
Mit diesen Worten auf dem Buchrücken kündigt sich der neue Thriller von Sebastian Fitzek an – dem Meister der irren Wendungen. Wobei er dieses Mal ein wenig vom Muster abweicht, denn eine Wendung, die alles auf den Kopf stellt, gibt es direkt im ersten Kapitel: Hier lernen wir Strafverteidigerin Sarah Wolff kennen, die einen Ausflug nutzen will für eine ernste Aussprache mit ihrem Mann Ralph. Mit dabei ist auch die gemeinsame Tochter Ruby. Angekommen in der einsamen Waldhütte, muss Sarah allerdings feststellen, dass Ralph nicht der Mann ist, den sie gedacht hatte zu kennen. Denn bei ihm handelt es sich um einen gesuchten Straftäter…
Die eigentliche Handlung spielt einige Jahre später, als Sarah und Ruby in Berlin wohnen. Sie hofft, damit Ralph aus dem Wege gehen zu können, der nun bald aus dem Gefängnis entlassen wird – eine Falschaussage ihrerseits hatte dazu beigetragen, dass er seinerzeit verurteilt wurde. Daher befürchtet sie, dass er Rache an ihr oder Ruby üben würde.
Sarah leidet an Monophobie – der Angst, alleine zu sein. Doch das ist nicht das einzige Trauma, das sie in ihrem Leben zu bewältigen hatte. Als Vierjährige gab sie ihrem kleinen Bruder ein „Bonbon“, um ihn zu beruhigen. Allerdings war es kein Bonbon, sondern eine Knopfbatterie, die die Speiseröhre verätzt und zu schweren inneren Blutungen und zum Tod ihres Bruders geführt hat.
In Berlin ist sie in psychologischer Behandlung bei Dr. Elke Reiners, mit deren Tochter Marion Sarah eng befreundet ist. Schon seit Teenagertagen ist sie bei ihr in Behandlung. Im Zuge der Therapie hat Sarah ein sogenanntes Dunkelbuch angelegt – ein Buch, in dem sie offen schreibt, was sie denjenigen wünscht, die sie im Laufe ihres Lebens verletzt haben. Ein Lehrer, der sie vor der versammelten Klasse vorgeführt hat, oder eine Mitschülerin, die sie von einer Party ausgeladen hat.
Mit der Zeit stellt Sarah fest, dass in ihrer Wohnung merkwürdige Dinge vor sich gehen – mal tauchen Einkäufe auf, die sie nicht geschafft hatte zu erledigen. Oder es wurden Sachen weggeräumt. Später verschwindet eine Leiche spurlos, und dann muss Sarah erkennen, dass jemand sich die Personen in ihrem Dunkelbuch vornimmt und Rache übt. Doch woher stammt der Nachsatz im Dunkelbuch, der sich auf Ruby bezieht??
Du bist niemals allein
Eigentlich hat Sarah Angst vor der Einsamkeit, aber dabei ist sie niemals allein, denn ein „Nachbar“ passt auf sie auf, beschützt sie, erledigt Einkäufe und räumt vor allem unliebsame Personen für sie aus dem Wege. Sarah allerdings verzweifelt an sich selbst und traut ihrem eigenen Verstand nicht, denn wie etwa konnte die Leiche in ihrem Haus komplett verschwinden? Da ihre Aussagen so widersprüchlich sind, glaubt ihr auch die Polizei nicht.
Wie üblich schickt Sebastian Fitzek uns auf ein verwirrendes Katz-und-Maus-Spiel. Immer nur deutet er an, dass etwas nicht so ist, wie es scheint. Nie passen die Puzzlestücke, die er uns zur Verfügung stellt, zusammen. Immer gibt es eine Ecke, die heraussteht und nicht zu den anderen Teilen passt. Man rätselt, möchte hinter das Geheimnis blicken und bleibt dennoch irgendwie ratlos.
Im Epilog scherzt er selbst über die Cliffhanger in seinen Büchern – und genau die sind es auch, die die Lektüre ausmachen. Immer wieder muss man weiterlesen, immer wieder endet eines der vielen kurzen Kapitel mit einem Rätsel, das man entschlüsseln möchte. Und immer weiter steigt die Spannung dadurch an, zumal dann mit der Zeit auch die sympathischen Menschen in das Fadenkreuz des Nachbarn geraten. Kann Sarah die Rätsel rechtzeitig entschlüsseln, um ihre Tochter zu retten? Man muss es einfach wissen, zumal auch der Nachbar Sarah immer näher und näher kommt.
Ein Verwirrspiel
Auch in seinem neuesten Thriller bleibt Sebastian Fitzek sich treu: Er erzählt eine spannende Geschichte, die einen von der ersten Seite an in den Bann schlägt und erst dann loslässt, wenn man das Buch ausgelesen und (hoffentlich) alle Rätsel entschlüsselt hat. Was seine Storys auszeichnet, sind die „Seltsamkeiten“ – Dinge, die einfach nicht passen können und für die es keine Erklärung gibt – bis Sebastian Fitzek sie uns präsentiert.
Eine Lösung zu den vielen Seltsamkeiten, verrät schon der Buchtitel, denn der Nachbar ist derjenige, der für all die unerklärlichen Vorgänge verantwortlich ist. Er geht bei Sarah ein und aus, räumt faulige Lebensmittel weg, gießt die Blumen oder erledigt den Einkauf, wenn sie selbst keine Zeit dafür hat. Soweit ja erstmal ganz sympathisch. Aber dann nimmt er sich das Dunkelbuch vor und die Personen, die darin erwähnt sind. Und diese müssen dann mit ihrem Leben bezahlen.
Das Buch nimmt hier dann sehr viel Tempo auf, wozu auch die vielen kurzen Kapitel beitragen – über 80 sind es wieder in diesem nicht sehr umfangreichen Buch. Die Lösung für den Nachbarn präsentiert uns Fitzek schon fast nebenbei, wobei ich die Auflösung offen gesagt recht „lahm“ fand. Aber damit lässt er es natürlich nicht bewenden, sondern nutzt die letzten Kapitel und den Epilog, um doch nochmal mit dem gerade Präsentierten „aufzuräumen“ und seine Leser nochmal mit einem Fragezeichen zurückzulassen.
Ja, so kennen wir Fitzek. Und er liefert auch wieder ab und unterhält mit seinem Buch für zwei, drei Abende. Allerdings fällt ihm auch nicht wirklich etwas Neues mehr ein, schon lange überrascht er einen nicht mehr so, wie es ihm in den ersten Büchern noch gelungen ist. Inzwischen nutzen sich seine kuriosen Ideen etwas ab, sodass seine Bücher leider nicht nachwirken. Während ich „Die Therapie“ sicherlich dreimal gelesen habe (obwohl ich ja wusste, wie das Buch ausgeht), reizt mich nichts daran, den „Nachbarn“ ein zweites Mal zu lesen.
Auch das neueste Fitzek-Werk ist eine spannende Lektüre, seine Fans werden sicher auch wieder gut unterhalten sein. Aber wirklich innovativ finde ich seine Bücher nicht (mehr), insofern reicht es auch nicht zu einer Top-Bewertung.
Gebundene Ausgabe: 368 Seiten
ISBN-13: 978-3426281758
www.droemer-knaur.de
Der Autor vergibt: 



