Grin, Alexander / Gilbert, Stephen / Howart, Harald / Alpers, Hans Joachim – Tod durch Ratten

Ratten haben ein schlechtes Image. Sie sind weder possierlich noch niedlich, sondern gelten als gerissen und hinterhältig. Sie leben zu Tausenden in den Großstädten und führen dennoch ein schattenhaftes Dasein. Ihr Äußeres wirkt abstoßend, und gerade ihr langer, nackter Schwanz sorgt beim menschlichen Betrachter für Ekelgefühl. Ihre Existenz, ihre schiere Zahl sorgt beim Menschen für instinktive Angst, nicht zuletzt, weil Ratten als Krankheitsüberträger gelten und im Mittelalter die Pest verbreiteten. Als kuscheliges Haustier ist die gemeine Ratte also kaum geeignet, doch als Protagonist in einem Horrorroman macht sie sich ausgesprochen gut. Gilt die Ratte doch als überaus intelligent – vielleicht intelligent genug, um es mit dem Menschen aufzunehmen?

Vier Romane hat der |area|-Verlag in „Tod durch Ratten“ vereint (wobei es sich nur bei zwei Texten tatsächlich um Romane handelt), um auf nicht weniger als 800 Seiten beim Leser unbehaglichen Grusel vor dem Nager auszulösen. Dabei können nicht alle Geschichten vollkommen überzeugen, auch wenn die Anthologie mit einem echten Knaller beginnt. Alexander Grins atmosphärische Novelle „Der Rattenfänger“ kommt zunächst einmal ganz ohne das unleidliche Getier aus. Ein verarmter Russe kommt, nachdem er seine Wohnung verloren hat, für kurze Zeit im verlassenen Gebäude der Zentralbank unter. Vollkommen allein in dem einsamen, labyrinthischen Geflecht von Räumen, bleiben die ersten Gruselschauer beim Protagonisten nicht lange aus. Zwar findet er durch Zufall einen Schrank, der prall gefüllt ist mit köstlichsten Lebensmitteln, doch aus ihm springt eine ganze Anzahl (naturgemäß gut genährter) Ratten. Bald vernimmt er Geräusche und undeutliches Gemurmel, wird von einer körperlosen Stimme durch die Räume gelockt und wirft schlussendlich einen Blick auf ein unheiliges Fest im Saal des Gebäudes. Grins Novelle ist der Höhepunkt von „Tod durch Ratten“. Sie gleich an den Anfang zu setzen, muss zwangsläufig dazu führen, dass die restlichen Geschichten abfallen und weit hinter der Meisterschaft des Russen zurückbleiben. Grins Darstellung der Zentralbank mit ihren endlosen Korridoren und Zimmern etabliert beim Leser einen subtilen Schauer und lässt ihn bar jeden sicheren Wissens nach der Lektüre zurück.

Weiter geht es mit Stephen Gilberts Roman „Aufstand der Ratten“, einer etwas behäbigen Geschichte über den Rachefeldzug (oder auch „Rattenfeldzug“) eines Verlierertypen, die auch unter dem Titel „Willard“ (USA, 1971 und Neuverfilmung des Stoffes 2003) verfilmt worden ist. Der Ich-Erzähler beginnt, Ratten zu zähmen und zu dressieren, natürlich, ohne jemandem davon zu erzählen, da er die Ratten ursprünglich als Ungeziefer vernichten sollte. Da ihm jegliches soziales Leben fehlt, werden die Ratten bald zu seinen einzigen Bezugspunkten. Er setzt seine Rattenarmee zunächst für einige Überfälle ein, um an Geld zu kommen. Doch dann werden seine Angriffe zunehmend persönlicher und er beginnt, die Ratten einzusetzen, um für ihm widerfahrene Ungerechtigkeiten tödliche Rache zu üben. Gilberts Ich-Erzähler ist naturgemäß kein sympathischer Typ. Eigenbrötlerisch, geheimniskrämerisch und hinterhältig, vergräbt er sich in seinem verunkrauteten Garten und plant seine Rache an der Gesellschaft. Zwar gelingt es Gilbert, die Ratte Ben als wirklich teuflisches und vernunftbegabtes Tier darzustellen, das im Geheimen seinen Ausbruch aus menschlicher Führerschaft plant, doch über weite Strecken tritt die Geschichte auf der Stelle und kann erst zum Ende hin etwas an Fahrt gewinnen. Auf jeden Fall bleibt „Aufstand der Ratten“ nach der Lektüre von Grins „Rattenfänger“ seltsam eindimensional.

Die dritte Geschichte, Harald Howarts „Tod durch Ratten“, variiert Gilberts Thema vom Menschen, der sich der intelligenten Ratte für die persönliche Rache bedient. Sein Protagonist Kreutzkamm ist ein kleines Licht an der Universität. Seit Jahren wird ihm (unberechtigerweise, wie er findet) der Professorentitel versagt. Doch nun ist ihm der Durchbruch gelungen, denn er kann mittels eines Apparates die Gehirnsströme von Ratten beeinflussen und sie so „fremdsteuern“. Sein Chef hält die Vorführung des Vorgangs für eine ausgefeilte Dressur und feuert Kreutzkamm kurzerhand, nachdem dessen cholerisches Temperament hervorgebrochen ist. Mit seinen Laborratten in der eigenen Wohnung festsitzend, plant dieser nun seine Rache an den Köpfen der Universität. Howarts Kreutzkamm ist fast schon zu böse, um noch glaubwürdig zu sein. Sein Charakter ist so auf Größenwahn und Egozentrismus ausgerichtet, dass für andere Eigenschaften kein Platz mehr bleibt. So bleibt der Autor auch Überraschungen in der Storyline schuldig. Kreutzkamms Rachefeldzug geht seinen geplanten Gang, bis der moralische Zeigefinger Howarts einschreitet, der den Schluss des Romans eher lustlos und überhastet zu Papier bringt. „Tod durch Ratten“ ist dynamischer als der Vorgänger „Aufstand der Ratten“, doch auch Howarts Roman kann nicht auf ganzem Wege überzeugen.

Die letzte Erzählung, Hans Joachim Alpers’ „Zwei schwarze Männer graben ein Haus für dich“, schreitet flotter voran. Der nach mysteriöser Krankheit im Rollstuhl sitzende Christoph lebt mit seiner Freundin Miriam zurückgezogen in einem kleinen Dorf. Eines Tages erhält er die Nachricht vom Tod seines alten Freundes Patrick, zusammen mit einem Packen Briefe, die ihm dieser kurz vor seinem Tod geschrieben, jedoch nie abgesendet hat. Die Staatsanwaltschaft vermutet, Patrick habe den Verstand verloren und so sein Ende herbeigeführt, denn in den Briefen wird Unglaubliches berichtet. Ratten seien auf einmal in seinem Haus gewesen, die nur er sehen konnte. Seine Freundin habe Ungeziefer in sein Essen gemischt und schließlich seinen Mord geplant. Christoph ist bei der Lektüre der Briefe hin- und hergerissen. Ebenso wie der Leser mag er mal an Wahnsinn, mal an eine übernatürliche Erklärung glauben. Alpers arbeitet sein Sujet überzeugend aus, lässt einige Informationen fallen und versucht den Leser auf falsche Fährten zu führen. Die Auflösung rundet die straff durcherzählte Handlung konsequent ab und weist Alpers als routinierten Erzähler aus.

Ein ganzes Buch nur mit dem Thema Ratten zu füllen, ist eine originelle Idee, doch schwankt die Qualität der Geschichten zu stark, um an dem Buch durchweg Spaß zu haben. Alexander Grins Novelle „Der Rattenfänger“ ist ohne Frage die beste Geschichte in der Sammlung und lohnt die Lektüre in jedem Fall. Stephen Gilberts „Aufstand der Ratten“ dagegen bildet qualitativ das Schlusslicht und erscheint zu bieder, um durchgehend unterhalten zu können.

Reginald Hill – Das Haus an der Klippe

Hill Hause Cover TB kleinDas geschieht:

Chief Inspector Peter Pascoe von der Kriminalpolizei der Stadt Mid-Yorkshire in der gleichnamigen englischen Grafschaft geht in Gedanken die Liste möglicher Feinde durch, als Ellie, seine Gattin, von einem zwielichtigen Pärchen beinahe entführt wird. Kurz darauf folgt eine zweite Attacke. Gemeinsam mit Pascoe ermitteln der exzentrische Detective Superintendent Andrew Dalziel, Detective Sergeant Edgar Wield und Constable Shirley Novello.

Die Spur führt zu Patrick „Popeye“ Ducannon, einen ehemaligen IRA-Terroristen, der ins Waffengeschäft eingestiegen ist. Er handelt mit einer kleinen aber radikalen Guerillera-Gruppe aus Kolumbien. Anführer Chiquillo reist persönlich nach Europa, doch die Übergabe endet in einem Fiasko: Chiquillo wurde ein kolumbianisches Killer-Kommando hinterhergeschickt. Während der Ducannon verletzt zurückbleibt, macht sich Chiquillo mit den Waffen und einer großen Menge Kokain, das der Bezahlung dienen sollte, aus dem Staub. Ducannon denkt nicht daran, sich betrügen zu lassen. Chiquillos Rebellen-Kollegen wollen ihren Konkurrenten ausschalten, bevor er mit den Waffen nach Kolumbien zurückkehrt. Reginald Hill – Das Haus an der Klippe weiterlesen

Niklas Luhmann – Einführung in die Systemtheorie

Niklas Luhmann (* 8. Dezember 1927 in Lüneburg; † 6. November 1998 in Oerlinghausen bei Bielefeld) war Soziologe. Als Begründer der soziologischen Systemtheorie machte er sich auch in der Philosophie einen Namen.
Er studierte von 1946 bis 1949 Rechtswissenschaft. 1952 und 53 begann er mit dem Aufbau seiner „Zettelkästen“ und war als Verwaltungsfachmann tätig. 1960 heiratete er Ursula von Walter. 1960/61 ließ er sich zum Studium an der Harvard-Universität beurlauben. Nach Forschungstätigkeit zu Beginn der 1960er Jahre an der „Sozialforschungsstelle der Universität Münster“ in Dortmund promovierte und habilitierte er innerhalb |eines| Jahres 1966 im Fach Soziologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seit 1968 lehrte er an der Universität Bielefeld Soziologie. Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Niklas__Luhmann

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Felten, Monika – Nebelsängerin, Die (Das Erbe der Runen 1)

Einst lebten die Stämme der Menschen mit den Ureinwohnern, den Uzoma, in Frieden und Eintracht. Doch dies ist lange her, denn ein finsterer Gott verlangt die Auslöschung derjenigen, die ihm nicht den hinreichenden Respekt und die entsprechenden Opfer bringen. Durch Intrige und religiösen Fanatismus erlangte seine Hohepriesterin Macht über die Uzoma und ihr Hass übertrug sich auf die Seelen der Ureinwohner. Nun streben sie danach, die Menschen von ihrem Land zu tilgen. Doch die Menschen schlossen sich trotz unterschiedlicher Herkunft zusammen zu einem Bund der Stämme und zogen sich auf ein gut zu verteidigendes Terrain zurück. Aber die militärische Macht der Uzoma war zu groß. Nur ein Wunder konnte die Menschen retten.
Und so geschah es, dass ein Schiff der Elfen an der Küste der Menschen strandete. Die Neuankömmlinge erkannten schnell, dass sie in derselben Gefahr schwebten wie die Menschen. Ihre größte Zauberin beschloss, einen unglaublichen Zauber zu wagen. Verbunden mit einer List sperrte sie die Uzoma in einen Nebel ein, den kein Wesen lebend durchqueren konnte. Doch sie selbst blieb in höchster Gefahr und ihr Leben konnte sie selbst dadurch nicht retten, dass sie die Grenzen der Welten überschritt. So verfügte sie in einem letzten Zauber, dass die Frauen ihrer Blutlinie die Kraft erben sollten, den Zauber des tödlichen Nebels zu erneuern. So sollte es auch jahrhundertelang sein. Immer wieder fand die neue Nebelsängerin ihren Weg und wurde von ihrer Mutter angeleitet. Doch die Kräfte der Hohepriesterin des finsteren Gottes werden immer stärker. Durch Zeit und Raum kämpft sie gegen das Gefängnis aus Nebelschleiern. Und schließlich gelingt es ihr, dass das Wissen über den Nebelzauber verloren scheint. Auch ist die Blutlinie so schwach, dass die Erbin des Zaubers nichts von ihrer Bestimmung weiß. Und dann weichen die Nebel zurück und das mächtige Heer der Uzoma marschiert auf, die Menschen zu vernichten.

Schon der nach sorgfältig aufgebauter Legende schmeckende Hintergrund des Romans lässt erahnen, dass Monika Felten hier weitaus mehr Arbeit hineingesteckt hat als in ihre Geschichten um den Thale-Hintergrund. Vom „Elfenfeuer“ zur „Nebelsängerin“ war es ein großer Schritt, auch wenn unweigerlich Parallelen auftauchen. So wird auch in diesem Roman die Protagonistin zwischen vorherbestimmtem Schicksal und eigenen Vorstellungen hin und her geworfen. Doch nun ist der Konflikt schärfer herausgearbeitet. Sie zweifelt an der moralischen Richtigkeit ihrer Aufgabe. Zwar erfüllt sie ihr Schicksal – aber ihre menschliche Seite und ihre christlich-moralische Gesinnung lehren sie, das Leben aller zu achten. Sie ahnt den Preis, den die Uzoma bezahlen müssen und leidet mit dem Volk, an dessen Unglück sie nun eine Schuld trägt.

Dass die Uzoma mehr sind als Tolkiens Orks, wird in verschiedenen Szenen klar. Zwar drängt sich der Vergleich mit Szenen aus Tolkiens Romanen auf, wenn man Uzoma als Orks und die Echsenreiter als Nazgul betrachten will. Doch nachdem sich die Tolkienschen Szenen auf solch cineastische Weise in das Gedächtnis gebrannt haben, wird jede Schlacht mit Helms Klamm und jeder Drachenreiter mit einem Nazgul verglichen werden. Der Verlag tat Recht daran, den schon fertig gedruckten Roman noch eine Weile in der Schublade zu halten.

Monika Felten hat ein sehr klassisches Thema der Fantasy gewählt. Sie beschreitet Pfade, die vor ihr schon von Größen wie Stephen R. Donaldson, David Gemmel, Philip José Farmer und Roger Zelazny beschritten wurden. Hier mit dem Argument der Einfallslosigkeit oder der Abkupferung zu kommen, wäre wohl albern, da dies seit Homer nichts Neues ist. Gerade die Neuinterpretation und das Aufzeigen von Varianten des gleichen heroischen Schemas machen das Buch interessant. Und Monika Felten meistert diese Aufgabe, indem sie dem Zwang des Schicksals den Wunsch nach Eigenbestimmung entgegensetzt. Wie schon Thomas Covenant (in Stephen R. Donaldsons meisterlicher Zyklus) fügt sich ihre Protagonistin nur unwillig in ihr Schicksal. Doch während Thomas Covenant nicht an sich selber glauben kann, zweifelt sie an der moralischen Richtigkeit ihrer Vorherbestimmung. Dies nicht von ungefähr, denn historische Vergleiche mit der Besiedlung Amerikas oder der Kolonialisierung Afrikas drängen sich schnell auf. Auch hier waren aus der Sicht der Weißen die aufständigen andershäutigen Ureinwohner die primitiven Fieslinge. Moralisch befanden sich die Ureinwohner allerdings unzweifelhaft im Recht. Ob es wieder Frieden zwischen den Menschen und den Uzoma geben wird, bleibt zu hoffen und wird in einem eventuell noch folgenden Band geklärt werden.

Neben der zentralen Figur zeichnet Monika Felten noch weitere Charaktere, die ihrem persönlichen Schicksal gegenübergestellt sind. Die Aufgaben sind so unterschiedlich wie die Personen selbst. Und trotz starrer Strukturen im Hintergrund der erfundenen Welt, kämpfen sie alle um ihre individuelle Größe.

Der Roman wird versierten Lesern nicht perfekt erscheinen, denn Monika Felten ist sicherlich keine Expertin für mittelalterliche Belagerungen und Strategien. Doch die Geschichte ist äußerst lesenswert und stellt für Jugendliche und Erwachsene ein sehr empfehlenswertes Buch da. Der flüssige Erzählstil und die spannende Entwicklung fesseln, während gleichzeitig das Bild einer fantastischen Welt vor den Augen entsteht.

Verlagsinformationen:
Monika Felten, geboren 1965, lebt mit ihrer Familie in der Holsteinischen Schweiz, einem Landstrich, wo zwischen Wäldern, Seen und Hünengräbern immer noch Elfen und Feen ihr Wesen zu treiben scheinen. Ihre Romane »Elfenfeuer« und »Die Macht des Elfenfeuers«, für die ihr jeweils der |Deutsche Phantastik-Preis| verliehen wurde, knüpfen an den Mythen und Legenden ihrer Kindheit an und begeisterten auf Anhieb zahlreiche Leser.
Mehr zur Autorin: http://www.monikafelten.de , http://www.daserbederrunen.de und http://projekt.daserbederrunen.de

Nachbemerkung des Editors: Das Buch wird mit einer Musik-CD von Anna Kristina ausgeliefert, die einen Soundtrack zum Buch beisteuert.

Bitte beachtet auch das [Interview]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=32 mit der Autorin anlässlich dieser Buchveröffentlichung.

_Jens Peter Kleinau_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Interview mit Monika Felten

_X-Zine:_
Gratulation zur Fertigstellung deines neuen Romans „[Die Nebelsängerin. 635 Das Erbe der Runen“. Es ist wieder ein recht dickes Buch geworden. Wie lange hast du damit gerungen?

_Monika Felten:_
Gerungen eigentlich gar nicht. Die Geschichte schrieb sich sehr fließend.
Die ersten Ideen und ein Exposé dazu entstanden bereits im Juni 2003. Da schrieb ich noch an „Die Hüterin des Elfenfeuers“, was meine Begeisterung für den neuen Stoff allerdings nicht schmälerte. Wann immer ich Ideen hatte oder Anregungen aus dem DEDR-Team kamen, wurden diese notiert und gesammelt. So entstanden allmählich ein umfangreicher Plot für die Story und jede Menge Informationen über die Protagonisten, die Völker und das Land Nymath selbst, auf die ich später aufbauen konnte.
Ab September 2003 habe ich mich dann für sechs Monate ausschließlich der Nebelsängerin gewidmet.

_X-Zine:_
Mit dem klassischen Prinzip der Weltensprünge hast du dich auf gut befahrenes Terrain begeben. Welche Gründe waren für dich wichtig, dass deine Heldin Ajana einen Fuß in unserer Wirklichkeit hatte?

_Monika Felten:_
Ajana sollte unbedingt eine „Außenstehende“ sein, also jemand, der nicht durch seine Erziehung von den gängigen Wertvorstellungen, die in Nymath herrschen, beeinflusst ist. Nur so ist sie dazu in der Lage, die recht verfahrenen Situation, in die sie hineingerät, wirklich objektiv zu beurteilen und Verständnis für beide Seiten aufzubringen.
Das ist übrigens etwas, das ich auf dem „gut befahrenen Terrain“ der Weltensprüngen als Leser oft vermisst habe. Meist fügen sich die Protagonisten recht schnell und brav in ihr Schicksal und erfüllen ihre Aufgabe, ohne zu fragen oder gar an der Richtigkeit ihres Tuns zu zweifeln.
Ajana soll ihre Erziehung und Vorstellung von Gerechtigkeit mit in die neue Welt tragen und dort auch das Recht, ja sogar die Pflicht haben, den herrschenden Konflikt kritisch zu betrachten. Mit sechzehn ist sie alt genug, um Parallelen zu ähnlichen Situationen in unserer Welt zu schaffen (z. B. Indianer und Weiße, aber auch der Palästinenser-Konflikt in Israel). Das alles wäre kaum möglich, wenn sie in Nymath aufgewachsen wäre.

_X-Zine:_
Ist Fantasy eine Traumwelt, in der wir die Probleme unserer Welt durch Magie und Schwert lösen können?

_Monika Felten:_
Schwert und Magie sind gängige Mittel der Fantasy und für mich persönlich auch ein unverzichtbarer Bestandteil dieses Genres. Zur Problemlösung taugen sie jedoch ebenso wenig wie eine Protonenkanone in einer SF-Story. Allerdings muss man berücksichtigen, dass meine Bücher immer in einer mittelalterlich anmutenden Welt angesiedelt sind. Eine ausgeklügelte Diplomatie ist, mangels Bildung, dort nur begrenzt möglich und so eskalieren Konflikte doch recht schnell.
Nicht selten zeichnet gerade die Fantasy das Bild einer Albtraumwelt, in die sich der Leser gerade deshalb so gern begibt, weil er weiß, dass ihm die geschilderten Szenarien in der Realität kaum begegnen werden.
Wer allerdings glaubt, hieraus etwas für unsere Welt ableiten zu können, hat meiner Ansicht nach das falsche Genre gewählt.

_X-Zine:_
In Fantasy ist fast immer Gewalt enthalten. Auch in deinem Roman sterben etliche Menschen und andere Wesen auf recht brutale Weise. Ist das ein Spiegel unserer Welt?

_Monika Felten:_
In gewisser Weise schon. Ein Blick in die Geschichtsbücher genügt, um Szenarein zu finden, die kein Fantasyautor sich besser hätte ausdenken können. Barbarei und okkulte Grausamkeiten sind genauso vertreten wie Verrat und erotische Ausschweifungen. Aber man braucht gar nicht so tief zu graben. Auch heute werden wir durch die Medien ständig mit Dingen konfrontiert, die an Gewalt und Grausamkeit über unser Vorstellungsvermögen gehen.

_X-Zine:_
In einem früheren [Interview]http://www.x-zine.de/xzine__interviews.id__16.htm mit dem |X-Zine| fragten wir nach dem Konzept von Gut und Böse in der Fantasy. Welche Aussage würdest du nach der Arbeit an der „Nebelsängerin“ dazu treffen?

_Monika Felten:_
Ich halte das Konzept noch immer für ein klassisches Grundelement der Fantasy. Und immer noch erachte ich gerade die Wandlung eines vermeintlich Bösen zum Guten als eine große Herausforderung. Deshalb habe in „Die Nebelsängerin“ bewusst darauf geachtet, das „Böse“, also in diesem Fall die Uzoma, nur aus der Sicht der Vereinigten Stämme darzustellen. Es war mir wichtig, dass die Leser mit den bedrängten Menschen empfinden und deren Ansichten teilen.
Schon im zweiten Band wird sich allerdings herausstellen, dass die vermeintlich Bösen im Grunde auch nur Opfer sind und nicht wirklich Böse. „Gut“ und „Böse“ werden sich dann gegen den wahren Feind verbünden … Aber ich will da nicht zu viel verraten.

_X-Zine:_
Gibt es einen moralischen Anspruch, den Autoren an ihr Werk stellen sollten?

_Monika Felten:_
Ich denke, dass es auch in der Fantasy Tabus gibt, die nicht gebrochen werden dürfen, diese sind jedoch längst nicht so differenziert wie z. B. in den Jugendbüchern, die ich schreibe. Hier versuche ich, den jugendlichen Lesern mithilfe der Texte Werte zu vermitteln, wie z. B. Freundschaft, Hilfsbereitschaft und Mitgefühl, damit sie etwas von dem Text „mitnehmen“ können, wenn sie das Buch zuschlagen.
In den Fantasyromanen für Erwachsene liegen die Schwerpunkte allerdings anders und die Spielräume sind auch viel größer. Die Bücher sollen in erster Linie unterhalten und eine Flucht vom Alltag ermöglichen. Dass es dabei nicht unmoralisch zugeht, versteht sich von selbst, aber wenn man als Autor zu softig schreibt, handelt man sich schnell den Vorwurf „weichgespülter Fantasy“ ein.

_X-Zine:_
Was bedeutet Fantasy nach den unglaublichen Kinoerfolgen von „Harry Potter“ und „Herr der Ringe“?

_Monika Felten:_
Das ist schwer zu sagen. Ganz sicher sind mehr Leser auf das Genre aufmerksam geworden und viele neue Fans hinzugekommen. Mehr begeisterte Leser zu haben, bedeutet aber noch lange nicht, dass sich der Stellenwert innerhalb der Literaturszene geändert hat.
Trotz aller Erfolge hat Fantasy es hierzulande immer noch schwer. Das bekommt man sehr schnell zu spüren, wenn man PR-Arbeit macht. Die großen Kultur-Medien winken meistens ab. Auch Harry Potter und Tolkiens Erfolge konnten leider nicht dazu beitragen, der Fantasyliteratur den Status des „Kulturellen“ zu geben. Viele packen sie immer noch in die gleiche Schublade wie Arzt- oder Liebesromane, die ja auch Millionen Anhänger haben, aber dennoch nicht erwähnenswert sind.

_X-Zine:_
Werden die neu erschienenen Romane an diesen Werken gemessen?

_Monika Felten:_
Ich denke (und hoffe doch) nicht. Sowohl Tolkien als auch. J. K. Rowling haben in der Literatur einen Status erreicht, an den man kaum mehr herankommen kann. Andere Autoren daran zu messen wäre schlichtweg nicht fair. Es gibt viele gute Bücher, die an die Qualität der beiden heranreichen, aber zu so einem gigantischen Erfolg gehört leider noch weit mehr, als nur ein gutes Buch zu schreiben.

_X-Zine:_
Ruft nicht jeder „Plagiat“, wenn ein Autor den Begriff „Elfe“ in seinen Roman erwähnt?

_Monika Felten:_
Das fände ich doch reichlich übertrieben. Immerhin hat Tolkien die Elfen nicht erfunden, sondern sie auch nur aus der keltischen Mythologie entliehen. Elfen gehören ebenso zur Fantasy wie Zwerge, Druiden, Drachen etc. …
Welche Völker und Wesen ein Autor für seine Bücher wählt, bleibt allein ihm überlassen. Das Reich der Mythen und Sagen bietet hier einen unerschöpfliche Quelle.

_X-Zine:_
Die Uzoma sind die dunkelhäutigen Ureinwohner dieser Welt. Sie sind keine Menschen. Auch Tolkiens Werk wird anhand der Orks mit Vorwürfen des Rassismus konfrontiert. Rechnest du mit ähnlichen Vorwürfen?

_Monika Felten:_
Eigentlich nicht. Die Vertreibung eines Volkes durch ein stärkeres, nach Expansion strebendes Volk, findet sich in unserer Weltgeschichte hundertfach wieder. Es liegt scheinbar in der Natur des Menschen, seine Artgenossen beim Kampf um Wasser- und Nahrungsquellen rücksichtslos zu verdrängen.
Wie ich aber oben schon anmerkte, habe ich die Unterdrückung eines Ureinwohnerstammes ganz bewusst als Dreh- und Angelpunkt des ersten Romans gewählt. Und ich freue mich, wenn die Story dazu beiträgt, sich mit dem Schicksal unterdrückter und vertriebener Völker auseinanderzusetzen.

_X-Zine:_
Der Hintergrund, der Titel und der Roman selber versprechen trotz abgerundeter Handlung eine Fortsetzung. Gibt es dazu schon feste Pläne?

_Monika Felten:_
Oh, ja. Fürs Erste sind drei Bände geplant. Mit dem zweiten „Die Feuerpriesterin“ (VÖ Herbst 2005) habe ich gerade begonnnen. Er wird nahtlos an den ersten Teil anknüpfen und nicht nur alle offenen Fragen des ersten Bandes beantworten, sondern auch recht überraschende Wendungen bringen. So wird man z. B. den wahren Feind erkennen und den Kampf gegen ihn aufnehmen.
Der dritte Band schließlich wird den Leser bis nach Andaurien führen, das Land der Ajabani und Djakun. Ajana wird die ganze Zeit über in Nymath bleiben. (Es wird also keine weiteren Weltensprünge geben.) Sie wird, abweichend von dem gut befahrenen Terrain, auch altern und in unserer Welt als vermisst gelten.
Ganz konkret kenne ich schon den Schluss des dritten Bandes (VÖ Herbst 2006), aber bis dahin ist es ja noch eine Weile.

_X-Zine:_
Werden wir bekannten Figuren in einer Fortsetzung begegnen?

_Monika Felten:_
Ganz sicher. Diesmal läuft die Story (anders als bei der „Saga von Thale“) chronologisch weiter. Viele der Protagonisten werden also (soweit sie das Ende des Buches überlebt haben 😉 auch wieder mit dabei sein.

_X-Zine:_
Ajana beweist als junges Mädchen schon eine ziemliche Reife, wie wird sie sich weiterentwickeln?

_Monika Felten:_
Ajana wird ja älter und durch die Erlebnisse in Nymath auch reifer.
Ist sie im ersten Band noch unsicher und auf die Hilfe anderer angewiesen, wird sie die Rolle, die ihr das Schicksal zugedacht hat, in den Folgebänden nicht nur annehmen, sondern auch darüber hinauswachsen und dabei auch eine völlig andere Einstellung zu ihrem elbischen Blut entwickeln. Dadurch erlangt sie die Fähigkeit, mithilfe der Runen weit mehr zu leisten als ihre Vorgängerinnen und wird dies auch zum Wohle Nymaths einsetzen.

_X-Zine:_
Die CD zum Roman ist sehr gut gelungen. Wie kam die Zusammenarbeit mit der Sängerin Anna Kristina zustande?

_Monika Felten:_
Der erste Kontakt kam auf der |Nord Con| 2003 zustande. Eine Hamburger Agentur suchte nach einem Fantasy-Autor, der sich für das Konzept „lesen und hören“ begeistern konnte. Also für ein Buch mit Soundtrack. Da ich meine Lesungen auch schon früher mit Musik unterlegt habe und weiß, wie wunderbar dies die Stimmungen der einzelnen Passagen unterstreicht, war ich von der Idee sofort begeistert.
Ich habe ein Konzept für den möglichen Roman entworfen und ein langes Exposé geschrieben. Die Story kam gut an und nachdem sich auch Piper für das Thema „Soundtrack zum Buch“ begeistern ließ, stand der „Nebelsängerin“ nichts mehr im Wege.
Dass wir die junge und ambitionierte Sängerin Anna Kristina für die Songs gewinnen konnten, freut mich besonders. Ich hatte kurz vor der |Nord Con| einen TV-Beitrag über sie auf Pro 7 gesehen. Ihre Stimme und Persönlichkeit haben mir auf Anhieb gefallen. Allerdings hätte ich damals nicht im Traum daran gedacht, dass ich schon so bald mit ihr zusammenarbeiten werde.

_X-Zine:_
Sind noch weitere „Nebelsängerin“-Produkte in der Mache?

_Monika Felten:_
Angelehnt an die Atmosphäre und landschaftlichen Stimmungen in „Die Nebelsängerin“ hat der Graphik-Designer Torsten Reinecke einen Kalender mit 13 phantastischen Landschaftsmotiven auf der Basis stimmungsvoller Fotos entwickelt, der schon unter dem Titel [„Mystische Welten“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3832709193/powermetalde-21 im Verlag |teNeues| erscheint. Er enthält zudem kurze Textauszüge aus dem Buch, eine kleine Runenkunde und zwölf gezeichnete Charakterstudien zu den Protagonisten und Figuren des Romans.
Ab Februar 2005 startet dann eine Puzzle-Reihe aus dem Hause |Ravensburger| mit drei Motiven zu meiner Roman-Trilogie, ebenfalls mit einer Soundtrack-CD zu jedem Puzzle. Die Motive »Falcon Wild« (500 Teile), »Magic Weaver« (1.000 Teile) und »Legend of Heroes« (1.000 Teile) werden von dem Illustrator und Charakter-Designer Alexander Jung in Abstimmung mit mir geschaffen.
Es gibt bereits auch schon Verhandlungen über ein Hörbuch, aber dazu kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts Konkretes sagen.
Der Roman ist zudem, wie der geneigte Leser sicher erkennen wird, in einer rollenspieltauglichen Welt angesiedelt. Hier gibt es schon erste Gedanken zu einem möglichen Rollenspiel, doch ob und wann dies Gestalt annimmt, wird nicht zuletzt der Leser entscheiden.

_X-Zine:_
Dann wünschen wir viel Erfolg und danken für das Interview.

|Dieses Interview wurde von unserem Partnermagazin [X-Zine]http://www.x-zine.de geführt und mit Zustimmung der Redaktion bei |Buchwurm.info| veröffentlicht.|

Hawkes, Judith – kalte Hauch des Flieders, Der

Für David und Sally Curtiss geht ein Traum in Erfüllung. Die jungen Parapsychologen haben anscheinend ein „richtiges“ Spukhaus gefunden. Ist dies der Durchbruch für die viel belachte und verspottete „Wissenschaft von Dingen, die es nicht geben kann, aber trotzdem gibt“? Im Auftrag eines privaten Forschungsinstituts sollen sie den Gerüchten um Geistererscheinungen im Gilfoy-Haus auf den Grund gehen.

„Ihr“ Haus steht in Skipton, einer kleinen, verträumten Stadt im Westen des neuenglischen US-Staates Massachusetts. Auf den ersten Blick wirkt sein Anblick ernüchternd; es wurde zwar in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erbaut, aber Samuel Collins Gilfoy, der Bauherr, war ein sachlich denkender Mann, der für den überladenen Stil des viktorianischen Zeitalters nichts übrig hatte.

Die Recherchen lassen sich zäh an. Das Gilfoy-Haus stand lange leer, bevor sich David und Sally vor zwei Wochen dort eingemietet hatten. Frühere Bewohner sind verstorben oder unbekannt verzogen oder weigern sich, von ihren Erlebnissen im Haus zu berichten. Die wenigen Zeugen liefern vielversprechende, aber einander widersprechende Aussagen. David und Sally selbst fanden noch kein einziges Anzeichen für übernatürliche Ereignisse, obwohl sie das Haus vom Keller bis zum Dachboden untersucht und überall modernste technische Aufzeichnungsgeräte aufgestellt haben. Sally, die über hellseherische Fähigkeiten verfügt, hat allerdings bereits einige Unstimmigkeiten bemerkt, die sie David indessen verschweigt; mit der Ehe der beiden Wissenschaftler steht es nicht zum Besten, doch sie lassen den Konflikt schwelen, statt sich auszusprechen.

David lädt Rosanna, ein weibliches Medium, ins Gilfoy-Haus ein, und während einer Séance gelingt es endlich, Kontakt zu einem der „Hausgeister“ aufzunehmen. Wer es ist, bleibt aber unklar; die Indizien weisen auf Julian Gilfoy hin, der 1906 in jungen Jahren und unter ungeklärten Umständen im Haus zu Tode kam.

Endlich mehren sich die Zeichen für einen echten Spuk im Gilfoy-Haus. Während David dies mit wachsender Begeisterung registriert, keimt in Sally Besorgnis auf. Der Geist des Hauses scheint langsam Besitz von David zu ergreifen, der dies entschieden abstreitet. Sein Interesse verwandelt sich langsam in eine Obsession. Schließlich verlässt Sally das Gilfoy-Haus, während ihr Ehemann zurückbleibt. Kurze Zeit später ruft er sie an und teilt ihr mit, er habe das Haus ‚gereinigt‘. Sally kehrt zurück, doch als sie das Haus betritt, weiß sie nicht, wer sie dort empfängt – David oder Julian …

Das verwunschene, von Geistern heimgesuchte Haus – eines der ältesten Sujets der fantastischen Literatur und ein Dauerbrenner bis auf den heutigen Tag. Mitten im eigenen Heim, dort, wo man sich sicher glaubt und Zuflucht vor den Beschwernissen des Alltags sucht, wird man von übernatürlichen, unsichtbaren Kräften geplagt – ein Albtraum, der in zahllosen Büchern und Filmen, Comics und Computer-Spielen eifrig heraufbeschworen wird.

Im Subgenre der Geisterhaus-Literatur gibt es einige geradezu klassische Themen. Sehr beliebt ist die Geschichte von der harmlosen Durchschnitts-Familie, die ahnungslos in ein Spukhaus einzieht, um dort aus dem Jenseits gepiesackt zu werden (das „Poltergeist“/“Amityville“-Muster). Hawkes greift ein zweites, ebenso beliebtes Motiv auf: Eine Gruppe von Wissenschaftlern untersucht ein heimgesuchtes Haus. Anfangs noch skeptisch und mit allem ausgerüstet, was Labors und Forschungsstätten hergeben, müssen sie auf die harte Tour lernen, dass es tatsächlich Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die sie (bzw. die Schulweisheit) nicht erklären können.

„Der kalte Hauch des Flieders“ ragt aus der Flut der Spukhaus-Romane zunächst ein gutes Stück heraus. Hawkes geht recht sachlich an das Thema heran. Von vornherein vermeidet sie es, mit billigen Tricks Spannung zu erzwingen. Es gibt keine in Gefahr zu bringenden Kinder (allerdings einen niedlichen Hund …), keinen verrückten, missgestalteten „Gast“, der sich im Keller oder auf dem Dachboden versteckt, keine verbotene Liebe, die einst tragisch endete und aus dem Jenseits fortgesetzt wird, oder was der abgegriffenen Klischees mehr sind. Die Autorin hat ausführliche Recherchen über das Thema PSI in allen seinen schillernden Farben angestellt. Ihre Kenntnisse lässt sie oft und gern in die Geschichte einfließen, aber solche Exkurse wirken nicht aufgesetzt, sondern informativ.

Überhaupt verschweigt Hawkes niemals die vielen Schwierigkeiten, der sich moderne „Geisterjäger“ ausgesetzt sehen. Die Parapsychologie ist ein junger und höchst ungeliebter Seitentrieb am Baum der Wissenschaft, dem die meisten „seriösen“ Forscher zu gern mit einer scharfen Axt zu Leibe rücken würden. Die Erforschung des Jenseits ist eine undankbare Aufgabe, da die Geister, so es sie denn gibt, leider keinerlei Interesse daran haben, sich der Welt der Lebenden unter Bedingungen zu präsentieren, die Betrug, Fehlinterpretation oder Halluzination definitiv ausschließen. Die Folge: Obwohl es die Anhänger des Okkulten vehement abstreiten, ist es bisher niemals gelungen, schlüssige und wirklich überzeugende Beweise für „das Jenseits“ zu erbringen. (Den Quantenphysikern geht es übrigens ebenso, aber das scheint seltsamerweise niemanden zu stören …)

Die Ausgewogenheit, mit der sich Hawkes ihrem Thema nähert, bedingt denn auch die gravierende Schwäche des Buches: Die Autorin konnte sich niemals wirklich entscheiden, ob sie nun einen „echten“ PSI-Roman oder einen Psycho-Thriller schreiben sollte. Spukt im Gilfoy-Haus nun der Geist des unglücklichen Julian umher? Ist das Haus nur eine „Batterie“, welche Wut und Unglück seiner längst verstorbenen Bewohner gespeichert hat? Haben sich David und Sally so sehnsüchtig einen „echten“ Geist gewünscht, dass sie ihn quasi selbst erst ins Leben gerufen haben? Interpretieren sie Vorkommnisse als Botschaften aus dem Geisterreich, für die es bei nüchterner Betrachtung völlig natürliche Ursachen gibt? Hawkes hält sich alle Optionen offen; der Leser soll selbst entscheiden. Leider bleibt dadurch auf den letzten zweihundert Seiten die Spannung allmählich auf der Strecke. Ein echter Höhepunkt bleibt aus.

Natürlich ist es klug, die subtil entwickelte Atmosphäre nicht durch ein Pandämonium urplötzlich aus allen Mauerritzen und Parkettspalten hervorquellender Gespenster zu zerstören, aber so läuft die Handlung einfach allmählich aus. Der eigentliche Schluss ist zwar logisch, andererseits aber doch nicht so neu oder originell, dass er dies ausgleicht. „Der kalte Hauch des Flieders“ (der Titel widerspricht übrigens entschieden dem Anspruch auf subtilen Tiefgang, den der Rowohlt-Verlag erhebt – „Julians Haus“ wäre korrekt und angemessen gewesen, doch offensichtlich traut man dem dummen deutschen Grusel-Fan nicht zu, ein Buch mit diesem Namen aus dem Regal zu ziehen) ist aber auf jeden Fall eine schöne Abwechslung von den Dampfhammer-Schockern à la King, Koontz oder Hohlbein, die seit einigen Jahren zumindest in den großen Verlagshäusern die Programmplätze für fantastische Literaturtitel blockieren.

Das Janusgesicht der PDS

Die Autorin von „Das Janusgesicht der PDS“, Viola Neu, ist Koordinatorin für Wahl- und Parteienforschung bei der Konrad-Adenauer-Stiftung und legt eine sehr interessante Untersuchung über die PDS vor. Seit dem Zusammenbruch der DDR erlebt diese ein ständiges Auf und Ab in der Wählergunst. Von Anfang an sagte man der PDS keine Zukunft voraus, aber immer wieder hat sie es bislang geschafft sich im Gegensatz zu anderen linken Parteien bei den Wählern nicht unterzugehen. In ihrer Untersuchung kommt Viola Neu zum Ergebnis, dass die Positionen der PDS mehrheitlich außerhalb des Verfassungsbogens angesiedelt ist, wobei sie sich nicht wirklich dem Begriff des Extremismus bedienen möchte. Verdienstvoll an ihrer Untersuchung ist, dass sie die Extremismusforschung sowohl aus der rechten wie linken Position miteinander vergleicht.

Mit der PDS wurde zum ersten Mal seit der Weimarer Republik (abgesehen kurzzeitig von der KPD zu Beginn der 50er Jahre) eine sozialistische Partei links von der SPD in den Bundestag und die Landesparlamente gewählt. Zwar ging sie aus der SED hervor, aber sie ist nicht einfach deren Nachfolgepartei und beansprucht auch nicht mehr den Marxismus-Leninismus als einzig richtige Weltanschauung. Nicht einmal die „führende“ Partei der Arbeitsklasse will sie mehr sein, sondern nur noch ein Sammelbecken „der Linken“. Nach den Grünen ist die PDS die zweite alternative Partei im Parteienspektrum der Bundesrepublik, der es gelang, sich über längere Zeit hinweg zu etablieren. Im Westen anfangs völlig ignoriert, änderte sich das 1998, als es in Mecklenburg-Vorpommern zur Koalition SPD-PDS kam, später auch in Berlin. Damit war der Integrationsprozess in das Parteiensystem abgeschlossen.

Erfolg und Misserfolg liegen allerdings ständig beieinander. Die PDS hat sich als ostdeutsche Regional- und Regierungspartei definitiv etabliert. Diese Verankerung war aber zugleich die Voraussetzung für den Misserfolg im Westen. Den westdeutschen Wählern war die Notwendigkeit einer neomarxistischen Partei des „dritten Weges“ jenseits von Kapitalismus und Stalinismus und links von Grünen und SPD nicht plausibel zu machen. Das Selbstverständnis der PDS beruht auf dem Postulat, Sammelbecken der Linken zu sein. Dabei richtete sie im Westen ihre Hoffnungen auf einen Teil des linken sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Spektrums sowie auf das Feld, das in der kommunistischen Vergangenheit mit der Strategie der Bündnispolitik umworben wurde (z. B. links-alternatives Milieu, antifaschistische Bewegungen, Friedensbewegung). Bündnispolitik gehört seit Lenin und dauerhaft seit den 1930er Jahren zum strategischen Arsenal kommunistischer Parteien. Mit diesem Anspruch gelang es der PDS, die Basis für eine neue moderne linkssozialistische Partei gelegt zu haben, die sowohl im Osten als auch, seit Hartz IV, im Westen mehr und mehr breitere Akzeptanz in der Wählerschaft findet.

Trotz ihrer Regierungsbeteiligung wird die PDS nach wie vor vom Verfassungsschutz beobachtet und mit rechtsextremen Parteien auf eine Stufe gestellt. Die PDS widerspricht diesem Vorwurf des Linksextremismus. Nach ihrem Selbstverständnis ist sie eine antikapitalistische und antifaschistische Partei, die sich für einen demokratischen Sozialismus einsetzt. Neutrale politische Beobachter sind sich allerdings auch sehr unsicher, ob der Extremismus-Vorwurf anwendbar ist. Im Westen bildete sich die PDS anders als im Osten zu einem Gravitationsfeld für eine Vielzahl linker Gruppen und Zusammenschlüsse heraus, die bis heute das Erscheinungsbild der PDS im Westen prägen. Im Wesentlichen erhielt die PDS Zulauf vom „Reformer“-Flügel der DKP, dem KB, der VSP und dem BWK. Anfangs kandidierte sie im Westen deswegen als „Linke Liste/PDS“. Da aber ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes 1990 Listenverbindungen verbot, gründeten sich aus dieser Liste heraus die westdeutschen Landesverbände.

Die Hoffnung, größeren Teilen der Grünen oder der SPD eine neue Heimat zu bieten, hat sich nicht erfüllt. Die PDS hat das für sie mobilisierbare linke Potenzial weitgehend erschlossen. Aber noch immer bleibt ein offenes Feld, das von den Grünen, der SPD und aus dem Nichtwähler- und Protestwählerlager kommt, und kann für die PDS dadurch auch in Zukunft das Wählerpotenzial konstant ausweiten. Da die Grünen insbesondere in ihren ersten Jahren vom Milieu der „K-Gruppen“ mitgetragen wurden, ist ein Wechsel gerade dieser Klientel zur PDS nicht auszuschließen. Die programmatische Ausrichtung der Grünen hat sich seit den 90er Jahren deutlich gewandelt, wodurch für die PDS nun auch eine ideologische Nische im westdeutschen Parteiensystem existiert. Die Betonung des außerparlamentarischen Widerstands, die Aktivitäten im Rahmen der „Anti-AKW-Bewegung“ (u. a. bei den Castor-Transporten) oder auch der Antifaschismus sowie das Themenfeld Frieden (hier das Nein der PDS zu den SFOR-Einsätzen) spielen für die Mobilisierungsmöglichkeiten eine große Rolle. Die PDS hat viele Themenfelder besetzt, die in der westdeutschen Linken bedeutsam sind und von den Grünen nicht mehr vertreten werden.

Im Osten ist sie klar zu den Volksparteien zu zählen, was dort aber auch an der noch starken Anbindung der Bevölkerung zur ehemaligen SED liegt. Interessanterweise gibt es deswegen eine große Kluft zwischen der Ost- und der West-PDS. Als extremistisch wird allerdings hierbei eher die West-PDS eingestuft. Wobei selbst die Autorin hier darauf hinweist, dass der Extremismus-Begriff (genauso wie der „Totalitarismus“) in der wissenschaftlichen wie in der politischen Welt sehr umstritten ist. Mit dem Extremismusbegriff sollen alle politischen Erscheinungsformen mit antidemokratischem Charakter erfasst werden, unabhängig von ihrer politischen Verortung und Begründung. Unabhängig von völlig unterschiedlichen Phänomenen wird Extremismus auf diese allesamt angewandt. Deswegen ist es schlicht ein unlauterer „Kampf-Begriff“. Es besteht in der politischen Auseinandersetzung die Tendenz, die jeweilig entgegengesetzte Richtung mit dem Extremismusbegriff zu belegen und er dient im Grunde nur der Ausgrenzung unbequemer Kräfte. Einige Wissenschaftler fordern aufgrund seiner Instrumentalisierung als Kampfbegriff, diesen Ausdruck zu vermeiden.

Die PDS auf eine Stufe mit den rechten Parteien zu stellen wie der NPD – wie jüngst bei den Montagsdemonstrationen wieder oft geschehen – ist grober Unfug. Die verfassungsfeindlichen Ziele einer NPD sind bei der PDS nicht gegeben. Die NPD dagegen unterscheidet wenig von den Zielen der NSDAP und argumentiert genau wie Goebbels 1928: „Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahm zu legen. Wenn die Demokraten so dumm sind, uns für diesen Bärendienst Freikarten zu geben, ist das ihre eigene Sache. Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir“. Diese Vergleiche, die die Autorin zieht, sind recht interessant, denn es gibt zu wenige empirische Studien, die nach strukturellen und inhaltlichen Gemeinsamkeiten in den Einstellungsmustern des rechten und linken Extremismus suchen. Linksextremistisch inspirierte Ideologien verheißen das utopische Ideal einer herrschaftsfreien Gesellschaft, in der das Individuum von all seinen (ökonomischen und sozialen) Zwängen befreit sein wird. In kommunistisch/sozialistischen Ideologien spielt die radikale Veränderung der Eigentumsverhältnisse als eines der Hauptinstrumente der sozialen Nivellierung und der Umgestaltung der Machtverhältnisse eine zentrale Rolle. Linksextremistische Ideologien haben utopische Züge. Als säkularisierte Heilslehren verheißen sie die Schaffung einer idealen Welt, in der Frieden und Gerechtigkeit herrschen und alle antagonistischen Widersprüche beseitigt sind. Deswegen versteht die Autorin diese auch eher als „politische Religion“. Totalitarismus bezieht sich auf Herrschaftsstrukturen, politische Religion auf Denkweisen und politische Ziele.

Wer sich mit Wahlanalysen beschäftigt, findet sehr viele Statistiken zu allen Aspekten diesbezüglicher Forschung in diesem Buch. Interessant ist, dass obwohl im Osten die Partei über viele Wähler verfügt und im Westen über weniger, dass die Perspektive dennoch auch eine andere sein kann. Denn im Osten besteht die Partei hauptsächlich aus sehr alten Menschen. Austritte sind fast keine zu verzeichnen, wenn dann nur durch Todesfall. Im Westen sind sehr wenige ältere Menschen in der Partei und ihr „Aussterben“ ist deswegen nicht zu befürchten. Die PDS ist eine sehr interessante Partei, die sich bisher immer wieder von dem ständig prophezeiten Verschwinden aus der politischen Landschaft auf überraschende Weise erholen konnte.

Siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/PDS.

Aus dem Inhalt:

1. Einleitung
1.1 Von der SED zur PDS
1.2 Problemstellung
1.3 Aufbau
1.4 Forschungsstand

2. Facetten einer Partei
2.1 Mitgliederentwicklung
2.2 Sozialstruktur der Mitglieder
2.3 West-Partei
2.4 Wahlergebnisse in den alten Bundesländern
2.5 Wahl-Partei
2.5.1 Wählerwanderungen
2.5.2 Wählerpotenziale

3. Theorien des Wahlverhaltens
3.1 Wahlforschung im Verfassungsstaat
3.2 Soziologische Ansätze
3.3 Übertragung der soziologischen Ansätze auf die neuen Bundesländer
3.4 Sozialpsychologischer Ansatz
3.5 Übertragung des sozialpsychologischen Ansatzes auf die neuen Bundesländer
3.6 Rational-choice-Theorie
3.7 Übertragung der rational-choice-Theorie auf die neuen Bundesländer

4. Politisches Verhalten der PDS-Wähler
4.1 Vereinigungsverlierer- und cleavage-Hypothese
4.2 Sozialstruktur der PDS-Wähler
4.3 Parteiidentifikation der PDS-Wähler
4.4 Imagekomponenten der PDS
4.5 Vereinigungsverlierer
4.6 Ost-West-cleavage
4.6.1 Einstellungen der PDS-Wähler zur wirtschaftlichen Lage
4.6.2 Einstellungen der PDS-Wähler zu Staat und Gesellschaft
4.6.3 Einstellungen der PDS-Wähler zu Demokratie und Institutionen
4.7 Politische Partizipation
4.8 1993 – Geburtsjahr der DDR-Nostalgie

_Viola Neu
[Das Janusgesicht der PDS]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3832904875/powermetalde-21
Wähler und Partei zwischen Demokratie und Extremismus
289 Seiten, Paperback
|Nomos| Verlagsgesellschaft
Juli 2004
ISBN 3-8329-0487-5_

Pohl, Frederik – Gateway-Trilogie, Die

Mit dieser neu überarbeiteten und ungekürzten Fassung von Frederik Pohls Gateway-Trilogie gibt |Heyne| SF-Lesern Gelegenheit, einen der beliebtesten Klassiker und Meilensteine des SF-Genres zu lesen. Diese Trilogie enhält die Übersetzungen des legendären „Gateway“ (1977), „Beyond the Blue Event Horizon“ (1980) und „Heechee Rendezvous“ (1984).

„Gateway“ gewann im Jahre 1978 sowohl |Hugo| als auch |Nebula Award|, aber damit nicht genug: Auch |Locus| und |John W. Campbell Memorial Award| sowie zahllose weitere heimste der Roman ein. Darüber hinaus inspirierte der Roman ein gleichnamiges Brettspiel und die Firma |Legend Entertainment| zu zwei ebenfalls hochklassigen Textadventures („Gateway“ und „Homeworld“).

Wie kaum ein anderer SF-Roman schafft es Gateway, den Reiz des Fremdartigen, Unbekannten und großer ko(s)mischer Zusammenhänge mit ganz einfachen menschlichen Problemen zu verbinden.

_|GATEWAY|_

Eines Tages entdeckt die Menschheit den Asteroiden Gateway. Auf diesem Raumhafen befinden sich Hunderte von kleinen Raumschiffen einer „Hitschi“ genannten außerirdischen Rasse. Hitschi-Technologie ist Millionen wert, obwohl man meistens ihre Funktion nicht versteht und darum auch nicht mit ihr umgehen kann. So ist es auch mit den Raumschiffen: Sie können leicht gestartet werden, aber man weiß nie, wann und wo die Reise endet.

Glückspilze finden ferne Planeten und wertvolle Hitschi-Artefakte und werden unendlich reich, Pechvögel verhungern auf übermäßig langen Reisen, kehren niemals oder als Leichen zurück … oder fliegen nur zehn Minuten lang und landen auf dem Erdmond.

Es herrscht dennoch kein Mangel an Freiwilligen für die riskanten Reisen, denn auf der nahezu aller Ressourcen beraubten Erde regieren Not und Elend, Nahrungsmangel und soziale Missstände treiben auch Robinette Broadhead (trotz des Namens ein Mann) nach Gateway. Sein letzter Flug endet in einer persönlichen Katastrophe, die ihn aber zu einem reichen und berühmten Mann macht.

_|BEYOND THE BLUE EVENT HORIZON|_

Eine von Robinette Broadhead ausgesandte Expedition entdeckt eine CHON-Nahrungsfabrik der Hitschi in der Oortschen Wolke. Doch was machen ein offensichtlich dort aufgewachsener junger Mensch, elektronische Bewusstseinskopien, Urmenschen und ein Roboter der Hitschi dort? Sind sie für die seit einigen Jahren auftretende, „Traumfieber“ genannte Epidemie von regelmäßigen Wahnzuständen der gesamten Menschheit verantwortlich?

Die weitere Erforschung der „Hitschi-Himmel“ genannten Fabrik fördert Erstaunliches zutage … In Broadhead keimt Hoffnung auf, seine Geliebte Gelle-Klara Moynlin doch noch retten zu können.

_|HEECHEE RENDEZVOUS|_

Dank der Entschlüsselung von Hitschi-Datenspeichern sind Flüge von Gateway aus nun kein russisches Roulette mehr. Doch man bemerkt, welch schrecklichen Fehler man begangen hat: Die Hitschi haben der Galaxis mit gutem Grund den Rücken gekehrt. Es droht eine Gefahr, der bisher noch niemand Widerstand leisten konnte. Wieso und wo die Hitschi sich verstecken, erzählt dieser Roman.

_Über den Autor_

Frederik Pohl (* 1919, New York) ist einer der SF-Schreiber der ersten Stunde, von den Anfängen in Fanzines bis hin zu den ersten Pulp-Romanen war er dabei. Im Gegensatz zu anderen Gründervätern wie Robert A. Heinlein und Ray Bradbury sind die meisten seiner zahlreichen Werke außerhalb der USA unbekannt, mit Ausnahme der Gateway-Romane.

Seine Romane prangerten stets in stilvoll überzogener und satirischer Weise Trends und Missstände der amerikanischen Gesellschaft an, etwas, das man auch in der Gateway-Trilogie feststellen kann. Mehrere seiner Kurzgeschichten wurden ebenfalls für |Nebula| und |Hugo| nominiert und gewannen diese sogar mehrfach.

Mit „Tales and Vignettes of the Heechee“ (1990) veröffentlichte Pohl eine Sammlung von Kurzgeschichten im Heechee-Universum (dt. Hitschi), während „The Boy Who Would Live Forever“ (2004) direkt an die Gateway-Trilogie anschließt. Diese Romane sind in dieser Trilogie nicht enthalten, man kann dies in etwa mit Star Wars vergleichen: Trotz eines etwas unbefriedigenden Endes ist die im Sammelband enthaltene Serie durchaus in sich abgeschlossen. Aber anscheinend möchte Pohl offene Fragen nach nun so vielen Jahren doch noch beantworten …

_Ein Gateway der Ideen_

Pohl ist ein witziger und kritischer Autor. So beginnt Gateway auch mit dem Helden, Robinette Broadhead, auf der Couch des psychoanalytischen Therapieprogramms Sigfrid Seelenklempner. In elliptischer Weise erzählt dieser selbst, was sich auf Gateway zugetragen hat und welche Probleme ihn plagen. Insofern ist unser Held geradezu das Paradebeispiel eines reichen Amerikaners mit seelischen Problemen, der seine Sorgen beim Psychiater loswird.

Auf diese Weise erfährt der Leser von den Problemen der Erde: Nahrungsmangel infolge von Überbevölkerung, kein Krankenversicherungsschutz für Arme und Robinettes Schicksal als glückloser Versager, der auf einmal das große Los gezogen hat. Gewürzt mit einer Prise Erotik und Sexismus, wenn Broadhead voller Begeisterung über seine neue Freundin S. Ya. Laworowna spricht – der Name seiner späteren Gemahlin wird nur einmal ganz ausgeschrieben …

Bei Pohl spiegelt sich die Angst vor der von der Malthusschen Bevölkerungslehre postulierten Hungersnot wider: Exponentielles Wachstum der Weltbevölkerung, aber nur lineares der Anbaufläche für Nahrungsmittel. Darum ist auch die CHON-Nahrungsfabrik der Hitschi von so großem Interesse: Kohlenstoff (C), Wasserstoff (H), Sauerstoff (O) und Stickstoff (N) sind die Hauptbestandteile von Kometen, und mit ein paar Vitaminen und Spurenelementen auch der Hauptbestandteil der menschlichen Nahrung … Wenn die Menschheit in Schiefergruben Hefepilzkulturen anbauen und sich davon ernähren kann, warum nicht auch Kometen fressen?

Über solche Fragen kann man natürlich schlecht mit einem robotischen Seelenklempner philosophieren, darum unterhält sich Broadhead darüber natürlich mit Albert Einstein. Beziehungsweise dem Programm Albert Einstein, welches seine liebe Frau S. Ya. oder „Essie“ für ihn geschrieben hat. Einen ganzen Schritt weiter ist die Technologie im „Hitschi-Himmel“: Der dort geborene Wan hat Jahre seines Lebens mit den elektronisch gespeicherten Bewusstseinsinhalten verstorbener Prospektoren geredet. Hauptsächlich über Sex. Demzufolge ist sein Verhalten den ersten Prospektorinnen gegenüber auch relativ ungebührlich, die sich innerlich auf die Erstbegegnung mit einem Hitschi, nicht aber auf einen pubertierenden Jüngling mit Hormonkoller vorbereitet haben …

Besonders in den damals noch puritanischeren Vereinigten Staaten müssen Pohls sexuelle Eskapaden an Bord von Dreier- oder Fünfer-Schiffen der Hitschi einigen Aufruhr verursacht haben, sogar rein homosexuelle Prospektorengruppen schlugen sich auf ihre Weise die ungewisse Wartezeit im Dreier tot.

Ein weiterer sozialkritischer Aspekt ist der oft angesprochene „medizinische Vollschutz“. Der reiche Broadhead kann ihn sich leisten – die meisten nicht. Eine Parallele zum quasi nicht existenten staatlichen Krankenversicherungssystem der USA. Broadhead kann sogar seine von einem Bus zermalmte Frau S. Ya. in strahlender Schönheit vollständig wiederherstellen, kann meterweise Gedärme und reihenweise neue Organe, Hornhäute und sonstiges anfordern, während arme Schlucker ihre Nieren verkaufen müssen – ein wahrer Organhandel-Horror.

Zum Glück ist Gateway nicht so sehr auf amerikanische Probleme zentriert, wie man befürchten könnte, sondern sehr international – der Asteroid Gateway spiegelt die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft wider. Treffen sich dort erst locker Angehörige aller Nationen und arbeiten multinational unter der Schirmherrschaft der mächtigen Gateway-Behörde (später eine Gesellschaft, eine AG – moderne Zeiten …), entwickeln sich dort im dritten Band nach und nach nationalistische Tendenzen und die gute, alte Kneipe wird in Sektoren aufgeteilt.

Die Faszination des Unbekannten macht einen großen Reiz der Trilogie aus, die Hitschi werden selbst bei ihrem Erscheinen nicht entzaubert, sondern nur noch mysteriöser. Robinette wird seiner größten Seelenpein, Gelle-Klara Moynlin, schließlich näher kommen – wenn auch auf andere Weise, als wir und er es erwarten würden. Man holt schließlich nicht alle Tage die Ex vom Ereignishorizont eines schwarzen Loches zurück! Die Gefahren des Weltraums schrecken unseren mutigen und dann privat doch so ängstlichen und verstörten Prospektoren nicht:

|“Die Assasinen! Sie werden irgendwann herauskommen, und was sollen wir dann tun? Wenn sie den Hitschi Angst einjagen, machen sie mir Todesangst!“

„Keine Feinde, Klara (…) Lediglich Quellen zu neuem Reichtum.“|

_Fazit_

Gateways Mix aus Science-Fiction und Menschlichkeit ist unterhaltsam, spannend und amüsant. Alleine die Erzählweise Pohls ist genial, die oft in grauen Kästchen eingeblendeten Zusatzinfos zu Gateway (inklusive des Gateway-Vertrages für Prospektoren) sowie die lustigen, ernsthaften oder auch tragischen Anzeigen aller Art zeugen von seinem Sinn für Humor. Von Organhandel bis hin zu Angeboten zu gemeinsamen Dreierflügen, mit dem Angebot eines späteren Eheglücks in Nordirland im Falle des großen Treffers reicht das Spektrum. „Gateway“ zündet ein Feuerwerk der Ideen, dem der zweite Band kaum nachsteht. Lediglich der dritte ist nicht mehr so lustig und fällt deutlich ab, das Buch endet mit dem oben zitierten letzten Satz. Ein ziemlich offenes und unbefriedigendes Ende, was der Trilogie jedoch keinen Abbruch tut. Die Übersetzung ist exzellent, wurde noch einmal korrigiert und man hat sich jegliche Kürzung der Originale verkniffen.

Pohl setzte erst in diesem Jahr (2004) die Handlung fort – hoffentlich kann er sein hohes Niveau halten. Die Hitschis hätten es verdient. Die Gateway-Trilogie sollte in keiner gut sortierten SciFi-Sammlung fehlen. Es gibt keinen besseren Beweis dafür, dass gute Science-Fiction auch ohne die Blaster, Raumgefechte und Laserschwertduelle moderner Soap-Operas faszinieren kann.

Edmund Crispin – Schwanengesang

Im Opernhaus von Oxford wird während der Proben der Tenor in seiner Garderobe hängend aufgefunden. Die Polizei und der bekannte Amateurdetektiv Gervase Fen nehmen sich des Falles an. Lange stehen sie vor einem Rätsel, während weitere Mordanschläge die Dringlichkeit einer Aufklärung unterstreichen … – Rätselkrimi aus der Spätphase dieses Genres: spannend, vor trockenem Witz sprühend, zahllose Insidergags Krimi-Freunde präsentierend und vor allem der Herausforderung „Mord im geschlossenen Raum“ eine gewagte aber schlüssige Variante abgewinnend.
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Kettlitz, Hardy / Geus, Klaus / Ritter, Hermann – vergessenen Science-Fiction-Klassiker, Die (SF Personality Sammelband 1)

„Es gibt allgemein sehr wenig Sekundärliteratur über Science Fiction in Deutschland“ – mit diesen leider zutreffenden Worten leitet Herausgeber Hardy Kettlitz den ersten „SF Personality Sammelband“ ein. Wer sich nicht vor vielen Jahren zur Blütezeit der Science-Fiction erschienene Bücher wie „Reclams Science Fiction Führer“ oder Brian W. Aldiss’ „Der Milliarden Jahre Traum“ sicherte, kann noch nicht einmal auf diese längst überholten Werke zurückgreifen.

Umso erfreulicher ist das – von Hardy Kettlitz mehrmals als „fannisch“ benannte – Projekt des |Shayol|-Verlages zu bewerten, sich aus der immensen Liste an SF-Autoren (und SF-Autorinnen!) zumindest ein paar herauszupicken und ihr Gesamtwerk einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Dass dabei nicht die mutmaßlich besten Schriftsteller (wobei sich über „beste“ natürlich trefflich streiten ließe) erfasst werden, sondern solche, die Hardy Kettlitz und den Mitarbeitern besonders am Herzen liegen, sollte mehr als entschuldbar sein. Fanarbeit lebt vom Spaß an der Sache, und sobald etwas mit Unlust verbunden nur mehr „erledigt“ wird, merkt man dies dem „Produkt“ an.

„Die vergessenen Science-Fiction-Klassiker“ haben offensichtlich den notwendigen Spaß gebracht, denn mit sehr viel Akribie und außerordentlichem Aufwand wurden die in der Regel auf Deutsch verfügbaren Romane und Kurzgeschichten besprochen. Nicht alle Elaborate der behandelten Autoren, aber auf jeden Fall die, welche wichtig sind. Und ein gutes Maß an Schriftgut, nach dem sich heute kein Lektor die Finger lecken würde. Aber damals war alles anders.

Der Terminus „damals“ trifft es sehr gut, denn die sechs Autoren haben noch das „Golden Age“ der Science-Fiction erlebt, das von 1938 bis 1950 währte und maßgeblich von John W. Campbell geprägt wurde, dem Herausgeber des amerikanischen SF-Magazins |“Astounding“|.

Wer jedoch heute nach Veröffentlichungen der besprochenen Autoren Murray Leinster, C. L. Moore, Henry Kuttner (Ehemann von C. L. Moore), H. Beam Piper, Leigh Brackett oder Gustav Meyrink (der ein wenig aus der amerikanischen Riege heraussticht) sucht, wird es schwer haben. Die einschlägigen SF-Antiquariate oder der gescholtene, aber von vielen heimgesuchte Internetauktionator müssen aufgesucht werden, um noch eines der längst vergriffenen „Terra“ oder „Terra Fantasy“-Taschenbücher oder – ach, selig, wer diese sein Eigen nennen darf – die „Utopia“-Romanhefte zu entdecken, die das bevorzugte Publikationsmedium vergangener Tage darstellten.

Mit ein wenig Wehmut habe ich deswegen auch die zahlreichen Abbildungen nicht nur deutscher Coverabbildungen, sondern auch die der amerikanischen Originale betrachtet, die sich im Innenteil des Bandes wiederfinden. Die Abbildungen sind zwar „nur“ schwarz-weiß, aber in Anbetracht des mehr als gerechtfertigten Preises ist dieser Umstand zu verschmerzen.

Hardy Kettlitz, Klaus Geus und Hermann Ritter nehmen sich mit sehr viel Sachverstand der genannten Schriftsteller an. Sie greifen dabei auf einen großen Fundus an Veröffentlichungen zurück, und bei ihren teilweise sehr ausführlichen Besprechungen nehmen sie gottlob keine Rücksicht auf Namen, so dass Anmerkungen wie: „Diese Story war, wie der Großteil des Leinsterschen Schaffens, eine geballte Ladung routiniert erzählten Unsinns“, (Seite 48) nicht ungewöhnlich, sondern amüsant (und zutreffend) sind. Aber es handelt sich halt um „Unsinn“, den man sich als SF-Fan ins Gedächtnis rufen muss, denn er gehört zur Geschichte des Genres.

Wer bisher dachte, alles über Brackett oder Kuttner zu wissen, wird enttäuscht. Klar, Brackett schrieb nicht nur am Drehbuch zu „The Big Sleep“ mit, sondern verfasste auch das zu „Rio Bravo“. Dies weiß man als Western-Fan – aber dass der Roman dazu bei |Heyne| erschien, genau das habe ich trotzdem verpasst. Doch Hardy Kettlitz klärt mich auf. Auf diese Weise wird jeder noch ein Detail aus seinem und ihrem Schaffen erfahren, das ihm bis dato unbekannt geblieben ist.

Erleichtert wird die eigene Suche nach den „vergessenen“ Autoren durch Bibliographien und einen Titelindex. Der Sammelband ist im Übrigen ordentlich verarbeitet und sauber gedruckt. Und den Kauf ohne Wenn und Aber wert! Wer über die heute modernen Autoren hinaus ein Interesse an Science-Fiction hegt, sollte auch einmal zurückschauen. Ein solcher Band bietet dazu den idealen Einstieg, um sich entweder zu erinnern oder erstmals Erfahrung zu machen mit denen, die den Boden bereitet haben für Schriftsteller wie – ach, ihr wisst ja selbst, wer momentan „angesagt“ ist.

Ich habe erst durch einen Freund von der mittlerweile auf 12 Einzelbände angewachsenen Reihe erfahren, die in kleiner Auflage erschien und deshalb teilweise längst vergriffen ist. Die Nachfrage mündete zum Glück im vorliegenden Sammelband, in dem die ersten Bände nicht einfach nachgedruckt, sondern korrigiert und ergänzt wurden. Aber, lieber Hardy Kettlitz, wann erscheint Sammelband 2?, denn die Betrachtungen zu Marion Zimmer Bradley oder Jack Vance sind nicht mehr lieferbar. Und wer folgt Michael Moorcock, der im jüngsten Band gewürdigt wurde?

Zumindest kann ich mit einer Antwort auf die Frage dienen, ob Sekundärliteratur langweilig sein muss: Nein, wie eindrucksvoll bewiesen wird. Und deshalb bleibt für den SF-Fan nur eins: das Buch bestellen. Und die Folgebände.

_Karl-Georg Müller_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Matt Dickinson – Tod im Eis

Das geschieht:

„Capricorn“ heißt eine kleine Forschungsstation, die in der Antarktis über einem Gletscher errichtet wurde. Fünf Personen bohren hier ein tiefes Loch ins Eis, unter dem ein unterirdischer See liegt, in dem womöglich bisher unbekannte Urtiere hausen. Die Glazialbiologin und Stationsleiterin Dr. Lauren Burgess steht unter Druck; der Zeitrahmen ist eng, die Arbeit gefährlich, der Geldgeber ungeduldig, die Fachwelt missgünstig. Deshalb kommt der Hilferuf einer gescheiterten Polarexpedition denkbar ungünstig. 300 frostige Meilen von der Station entfernt hat der Extremreisende Julian Fitzgerald sich und seinen Gefährten, den Norweger Carl Norland, durch schlechte Planung und eklatante Führungsschwäche in höchste Gefahr gebracht. Lauren Burgess und der Mechaniker Sean Lowery unternehmen den riskanten Versuch, die beiden Männer zu bergen, was wider Erwarten gelingt.

Fitzgerald dankt es seinen Rettern schlecht. Er war bereits in einige Skandale verwickelt. Ein neuerliches Scheitern würde ihn Ruf, Ruhm und Sponsorengeld kosten. Deshalb drängt Fitzgerald auf eine Fortsetzung der Expedition, die aus den „Capricorn“-Beständen ausgestattet werden soll. Dass dies wegen der beschränkten Ressourcen kaum machbar ist, will der arrogante Mann nicht akzeptieren. Ohnehin verfällt er zusehends dem Wahnsinn. Als er herausfindet, dass Norland einen Enthüllungsartikel plant, dreht Fitzgerald durch. Er sabotiert die Funkanlage der Station, plündert deren Vorräte, will ein Schneemobil stehlen und steckt dabei „Capricorn“ in Brand. Matt Dickinson – Tod im Eis weiterlesen

Frankfurter Buchmesse 2004

Angesichts der Größe und des gigantischen Event-Charakters, welche die jährliche Buchmesse als kulturelles Ereignis einnehmen, ist es natürlich nicht möglich, im Nachhinein objektiv und insgesamt unberührt darüber zu berichten. Möglich ist nur ein subjektives Kaleidoskop von Eindrücken.

Gastland war dieses Jahr die Arabische Liga, was in der Öffentlichkeit und auch von den Sicherheitsvorkehrungen her mehr wahrgenommen wurde, als es normalerweise bei Gastländern der Fall ist. Den Organisatoren ging es um den Dialog zwischen der westlichen und islamischen Kultur, der auch stattfand. Zwar brachte die Auswahl der arabischen Autoren von Seiten der Gastländer wenig Oppositionelles, dafür kamen aber auf Einladung der Messeleitung auch genügend der im Exil lebenden nicht-angepassten islamischen Literaten. Für den interkulturellen Dialog standen dann am Ende tatsächlich mehr als 200 Intellektuelle, Schriftsteller und Übersetzer zur Verfügung. Arabische Literatur selbst macht in Deutschland nur etwa drei Prozent aus, und daran dürfte sich auch nach dieser Messe nicht viel ändern. Diese hat allerdings auch im arabischen Raum selbst keine große Bedeutung. Dort sind die Auflagen ebenfalls gering, es gibt keinen funktionierenden arabischen Buchhandel und zu strenge Zensur. Großes Interesse dagegen nehmen bei uns seit dem 11. September 2001 die Sachbücher über Islam und Politik ein, ein Trend, dessen Ende noch nicht abzusehen ist.

Neues an Ausstellern gab es in diesem Jahr erstmals nicht wirklich zu entdecken. Im Grunde das Gleiche wie im letzten Jahr. Interessant waren dabei vielleicht die „linken“ Verlage, die im letzten Jahrzehnt in der Öffentlichkeit endgültig in der Bedeutungslosigkeit verschwunden waren, aber durch Hartz IV ihr großes Comeback erleben dürfen. Die vertretenen linken Verlage und Kleinparteien genossen große Aufmerksamkeit. Denn was den Sozialabbau angeht, sind eigentlich alle Verlage und Intellektuellen, die ich ansprach, einer Meinung. Die Zeiten werden schlechter für alle. Schon immer auf der Messe vertreten, kam durch die Besorgnis der Bürger diese Verlagsszene endlich wieder aus ihrem Schattendasein heraus und die Messe machte den Eindruck, als stände ein kulturelles Revival der 68er-Bewegung unmittelbar bevor.
Natürlich gibt es – wie nicht anders gewohnt – keine einheitliche linke Politik. Ironischerweise wirft jede Gruppierung den anderen vor, die Bewegung zu spalten und keine Bündnispolitik zu betreiben. Wahrscheinlich haben damit alle auch Recht, denn lokal dürfte die jeweilige Politik einer Gruppierung ganz anders sein als an einem anderen Ort. Die „Assoziation linker Verlage“ – vornehmlich Autonome – sind die einzigen, die seit Jahren über ein gut strukturiertes Netzwerk verfügen. Erstaunlicherweise ist Hartz IV bei diesen aber weniger ein Thema. Andere traditionelle Verlage der „alten Schule“ wie die MLPD oder der „Bund gegen Anpassung“ (Ahriman-Verlag) dagegen treten sehr selbstbewusst mit einer klaren Positionierung ihrer eigenen Linie und Ansicht auf.

Die esoterische Verlagsszene dagegen tritt von Jahr zu Jahr weniger als gemeinsames Netz in Erscheinung. Auch ist sie in diesem Jahr etwas zusammengeschrumpft. Eine ganze Reihe der gewohnten Verlage fehlte, vielleicht haben der Ausblick auf Hartz IV und wirtschaftliche Rezession diese schon jetzt erreicht, denn die Standpreise sind sehr teuer. Die finanziellen Möglichkeiten, sich auf der Messe präsentieren zu können, sind sicherlich knapper geworden. Interessant ist sowieso die gesamte Zusammensetzung in dieser speziellen Halle. Esoterik teilt sich den Raum mit den Verlagen der Linken und des psychologisch-therapeutischen Spektrums. Mir erscheint aber dieses „neue“ Bild – linke Politik, Therapie und Esoterik – durchaus auch sinnvoll. Trotz seiner Widersprüche passt das sehr gut zusammen und schürt Hoffnungen auf gesellschaftliche Veränderungen. Völlig selbstbewusst steht in diesen Reihen seit Jahren auch der Stand der „Jungen Freiheit“. Wurden diese vor Jahren noch als Provokation empfunden, konnten sich diese liberalen Rechtskonservativen allein durch ihre konsequente Präsenz mittlerweile integrieren und stoßen auf Akzeptanz.
Unter den Esoterik-Ständen befanden sich neben der eigentlichen Gastland-Halle auch eine Anzahl islamischer Verlage. Interessanterweise erweckten diese bei mir durchaus auch Unsicherheit und Misstrauen. Denn es handelte sich um eine breite Palette von schwer einzuordnenden Glaubenspositionen vom Fundamentalismus bis hin zu den Marokkanern, die sehr offensiv für Haschisch warben anstatt des zu erwartenden Islam. Und der Emir der arabischen Emirate, Sheikh Dr. Sultan Bin Mohammed Al Quassimi, hat offensichtlich viel Geld investiert, um jedem Messebesucher ein fast 500-seitiges großformatiges Werk zur Geschichte und Kultur der Araber kostenlos aushändigen zu lassen.

Seit 2003 wurde die Buchmesse zu einer Event- und Arbeitsmesse mit vielen Foren und Bühnen in jeder Halle. Dadurch sollte die Messe eigentlich auch länger dauern können als nur von Mittwochs bis Sonntags. Denn was dort geschieht, ist so interessant, dass ich – obwohl ich zum ersten Mal verlängerte und sogar an den überfüllten Publikumstagen zum Wochenende blieb – nicht mehr die Zeit fand, alle Ausstellerhallen zu besuchen. Die spannenden ausländischen Aussteller – besonders den USA gilt normalerweise mein besonderes Augenmerk – blieben von mir in diesem Jahr ungesehen. Nur für einen kurzen Pflichtbesuch des arabischen Gastlandes hatte es gereicht. Skandalträchtig war dabei ein amerikanischer Stand mitten unter den ganzen Arabern, der die Werke des libanesischen Häretikers Doktor Dahesh präsentierte. Allesamt illustriert und auffallend gänzlich mit Darstellungen Nackter und von Teufeln bestückt. Der Stil ist eine Mischung aus Jugendstil und Kasperl-Theater (Teufelchen mit Hörnern und Flügeln). Für die übrige arabische Welt auf jeden Fall eine Provokation.

Die Foren sind für mich tatsächlich eine große Bereicherung. Wie im letzten Jahr hatte dabei das Hörbuch-Forum – obwohl es nur maximal drei Prozent des Umsatzes in den Buchhandlungen ausmacht – auf mich wieder die größte Attraktivität. In diesem Jahr stand es komplett in Zusammenarbeit mit dem Magazin „Focus“. Über die ganze Messe verteilt gab es auch Hörbuchtürme mit Kopfhörern, um als Chillout auch mal zu hören anstatt immer nur zu lesen. Wie weit das wirklich genutzt wurde, wäre eine interessante Frage. Eröffnet wurde das Hörbuch-Forum mit einer Pressekonferenz zur aktuellen Entwicklung im Hörbuchbereich. Die Anzahl der lieferbaren Titel wird immer größer. Das Hörbuch etabliert sich zunehmend am Markt. Viele Diskussionsveranstaltungen gab es zum neuen Medium des Downloads, dem die Branche nicht abgeneigt ist und das nicht als Ersatz, sondern Ergänzung zum traditionellen Verkaufsweg gesehen wird. Nachdem die Startauflage für Hörbücher – von Rennern wie John Sinclair abgesehen – bislang unter tausend lag, bewegt sie sich mittlerweile im Schnitt bei fünftausend.
Selbstverständlich hat auch das Hörbuch bereits seine Auszeichnungen, die wichtigste dabei ist seit 2002 der Deutsche Hörbuchpreis des WDR, der im nächsten Jahr im März erstmals auf der LitCologne verliehen wird. Ursprünglich war die Buchmesse Leipzig das Forum für Hörbücher, seit letztem Jahr ist dies zur Frankfurter Messe gewechselt und angesichts der immensen Werbung für die AudioBooksCologne auf dem Literaturfestival LitCologne 2005 scheint es offensichtlich, dass die Hörbuch-Macher ihren Schwerpunkt schon wieder verlegen werden.
Eine wichtige Diskussion betraf angesichts der schon jetzt vielfältigen Hörbuch-Preise die Frage, ob es nicht Zeit für einen übergreifenden Hörbuch-Award, sozusagen den „Oscar“, wäre. Dies wurde sehr kontrovers betrachtet.
Jedenfalls bleiben die Hörbuch-Forum-Events der Geheimtipp der Messe, mit ihrem vielfältigen Programm zu Inszenierungen, ungewöhnlichen Präsentationen, Darstellungen zur Produktion etc., und haben dem in den letzten Jahren noch innovativen Comic-Forum, mittlerweile aber schon wieder zu etabliert, den Rang abgelaufen.
Selbstverständlich wird nicht nur „gehört“, sondern auch „gelesen“. Hervorzuheben sind in diesem Jahr Serdar Somuncu – der Türke, der „Hitler“ und „Goebbels“ las und auch auf der Messe überaus unterhaltsam bissig und provokativ auftrat – und auch Helmut Krauss, die deutschen Stimme von Marlon Brando, der aus „Necroscope“ und [„HR Giger`s Vampirric“ 581 las. Gänsehaut für die Ohren, Horror ist sowieso einer der Renner der Hörbuch-Branche. Eigentlich macht das Lanze auch Lust, Hörbuch-Veranstaltungen zu organisieren, deren Präsentationsmöglichkeiten grenzenlos sind. Natürlich sind die rechtlichen Bedingungen dafür sehr kompliziert, den Leistungsschutz geben Verlage, das Urheberrecht liegt ebenso bei Verlagen wie den Autoren. Aber bislang sind die Verlage gegenüber Veranstaltern sehr kulant und machen das kostenfrei, da ihnen die PR fürs Hörbuch generell noch wichtiger ist als daran zu verdienen.

Angenehm war die Präsenz der Dienstleister der Branche – das Forum Management – im Herzen der Messe, die früher immer abseits angesiedelt waren. Nicht nur, weil das Sortimenterzentrum preiswerteres Essen und Trinken anbietet, für Azubis mit dem Azubi-Café fast für Unkosten (ein Platz, wo auch schon immer ständig im Wechsel bekannte und unbekanntere Autoren live lesen), sondern weil für die Buchhändler und Verleger auch die obligatorischen Wege zu den Vertriebsnetzen, Barsortimenten, Buchhandelsschulen, Beratungs- und Dienstleistungsangeboten kürzer und zeitsparender waren. Auch kann man sich an diesem Platz immer ein wenig vom sonstigen Messetrubel erholen. Als Überraschung dabei war festzustellen, dass die vor einigen Jahren neu eingeführte Fachschule des deutschen Buchhandels, die noch in diesem Sommer angesichts ihres universitären Charakters den hochprotegierten Stolz der Branche ausmachte und als neue Elite galt, sang- und klanglos im Nichts verschwunden ist. Ursache dafür sind zu wenige Teilnehmer an dem Studiengang. Wer sich für aktuell Interneres aus der Branche interessiert, kann immer die in dieser Halle anwesenden Buchschulen-Lehrer befragen. Verständlicherweise sind diese am besten und umfassendsten über alles informiert.

Im Lesezelt musste man sich dieses Jahr in langen Schlangen anstellen, um überhaupt Einlass zu bekommen. Ein Highlight dabei war die zweistündige Lesung von Dirk Bach aus dem neuen Walter Moers, „Die Stadt der träumenden Bücher“, einer spannenden Geschichte, die auf hohem Niveau eine Hommage an die Geschichte der Literatur darstellt. Vor allem das Fantasy-Event, welches auf dem Podium das „Königspaar der deutschen Fantasy“ Heike und Wolfgang Hohlbein, die neue „deutsche Queen der Fantasy“ Monika Felten und den amerikanischen Autor Tad Williams zusammen präsentierte, konnte wegen Überfüllung von vielen nicht gesehen werden. Tad Williams war sowieso einer der Stars der gesamten Messe, der seine aufwendige Hörspiel-Adaption von „Otherland“ präsentierte und von einem Termin zum anderen hechtete. Siehe dazu auch http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=29. Als wahre deutsche Nationalhelden wurden aber der 75-jährige Pierre Briece (Winnetou), der seine Biografie vorlegte, und aber auch das „Urmeli“ aus der Augsburger Puppenkiste gefeiert. Zur Platin-Verleihung (600.000 Exemplare) der erst im Frühjahr erschienenen DVD-Reihe des Hessischen Rundfunks waren die Originalpuppen Urmeli, Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, angereist, die dem dankbaren Publikum eine eigens konzipierte Inszenierung präsentieren. Fernsehdirektor Dr. Hans-Werner Conrad vom HR ließ sich diese Gelegenheit, anwesend zu sein, nicht entgehen und verteilte sehr großzügig DVD-Exemplare ans anwesende Publikum, was natürlich großen Anklang fand, denn die Puppenkiste ist vor allem bei den Erwachsenen unverändert Kult.

Schon in diesem Jahr ausgebaut – neben dem gewohnten Messekino gab es ein Rechtezentrum und einen Gemeinschaftsstand der Filmindustrie – wird das Forum Film & TV im nächsten Jahr noch größer werden. Eine Kooperation mit der „Berlinale“, den internationalen Filmfestspielen in Berlin, wurde abgeschlossen, Filmproduzenten reisen zur Buchmesse, Workshops vom Drehbuchschreiben bis zum Lizenzgeschäft stehen auf dem Programm.

Und Frankfurt steht auch außerhalb der Messe in dieser Zeit gänzlich im Zeichen des Buches. Unzählige Verlage präsentieren auch abends verschiedenste Veranstaltungen. Auch hier füge ich nur ein Beispiel an von den vielen, die ich besucht habe. Der Nachtschatten-Verlag veranstaltete im Tanzhaus West – einem Rave-Techno-Szenentreff – eine gut besuchte Informationsveranstaltung zu Ahayuasca. Auf dem Podium saßen Arno Adelaars (Ritual-Leiter), Dr. Christian Rätsch (Ethnopharmakologe), Govert Derix (Manager / Philosoph), Dr. Henner Hess (Soziologe) und Wolfgang Sterneck (Publizist). In recht intimer Atmosphäre verfolgten ungefähr 200 Gäste dicht gedrängt die Berichte zu dieser eigentlich längst bekannten Droge, als sei es etwas völlig Neues, und erweckten den Eindruck, dass eine neue psychedelische Drogenwelle auf die westliche Welt zurollt. Zwar gab es das, was da als letzte Möglichkeit, sich selbst und die gesamte Welt zu heilen, angepriesen wurde, in ähnlicher Ansicht und Form in den Anfangszeiten der LSD-Bewegung, aber alle Redner waren sich sicher, dass diese beiden Drogen in ihrer Wirkung nicht zu vergleichen wären. Selbst die anwesenden gesellschaftlichen Anti-Drogen-Experten waren sprachlos und konnten den Argumentationen nichts entgegensetzen. Man müsste, um die Bewegung zu beurteilen, wahrscheinlich die Sache mal ausprobieren. Die Lust darauf zu wecken, ist jedenfalls als gelungen zu betrachten. Der Star des Abends war natürlich der bekannte Pharmaethnologe und Autor Christian Rätsch, aber der holländische Philosoph Govert Derix – dessen aktuelles Buch „Kritik der psychedelischen Vernunft“ (Nachtschatten-Verlag) präsentiert wurde – trat mit seinen Ansichten in ungeahnter Weise richtig radikal und revolutionär auf und sorgte für ziemliches Aufsehen. Die Vorträge selbst sind mittlerweile auch schon im Netz abrufbar unter http://www.sterneck.net/connecta/03program/index.php.
Alles in allem eines der Highlights der diesjährigen Messe, ein Abend, der lange in Erinnerung bleiben wird.

Was wäre eine Messe ohne Preise. Bedeutsamster deutscher Literaturpreis ist der Friedenspreis des deutschen Buchhandels, der zum Abschluss der Messe in diesem Jahr an Pèter Esterházy ging. Aber es gibt viele unbekanntere Preise mehr … z. B. die Verleihung der „schönsten deutschen Bücher“ der Stiftung Buchkunst für die Hersteller, Lektoren etc. von Büchern. Zwar wurden diese schon im Mai in Berlin bekanntgegeben, aber erst auf der Messe wurden die Urkunden für die etwa 50 preisgekrönten Bücher übergeben. Eine lange Prozedur, die Standbein verlangte. Dann gibt es auch den Preis für den Comic des Jahres, der in diesem Jahr an die in Frankreich lebende Exil-Iranerin Marjane Satrapie für ihr Werk „Persepolis“ ging. Der erste Band ist bereits erschienen, der zweite Band erscheint im Dezember in der „Edition Moderne“. Vielleicht war der eigentliche Grund dieser Verleihung auch nur der arabische Schwerpunkt der diesjährigen Messe, denn dafür war dieser Preis ja sehr passend. Dies nur als kleine Auswahl. Von den Überlegungen zu Hörbuch-Preisen wurde schon weiter oben berichtet und zu den im nächsten Jahr erstmals neu vergebenen deutschen Buchpreisen hatte ich bereits am Ende meiner [Sommer-Herbst-Kolumne]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=27 einiges geschrieben.

Stoker, Bram – Dracula (Hörspiel)

Bram Stokers „Dracula“ als Hörspiel auf zwei CDs – eigentlich müsste das Liebhaber des viktorianischen Briefromans von 1897 ärgern, da es mit Sicherheit dazu führen wird, dass noch mehr Interessierte ihr Wissen über den untoten Grafen aus allem, nur nicht dem originären [Buch 210 beziehen werden. Doch auch wenn das Coverartwork der CDs der Verfilmung von Francis Ford Coppola entnommen ist, vermeidet das Hörspiel den Kardinalfehler des Films (nämlich die Liebesgeschichte zwischen Dracula und Mina) und hält sich erfreulich dicht an die Romanvorlage. Das wird schon in der Form deutlich, denn die Tagebucheintragungen und Briefe, die den Roman ausmachen, werden auch in der Hörspielbearbeitung von Sven Stricker übernommen.

Wir folgen also zunächst Jonathan Harker (gesprochen von Konstantin Graudus) nach Transilvanien, um dem exzentrischen Grafen Dracula (Felix von Manteuffel) ein Grundstück in London zu verkaufen. Gleichzeitig (ein Handlungsstrang, der für das Hörspiel vorverlegt wurde) lernen wir den Irrenarzt John Seward (Andreas Fröhlich) kennen, dem sein Patient Renfield Rätsel aufgibt. Harker wird es derweil auf Draculas Schloss immer mulmiger, bis der Graf sich auf die Reise nach London begibt und Harker in den Fängen von drei Vampirbräuten zurücklässt, die ihm sinnlich, aber trotzdem endgültig den Garaus machen sollen.

In London angekommen, verbeißt sich Dracula nun zunächst in die frisch verlobte Lucy (Anna Carlsson). Seward wird herangezogen, da Lucy immer blasser und schwächer wird. Doch da Seward keinen Rat weiß, benachrichtigt er seinen alten Mentor van Helsing (Gerd Baltus), der extra aus Amsterdam anreist, um sich das junge hübsche Ding anzuschauen. Gerade als der Kampf um Lucys Leben in die Endphase gerät, erhält ihre Freundin Mina (Céline Fontanges) Nachricht von ihrem Verlobten (Harker nämlich) und reist zu ihm nach Budapest, da er aus Draculas Schloss entkommen konnte und nun an einem starken Nervenfieber erkrankt ist. Als sie als frisch verheiratete Mina Harker wieder nach London kommt, ist Lucy bereits vollkommen vampirisiert und greift als „Blutige Lady“ kleine Kinder auf Spielplätzen an, um ihnen die Eckzähne in den Hals zu schlagen.

Den Männern um van Helsing bleibt nur die rituelle Pfählung, doch kaum ist das geschafft, macht sich Dracula an Mina ran. Auch sie wird gebissen, auch sie wird immer schwächer. Doch mittlerweile wissen die Jäger, mit was für einem Wesen sie es zu tun haben. Um die holde Mina zu retten, müssen sie nun Geld, Kombinationsgabe, Wissen und Glauben einsetzen, um den Grafen endgültig ins Jenseits zu schicken.

Die Hörspielfassung von Sven Stricker schafft es, die starken sexuellen Konnotationen des Romans von Bram Stoker fast vollständig zu eliminieren. Die heftig flirtende Lucy, die eigentlich am liebsten drei Männer heiraten würde, ist im Hörspiel überzeugend in Arthur Holmwood verliebt. Der Vampirismus, bei Stoker sowohl ein unbewusstes Symbol für weibliche Lust (außer Dracula selbst trifft es nur Frauen) als auch homoerotische Neigungen der männlichen Personage des Romans (Dracula beendet die Verführung Harkers durch die Vampirbräute mit einem kraftvollen „Dieser Mann gehört mir!“), ist im Hörspiel nur das: Vampirismus. Die Gewichtung liegt demnach auf der Darstellung der Grausamkeit des Vampirs und seiner Verfolgung und schließlichen Vernichtung. Dabei kann das Hörspiel einige Längen des Romans, vor allem gegen Ende, verhindern. Die ausführlichen Beschreibungen der Informationsgewinnung, die bei Stoker Seite um Seite füllen, werden hier effektiv zusammengekürzt, was dazu führt, dass die Handlung flotter voranschreitet. Allerdings führt es auch dazu, dass eine der wichtigsten Personen des Romans, Mina Harker nämlich, zur Damsel in Distress reduziert wird, wohingegen sie bei Stoker die männlich dominierte Romanwelt erfolgreich unterwandert, indem sie es ist, die die durchschlagenden Ideen liefert, die zum Sieg über den Vampir führen. Im Hörspiel ist dies nur noch durch ihr Dasein als Medium präsent, als sie durch ihre telepathische Verbindung mit Dracula die Verfolger auf die richtige Spur führen kann.

Unterschiede zwischen Roman und Hörspiel sind natürlich nicht zu vermeiden. Der auffallendste für den Romankenner ist wohl die Tatsache, dass Quincey Morris, amerikanischer Lebemann mit immensen finanziellen Mitteln, hier nicht vorkommt. Diese „Einsparung“ wird dem unbedarften Hörer jedoch nicht auffallen und es überrascht zu sehen, dass die Geschichte auch ohne Morris perfekt funktioniert. Der Hörer muss weniger Stimmen auseinanderhalten und die Handlung leidet darunter nicht.

Insgesamt ist Strickers Bearbeitung des Romanstoffes daher durchaus gelungen. Demjenigen, der sich nicht näher mit „Dracula“ beschäftigt hat, werden die beiden CDs einen solideren Einstieg vermitteln als jeder auf dem Markt befindliche Film, der behauptet, auf Stokers Roman zu fußen. Sowohl im Ton als auch in der Handlung bleibt das Hörspiel sehr dicht an der Vorlage und kann dabei noch mit gruseltauglichen Effekten überzeugen. Überblendungen, unheilschwangere Musik von Jan-Peter Pflug, heulende Wölfe und kreischende Vampirladies: Das alles macht das Hörspiel zu einem Ohrenschmaus. Und wem die Effekte gut gefallen, der kann sie sich über die Enhanced-Funktion der CD auch als „Realtone“ fürs Handy runterladen. In jedem Fall schicker als tanzende Nashörner!

Auch die Sprecher schaffen es ohne Ausnahme, ihren Charakteren Leben einzuhauchen. Besonders zu nennen sind hier Jörg Pleva, der Renfields zunehmenden Wahnsinn überzeugend darzustellen vermag, und Andreas Fröhlich, der als John Seward den Hörer über weite Strecken durch die Handlung führt. Auch Gerd Baltus, der seinen van Helsing als väterlich besorgten Freund anlegt, sollte hier Erwähnung getan werden.

„Dracula“ als Hörspiel lohnt sich, so einfach lässt sich das zusammenfassen. Die Bearbeitung ist rund und schafft es sogar, einige Längen des Romans auszubügeln. Wem die freudianische Interpretation des Romans egal ist (und das werden die meisten sein …), der wird an Sven Strickers Gewichtung der Themen nichts auszusetzen wissen. Er hat es geschafft, die besondere Stimmung, die den Roman ausmacht, in das Hörspiel zu transportieren und so bleibt die Faszination des Dracula-Stoffes auch in diesem Medium erhalten.

Carr, J. Revell – 13 Millionen Tonnen, 2500 Schiffe, 50000 Leben

Im August des Jahres 1940 erzwingt die deutsche Kriegsmaschine auf dem europäischen Kontinent erschreckende Fortschritte. Niemand kann die Nazis offenbar aufhalten. Auch auf den Meeren versuchen sie die Oberhand zu bekommen. Vor allem die Nachschubtransporte zwischen den noch neutralen USA und dem hartnäckigen Kriegsgegner Großbritannien sind ihnen ein Dorn im Auge. Deshalb haben deutsche Kreuzer und U-Boote die Anweisung, britische Frachter mit ihrer Ladung zu versenken.

Das Trampschiff „Anglo-Saxon“, 130 Meter lang, ist im Nordatlantik unterwegs, als ein gefährlicher Gegner seinen Kurs kreuzt. Hellmuth von Ruckteschell, der ehrgeizige Kommandant des Hilfskreuzers „Widder“, hat schon im I. Weltkrieg Feindschiffe gejagt und ist Marinesoldat bis ins Mark. Er hat den Auftrag, die Frachtschiffe des Gegners zu stoppen, und den verfolgt er unerbittlich. Ohne 41 ahnungslosen Seeleuten eine Warnung zukommen zu lassen, schießt die „Widder“ die fast wehrlose „Anglo-Saxon“ und ihre Besatzung zusammen.

Von Ruckteschell gestattet sich kein Erbarmen. Nur sieben zum Teil schwer verletzte Briten entkommen in einem angeschlagenen Beiboot dem Gemetzel. Ohne Lebensmittel und Wasser treiben sie zehn Wochen hilflos im Nordatlantik. Grauenvolle Szenen spielen sich an Bord ab. Der Tod hält reiche Beute. Als die Jolle endlich entdeckt wird, stehen die Retter erschüttert vor zwei Männern, welche die Entbehrungen fast wahnsinnig werden ließ.

Damit ist die Geschichte der „Anglo-Saxon“ nicht zu Ende. Roy Widdicombe und Robert Tapscott, die beiden Überlebenden, werden zu Schlüsselfiguren eines Prozesses, der nach dem II. Weltkrieg geführt wird. Angeklagt wird Hellmuth von Ruckteschell. Ist er ein Kriegsverbrecher, oder hat er einfach nur seine „Pflicht“ erfüllt? Gerechtigkeit ist ein Geschäft, das von jenen betrieben wird, die selbst nie betroffen sind. Ein Happy-End gibt es ohnehin nicht – die „Helden“ der „Anglo-Saxon“ nehmen ein trauriges Ende. Zurück bleiben zerstörte Familien, für welche die Ereignisse von 1940 noch heute Auswirkungen haben …

Ein namenloses Grauen in den Griff bekommen, indem man es auf Einzelschicksale reduziert: Das ist ein probates Mittel, bedient sich jemand seiner, der sein Handwerk versteht. Der Marinehistoriker J. Revell Carr gehört ganz sicher in diesen Kreis. Seit 1945 sind unzählige Bücher erschienen, die sich mit dem II. Weltkrieg im Atlantik beschäftigen. Das Geschehen an sich ist denkbar leicht verständlich: Nazideutschland versuchte die Nachschublinien zwischen den USA und Großbritannien zu kappen.

Was das im Detail bedeutete, gerät im großen Zusammenhang leicht außer Sicht: Vor allem in den ersten Kriegsjahren attackierten gut ausgebildete deutsche Soldaten mit schwer bewaffneten Schiffen und U-Booten über und unter Wasser simple Handelsschiffe, auf denen zivile Seeleute fuhren, die sich kaum oder überhaupt nicht wehren konnten. Entschlossen, sich von Hitlers Truppen nicht in die Knie zwingen zu lassen, harrten sie an Bord ihrer dünnhäutigen Frachter aus, die ihnen vom Feind unweigerlich „unter dem Hintern weggeschossen“ wurden, wie ein zeitgenössischer Spruch es drastisch verdeutlicht.

Wenn sie Glück hatten, gerieten die Handelsschiffer an einen Gegner, der ihnen die Flucht in die Rettungsboote ermöglichte, bevor er das Feuer eröffnete. Hatten sie Pech, trafen sie Männer wie Hellmuth von Ruckteschell, der seine persönliche, aber beileibe nicht untypische Auffassung von Pflicht und Kriegführung besaß.

Wobei dieser von Ruckteschell keinesfalls der gerade von den Briten gern verteufelte „typische“ Deutsche der Nazi-Ära ist. Bemerkenswert wertneutral bemüht sich Verfasser Carr, die Biografie dieses Mannes zu rekonstruieren. Er fördert Erstaunliches zu Tage – die schwer verständliche Geschichte eines Mannes von hoher Intelligenz, der künstlerisch hoch begabt ist, zwischen den Kriegen als Handwerker arbeitet, überaus gläubig ist – und sehr wahrscheinlich psychisch krank durch den Stress, dem er auf See während des I. Weltkriegs ausgesetzt war.

Das leitet über zur düsteren Seite des Hellmuth von Ruckteschell, der seine inneren Sorgen und Ängste hinter einer Maske cholerischer Unnahbarkeit zu verstecken suchte, mehr als einmal hilflose Kriegsgefangene ermorden ließ und auf See eine völlig andere Persönlichkeit zu entwickeln schien. Diese Ambivalenz und die daraus entstehende Unberechenbarkeit macht von Ruckteschell zur eigentlichen Zentralfigur dieses Buches, wie Verfasser Carr selbst rasch erkannt hat.

Die Männer der „Anglo-Saxon“ sind dagegen längst nicht so „interessant“. Man begreift sie als die „brave sailors“, die tapferen Seeleute des Originaltitels. Als Gruppe bewundert man sie, die im vollen Wissen um die ständige Gefahr den zivilen Dienst für ihr Land leisten. Man ist entsetzt über die unsäglichen Leiden, denen die Männer ausgesetzt sind. Aber obwohl Carr sich bemüht, jedem Mann an Bord der Jolle ein Gesicht zu geben, bleiben die Überlebenden Menschen von nebenan, die man vergisst, sobald sie nicht mehr im Brennpunkt einer an sich faszinierenden Geschichte stehen. So ist es erneut Hellmuth von Ruckteschell, dessen Schicksal den Leser fesselt, als er vor Gericht steht: Wie im Film ist es halt auch im Leben der Bösewicht, der die Aufmerksamkeit des Publikums erregt.

„13 Millionen Tonnen, 2500 Schiffe, 50000 Leben“ – der deutsche Titel, welcher die alliierten Verluste an Fracht, Schiffen und Menschenleben im Verlauf des II. Weltkriegs beschreibt, soll offenbar Leser abschrecken statt sie zu locken … – ist unterm Strich ein musterhaftes Sachbuch. Minuziös hat Verfasser Carr die letzte Fahrt der „Anglo Saxon“ recherchiert. Er bleibt auch nach der Rettung der letzten Überlebenden „dran“. Die „Nachgeschichte“ bildet hier keinen knappen Epilog („Was machen sie heute …“), sondern ist untrennbar mit dem Geschehen von 1940 verbunden.

Überzeugend legt Carr dar, wie der Untergang der „Anglo-Saxon“ die Leben vieler Menschen auf Jahrzehnte prägte. Damit sind durchaus nicht nur die unmittelbar Beteiligten gemeint. Ob auf der britischen oder auf der deutschen Seite: Die Seeleute hatten Familien und Freunde, die sich mit dem Verlust geliebter Menschen oder mit der Tatsache vertraut machen mussten, einen Kriegsverbrecher und Mörder zum Ehegatten, Sohn, Bruder etc. zu haben.

Am Beispiel des Seemanns Robert Tapscott rekonstruiert Carr die psychischen Folgeschäden eines einschneidenden krisenhaften Erlebnisses. Dieser Mann, der bitter entschlossen entsetzliche körperliche Qualen erlitten und überlebt hatte, brachte sich zwanzig Jahre später um, weil er den seelischen Stress nie verkraften konnte. Er überlebte von Ruckteschell, dem die eigenen Kriegserlebnisse seine Gesundheit geraubt hatten, nur um wenige Jahre.

So wird aus einer Episode des Seekriegs ein Panorama, das sich nicht auf Aufzählung von Schlachten, Schiffen & Verlusten beschränkt, sondern dem Krieg Gesichter gibt. Noch einmal sei die Objektivität betont, mit welcher sich der Verfasser seinem Thema nähert. „All Brave Sailors“ nennt er sein Buch im Original. Er spielt damit nicht primär auf die unglücklichen Männer in der „Anglo-Saxon“-Jolle an, sondern erinnert an alle mutigen Seeleute, die trotz aller Gefahr und Furcht freiwillig ihrem Job nachgingen.

Dass einem die beschriebenen Schicksale so nahe gehen, liegt an J. Revell Carrs Talent, sie uns literarisch nahe zu bringen. In der deutschen Übersetzung ist der Verfasser verständlicherweise auf seinen Übersetzer angewiesen, der diese Qualität zu wahren versuchen muss. Mit Peter Torberg hat der Marebuchverlag erfreulicherweise einen Mann gefunden, der sein Handwerk vorzüglich beherrscht. Das ist – vor allem im Roman, aber auch im Sachbuch – heute leider keine Selbstverständlichkeit und sei deshalb an dieser Stelle eigens herausgestellt.

J. Revell Carr (geboren 1939 in Pennsylvania) lernte das Meer als Leutnant in der US-Navy kennen. Im Zivilleben wurde er Historiker mit dem Spezialgebiet Marine. Hier entwickelte er sich zu einem der weltweit wichtigsten Vertreter dieses Fachbereichs. Sein Wissen brachte ihn auf die Leiterstelle des größten Marinemuseums der Welt. Mehr als zwei Jahrzehnte leitete Carr das „Mystic Seaport“ in Connecticut. Heute lebt er als „Privatgelehrter“ und Autor in Maine.

Franke, Herbert W. – Sphinx_2

Herbert W. Frankes „Sphinx__2“ spielt in einer nicht allzu fernen Zukunft – die sich bei näherer Betrachtung als eine nicht wirklich erstrebenswerte entpuppt:

Die verseuchte und weitgehend unbewohnbare Welt teilt sich in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft auf: Die privilegierten Bürger der Union unabhängiger Stadtstaaten und die Allianz freier Nationen, der es bis auf das Ideal der „Freiheit“ so ziemlich an allen Ressourcen und moderner Technik mangelt. Umgekehrt werden die Bewohner der an Arkologien erinnernden Kuppelstädte bemuttert: Virtueller Sex, perfekt ausgewogene Ernährung und alle Vergnügungen und Wünsche, die man haben kann, werden erfüllt – solange der Bürger in der von Vernetzung und Anfängen künstlicher Intelligenz geprägten Gesellschaft tut, was die herrschende Elite wünscht …

Eines Tages wird die heile Welt Gareth Lavalles zerstört: Man stellt Lungenkrebs bei ihm fest. Doch Gareth kommen Zweifel: Sein Untersuchungsergebnis weist ihn als kerngesund aus – Warum macht man ihn also etwas vor? Eine Terrororganisation kidnappt Lavalle und rettet ihm so das Leben: Denn er ist ein Klon von Professor Troy Dryer, ein lebendes Ersatzteillager – und seine Lunge wird benötigt. Der an dem Projekt Sphinx__2, der ersten lernfähigen, wahren künstlichen Intelligenz arbeitende Dryer ist von größerer Bedeutung.

Offensichtlich ist Gareth seinen Häschern doch nicht entkommen: Das Buch beginnt mit dem Verhörprotokoll des Delinquenten Gareth Lavalle, der gefesselt auf einem Metallstuhl sein Ende erwartet …

_Der Autor_

Der 1927 im Wien geborene Herbert W. Franke kann auf ein sehr weites Gebiet von Tätigkeiten zurückblicken: Als studierter Physiker, Mathematiker, Chemiker, Psychologe und Philosoph sowie als Höhlenforscher dürfte man dies beileibe nicht als Übertreibung auffassen. Seit 1980 ist Franke Mitglied des Deutschen PEN-Clubs, im selben Jahr wurde ihm auch der Berufstitel Professor vom Österreichischen Ministerium für Unterricht und Kunst verliehen.

Seine ersten Science-Fiction-Geschichten erschienen im Jahre 1953, seit 1957 ist Franke freier Schriftsteller. Zu seinen Werken zählen unter anderem „Der Orchideenkäfig“ (1961), „Die Stahlwüste“ (1962), „Einsteins Erben“ (1972), zuletzt erschien nach einigen Sach- und Fachbüchern 1990 „Spiegel der Gedanken“.

Der Roman „Sphinx__2“ erscheint somit 14 Jahre nach seinem letzten Werk und scheint der Auftakt zu einer neuen Schaffensphase zu sein, der unter dem Arbeitstitel „Cyber City Süd“ laufende nächste Roman wird bereits 2005 (wieder bei |dtv|) erscheinen.

_Eine faszinierende Zukunft – solange man nicht hinter die schöne Fassade blickt_

Künstliche Intelligenzen und Gentechnik sind moderne Spekulationsgebiete für SciFi-Autoren: Neue Möglichkeiten, sowohl Fluch als auch Segen. H. W. Franke zeichnet ein beklemmendes Bild: Totale Vernetzung – totale Überwachung. Totale Kontrolle der breiten Masse durch eine kleine Oberschicht, die das Volk in Elend außerhalb ihrer Paradiese leben lässt und seine Bürger im Inneren mit allen erdenklichen Vorzügen bei Laune hält.

Dies alles ist unserem Helden Gareth nicht bewusst – erst sein Kontakt zu den Rebellen (Terroristen für die Gegenseite) öffnet ihm die Augen. Doch auch diese sind nicht uneigennützig. Zum Dank für seine Errettung vor der Ausschlachtung seiner Lunge soll er an Stelle Troy Dryers für die Rebellen arbeiten … und Sphinx__2 ausspionieren. So erzählt man ihm zumindest. Nur dank seiner Geliebten erfährt er vom perfiden Haken des Plans: In Wahrheit möchte man ihn gegen einen wichtigeren Agenten austauschen …

Dieser erste Teil des Buches (Gareth) vereinigt sich am Ende mit dem zweiten Teil (Troy) zu einem logischen Ende, das jedoch den Leser zuerst lange Zeit im dunklen tappen lässt.

Troy Dryer wird im zweiten Teil des Buches den Leser mit der KI „Sphinx__2“ und ihrer Entwicklung bekannt machen. Diese regelt nach und nach alle Aspekte menschlichen Lebens, ist allgegenwärtig – und auch oberster Stratege des Militärs. Oberste Maxime, ganz im Sinne Asimovs: Sphinx__2 tut alles zum Wohlergehen der Menschheit. So verhindert Sphinx__2 Kriege, indem es Soldaten über die Nahrung mit Glückshormonen und Drogen vollpumpt, so dass ein Krieg zum gemeinsamen Kartenspiel mit Gartenparty mutiert. Durchaus positiv, nicht wahr? Sogar für das persönliche Glück seines Schöpfers Dryer sorgt Sphinx__2 – es nimmt die eigene Weiterentwicklung selbst in die Hand … und somit der Menschheit zu ihrem eigenen Besten vollständig ein seit jeher heiliges Ideal: Die Freiheit.

_Fazit_

Mir persönlich gefiel der zweite Teil wesentlich besser, er schweift oft ins Philosophische ab und ist interessanter als das blinde Herumtappen des ersten Teils, der sich dadurch oft ohne erkennbare Handlung in die Länge zieht und recht zäh in diese Welt einführt.

Das ist ein Problem des thematisch hochinteressanten Romans: Bis er in Gang kommt, könnte man bereits das Interesse verloren haben. Daran kann auch der recht originelle Beginn bei der geplanten Exekution Gareths nichts ändern. Die interessantesten Persönlichkeiten sind die junge KI und Troy Dryer – zu keiner anderen konnte ich eine wirkliche Beziehung, Sympathie oder Antipathie, aufbauen. Der lahme Start hat den Nachteil, den Leser, bis sich der zweite Teil mit dem Ende vereint und einen Bogen zum Beginn schlägt, gehörig zu langweilen. Frankes wirklich hervorragende und hochinteressante Gedanken gehen so leider lange unter! Der Roman ist ein lupenreiner Spätzünder für geduldige Leser.

Einen Rüffel hat der Klappentext des sauber lektorierten Romans verdient: „Der große Gentechnik-Roman des wohl bekanntesten deutschen SF-Autors.“ Dazu noch ein vergällendes Zitat der „Zeit“: „Unter den deutsch schreibenden SF-Autoren ist Herbert W. Franke der prominenteste. Naturwissenschaftler von Haus aus, hat er eine Theorie der Science-Fiction entwickelt, die sich in ihrem pädagogischen Ernst von anderen, mehr spielerischen Deutungen stark unterscheidet.“

Gentechnik spielt eine Rolle, aber hier wird ein völlig falsches Bild des Romans erschaffen. Der „pädagogische Ernst“ gibt dem Roman einen staubtrockenen Touch, dem der Mief eines Vorlesungssaals anhaftet – das hat er nicht verdient. Rein aus persönlicher Sicht verwundert mich auch die Darstellung als bekanntesten deutschen SF-Autoren – sind Eschbach und Marrak mittlerweile nicht populärer als der in den letzten Jahren auf diesem Gebiet eher ruhige Franke?

Von diesem bemüht-misslungenen Marketing abgesehen, ist der durchaus gelungene Roman ambivalent zu sehen:

Tolle Ideen und Visionen, die jedoch erst viel zu spät wirklich zünden. Eigentlich schade, denn mit etwas mehr Elan und weniger hinhaltender Verwirrung zu Beginn hätte das Buch ein echter Hit werden können.

http://de.wikipedia.org/wiki/Herbert__W.__Franke

Winkler, Dieter – verschollene Stadt, Die (Wolfgang Hohlbeins Enwor – Neue Abenteuer 2)

Auf dem Buchrücken von „Die verschollene Stadt“ wird nur Wolfgang Hohlbein genannt, und auch das Cover ziert sein Name ziemlich groß, ehe dann weiter unten ziemlich klein gesagt wird, das Buch sei „von Dieter Winkler“. Der „deutsche Stephen King“, für jeden Verlag ein Zugpferd, erhält hier aber zu Recht so viel Aufmerksamkeit, denn schließlich stammen die ersten zehn Romane der Enwor-Saga von ihm, wiewohl auch Winkler eine Aktie am Ganzen hat; alles nachzulesen in Hohlbeins Vorwort, mit dem sich sein Beitrag zu diesem Buch jedoch erschöpft. Die folgenden 330 Seiten fast totaler Action hat Winkler und nur Winkler verfasst; der jedoch nutzt wiederum Hohlbeins Ideen zu ihrer gemeinsam kreierten Welt.

Leider zauberte die Reziexe-Fee diesmal nur den zweiten Band einer Trilogie (?) aus ihrem spitzen Hut – mir fehlt die Kenntnis über den Vorläufer [„Das magische Reich“, 204 und „Die verschollene Stadt“ bricht mitten im Ungeklärten ab. Schade, denn die Handlung ist so spannend, dass ich gern gewusst hätte, wie alles ausgeht; falls die Fee nicht noch einmal zaubert, muss ich mich halt zum Buchladen schleppen. Das Buch ist so schlecht nicht; für deutsche Fantasy ist es sogar sehr gut, wenngleich man keinen erzählerischen oder gar philosophischen Tiefgang erwarten darf – Winkler will unterhalten, und das gelingt ihm bestens.

Auch wer den ersten Teil nicht kennt, kommt schnell in die Handlung hinein: Daart und Carnac, zwei Satai-Sjen (Schüler einer Kriegerkaste) haben im Reich Nyingma einen Auftrag des Hohen Rates der Satai erfüllt. Sie mussten sich dabei der gefährlichen Göttin/Zaubererin Nubina erwehren, was Daart auch stark verändert hat. Mit sich führen sie den Magier Zar’Toran – als Gefangenen. Daart kennt den Mann schon lange und verabscheut ihn, weil Zar’Toran ihn in seiner Kindheit zum Guhulan machen wollte, dem Mitglied einer Feuersekte … Ja, etwas schwierig, wenn man von ENdWORld (Nord- und Mittelamerika einer fernen Zukunft) keine Ahnung hat, aber man findet sich nach und nach zurecht. Zar’Toran ist jedenfalls nicht wirklich ein Gefangener, denn wer wollte schon einen mächtigen Magier gegen dessen Willen festhalten? – Als Daart und Carnac auf ein kleines Heer treffen, geführt von ihrem alten Kameraden, dem Satai Jacurt, sind sie zuerst froh, aber die Hilfe erweist sich als keine: Jacurt nimmt sie gefangen und behandelt sie recht unschön. Der Leser durchschaut das Intrigenspiel ebenso wenig wie Daart, der personale Er-Erzähler, der eben auch nicht alles weiß. Das macht aber nichts, Winkler lässt sowieso kein Grübeln aufkommen, sondern schreibt die beiden Satai-Sjen aus einem Abenteuer ins nächste. Daart verliert das Bewusstsein; als er wieder zu sich kommt, liegt er mitten in einer unterirdischen Stadt; ein Kampf tobt, aus dem er und Carnac nur mit Mühe entkommen; später treffen sie auf die legendären Satai Skar und Del (die Hauptfiguren der ersten Enwor-Bände?). Die beiden sind zwar eigentlich schon lange tot, doch in dieser Stadt unter der Erde läuft die Zeit anders. Eternity ist das letzte Relikt aus den Tagen, in denen die Alten gegen die Sternengeborenen kämpften (Hintergrund des ganzen Zyklus). Natürlich hat es Daart nicht zufällig dorthin verschlagen, denn irgendwo ist ein mächtiges Amulett zu finden, an dem alle interessiert sind: der Schlüssel zur Macht über die Welt.

Man überlasse sich getrost dem Einfallsreichtum des Autors: Er führt einen stetig vorwärts, klärt auf, was geklärt werden muss, und deutet genug an, um die Spannung ständig zu steigern. Einige „Wie jetzt?“-Episoden sind im Ganzen des Romans schlussendlich sinnvoll, und die immer noch rätselhaft sind, werden es am Ende der Reihe wohl auch nicht mehr sein. Ansonsten ist alles f-tauglich: Queste und Liebe, Magie und Mysterien, Gefahr und Gemetzel, Verrat und Treue, Verderben und Rettung; Sword and Sorcery, die sich sehen lassen kann, geradlinig und schnörkellos erzählt. Prädikat: zugfahrtgeprüft und für gut befunden. Strich drunter; ich warte, wie es weitergeht.

_Peter Schünemann_ © 2004
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ veröffentlicht.|

Disher, Garry – Willkür

Wyatt, inzwischen 40 Jahre alt, kann auf eine 20-jährige Karriere als Berufsverbrecher zurückblicken. Er hatte „klein angefangen, sich zunehmend vervollkommnet, um mit ungefähr dreißig dann ehrgeizigere Vorhaben anzupacken – Banken, Lohngelder, Goldvorräte.“ Jetzt steckt er in einer kritischen Phase: Verschiedene Coups waren in der jüngsten Vergangenheit schief gegangen und ihm fehlt das Geld, weitere Coups vorzubereiten. Zu allem Überfluss hat das Syndikat ein Kopfgeld auf seine Liquidierung ausgesetzt und das macht down-under zu einem gefährlichen Pflaster für ihn.

|“Nicht zum ersten Mal musste er wieder bei null anfangen, doch aus irgendwelchen Gründen stellte er seit neustem langfristige Überlegungen an.“|

Und Wyatt hat noch eine offene Rechnung mit dem Mescis-Clan zu begleichen. Sie hatten ihn in der Vergangenheit um 200.000 Dollar betrogen (von dem im dritten Wyatt-Roman [„Hinterhalt“ 613 erzählt wurde). Wyatt nimmt Kontakt über den pensionierten Berufsverbrecher Rossiter zu seinem alten Partner Frank Jardine auf. Gemeinsam stören die beiden erst mal die operativen Geschäfte des Syndikats, um einerseits die Aussetzung des Kopfgeldes auf Wyatt zu erreichen und andererseits einen Vorschuss für die Ausschaltung des Mescis-Clans zu bekommen. Aber ihre Pläne kollidieren mit den Interessen anderer, die gänzlich andere Absichten verfolgen:

|“Bisher war immer der Ertrag das bestimmende Motiv seines Handelns gewesen. Diesmal jedoch hatten sich zusätzlich Rachegedanken Einlass verschafft.“|

_Victor und Leo Mesic:_ Nach dem Tod des Vaters, dem Clanchef Karl Mesic, droht den beiden Brüdern der Verlust ihrer lukrativen Geschäfte, weil Konkurrenten ihre Schwäche auszunutzen versuchen.

_Bax:_ Der korrupte Detective steht auf der Lohnliste des Mesics-Clans und ist heimlicher Geliebter der Ehefrau von Leo, Stella Mesic. Bax fürchtet nichts mehr als den Verlust seines Lebenstandards, nämlich teure Klamotten und schnelle Autos.

_Rossiter:_ Der ehemalige Berufsverbrecher hat sich aus seinen früheren, erfolgreichen kriminellen Geschäften zurückziehen müssen, als ein Killer ihn übel zurichtete, um Wyatts damaligen Aufenthaltsort herauszubekommen. Eillen, seine Ehefrau, und Niall, sein Sohn und Neonazi, sind deshalb gar nicht gut auf Wyatt zu sprechen.

_Napper:_ Der korrupte Sergant ist geschieden und die Alimentenzahlungen an seine Frau und Tochter haben ihn an den Rand des finanziellen Ruins gebracht. Er sucht verzweifelt Geldquellen, um die sich türmenden Rechnungen bezahlen zu können.

|“Wollte er für den Rest seines Lebens so weitermachen? Würde seine Courage ihm treu bleiben? Wenn er aufhörte zu arbeiten (ein Ende durch Festnahme, Verletzung oder Tod fand keine Berücksichtigung in seinen Erwägungen), besäße er dann ein hinreichend dickes finanzielles Polster für ein angenehmes Leben?“|

Garry Disher erzählt einen komplexen Plot aus den unterschiedlichen Perspektiven seiner Protagonisten. Souverän verknüpft er dabei die einzelnen Erzählstränge, er wechselt Schauplätze und Perspektiven, beschleunigt und bremst das Tempo und man folgt gespannt und fasziniert seinen Geschichten. Disher erschafft lebendige, unverwechselbare Charaktere, deren Schicksal uns bis zum bitteren Ende fesselt. Die zunächst ruhig dahinfließende Geschichte verdichtet sich mehr und mehr bis hin zu einem furiosen Finale. Garry Disher erzählt seine Geschichte sehr filmisch, knappe Beschreibungen, knappe Dialoge. Sein Stil ist lakonisch, trocken und trotzdem packend. Beeindruckend ist die düstere, |hardboiled| Atmosphäre und die Zwangsläufigkeit, mit der die verschiedenen Interessen der Protagonisten sich in einem großen, explosiven Finale entladen.
Dishers Roman zeichnet sich aber auch durch Ironie, Humor und Persiflage aus. Napper, die heimliche Hauptfigur, wird bis an den Rand der Lächerlichkeit geführt und doch ist er es, der die Zündschnur in Brand setzt.

|“Er schüttelte den Kopf. Ich unterscheide mich nicht im Geringsten von anderen Männern meines Alters, dachte er, mache mir Gedanken über die Jahre bis zum Ruhestand, bis zum Tod.“|

Garry Dishers Wyatt-Romane stehen in der Tradition Donald E. Westlakes, der in den 60er Jahren Furore mit seinen Romanen um den professionellen Dieb Parker machte. Dishers Protagonisten sind ebenfalls Kriminelle und korrupte Bullen. Disher zeichnet dabei seine Figuren als gewöhnliche Menschen mit normalen privaten und beruflichen Problemen. Wyatt plant nicht den großen Coup, sondern sein krimineller Job dient dem ganz normalen Broterwerb. Seine jüngsten Fehlschläge bedrohen seine Unabhängigkeit und zum ersten Mal macht Wyatt sich Sorgen um seine Zukunft. Deutlicher als in seinen früheren Romanen gibt Disher Wyatt menschliche Züge. Er ist nicht mehr der eiskalte Profi, dem niemals Unsicherheit oder Zweifel an seinen Fähigkeiten, eine riskante Situation zu meistern, zu schaffen machen. Wyatt wird zunehmend bewusster, dass er ein Anachronismus in den Zeiten von Kreditkarten und elektronischen Geldtransfers ist, mit seinem Bestreben, ausschließlich Bargeld bei seinen Überfällen zu erbeuten. Mit Wyatt hat Disher eine faszinierend ambivalente Figur geschaffen, die man wider Willen sympathisch findet.

„Willkür“ wird in einem Sog erzählt, der den Leser mitreißt und ihn nicht ruhen lässt, bis die 250 Seiten verschlungen sind. Ein absoluter page-turner. Wyatt macht süchtig … nach mehr Geschichten von Wyatt.
Garry Disher beweist mit seinem vierten Wyatt-Roman seine große Klasse. Er muss einen Vergleich mit dem großen Donald E. Westlake nicht scheuen. Unbedingt empfehlenswert!!!

_Claus Kerkhoff_
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Koff, Clea – Knochenfrau, Die

Clea Koff ist seit jeher eine „Knochenfrau“. Schon als junges Mädchen sammelt die Tochter die Überreste überfahrener oder anderweitig umgekommener Tiere, um sie intensiv zu studieren. 1992 liest sie ein Buch über forensische Pathologie und erkennt ihren Lebenstraum: Sie möchte lernen, aus Menschenknochen die Geschichte verstorbener Menschen zu „lesen“ bzw. zu rekonstruieren.

Für diesen Job gibt es reichlichen Bedarf. Jedes Skelett, das nicht auf einem regulären Friedhof ruht, könnte das Relikt eines Verbrechens sein. Ganz sicher trifft dies auf sorgfältig verborgene Massengräber zu, welche die kriminelle Diktatoren dieser Welt mit Leichen füllen, als habe es den Terror der Nazis und andere Schreckensherrschaften niemals gegeben.

Im afrikanischen Ruanda ermordeten 1994 die Hutu binnen eines Monats in einer Orgie der Gewalt 800.000 Tutsi. Der systematische Massenmord an völlig unschuldigen Menschen, die bisher Nachbarn, nicht selten sogar Verwandte waren, war dem herrschenden Regime außerordentlich unangenehm, denn der Zorn derer, die dieses Verbrechen nicht ungeahndet sehen wollten, konnte sich nachteilig auf zukünftige Auslandsgeschäfte und Entwicklungsgeldzahlungen auswirken. So durften anderthalb Jahre nach dem Gemetzel Ermittler der Vereinten Nationen einreisen. Sie exhumierten und obduzierten halb verweste Leichen, um Beweise gegen die Anstifter des Massenmordes zu sammeln.

Unter ihnen: Clea Koff, gerade 24 Jahre alt, die einen buchstäblich knochenharten Einstieg in ihren Traumjob erfährt. Ihr wissenschaftliches Interesse und der Drang, den Opfern für ihre ratlosen, verzweifelten Angehörigen und die Gerichte wieder ein „Gesicht“ zu geben, lassen sie trotz des enormen Stresses, den der grausige „Job“ mit sich bringt, nicht nur durchhalten, sondern sich bewähren: Koff entwickelt sich zu einer „Spezialistin“ für Massengräber.

Deshalb wird sie nach ihrem Ruanda-Einsatz zu einer Stätte gerufen, die ihr und den Kollegen Arbeit für viele Jahre garantieren wird: Im ehemaligen Jugoslawien hetzten dubiose „Führergestalten“ ihre Landsleute zum systematischen Massenmord auf. In Serbien, in Kroatien, im Kosovo ließen sie Menschen, die sie zu „feindlichen Soldaten“ oder „Partisanen“ erklärten, wegen ihres Glaubens hassten oder weil sie sich schlicht ihren Besitz aneignen wollten, zusammentreiben, abschlachten und in anonymen Großgräbern verschwinden. Aber die Rechnung geht nicht auf: Die in Afrika „geschulten“ UN-Ermittler finden die Toten und fördern sie, die zum Schweigen gebracht werden sollten, wieder ans Tageslicht, wo sie endlich ihr Recht fordern können.

Dieser Drang zur postumen Gerechtigkeit (oder wenigstens ihre Möglichkeit, denn tatsächlich können sich Diktatoren und Massenmörder gute Anwälte leisten …) gibt Clea Koff denn auch die Kraft zum Durchhalten. Die wünscht man ihr wirklich, wenn man zunehmend fassungslos ihre Schilderungen verfolgt. Außerdem ist es wichtig zu verstehen, wieso es Menschen wie Koff gibt, die eine Arbeit leisten, die ganz und gar menschenwürdig und deren Sinn zunächst schwer zu verstehen ist.

Denn wie schafft es ein Mensch, täglich und immer wieder einen Berg fauliger Leichen abzutragen? Die abstrakte, wissenschaftliche Faszination, welche der Forensik innewohnt, ist da verständlicherweise nur bedingt hilfreich. Immer wieder schildert Koff daher Momente, in denen die furchtbare Realität den Schutzpanzer forscherlicher Objektivität durchbricht. Dann müssen andere Argumente die Kraft zum Weitermachen liefern.

Clea Koff und ihre Kolleginnen und Kollegen sehen sich auf einer Mission. Sie tun einen Job, von dem die Massenmörder glaubten, dass niemand ihn leisten würde. Ermorde die Menschen, die dir lästig sind, und lasse sie von der Bildfläche verschwinden, dann hast du deine Ruhe und kannst behaupten, sie seien „untergetaucht“ und an unbekannter Stelle noch am Leben, bis im wahrsten Sinn des Wortes Gras über die Sache gewachsen ist: Es hätte klappen können, wenn es die UN-Forensiker nicht gäbe. Sie entreißen der Erde ihre schmutzigen Geheimnisse und liefern Beweise, die vor Gericht standhalten. Eine Liste derjenigen Verbrecher, die sich sicher wähnten und doch überführt wurden, legt Koff als Anhang vor; prominente „Politiker“ sind darunter, die letztlich doch überführt und bestraft wurden.

Nicht nur die Gerichte warten auf Beweise. Die Ermordeten standen selten allein auf der Welt. Sie sind verschwunden und ließen verzweifelte Hinterbliebene zurück, die nur ahnen konnten, was mit ihnen geschah. Clea Koff begegnet immer wieder Eltern, Kindern, Ehegatten, die um den Leichnam oder wenigstens einen Knochen ihres Angehörigen bitten, um etwas beisetzen und betrauern zu können. Aus einer Forensikerin musste zwangsläufig eine Therapeutin werden – eine schwierige Aufgabe, für die sie nicht geschult war und die den so dringend notwendigen Abstand zur Arbeit zu zerstören drohte.

Die schwierige, weil abschreckende Geschichte, die Koff erzählen will, gibt sich betont sachlich – eine gute Entscheidung, weil die Fakten für sich selbst sprechen. Aufgesetzter Grusel wäre fehl am Platze und würde die Leser wohl auch verschrecken: Zwar ist es wichtig, um die traurige Realität von modernen Massenmorden zu wissen, doch ist niemand verpflichtet, wie Koff dem unverhüllten Grauen entgegen zu treten. Deshalb wurden auch die Fotos sehr sorgfältig ausgesucht. Sie verhüllen nichts, aber sie schwelgen nie in Details; ohnehin sind sie kaum erträglich.

Koff macht keinen Hehl daraus, dass die Welt der UN-Forensiker keine heile ist. Das liegt zum einen an der enormen seelischen Belastung, die eine solche Arbeit – zudem in der Regel unter primitiven Bedingungen und nur mit viel Improvisation durchzuführen – mit sich bringt. Andererseits sind auch Wissenschaftler nicht über Konkurrenzdenken, akademischen Futterneid und andere allzu menschliche Schwächen erhaben. Geöffnete Massengräber werden von den Medien gern zur Kenntnis genommen, Politikprominenz schätzt sie ebenfalls, weil an der Grabkante getätigten Äußerungen mehr Aufmerksamkeit als üblich gezollt wird. Auch für die an den Grabungen beteiligten Wissenschaftler fällt ein wenig Ruhm ab, den so mancher eifersüchtig für sich beansprucht, um sich als „Fachmann“ zu profilieren. Ein solcher Ruf lässt sich durchaus kommerziell nutzen.

In gewisser Weise stellt Clea Koff keine Ausnahme dar. Sie hat ein Tagebuch über ihre Einsätze geführt, das die Grundlage für „Die Knochenfrau“ darstellt. Dieses Buch erscheint zeitgleich in sieben Ländern. Dass Koff jung und ausgesprochen ansehnlich ist, schadet auch nicht. Sie taucht nun vermehrt in der Presse und im Fernsehen auf, ist selbst in den kleinen Kreis prominenter Forensiker aufgestiegen, die sie einst aus der Ferne bewunderte.

Freilich ist dies eine eher moralphilosophische Deutung. Ruhm führt zu Aufmerksamkeit, aus Aufmerksamkeit kann Unterstützung erwachsen. Clea Koff steht zudem weiterhin ihre Frau in übel riechenden Massengräbern. Für allen Ruhm der Welt möchte man nicht mit ihr tauschen. Ohnehin gibt es kein „Happy-End“, wie die Verfasserin keineswegs verschweigt: Zwar konnte dank Clea Koff und anderer UN-Ermittler so manche Massenmörder überführt und verurteilt werden. Doch auch Diktatoren sind lernfähig: Sie morden wie eh’ und je, nur dass sie heute dazu übergehen, ihre Opfer nicht mehr einfach zu begraben. Die Leichen werden verbrannt oder aufwendig anderweitig vernichtet, um den lästigen Clea Koffs dieser Welt einen Strich durch die Rechnung zu machen. Aber diese stellen sich auch darauf ein und werden nicht nachlassen, ihrem schwierigen, furchtbaren, wichtigen Job nachzugehen.

Clea Koff wurde 1972 als Tochter eines englischen Vaters und einer ostafrikanischen Mutter geboren. Ihre Eltern sind bekannte Dokumentarfilmer, so dass sie schon als Kind ständig auf Reisen war. Sie lebte in Ostafrika, Europa und in den USA, wo sie ihr Studium (Anthropologie/forensische Anthropologie) absolvierte. Ab 1996 arbeitete sie für das UN-Kriegsverbrechertribunal in Bosnien, Kroatien und im Kosovo. Bis heute war Clea Koff – die abwechselnd in Los Angeles und Melbourne, Australien, lebt – an sieben Einsätzen beteiligt.

May, Karl / Sudhoff, Dieter (Hrsg.) – Zwischen Himmel und Hölle. Karl May und die Religionen

Das Thema Religion zieht sich durch das Gesamtwerk Karl Mays wie ein roter Faden, wobei dies in der Vergangenheit sehr wenig thematisiert wurde. Der |Karl May|-Verlag beginnt mit diesem Band nun allerdings diese Rezeption auf eine umfassende und innovative Art, die erst den Anfang für eine neue Herangehensweise an den bedeutenden deutschen Literaten bildet, der, wie in der Einleitung vermerkt, noch weitere Forschungen folgen werden.

Zwar ist bekannt, dass May seine Reisen erfunden hatte und die fernen Länder gar nicht kannte, allerdings zeigt die vorliegende Sammlung, dass er um so mehr das zu seiner Zeit vorliegende Material zu Religionsgeschichte der Völker aufs Gründlichste studiert hatte. Er selbst war Christ, aber kein Kirchenchrist und in seinem Werk lehnte er die Missionierungen des Christentums aufs Entschiedenste ab. Liest man seine Bücher, springt einem stattdessen eine tiefe theologische Auseinandersetzung mit „fremden“ Religionen förmlich entgegen, die sich in den Dialogen seiner literarischen Figuren spiegelt. Schon in seinem Frühwerk diskutiert das Christliche als „Kara Ben Nemsi“ mit „Hadschi Halef Omar“ oder „Old Shatterhand“ mit „Winnetou“. Natürlich bleibt May immer Christ, aber die Toleranz, die er anderen Religionen entgegenbringt, war für seine Zeit Aufsehen erregend.

Ähnlich vielleicht wie Lessing in seinem „Nathan der Weise“, sieht er die Gemeinsamkeit der Sprache des Herzens und der inneren Spiritualität, auf welcher Religionen in ihrer Essenz beruhen. Sicherlich hatte auch das reformerische Denken der |Theosophischen Gesellschaft| sehr viel für seine Sichtweise beigetragen. Millionen Deutsche bezogen rein über die Abenteuergeschichten Karl Mays ihr Wissen über andere Religionen. Er hat die heute vorhandene Ökumene schon lange vor ihrer Zeit gepredigt und darf als einer der Väter des ökumenischen Denkens gesehen werden.

Auch in politischer Hinsicht hat sein Werk nach wie vor aktuelle Bezüge. Die Glaubenskriege zwischen Islam und Christentum sind seit dem Golfkrieg wieder so prekär wie damals. Und Karl May war politisch. Er wandte sich, gegen den damaligen Trend, in seinen Romanen scharf gegen den internationalen Kolonialismus und Imperialismus. Es geht ihm um den Frieden der Völker, den Verzicht auf Gewalt und in diesem Zusammenhang um den Ausschließlichkeitsanspruch des Christentums und dessen Beziehungen zu anderen Religionen. Wurde sein Frühwerk noch in katholischen Zeitungen in Fortsetzungen veröffentlicht, war das mit seinem Spätwerk nicht mehr der Fall. Diese Titel wie „Frieden auf Erden“, „Winnetous Erben“ oder sein literarisches Meisterwerk „Ardistan und Dschinnistan“ kam gar auf den Index der Inquisitionsbehörde des Vatikans. In diesen Büchern entwickelte er seine eklektische philosophische Spiritualität mit ihrer neuen Geistes- und Seelentheorie auf hohem religiösen Niveau, immer aber auch psychologisch, sozial und politisch motiviert. Solange der Mensch sich mit anderen um Gott und Gottes Liebe streitet, sah er das Göttliche bei diesen verloren. Wer seinen Feind hasst, verzichtete seiner Ansicht nach auf die beste Waffe, diesen zu besiegen.

Dem Vatikan war er gefährlich geworden, denn er wies in seinen Dialogen – in welchem er zwar das Christentum vertrat – immer darauf hin, dass dort, wo die Christen regieren, historisch mehr Blut geflossen ist als in den Ländern anderer Religionen. Einem jugendlichen jüdischen Leser, der ihm schrieb, zum christlichen Glauben aufgrund Mays Bücher überwechseln zu wollen, riet er, besser einmal erst den jüdischen Glauben richtig zu studieren („Ich sage dir als aufrichtiger und gewissenhafter Christ: der Glaube deiner Väter ist heilig, ist groß, edel und erhaben. Man muss ihn nur kennen und verstehen. Seinen Glauben wechselt man nicht einiger Bücher wegen“). Neben dieser unverhohlenen Positionierung sah die katholische Inquisition in Karl May aber noch mehr einen modernen Ketzer, der den Spiritismus, Pantheismus und Monismus als Irrlehre verbreitete.

Dem Leser dieser Zusammenstellung bietet sich eine Einführung in die Grundzüge der Religionen – der indianischen Naturreligion, des Islams in all seinen Facetten (den Yezididen war May z. B. sehr verbunden), aber auch der polynesischen, südamerikanischen und asiatischen Kulturen. Wobei sein Wissen über die chinesischen Religionen wie Daoismus, Konfuzianismus und Buddhismus nicht an die Kenntnisse der indianischen und islamischen Kultur heranreicht. Belegt sind seine Ansichten durch reichhaltige Auszüge aus seinem Gesamtwerk und es bereitet besondere Freude, sie unter neuem Blickwinkel erneut im Zusammenhang zu lesen. Für mich war es als einem, der Karl May in der Jugend verschlungen hatte, sehr reizvoll, ihn nun im Alter noch einmal auf ganz neue Weise wiederzuentdecken. Aber auch der nicht mit Karl May vertraute Leser müsste aus religionsgeschichtlichem Interesse mit dem im vorliegenden Buch Gebotenen durchaus zufrieden sein.

Informationen über Karl May bei |wikipedia|: http://de.wikipedia.org/wiki/Karl__May (mit weiterführenden Verlinkungen ins Netz)