Theodor Storm – Bulemanns Haus (Gruselkabinett Folge 153)

Eine gruselige Weihnachtsgeschichte von der Waterkant

Norddeutschland um das Jahr 1890: Lastet ein Fluch auf Bulemanns Haus, das verfallen und scheinbar unbewohnt die Neugier eines Fremden auf sich zieht? Angeblich hat dort einst ein Geizkragen den Zorn einer Bittstellerin auf sich gezogen und muss nun in dem verschlossenen Gemäuer eine qualvolle Existenz führen. Gesehen hat ihn bisher nur der Nachtwächter… (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörbuch ab 14 Jahren.

Der Autor

Hans Theodor Woldsen Storm (* 14. September 1817 in Husum, Herzogtum Schleswig; † 4. Juli 1888 in Hanerau-Hademarschen) war ein deutscher Schriftsteller. Mit seiner Lyrik und Prosa gehört er zu den bedeutendsten Vertretern des Poetischen Realismus. Storm ist vor allem für seine Novellen bekannt, empfand sich allerdings in erster Linie als Lyriker und sah die Gedichte als Ursprung seiner Erzählungen. Für ihn war das Erlebnis das Fundament seiner Gedichte, während er der Gedankenlyrik fernstand. Einige Verse und Novellen richten sich gegen den Adel und kritisieren die Beamtenhierarchie sowie die Verbindung weltlicher und geistlicher Kräfte.

Neben den frühen lyrisch-stimmungsbetonten Werken wie Immensee und Angelica finden sich in der Novellistik seiner mittleren und späten Jahre weitere Themen und Impulse. Zu ihnen gehören religions- und sozialkritische Ideen wie in Veronica, Im Schloß oder Ein Doppelgänger. Mit Kunstmärchen und unheimlichen Novellen wie Draußen im Heidedorf und Renate, Eekenhof und schließlich „Der Schimmelreiter“ steht sein Werk in einem Spannungsverhältnis zu Vorgaben des Realismus. (Quelle: Wikipedia.de)

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Rollen und ihre Sprecher:

Erzähler: Peter Weis
Fremder: Sascha von Zambelly
Alte: Beate Gerlach
Wächter: Bodo Primus
Organist Leberecht: Eckart Dux
Junger Leberecht: Dirk Petrick
Daniel Bulemann: Horst Naumann
Frau Anken: Dagmar von Kurmin
Bulemanns Vater: Thomas Balou Martin
Christine: Claudia Urbschat-Mingues
Christoph: Christopher McMenemy
Tote Mutter: Martina Linn-Naumann
„Knecht Ruprecht“: Michael Pan
Kinder: diverse

Die Macher

Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden bei Titania Medien Studio, bei Advertunes und in den Planet Earth Studios statt. Die Illustration trug Ertugrul Edirne bei.

Handlung

In einer Küstenstadt ragt in der Düstergasse ein dreistöckiges Haus in die Höhe. Ein Fremder fragt den Nachtwächter nach dem düsteren Haus, das irgendwie verlassen wirkt, bis auf ein Detail. Der Nachtwächter erzählt, er habe viele Tiere aus dem Haus schreien gehört, wie eine ganze Menagerie. Und da sei immer der Schatten eines alten Mannes, der an den Fenstern im dritten Stock entlang gehe. Er verweist den neugierigen Fremden an den Kirchenorganisten, einen Herrn Leberecht.

Der Seelenverkäufer

Leberecht seinerseits erinnert sich die Tage seiner Kindheit, als er für seinen Vater Botengänge erledigen musste, und einer davon führte ihn zu Daniel Bulemanns Haus. Damals nannte man den alten Bulemann einen „Seelenverkäufer“, dabei war er nur ein Pfandleiher, allerdings kein normaler. Nach dem Tod seines Vaters, eines rechtschaffenen Pfandleihers, war Herr Bulemann nach in Übersee verbrachten Jahren in seine Heimatstadt zurückgekehrt und zog in das Haus seines Vaters. Seine Frau und seine Kinder habe er auf der Überfahrt an Sklavenhändler verkauft – so erzählt man sich laut Leberecht. „Das war vor über 70 Jahren.“ Stattdessen hatte sich Herr Bulemann zwei große Katzen – Graps und Schnores – mitgebracht. In seinem Vaterhaus findet er allerlei Pfandgüter vor, die er allerdings widerrechtlich verkauft.

In den folgenden Jahren suchten ihn Pfandgläubiger auf, welche ihre Pfandgüter auslösen wollten und die er bestechen musste, damit sie sein widerrechtliches Handeln nicht ausplauderten. Er wurde immer unleidlicher und menschenscheuer, bis sein einziger Kontakt zur Außenwelt seine Haushälterin Frau Anken ist, die ihn verachtet, aber mehr noch fürchtete. Sie betrog ihn ihrerseits um die Summe, die er ihr sie für den Erwerb von Brötchen gegeben hatte.

Der Frevel

Schließlich weist er schroff seine Halbschwester Christine zurück, als sie ihn wegen ihres kränklichen Sohnes Christoph um Hilfe anfleht, und verschuldet letztlich den Tod seines Neffen. Er hat nämlich eines der Pfänder, die ihr gehören, einen silbernen Becher, zurückgehalten, die sie nun für den Wert einer Arznei zurückhaben möchte. Doch er jagt die „Bettlerin“ von seiner Türschwelle. Seine Schwester verflucht ihn, woraufhin sich die beiden Katzen nach und nach schauerlich verwandeln und ihn für immer in seinem Haus festhalten, aus dem die Haushälterin inzwischen geflohen ist.

Mit allen hat es ein schlimmes Ende genommen, erzählt der alte Leberecht, und die Spuren kann man bis heute sehen: Gräber, die Geschichten erzählen. Doch die Katzen in Bulemanns Haus kreischen immer noch, und sein Geist gehe immer noch um. Den kann sogar der Fremde sehen, und ihn schaudert. Die Kirchenglocken läuten vergebens um Barmherzigkeit…

Mein Eindruck

Auch wenn Bulemann in mancher Hinsicht an Charles Dickens‘ Mister Scrooge erinnert, ist er doch kein gewöhnlicher Pfandleiher, denn seine Habgier gewinnt stets die Oberhand über das christliche Gesetz von Sitte und Anstand. Also verkauft er die Pfänder und häuft Reichtum an. Doch der materielle Wohlstand steht in umgekehrtem Verhältnis zu seiner Menschenfreundlichkeit. Nicht nur behandelt er seine Katzen und seine Haushälterin wie Dreck, sondern nennt auch seine Halbschwester Christine eine „Bettlerin“. Ihrem kranken Sohn Christoph will er auf keinen Fall zu eine rettenden Arznei verhelfen, denn den Silberbecher, den Christine verkaufen, hat er natürlich schon längst verscherbelt. Damit vertut er seine einzige Chance auf Erlösung vom Bösen, und die Katzen wachsen zu richtigen Ungeheuern heran.

In dieser Weihnachtsgeschichte muss auch der Teufel auftreten. Scheinbar handelt es sich um „Knecht Ruprecht“, den strafenden Gesellen des Nikolaus. Der erschreckt die flüchtende Frau Anken zu Tode. Doch in Wahrheit besteht die Verkörperung des Widersachers in den beiden Katzen Graps und Schnores. Sie wachsen über alle Maßen, und ihr Wachstum beruht nicht auf der Jagd auf Mäuse, es haftet etwas Übernatürliches an ihnen. Sie jagen sogar ihrem Herrn derart große Angst ein, so dass er sich nicht mehr aus seinem Zimmer im dritten Stock traut und nach Frau Anken ruft. Nach und nach verwandelt sich ihr Herr, all seiner sozialen Beziehungen beraubt, in den Geist, den Nachtwächter und Besucher immer noch mit Schaudern sehen können.

Dass dies eine Weihnachtsgeschichte ist, lässt sich am Thema ablesen: die Ablehnung von Barmherzigkeit und die Verweigerung von Hilfe stehen im Widerspruch zur christlichen Botschaft. Dass ein Kind nicht gerettet, sondern von Bulemann zum Tode verdammt wird, ist eine Verhöhnung des kleinen Jesuskindes und seines Versprechens auf Erlösung. Frau Anken, unerwartet zu Tode gekommen, wird am ersten Weihnachtstag begraben, einem Armengrab wie der kleine Christoph. Auf dessen Grabstein steht „Zur Gesundheit!“, auf dem Grab wächst ein Strauß weißer Rosen, ein Signal an die Lebenden, dass hier ein unschuldiges Wesen ruht.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Daniel Bulemann wird von Horst Naumann wie die Verkörperung des Bösen dargestellt, mit Knurren und Fluchen. Gruselkabinett-Urgestein Dagmar von Kurmin spricht die alte Frau Anken mit Verve und Leidenschaft, so dass der Hörer durchaus willens ist, an ihrem Schicksal Interesse aufzubringen. Bulemanns Halbschwester Christine wird von Claudia Urbschat-Mingues gesprochen, einer bekannten Synchronsprecherin.

Nebenfiguren

Sascha von Zambelly spricht den Fremden, den Wächter gibt der vielseitige Bodo Primus, am wichtigsten ist der Organist Leberecht, den Eckart Dux darstellt. Leberecht ist die wichtigste Quelle für die Erzählung vom alten Bulemann. Der junge Leberecht, gesprochen von Dirk Petrick, tritt über 70 Jahre früher auf. Christoph, passenderweise von Christopher McMenemy gesprochen, tritt nur sehr kurz auf, ebenso seine „Tote Mutter“, gesprochen von Martina Linn-Naumann. Den verhängnisvollen „Knecht Ruprecht“ gibt Michael Pan, der auch schon wesentlich größere Rollen bestritten hat.

Geräusche

Eine schier unglaubliche Vielfalt von Geräuschen verwöhnt das Ohr des Zuhörers. Der Eindruck einer real erlebten Szene entsteht in der Regel immer. Glockengeläute, Möwenschreie, Schritte usw. – all diese Samples setzt die Tonregie zur Genüge ein, um einer Szene eine Fülle von realistisch klingenden Geräuschen zu vermitteln. Weit weniger realistisch klingen die Grauen erregenden Schreie der beiden Katzen in Bulemanns Haus. Sie spielen eine zentrale Rolle bei der Verwandlung des alten Pfandleihers in eine Gestalt des Schreckens.

Die Musik

Von einem Score im klassischen Sinn kann keine Rede mehr sein. Hintergrundmusik dient nur dazu, eine düstere oder angespannte Stimmung zu erzeugen, und zwar nur dort, wo sie gebraucht wird. Hier steigert sich die Spannung sehr dezent von Szene zu Szene. Viele Soundeffekte werden bereits anstelle von klassischer Orchestermusik eingesetzt, wie sie noch in Folge 143 („Der Wolverden-Turm“) durchgehend zu genießen war. Aber klassische Instrumente sind nur begrenzt einsatzfähig, die nötige Soundeffekte und ultratiefen Bässe muss die Elektronik beisteuern.

Wer eine Soundbar mit entsprechendem Subwoofer einsetzt, kann diese tiefen Bässe besser vernehmen und genießen, wie sie beispielsweise am Anfang des Epilogs zum Tragen kommen.

Das Booklet

Das Titelmotiv zeigt die Szene, in der die Silhouette der Titelfigur in ihrem verfallenden Haus zu sehen ist. Im Vordergrund ist eine schwarze Katze zu sehen, die man getrost als Bulemanns bösen Geist bezeichnen kann, als Repräsentanten seines Teufelspakts.

Im Booklet sind die zahlreichen Titel des GRUSELKABINETTS bis Frühjahr 2020 verzeichnet. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf.

Ab Frühjahr 2020:

156: Krabat (nicht von O. Preußler)
157: Bierce: Das Auge des Panthers
158: Machen: Das innerste Licht
159: Hauff: Das kalte Herz
160: Denn das Blut ist das Leben
161: McGraup: Heimflug

Unterm Strich

Die Inszenierung, die drei Zeitebenen (wenn ich richtig gezählt habe) abdeckt, bezieht ihren emotionalen Reiz aus zwei kontrastierenden Ebenen: das Grauen in Bulemanns Haus und die Not in der Vorstadt, für die der Pfandleiher nichts als Verachtung übrig hat. Der einzige Kontakt, der auf seinen Betrug an seiner Halbschwester hindeutet, hat den mittelbaren Tod seines Neffen zur Folge. Dass dieser Neffe ein vielversprechender Musiker geworden wäre, wird am Schluss angedeutet. Der Kontrast und der Verrat sollen das Gewissen des Hörers wachrütteln und für Empörung sorgen. Der Besucher anno 1890, der den Nachtwächter fragt, soll über das Gehörte urteilen.

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Der Tragik und dem Grauen kann sich der Hörer nur schwer entziehen. Statt wie Mr. Scrooge von drei Geistern geläutert und erlöst zu werden, verharrt Bulemann in seiner Verbitterung und wird zum Nichtmenschen, einem Geist des Grauens.

Die Sprecherriege für diese neue Reihe ist höchst kompetent und renommiert zu nennen, handelt es sich doch um die Stimmen von Rezitatorin, Schauspielerin und Verlegerin Dagmar von Kurmin ((https://de.wikipedia.org/wiki/Dagmar_von_Kurmin)), Claudia Urbschat-Mingues ((https://de.wikipedia.org/wiki/Claudia_Urbschat-Mingues)) und Horst Naumann ((https://de.wikipedia.org/wiki/Horst_Naumann)).

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für spannende Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der Hollywoodstars wie Angelina Jolie (Urbschat-Mingues), Lex Barker oder Christopher Plummer (beide Horst Naumann) das richtige Kino-Feeling.

CD-Länge: über 57 Minuten
ISBN 97837857-8003-9

www.titania-medien.de

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