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Gerritsen, Tess – Meister, Der

Tess Gerritsens erster Roman aus der Jane-Rizzoli-Reihe, [„Die Chirurgin“, 1189 erhielt viel internationales Lob. Das Erfolgsrezept des blutliebenden Serientäters ging auf. Wieso sollte man also nicht das gleiche Thema noch einmal verarbeiten?

In ihrem Krimi „Der Meister“ setzt die Autorin die Geschichte aus „Die Chirurgin“ fort. Detective Jane Rizzoli, die einzige Frau in der Mordkommission des Boston Police Department, hat gerade den perversen Serientäter Warren Hoyt, der sie beinahe getötet hat, hinter Gittern gebracht. Eines Tages wird sie in ein hübsches Bostoner Villenviertel gerufen, wo die Leiche von Dr. Richard Yeager in dessen Haus gefunden wurde. Der Arzt lehnt an der Wand, gefesselt und mit durchgeschnittener Kehle. Das Vorgehen erinnert stark an jenes des „Chirurgen“, wie Hoyt genannt wurde. Als sie die verschwundene Frau des Arztes vergewaltigt und ebenfalls erstochen in einem abgelegenen Waldstück finden, wird Jane Rizzoli klar, dass jemand den Chirurgen imitiert. Panik macht sich in ihr breit, was besonders dem zu Rate gezogenen Agenten des FBI Anlass zur Sorge gibt, ob sie diesen Fall leiten sollte.

Doch Jane setzt sich durch und ermittelt weiter. Wie sehr sie sich damit in Gefahr bringt, wird ihr erst klar, als sie alarmierende Neuigkeiten aus dem Hochsicherheitsgefängnis, in dem Warren Hoyt einsitzt, erreichen. Dem Mann, der eine perverse Freude am Töten hat, ist es gelungen zu fliehen, und er hat nicht nur eine Rechnung mit Jane offen, sondern auch einen Gleichgesinnten, der die Yeagers getötet hat …

Die Geschichte, die Tess Gerritsen in „Der Meister“ erzählt, ist wahrlich nichts Neues. Wir haben einen perversen Serientäter, der es auf die Ermittlerin abgesehen hat und aus dem Gefängnis flieht. Wir haben die einzige Frau im Bostoner P.D., die sich entsprechend gegen die Vorurteile ihrer männlichen Kollegen durchboxen muss. Wir haben das FBI, das sich ganz selbstverständlich in den Fall einmischt. Und wir haben Blut, sehr viel davon.

Nun ist es natürlich so, dass mittlerweile jedes Buch zwangsläufig auf Elemente zurückgreift, die in dieser Form schon in anderen Büchern vorkamen. Allerdings kommt es darauf an, wie man diese Elemente verknüpft, und Gerritsen tut dies recht lustlos, ohne eine eigene Note zu kreieren. Dadurch wirkt der Krimi abgeklatscht und die Spannung geht verloren, weil man als Leser ständig enttäuscht wird, wenn man etwas Originelles erwartet.

Wenn wenigstens Detective Jane Rizzoli originell wäre, dann gäbe es einen Grund, das Buch dennoch zu lesen. Wie schon angeklungen, ist dies jedoch nicht der Fall. Abgesehen davon, dass der Charakter der Frau von sich aus nicht gerade mit Originalität gesegnet ist, hat die Umsetzung von „Der Meister“ vor allem ein Manko: den Schreibstil.

Gerritsen, deren Stil kaum durch Eigenheiten geprägt ist, erzählt aus Janes Sicht in der dritten Perspektive. Mit einem Minimalmaß an Emotionen und nur wenig Platz, um ihre Persönlichkeit entfalten, bleibt Jane dem Leser mehr oder weniger verschlossen. Obwohl sie die Ermittlerin ist, steht sie als Person nicht wirklich im Vordergrund, da nur wenig aus ihrem Privatleben, ihrer Vergangenheit oder ihrer ganz persönlichen Feierabendgedankenwelt nach außen dringt.

Das Buch wirkt dadurch kühl und distanziert, aber nicht auf eine anregende, sondern auf eine lustlose Art und Weise. Der Zugang zur Geschichte wird erschwert und der Schreibstil ist weit davon entfernt, packend zu sein. Die theoretischen Abhandlungen über Autopsie und Spurensicherung sind eine Spur zu lang, zu prall und zu fachwortverseucht, um den Leser konstruktiv zu informieren, und ihr gehäuftes Auftreten lässt das Buch als Spannungsroman auch nicht in einem besseren Licht erscheinen.

Insgesamt ist „Der Meister“ ein Thriller, auf dessen Lektüre man auch verzichten kann. Der Plot wurde in dieser Form in tausend anderen amerikanischen Krimis besser durchexerziert und ziert sich wie eine Jungfrau, wenn es darum geht, Freundschaft mit dem Leser zu schließen. Das sind nicht gerade die besten Voraussetzungen für einen Pageturner, weshalb man den „Meister“ am besten stillschweigend in der Versenkung verschwinden lässt.

http://www.blanvalet-verlag.de
http://www.tess-gerritsen.de
http://www.tessgerritsen.com/

_Tess Gerritsen bei |Buchwurm.info|:_

[„Schwesternmord“ 1859
[„Todsünde“ 451
[„Der Meister“ 1345
[„Die Chirurgin“ 1189
[„Roter Engel“ 1783
[„Akte Weiß: Das Geheimlabor“ 2436

Jilliane Hoffman – Morpheus

Jilliane Hofmann weiß, wovon sie spricht, wenn sie ihre Heldin C.J. Townsend in den Gerichtssaal schickt. Hofmann war selbst stellvertretende Staatsanwältin von Florida, doch man kann ihr nur wünschen, dass sie nicht mit solchen Fällen zu tun hatte wie C.J.

In „Cupido“, dem Vorgängerbuch, hatte C.J. damit zu tun, einen Serienmörder, der sie während ihres Studiums brutal vergewaltigt hatte, hinter Gitter zu bringen. Dass sie ihre Anklage darauf stützte, dass sie Beweise zurückbehielt, kostet nun die drei Polizisten, die als Einzige neben ihr vom entlastenden Tonband wussten, das Leben. Ein Mörder zieht durch die Straßen Miamis – und er hat es auf Polizisten abgesehen, die Dreck am Stecken haben.

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Steffans, Karrine – Inside HipHop. Bekenntnisse eines Videogirls

Autos, Diamanten, Frauen – schaltet man heutzutage einen Musiksender an, dauert es nicht lange und man wird mit dem Luxuslebensstil konfrontiert, den amerikanische, aber auch deutsche Rapper propagieren. Es geht um Status, ums Angeben, die Vormachtstellung in diesem männerdominierten Genre, in dem Frauen zumeist nur eine Nebenrolle spielen, nämlich die der halbnackten Tänzerinnen in den teuren Musikvideos von |50 Cent|, |Jay-Z|, |Eminem| und Co.

Karrine Steffans, heute 29 Jahre alt, war bis vor wenigen Jahren auch eines dieser Mädchen, die alles mit sich machen lassen. Sie musste dabei entdecken, wie hart dieses Business ist. Körperlicher und seelischer Missbrauch, Alkohol- und Drogenabhängigkeit, Armut, Obdachlosigkeit. Steffans ist die Leiter des Erfolgs jahrelang auf und ab geklettert, bis sie schließlich den Mut fand, aus dem Teufelskreis, in dem sich die Videomädchen befinden, auszusteigen.

Doch bis dorthin ist es ein langer Weg, der auf der Insel St. Thomas in der Karibik beginnt. Steffans ist die älteste von drei Schwestern und muss schon früh unter ihrer jähzornigen und gewalttätigen Mutter leiden. Nach dem Umzug nach Florida beginnt sie bereits im Teenageralter von zu Hause abzuhauen und gewinnt schnell an Ruhm als Stripperin. Dadurch wird der Rapper Kool G Rap auf sie aufmerksam, der sie zu seiner Frau kürt.

Doch die Beziehung mit Kool G Rap ist durch Gewalt und Missbrauch geprägt. Karrine Steffans gerät in eine Hölle, aus der sie schwerlich wieder herauskommt. Als sie letztendlich mit ihrem kleinen Sohn einen Neuanfang in Los Angeles wagt, rutscht sie schnell wieder ab in den Sumpf des Hiphop, hat Affären mit berühmten Rappern wie Ja Rule und P. Diddy und Sportlergrößen wie Shaq O’Neill, lebt auf der Straße, doch letztendlich schafft sie den Absprung.

„Sex sells“ ist das Motto der Hiphopszene, und Steffans scheint dieses Prinzip verinnerlicht zu haben. Ihre Lebensgeschichte in Buchform, das einen Bilderteil mit nicht gerade prüden Fotos enthält, dreht sich ab einem gewissen Zeitpunkt nur noch um Männer, Affären und Sex. Alles andere, wie Steffans Drogensucht oder sogar ihr kleiner Sohn, spielen nur eine Nebenrolle, genau wie der Hiphop. Obwohl der Titel des Buches „Inside Hiphop“ eigentlich anderes erwarten lässt, gewährt die Biografie nur wenig Einblick hinter die Kulissen. Es beschreibt zwar das Benehmen und die kleinen Skandälchen einiger Hochkaräter der Szene, doch was die Musikrichtung ausmacht, was sie wirklich darstellt, wird so gut wie ausgeblendet.

Gleiches gilt für den „Job“ des Videogirls. Nur wenige Seiten, die nicht wirklich mit Informationen gefüllt sind, widmen sich Steffans‘ langjähriger Beschäftigung. Insgesamt erzählt Steffans‘ erstes Buch also hauptsächlich aus ihrem Sexleben und von den verschiedenen Exzessen, die sie durchlebt. Richtig tiefgründig wird es selten, und die Distanz, welche die Autorin zwischen die Ich-Erzählerin und die Handlung bringt, trägt nicht dazu bei, dass ihre Biografie fesselt. Im Gegenteil. Ihr literarisches Pendant wirkt beliebig, nicht sehr ausgefeilt und an manchen Stellen geradezu tot. Was die Autorin durchlebt hat, war sicherlich kein Zuckerschlecken, doch die flache Darstellung tut das Ihrige, um die Handlung langsam und belanglos dahintröpfeln zu lassen.

Erschwerend kommen einige Missgeschicke im Handlungsaufbau hinzu. Durch die fehlende Tiefgründigkeit und das rasende Tempo, in dem die Autorin erzählt, bleiben die Beweggründe für bestimmte Ereignisse oft unklar. Auf Seite 71 schildert sie zum Beispiel ihren Wunsch, ein Kind zu haben während ihrer destruktiven Beziehung mit Kool G Rap, und begründet dies mit:

|“Ich wusste, dass ein Kind mich wieder gesund machen und mir die Stärke geben würde, ohne G zu leben.“| (Seite 71)

Diesen Satz lässt sie mehr oder weniger unkommentiert im Raum stehen, obwohl er eigentlich einige psychologische Interpretationen zulässt. Doch die wirklichen Gefühle von Steffans bleiben dem Leser verschlossen – genau wie die Folgen ihres Kinderwunsches. Das ehemalige Videogirl erzählt zwar immer wieder von Söhnchen Naiim, doch wer er eigentlich ist, was für eine Persönlichkeit, lässt sie völlig außen vor, genau wie bei anderen Charakteren in diesem Buch.

Ein weiteres Ärgernis im Handlungsaufbau ist die fehlende Logik, die an manchen Stellen zutage tritt. Im Großen und Ganzen geht Karrine Steffans bei ihrer Biografie chronologisch vor, doch an einigen Stellen greift sie vor oder erzählt im Nachhinein. Leider schafft sie es aber nicht, diese Verschiebungen entsprechend abzugrenzen. Geschehnisse, die vor einem Ereignis passiert sind und dieses nachhaltig beeinflussen, werden zum Beispiel erst während des eigentlichen Ereignisses kurz angerissen, so dass sich hier wieder die Frage nach den Beweggründen stellt.

Was im Verlaufe der Rezension bereits mehrmals bekrittelt wurde, findet im Schreibstil seine Entsprechung. Auch dieser enthält wenig Leben, wenig Tiefe und wenig, das man lobend hervorheben möchte. Karrine Steffans gibt sich Mühe, sich gewählt aber verständlich auszudrücken, was in einer sterilen Kunstsprache endet. Ihr Satzbau ist klar und erhält durch die Ich-Perspektive eine persönliche Note, doch trotzdem schreibt sie steif und gekünstelt. Der geringe Einsatz von rhetorischen Mitteln fällt entweder gar nicht auf oder negativ, weil sie in schmalzig-poetische Schwelgereien abgleitet. Das passiert Steffans zumeist dann, wenn sie die Begegnung mit einem Mann plastisch darstellen möchte.

|“Für einen Moment war ich in dem Meer gefangen, das seine Augen bildeten. Sie waren kristallblau, durchbohrten mich richtiggehend und brachten mich dazu, ihn zu begehren. Ich konnte die Macht riechen, die er ausströmte, und ich war so angetörnt, dass mir klar war, dass ich eine kalte Dusche nach dieser Begegnung brauchen würde.“| (Seite 103, Steffans trifft auf den Frontmann der Rockgruppe Limp-Bizkit Fred Durst)

„Inside Hiphop“ ist schlussendlich ein halbherziger Versuch, dem Leser die „Bekenntnisse eines Videogirls“ näherzubringen, die sich als einseitige Biografie von Karrine Steffans entpuppen. Handlung, Personen und Schreibstil sind eher mittelmäßig in der Präsentation und auch die Frage, was Frau Steffans denn jetzt so besonders macht, dass sie ein Buch darüber schreiben muss, bleibt unbeantwortet. Zugegeben, es ist ein schönes Buch. |Schwarzkopf & Schwarzkopf| geben sich erneut große Mühe mit Hochglanzseiten und Fototeil, aber viel retten können sie dadurch nicht. Es fehlt an Substanz. Einzig Fans des Genres Hiphop werden Vergnügen an diesem Buch haben, denn es gewährt einen anderen, vielleicht echteren Einblick in das Leben ihrer Stars als CDs und Videoclips.

Trotzdem: Man hätte mehr aus diesem Thema machen können, zumindest was das Handwerkliche angeht. Wie sich das bei Steffans‘ Vergangenheit verhält, bleibt fraglich. Vielleicht ist diese einfach nicht interessant genug, um sie zwischen zwei Buchdeckel pressen zu müssen.

http://www.schwarzkopf-schwarzkopf.de

Alsanea, Rajaa – Girls von Riad, Die

Die fünfundzwanzigjährige Saudi-Araberin Rajaa Alsanea hat mit ihrem Debütroman „Die Girls von Riad“ eine Welle der Empörung in ihrer konservativen Heimat losgetreten. Dort wurde das Buch zuerst verboten, weil es die alten Traditionen in Frage stellt. Für den westlichen Leser ist die Aufregung vermutlich nicht wirklich verständlich. Alsanea hat keinen reißerischen, pornografischen Roman geschrieben, sondern ein leichtfüßiges Buch, das aus dem Leben von vier Freundinnen in Riad, der Hauptstadt Saudi-Arabiens, berichtet.

Dabei geht es weniger darum, eine stringente Handlung auf die Beine zu stellen oder einen umfassenden Einblick in die Sitten und die Gesellschaft Saudi-Arabiens zu geben. Stattdessen erzählt die Autorin in kurzen, abgeschlossenen Episoden aus dem Leben der jungen Frauen, beschränkt sich aber hauptsächlich auf deren Liebesleben. Da wäre zum Beispiel Kamra, die mit einem ihr unbekannten Mann verlobt wird und mit ihm nach Amerika zieht. Sie findet heraus, dass er dort eine Geliebte hat, und als sie die Geliebte zur Rede stellen will, reicht er die Scheidung ein. Kamra kehrt nach Riad zurück, schwanger, geschieden und damit so gut wie wertlos auf dem Heiratsmarkt.

Den anderen Protagonistinnen ergeht es ähnlich. Auch sie haben mit Zwangsverheiratung zu kämpfen. In manchen Fällen werden sie selbst zwangsvermählt, in anderen, wie zum Beispiel im Fall der recht frei denkenden Michelle, deren Mutter Amerikanerin ist, ist es der Geliebte, der plötzlich mit einem anderen Mädchen verheiratet wird und sie verlässt.

Auf knapp 330 Seiten erzählt Alsanea von den Versuchen der Freundinnen, das große Liebeslos zu ziehen. Die Betonung liegt auf „Versuchen“, denn viel Einfluss haben sie nicht darauf. Die Freundinnen haben Geld, sind gebildet, studieren Medizin und Informatik und können trotzdem ihr Leben nicht selbst bestimmen. Alsanea, selbst überzeugte Kopftuchträgerin, hält sich mit Kritik in ihrem Buch vornehm zurück. An der einen oder anderen Stelle blitzt diese zwar zart durch, doch letztendlich zeigt die Autorin lediglich auf und lässt ihre Romanfiguren für sich selbst sprechen.

Der Aufbau des Buches ist dabei ungewöhnlich. Den vier Freundinnen ist eine Ich-Erzählerin vorangestellt, die in Newsgroup-E-Mails von den Girls von Riad erzählt. Die Kapitel sind dabei immer gleich aufgebaut. Nach einem einleitenden Sprichwort oder Gedicht wendet sich die Erzählerin kurz an den Leser, um auf aktuelles Geschehen und die Reaktionen auf ihre E-Mails einzugehen. Danach folgt eine Episode aus dem Leben der Mädchen, in die sich die Erzählerin nicht mehr einklinkt.

Stattdessen berichtet sie in einem leicht oberflächlichen, dokumentarisch wirkenden Schreibstil, der eine simple, manchmal poetisch angehauchte Sprache benutzt. Romantische Begriffe tauchen immer wieder auf und bringen etwas Pathos in die Geschichte, der es aufgrund des berichtenden Stils an Lebendigkeit mangelt. Insgesamt wirkt das Buch sehr „mädchenhaft“, und gelegentlich hat man das Gefühl, Zeuge eines Von-Freundin-zu-Freundin-Gesprächs zu sein.

Wer kein Fan von Mädchengesprächen ist, wird deshalb vermutlich seine Probleme haben, mit „Die Girls von Riad“ warm zu werden. Der Roman dreht sich nun mal hauptsächlich um die Liebeswirren der Mädchen und stellt den Schreibstil sowie auch die Charaktere etwas in den Hintergrund. Der Berichtstil tut das Seinige, um Tiefgang in Bezug auf die Protagonistinnen zu verhindern, so dass das Buch an einigen stellen etwas an Oberflächlichkeit kränkelt.

Trotzdem hinterlässt „Die Girls von Riad“ einen positiven Gesamteindruck. Der Einblick in die saudische Gesellschaft beschränkt sich zwar auf einen sehr kleinen, unscharf umrissenen Ausschnitt, aber Rajaa Alsaneas lieblicher Schreibstil, der leichtfüßig aus dem Leben der Mädchen berichtet, bereitet Freude und sorgt für gute Unterhaltung.

http://www.pendo.de

Bargen, Ascan von – Legenden des Abendsterns, Die

Der |Ubooks|-Verlag ist bekannt für sein ausgefallenes Programm, und dementsprechend passt „Die Legenden des Abendsterns“ von Ascan von Bargen perfekt zu dem kleinen Verlag in der Nähe von Augsburg.

Seltsame Dinge ereignen sich in der Umgebung von London im 17. Jahrhundert. Tote werden gefunden, deren Körper auf grausame Art und Weise entstellt und mit Tätowierungen übersät sind. Als ob das noch nicht genug wäre, erstehen einige der Toten wieder auf.

Grund dafür ist „die Hurentochter“, eine tote Göttin, die einst von einer Gruppe junger Männer zum Leben erweckt wurde und sich nun ihrer Macht besinnt. Die meisten Männer des magischen Zirkels sind bereits verstorben. Einzig Dunclan Claireborne, Sohn des Mannes, der damals den Schaden anrichtete, hält die Waffe gegen die Göttin in der Hand: der Brief seines Vaters. Schafft er es, rechtzeitig die darin enthaltene Botschaft zu enträtseln?

Ascan von Bargen hat es sich zur Aufgabe gemacht, in seinem Buch das England des 17. Jahrhunderts wieder aufleben zu lassen, und das ist ihm sehr gut gelungen. Der Barock hatte zu dieser Zeit seinen Höhepunkt und dementsprechend prunkvoll sind die Menschen gekleidet und gestalten ihren Lebensstil teilweise sehr ausschweifend.

Von Bargen lässt seinen Blick allerdings nur kurz auf dem Prunkgehabe ruhen. Er nutzt den Hintergrund des Barock, um eine sehr finstere Geschichte voll zwielichtiger Gestalten, Degenkämpfe und schlechter Sitten zu stricken, ohne dabei zu sehr die Sex-and-Crime-Schiene zu fahren. Im Gegenteil schafft er es, einen düsteren, aber nicht überzogenen Schauplatz zu kreieren, der einen sehr authentischen Hintergrund für die gruselige Handlung bietet.

Selbige ist nicht wirklich stringent und scheint ab und zu ins Leere zu verlaufen, fängt sich aber auch immer wieder. Leider bleiben die Personen und ihre Motive dem Leser so gut wie verschlossen, weshalb der Zugang zu diesem Buch schwer fällt. Trotzdem kommt man nicht umhin, von Bargens Sorgfalt und Detailgenauigkeit zu loben, auch wenn er diese manchmal so übertreibt, dass das eigentliche Ereignis darin verloren zu gehen scheint.

Die Personen fügen sich gut in dieses Schema ein. Auch sie sind sehr detailreich und scharf umrissen, der Epoche entsprechend. Leider wirken sie etwas steif und es fällt schwer, sich in sie hineinzuversetzen. Erneut stolpert der Autor hier über seinen sehr stark ausschmückenden Stil. Es fällt schwer, zwischen all den Beschreibungen die Person durchschimmern zu sehen, die der Leser sich gerne mit seiner Fantasie selbst zu einem originellen Charakter zusammengesetzt hätte. Ausführliche Beschreibungen sind keine Schande. Wenn sie jedoch geradezu diktatorisch jede Wolke, jeden Stein und jedes noch so kleine Wesensmerkmal wiederzugeben versuchen, engen sie sehr stark ein.

Schuld an dieser Kleinteiligkeit ist sicherlich auch von Bargens Schreibstil, an dem rein technisch nichts auszusetzen ist. Er schreibt sicher, wählt seine Worte treffend und weiß, wie man einen abwechslungsreichen Satzbau schafft. Er passt seine Schreibe ein wenig der Epoche in seinem Buch an, ohne den Leser jedoch zu überfordern. Er unterfordert ihn aber auch nicht. Es ist Konzentration vonnöten, sich durch die dichten Sätze zu kämpfen, was allerdings nicht negativ ist.

Was dagegen viel mehr Probleme bereitet, ist van Bargens bereits erwähnte Art, so umfassend wie möglich zu schreiben. Bei Handlung und Personen fällt das zwar auf, stört aber nicht wirklich. Im Schreibfluss dagegen ist die Anzahl von erklärenden Sätzen und vor allem von ergänzenden Adjektiven – stellenweise befindet sich vor jedem Nomen eines – manchmal irritierend. Hier wäre etwas weniger mehr gewesen, denn diese Fülle von Informationen erfordert manchmal enervierend viel Konzentration.

In der Summe hat Ascan von Bargen eine interessante, nostalgische Horrorgeschichte geschaffen, die mit einigen Struktur- und Schreibproblemen zu kämpfen hat. Trotzdem kann man von „Die Legenden des Abendsterns“ nicht behaupten, dass es nicht gelungen wäre. Dafür ist der Inhalt zu qualitativ hochwertig und der Schreibstil, trotz der Überfülltheit, zu geschliffen.

http://www.ubooks.de
http://www.ubooksshop.de

_Ascan von Bargen bei |Buchwurm.info|:_
[„Annwyn – Die Tore zur Anderwelt“ 1825
[„Annwyn 2“ 2266

Risa Wataya – Hinter deiner Tür aus Papier

Die japanische Schriftstellerin Risa Wataya gehört zu den Gefeierten in ihrem Land. 2003 erhielt sie, mit nur neunzehn Jahren, den bedeutendsten japanischen Literaturpreis für das Buch, das der |Carlsen|-Verlag 2007 auch in Deutschland veröffentlicht.

„Hinter deiner Tür aus Papier“ erzählt aus der Sicht der Teenagerin Hatsu, die sich bewusst dagegen entscheidet, Teil des Cliquengeflechts ihrer Oberschule zu sein. Damit riskiert sie zwar die Freundschaft zu Kinuyo, die gerade eine neue Clique gefunden hat, doch das ist ihr egal. Hatsu empfindet ihre Mitschüler als oberflächlich und verlogen – bis auf einen: Ninagawa mit dem überlangen Pony und den Stromausfallaugen.

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Cusk, Rachel – Arlington Park

Fiktive Vororte haben schon seit längerem ihre Blütezeit. In amerikanischen Abendserien sprießen sie aus dem Boden wie Unkraut und auch die Engländerin Rachel Cusk hat sich ein lauschiges Plätzchen zusammengesponnen.

„Arlington Park“, Buchtitel und fiktiver Londoner Vorstadtort, ist die Heimat von Familien der gehobenen Mittelschicht, die mit lukrativen Jobs und zwei bis drei Kindern gesegnet sind. Es passiert nicht viel in Arlington Park. Man bringt die Kinder zur Schule und zum Kindergarten und holt sie wieder ab. Man lädt sich zu Kaffee und Dinner ein und verschwendet den Rest des Tages darauf, sich Gedanken über sein kleines Leben zu machen.

Tun das wirklich alle? Nein. Tatsächlich sind es Frauen zwischen dreißig und vierzig, die in Rachel Cusks Buch die Kapitel hauptsächlich mit dem Sinnieren über ihre Situation verbringen. Mit der sind sie zumeist natürlich nicht zufrieden, aber sie machen eigentlich nichts dagegen. Nur Juliet, Lehrerin an einer Mädchenschule, wagt einen radikalen Schritt und lässt sich ihre hüftlangen Haare raspelkurz schneiden. Wirkliche Erleichterung bringt ihr das aber nicht, denn am Ende des Buches bleibt alles gleich: Die Ehefrauen kochen ihren Männern das Essen und erziehen die Kinder.

„Arlington Park“ beginnt mit seiner sehr umfassenden und bildreichen Beschreibung eines Regentags in Arlington Park, ohne die Protagonistinnen dabei schon vorzustellen. Dieser verregnete Tag ist bezeichnend für das ganze Buch, denn sonderlich optimistisch stellt Cusk ihren fiktiven Vorort nicht dar.

Die Handlung besteht aus verschiedenen Frauenperspektiven, die ihren zähen Alltag beschreiben. Es passiert nicht wirklich etwas. Trotzdem ist der Autorin ein unterhaltsames Büchlein gelungen, das man so schnell nicht aus der Hand legt. Damit ein Buch mit so wenig Handlung gefällt, müssen zwei Kriterien erfüllt sein: Die Personen müssen interessant sein und der Schreibstil etwas Fesselndes besitzen. Beides ist Cusk gelungen, wobei die beiden Kriterien oft zusammen auftreten.

Die Charaktere sind, wie gesagt, hauptsächlich Frauen in den besten Jahren, deren Leben teilweise einer Sackgasse namens Arlington Park gleicht. Am besten im Gedächtnis bleibt Juliet, die sich die Haare schneiden lässt. Grund dafür ist ihr zynischer Humor, der in ihren Gedanken immer wieder durchschimmert. Ihre Hochzeit bezeichnet sie zum Beispiel gerne als den Zeitpunkt, an dem ihr Mann sie umbrachte. Während sie ihre Schülerinnen unterrichtet, denkt sie auch immer wieder über deren Zukunft nach und ob sie vielleicht eines Tages auch „umgebracht“ werden.

Die anderen Frauenfiguren sind ebenfalls sehr gut ausgearbeitet, vor allem, was ihre Persönlichkeit angeht. Maisie lästert zum Beispiel gerne und Amanda fühlt sich im Frauenkreis von Arlington Park nicht akzeptiert. Allerdings gelingt es den wenigsten, an den Witz von Juliet heranzukommen, was sich ein wenig nachteilig auswirkt. Sie hinterlassen dadurch weniger Eindruck und sind auch weniger interessant. Vor allem entstehen dadurch ein oder zwei Charaktere, die austauschbar bzw. sich sehr ähnlich wirken.

Was das Buch letztendlich zusammenhält, ist Cusks intelligenter und wacher Schreibstil. Der Großteil der Zeilen wird im Kopf der Protagonistinnen bestritten, jedoch auf so abwechslungsreiche Art und Weise, gemischt aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, dass keine Langeweile aufkommt.

Cusk beweist sich als erstklassige Beobachterin des mittelständischen Lebens. Ihre Darstellungen sind unglaublich authentisch und treffen schmerzhaft den Nagel auf den Kopf. Jeder wird sich vermutlich in dem einen oder anderen Absatz wiederfinden, denn Cusk schildert lebensnah, was in den Köpfen der Frauen vor sich geht. Die Konflikte und der Schmerz ob der oft aussichtslosen Lage beschreibt die Britin sehr realistisch; überhaupt weiß sie Gefühle sehr gut in Buchstaben umzusetzen. Mit einem einfachen und nüchternen Wortschatz schafft sie es, den Inhalt des Buches in beinahe klassischer Art und Weise darzustellen. Ab und zu benutzt sie bildschwangere Beschreibungen oder garniert das Ganze mit einer guten Portion Zynismus, ohne dabei ins komödiantische Fach abzugleiten.

Rachel Cusk umreißt in „Arlington Park“ die mittelständische Gesellschaft aus der Sicht der unzufriedenen Mütter. Sie nimmt dabei kein Blatt vor den Mund, wird aber auch nicht ausfällig, sondern beschreibt in klaren, intelligenten Bildern mit Witz und einem guten Auge fürs Detail das Leben in Arlington Park.

http://www.rowohlt.de

Leenders, Hiltrud / Bay, Michael / Leenders, Artur – Burg, Die

Schon seit dem Jahr 1992 ist das Autorentrio Hiltrud Leenders, ihr Mann Artur Leenders und Michael Bay in der deutschen Krimilandschaft unterwegs. „Die Burg“ ist bereits das zwölfte Buch der drei und spielt erneut am Niederrhein.

In der kleinen Stadt Kleve ist die Aufregung groß. Eine englische Historiengruppe ist angereist, um eine Schlacht auf der Burg nachzustellen. Doch die Aufregung schlägt in Entsetzen um, als plötzlich eine echte Bombe explodiert und mehrere Menschen getötet und verletzt werden. Die Klever Komissare, das KK 11, steht vor einem Rätsel. Schon bald kann man einen Terroranschlag auschließen. Hatte der Täter nur eine bestimmte Person im Visier? Und wenn ja, wen? Wird er erneut zuschlagen? Für die Komissare, unter ihnen das Ehepaar Toppe, das Zeuge der Explosion war, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit …

„Die Burg“ beginnt denkbar schlecht. Das Autorentrio ergeht sich seitenlang in geradezu perfektionistischer Manier darüber, wie die Historientruppe sich auf ihr Schauspiel vorbereitet und wie sie lebt. Ich möchte noch nicht einmal behaupten, dass all diese Erläuterungen, die teilweise in Dialoge gepackt werden, unnötig wären, aber die feinmaschigen, trockenen Erklärungen stören den Lesefluss erheblich. Wären sie runder dargestellt und ließen dem Leser auch noch ein wenig Platz zum Fantasieren, wären sie kein Problem. So klingen sie aber stellenweise wie schlechte Werbung für historische Veranstaltungen.

Doch dann passiert das, womit man wohl nicht gerechnet hat. Während Leenders / Bay / Leenders sich noch in ihren Beschreibungen verstricken, schleicht sich die Explosion auf leisen Sohlen an. Im ersten Moment ist der Leser verwirrt. Ist das gerade wirklich passiert?

Ja, das ist es. Gott sei Dank, denn durch dieses Ereignis entsteht ein Bruch, der im Gegensatz zur vorherigen Propaganda steht und die Ermittlungen einläutet, die wesentlich angenehmer geschrieben sind. Im weiteren Verlauf verzichten die Autoren auf ausschweifende Erklärungen und schreiben nüchtern und sauber. Vielleicht ein wenig zu nüchtern, denn ein wirklicher Spannungsaufbau möchte nicht gelingen. Überraschungen darf man in der zähen Masse nicht erwarten. Eher im Gegenteil, denn der Einbau einer knapp gehaltenen, kodierten Täterperspektive ist nicht gerade neu und in diesem Fall nicht herausragend gelungen. Trotzdem kann man mit dem Krimi eine schöne Zeit verbringen, denn Hiltrud Leenders und Co. legen ein gutes Erzähltempo vor, das den schwachen Spannungsbogen gut kaschiert.

Die Personen sind sehr gewöhnlich und nur die wenigsten tun sich wirklich hervor. Das passt zu der ebenfalls wenig Aufsehen erregenden Handlung. „Wenig Aufsehen erregend“ sollte man allerdings nicht mit „langweilig“ in eine Reihe stellen. „Die Burg“ ist nicht langweilig, sondern einfach kein sprühendes Feuerwerk voller Ideen. Hausmannskost, wenn man es so sehen möchte.

In einem Klever Kommissariat kann man vermutlich auch nicht erwarten, dort die originellsten Charaktere zu finden. Stattdessen stattet das Autorentrio die Protagonisten mit einer guten Portion Authentizismus und Menschlichkeit aus. Die Klever sind alltägliche Menschen, die auch gar nicht danach streben, etwas anderes zu sein. Und dadurch wieder gefallen.

Einzig die Täterperspektive, die eben doch irgendwie versucht, etwas Besonderes zu sein, ist nicht so ganz gelungen. Neben der Planung des Attentats werden die Gründe für das brutale Vorgehen in kurzen Flashbacks, die oft sehr kryptisch und abgehackt geschrieben sind, aufgezeigt. Leider versteifen sich Leenders und Co. ein bisschen zu sehr auf die „psychopathische Schiene“, so dass man das Gefühl hat, Ähnliches schon in tausend anderen Büchern gelesen zu haben.

Insgesamt hinterlässt „Die Burg“ einen zufriedenstellenden Eindruck. Keinen glänzenden, aber immerhin einen positiven. In dem Krimi wird alles sehr alltäglich gehalten, was auf der einen Seite ein wenig langweilt, auf der anderen Seite aber auch sehr authentisch wirkt. Überhaupt ist Authentizismus vermutlich das stärkste Argument, welches das Autorentrio Leenders / Bay / Leenders für sich verbuchen kann. Ansonsten können sie unterhaltsame Literatur bieten, der die eine oder andere überraschende Wendung sicherlich nicht geschadet hätte.

http://www.rowohlt.de

Rosoff, Meg – Was wäre wenn

Das heutige Leben ist so voller Möglichkeiten zu sterben, dass man sich manchmal die gleiche Frage stellen möchte wie der Held aus Meg Rosoffs Jugendbuch: „Was wäre wenn“ …

Der fünfzehnjährige David Case wohnt in dem kleinen englischen Dörfchen Luton und ist kein besonders auffälliger Teenager. Schlaksig und antriebslos, nicht besonders beliebt, aber auch nicht unbeliebt. Keine nennenswerten Hobbys, keine nennenswerten Vorlieben.

Doch alles ändert sich, als sein einjähriger Bruder Charlie eines Tages in einem unbeobachteten Moment auf die Fensterbank klettert und beinahe aus dem geöffneten Fenster fällt. David kann ihn gerade noch zurückhalten, doch dieses Ereignis ist der Auslöser für eine gewaltige Veränderung bei dem Teenager.

David wird bewusst, dass er dem Schicksal ausgesetzt ist, dass mit nur einem Wimpernschlag sein Leben komplett zerstören kann. Um dem Schicksal, das im Buch als Kismet kurze Auftritte hat, zu entkommen, beschließt er, seinen Namen und sein ganzes Leben zu ändern, damit es David Case nicht auf die Spur kommen kann. Stattdessen nennt er sich nun Justin Case, pflegt einen sehr sonderbaren Klamottenstil, legt sich einen imaginären Windhund zu und beginnt mit dem Marathonlaufen. Außerdem freundet er sich mit der vier Jahre älteren Agnes Bee an, einer schrägen Fotografin. Er ist in sie verliebt, doch sie lehnt ihn ab. Das verletzt den Jungen und langsam, aber sicher treibt er in seinem Unglück auf eine Katastrophe zu …

Meg Rosoff greift in ihrem Jugendbuch ein Thema auf, das die Zielgruppe ansprechen wird: das Erwachsenwerden, auch wenn David a.k.a. Justin dieses Problem auf sehr eigene Art zu lösen scheint. Er macht eine totale Veränderung durch, nachdem er durch den Beinaheunfall geweckt wurde.

Damit diese Veränderung authentisch erscheint, sollte sie aber dementsprechend aufrüttelnd geschildert sein. Leider misslingt dies Rosoff, so dass das Buch keinen besonders guten Start hat. Das Ereignis wird dafür, dass es so starke Wirkung auf David hat, nicht intensiv genug dargestellt. Es fehlen aufwühlende Gedanken und Raum, damit diese sich festsetzen können. Dabei hätte ein wenig mehr Vorgeschichte, in der Davids Persönlichkeit besser hätte dargestellt werden können, vermutlich schon gereicht, um dem großen Bruch die entsprechende Plattform zu bieten.

Die übrige Handlung kann ebenfalls nicht wirklich überzeugen. Es fehlt an interessanten Ereignissen, und die „Beziehung“ zwischen Justin und Agnes gibt auch nicht genug her. Dafür wird sie zu eindimensional, zu unpackend dargestellt. Manchmal hat man das Gefühl, dass Rosoff mehr auf den Außenseiterstatus ihrer Charaktere als auf die Handlung setzt, und das ist das Problem. Außerdem fehlt so etwas wie ein Strang, an dem alle ziehen. Der Plot selbst ist folglich nicht unbedingt als solcher zu bezeichnen, sondern ist sehr lose und scheint in seine kurzen Kapitel zu zerfallen.

Bei den bereits erwähnten Charakteren setzt die Autorin vor allem auf einen sehr eigenen Stil und unangepasste Lebensweise. Das ist an und für sich keine schlechte Idee. Originelle Persönlichkeiten haben schließlich schon so manches Buch gerettet. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Charaktere dementsprechend vielschichtig und scharf umrissen dargestellt werden.

Justin Case, aus dessen Perspektive hauptsächlich erzählt wird, ist ein verwirrter Teenager, der nicht weiß, wo er aufhört und wo er anfängt. Agnes gibt ihm so etwas wie eine Identität, doch in der literarischen Darstellung kommt er sehr farblos rüber. Es fehlt an einer wirklich kräftigen Darstellung, genau wie bei Agnes, deren Stil noch etwas paradiesvogelmäßiger ist. Das Schillerndste an ihr sind die Beschreibungen ihrer Klamotten, ansonsten wirkt auch sie sehr blass. Meg Rosoff schafft es einfach nicht, klar abgegrenzte Charakterzüge zu schaffen, wodurch das Buch sehr konturlos erscheint.

Die einzige Person, die gut ausgearbeitet wirkt, ist der kleine Bruder Charlie, der die Rolle eines (fast) allwissenden Philosophen übernimmt. Da er mit einem Jahr natürlich noch nicht besonders viel sprechen kann, denkt er die meiste Zeit und legt dabei die Intelligenz eines erwachsenen Menschen an den Tag. Das ist natürlich nicht besonders authentisch, aber tut dem Buch gut. Dadurch bekommt er die Rolle des unbeteiligten Beobachters, der dem Leser einen anderen Blickwinkel auf Justin-David erlaubt als dessen eigene Perspektive.

Unglücklicherweise wirkt Charlie manchmal ein bisschen zu bemüht philosophisch und metaphernschwanger. Letzteres soll wohl ein Bezug zu seinem eigentlichen Alter sein, indem Rosoff hier vermehrt auf einen kindgerechten Wortschatz setzt, leider aber immer noch zu kompliziert klingt.

Charlies Perspektive setzt sich dadurch stark vom Rest des Buchs ab, der mit einem einfachen, aber nicht simplen Vokabular auskommt. Meg Rosoff setzt auf Jugendnähe, ohne dabei viel zu fluchen oder großartig Teeniesprache zu benutzen. Stattdessen schreibt sie sehr trocken, wobei sie ab und an aber wirklich witzig und schlagfertig klingt. Viel passiert über die Dialoge und über die Gedanken von Justin-David, wobei sie diese gerne mit Metaphern ausschmückt. Meistens gelingt ihr das gut, in genügend Fällen klingt sie aber etwas zu bemüht und gezielt jugendbuchmäßig.

Insgesamt gelingt es ihr nicht, dem Leser wirklichen Zugang zu den Charakteren, allen voran Justin-David, zu verschaffen. Das ist sehr schade, denn wenn ein Buch so eine ausgefallene Handlung und (eigentlich) originelle Charaktere besitzt, sollte der Schreibstil dafür sorgen, dass auch ein durchschnittlicher Leser sich mit dem Geschehen identifizieren kann.

In der Summe ist „Was wäre wenn“ von Meg Rosoff ein Jugendbuch der schlechteren Sorte. Die Handlung weist einige Schwächen auf und auch der Schreibstil und die Personen sind nicht hundertprozentig gelungen.

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Thilliez, Franck – Kammer der toten Kinder, Die

Franck Thilliez gehört zu den bekannten Thrillerautoren in Frankreich und hat dort bereits drei Romane veröffentlicht. In Deutschland ist bis jetzt noch nichts von ihm erschienen, aber das soll sich mit „Die Kammer der toten Kinder“ ändern.

Vigo und Sylvain, zwei arbeitslose Ingenieure, lassen ihre Wut über die Entlassung eines Abends mit Graffitidosen an ihrer alten Arbeitsstätte aus. Auf dem Rückweg beschließen sie, aus Spaß über eine verlassene Industrieanlage zu rasen. Dabei töten sie einen Menschen, der eine Tasche voller Geld bei sich hatte. Aus Angst vor Konsequenzen verstecken sie die Leiche im Sumpf und nehmen das Geld an sich.

Was die beiden nicht wissen: Das Geld war Lösegeld und der Tote der Vater eines kleinen Mädchens, der auf dem Weg zur Übergabe war. Wenig später findet man die Entführte tot auf. Lucie Henebelle, junge Polizistin und alleinerziehende Mutter von zwei Säuglingen, spürt, dass der Mörder nicht einfach nur töten wollte. Er hat die Leiche wie eine Puppe ausgestellt und in ihrem Hals findet sich ein Wolfshaar. Lucie ist sich sicher, dass das erst der Anfang war und tatsächlich verschwindet wenig später ein zweites Kind …

Es verschwindet nicht nur ein zweites Kind – auch Lucie steht auf der Liste der Täter. Zum Leidwesen des Buches, denn das wird sicherlich nicht interessanter, wenn man der Handlung so viele durchgekaute Motive wie möglich hinzufügt. Genau das ist nämlich das Problem von „Die Kammer der toten Kinder“. Viele der Handlungselemente wirken wie aus anderen Thrillern und Krimis zusammengeklaubt, was den Aufbau von Spannung beträchtlich behindert. Wie soll man auch von einer Geschichte gefesselt werden, wenn man sie mehr oder weniger schon kennt?

Und wie soll man eine Handlung verstehen, die an wichtigen Stellen, die normalerweise einen Aha-Effekt für den Leser bringen sollten, versagt? Voreilige Schlüsse sind ein weiterer Fallstrick für „Die Kammer der toten Kinder“. Besondere Ereignisse, wie zum Beispiel die Erkenntnis, wer der Täter ist, wirken an den Haaren herbeigezogen und zaubern dadurch neben einem Ausdruck von leichter Langeweile zusätzlich ein Fragezeichen auf das Gesicht des Lesers.

Ausgerechnet die beiden, von denen man es am wenigsten erwartet hat, bringen das Buch am Ende wenigstens noch ein bisschen in Fahrt. Vigo und Sylvain, die beiden Autofahrer, die im Verlauf der Geschichte immer wieder auftauchen, um von ihrem Umgang mit dem Lösegeld zu erzählen, treffen schließlich auf den Mörder. Dieser will sein Geld zurückhaben, doch die beiden Ingenieure haben andere Pläne. Bis es so weit kommt, langweilen die beiden Männer eher, weil nichts wirklich Relevantes in ihrem Handlungsstrang passiert.

Bei den Personen ist es Lucie, die am meisten hervorsticht, weil sie angenehm frisch wirkt. Die junge Frau ist gerade aus dem Schwangerschaftsurlaub zurückgekehrt und ständig übermüdet, weil die beiden Zwillinge, die sie alleine großzieht, sie auf Trab halten. Sie ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Rolle als Mutter und der Arbeit als Polizistin, was sich vor allem in den wunderbaren selbstironischen Einwürfen zeigt, die sie immer wieder macht. Tatsächlich ist sie eigentlich auch die Person, die der Autor am stärksten ausbaut, obwohl sie nicht wirklich im Mittelpunkt steht.

Thilliez begeht nämlich den Fehler, sich nicht auf eine Perspektive zu konzentrieren, die er besonders hervorhebt, sondern er setzt den Fokus auf mehrere. Dadurch wird Lucie, immerhin die Ermittlerin, etwas erstickt und auch den anderen fehlt der Platz, sich voll zu entfalten. Das ist sehr schade, denn sie hätte das Zeug dazu gehabt, um in dem Buch führend zu sein.

Einfach nur ärgerlich ist die Darstellung der Täter. Wie Titel und Inhaltsangabe des Buches schon andeuten, geht es nicht um einen einfachen Kriminalroman mit einem einfachen Mord. Vielmehr haben wir es (mal wieder) mit einem psychopathischen Mörder zu tun, der im Verlauf des Buches auch als Bestie bezeichnet wird. Auch das ist nicht neu, und ganz ehrlich: Der Markt ist mittlerweile deutlich von Bestien überlaufen, vor allem, wenn sie derart flach und reißerisch dargestellt werden.

Thilliez‘ Schreibstil ist auf der einen Seite durch sehr farbige und lebendige Beschreibungen geprägt, andererseits aber auch wenig überladen. Der Franzose neigt dazu, so viele Infos wie möglich in so viele Nebensätze wie möglich packen zu wollen, was den Lesefluss erheblich stört. Er unterbricht den Detailüberfluss zwar ab und an mit Lucies selbstironischen Gedanken oder gelungenen Bildern wie auf Seite 61 („Staubdiamanten vibrierten in der Luft wie ein wilder Regenschauer“), doch insgesamt tut sich der Schreibstil nicht wirklich hervor.

In der Summe bietet „Die Kammer der toten Kinder“ wenig Überraschungen. Der Plot ist von der Spannung her überschaubar, Charaktere und Schreibe ragen nicht wirklich heraus. Der Psychothriller ist höchstens guter Durchschnitt, obwohl gerade Lucie Henebelle einen schöner Ansatz bietet.

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Pierre, DBC – Bunny und Blair

DBC Pierre hat sich mit seinem Debüt „Vernon God Little“ (Deutsche Übersetzung: [„Jesus von Texas“) 1336 eine große Anhängerschaft erschrieben, die er hofft, mit „Bunny und Blair“ bei Laune halten zu können.

Erneut setzt er auf sehr schräge Charaktere, denn die beiden im Titel erwähnten Brüder sind getrennte, siamesische Zwillinge, die in einem Heim leben. Sie haben die dreißig bereits überschritten, als sie das erste Mal aus Albion herauskommen und bei einer Art Projekt für eine Weile zu zweit in einer Wohnung in London leben dürfen.

Blair, der Stärkere von beiden, hofft, sich in der großen Stadt endlich seine sexuellen Träume erfüllen zu können, während der schwächliche Bunny am liebsten den ganzen Tag in der Badewanne sitzt, Alkohol trinkt und seinen Bruder mit dreisten Sprüchen aufstachelt. Blair, der ein wenig naiv ist, fällt auf die großherzigen Versprechen seines Chefs herein, was darin endet, dass er sich in das Bild einer jungen Kaukasierin verliebt, das von einem schmierigen Heiratsvermittler ins Internet gestellt wurde. Blair glaubt, das Mädchen seiner Träume gefunden zu haben, und macht sich mit seinem protestierenden Bruder und einem Bündel von Cocktailpulverpäckchen, die ähnlich wie Viagra wirken, auf den Weg zu Ludmilla.

Diese ist dem Leser bereits bekannt, denn zusammen mit den beiden ungleichen Brüdern bestreitet sie das Buch. Es wird erzählt, wie sie ihren aufdringlichen Großvater umbringt, indem sie ihm einen Handschuh in den Rachen schiebt, und wie sie hierauf von ihrer bitterarmen Familie in die nächste Stadt geschickt wird, wo sie mit ihren Englischkenntnissen etwas verdienen soll. Sie landet in der Bar eines windigen Heiratsvermittlers, der ihr auf die Pelle rückt, doch mit ihrer direkten, bäuerlichen Art hat sie dieses Problem sehr schnell im Griff.

Auf verschlungenen Wegen begegnen sich die drei Protagonisten und im Haus von Ludmillas Familie kommt es schließlich zum blutigen Showdown …

Eines vorweg: Wer schon „Jesus von Texas“ als Zumutung empfand, dem wird „Bunny und Blair“ auch nicht gefallen. Pierre kopiert die Geschichte zwar nicht, aber die Mittel bleiben die gleichen: ein paar schräge Vögel von Charakteren, ein politisch nicht ganz korrekter Schreibstil und eine Handlung zwischen echter Spannung, Verwirrung und Ratlosigkeit.

Besonders die Handlung ist ein wenig das Sorgenkind. Lange Zeit besteht sie hauptsächlich aus Wortgeplänkeln zwischen Bunny und Blair oder zwischen Ludmilla und ihrer Familie. Ziemlich langsam kommt Schwung in die Geschichte, wobei sie sich leider manchmal an ihren eigenen Kapriolen verschluckt. DBC Pierre hat ohne Frage ziemlich viel Fantasie, aber er schafft es nicht immer, sie auch in verständliche Bahnen zu lenken. Manchmal sind Sprünge im Plot, die der Leser nicht ganz nachvollziehen kann, und manchmal ist die Handlung so abgehoben, dass man sie beim besten Willen nicht mehr verstehen kann.

Tatsächlich ist das aber das kleinere Übel. Viel besorgniserregender ist, wie bereits erwähnt, der zähe, meterlange Vorspann, in dem einfach nichts passieren möchte. Wortgeplänkel und gelegentliche, banale („banal“ für DBC Pierre’sche Verhältnisse) Ereignisse sind nun wirklich kein Ersatz für einen durchkomponierten und zielorientierten Handlungsaufbau.

Die Charaktere dagegen begeistern, weil sie einfach unglaublich originell und urkomisch sind. Alleine schon die Wahl der Protagonisten – eine osteuropäische Landpomeranze und zwei ehemalige siamesische Zwillinge – ist schon derart ausgefallen, dass daraus nur Gutes erwachsen kann. Und tatsächlich. Unglaublich schillernd und individuell zeichnet Pierre die Personen, wobei er dabei oft auf Klischees zurückgreift und diese schlitzohrig übertreibt. Besonders Osteuropa hat es ihm in diesem Fall angetan, denn neben der Bauernschläue und der Dumpfbackigkeit, die er diesem Volk andichtet, bastelt er ihm auch eine ureigene Sprache. Begriffe wie „Mach die Futterluke dicht!“ oder „Sperr die Lauscherchen auf!“, „Du Ganter!“ oder „Klatsch deinen Kuckuck!“ sorgen dafür, dass man einen sehr guten Eindruck davon bekommt, wie Pierre sich die Bewohner von Ubil vorstellt. Ob das politisch korrekt ist, sei dahingestellt. Lustig ist es allemal und ein paar Lacher tun der transusigen Handlung ganz gut.

Pierres größte Stärke ist aber nach wie vor sein fantastischer Schreibstil. Wild und ungebändigt toben die Worte zwischen den Buchdeckeln herum und formen sich zu grandiosen Bildern und Metaphern. Über allem thront ein skurriler schwarzer Humor, der sich für nichts zu fein ist. Je dreckiger desto besser, und Pierre hat definitiv keine Berührungsängste, wenn es darum geht, Schimpfwörter zu benutzen. Empfindliche Gemüter mögen sich daran stören, aber tatsächlich passt dieser derbe Humor zu dem Buch und seinen Person wie die Faust aufs Auge.

Was Pierres Schreibstil neben dem Witz am meisten auszeichnet, ist sein Umgang mit der Sprache. Er biegt sie sich immer so zurecht, dass alles passt, das heißt, dass er Begriffe zweckentfremdet, seinen Personen eine sehr eigentümliche Sprache in den Mund legt oder sogar selbst Begriffe erfindet. Ein großes Lob gilt an dieser Stelle dem Übersetzer Henning Ahrens, der es geschafft hat, die Atmosphäre, die in Pierres englischsprachigen Büchern herrscht, ins Deutsche zu übertragen.

„Bunny und Blair“ hat durchaus seine Höhepunkte. Die originellen Charaktere und der Schreibstil sind ziemlich einzigartig in der Literaturwelt und machen das Buch, trotz schwacher Handlung, zu einem humoristischen Genuss. Trotzdem, Mister Pierre, das nächste Mal bitte mit etwas mehr Substanz! Dann wird es eines Tages ein Klassiker.

http://www.aufbauverlag.de

Aubyn, Edward St – Schöne Verhältnisse

Edward St Aubyn, dessen Debütroman „Schöne Verhältnisse“/“Never mind“ in England bereits im Jahr 1992 erschien, hatte lange damit zu kämpfen, dass die englische Presse ihn nicht als Schriftsteller ernst nahm. Die Journaille stürzte sich lieber darauf, dass St Aubyn, Mitglied einer großen Adelsfamilie aus Cornwall, früher drogenabhängig und von seinem Vater sexuell missbraucht worden war. Dabei kann man nicht gerade behaupten, dass der Roman von schlechten Eltern wäre …

Eines schönen Sommertages im einem schönen, kleinen französischen Örtchen bereiten sich drei Pärchen darauf vor, sich zum Abendessen zu treffen. Gastgeber ist der tyrannische David Melrose, der nicht nur einen Heidenspaß daran hat, Ameisen zu ersäufen, sondern auch seinen Sohn tyrannisiert und sexuell missbraucht und seine Frau Eleanor, die ihn ohne Alkohol gar nicht mehr aushält, erniedrigt. Nicholas und Victor waren mit David auf einer Schule und gehören wie er zur gehobeneren Schicht Englands. Während Victor seine Zeit mit Philosophie und der cleveren und schlagfertigen Amerikanerin Anne verbringt, hat Nicholas sich mit der proletenhaften, jointrauchenden Bridget eingelassen.

Bei solch einer Ausgangslage ist es natürlich wichtig, dass die Charaktere dementsprechend ausgearbeitet und originell sind. Der originellste ist dabei David Melrose, um den sich das ganze Buch zu drehen scheint. Er ist ein sadistischer Tyrann, der überzogene Forderungen an seine Mitmenschen stellt und sich dessen auch noch bewusst ist. Da ihm aber niemand Paroli bietet, kann er seinen Zynismus perfekt ausleben. Er unterdrückt seine unterwürfige Frau auf garstige Art und Weise und auch der fünfjährige Sohn Patrick hat unter seinem patriarchischen Vater zu leiden. Das ist in gewisser Weise sicherlich bemerkenswert, denn St Aubyn hat in einem Interview zugegeben, dass Patrick sein literarisches Alter Ego ist.

Die Einzige, die im Verlauf des Abendessens keine Rücksicht auf Davids Eigenheiten nimmt, ist Bridget, die, jung und ungebildet, eine Art Gegenpol zur übrigen Tischgesellschaft darstellt. Obwohl es ihr ein wenig an Intelligenz mangelt, stellt sie sich immer wieder die Frage, was sie hier eigentlich will und wieso alle dem Hausherren so hörig sind.

Sohn Patrick fällt ebenso aus dem Rahmen, was schon allein mit seinem Alter zusammenhängt. Edward St Aubyn gelingt es, sehr authentisch aus der Perspektive des Kindes zu schreiben. Alles sieht aus wie ein Spiel oder ist im kindlichen Kontext übertrieben.

Diese beiden Perspektiven, nämlich Patrick und Bridget, bringen frischen Wind ins Geschehen und lockern das Buch, das stellenweise an den alten Herren etwas zu ersticken droht, auf. Die alten Herren nehmen zwar kein Blatt vor den Mund und ihre zynischen Ansichten erheitern durchaus, doch manchmal zieht der Autor die Dialoge zu sehr in die Länge.

Da kaum Handlungselemente existieren, beruht der Roman hauptsächlich auf der Darstellung der einzelnen Charaktere und deren Beziehungen zueinander. Neben der Bezugnahme auf herrschende Klischees über Briten bzw. Amerikaner wird hauptsächlich „gelästert“. Auffällig ist, dass Beschreibungen von Charakteren, Orten etc. selten objektiv, sondern zumeist persönlich eingefärbt und in eine der Erzählperspektiven eingebunden sind. Bereits dadurch entsteht der Eindruck, als hätten die Personen wahrlich nichts Gutes über einander zu sagen, was auf der anderen Seite aber, dank des fiesen Humors, in gewisser Weise den besonderen Charme ausmacht. Es entsteht ein gänzlich unchristliches Bild von der englischen Intellektuellenschicht, wobei St Aubyn nicht versucht, direkt zu kritisieren, sondern vielmehr durch das bloße Aufzeigen der Ungereimtheiten das Gehirn des Lesers anspricht.

Er wählt dazu einen trockenen, nüchternen Schreibstil ohne großartige Emotionen, dessen beißender Witz sich erst in den Dialogen oder Gedanken der Personen zeigt. Dadurch wirkt das Buch wider Erwarten sehr lebendig, weil nur dann scharfzüngiges Leben im Spiel ist, wenn der Fokus auf den Personen und nicht der Umgebung liegt.

Ist es positiv, wenn sich ein Buch beinahe ausschließlich auf seine Charaktere konzentriert? Diese Frage lässt sich in diesem Fall einfach beantworten, denn wenn die Protagonisten so stimmig sind wie in „Schöne Verhältnisse“, ist die Gefahr der Langeweile gering. Der Roman hat zwar an der einen oder anderen Stelle einen kurzen Durchhänger, aber da er mit knapp 190 Seiten nicht gerade besonders lang geraten ist, fallen Handlungslosigkeit und Dialoglastigkeit nicht sonderlich ins Gewicht.

http://www.dumontliteraturundkunst.de/

|Ergänzend:|
[Interview im Deutschlandfunk]http://www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/602891/drucken/

Kuttner, Sarah – anstrengende Daueranwesenheit der Gegenwart, Die

Sarah Kuttner, ihres Zeichens arbeitslose TV-Moderatorin, veröffentlichte bereits 2006 ein Büchlein mit ihren gesammelten Kolumnen aus |SZ| und |Musikexpress| unter dem Titel „Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens“. Anscheinend mit so viel Erfolg, dass der |Fischer|-Verlag ein Jahr später die Fortsetzung „Die anstrengende Daueranwesenheit der Gegenwart“ auf den Markt wirft.

Das Konzept bleibt gleich. Neben ein paar netten Schwarzweißkollagen finden sich im ersten Teil des Buches die |SZ|-Kolumnen, im zweiten Teil die Kolumnen aus dem |Musikexpress|. Während das Schriftwerk aus der |Süddeutschen| sehr viel Alltägliches und damals aktuelle Ereignisse verarbeitet, geht es in den |Musikexpress|-Kolumnen zumeist um popkulturelles Gedankengut. Wesentlich interessanter ist allerdings Ersteres, was auch daran liegt, dass Kuttner nicht einfach nur drauflos schreibt, sondern von der |SZ|-Redaktion ernste bis sinnentleerte Fragen gestellt bekommt und darauf eigentlich immer sinnentleert antwortet. Der Leser bekommt den Humor der kurzzeitigen Moderatorin in kleinen Häppchen serviert, während die |Musikexpress|-Kolumnen ab und an etwas langatmig werden können – auch wenn sie normalerweise nicht über zweieinhalb Seiten hinausgehen.

Nun ist es mit Madame Kuttner so: Entweder mag man sie oder man mag sie nicht. Ihr Humor ist sicherlich gewöhnungsbedürftig. Eloquent, manchmal richtig doof und vor allem simpel mit viel Wortwitz. Kuttner blödelt nicht wirklich ladylike, aber genau das macht oft den Reiz aus, dass sie Dinge sagt, die man aus dem Mund einer Frau so nicht erwarten würde. Trotz allem hält sie noch ein gewisses Niveau, indem sie Wissen und ein sicheres Händchen für gehobeneren Wortschatz beweist.

Was den einen oder anderen sicher stören wird, ist Kuttners Hang zur totalen Sinnlosigkeit. Sehr oft bastelt sie sich etwas zusammen, das einzig und alleine ihrer Fantasie entspringt. Während ihre Kolumnen über weite Strecke einen gewissen satirischen Hauch haben, fehlt dieser an solchen Stellen gänzlich.

Eine weitere Frage, die bleibt, ist, ob es überhaupt notwendig war, eine Fortsetzung zu „Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens“ herauszubringen. Das „Pilotbuch“ sprudelte damals angenehm frisch, doch in „Die anstrengende Daueranwesenheit der Gegenwart“ hat man das Gefühl, dass Frau Kuttner abgebaut hat. Ihr Gebabbel ist nicht mehr so witzig und wirkt stellenweise geradezu angestrengt. Abgesehen davon ist das Konzept des Buches natürlich nicht neu und wird durch einen zweiten Band sicherlich nicht interessanter.

Für den eingefleischten Kuttner-Fan ist das Buch sicherlich ein Muss, doch wer die junge Dame nur „irgendwie witzig“ findet, der sollte lieber zu „Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens“ greifen und vergessen, dass „Die anstrengende Daueranwesenheit der Gegenwart“ überhaupt existiert. Es ist halt nicht nur bei Fernsehserien so, das nicht alles, was einmal funktioniert hat, unbedingt einer Neuauflage bedarf.

http://www.fischerverlage.de/

Kampmann, Renate – Fremdkörper

Kay Scarpetta und Co. müssen sich warm anziehen, denn die deutsche Konkurrenz schläft nicht. Um ehrlich zu sein, ist sie hellwach.

Die engagierte Rechtsmedizinerin Leonie Simon wird gerufen, als man auf dem Dachboden eines Hamburger Hauses die Leiche einer jungen Frau findet, die dort schon sehr lange liegt. Es stellt sich heraus, dass es sich dabei um die vermisste Tochter der mächtigen Staatsanwältin Monika Gebhart-Böttcher handelt. Da ein unnatürlicher Tod nicht auszuschließen ist, tut Leonie ihr Bestes, um Anhaltspunkte dafür zu finden.

Monika Gebhart-Böttcher schiebt ihr und Kommissar Kaminski allerdings einen Riegel vor. Sie lässt das Verfahren einstellen, obwohl Leonie schlüssige Beweise vorlegen kann. Die sture Rechtsmedizinerin findet sich damit allerdings nicht ab und beginnt, in der Vergangenheit der Toten zu recherchieren.

Zur gleichen Zeit werden in verschiedenen deutschen Städten Menschen von einem Sniper erschossen, unter anderem auch in Hamburg. Wirklich interessant wird das für Leonie erst, als ihr Halbbruder Michael auftaucht. Sie hat ihn erst vor Kurzem kennen gelernt und war nicht wirklich erbaut darüber, dass er als Auftragskiller im Untergrund lebt. Er hat den Auftrag, den Sniper zu finden, und bietet Leonie einen Deal an. Die Informationen der Polizei gegen seine eigenen. Die gewissenhafte Leonie ist hin- und hergerissen, doch bevor sie sich versieht, steckt sie viel tiefer im Schlamassel, als ihr lieb ist …

Renate Kampmann schafft mit dem dritten Leonie-Simon-Roman einen sehr gelungenen Krimi, der sich durch eine spannende und vielschichtige Handlung auszeichnet. „Vielschichtig“ ist in diesem Falle ernst zu nehmen, denn es werden gleich zwei voneinander unabhängige Kriminalfälle behandelt. Kampmann schafft es, die beiden Fälle parallel verlaufen zu lassen, ohne dass sie sich verknoten oder dadurch die Spannung flöten geht. Souverän strickt die Autorin ihr Buch zu einem Ende ohne Aussetzer, dafür aber mit viel Spannung, viel Wissen und viel Volumen.

Besonders positiv ist, dass Kampmann nebenbei noch versucht, so authentisch wie möglich den Alltag am Institut für Rechtsmedizin zu beschreiben. Leonie lässt beispielsweise nicht alles stehen und liegen, um auf eigene Faust zu ermitteln, sondern muss weiterhin Leichen und lebende Opfer von Kriminalität untersuchen. Zu den Untersuchungsobjekten werden immer wieder kleine Geschichten erzählt, was das Buch noch fülliger werden lässt.

Das Einzige, was im Verlauf des Krimis immer wieder stört, sind die vielen Erklärungen zu wichtigen und unwichtigen Dingen. Während es bei den medizinischen Fachsimpeleien durchaus etwas mehr hätte sein können, klingen Leonies oft weit hergeholte, sozialkritische Bemerkungen eher wie aus dem Herzen der Autorin als aus dem Mund der Protagonistin.

Leonie selbst ist eine gut ausgearbeitete, sympathische Hauptfigur mit einigen unkonventionellen Zügen. Sie ist eine sehr engagierte Person, die ihre Nase gerne in fremde Angelegenheit steckt und deshalb ständig Ärger bekommt. Außerdem ist sie eine erfolgreiche Frau in ihrer Position mit Aufstiegschancen. Sie ist eine Karrierefrau, aber ihr Leben ist bei weitem nicht so perfekt, wie es scheint. Neben ihrem Halbbruder Michael, mit dessen Gesinnung sie ein Problem hat, hat sie auch noch eine Beziehung zu einem Kollegen, obwohl der verheiratet ist. Leonies Privatleben ist also nicht gerade rosig, und bei der Arbeit legt man ihr auch immer wieder Steine in den Weg. Dadurch entsteht eine sehr starke Frauenfigur, die durch ihre Tiefgründigkeit und Impulsivität gefällt.

Der Schreibstil weist wenige Besonderheiten auf. Er transportiert Handlung und Persönlichkeit Leonies schön in der dritten Person und verzichtet dabei auf überflüssige Satzschnipsel. Die handwerkliche Technik ist ähnlich klar wie der Handlungsverlauf und gefällt durch seine durchkomponierte Art und Weise und die Plastizität.

Die |Bild am Sonntag| wird auf dem Buchrücken mit dem Satz „Besser als Patricia Cornwells aktueller Roman“ zitiert, und auch wenn man Cornwells Buch nicht kennt, muss man anerkennend zugeben, dass es schwierig ist, „Fremdkörper“ Konkurrenz zu machen. Kampmann, die unter anderem auch als Drehbuchautorin arbeitet, weiß, wie man ein gut durchstrukturiertes, spannendes Buch mit einer sympathischen Protagonistin schreibt.

http://www.rowohlt.de

O’Connor, Ed – Mit eiskalter Klinge

Das Cover von Ed O’Connors Thriller „Mit eiskalter Klinge“ sorgt für Gänsehaut. Ein blutbeflecktes Messer zieht sich über die gesamte Seite und scheint eine blutrünstige Story zu versprechen.

Unblutig geht es tatsächlich nicht zu. Detective Alison Dexter hat gerade einen Vergewaltiger hinter Gitter gebracht, als bei einem illegalen Faustkampf einer der Kämpfer getötet wird. Blutspuren und DNA-Material des Mörders gehören zu einem guten Bekannten von Alison. Bartholomäus Garrod wurde vor sieben Jahren von ihr verdächtigt, mehrere Menschen geschlachtet und anschließend verspeist zu haben. Während die Polizisten beim Stürmen des Wohnhauses der Gebrüder Garrod dessen Bruder töteten, konnte Bartholomäus entkommen. Seitdem hält er sich versteckt, doch als Alison Dexter wieder auf den Plan tritt, will er seine Drohung von damals wahrmachen und sich für den Tod seines Bruders rächen. Alison befindet sich in größerer Gefahr, als sie ahnt, denn Garrod war in den letzten sieben Jahren nicht untätig und weiß mehr über sie, als ihr bewusst ist …

Wirklich viel kann man über „Mit eiskalter Klinge“ nicht erzählen, denn der Thriller ist sehr durchschnittlich geraten.

Die Handlung ist solide aufgebaut und erzählt sowohl aus der Perspektive von Alison als auch von Garrod, wobei nicht immer deutlich wird, wer Jäger und wer Gejagter ist. Das ist allerdings kein Nachteil, sondern ein geschickter Schachzug. O’Connor schafft es, kontinuierlich Spannung aufzubauen und immer wieder Wendungen und neue, zwielichtige Personen einzubringen.

Die Spannung, die O’Connor aufbaut, ist allerdings nichts weiter als solides Handwerk; Bewunderungsrufe kann er dem Leser nicht entlocken. Dafür fehlt es zu sehr an unkonventionellen Handlungselementen.

Die Protagonisten sind ebenfalls als solide, aber nicht als herausragend zu bezeichnen. Es ist schön, dass O’Connor darauf verzichtet, Unmassen an privaten Details einfließen zu lassen und sich hauptsächlich auf die Kriminalhandlung konzentriert. Trotzdem wirken die Charaktere tiefgründig und gut ausgearbeitet. Sie transportieren die Handlung anschaulich, mehr allerdings auch nicht. Auch in diesem Fall gilt, dass der Autor auf dem sicheren Weg bleibt und sich dadurch einige Möglichkeiten nimmt.

Der Schreibstil erfüllt alle Anforderungen. Er beschreibt schön und anschaulich und weist ein gehobenes, dennoch verständliches Vokabular auf. Dialoge spielen eine wichtige Rolle im Buch und sorgen dafür, dass es lebendig und authentisch wirkt. Ansonsten geschieht nicht viel. Ein übersichtlicher Einsatz von rhetorischen Mitteln und Humor hieven das Buch in die Mittelklasse, aber kein bisschen darüber hinaus.

Ed O’Connors Thriller „Mit eiskalter Klinge“ ist solide Handarbeit. Spannend, gut erzählt, aber nichts Besonderes. Es gibt wenig, das man bekritteln kann, aber genauso wenig, das man wirklich loben möchte. Letztendlich bleiben knapp 400 Seiten gute Unterhaltung. Nicht mehr und nicht weniger.

http://www.bastei-luebbe.de

Vlugt, Simone van der – Schattenschwester

Brennpunktschulen scheinen nicht nur in Deutschland ein Problem zu sein. Auch in Holland gibt es sie, und Simone van der Vlugt hat diese Tatsache genutzt, um daraus einen Thriller zu basteln.

Die junge Marjolein, verheiratet und Mutter einer sechsjährigen Tochter, ist Lehrerin am Rotterdams College, das mit sinkenden Schülerzahlen und vielen ausländischen Schülern zu kämpfen hat. Eines Tages wird sie von einem ihrer Schüler mit einem Messer bedroht. Obwohl zutiefst verängstigt, gibt sie keine Anzeige auf, unter anderem auch deshalb, weil der Rektor um den Ruf des College fürchtet.

Wenig später wird ihr Auto demoliert und immer wieder wird Marjolein von dem Schüler, der sie bedroht hat, verfolgt. Doch niemand kümmert sich um die junge Frau, und wenig später ist sie tot.

Doch damit ist das Buch natürlich noch nicht zu Ende. Marjoleins eineiige Zwillingsschwester Marlieke ist fest davon überzeugt, dass der Schüler, der ihre Schwester bedrohte, sie auch auf dem Gewissen hat. Doch während sie sich immer mehr mit dem Fall beschäftigt, stellt sich heraus, dass sowohl in Marjoleins als auch in ihrem Leben nicht alles so ist, wie es scheint. Und dass sie den Täter vielleicht ganz woanders suchen muss …

Die Besonderheit von „Schattenschwester“ sind die beiden Perspektiven von Marjolein und Marlieke. Beide im Präsens geschrieben, finden sie zu zwei verschiedenen Zeiten statt. Während Marjolein von den Tagen bis zu ihrem Tod berichtet und davon, wie sie sich währenddessen immer wieder verfolgt fühlt, setzt Marlieke beim Mord an ihrer Schwester an. Sie erzählt, wie es danach mit ihr und Marjoleins Familie weitergeht und wie sie dem Täter auf die Spur kommt.

Diese Kombination ist insofern spannend, dass die Täterentlarvung auf zwei Ebenen passiert. Marjolein steht ihm am Ende ihres Lebens gegenüber und ein Kapitel später findet Marlieke heraus, wer ihre Schwester auf dem Gewissen hat. Das ansonsten in Krimis und Thrillern so oft vorkommende einleitende Kapitel, in dem der Mord geschieht, fällt weg, wodurch ein gewisses Maß an Spannung erhalten bleibt.

Wirklich spannend ist das Buch allerdings nicht, jedenfalls nicht im Sinne von mitreißender Thrillerspannung. Das Buch von van der Vlugt kann sich einer gewissen Frauenbuchlastigkeit nicht erwehren. Die Schwestern erzählen aus der Ich-Perspektive und so viel aus ihrem Alltag, dass man sich oft fragt, worauf die Autorin eigentlich hinauswill. Möchte sie das Leben der beiden Zwillingsschwestern sezieren oder möchte sie dem Leser hochwertige Thrillerkost servieren? Falls sie Letzteres vorgehabt hatte, gelingt ihr Ersteres wesentlich besser. Das Spannungspotenzial wird dementsprechend nicht vollständig ausgeschöpft.

Das Alltagsgeschehen der beiden Schwestern wird dafür sehr authentisch dargestellt. Hierfür muss man die Autorin loben, genau wie für ihre reifen Charaktere. Auch wenn man ab und an das Gefühl hat, dass die Protagonistinnen ein bisschen zu gut dargestellt werden, weisen sie eine seltene Tiefgründigkeit auf. Man erfährt viel über ihr Privatleben, ihre Vergangenheit sowie Gedanken und Gefühle, da sie aus der Ich-Perspektive erzählen. Ab und an schweift van der Vlugt dabei ein wenig ab, aber letztendlich hilft das nur, die beiden Schwestern noch plastischer darzustellen. Das ist auch notwendig. Schließlich tragen die beiden Frauen die Geschichte. Sie sind sogar wichtiger als die eigentliche Handlung, die, wie bereits erwähnt, nicht so viel hergibt.

Einher mit der guten Darstellung geht der Schreibstil, der ungekünstelt und einfach ist, dabei aber alles auf den Punkt bringt. Da in der Ich-Perspektive, also mehr oder weniger aus dem Kopf der Erzählerinnen, geschrieben wird, ist es wichtig, dass ihre Worte so klingen, als ob sie auch aus dem Mund des Lesers kommen könnten. Das gelingt van der Vlugt sehr gut. Sie schafft eine angenehme Leseatmosphäre, auch wenn das Präsens anfangs gewöhnungsbedürftig ist. Hat man sich aber erst mal mit dem seltenen Tempus zurechtgefunden, fühlt man sich tatsächlich so, als ob man am Leben der beiden Schwestern teilhaben würde.

„Schattenschwester“ ist eine zwiespältige Angelegenheit. Obwohl es eine Kriminalhandlung beherbergt, ist es auf weiten Strecken doch eher ein Buch für das weibliche Geschlecht. Die genaue Darstellung der Leben der beiden Frauen führt dazu, dass dies so ist. Allerdings wird der Alltag der beiden sehr authentisch dargestellt und der Schreibstil ist sehr warm und zieht in den Bann. Wer also ein Freund der milden Unterhaltung mit vielen Belletristikelementen ist, kann bei „Schattenschwester“ von Simone van der Vlugt beruhigt zugreifen.

http://www.diana-verlag.de

|Siehe ergänzend dazu: [„Klassentreffen“ 3850 (2006/2007)|

Kittle, Katrina – Zerbrechlich

In „Zerbrechlich“ behandelt die Amerikanerin Katrina Kittle ein sehr sensibles Thema: Kindesmissbrauch.

Sarah Laden ist die Mutter zweier halbwüchsiger Söhne und besitzt einen kleinen Cateringservice. Vor zwei Jahren ist ihr Mann Roy gestorben. Courtney Kendrick, ihre beste Freundin, hat ihr über die schwere Zeit nach dem Verlust geholfen. Eines Tages kommt der Verdacht auf, dass Courtney und ihr Mann ihren Sohn Jordan, der mit Sarahs Sohn Danny in eine Grundschulklasse geht, sexuell missbraucht haben sollen.

Sarah kann das natürlich nicht glauben, doch die Beweise werden immer erdrückender. Sie nimmt Jordan bei sich auf, obwohl sie schon genug mit ihren beiden Söhnen zu kämpfen hat. Besonders der pubertierende Nate hat immer wieder Ärger in der Schule, doch wider Erwarten bessert er sich, als Jordan in die Familie kommt. Allerdings hat Sarah nicht damit gerechnet, dass dieser Fall ihre Familie so sehr in Aufruhr bringen würde …

„Zerbrechlich“ wird aus drei Perspektiven erzählt, die sehr geschickt gewählt sind. Sarah hat nicht nur damit umzugehen, dass die beste Freundin nicht das ist, was sie zu sein scheint, sondern auch, dass ihr jüngerer Sohn bei den Kendricks aus und ein ging. Wie sehr kann man sich eigentlich in Menschen täuschen?

Nate, Sarahs ältester Sohn, plagt sich dagegen mit Schuldgefühlen herum. Er hat nie jemandem davon erzählt, aber tatsächlich hat Courtney Kendrick ihn vor kurzem geküsst – und zwar nicht nur geschwisterlich. Er hatte sich dadurch geschmeichelt gefühlt. Hätte er nicht stattdessen erkennen müssen, wie krank diese Frau ist? Er fühlt sich gegenüber Jordan schuldig und kümmert sich deshalb besonders um den Jungen.

Jordan, das Opfer, darf sich ebenfalls zu Wort melden, auch wenn er in seiner Perspektive keine genaue Schilderung der Vorfälle abgibt. Trotzdem kommen immer wieder Erinnerungen zutage, und Jordan berichtet, wie es ist, in der neuen Familie zu leben und wie er damit umgeht, dass sein Vater auf der Flucht ist und seine Mutter, der er überhaupt keine Schuld gibt, im Gefängnis sitzt.

Das Thema Kindesmissbrauch geht Katrina Kittle sehr sensibel an. Sie verzichtet auf reißerische Darstellungen und emotionale Schocker und überlässt es vielmehr Jordan, der diese Erinnerungen natürlich zu verdrängen versucht, mit kleinen Bemerkungen in seiner Perspektive dem Leser sein Schicksal bewusst zu machen.

Überhaupt geht es in dem Buch um weit mehr als Kindesmissbrauch, auch wenn dies das Motiv ist, um das sich alles dreht. Es geht auch um den schönen Schein, den die Kendricks – sie Ärztin, er erfolgreicher Geschäftsmann – aufrechterhielten, damit niemand hinter ihr Geheimnis kam. Es geht darum, wie sie alle getäuscht haben und wie Jordan und Sarahs Familie damit umgehen, dass der Junge jetzt bei ihnen wohnt.

Die Handlung beschäftigt sich also mehr mit emotionalen Seiten als mit der Spannung, auch wenn das Buch als „Thriller“ deklariert ist. Wer Nervenkitzel bis zur letzten Seite erwartet, wird enttäuscht. Natürlich ist es auch nicht gerade langweilig, das Zusammenleben einer „normalen“ Familie mit einem sexuell missbrauchten Jungen zu beobachten, aber Sex and Crime darf man in „Zerbrechlich“ nicht erwarten.

Kittle beweist ein gutes Händchen, um diese zwischenmenschlichen Ereignisse glaubhaft zu erzählen. Der Leser kann dank der unterschiedlichen Perspektiven gut nachvollziehen, was im Hause Laden vor sich geht. Besonders Jordans Charakter ist der Autorin gut gelungen. Der schüchterne, abgekapselte Junge scheint in seiner eigenen Welt mit ihm sehr eigentümlichen, da von seiner Vergangenheit geprägten Gedankengängen zu wohnen. Er hat eine ganz andere Sicht auf gewisse Dinge als andere Menschen, und Kittle schafft es, diese für den Leser verständlich herüberzubringen, ohne viel dabei zu erklären. Man merkt, dass Jordan sehr verletzt wurde, ihm aber auch eine gewisse Stärke innewohnt.

Die anderen Charaktere sind ebenfalls sehr tiefgründig und gut gestaltet, aber gerade Nate, der mitten im Teenageralter ist, wirkt an manchen Stellen etwas zu vernünftig und dadurch unrealistisch.

Ein wirkliches Manko des Romans ist allerdings der Schreibstil. Das beginnt schon mit der schlampigen Übersetzung. Wieso bleibt das Wörtchen „Yeah“, das des Öfteren vorkommt, unübersetzt, und wieso sagt man statt „Soccermom“ nicht einfach „Fußballmama“? Es ist sicherlich nicht allen Deutschen bewusst, was „soccer“ ist, und die Übersetzung als „Fußball“ tut nicht weh und ist auch in Zeiten des Neudeutschen noch modern genug.

Ansonsten gibt es wenige positive Eigenschaften, mit denen sich Kittles Schreibstil hervortut. Sie schreibt durchschnittlich gut, auch wenn sie an einigen, zumeist unwichtigen Stellen zu sehr ins Detail geht. Unwichtige Stellen sind vor allem ihre Arbeit als Köchin. Für den Verlauf der Geschichte ist es zum Beispiel völlig irrelevant, alle Schritte bei der Zubereitung eines Fischgerichtes aufzuzählen. Leider passiert das aber nicht nur einmal im Buch, was auf die Dauer nervt.

„Zerbrechlich“ von Katrina Kittle ist eine zweischneidige Angelegenheit. Inhalt und Charaktere gefallen sehr gut und sind authentisch, aber der Schreibstil ist zu durchschnittlich, um das Buch in die oberen Ränge zu hieven. Das ist schade, denn der angebliche Thriller hat mehr als genug gute Ansätze.

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Jary, Micaela – geheime Königin, Die

Religionsunruhen gehören zu den Dingen auf dieser Welt, die immer wieder die Nachrichten füllen. Allerdings denkt man beim Wort „Religionsunruhen“ heutzutage eher an den Islam. Dabei ist die Weste der Christen auch nicht gerade weiß.

Micaela Jarys historischer Roman „Die geheime Königin“ spielt im 16. Jahrhundert zur Zeit der großen französischen Unruhen zwischen Protestanten und Katholiken.

Die junge Protestantin Isabelle gehört zum Hofstaat von Diane de Poitiers, der Mätresse von König Henri, die er seit Jahren vergöttert und mehr an seinen Regierungsgeschäften beteiligt als Königin Catherine de Médicis. Es weiß allerdings niemand von der religiösen Gesinnung Isabelles, denn sie ist nicht die, die sie vorzugeben scheint. Als Spionin für die Protestanten versucht sie, Diane, die geheime Königin, auszuhorchen und verfolgt dabei noch einen eigenen Rachefeldzug. Schloss Chenonceau, wo Diane residiert, gehörte früher Isabelles Familie, die das Schloss durch einen intriganten Prozess an die Mätresse verlor.

Doch Isabelles Pläne zur Rache an Diane werden gestört, als sie den Hauptmann Gabriel de Montgommery kennen lernt und dem jungen, geschmeidigen Charmeur verfällt. Hin- und hergerissen zwischen ihrem Auftrag und ihrer Religion, versucht sie, ihm aus dem Weg zu gehen, doch er kommt ihr auf die Schliche …

Jarys Roman basiert auf realen historischen Ereignissen, allerdings hat sich die Autorin die Freiheit herausgenommen, diese an einigen Stellen etwas zu ändern. Gabriel de Montgommery zum Beispiel war in Wirklichkeit ein verheirateter Familienvater, doch Jary benutzt ihn als jungen, schneidigen Kavalier.

Gegen dieses Vorgehen ist an und für sich von Laienseite (ein Historiker mag das vielleicht anders sehen) aus nichts zu sagen. Trotzdem ist es kein Freibrief, um die Charaktere übertrieben schwülstig darzustellen, wie in diesem Fall geschehen. Der Klappentextzusatz „Ein packendes Liebesepos …“ wird dezent übererfüllt. Besonders die Figur der Isabelle trieft auf manchen Seiten geradezu vor Pathetik und romantischem Gehabe. Die Art und Weise, wie sie Gabriel verfällt, erinnert stellenweise stark an einen Groschenroman, und das trägt nicht gerade dazu bei, dass „Die geheime Königin“ sehr realistisch wirkt. Außerdem fragt man sich als Leser, wieso ausgerechnet diese junge Dame als Spionin ausgewählt wurde, wo sie doch in schöner Regelmäßigkeit in Ohnmacht fällt oder sich gefährlich verhaspelt. Warum sie trotzdem nicht entdeckt wird, ist wirklich ein Wunder.

Die historischen Tatsachen werden nicht nur anhand der Zeittabelle im Anhang aufgeführt, sondern direkt in die Geschichte eingebunden. Da Isabelle als Spionin arbeitet, hat sie ein eigenes Interesse an den Ereignissen, wie zum Beispiel der Verhaftung eines hohen Protestanten. Man kann also durchaus noch etwas lernen, wenn man „Die geheime Königin“ liest.

Die Handlung hat ohne Frage ihre Momente, besonders wenn nicht sicher ist, auf welcher Seite Gabriel de Montgommery nun eigentlich steht, aber genauso hat sie auch ihre Längen. Insgesamt fehlt es dem gesamten Roman an Spannung. Isabelles Seelenleben gibt leider auch nicht genug her, um diesen Makel auszugleichen. Die knapp 450 Seiten Buch werden dadurch stellenweise zu Quälerei, denn neben der Handlung und den Charakteren hat auch der Schreibstil nicht viel zu bieten.

„Die geheime Königin“ liest sich wie jeder andere durchschnittliche Historienroman auch. Trocken, ohne großartige Stilmittel, aber dafür mit einer Menge schwülstig-archaischer Ausdrücke, die das Lesen mehr verkomplizieren als es plastisch zu gestalten. Der Schreibstil sorgt insgesamt nicht für einen reibungslosen Verlauf der Geschichte, sondern ist im Gegenteil oft schuld daran, dass die Handlung sich zieht.

„Die geheime Königin“ ist ein wenig angestaubt, ein wenig langweilig und ein wenig schwülstig – also nicht gerade die beste Leseempfehlung.

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Alexander, Alma – Drachenkaiserin, Die

Filme wie „Tiger & Dragon“ oder „Hero“ haben es vorgemacht: China ist immer ein guter Schauplatz für eine Geschichte.

In „Die Drachenkaiserin“ von Alma Alexander dreht sich alles um eine fiktive Schwesternschaft, die Jin Shei, wobei es sich dabei nicht um einen Orden oder ähnliches handelt. Jin-Shei-Schwester zu sein, bedeutet einfach, dass man mehr als eine bloße Freundin ist und immer für den anderen da sein sollte.

Die Schwesternbündnisse, von denen im Buch die Rede ist, entwickeln sich schon in junger Kindheit und umspannen sowohl die Arbeiter Chinas als auch den Kaiserhof. Die junge Schneiderstochter Tai schließt Freundschaft mit der Prinzessin Antian, und die beiden sind ein Herz und eine Seele, bis eines Tages etwas Schreckliches passiert.

Ein Erdbeben begräbt den Sommerpalast unter sich und die einzige Thronfolgerin, die jetzt noch vorhanden ist, ist Liudan. Das junge Mädchen, dessen Vater zwar der Kaiser, die Mutter aber eine in Ungnade gefallene Konkubine war, weigert sich, die Marionette ihres machtgierigen Hofes zu sein, und beschließt, selbst zu regieren. Damit bringt sie das ganze chinesische Reich in Aufruhr. Nicht alle ihre Entscheidungen sind durchdacht, aber mit der Schwesternschaft an der Seite gelingt es ihr, das Reich zusammenhalten. Bis sie eines Tages die Nachricht erreicht, dass es noch eine weitere Tochter des Kaisers gibt, und diese ist älter als sie und damit die eigentliche Thronfolgerin …

Alma Alexanders Roman ist ein kleines Universum. Sie erzählt aus verschiedenen Sichten zu verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Bevölkerungsgruppen, wodurch ein abgerundetes Gesamtbild des chinesischen Reiches entsteht. Manche Perspektiven wären vielleicht gar nicht so wichtig, aber sie runden das Buch wunderbar ab und sind so lebendig und mit Liebe gestaltet, dass sie nicht stören.

Sowohl die Welt, in der die Geschichte spielt, als auch die einzelnen Charaktere sind mit sehr viel Herzenswärme gestaltet und beschrieben. Besonders wenn die Mädchen jünger sind, liest sich „Die Drachenkaiserin“ beinahe wie ein Kinderbuch, wenn auch nicht ganz so simpel. Das ist allerdings kein Negativpunkt, denn diese Niedlichkeit macht den Charme des Buchs aus. Charme hat „Die Drachenkaiserin“ nämlich auf jeden Fall, und das ist gut so.

Der Charme ist es auch, der das Spannungsnetz, das Alma Alexander webt, zusammenhält. Die Autorin setzt nicht direkt auf eine ansteigende Spannungskurve, sondern vielmehr auf ein dichtes, verwobenes Netz. Dies hat seinen Ursprung in den vielen verschiedenen Perspektiven, die teilweise einen unterschiedlichen Wissensstand über den Lauf der Dinge offenbaren. Dadurch entstehen Konflikte, von denen der Leser meist mehr weiß als die Charaktere, was wiederum die unterschwellige Spannung ausmacht.

Der einzige Kritikpunkt, den man anbringen kann, ist, dass die Masse an Figuren am Anfang verwirrend ist. Alexander führt die verschiedenen Personen ziemlich schnell hintereinander ein, ohne dass bereits erkennbar ist, was sie eigentlich für einen Nutzen für die Geschichte haben. Nach einigen Seiten, wenn die Personen sich in ihren Rollen verfestigen konnten, ist die Verwirrung wieder vorbei. Trotzdem stellt sich die Frage, ob dieses Vorgehen den Leser am Anfang nicht ein wenig überfordert.

Alma Alexanders historischer Roman „Die Drachenkaiserin“ ist ein leises, unauffälliges, aber magisches Buch. Personen und Schauplätze sind lebendig und mit Liebe gestaltet und die Handlung beinhaltet zwar keine Spannungskurve, dafür aber ein dichtes Netz an zwischenmenschlichen Beziehungen mit Konfliktpotenzial. Der charmante Schreibstil trägt noch zusätzlich dazu bei, dass „Die Drachenkaiserin“ wunderbar zu lesen ist.

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Donzowa, Darja – Nichts wäscht weißer als der Tod

Sie ist reich, hat einen gutaussehenden Mann, ist kränklich und hat jede Menge Allergien. Sie ist eine graue Maus und mit sechsunddreißig nicht mehr im besten Alter. Die Protagonistin von Darja Donzowas Krimi „Nichts wäscht weißer als der Tod“ erinnert nicht umsonst an eine kleine verwöhnte Prinzessin, doch als sie erfährt, dass ihr Mann sie betrügt, beschließt Tanja, einen Schlussstrich zu ziehen.

Doch statt zu sterben, wird sie von der barmherzigen Schilddrüsenchirurgin Katja aufgesammelt, die in einer chaotischen Familie mit vielen Tieren lebt und ein großes Herz hat. Wenig später ist Tanja, die noch nie in ihrem behüteten Leben einen Putzlappen oder einen Kochlöffel in der Hand gehalten hat, die Haushälterin der Familie. Sie tritt natürlich von einem Fettnäpfchen ins andere. Sie vergisst die Hunde auszuführen, verkocht das Essen und kann nicht mit dem Geld umgehen.

Sie versagt auch beinahe, als Katja sie anruft und bittet, bei einem gewissen Kostja eine Dokumentenmappe zu holen und zu einem Treffpunkt zu bringen. Dort wartet Katja mit einem dicken Kriminellen auf sie, doch die Mappe enthält nicht die gewünschten Dokumente. Der dicke Kriminelle, der Katja entführt und mit Handschellen an sich gefesselt hat, setzt Tanja ein Ultimatum. Wenn sie in zwei Wochen die Dokumente nicht aufgetrieben hat, muss Katja sterben. Tanja springt über ihren Schatten und beginnt Nachforschungen anzustellen. Sie findet heraus, dass Kostja ermordet wurde, doch eine seiner Geliebten hat ihre Handtasche in seiner Wohnung vergessen. Hat sie den erfolglosen Schauspieler umgebracht? Tanja fragt sich von Haustür zu Haustür durch und immer wieder tauchen neue Namen auf – und Leichen …

Darja Donzowa schuf mit dem ersten Buch der Tanja-Reihe einen lockeren Alltagskrimi, der durch seine Bodenständigkeit, Spannung und Selbstironie gefällt.

Tanja, von Natur aus eher ängstlich, verzichtet auf übertriebene Actioneinlagen und begnügt sich damit, sich als Polizistin auszugeben und alle möglichen Leute, die mit der Entführung und dem Mord an Kostja in Zusammenhang stehen, zu befragen. Doch anstatt einen Verdächtigen zu finden, kommen immer mehr Leute dazu, die Tanja ihre Lebensgeschichte erzählen und irgendwie Dreck am Stecken haben, aber dann doch wieder nicht so viel, dass sie die Täter sein könnten.

Genau das ist der Knackpunkt der Geschichte. Ein paar Lebensgeschichten sind ja ganz lustig und bringen frischen Wind in den Roman. Wenn jedoch alle zehn Seiten eine neue Geschichte erzählt wird, zieht es das Buch unnötig in die Länge, und Längen bedeuten Spannungsverlust. „Nichts wäscht weißer als der Tod“ beginnt spannend, lässt dann aber nach. Gegen Ende scheint der Fall gelöst, doch aufgrund widriger Umstände entkommt der Täter erneut und Tanja muss nach ihm suchen. Dieses doppelte Ende quetscht dem Roman das letzte bisschen Luft aus den Lungen, das er noch hatte.

Dass man das Buch trotzdem nicht aus der Hand legt, ist Schuld der sympathischen Protagonistin Tanja. Sie ist eine ganz normale Frau, deren Leben lange fremdbestimmt war, doch nun nimmt sie alles selbst in die Hand. Am Anfang hat sie dabei sehr zu kämpfen, doch es ist sehr interessant, wie sie lernt, all die kleinen Angelegenheiten des Alltags zu meistern. Die junge Dame hat beileibe keine Superkräfte, aber ihre Standhaftigkeit und Frechheit helfen ihr, ihren Weg zu verfolgen. Der Weg, der sie von einem kleinen Mädchen zu einer erwachsenen Frau reifen lässt.

Donzowa stattet ihre Protagonistin mit einem sicheren Auge fürs Detail mit authentischen Charakterzügen und einer interessanten Geschichte aus. Einer der prägnantesten Charakterzüge der jungen Russin ist ihre Selbstironie, die sich vor allem in dem Ich-Schreibstil niederschlägt. Immer wieder hat sie ein Witzchen auf den Lippen und redet von sich nicht gerade besonders ernsthaft. Dadurch macht es sehr viel Spaß, ihrem Leben zu folgen.

Auch die meisten anderen Charaktere nehmen sich nicht sonderlich ernst. Besonders die Familie um Katja, bestehend aus dem erwachsenen Sohn Serjosha, seiner Freundin Julia und dem zehnjährigen Kira sowie der gefürchteten (Ex-)Schwiegermutter Viktoria im weiteren Verlauf, weiß immer wieder zu entzücken. Im Haus geht es sehr chaotisch, aber immer liebenswert zu und es ist kein Wunder, dass sich Tanja sofort dort wohlfühlt.

Wohlfühlcharakter hat auch Donzowas Schreibstil. Wenn eine so quirlige, humorvolle Protagonistin in der Ich-Perspektive aus ihrem Leben erzählt, kann es ja nur gut werden. Ohne übertriebenen Ballast, dafür aber mit Witz und treffenden Beschreibungen tänzeln die Wörter durch das Buch, dessen Aufbau nicht immer Spannung garantiert. Unterhaltung ist auf jeden Fall geboten, denn Donzowas Schreibstil ist unverwechselbar leichtfüßig.

„Nichts wäscht weißer als der Tod“ ist noch nicht der große Wurf, aber Darja Donzowas sympathische Protagonistin und ihr lässiger Schreibstil zeigen, wo es lang geht. Und nicht umsonst wurde die Reihe um Tanja mit [„Spiele niemals mit dem Tod“ 3391 fortgesetzt.

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