische Bild vermittelte der Kaiser auch ganz äußerlich durch das für einen römischen Herrscher befremdliche Auftreten mit struppigem Philosophenbart und dem öffentlich zur Schau gestellten vertraulichen Umgang mit seinen Weisheitslehrern. Während er im Feldlager weilte, schlief er nur wenig, las bzw. schrieb dagegen sehr viel und verzichtete auf dem Kaiser zustehende Bequemlichkeiten. So teilte er beispielsweise die karge Kost seiner Soldaten. Obwohl er nach außen hin noch als Christ auftrat, betete er nach dem Zeugnis des Geschichtsschreibers und Soldaten Ammian jede Nacht zu Merkur, da dieser die schnellen Bewegungen des Geistes hervorruft. In Julians Briefen erwähnte der Kaiser seine besondere Dankbarkeit für den alles überschauenden Sonnengott Helios, der ihn vor einer Krankheit errettete. Gerade dem Sonnengott fühlte sich Julian besonders verpflichtet. In dem stark auf Treue und Loyalität eingeschworenen Mysterienkult des Mithras, der als |sol invictus|, „Unbesiegte Sonne“, verehrt wurde, ließ er sich schon in seiner Jugend einweihen. Immer ging es Julian um eine direkte Erfahrung der Götter und höherer Wirklichkeiten, der er mit seiner auf das Innere konzentrierten Lebensführung entsprechen wollte. Mithras ist auch Mittler und Helfer der Seele nach dem Tode, die er zu den Sternen hinaufführt, und damit ein Garant für Unsterblichkeit. Auf einem Elfenbeintäfelchen existiert die Darstellung einer solchen Entrückung des Kaisers.

Das Buch ist hervorragend komponiert, so dass der historische Stoff in eine plausible transparente Form gegossen wird. Die Autorin schildert anfangs die von Verwandtenmord und Misstrauen geprägte Atmosphäre des konstantinischen Hauses. Auch Julians Vater wurde mit vermutlich ausdrücklicher Billigung von Julians Vetter Constantius umgebracht. Zusammen mit seinem Bruder brachte man ihn nach Nikomedien in die Isolation. Die dortige Einsamkeit begünstigte seine Vorliebe für Bücher und seine spätere Trennung vom Christentum. Dabei spielte natürlich auch die Erfahrung mit den von Blut triefenden Händen gerade der christlichen Herrscher wie Constantius eine große Rolle, zu denen Julian im gewalttätigen Gott des Alten Testaments eine frappante Parallele fand. Im Weiteren werden Julians Begegnung mit den Werken Homers und der Welt der neuplatonischen Philosophie geschildert. Nachdem er Nikomedien verlassen durfte, reiste er nach Griechenland, um die Rhetorenschulen zu besuchen, sich der philosophischen Lebensführung zu widmen und über den Magier bzw. Theurgen Maximus seine ersten Initiationserfahrungen zu machen.

Schließlich berief ihn sein Vetter als mitregierenden, aber ihm unterstellten Caesar nach Gallien, um diese Provinz vor den Einfällen der Germanen zu schützen. Aufgrund der zwiespältigen Haltung Constantius‘ und der hohen Achtung, derer er sich bald im Heer erfreute, hoben ihn seine Soldaten schließlich nach alten Brauch auf den Schild und erklärten ihn zum Augustus, was eine Gleichstellung mit Constantius bedeutete. Da die Bemühungen Julians um einen Kompromiss scheiterten, musste er ungewollt gegen den bisherigen Imperator in den Krieg ziehen. Julian siegte und beherrschte von 361 – 363 n. Chr. das römische Reich. Der Sieg bestärkte sein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein. Die Götter hatten ihn also erwählt, um die unterdrückte heidnische Religion in neuem Glanze erstehen zu lassen.

Marion Giebel zeigt, wie er sich auf dem Thron bewährte. Der Einfluss seines standfesten und idealistischen Charakters, der wirklich um die Wohlfahrt des Reiches bemüht war, überwiegt die natürlich genauso vorhandenen Schwächen und Fehler des Kaisers. Religionspolitik und die Bekämpfung der Korruption gehörten zu den wichtigsten Programmpunkten Julians. Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen reagierten in sehr unterschiedlicher Weise auf seine Maßnahmen, wobei der Kaiser bemüht war, sie alle friedlich zu integrieren – auch die Christen. Hier überschritt er, wie im so genannten Schuledikt, manchmal schon die Grenze zur Intoleranz – angestachelt allerdings durch die Zerstörung heidnischer Heiligtümer, für die christliche Fanatiker verantwortlich zeichneten. Die Autorin stellt am Schluss die Frage, wie wohl die abendländische Geschichte verlaufen wäre, wenn Julian nicht auf dem Perserfeldzug durch die Spitze einer Reiterlanze aus unbekannter Hand getötet worden wäre.

Was haben Julian und seine Zeit uns heute noch zu sagen? Einmal zeigt sein Leben, dass das in vielen Köpfen immer noch verankerte einseitige Geschichtsbild von den repressiven Herrschern und den widerständigen, moralisch im Recht stehenden Unterdrückten schlichter Unsinn ist. Bei Julian stellt sich die Situation geradezu umgekehrt dar. Auf der einen Seite steht der Kaiser, der seine philosophischen Ideale leben will und sich um die Festigung und Verbesserung der politischen Zustände unter möglicher Berücksichtigung aller Interessen bemüht und auf der anderen Seite christliche Fanatiker mit ihrer Hetze und verwöhnte Bürger (wie die von Antiochia), die an ihren ungerechten Privilegien und Praktiken um jeden Preis festhalten wollen. Julians Staatsbild, seine „Utopie“, basierte nicht auf privaten Hirngespinsten oder Vorlieben, sondern konnte sich auf die lange römische Tradition berufen, die von vielen Menschen seiner Zeit noch mitgetragen wurde. Marion Giebel meint, dass selbst, wenn solche Menschen scheitern, die Weltgeschichte ohne die von ihnen ausgehenden Impulse um einiges ärmer wäre.

Die römische Geschichte bleibt im Übrigen auf jeden Fall immer interessant für uns, weil die hier stattfindende Uminterpretation griechischer Begriffe und Denkformen das abendländische Denken bis zum heutigen Tage geprägt hat. Julian bezog sich ja auf den Hellenismus. Im vorliegenden Buch fällt beispielsweise auf, dass der überwiegende Teil der Modelle in der modernen Esoterikszene vollständig dem Neuplatonismus verpflichtet ist.

Zum Schluss will ich noch die schöne Gestaltung des Buches erwähnen. Im Text selbst bleibt es zwar bei Schwarz-Weiß-Fotos, aber der Schutzumschlag ist sehr ansprechend strukturiert und mit dem farbigen Ausschnitt eines Gemäldes aus dem 19. Jahrhundert versehen, das Julian an einem Tisch sitzend mit Sphinx darstellt. Die geschichtliche „Sphinx“ Julian aber wird für den Leser dieses Buches einiges mehr an Umriss und Bedeutung gewonnen haben.

http://www.patmos.de
[Wikipedia]http://de.wikipedia.org/wiki/Julian__Apostata

Stephen King – Der Sturm des Jahrhunderts

Das geschieht:

Das Leben ist entbehrungsreich und hart auf der kleinen Insel Little Tall Island, gelegen vor der Küste des US-Staates Maine. Seit jeher bildet der Fischfang die Lebensader der 200-Seelen-Gemeinde, doch reich ist niemand dadurch geworden. Man kennt seine Nachbarn und kommt miteinander aus, und es gibt wenige Geheimnisse, die tatsächlich geheim bleiben könnten.

Ausgerechnet dieses kleine Dorf am Ende der Welt wird vom Teufel heimgesucht; vielleicht nicht vom Gottseibeiuns persönlich, aber von einem seiner Dämonen. Wie man es aus diversen Märchen kennt, ist dieser Dämon – er trägt hier den Namen Andre Linoge und tritt nicht unerwartet in der Gestalt eines Fischers auf – darauf aus, Unheil und Unfrieden unter den Menschen zu säen, sie ins Verderben zu locken und sich ihrer Seelen zu bemächtigen.

Der Blick auf seinen Stock mit dem Wolfskopf-Knauf weckt das Böse in seinen Opfern. Dann genügt eine sachte Anregung Linoges – der außerdem Gedanken lesen kann -, und schon fallen die verblendeten, aufgehetzten Einwohner von Little Tall Island übereinander her. Sollten Linoges Anregungen einmal nicht auf fruchtbaren Boden fallen, scheut er nicht davor zurück, seinem Gegenüber mit dem Stock den Schädel zu spalten.

Böse Geister treten häufig unter Blitz und Donner auf. Linoge bedient sich wenig einfallsreich aber effektvoll der typischen Winterwitterung dieser Küstenregion: Während er sein tödliches Netz um Little Tall Island spinnt, braut sich der heftigste Schneesturm des Jahrhunderts zusammen. Er wird die Insel auf Wochen von ihrer Umwelt abschneiden – Zeit genug für Linoge, die kleine Gemeinde buchstäblich in die Hölle auf Erden zu verwandeln. Systematisch treibt er die Menschen ihrem Untergang entgegen. Schließlich lässt der Dämon die Maske fallen und stellt den Menschen von Little Tall Island ein Ultimatum: Er fordert ein Opfer, damit er die Stadt verlässt, ohne sie endgültig zu zerstören – und es muss ein Kind sein, das mit ihm geht …

Resteverwertung fürs Fernsehen

Böser Dämon sucht idyllische Kleinstadt heim, bringt die heile Welt zum Einsturz und mästet sich an dem Unheil, das er über die Menschen bringt: Kommt einem diese Geschichte nicht bekannt vor? Kein Wunder, denn schließlich hat Stephen King sie schon einmal (1991) erzählt: „Needful Thing“ (dt. „In einer kleinen Stadt“) hieß sie damals. Die Parallelen sind mehr als auffällig. Man könnte meinen, jener Teufel in Menschengestalt, der 1989 Little Tall Island unter dem Namen Andre Linoge terrorisierte, ist zwei Jahre später auf die Erde zurückgekehrt, um Kings literarische Lieblingsstadt Castle Rock als Leland Gaunt heimzusuchen.

Zwar bedient sich King gern bei eigenen, früheren (und besseren) Werken, aber dies ist dennoch ein starkes Stück. Ist ihm dies selbst aufgefallen, und wählte er deshalb den Weg, den „Sturm des Jahrhunderts“ nicht als ‚richtigen‘ Roman, sondern als Drehbuch niederzuschreiben? Wortgewaltig beschwört der gewandte Autor in seinem Vorwort zum vorliegenden Buch den Moment herauf, als ihn der Blitz der Erkenntnis durchzuckte: Der „Sturm“ ist eine Geschichte, die nur auf dem Bildschirm erzählt werden kann! Das musman ihm glauben – oder lässt es bleiben. Unter dem Strich überwiegen wohl die Argumente für die zweite Entscheidung.

Der „Sturm“ beruht also auf einer bereits bekannten und durchgespielten Idee. Auch die Tarnung als Drehbuch kann die Ähnlichkeiten nicht verschleiern. Wohlweislich hat King es vermieden, seine Geschichte in Romanform zu gießen. Man kann ihn durchaus bewundern für seinen Einfallsreichtum, mit dem er sich unermüdlich bemüht, neue Wege zur Vermarktung seiner Werke zu finden. Man kann ihn aber mit einfach dreist nennen und ihm unterstellen, einen alten Hut zu recyceln.

Unterhaltung als Routine-Job

Um es anders auszudrücken: King hat einen Idee für einen (Fernseh-) Film gehabt, ein Original-Drehbuch dafür geschrieben und dieses anschließend ohne zusätzliche Arbeit als Buch in den Handel gebracht. Er kommt damit durch, denn er ist Stephen King, der sich einmal selbst rühmte, auch eine Liste von Telefonnummern in einen Bestseller verwandeln zu können. Erfolg korrumpiert also wirklich, denn eine dürftige Ansammlung von Regieanweisungen und Dialogen ist definitiv kein Werk, das eine Veröffentlichung verdient hätte!

Werfen wir einen Blick auf die Geschichte. Das ist im Wortsinn möglich, denn der Film bzw. die TV-Mini-Serie zum Drehbuch existiert ja seit 1999: „Stephen King‘s Storm of the Century“. Ignorieren wir zunächst, dass ihn ein konturloser Regie-Routinier (Craig R. Baxley) mit ebensolchen Darstellern (Timothy Daly, Deborah Farentino, Colm Feore u. a. – US-amerikanische TV-Gesichter, die man vergessen hat, sobald sie vom Bildschirm verschwunden sind) in Szene gesetzt hat. Autor King war im Einklang mit dem ausstrahlenden Sender zufrieden mit dem Ergebnis. Ausdrücklich bescheinigte er dem Regisseur, seine Vorlage originalgetreu umgesetzt zu haben. Eine doppeldeutige Äußerung, die den scharfen Blick auf „Storm of the Century“, den TV-Film, geradezu herausfordert.

Dieses Urteil fällt doppelt hart aus: „Der Sturm“ als TV-Movie ist eine vierstündige, lähmend langweilige Angelegenheit, dessen sorgfältige aber einfallslose Inszenierung und einige gute Tricks nicht für die gewaltigen Längen und Löcher entschädigt, die diese Geschichte aufweist und die nun erbarmungslos offengelegt werden. Verantwortlich ist dafür in erster Linie Autor Stephen King, denn er hatte, wie er im bereits erwähnten Vorwort stolz erklärt, weitgehend die Kontrolle über die Verfilmung.

Kein Akt gelungener Selbsteinschätzung

So herausragend er als Schriftsteller in der Regel ist: Der Drehbuchautor Stephen King kann mit dem Romancier nicht mithalten. Das machte er vor dem „Sturm“ bereits mit der TV-Neuverfilmung von „The Shining“ deutlich. King hatte es missfallen, wie Stanley Kubrick 1980 mit der Vorlage umgesprungen war. Die Mini-Serie „The Shining“, bei der endlich er das Sagen hatte, legte 1997 allerdings auf peinliche Weise offen, wie genial Kubrick wirklich war. Sein „Shining“ wird ein Klassiker des (phantastischen) Films bleiben, wenn Kings ehrgeiziges Opus längst zu einer Fußnote geworden ist.

King wäre besser beraten gewesen, eine ganz andere Geschichte verfilmen zu lassen. Er hatte schon einmal das Böse über eine Insel vor der Küste von Maine hereinbrechen lassen: „Home Delivery“ (1989, dt. „Hausentbindung“), erschien u. a. 1993 in der King-Kollektion „Nightmare & Dreamscapes“ (dt. „Albträume“). Sie blieb weitgehend unbekannt; King selbst betrachtete sie als Auftragsarbeit, mit der er dem von ihm verehrten Regisseur George A. Romero seine Reverenz erweisen wollte.

„Hausentbindung“ beschreibt die furchterregende Geschichte einer kleinen Insel („Deer Isle“ geheißen), die von mordlüsternen Zombies belagert wird – eine düstere, mit groben Effekten nicht sparende aber höllisch spannende und mit den typischen King-Momenten überzeugender Menschlichkeit in Zeiten höchster Not veredelte Schauermär.

Das Medium als Hindernis

Für das Fernsehen wäre „Hausgeburt“ freilich kaum zu verwirklichen gewesen. Die vergnüglichsten Momente hat „Der Sturm des Jahrhunderts“, wenn King im Vorwort seine Erfahrungen mit den gestrengen hauseigenen Zensoren des TV-Networks ABC schildert. Die beschämend bigott-prüde Geisteshaltung, welche die nur scheinbar so weltoffenen US-Amerikaner an den Tag legen, wird selten so deutlich offenbart wie durch diese Institution, die ihre oft (und zu Recht) verfluchte deutsche ‚Schwestern‘, die „Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“ (FSK) und ihre Ableger, wie Speerspitzen der sozialen Avantgarde aussehen lassen.

Es bleibt das eindeutige Fazit: „Der Sturm des Jahrhunderts“ ist ein überflüssiges Buch, wenn man es denn als solches überhaupt bezeichnen möchte. Von Interesse ist es höchstens für einige Film-Historiker, die sich indes darüber beklagen dürften, dass es weitaus wichtigere Werke gibt, die auf diese Weise gewürdigt werden sollten.

Andererseits tauchte der „Sturm“ sogar in den deutschen Bestseller-Listen auf und hielt sich dort einige Zeit. Ein Mirakel, oder verkauft sich tatsächlich alles wie Schnittbrot, wenn nur der Name King darauf steht? Oder ist eine Lesergeneration herangewachsen, welche – ‚geschult‘ – durch ständige Werbepausen im TV, das Videoclip-Gewitter der Musiksender oder das Internet – die Widernatürlichkeit eines ‚Drehbuch-Romans‘ längst nicht mehr stört?

Autor

Normalerweise lasse ich an dieser Stelle ein Autorenporträt folgen. Wenn ich ein Werk von Stephen King vorstelle, pflege ich dies zu unterlassen, wie man auch keine Eulen nach Athen trägt. Der überaus beliebte Schriftsteller ist im Internet umfassend vertreten. Nur zwei Websites – die eine aus den USA, die andere aus Deutschland – seien stellvertretend genannt: www.stephenking.com und www.stephen-king.de bieten aktuelle Informationen, viel Background und zahlreiche Links.

Taschenbuch: 506 Seiten
Originaltitel: The Storm of the Century (New York : Pocket Books 1999)
Übersetzung: Peter Robert
http://www.randomhouse.de/heyne

Der Autor vergibt: (1.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (8 Stimmen, Durchschnitt: 1,38 von 5)

Tad Williams – Der Blumenkrieg

Theo ist dreißig Jahre alt, zieht aber immer noch mit seiner Band und deren – noch fast jugendlichen – Mitgliedern durch die Gegend. Seine Freundin Cat erleidet eines Nachts – während Theo auf einer seiner berühmten Proben ist – eine Fehlgeburt und beschließt nach dem Verlust ihres gemeinsamen Kindes, sich von Theo zu trennen. Dieser zieht schweren Herzens zu seiner Mutter – doch er weiß nicht, dass diese an Krebs leidet. Etwa sechs Monate später stirbt sie. Theos Leben befindet sich nun endgültig am Tiefpunkt. Er zieht sich in die Berge zurück und beginnt damit, ein einsames, doch friedliches Leben zu führen. Im Nachlass seines Großonkels Eamonn Dowd findet er eine Art Tagebüchlein. Interessiert beginnt er zu lesen – und was er da liest, wird mehr und mehr zur Beschreibung einer fantastischen Welt. Dennoch behauptet Eamonn Dowd in einem Brief, den er einst an Theos Mutter schickte, alles in dem Buch Beschriebene sei wahr.

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Peter Lerangis – Sleepy Hollow

Ein Polizeiermittler wird 1799 in die US-Provinz geschickt, weil dort angeblich ein Gespenst angesehene Bürger köpft. Vor Ort stellt der junge Mann fest, dass es tatsächlich tödlich umgeht. Er deckt eine alte Verschwörung auf, verliebt sich und stellt sich dem Spuk … – Die klassische Novelle aus dem frühen 19. Jh. – enthalten in diesem Band – wird anlässlich der Verfilmung von 1999 neu erzählt und um neue Handlungselemente ergänzt. Während der Film gekonnt ironisch Aberglaube und Aufklärung miteinander ringen lässt, fasst die Romanfassung solide, aber uninspiriert in Worte, was auf Leinwand oder Bildschirm mehr Vergnügen bereitet. Peter Lerangis – Sleepy Hollow weiterlesen