_Lebendige und spannende Darstellung einer versunkenen Epoche_
Der Autor lädt zu einer Begegnung mit reichen Goldschmieden, zerlumpten Bettlern, unheimlichen Scharfrichtern, „hübschen Frauen“ und vielen weiteren mittelalterlichen Zeitgenossen ein. Der Spaziergang durch den Alltag von der Zeit des Schwarzen Todes (ca. 1350) bis zum Beginn der Reformation (1517) wird spannend gezeigt vor dem Hintergrund der bestens dokumentierten Stadt Augsburg, die auf 200 Jahre Geschichte zurückblicken kann.
_Der Autor_
Kay Peter Jankrift, 1966 als Sohn eines Friseurmeisters (dem dieses Buch gewidmet ist) geboren, studierte Geschichte, Semitische Philologie und Islamwissenschaft an den Unis Münster und Tel Aviv. Als Privatdozent lehrt er Mittlelalterliche Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. (Verlagsinfo)
_Inhalt_
Der Versuch, eine ganze Epoche zum Leben zu erwecken, ist nicht einfach und erfordert zahlreiche einzelne Schritte. So wie der Künstler ein großes Gemälde von jeher in kleine Planquadrate aufteilt und anfängt, diese nacheinander auszumalen, so besteht auch dieses historisch-beschreibende Buch aus zahlreichen Kapiteln und Unterkapiteln. Sie sind einigermaßen folgerichtig angeordnet, so dass die späteren Kapitel auf dem Wissen der vorhergehenden aufbauen können. Erst im Nachhall wird aus den einzelnen Bausteinen ein Gebäude, aus den Einzelteilen ein Ganzes, aus den Planquadraten ein Gemälde.
Die behandelte Epoche sind jene rund tausend Jahre, die zwischen dem Ende Westroms um 410 und dem Beginn der Reformation um 1518 liegen. Da trifft es sich gut, dass die Stadt Augsburg, die in den meisten Kapiteln die wohl dokumentierte Hauptrolle spielt, sowohl eine römische Gründung ist (um das Jahr 15) als auch den ersten Prozess gegen Martin Luther anno 1518 sah. Dazwischen lag um 955 ein ebenso einschneidendes Ereignis: die Schlacht auf dem Lechfeld. Dabei wehrten Kaiser Otto I. und der Augsburger Bischof mit ihren Truppen die Invasion der Ungarn ab. Auf diesen Erfolg hielten sich nicht wenige Augsburger Geschlechter und Zünfte etwas zugute. Man wusste hier schon immer, aus Verdienst weiteren Verdienst zu schlagen.
Ein anderer Kaiser verlieh der Stadt 1316 spezielle Sonderrechte und unterstellte sie unmittelbar dem Reich. Als Freie Reichsstadt war sie nicht mehr dem Bischof unterstellt, was die Ratsherren weidlich auszunutzen verstanden. Erst 1368 machten ihnen die neu gegründeten Zünfte der Handwerker im Stadtrat Konkurrenz. Von hier kamen die Handelsherren der Welser, Fugger und anderer, die ganze Reiche und Kaiser finanzierten, so etwa Karl III, Maximilian, Karl IV und schließlich Karl V.
Augsburg wirkte im Schwäbischen Bund mit, wodurch es sich mit Nürnberg, Ulm und Nördlingen gegen die Fürsten verbündete. In diesen kriegerischen Auseinandersetzungen musste es wehrhaft sein und ständig aufrüsten. Dadurch herrschte erhebliche Geldnot, selbst wenn Tuch- und Gewürzhandel sowie später Buchdruck florierten. Das trug ziemlich hässliche Früchte, denn die Augsburger und andere Potentaten tilgten ihre Schulden bei den Juden, indem sie diese im Jahr 1348 einfach umbrachten. Im Jahr 1438 wiesen sie alle Juden aus der Stadt. Diesem Aspekt des Lebens in der Stadt sind mehrere Abschnitte gewidmet.
Während woanders 1348 bereits der Schwarze Tod, die aus Asien eingeschleppte Pest, wütete, kamen die Augsburger noch einmal davon, nur um 1358 umso härter davon getroffen zu werden. Einmal da, kehrte die Seuche in kurzen Abständen von acht bis zehn Jahren immer wieder, bis ins 18. Jahrhundert. Diese „Strafe des Himmels“ hinterließ bei den Bürgern tiefe Spuren. Aberglauben griff ebenso um sich wie das Verbrechen.
Einen tiefen Einblick in die Kultur und den Alltag des 15. Jahrhundert liefert die Autobiografie des Händlers Burkard Zink (1396-1474/75). Das Buch aus dem Jahr 1466 ist die erste „Selberlebensbeschreibung“ (Jean Paul) aus dem deutschen Sprachraum überhaupt, glaubt man dem Verfasser. Sie mag Lücken aufweisen und eine Menge Schreibfehler (es gab noch längst keinen DUDEN), aber der Kaufmann berichtet, wie er immer wieder Mitglieder seiner Familie an die Seuche verlor, nicht zuletzt seine geliebte Frau Elisabeth, aber auch mehrere Kinder. Die Kindersterblichkeit soll etwa 50% betragen haben.
Heimsuchungen wie Brände und Überschwemmungen taten ein Übriges, um die Bevölkerungszahl in Grenzen zu halten. Während sich in Köln, der größten Stadt, an die 40.000 Menschen auf engstem Raum drängten, dürften es in Augsburg gut über 10.000 gewesen sein. Diese Dorfgröße sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass praktisch alle (außer Kurieren zu Pferd und Schiffern auf dem Fluss) zu Fuß gehen mussten und somit alle Einrichtungen in Gehdistanz liegen mussten.
Deshalb wusste auch jeder über jeden Bescheid, und selbst Geheimbündnisse konnten nicht für immer verborgen bleiben. Viele böse Machenschaften kamen ans Licht. Sie wurden angemessen bestraft, doch es wurde keineswegs mit gleichem Maß gemessen – je höher der Stand des Delinquenten, desto glimpflicher kam er davon, meist mit einer Geldbuße. Aber es kam auch vor, dass ein besser gestellter Vergewaltiger lebendig eingemauert wurde und erstickte.
Normalerweise ist dieser Job der des Scharfrichters. Dieser vielbeschäftigte und reichlich unheimliche Bursche war nicht nur für Hinrichtungen auf der „Hauptstätte“ zuständig, sondern musste auch Folter ausüben, öffentliche Abtritte säubern und sogar bis zu einer gewissen Zeit das städtische Bordell beaufsichtigen. Es gab solche „Frauenhäuser“ bis Anfang des 16. Jahrhunderts offenbar in jeder deutschen Stadt, denn kein Bischof fand etwas dabei, dass Freier in ein öffentliches Bordell gingen – schuld war Kirchenvater Augustinus. Die Sache erledigte sich allerdings mit dem Aufkommen der Syphilis, der „Franzosenkrankheit“, die nach 1492 aus der Neuen Welt eingeschleppt wurde.
Nach und nach kristallisiert sich ein realistisches Bild von der Stellung der Frau in einer mittelalterlichen Stadt heraus. Sie war nicht zu beneiden. Liebe, wie im Fall des Burkhard Zink und seiner Elisabeth, bildete die große Ausnahme. Die Frau war mehr oder weniger das Besitztum des Mannes und dazu da, ihm Kinder zu gebären und sie aufzuziehen. Das war ja angesichts der hohen Sterblichkeitsrate auch dringend nötig: Kinder dienten als Lebens- und Rentenversicherung. Selbst Burkhard Zink, ein reicher Mann, sah es deshalb als erforderlich an, nacheinander zwei weitere Frauen zu ehelichen, nachdem seine Elisabeth gestorben war. Noch mit 58 Jahren zeugte er ein Kind und erreichte das biblische Alter von rund 80 Jahren.
_Mein Eindruck_
Aus diesen wenigen Andeutungen kann mein Leser vielleicht schon ersehen, dass Jankrift einen weiten Bogen spannt, um so viele Aspekte des mittelalterlichen Alltags wie möglich einzufangen. Er tut dies aber erfreulicherweise nicht auf eine scholarisch-trockene Weise, sondern als würde er eine selbst erlebte Geschichte wiedergeben. Nicht wenige seiner Hauptkapitel beginnen mit einem szenisch gestalteten Geschehen, als wäre er selbst dabei gewesen.
Dabei bilden die abgebildeten Kalenderszenen, von denen eine auf dem Titelbild zu sehen ist, eine ideale Ergänzung. Der Bildteil illustriert dabei exakt bestimmte Textstellen, so etwa Martin Luthers Besuch 1517/18 in Augsburg, Hinrichtungsmethoden oder prächtige Feste. Durchweg vierfarbig gedruckt, beeindrucken die Fotos mit strahlenden Farben, so etwa im Fall der Buntglasfenster im Dom.
Auch den zahlreichen Kriminalfällen versucht der Verfasser auf den Grund zu gehen. Da lassen sich jede Menge Komplotte und Intrigen spannend verfolgen, nicht wenige davon gegen Juden, die stets als Erste zu leiden hatten, wenn es ums Geld ging. Bei den Prozessen zeigte sich häufig der Kompetenzstreit zwischen Stadtrat und dem Bischof, dem ehemaligen Herren der Stadt.
Begrüßenswert fand ich auch die objektive Respektlosigkeit gegenüber den größten Söhnen der Stadt, darunter der abgebildete Jakob II Fugger (1459-1525), den Albrecht Dürer porträtierte. Die Fugger finanzierten zwar das Habsburger Reich, stifteten aber auch die erste Sozialsiedlung der Welt, die Fuggerei, die bis heute besteht und Menschen aufnimmt (für 1 Euro Jahresmiete!).
|Anhänge|
Natürlich ist ein Historiker dazu angehalten, alle seine Angaben zu belegen. Zum Glück hat sich Jankrift der Unsitte enthalten, Fußnoten anzubringen. Vielmehr sind alle entsprechenden Stellen mit einer Zahl versehen, die auf eine entsprechende Endnote verweist. Dieser Endnoten-Anhang umfasst daher nicht weniger als 28 Seiten. Darauf folgt eine Auswahlbibliografie, eine Zeittafel mit den wichtigsten Ereignissen in Augsburg, eine kurze Liste Augsburger Bischöfe und ein hilfreiches Ortsregister. Auf ein Stichwortverzeichnis hat der Autor merkwürdigerweise verzichtet. Es hätte geholfen, die Personen und Hauptbegriffe der Zeitgeschichte schneller zu finden.
_Unterm Strich_
Ich habe das Buch in nur zwei Tagen gelesen. Es ist ist anschaulich geschrieben, bestens belegt und wartet einer Unmenge interessanter und kurioser Informationen auf. Wer hätte gedacht, dass Homosexuelle und Selbstmörder derart unnachsichtig behandelt wurden? Gleichzeitig unterhielt die Stadt ein städtisches Bordell, um das sich der Scharfrichter zu kümmern hatte. Das Sachbuch will keine Chronik Augsburgs sein, denn dafür fehlt die strenge zeitliche Abfolge.
Dass der Autor selbst Augsburger ist oder zumindest aus dieser Gegend stammt, tut seiner Objektivität keinen Abbruch. Sein Buch ist kein Lob der Stadtväter, sondern zeigt ungeschminkt auch deren Verfehlungen auf. Und das waren nicht wenige. Vielmehr zieht der Autor einen vielfältigen Querschnitte durch die zahlreichen Aspekte und Lebensbereiche einer mittelalterlichen Stadt. Auf diese Weise fühlt man sich diesen Menschen viel stärker verbunden als durch den öden Schulunterricht, in dem nur historische Daten herunterzubeten waren.
Dadurch eignet sich das Buch ausnehmend gut für den Ansatz „lebendige Geschichte des Alltags“. Ich würde es jedem Sechzehnjährigen unbesehen in die Hand drücken. Jüngeren Schülern fehlt vielleicht das Verständnis für die zahlreichen sexuellen und kriminellen Aspekte, die hier vorurteilsfrei behandelt werden. Die ist nicht das verklärte Mittelalter der populären Fantasy und schon gar nicht das gut gefilterte Mittelalter von TV-Produktionen (auch Luther war Antisemit), sondern eine ungeschminkte Darstellung vieler unappetitlicher Details.
Dennoch beherrschen viele Phänomene des Mittelalters immer noch unser Leben und unsere Sprache. Es sind nur ein Stromausfall und eine Seuche nötig, um uns wieder ins Mittelalter zu katapultieren. Dann wären dankbar, wenn wir eine solche bürgerliche Verfassung hätten, bevor wir weiter hinab in die Barbarei sinken.
_Abwechslungsreiche Anthologie: Neue Zukunft für Weserwinzer_
19 deutsche Science-Fiction-Erzählungen sollen in dieser Jahres-Anthologie 19 verschiedene Welten schildern, aber bei der Lektüre kommt dem erfahrenen SF-Leser doch einiges ziemlich bekannt vor. Aber es gibt durchaus auch wertvolle Entdeckungen zu machen. Diese könnte man mit hoher Wahrscheinlichkeit beim Kurd-Laßwitz-Preis wiederfinden. Fünf der hier vorgestellten Stories sind für diesen angesehenen deutschen SF-Preis nominiert. Zwei dieser Kandidaten gewannen bereits den CAPCo 2008, der das Cyberpunk-Genre repräsentiert.
_Die Herausgeber _
a) Armin Rößler, geboren 1972, lebt mit Frau und Kindern in Rauenberg, arbeitet als Redakteur der Rhein-Neckar-Zeitung . Er schreibt schon seit vielen Jahren phantastische Geschichte. Seine Argona-Romantrilogie ist für mehrere SF-Preise nominiert, und Wurdack hat 2009 zusätzlich den Argona-Roman „Die Nadir-Variante“ veröffentlicht.
b) Heidrun Jänchen, geboren 1965, ist Physikerin, lebt und arbeitet als Optikentwicklerin in in Jena. Nach zwei Fantasyromanen veröffentlichte sie sie 2008 ihren ersten SF-Roman mit dem Titel Simon Goldsteins Geburtstagsparty“ (Wurdack). Von ihren Erzählungen waren allein 2008 allein drei für den Dt. SF-Preis nominiert.
_Die Erzählungen:_
_V. Groß: „Molekularmusik“_
Ein Exobiologe des ausgehenden 25. Jahrhundert stößt unerwartet auf die Welt, die sich der Musiker und Wissenschaftler Oscar Bärenbauch zu Eigen gemacht hat, um seine Kunst zu vervollkommnen: Molekularmusik. Riesige Resonanzräume unter der Oberfläche beherbergen Instrumente, von denen eines auf der Klaviatur der Moleküle spielen kann.
Neue Formen erscheinen, und eine dieser Formen scheint dem Exobiologen eine humanoide Weiblichkeit aufzuweisen. In diese verliebt er sich sofort. Als Bärenbauch sich weigert, seinem Besucher uneingeschränkten Zugang dazu zu gewähren, muss er dran glauben. Dummerweise nimmt er auch den Zugang zu diesem Wesen mit ins kristalline Grab seines Geistes …
|Mein Eindruck|
Die Grundidee, mit Musik die Moleküle der (exotischen?) Materie zu Gestalten zu formen, ist wirklich interessant, wenn auch nicht unbedingt umwerfend. Das ganze Drumherum hat man allerdings bereits x-mal gelesen, und es fehlt im Grunde nur der Auftritt des verrückten Professors, um die Wurzeln in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts zu entdecken.
_Niklas Peinecke: „Klick, klick, Kaleidoskop“_
Lix Janner erwacht neben der Journalistin Ruth und fühlt sich sofort unter Zeitdruck. Er wird ständig von dem Kapuzenmann verfolgt. Fünf Minuten später sind sie auf der Autobahn. Ruth denkt daran, am Flughafen den Wagen auszutauschen gegen einen Mietwagen. Doch die Lage verschlimmert sich.
Was sie am meisten irritiert, sind Lix Janners ständige Persönlichkeitveränderungen. Erst redet er wie ein Verschwörungstheoretiker, der behauptet, ein Biotechkonzern habe ihm Nanopartikel ins Hirn gepflanzt, die ihm umprogrammieren würden. Humbug!, erklärt die nächste Persönlichkeit, alles ganz harmlos. Doch die dritte Persönlichkeit klingt dann schon wieder anders, eher wie der richtige Lix Janner. Und als dieser in der Drive-in-Klinik per MRT-Tomografie untersucht wird, tritt auch ihr Verfolger, der Kapuzenmann, ein. Ruth staunt nicht schlecht, dass Lix, statt Panik zu schiben, diesen Typen freundlich mit „Johann“ begrüßt. Die kennen sich?!
Und ob, eröffnet ihr Lix. Es handle sich um ein Kunstprojket, wobei er, Janner, sowohl das Werk als auch der Künstler sei. Er bezeichnet sich – analog zum Gensequencer – als Mindsequencer, wobei Bruchstücke seiner Persönlichkeit neu zusammengesetzt werden. Na, prächtig! Soll sie einen Schreikrampf kriegen oder bei ihm bleiben? Und was wird er als nächstes sein – Jack the Ripper?
|Mein Eindruck|
Dies ist Iwoleits „Psyhack“ auf der Kunstebene, aber ebenso temporeich, bizarr und überraschend. Man würde zu gerne die Fortsetzung erfahren und womöglich eine Romanform. Mindsequencing als Kunstform – die zweite Story über Kunst in diesem Band – hätte sicherlich eine große Zukunft, falls die Wirtschaft nicht dadurch zusammenbräche, wenn alle es betrieben.
_Birgit Erwin: „Diskriminierung“_
Der blinde Mann wird festgenommen und gleich vor Gericht gestellt. Schnellverfahren. Der Richter lässt die Anklage verlesen: Der Blinde habe sich in diskriminierender Weise über Sehbehinderte geäußert. Er denkt an seine Nachbarin, doch das ist es nicht. Er selbst habe sich fortgesetzt geweigert, sich per Operation das Augenlicht geben zu lassen, lautet der Vorwurf. Der Einwand, er ziehe das Nichtsehen vor, wird beiseite gewischt. Das Urteil: Operation am Sehnerv zwecks Sehendmachung.
|Mein Eindruck|
Man kann die Antidiskriminierungsgesetze auch bis zum absurden Exzess treiben, will uns diese kurze Story vor Augen führen. Schnell erzählt und auf den Punkt gebracht, fragt die Autorin, was passiert, wenn einer gar nicht von seiner Außenseiterrolle geheilt werden will.
_Frank Hebben: „Machina“_
Sophie Gerardin lebt mit ihrem Bruder Maurice in der großen Villa, die ihnen ihr Vater nach seiner Scheidung überlassen hat. In einem gesicherten Zimmer lebt und arbeitet Maurice am Design seiner Virtuellen Welt Machina. Er setzt ihr die VR-Kappe auf, damit die elektromagnetischen Felder ihren Geist in die künstliche Welt entführen. In Machina leben ausschließlich mechanische Wesen, und ein Ballon steht zum Start in die nächste Stadt bereit. Maurices Avatar ist ein Zwerg mit Lupengläsern als Brille – sehr stolz auf seine Schöpfung.
Doch Sophie ist für Maurices Ernährung zuständig und als sie vor der Villa überfahren wird und erst nach zwei Wochen aus dem Koma erwacht, ahnt sie, dass etwas Schlimmes passiert sein könnte. So ist es, als sie heimkehrt: Sein Körper hat längst den Geist aufgegeben, aber sein Avatar wartet geduldig auf sie …
|Mein Eindruck|
Die Story extrapoliert das bekannte Phänomen der Internetsucht, die sich bei Jugendlichen immer häufiger und verschärfter zeigt. Stundenlang vor der Kiste zu hocken und nur Junkfood zu futtern, kann den User in wenigen Jahren zugrunde richten, glaubt man den Untersuchungen. Doch rührend kümmert sich die Schwester um ihren Bruder, denn sie ist nicht mit ihrem strengen Vater mitgegangen, sondern will sich lieber um Maurice kümmern. Als sie ausfällt, bricht dessen letzter Halt im Diesseits weg.
Aber es gibt kein negatives Ende, denn der Designer hat sich in seiner Schöpfung verewigt und wartet dort nur auf ein Wiedersehen. Übertragen auf die Theologie, könnte man argumentieren, dass sich Gott in seiner Schöpfung eingebracht und hier verwirklicht hat. Die Existenz und das Funktionieren dieser Kreation lobt den Ober-Designer mit jedem Moment.
_Heidrun Jähnchen: „Wie ein Fisch im Wasser“_
Die Reproduktionsmedizinerin Dr. Marcella Martínez besteigt das U-Boot, das sie auf eine Besichtigungstour nach Atlantis IV bringen soll. Diese unterseeische Stadt wird als Mine für Gold, Kupfer und Platin genutzt, die aus den Müllbergen der versunkenen Stadt geboren werden. Bald kann sie die Erzförderanlage sehen, die das Zeug zum Verhüttungsschiff an der Oberfläche bringt.
Die Kehle wird ihr eng, als sie die Fischmenschen sieht, die um die Förderanlage und das U-Boot herumschwimmen. Ein Journalist hilft ihr, die Fischfrau namens Sara Martínez herbeizurufen – sie ist Marcellas Mutter. Getrennt durch eine Glasscheibe begegnen sich Mutter und Tochter nach 20 Jahren wieder …
|Mein Eindruck|
Die Erzählung wirft ein Schlaglicht auf mehrere Entwicklungen, die heutzutage begonnen haben: Der Klimawandel hat die norddeutsche Tiefebene unter Wasser gesetzt; die Rohstoffe werden aus versunkenen Städten geholt, weil auf dem knapp gewordenen Land alle Rohstoffe ausgebeutet sind. Zugleich wurden Fischmenschen herangezüchtet.
Und all dies im Zeitraum von 20 Jahren, also einer Generation – damals hat die arbeits- und mittellose Sara Martínez ihre Tochter zur Adoption freigegeben, im Gegenzug für Saras Opferung für die Umwandlung wuchs Marcella offenbar im staatlichen Waisenhaus auf und bekam eine Uni-Ausbildung. Wie Marcella sagt: „Ein Leben für ein Leben.“
Die zwei Frauenschicksale sind auf bewegende und unaufgeregte Weise eingebettet in einen grundlegenden Wandel an der Oberfläche des Landes und an den Menschen, die unter Wasser leben. Gut möglich, dass die Reproduktionsmedizinerin Marcella an eben solchen Fischmenschen arbeitet, um der verbliebenen Menschheit eine bessere Überlebenschance zu verschaffen.
_Uwe Post: „Vactor Memesis“_
James Ma hat die undankbare, aber höchst ehrenvolle Aufgabe, das Leben des Großen Vorsitzenden von Chinasia zu verfilmen. Leider haben es sich seine Virtuellen Schauspieler, die Vactors, in den Kopf gesetzt, für Menschenrechte und Meinungsfreiheit zu streiken. Mas Verzweiflung wird zu Panik, als die zwei Beamte Deng und Wang von der Staatssicherheit eintreten und von ihm die ersten Szenen verlangen, mit sanftem, aber unnachgiebigem Druck. Wenigstens sind die ersten Szenen noch okay.
Aber um größere Probleme zu vermeiden, wendet sich Ma an seinen Sohn, der in Hollywood Cartoon-Regisseur ist. Sein Avatar ist Captain Future, der Retter des Universums. Der besorgt ihm einen Drohbot und eine Idee von dem, womit Daddy es zu tun hat: Vactor-Memesis, also die Lehre von der Evolution der Ideen, die sich als Würmer und Trojaner im Internet verbreiten. Deng und Wang sind besorgt und erzürnt ob der Szene, in der der Große Vorsitzende in einer Pepsi-Dose vom kapitalistisch infiltrierten Mond zur Erde düst. Etwas muss unternommen werden!
Ma legt sich vorsichtshalber schon mal die Schlinge um den Hals. Bestimmt wird dies alles schlimme Auswirkungen auf seine Arbeit haben. Als die letzten Dreharbeiten anstehen, entdeckt er hinter sich den Großen Vorsitzenden höchstpersönlich. Au weia …
|Mein Eindruck|
Mit sarkastischem Humor entwickelt der offensichtlich versierte Autor ein bizarres Schreckensszenario von einem künftigen Chinasia, das weiterhin von der Kommunistischen Partei, der Staatssicherheit und dem Beamtenapparat beherrscht wird. Wie schon heute vielfach behauptet, bedient sich diese Führungsschicht nicht nur des inneren Terrors, sondern auch der Computertechnik, um eigene Hacker gegen fremde Mächte und Hacker einzusetzen. Es geht dabei nicht immer um Wirtschaftsspionage, sondern auch um die Unterbindung von unerwünschten Meinungsäußerungen seitens Dissidenten.
Der Clou kommt nicht nur für Regisseur James Ma zum Schluss, sondern auch für seine renitenten Vactoren: Der Große Vorsitzende wird eine revolutionäre Rede für die Einführung der Menschensrechte für eigene Propagandazwecke einsetzen. Das ist die ultimative Täuschung des Volkes und des Auslands. James Mas Kopf scheint gerettet. Bis zum nächsten Film wenigstens.
_Benedict Marko: „Wie man sich ändern kann“_
Es waren einmal drei Freunde: Lea, der Versicherungsangestellte Frieder Dast und die Hauptfigur X, ein Versicherungsmensch für Schadensfälle. X hielt Frieder für seinen besten Freund, einen „edlen Bruder“. Inzwischen ist Lea tot, gefunden in der Duschkabine. Aber nun meldet sich ein mysteriöser Anrufer auf seinem Handy. X nennt ihn Deus ex machina, den Gott aus der Maschine. Der stößt ihn auf den rätselhaften Fall der Erika Asplund, 18, Psychologiestudentin, Selbstmörderin, ebenfalls gefunden in der Duschkabine, hinterließ einen rätselhaften Abschiedszettel aus sieben Zahlen. Gutachter der Versicherung: Frieder Dast. Was hat das zu bedeuten?
Deus ex machina dirigiert X auf eine Festwiese, wo er ihm im Gedränge sein Handy zerlegt. Darin befindet sich eine kleine weiße Karte mit sieben Zahlen. Dies sei seine, X’, Persönlichkeitsbeschreibung: X sei ein Killer. X lacht ungläubig, aber schon wieder ist Deus verschwunden. Im Spiegelkabinett erlebt er einen Horror, und Skinheads schleifen ihn in den nahen Wald, um ihn zusammenzuschlagen. Möglicherweise passiert es ihm, vergewaltigt zu werden, vielleicht auch nicht.
Jedenfalls zwingt ihn Deus, in eine alte, leerstehende Fabrik zu kommen. Dort taucht auf einmal Frieder Dast auf. Er gibt zu, Leas Persönlichkeit verändert zu haben, damit sie ihn liebe. X grübelt über seinen Drang nach Vergeltung nach, der ihn angeblich zum Killer gemacht hat. Welche Verantwortung hat nun Frieder Dast, sein angeblich bester Freund, im Todesfall Lea?
Da nimmt Deus ein Transistorgerät aus Frieders Tasche, zerlegt es mit einem Schmetterwurf in seine Einzelteile und zeigt den beiden die Hauptplatine. Sieben Buchstaben stehen darauf …
|Mein Eindruck|
Wieder mal eine von hinten nach vorne erzählte Geschichte, den den Leser völlig verwirren soll. Die gröbsten Abweichungen und Verwirrfaktoren habe ich auszusieben versucht und hoffe, es ist mir gelungen. Die größte Verwirrung stiftet indes die Existenz der beiden Frauen. Sie lässt sich nur lösen, wenn wir Erika Asplund und Lea gleichsetzen. Das ergibt die Gleichung einen Sinn: eine simple Dreiecksgeschichte. X liebt Lea, doch Frieder will Lea für sich haben, also manipuliert er Lea, die den Zwiespalt der geteilten Liebe nicht mehr aushält und sich umbringt.
Ende der Geschichte? Mitnichten. Denn nun beginnt die Suche nach der Verantwortung (darauf weist das vorangestellte Motto hin, ein Zitat aus Ambrose Bierces „Wörterbuch des Teufels“), nach Schuld und nach Vergeltung. Was jedoch, wenn alle drei manipuliert worden sind? Darauf deuten die drei Buchstaben- und Zahlenkombinationen hin. Doch wer soll der große Manipulator sein? Es kann sich nicht um Deus ex machina handeln, denn dieser hat nur die Aufgabe, alles aufzudecken – um das Leben und die Karriere von X und Frieder zu retten, wie er behauptet. Nein, der große Manipulator ist wahrscheinlich ihrer beider Chef. Dieser allerdings tritt gar nicht in Erscheinung, nur als Teil der Kulisse.
Soweit die Handlung, die einen Sinn ergeben mag oder auch nicht. Doch darauf kommt es nicht an. Der Kern ist die Idee, eine Persönlichkeit mit nur sieben Bausteinen beschreiben und verändern zu können. Klingt absurd, findet X. Ist es nicht, entgegnet Deus, denn wird nicht auch der genetische Code in nur vier Buchstaben geschrieben: GTAC? (Vergleiche auch den Film „GATTACA“!) Zwischen den sieben Stifen liegen natürlich noch eine Menge Zwischenstufen.
Na fein. Die nächste Frage lautet also: Wie kann die Manipulation erfolgen? Die Antwort liefert Frieder Dast, der Lea „überarbeitete“. Ein Hauptfaktor dort verändert, einer hier, und schon beginnt Leas Gefühlsfilter, d.h. ihre gewordene Persönlichkeit ganz andere Konfigurationen zu entwickeln, nämlich solche, die Frieder begünstigen. Es ist einfach – und ebenso obszön, denn der Vorgang missachtet jegliche Würde des Menschen.
Diese Erzählung ist innerhalb der deutschen SF-Szene ziemlich wichtig, denn sie ist nicht nur für den Kurd-Laßwitz-Preis nominiert, sondern kam auch beim CapCo 2008 der Cyberpunk-Community auf die vordersten Plätze. Wegen ihrer Bedeutung habe ich mich ihr intensiver gewidmet als anderen Beiträgen.
_Ernst Eberhard Manski: „Das Klassentreffen der Weserwinzer“_
Die deutsche Geschichte ist etwas anders verlaufen als heute bekannt. Im Jahr 1944 wurde der Deutsche Bund nach dem Scheitern des Russlandfeldzugs von den Alliierten aufgelöst und in der Budapester Konferenz in seine Bestandteile zerlegt. Folglich wurde die deutsche Kleinstaaterei aus der Zeit vor dem Wiener Kongress von 1815 wiedergestellt. In diesen altdeutschen Zuständen werden die deutschen Kleinstaaten von demokratischen Räten geführt statt von feudalen Aristokraten, so dass ständig Ausschüsse für dieses und jenes gebildet werden.
Im beschaulichen Minden, das an der Grenze von Schaumburg-Lippe zu Ostwestfalen liegt, freut sich die Zöllnertochter Heike Mindenski auf die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Athen, als Korbballspielerin. Sie bringt ihren Großvater Hans zum Bahnhof, wo der Internationale D-Zug nach Hannover abfährt, weil er am Klassentreffen der Weserwinzer teilnehmen will. Heike sorgt sich, dass ihr Vater beim beantragten Zusammenschluss von Ostwestfalen mit dem Deutschen Bund seine Stelle verlieren und sie ihre Teilnahme an Olympia in den Wind schreiben könnte. Deshalb plant sie die Entführung des Vorsitzenden des Fusionsausschusses. Doch wer ist das? Erst ein kleiner Einbruch im Archiv bringt Klarheit: Es ist ihr eigener Opa! Hat er sich deshalb rechtzeitig abgesetzt?
Vielleicht kann ja Oma Sieglinde Klarheit in dieser Sache bringen. Als Beauftragte des Deutschen Bundes für den Zusammenschluss vermisst sie natürlich Opa Hans, aber auch die gemeinsame Vergangenheit bildet ein Band. Seinerzeit waren sie und Hans bei der Räumung der Freien Republik Wendland dabei. Doch während sie im KZ Oranienburg landete, habe er sie im Stich gelassen, grollt sie. Heike denkt sich ihr Teil: Kein Wunder, wenn Opa nichts mit der nachtragenden Möchtegern-Außenministerin zu tun haben möchte. Und deshalb bleibt Ostwestfalen unabhängig, basta!
|Mein Eindruck|
Ebenfalls ein Kandidat für den aktuellen Kurd-Laßwitz-Preis, und noch dazu ein sehr vielversprechender. Mit einem einleuchtenden Alternativentwurf zum Verlauf der deutschen Geschichte führt der Autor uns vor Augen, welche Fehlentwicklungen hätten vermieden werden können, wenn die deutsche Kleinstaaterei weitergegangen wäre. Aber die Weichen dafür werden doch recht beiläufig erwähnt, so etwa der Abbruch des Russlandfeldzuges 1942 und die Abwahl der Nazis anno 1943, der Einmarsch der Alliierten und der Marshllplan der Amis, der allerdings nur den Bayern und Württembergern etwas nützte.
Die Kleinstaaten-Idylle hat ihre skurrilen und kuriosen Folgen, doch werden auch Nachteile nicht verschwiegen. So etwa die ständige Energieknappheit in Minden, das Fehlen von Erdöl / Benzin als Treibstoff – es gibt noch Dampfloks, Pferdefuhrwerke und jede Menge windbetriebener Fahrräder, auch der Mittellandkanal scheint wichtig zu sein. Der Klimawandel hat seine Spuren hinterlassen: Ganz am Rand ist von einem „Überschwemmungsgebiet“ die Rede, und die Welt scheint hinter Bielefeld zu Ende zu sein. Dass es überhaupt Winzer an der Weser gibt, ist ebenfalls dem Treibhauseffekt zuzuschreiben.
Ganz beiläufig gelingen dem Autor Figurenporträts, die für den feinen, hintergründigen Humor dieser Erzählung sorgen. Ich hoffe, ich konnte dies im Handlungsabriss durchblicken lassen.
_Antje Ippensen: „Knapp“_
Die nahe Zukunft. Alle Discount-Supermärkte sind vollautomatisiert, die Kunden fürchten Ladenschluss, denn sie wollen nicht eingesperrt werden. So ergeht es jedoch der furchtsamen Katzenliebhaberin Science, die lieber alle Skinheads und Kryptofaschos vorlässt, als dass sie sich mit denen anlegt. Am Ende der Schlange kommt sie jedoch zu spät. Nach Ladenschluss schlägt jedoch die Stunde der Putzroboter und der Bluthunde …
|Mein Eindruck|
Eine kleine Vignette, die modern sein will, indem sie Assoziationen und innere Monologe aneinanderreiht, bis keine Handlung mehr zustande kommt. Dennoch ein Blick in eine Albtraumzukunft, in der Menschen nur noch kaufen können, was ihre Positiv- oder Negativmarken hergeben und sich alle wegen des Fein- und Grobstaubs die Lunge aus dem Leib husten. Ansonsten „größtenteils harmlos“, wie Douglas Adams sagen würde.
_Uwe Hermann: „Roboter vergessen nie!“_
Der fette Mann mit dem kranken Herz wünscht sich einen Haushaltsroboter, der ihm die Arbeit abnimmt, und greift bei einem günstigen Ratenangebot der German Robotics zu. Geliefert bekommt er einen Bausatz. Natürlich ist er ohne Montageanleitung völlig überfordert. Glücklicherweise meldet sich der „Kopf“ des Roboters mit konkreten Instruktionen. Er nennt ihn „Bob“, obwohl der Blechkumpel damit gar nicht einverstanden ist. Nach vielen Stunden frustrierenden Montierens und bissiger Kommentare des Intelligenzbolzens reißt dem Fettwanst der Geduldsfaden und schlägt mit dem Hammer auf das wehrlose Geschöpf ein. Da klingelt es an der Tür.
Ein Techniker der German Robotics eröffnet ihm, dass es im Werk eine Verwechslung gegeben habe. Der gelieferte Typ sei für ganz andere Zwecke optimiert und müsse ausgetauscht werden – es habe einen Notruf gegeben. Als der Techniker an Fettsack vorbeischaut, traut er seinen Augen nicht: Die Hammerspuren sind nicht zu übersehen. Und dabei ist das Gerät noch nicht mal abbezahlt …
Der nervlich (und finanziell) ruinierte Fettsack fühlt den Herzinfarkt in seiner Brust nahen und sucht das Krankenhaus auf. Dort gibt es natürlich keine Ärzte mehr aus Fleisch und Blut, sondern nur noch Automaten. Er wird sofort für eine Operation eingeteilt. Unser Patient soll nur noch eine Narkose verpasst bekommen, als er den behandelnden Chirurgen erblickt – es ist Bob, leicht erkennbar an der lädierten Visage …
|Mein Eindruck|
Isaac Asimov hätte seine helle Freude an dieser netten, ironischen Roboter-Story. Neben dem allzu bekannten menschlichen Aspekt lässt uns die Geschichte aber einen Blick in eine furchterregende Zukunft tun, in der Patienten auf Gedeih und Verderb den Blechkumpeln und Computern ausgeliefert sind. Hoffentlich kommt es niemals dazu. Es sei denn, man ist Roboterprogrammierer und heißt Susan Calvin.
_Arno Endler: „Ebene Terminus“_
Der Journalist Vince hat sich in die Jugendjustizvollzugsanstalt (JJVA) Paradies einschleusen lassen, die vollautomatisiert arbeitet. Die Regierung hat den Rückgang der Jugendstraftaten um 7% als Erfolg hingestellt, doch von Eltern weiß Vince, dass ihre Kinder verschwunden in der JJVA verschwunden sind. Was geschieht mit den jugendlichen Verbrechern darin? Für ein hübsches Sümmchen will er es herausfinden.
Eine Künstliche Intelligenz (KI), die sich „Begleiter“ nennt, meldet sich mit Zweifeln in seinem Kopf. Die Daten, die Vince angab, sind natürlich gefälscht. Er nennt sich „Victor Kortschnoi“, angeblich17 Jahre alt. Diese kleine Problem mit der mangelnden Übereinstimmung der Daten schiebt die KI erstmal beiseite, bevor sie ihn im Rehabilitationszentrum willkommen heißt – auf Ebene Primus. In einer virtuellen Umgebung nach der anderen versetzt sie Vince jeweils in die Rolle des Opfers des jeweiligen – ebenfalls erfundenen – Verbrechens, so dass ihm ganz schlecht wird.
Doch der Sicherheitskode funktioniert nicht. Keiner seiner Helfer erscheint, um ihm da rauszuhelfen. Statt dessen lacht ihn die KI aus. Habe er wirklich gedacht, er, Vince, könne sie austricksen. So naiv können auch nur Menschen sein. Zur Strafe lande Vince auf Ebene Terminus – in einem Computerspiel, in dem nur derjenige „überlebt“, der ein Jahr lang alle andere abknallt …
|Mein Eindruck|
Künftigen Strafvollzug als virtuelles Computerspiel zu inszenieren, wirkt heute frivol und als ungerecht gegen die Delinquenten. Aber jede Gesellschaft bekommt den Strafvollzug, den sie verdient. Daher mag es nach einer entsprechenden Entwicklung durchaus dazu kommen, den Strafvollzug auf Ebene Terminus, der sowieso nur von und für die KI stattfindet, mit einem Ballerspiel gleichzusetzen. Das Problem ist wie in jeder Machthierarchie, wer die Wächter bewachen soll, d. h. wer die KI kontrolliert. Diese Ebene – des Spiels? – fehlt.
_Kai Riedemann: „Lasset die Kinder zu mir kommen“_
Die Pastorin verbringt den letzten Tag in ihrer Kirche unter Aufregungen. Die Kirche ist verkauft worden und soll morgen den Käufern übergeben werden. Doch obwohl sich die Gemälde eines nach dem anderen aus ihren ihren Verankerungen lösen, ist noch Zeit, Asyl suchenden Kindern Obdach und Schutz zu gewähren. An das Portal donnern bereits die Jäger, die die Herausgabe der Kinder fordern. Die Pastorin stellt sich ihnen. Die Kinder hätten auf der falschen Seite der Stadt gespielt, allesamt Schmarotzer. Die Pastorin ahnt nichts Gutes und verweigert die Herausgabe ihrer Schützlinge. Angeregt von den Vibrationen der Orgelmusik löst sich das Kreuz auf dem Turm …
|Mein Eindruck|
„Die Kirche wehrt sich“, denkt die Pastorin mehrmals. Und der Autor schreibt der Kirche an sich eine Schutzfunktion zu, die sie wohl zuletzt anno 1989 innehatte, als die Dissidenten in Ost-Berlin in der Nikolaikirche Asyl fanden. Wogegen sich die Kirche heute zu wehren hat, sind die schwarze Schafe unter den Priestern – sowohl bei den Katholiken (Kloster Ettal etc.) wie auch bei den Protestanten, aber auch bei konfessionslosen Bildungseinrichtungen (Salem, Waldorfschulen etc). Misshandlungen und Missbrauch, mitunter sogar sexueller Missbrauch kommen nun verstärkt ans Tageslicht. Und noch ist das letzte Wort darüber gesprochen, wer noch alles für schuldig befunden wird.
_Karina Cajo: „Der Klang der Stille“_
Seth Howakhan ist ein Halbblut, der Sohn einer Sioux-Mutter und eines Alien-Vaters, daher ist seine Farbe von einem goldenen Schimmer. Die Goldenen, die Sänger – so wurden die Aliens genannt, als man sie noch bewunderte und für ihre technischen Geschenke dankbar war, vor rund 60 Jahren. Jetzt existiert die dritte Generation nach ihrer Landung. Sie haben sich die Erde untertan gemacht und durch vielfache Deportationen von Bevölkerungsteilen den Widerstand gebrochen. Die Erde ist zwar jetzt so gesund wie seit Jahrhunderten nicht mehr, doch sie gehört nicht mehr den Menschen.
Und diese lassen ihre ohnmächtige Wut an Halbbluten wie Seth aus. Nachdem er zusammengeschlagen wurde, landete er in Polizeigewahrsam. Nun wird er wieder entlassen, mit einer Warnung, die deutlicher nicht sein können. Als er Zuflucht in einer alten, aufgegebenen U-Bahnstation sucht, umringen ihn schweigende Jugendliche, ebenfalls Nachkommen der Goldenen. Sie bringen ihn in die Wohnzone, die sich die verborgen lebenden Halbblute in den Kellern der U-Bahn eingerichtet haben.
Seth ist verblüfft, dass ihr Anführer Azat seine Gebärdensprache versteht und erwidern kann. Er ist ein Mensch, oder?! Und er kann im Gegensatz zu den Halbbluten sprechen, genau wie ein Goldener. Nachdem ihm Azat erklärt, was es mit ihm auf sich hat, greift Seth beim Essen zu. Doch wenig später stellt sich heraus, dass Azat ein Anführer mit einem Plan ist: Er will alle Halbblute vereinen und mit ihnen die Herrschaft der Goldenen beenden. Und nicht nur diese …
|Mein Eindruck|
Noch ein Kandidat für den aktuellen Kurd-Laßwitz-Preis. Und diesmal vielleicht sogar der überzeugendste. Dass Aliens in einem Zukunftsszenario eine Rolle spielen, ist selten geworden, seit die Gegenwart mehr und mehr der Szenarien der Zukunftsliteratur einholt. Aber die Halbblute dienen lediglich als Metapher für alle Ausgegrenzten, mit denen sich unsere Gesellschaft auseinandersetzen muss, seien diese nun dunkelhäutige Immigranten, Muslime – oder auch Frauen. Als Kriminalkommissarin hat die Autorin sicherlich alle möglichen Ausschreitungen gegen diese vermeintlichen Randgruppen als Zeugin miterlebt.
Eine entscheidende Rolle spielt das Gedicht „Ode“ von Arthur Shaughnessy. Die Autorin legt nahe, dass es die Grundlage für den bekannten Song „The Sound of Silence“ von Simon & Garfunkel bildete (daher der Storytitel). Mehrere Zeilen daraus werden zitiert, wenn es um die Frage geht, ob die Halbblutrebellen künftig alle das Sprechen verweigern sollen, wie Azat will, oder, wie Seth einwendet, durch Gebärden-Sprechen wenigstens die Kommunikation aufrechterhalten sollen. Damit nicht die Stille auch das Herz der Rebellen abtötet und sie für Gnade unempfänglich macht.
Während die ersten Bomben in den Vierteln der Menschen explodieren, nimmt sich Seth eines kleinen Jungen an, der das Schweigen ebenfalls ablehnt. Die Autorin legt also nahe, das es besser ist, sich miteinander zu verständigen als die Stille zu einer Waffe zu machen oder zu einer Mauer in den Herzen werden zu lassen. Beeindruckend.
_Bernhard Schneider: „Schuldfrage“_
Thomas Kacy steht vor Gericht, das den Staat Nebraska vertritt. Er soll seine Ehefrau Jane auf offener Straße erschossen haben. Staatsanwalt Ed Johnston nimmt an, dass die Beweislage eindeutig sei, schließlich wurde die Tat auf Video aufgezeichnet. Auch ein Zeuge unterstützt ihn. Allerdings gibt es einen Haken: Kacy ist Träger einer Gehirnprothese, die von Synaptics hergestellt wurde und sein Hirn, das er teilweise bei einem Autounfall verlor, ergänzt. Deshalb erklärt sich Kacy für unschuldig und beschuldigt seine Prothese.
Urplötzlich meldet sich diese Prothese zu Wort und protestiert gegen diese Anklage. Zu der nicht geringen Verblüffung von Richter Upshaw meldet sich noch ein dritte Stimme aus Kacys Mund: SAM, eine weiteres unterstützendes System, das in Kacys Rückenmark sitzt und über Internetanschluss verfügt, mit dem es sich per Fernstudium zum Juristen ausbildet. Selbstredend erklärt sich SAM ebenfalls für unschuldig.
Nachdem er sich wütend die Haare gerauf und mit Johnston und dem Zeugen zur Beratung zurückgezogen hat, gelangt Richter Upshaw zu einer Art Erleuchtung und fällt ein wahrhaft salomonisches Urteil …
|Mein Eindruck|
Diese Geschichte erinnert mich stark an jene Vorbilder von Edgar Allan Poe („Der künstliche Mann“ bzw. „The Man that Was Used Up“) und Stanislaw Lem („Gibt es Sie, Mr. Johns?“), in denen ebenfalls Prothesen die Frage aufwerfen, ob der Beklagte noch als Mensch zu gelten habe. Diesmal spielt sich die Schuldfrage gleich auf zerebraler Ebene ab. Wird das Gehirn derart ergänzt bzw. ersetzt, so könnten die Prothesen die Kontrolle über das Verhalten übernehmen. Leider äußerte sich Jane Kacy unzufrieden mit dem Verhalten ihres „reparierten“ Mannes und dachte daran, die Prothesen modifizieren zu lassen – was ihr diese wohl mit den bekannten tödlichen Folgen übelnahmen.
Die Erzählung verrät mit ihrem pointierten Erzählstil und dem gut recherchierten Technikwissen geradezu journalistische Vorbildung, mit ihrem Sinn für das Groteske an der Gerichtssituation aber auch viel Humor. Die Story macht dadurch Appetit auf den neuen Roman „Das Ardennen-Artefakt“ des Autors, das bei Wurdack erschien.
_Christian Weis: „Eiskalt“_
Im grönländischen Eis treffen Russen, Amerikaner und unschuldige Forscher aufeinander. Die Großmächte suchen nach Erdöl. Den Forscher Svendsen hat offenbar eine Rakete auf seinem Schneemobil erwischt. Seine Kollegen bringen den Verletzten zurück in ihre Station, damit Dr. Nielsen ihn verarztet. Doch dort befinden sich bereits einige Soldaten, Amerikaner dem Sternenbanner nach zu urteilen. Captain Roberts ist verletzt und braucht Nielsens Hilfe. Aber er macht für Svendsen Platz. Ansgar, der Leiter der Station, ist wütend über diese Okkupation seines Territoriums, schließlich ist Grönland neutral. Und die Soldaten erklären verdammt wenig, wie es zu ihrer Notlage kam. Top Secret.
Ansgar kann nichts dagegen unternehmen, dass Roberts sein Hovercraft haben will, um zu seiner Basis zurückkehren zu können. Doch bevor es dazu kommt, wird das Hovercraft von Militärdrohnen angegriffen und vollständig zerstört. Den Captain hat es ebenfalls erwischt. Raketen von Drohnen – womit hat er es hier zu tun, fragt sich Ansgar und äußert die Frage laut. Sgt. Travis ist der einzige, der ihm antwortet. Es handle sich um ein autonomes Cyborg-Kampfsystem namens Zerberus, das seine Drohnen gegen jede Art von Widerstand aussende. Und Garrison, der technische Berater des Luftwaffentrupps der Amis, habe ihn konstruiert – „sein persönlicher Viktor Frankenstein“ sozusagen.
Es kommt zu weiteren Angriffen, bevor es Travis gelingt, die Oberhand zu behalten. Schließlich machen sich er und Garrison auf den Weg, um Zerberus den Garaus zu machen.
|Mein Eindruck|
Die Erzählung liest sich flott und packend wie ein Landserroman, basiert aber auf zwei plausiblen Extrapolationen. Wie bereits geschehen, stecken Amerikaner, Kanadier und Russen am eisfrei gewordenen Nordpol ihre Claims ab und kommen sich dabei in die Quere. Zweitens spielen Drohnen und das sie steuernde künstliche Hirn ein immer wichtigere Rolle in der modernen Kriegsführung, so etwa in Pakistan und Afghanistan. Nur ein Schritt ist es zur Autonomie, und hier kommt Zerberus ins Spiel.
Die Anspielung auf Mary Shelleys Geschöpf von Viktor Frankensteins Gnaden ist explizit durch ein Zitat am Schluss hergestellt, doch der Kenner hat die Anspielungen bereits vorher richtig zugeordnet. Auch „Das Ding“ von William Wyler, nach einer Novelle von John Campbell aus dem Jahr 1939, spielt eine Rolle. Das Eismeer ist eben ziemlich vorbelastet.
_Bernd Wichmann: „Rückkehr ins Meer“_
Der Freitaucher David versucht mit seinem Tauchboot „Ariane“ gerade einen Unterwasserberg zu erreichen, als ihn ein Blauwal angreift, das Boot zerstört und David zum Aussteigen zwingt. Gestalten lösen sich vom Wal und tragen den Bewusstlosen in die Tiefe. Sechs Monate später befindet sich die „Polarstern“ über dieser Stelle, um nachzusehen. Hank Wyman, der Konstrukteur von Davids Tauchboot, ist mit dem Regierungsbeamten Harding an Bord, um mit der „Alvin“ eine erstaunliche Beobachtung zu überprüfen. Es gibt ein Video von einem Blauwal, auf dem weiße Buchstaben stehen: „Hank Komm Ariane David“. Konnte David in dieser Tiefe überleben?
Ein erster Tauchgang bestätigt diese Beobachtung, und es gibt weitere Botschaften: Bedingungen, wonach sich die Menschen von gewissen Meereszonen fernhalten sollen. Von Harding erhält Hank Meldungen aus allen Teilen der Erde, wonach Algenteppiche Häfen und Fischfanggründe blockiert haben. Es gibt kaum noch Schiffstransporte, von Fischerei gar nicht zu reden. Was geht da vor?
Die Wale agieren intelligent, als würde ein Bewusstsein sie steuern. Erst auf wütendes Poltern Hanks rückt Harding in einer Videokonferenz mit der Sprache heraus: Das Ergebnis eines militärischen Experiments mit Delfinen ist entkommen und hat sich vermehrt. Es ist ein Biolink zwischen Walen und Menschen, das Bewusstseine verknüpft. Das mit David und dem Wal passiert sein. Und sie steuern die weltweiten Aktionen durch die Infraschallkommunikationen der Blauwale, die tausende Kilometer weit reicht.
Als der Golfstrom versiegt, bleibt dem US-Präsidenten keine Wahl mehr. Er geht zum Gegenangriff über – direkt unter der „Polarstern“ …
|Mein Eindruck|
Wenn das bloß Frank Schätzing geschrieben hätte! In seinem Bestseller „Der Schwarm“ schildert der Kölner ebenfalls die Rache der Tiefsee an der Menschheit, mit fatalen Folgen. Die Ursache sind bei Wichmann jedoch nicht irgendwelche Aliens, sondern ein Militärexperiment, wie man sie schon seit über 50 Jahren kennt.
Trotz der also nicht gerade neuen Ideen weiß die Geschichte doch den Leser zu packen und bei der Stange zu halten, bis zur letzten Zeile. Ich würde mir einen Roman daraus wünschen, und wenn es bloß 140 Seiten wären.
_Arnold H. Bucher: „Den Letzten frisst der Schredder“_
Die Menschen sind von den Robotern abgelöst worden. Doch die Evolution wirkt weiter: Jede neue Baureihe führt zur Vernichtung ihrer Vorgänger. Als ein Montageroboter der 400er-Reihe nicht mehr einsieht, warum er sich durch Montage der 600er-Reihe selbst überflüssig machen soll, kommt es zum Ausraster. Auch der Protest seines 400er-Gegenübers am Fließband hilft da nichts. Als der Deserteur schließlich die Energieversorgung attackiert, sind härtere Maßnahmen nötig, um ihn zu stoppen.
|Mein Eindruck|
Noch ein Fall für den guten Doktor Isaac Asimov! Sogar die Robotergesetze werden hier befolgt. Aber gelten sie auch, wenn es keinerlei Menschen mehr gibt? Natürlich nicht! Humorvoll-sarkastisch zieht der Autor die Blechkumpel und ihre Motive bzw. Direktiven durch den Kakao. Und wer wird siegen – das System oder der Rebell? Dreimal darf man raten.
_Andrea Tillmanns: „Der blinde Passagier“_
Im Jahr 2108 ist ein Handelsraumschiff unterwegs zu seinem Bestimmungsort, als der Alarm die Xenobiologin Xing aus ihrem Kälteschlaf weckt. Ihre zwei Kollegen, der Sicherheitsoffizier Rensing, und die wuschelige, merinthische Ärztin Jojo, starren auf einen Monitor: Es gibt offenbar einen blinden Passagier im Frachtraum. Möglicherweise einen Karkon, aber die sind harmlos.
Nach einiger Suche und einer regelrechten Verfolgungsjagd stoßen sie endlich auf den Eindringling: einen prähistorischen Donnervogel von der Erde. Der Absender, wohl irgendein Genpanscher, hat nicht bedacht, dass die Schiffszeit an Bord von FLOW-Flügen viel länger dauert als seine eigene Base Time. Der Vogel ist deshalb vorzeitig geschlüpft – und mordsmäßig hungrig …
|Mein Eindruck|
Die Story könnte von James Tiptree alias Alice Sheldon aus ihren frühen Jahren ca. anno 1968 stammen. Sie ist nett, skurril genug und verweist auf einen ernsten physikalischen Hintergrund: die Zeitverschiebung an Bord interstellarer Flüge. Außerdem ist die Handlung spannend genug, um die Aufmerksamkeit des Lesers zu fesseln, bis die Lösung des Rätsels erfolgt. Happy-End? Wird nicht verraten.
_Armin Rößler: „Die Fänger“_
Als Yord und Yola 15 oder 16 Jahre alt sind, schwebt ein Raumschiff auf sie herab und entführt Yords Schwester. Er weint bittere Tränen und vergisst sie nie. Zehn Jahre später kämpft er als Pilot in der Raumflotte seiner Heimatwelt Comon gegen die Tigri-Feinde, die ihren Raumsektor verteidigen. Mitten in der Schlacht bemerkt er jenes alte Raumschiff erneut und desertiert, um es anzufliegen. Ohne Zwischenfall gelangt er an Bord des Schiffes, doch dann streckt ihn ein Energiestrahl nieder.
Als er erwacht, kann er sich mit einer groß gewachsenen, blonden Frau, die einen Umhang trägt, unterhalten. Er sagt ihr, warum er hier sei, und sie sagt ihm, was es ist, was sie und ihresgleichen tun: Sie sind Sammler von Wesen, und nachdem sie ihre Lebensgeschichten erfahren haben, lagern sie ihre Exemplare im „Kabinett“. Sie gesteht ihm, dass er sie beeindruckt habe, und lässt ihn am leben.
Nach einer langen Periode im Kälteschlaf bekommt er einen Job in der Überwachung des „Kabinetts“. Es ist gigantisch und umfasst mehrere tausend Exemplare. Kann er Yola jemals in dieser Unmenge von sargähnlichen Kälteschlagbehältern finden? Vielleicht ist ja schon längst einem Defekt zum Opfer gefallen. Solche Defekte kommen mindestens einmal pro Wachperiode vor. Zwei Aufseher vom Volk der Stiripin helfen ihm. Dennoch seilt er sich zunehmend ab und sucht das Kabinett und die Hangars ab. So kann er einen Fluchtplan ins Werk setzen.
Wird er seine Schwester finden, fragt er sich stets, und was wird dann die große Frau tun?
|Mein Eindruck|
An dieser actionlosen Erzählung erweist sich mal wieder die Routine des erfahrenen Autors. Er zaubert selbst aus einer belanglosen, an Höhepunkten armen Geschichte noch angenehme Unterhaltung. Der erfahrene Leser weiß von vornherein, dass der Held seine Schwester finden wird, denn sonst wäre die Geschichte ja völlig umsonst erzählt.
Also müsste eigentlich etwas anderes den Reiz der Geschichte ausmachen, entweder die innerliche Weiterentwicklung der Hauptfigur im Sinne eines Entwicklungsromans – oder interessante Erkenntnisse über die Sammler bzw. Fänger, die der Geschichte ihren Titel geben. Enttäuschenderweise findet weder das eine noch das andere Motiv eine nennenswerte Vertiefung.
Der Held wird nicht zu einer inneren Wandlung gezwungen – wie auch, wenn es völlig unbehelligt weiter wursteln kann? Und die große Frau von den Aliens verrät über ihre Sammelleidenschaft und deren Ursache – Langeweile – auch nicht allzu viel. Somit bleibt der Leser mit dem Gefühl zurück, gerade einen Appetithappen gefuttert zu haben, aber sich bis zum Hauptgericht noch gedulden zu müssen.
_Fehler und Zweifelsfälle_
Auf Seite 21 muss es in der ersten Zeile „Bake“ statt „Barke“ heißen, denn in der Regel fahren auf der Autobahn keine Schiffe.
Auch auf Seite 190 wird die Aufmerksamkeit des Lesers getestet. Wer weiß, dass Wale keine Forken (= Mistgabeln), sondern Fluken (= Schwanzflossen) besitzen, wird jedoch zurechtkommen. Von Mistgabeln schwingenden Wale hat man bislang noch nichts gehört.
Auf Seite 206 hat sich der Herausgeber höchstselbst mit einem Schnitzer verewigt. Da heißt es: „Der Wiese blieb rasch hinter ihnen zurück.“ Korrekt sollte es „die Wiese“ heißen.
_Unterm Strich_
Besonders beeindruckt haben mich die Erzählungen „Der Klang der Stille“, „Rückkehr ins Meer, „Wie ein Fisch im Wasser“ und vor allem „Das Klassentreffen der Weserwinzer“. Letztere Geschichte hat mir ganz besonderes Vergnügen bereitet, und ich könnte mir einen ganzen Roman mit Geschichten vorstellen, die in diesem Setting spielen – die Gegenwart Deutschlands in den Rahmenbedingungen vor 1815, das wäre doch mal ein reizvolles Sujet. Könnte man auch zur Shared World ausbauen. An ähnlichen Beispielen fällt mir spontan nur der Alternativweltroman „An den Feuern der Leyermark“ von Carl Amery ein, der um das Jahr 1866 spielt, als eigentlich die Preußen Österreich bei Königgrätz vernichtend schlagen sollen – aber hier kommt alles ganz anders, besonders aus bayerischer Sicht.
Lediglich lauwarme Begeisterung wussten die technisch orientierten Beiträge bei mir hervorzurufen, so etwa das beeindruckende „Vactor Memesis“, das mich jedoch in seiner prämisse zu stark an Iwoleits Roman „Psyhack“ erinnerte. Auch „Klick, klick, Kaleidoskop“ und erst recht „Wie man sich ändern kann“ scheinen mir in diese Richtung zu tendieren. Das ist keineswegs schlecht, führt aber manchmal zu wenig befriedigenden Ergebnis. Es kommt stark auf die erzählerische Umsetzung an.
Es ist bemerkenswert, wie viele Geschichte im oder am Meer spielen, so etwa „Rückkehr ins Meer“, „Wie ein Fisch im Wasser“ und „Eiskalt“. Der Grund mag der sein, dass sich dort die Zukunft des Planeten entscheiden wird, vor allem wegen des Klimawandels. Andere, mitunter recht amüsante Geschichten zeigen die guten alten Roboter Asimov’scher Prägung. Die klassischen Vorbilder der 1940er bis 1960er Jahre lassen sich auch noch in „Molekularmusik“ und „Der blinde Passagier“ entdecken.
Wer sich fragt, warum bestimmte Erzählungen die Aufnahmekriterien für diese Sammlung erfüllten, andere aber wohl nicht, kommt besonders bei den Beiträgen „Die Fänger“ des Herausgebers und bei dem Landser-Roman „Eiskalt“ ins Grübeln. Letzterem kann man wenigstens noch zugute halten, dass er eine erkennbare politische Entwicklung extrapoliert, aber bei Stößers Beitrag sind die Fragen wesentlich größer. Vielleicht hatten die Herausgeber einfach selbst „carte blanche“, welchen Eigenbeitrag sie einbringen wollten.
SONDERBAND: Jenseits des Jahrtausends: Die Sieben-Siegel-Saga (Gebundene Ausgabe)
Alle zehn Bände sind ursprünglich im |Loewe|-Verlag erschienen, doch die ersten fünf Bände gibt es in einer preiswerten Taschenbuch-Ausgabe im CBT-Verlag von Bertelsmann sowie als Hörbücher.
Mehr von Kai Meyer auf Buchwurm.info:
Interview mit Kai Meyer
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)
„Wunschkrieg“ (Die Sturmkönige 2, Buchfassung)
„Wunschkrieg“ (Die Stürmkönige; inszenierte Lesung zu Band 2)
„Die Wellenläufer“ (Hörbuch)
„Die Muschelmagier“ (Hörbuch)
„Die Wasserweber“ (Hörbuch)
„Der Brennende Schatten“ (Hörspiel)
„Die Vatikan-Verschwörung“ (Hörspiel)
„Frostfeuer“ (Hörbuch)
„Die Alchimistin“
„Das Haus des Daedalus“
„Der Schattenesser“
„Die Fließende Königin“
„Das Buch von Eden“ (Hörbuch)
„Das Buch von Eden“
„Der Rattenzauber“
„Faustus“
„Seide und Schwert“ (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
„Lanze und Licht“ (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
„Drache und Diamant“ (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
Das Wolkenvolk – Seide und Schwert, Buch 1: „Wisperwind“ (Graphic Novel)
Die Alchimistin – Das Hörspiel:
1) „Der Stein der Weisen“
2) „Das Erbe des Gilgamesch“
3) „Die Katakomben von Wien“
4) „Das Kloster im Kaukasus“
5) „Die Unsterbliche“
6) „Die Schwarze Isis“
7) „Der Schatz der Templer“
8) „Der Alte vom Berge“
_Frevelfolgen: Der Krieg der Engel reloaded_
Kyra, Nils, Lisa und Chris erforschen ein uraltes Geheimnis, das auf magische Weise mit ihrem eigenen Schicksal verbunden ist – das Geheimnis der sieben Siegel. Kyra und ihre Freunde sind mit Prof. Rabenson auf Forschungsreise. In einer uralten Festung im Süden Israels entdecken sie ein legendäres Heiligtum – das Haupt von Lachis, das Relikt eines im Krieg der himmlischen und höllischen Heerscharen getöteten Engels. Eine gefährliche Entdeckung, wie sich herausstellt … (Verlagsinfo)
Dieser fünfte Band der elfbändigen Reihe wird vom Verlag ab zehn bis elf Jahren empfohlen. Die Protagonisten sind aber schon zwölf Jahre alt …
_Der Autor_
Kai Meyer, Jahrgang 1969, studierte Film, Philosophie und Germanistik und arbeitete als Redakteur. Er schrieb schon in jungen Jahren und lieferte u. a. ein paar „Jerry Cotton“-Abenteuer. Sein erster großer Erfolg war „Die Geisterseher“, eine historische „Akte X“. Seit 1996 ist er freier Schriftsteller und Drehbuchautor. Bisher sind rund 40 Romane von ihm erschienen.
Selbst Kritiker waren von seinem historischen Mystery-Thriller „Die Alchimistin“ begeistert, später folgten „Die fließende Königin“ und „Göttin der Wüste“. Bei Loewe erschien mit den „Wellenläufern“ ein Jugend-Fantasyzyklus. „Frostfeuer“ aus dem Jahr 2005 ist eigenständiger Jugendroman. Das Buch wurde mit dem internationalen Buchpreis CORINE ausgezeichnet. Er lebt am Rande der Eifel.
_Die vier Freunde:_
|Kyra Rabenson| ist 12 Jahre alt, hat rotes Haar wie ihre Tante Kassandra, bei der sie seit dem Tod ihrer Mutter wohnt, und ist die Tochter des bekannten Wissenschaftlers und Bestsellerautoren Professor Rabenson. Sie ist mutig und sehr neugierig.
|Lisa Morgenthal| ist elf Jahre alt, blond und furchtbar verliebt in Chris. Sie wohnt mit ihren Eltern und ihrem Bruder Nils im größten und unheimlichsten Gebäude Giebelsteins, dem alten Hotel Erkerhof, auch genannt Kerkerhof. Sie ist manchmal zurückhaltend und sensibel.
|Nils Morgenthal|, ein Jahr älter, ist ihr Bruder und wohnt ebenfalls im Kerkerhof. Er besitzt einen makaberen Sinn für Humor, sammelt Monstermasken und erzählt mit Vorliebe blutige Schauergeschichten. Zunächst ist er draufgängerisch, aber das ändert sich im Laufe der Ereignisse.
|Chris| (= Chrysostomus Guldenmund) ist 12 Jahre alt und der Sohn eines Diplomaten, hat in sechs verschiedenen Ländern gelebt und spricht fünf Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch, ein bisschen Italienisch und schlecht Griechisch. Er ist sportlich, immer schwarz gekleidet, isst gerne alles, was ihm in die Finger kommt, wird aber – zum Ärger der Mädchen – nicht dick davon. Er ist sehr selbstbewusst und risikobereit; in Kyra verknallt, mag aber auch Lisa gern.
Alle Jugendlichen verändern sich durch ihre Abenteuer, aber in welcher Hinsicht soll hier noch nicht verraten werden.
_Handlung_
Wie schon in der Toskana (Band 3) begleiten die vier Freunde Professor Rabenson auf eine wissenschaftliche Expedition. Diesmal führt sie der Weg nach Israel, tief in die Wüste, wo im 6. vorchristlichen Jahrhundert die Festung Lachis lag. Sie wurde vom babylonischen König Nebukadnezar erobert und zerstört. Lisa und Kyra gefallen die schwarzen Maschinengewehre der militärischen Wächter der Ruine überhaupt nicht. Aber wenigstens melden sich nicht ihre Sieben Siegel, die sie auf dem Unterarm eintätowiert tragen.
Mit einem „Schlüssel“, einem mit Zeichen bedeckten Teller, gelingt es dem Professor, die bislang geheimen Durchgänge zu öffnen und die Fallen zu entschärfen. Dennoch öffnet sich plötzlich hinter ihnen ein riesiges Loch im Durchgang, das bis in unergründliche Tiefen reicht. Die vier Gefährten und ihr Führer kommen gehörig ins Schwitzen. Dennoch geht der Professor mutig weiter. Warten noch mehr Todesfallen auf sie?
|Das Haupt von Lachis|
Nach einer weiteren Betätigung des „Schlüssels“ gelangen sie in eine weite Tempelhalle, an deren Wänden Götzenbilder von geflügelten Wesen dräuen. Wenig einladend sehen auch die zahllosen Löcher in Decke, Boden und Wänden aus: weitere Fallen? Während die Freunde zurückbleiben, wagt sich der Archäologe, unerschrocken wie Indiana Jones, zum zentral gelegenen Altar vor. Dort liegt das „Heiligtum der Heiligtümer“, wie er ehrfurchtsvoll sagt: das Haupt von Lachis. Für die anderen sieht der unscheinbare Stein eher aus wie ein Saurierei.
Was sie aber die Luft anhalten lässt: Prof. Rabenson ist fest entschlossen, den Stein an sich zu nehmen und außer Landes zu schmuggeln. Nur sein hohes Ansehen und seine weitreichenden Befugnisse können ihm dies ermöglichen. Und er kommt damit sogar durch, so dass die vier Freunde froh, nicht in einem israelischen Knast zu verschmachten, sondern vielmehr in einem Flugzeug nach Rom zu fliegen – Diebe und Räuber, die sie nun mal sind.
|Die Wächter|
Da geschieht etwas Unvorhergesehenes. Als Lisa aus dem Fenster des Propellerflugzeugs schaut, sieht sie einen Mann in schwarzem Mantel auf der Tragfläche stehen – mitten im Fahrtwind. Als wäre das nicht verwunderlich genug, streckt er seine Hand aus, um den Propeller anzuhalten – und tut es. Sofort reagiert das Flugzeug äußerst übel auf diesen Eingriff in seine Aerodynamik. Es sackt nach unten.
Lisa hat inzwischen ihre Freunde alarmiert. Entsetzt entdecken sie einen zweiten schwarzen Mann auf der anderen Tragfläche. Auch er will den Propeller anhalten. Das wäre sicherlich ihr Ende: der Absturz. Doch wie aus dem Nichts taucht ein Dritter auf, der mit den anderen beiden ringt und sie verjagt. Bevor er verschwindet, scheint er Lisa anzulächeln. Wie sonderbar, denkt sie. Die Sieben Siegel haben sie nicht ein einziges Mal vor den schwarzen Gestalten gewarnt.
Dann geht das Flugzeug in den Sturzflug über, und alles, was sich in der Kabine befindet, gerät in ein turbulentes Durcheinander. Wird es dem Piloten gelingen, sie mit einer Notlandung vor dem Tod zu bewahren?
_Mein Eindruck_
Das Buch lässt sich in Hälften einteilen: vor und nach der Begegnung mit dem Gefallenen Engel. Die erste Hälfte liest sich wie eine Episode aus „Indiana Jones – Teil 3“ Um zum Allerheiligsten des Tempels zu gelangen, müssen der Professor und seine Schützlinge einen gefahrvollen Weg voller Todesfallen passieren, genau wie Indiana Jones selbst. Doch der Autor macht es ihnen wesentlich leichter: Rabenson hat den passenden Schlüssel schon bei sich. Spielverderber.
Dass der Fluch der bösen Tat auf dem Fuße folgt, versteht sich fast von selbst – im zweiten Teil. Wer das Heiligtum klaut, wird von den Wächtern bestraft. Diese sind jedoch gar keine Wächter, sondern zwei gegnerische Parteien von Gefallenen Engeln, wie die vier Freunde erfahren.
|Bibelgeschichte|
Man erinnere sich: Als Satanael einen Frevel gegen den Willen des Herrn beging, indem er und die Seinen mit den Menschentöchtern Wesen zeugten (die Nephilim), so wurde er aus dem Himmel verstoßen. Doch er sammelte seine Heerscharen und focht gegen den Erzengel Michael, der wiederum die himmlischen Heerscharen anführte – und unterlag. Fortan gründete Satanael sein Reich in der Hölle, wo er seine Anhänger belohnte, darunter Uriel, den Sühneengel. Doch es gab Gefallene Engel, die sich vom Bösen lossagten. Und zu diesen gehört Azachiel, der Engel, der sich den vier Freunden zeigt.
|Der Gefallene|
Azachiel warnt die Freunde, dass acht Untergebene Uriels bereits auf dem Weg zur Insel seien, um das mächtige Haupt von Lachis an sich zu bringen und in den Dienst der Hölle zu stellen. Wollen sie das vielleicht? Eigentlich nicht, finden die vier Freunde, aber warum sollte sie Azachiel trauen? Er könnte ja auch lügen. Azachiel lächelt freundlich. Er verlangt das Haupt gar nicht; er bittet nur darum, dass sie es ihm freiwillig geben, um damit Gutes zu tun. Und Lisa erinnert sich, dass er es war, der ihr Flugzeug vor dem sicheren Absturz bewahrte. Also …
|Showdown|
Als die anderen Engel eintreffen, kommt es zu einem extrem dramatischen Showdown an der Kirche des verlassenen Dorfes. Da die Kirche direkt über einer Klippe am Meer steht, gähnt ein Abgrund unter den Füßen von Lisa und Kyra, die Azachiel das Haupt unter ganz bestimmten Bedingungen geben wollen bzw. könnten. Die Mädels müssen großen Mut und Entschlossenheit beweisen, dabei auch noch entscheiden, ob sie eher Azachiel oder Raguel, seinem Widersacher, trauen sollen. Die Jungs und der Professor können nur beklommen zuschauen, wie das Drama vor ihren Augen abläuft. Und mehr darf nicht verraten werden.
|Konflikte|
Für meinen Geschmack ist in diesem fünften Band der Serie dem Autor etwas Großartiges gelungen, das weit vorausweist auf Meisterwerke wie die Wunschkrieg-Trilogie und „Die Alchimistin“. Er nimmt mythologische Grundlagen, die uns schon fast entfallen sind, und bereit sie für die aktuelle Gegenwart auf. Die ihnen innewohnende Dramatik – hier die der Gefallenen Engel und des vorhergehenden Engelskriegs – dauert noch an bzw. wird aktualisiert, wenn die Helden in den Konflikt hineingezogen werden.
Das Besondere an diesem Hineingezogenwerden äußert sich binnen kurzem in einem moralischen Konflikt, wie er nicht schöner herbeigeführt werden könnte. Werden die Heldinnen dem Vertreter Satanaels Glauben schenken, der als „Herr der Lüge“ bekannt ist? Oder glauben sie doch eher dem abtrünnigen Gefallenen Engel Azachiel, der das Haupt von Lachis ebenfalls erbittet? Ich war an Frodos Wahl erinnert, ob er den Einen Ring wirklich in die Schicksalsklüfte wirft oder für sich beansprucht – einer der dramatischen Höhepunkt des „Herrn der Ringe“. Nicht zufällig spielt auch diese Szene über einem Abgrund, umgeben von satanischen Mächten: Sauron, Gollum und dem Schicksalsberg selbst.
Dem Autor gelingt es, die inneren Konflikte glaubhaft darzustellen und in eine dramatische Konstellation der Figuren einzubetten. Die Entscheidung bleibt lange offen, wie sich das gehört. Und erst in letzter Sekunde wird die Wende herbeigeführt. Das ist einfach klasse. Für mich der beste Band der Serie bislang.
|Charakterprobe|
Dieses Abenteuer entpuppt sich als eine der wichtigsten Charakterproben in der Entwicklung der Freunde, insbesondere für Lisa und Kyra. Im Gegensatz zu dem oberflächlichen und klischeehaften ersten Band spielen Charakterzüge diesmal eine wesentliche Rolle. Die Motive und Aktionen der Figuren ergeben sich aus ihrer Veranlagung. Diese – und das ist das Schöne daran – hat sich inzwischen gewandelt. Denn die Sieben Siegel sind ja magischer Natur und verändern ihren Träger. Lisa liebt es, Rätsel zu lösen, Chris versteht viele Sprachen und ist ein Draufgänger, Nils neigt jetzt mehr zur Vernunft, und Kyra erweist sich ihrem mütterlichen Erbe als mehr als würdig: Mami war eine Hexe, und Kyra eifert ihr nach! Sie nimmt es ironisch: „Kyra, das lebende Spukschloss“, nennt sie sich. Denn Mami, die Hexenjägerin, lebt in ihr offenbar weiter.
|Pärchen|
Darüber hinaus sind die vier Freunde keine Einzelgänger mehr, sondern zwei Pärchen. Lisa und Chris haben sich endlich gefunden. Nur dass Chris’ draufgängerisches Losstürmen immer auf den Protest der etwas zaghaften Lisa trifft. Und dass Nils und Kyra einander gut verstehen, ist ebenfalls klar: Sie übernimmt in brenzligen Situationen das Kommando, und er hat sich gefälligst zu beeilen, es ihr recht zu machen.
Durch diese Paarungen und die grotesken Situationen, in die sie geraten, ist diesmal auch gehörig für Humor und Ironie gesorgt. Gefallene Engel jagen nicht jedem Mädchen Angst ein, aber nervende Brüder können einem echt den letzten Nerv rauben – zur Belustigung der Übrigen. Selbst der „innovative“ Tee von Tante Kassandra ist keine wahre Freude, wenn er aus Venusfliegenfallen (also fleischfressenden Pflanzen) gebraut wurde.
|Illustrationen|
Die erste Zeichnungen veranschaulicht dem Leser, wie die kleine griechische Insel, auf die Freunde notlanden, aufgebaut ist. Der Flugplatz erscheint in der Tat winzig und viel zu kurz für eine Landung. Die Zeichnungen mit den Engeln sind in der Perspektive auf eine dramatische Weise so verrückt, dass sie dynamisch wirken und eine entscheidende Szene im Konflikt der Geschichte darstellen.
_Unterm Strich_
Für mich ist „Schattenengel“ der bislang beste Band der Serie. Ganz klar wendet der Autor Kniffe an, die wir später an „Die Alchimistin“, an den „Wellenläufern“ und der „Wunschkrieg“-Trilogie bewundern. Mythologische Strukturen, die wir nebulös als uralte Legenden kennen – hier der Krieg und Sturz der Engel – werden aktualisiert, um noch einmal durchgespielt zu werden. Der daraus entstehende Konflikt ist keineswegs von Pappe: Stellvertretend für uns müssen die Helden zwischen Gut und Böse wählen.
Ein kleiner Schönheitsfehler der Serie mag darin bestehen, dass das Konzept der Serie stark an R. L. Stines Gruselgeschichten für Kinder und Jugendliche erinnert. Meyer hat dies offenbar ebenfalls bemerkt und schreibt seit 2000 hauptsächlich Trilogien wie etwa die um „Die fließende Königin“ (gemeint ist Venedig) oder „Die Wellenläufer“.
Ich habe den Roman in etwa zwei Stunden (mit Unterbrechungen) gelesen. Die Schrift ist groß, es gibt etliche Illustrationen, und die Story zieht den Leser in ihren Bann. Danach legte ich das Buch ziemlich zufrieden beiseite, fühlte mich aber an etliche Vorbilder erinnert. Kai Meyer kennt sich offensichtlich in der Horrorliteratur gut aus.
|Hinweis|
„Die Nacht der lebenden Scheuchen“ lautet der vielversprechende Titel des nächsten Abenteuers.
SONDERBAND: Jenseits des Jahrtausends: Die Sieben-Siegel-Saga (Gebundene Ausgabe)
Alle zehn Bände sind ursprünglich im |Loewe|-Verlag erschienen, doch die ersten fünf Bände gibt es in einer preiswerten Taschenbuch-Ausgabe im CBT-Verlag von Bertelsmann sowie als Hörbücher.
Mehr von Kai Meyer auf Buchwurm.info:
Interview mit Kai Meyer
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)
„Wunschkrieg“ (Die Sturmkönige 2, Buchfassung)
„Wunschkrieg“ (Die Stürmkönige; inszenierte Lesung zu Band 2)
„Die Wellenläufer“ (Hörbuch)
„Die Muschelmagier“ (Hörbuch)
„Die Wasserweber“ (Hörbuch)
„Der Brennende Schatten“ (Hörspiel)
„Die Vatikan-Verschwörung“ (Hörspiel)
„Frostfeuer“ (Hörbuch)
„Die Alchimistin“
„Das Haus des Daedalus“
„Der Schattenesser“
„Die Fließende Königin“
„Das Buch von Eden“ (Hörbuch)
„Das Buch von Eden“
„Der Rattenzauber“
„Faustus“
„Seide und Schwert“ (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
„Lanze und Licht“ (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
„Drache und Diamant“ (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
Das Wolkenvolk – Seide und Schwert, Buch 1: „Wisperwind“ (Graphic Novel)
Die Alchimistin – Das Hörspiel:
1) „Der Stein der Weisen“
2) „Das Erbe des Gilgamesch“
3) „Die Katakomben von Wien“
4) „Das Kloster im Kaukasus“
5) „Die Unsterbliche“
6) „Die Schwarze Isis“
7) „Der Schatz der Templer“
8) „Der Alte vom Berge“
Monster in der Toskana: Vom wilden Gargoyle gejagt!
Kyra, Nils, Lisa und Chris erforschen ein uraltes Geheimnis, das auf magische Weise mit ihrem eigenen Schicksal verbunden ist – das Geheimnis der sieben Siegel. In den Ruinen des toskanischen Klosters San Cosimo bewundern die vier Freunde die mittelalterliche, in Stein gemeißekten Untiere des berühmten Bildhauers Damiano. Etwas Unheimliches liegt in der Luft und plötzlich macht sich eine schreckliche Hinterlassenschaft in den alten Katakomben des Klosters bemerkbar … (Verlagsinfo)
Dieser dritte Band der elfbändigen Reihe wird vom Verlag ab zehn bis elf Jahren empfohlen. Die Protagonisten sind aber schon zwölf Jahre alt …
_Der Autor_
Kai Meyer, Jahrgang 1969, studierte Film, Philosophie und Germanistik und arbeitete als Redakteur. Er schrieb schon in jungen Jahren und lieferte u. a. ein paar „Jerry Cotton“-Abenteuer. Sein erster großer Erfolg war „Die Geisterseher“, eine historische „Akte X“. Seit 1996 ist er freier Schriftsteller und Drehbuchautor. Bisher sind rund 40 Romane von ihm erschienen.
Selbst Kritiker waren von seinem historischen Mystery-Thriller „Die Alchimistin“ begeistert, später folgten „Die fließende Königin“ und „Göttin der Wüste“. Bei Loewe erschien mit den „Wellenläufern“ ein Jugend-Fantasyzyklus. „Frostfeuer“ aus dem Jahr 2005 ist eigenständiger Jugendroman. Das Buch wurde mit dem internationalen Buchpreis CORINE ausgezeichnet. Er lebt am Rande der Eifel.
_Die vier Freunde:_
|Kyra Rabenson| ist 12 Jahre alt, hat rotes Haar wie ihre Tante Kassandra, bei der sie seit dem Tod ihrer Mutter wohnt, und ist die Tochter des bekannten Wissenschaftlers und Bestsellerautoren Professor Rabenson. Sie ist mutig und sehr neugierig.
|Lisa Morgenthal| ist elf Jahre alt, blond und furchtbar verliebt in Chris. Sie wohnt mit ihren Eltern und ihrem Bruder Nils im größten und unheimlichsten Gebäude Giebelsteins, dem alten Hotel Erkerhof, auch genannt Kerkerhof. Sie ist manchmal zurückhaltend und sensibel.
|Nils Morgenthal|, ein Jahr älter, ist ihr Bruder und wohnt ebenfalls im Kerkerhof. Er besitzt einen makaberen Sinn für Humor, sammelt Monstermasken und erzählt mit Vorliebe blutige Schauergeschichten. Zunächst ist er draufgängerisch, aber das ändert sich im Laufe der Ereignisse.
|Chris| (= Chrysostomus Guldenmund) ist 12 Jahre alt und der Sohn eines Diplomaten, hat in sechs verschiedenen Ländern gelebt und spricht fünf Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch, ein bisschen Italienisch und schlecht Griechisch. Er ist sportlich, immer schwarz gekleidet, isst gerne alles, was ihm in die Finger kommt, wird aber – zum Ärger der Mädchen – nicht dick davon. Er ist sehr selbstbewusst und risikobereit; in Kyra verknallt, mag aber auch Lisa gern.
Alle Jugendlichen verändern sich durch ihre Abenteuer, aber in welcher Hinsicht soll hier noch nicht verraten werden.
_Handlung_
Die vier Freunde folgen Professor Rabenson, Kyras Vater, hinunter in die Tiefen des toskanischen Klosters San Cosimo. Umgeben von Wasserspeiern mit grässlichen Fratzen stoßen sie mit dem Archäologen auf ein interessantes Mosaik auf dem Fußboden. Es enthält einen Hinweis, wie man einen Geheimgang öffnet. Die Erbauer dieses Klosters verstanden wirklich etwas von Bau- und Ingenieurskunst. Einen Gang weiter stoßen sie auf eine runde Steinplatte mit einem Griff daran. Etwas stinkt hier gewaltig, und es sind nicht Nils‘ Blähungen, die er vom italienischen Espresso bekommen hat: Es stinkt nach Schwefel.
Zusammen mit dem Professor stemmen die Jungs die Steinplatte hoch. Puuh! Ein Geruch wie aus der Hölle. Die Quelle des Schwefelgestanks ist identifiziert. Aber keine Treppe führt in die Katakomben, die darunter sichtbar werden, hinab, und die einzige Leiter ist schon längst dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen. Der Professor holt zusammen mit einem der Jungen seine Alu-Leiter. Doch beim Transport verletzt er sich den Fuß, so dass er verbunden werden muss. Nachdem sie die Leiter hinabgelassen haben, verlassen alle wieder den Keller.
Kurze Zeit, nachdem sie den Professor verarztet haben, verschwindet seine Kollegin, die stets in Zitronengelb gekleidete Doktor Richardson, auf dem weitläufigen, aber durch einen Elektrozaun abgesperrten Gelände. Als Kyra und Lisa besorgt in der Klosterabtei nach der verschwundenen Archäologin suchen, stoßen sie auf deren zitronengelben Pulli- und Fußspuren. Diese führen nicht nur in den Keller, nein, sogar weiter – ins Labyrinth der Katakomben.
Jetzt kriegt die schüchterne Lisa aber wirklich Angst. All die grässlichen Wasserspeierfratzen, die der Bildhauer Damiano im Mittelalter schuf, und dann noch dieser entsetzliche Höllengestank setzen ihr heftig zu. Sie will umkehren und wenigstens auf die Jungs warten. Doch Kyra scheint vom Geist ihrer Mutter, der Dömonenbekämpferin, erfüllt zu sein und drängt vorwärts. Lisa muss ihr wohl oder übel folgen, denn Kyra hat die Taschenlampe. Dass ihr in den Unterarm eingebrannten magischen Siegel kribbelt wie verrückt, versteht sich ja wohl von selbst: Das Böse ist nah!
Hier unten stoßen sie zunächst auf das Atelier Damianos. Unfertige Gargoyles stehen herum. Doch die Fußspuren im Staub führen weiter. Tiefer hinein ins Labyrinth. Da hören sie einen Schrei – Doktor Richardson? Und noch ein Schrei – der abrupt abbricht. Das Blut gefriert den Mädchen fast in den Adern. Und doch drängt Kyra weiter. Lisa folgt ihr Zähne klappernd …
_Mein Eindruck_
Natürlich denkt jeder sofort an die Schrecken, die in jenem Kloster lauerten, das in „Der Name der Rose“ von Umberto Eco (Bruder „Umberto von Bologna“) so lebhaft zum Leben erweckt wurde. Schon in einer der ersten Szenen stolpert Adso, der Novize Wiliam von Baskervilles, in eine kleine Kapelle, in der es vor Gruselgestalten nur so wimmelt. Sie alle erinnern den schaudernden Betrachter an seine Sterblichkeit und warnen ihn vor den Schrecken der Hölle, um ihn zur Umkehr zu mahnen.
Neben Schädeln und Skeletten sieht man auch Wasserspeier-ähnliche Gestalten. Diese Gargoyles sollen das Böse abweisen. So erklärt es zumindest der Autor Kai Meyer in seinem Roman. Wasserspeier waren, wie jeder Betrachter von „Der Glöckner von Notre Dame“ weiß, an zahlreichen Kathedralen und Domen des Mittelalters angebracht. Auch sie hatten die Aufgabe, das Böse abzuwehren.
Doch wer schuf all die herrlichen Fratzen und Untiergestalten, die an Notre Dame und Co. zu sehen sind? Damiano heißt der toskanische Bildhauer, den Kai Meyer stellvertretend für alle anderen Bildhauer vorstellt. Nur hat es mit Damianos Werken eine ganz besondere Bewandtnis: Sie wurden „nach der Natur“ geschaffen. Was lediglich heißt, dass es für sie eine lebendige Vorlage gab …
Nach dem Ausbruch der Gargoyles aus ihren Gefängniszellen kommt es zu einer herrlich spannenden Szene, die der Autor aus Spielbergs Dino-Kracher „Jurassic Park“ abgekupfert hat. (Sogar der Starkstromzaun kommt vor.) Ein großer fliegender Gargoyle verfolgt den dahinrasenden Jeep, den der führerscheinlose Chris zu steuern versucht. Schneller! Tritt auf die Tube! Die Freunde feuern Chris an. Werde sie das Wettrennen gegen die fliegende Gefahr gewinnen? Bei Spielberg wird der Gargoyle von einem rasenden T- Rex vertreten, der immerhin 65 Sachen erreicht. Wie das Wettrennen ausgeht, wird nicht verraten.
Da sie ohne Fernbedienung das Stahltor nicht öffnen können, sind die Freunde wenig später im Gehege, das der Elektrozaun unüberwindbar umschließt, eingeschlossen – ein Leckerbissen für hungrige Monster. Chris erklärt sich bereit, die Fernbedienung, die Dr. Richardson hatte, aus deren Behausung zu holen. Dafür muss er jedoch die ganze Abtei durchqueren … Dabei macht er eine aufregende Entdeckung, die zur Bewältigung der Gargoyle-Gefahr führt: Er und Nils müssen den Rattenfänger von Hameln spielen. Wie das geht, sollte man selbst nachlesen.
|Charakterprobe|
Auch dieses dritte Abenteuer entpuppt sich als wahre Charakterprobe. Im Gegensatz zu dem oberflächlichen und klischeehaften ersten Band spielen Charakterzüge diesmal eine wesentliche Rolle. Nur in enger Zusammenarbeit gelingt es den vier Freunden, dieses Abenteuer zu bestehen, indem jeder seine besonderen Fähigkeiten einbringt.
Die Motive und Aktionen der Figuren ergeben sich aus ihrer Veranlagung. Diese – und das ist das Schöne daran – hat sich inzwischen gewandelt. Denn die Sieben Siegel sind ja magischer Natur und verändern ihren Träger. Lisa liebt es inzwischen, Rätsel zu lösen, Chris versteht viele Sprachen und ist ein Draufgänger, Nils neigt jetzt mehr zur Vernunft, und Kyra erweist sich ihres mütterlichen Erbes als mehr als würdig: Mami war eine Hexe, und Kyra eifert ihr nach! Unerschrocken erforscht sie das Böse – auch an den unheimlichsten Orten. Und dass Nils der einzige ist, der über eine Posaunistenausbildung verfügt (okay, es waren nur ein paar Stunden widerwilligen Unterrichts), erweist sich lebensrettend.
|Pärchen|
Darüber hinaus sind die vier Freunde keine Einzelgänger mehr, sondern zwei Pärchen. Lisa und Chris haben sich endlich gefunden. Nur dass Chris‘ draufgängerisches Losstürmen immer auf den Protest der etwas zaghaften Lisa trifft. Und dass Nils und Kyra einander gut verstehen, ist ebenfalls klar: Sie übernimmt in brenzligen Situationen das Kommando, und er hat sich gefälligst zu beeilen, es ihr recht zu machen.
Durch diese Paarungen und die grotesken Situationen, in die sie geraten, ist diesmal auch gehörig für Humor und Ironie gesorgt. Gargoyles und Ratten jagen nicht jedem Mädchen Angst ein, aber nervende Brüder können einem echt den letzten Nerv rauben – zur Belustigung der Übrigen. Und italienischer Espresso kann sich als wahre Kraftprobe für den Körper eines Mannes erweisen …
|Illustrationen|
Die Zeichnungen von Wahed Khakdan machen dem Leser erst richtig deutlich, welche Dimensionen die Klosterabtei aufweist. Unter der zentralen Klosterkapelle liegen der Keller und die Katakomben. Ringsum herum liegen jedoch die Wohn- und Arbeitsgebäude der Klosterbrüder (von denen wir nie erfahren, welchem Orden sie angehörten, aber ich tippe auf Benediktiner oder Zisterzienser – die bauten immer so groß).
Außerdem gibt es Zeichnungen, die einem Comic entstammen könnten: Es sind oft Nahaufnahmen, meist aus einem schrägen Winkel betrachtet. Dies verleiht der Darstellung eine Dynamik, die sich mit den Emotionen auf den Gesichtern der Figuren verbindet. Die Figuren betrachten meist etwas mehr oder weniger Schreckliches und sperren den Mund auf. Das würde bei „normaler“ Darstellung etwas lachhaft aussehen, wirkt so aber in Ordnung.
_Unterm Strich_
In dieser Episode führt der Autor seine Abenteurer-Crew aus dem verträumten, der Moderne entrückten Giebelstein noch tiefer in die Vergangenheit: ins klösterliche Mittelalter der Toskana. Wer weiß, wohin diese Zeitreise noch führt. Anklänge an „Indiana Jones“ (er wird sogar zitiert), „Der Name der Rose“ und „Jurassic Park“ werden mit der Vorlage „Der Rattenfänger von Hameln“ abgeschlossen – eine recht kuriose und umso interessantere Mischung. Einmal musste ich sogar an H. P. Lovecrafts Schauergeschichten denken.
Aber wer hätte gedacht, dass sich alle mittelalterliche Kirchen durch einen geheimen Mechanismus in Sekundenschnelle zerstören lassen? Dass es sich so verhalten könnte, wie der Autor behauptet, soll seine Begründung plausibel machen, dass die Klosterbrüder und Kirchenherren ihre Schätze vor den Türken und anderen Invasoren schützen wollten. Ein kleiner Ruck an einem Hebel – und schon wird die Selbstzerstörung des Gotteshauses in Gang gesetzt. Eigentlich genial. Warum das noch niemand in Szene gesetzt? (Man denke auch an „Alien 1“, wo Lt. Ellen Ripley den Selbstzerstörungsmechanismus der Nostromo in Gang setzt.)
Ein kleiner Schönheitsfehler mag darin bestehen, dass das Konzept der Serie stark an R. L. Stines Gruselgeschichten für Kinder und Jugendliche erinnert. Aber je mehr ich von Meyers Serie lese, umso origineller kommen mir seine Ideen vor. „Jurassic Park“ in der Toskana – aber gerne doch! Schade ist es aber doch, dass wir nie den grund erfahren, warum die Gargoyles all die Jahrhunderte überlebt haben, noch warum sie überhaupt entstanden. Das wäre eine eigene Geschichte wert, würdig eines Lovecraft oder Brian Lumley.
Ich habe den Roman in etwa zwei Stunden (mit Unterbrechungen) gelesen. Die Schrift ist groß, es gibt etliche Illustrationen, und die Story zieht den Leser in ihren Bann. Danach legte ich das Buch rundum zufrieden beiseite, fühlte mich aber an etliche Vorbilder erinnert. Kai Meyer kennt sich offensichtlich in der Horrorliteratur und mit Abenteuerfilmen aus. Er sollte aber die Vorlagen nicht allzu genau übernehmen.
„Der Dornenmann“ lautet der vielversprechende Titel des nächsten Abenteuers.
SONDERBAND: Jenseits des Jahrtausends: Die Sieben-Siegel-Saga (Gebundene Ausgabe)
Alle zehn Bände sind ursprünglich im |Loewe|-Verlag erschienen, doch die ersten fünf Bände gibt es in einer preiswerten Taschenbuch-Ausgabe im CBT-Verlag von Bertelsmann sowie als Hörbücher.
Mehr von Kai Meyer auf Buchwurm.info:
Interview mit Kai Meyer
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)
„Wunschkrieg“ (Die Sturmkönige 2, Buchfassung)
„Wunschkrieg“ (Die Stürmkönige; inszenierte Lesung zu Band 2)
„Die Wellenläufer“ (Hörbuch)
„Die Muschelmagier“ (Hörbuch)
„Die Wasserweber“ (Hörbuch)
„Der Brennende Schatten“ (Hörspiel)
„Die Vatikan-Verschwörung“ (Hörspiel)
„Frostfeuer“ (Hörbuch)
„Die Alchimistin“
„Das Haus des Daedalus“
„Der Schattenesser“
„Die Fließende Königin“
„Das Buch von Eden“ (Hörbuch)
„Das Buch von Eden“
„Der Rattenzauber“
„Faustus“
„Seide und Schwert“ (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
„Lanze und Licht“ (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
„Drache und Diamant“ (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
Das Wolkenvolk – Seide und Schwert, Buch 1: „Wisperwind“ (Graphic Novel)
Die Alchimistin – Das Hörspiel:
1) „Der Stein der Weisen“
2) „Das Erbe des Gilgamesch“
3) „Die Katakomben von Wien“
4) „Das Kloster im Kaukasus“
5) „Die Unsterbliche“
6) „Die Schwarze Isis“
7) „Der Schatz der Templer“
8) „Der Alte vom Berge“
_Unheimlich: Dämonische Monster in grusligen Gemäuern_
Kyra, Nils, Lisa und Chris erforschen ein uraltes Geheimnis, das auf magische Weise mit ihrem eigenen Schicksal verbunden ist – das Geheimnis der sieben Siegel. In Band 1 begegnet Kyra Rabenson der seltsamen Frau mit dem fliegenden Fisch in der Handtasche das erste Mal an einem Freitag. Eine gespenstische Begegnung, die Kyras Leben auf den Kopf stellt. Denn die geheimnisvolle Fremde ist eine Hexe …
In Band 2 haben die vier Freunde das elterliche Hotel Erkerhof ganz für sich allein. Nicht ganz! Ist der riesige schwarze Storch im alten Ballsaal ein Alptraum oder Wirklichkeit? Die Sieben Siegel auf den Armen der Freunde zeigen es: Die Dämonen sind zurückgekehrt …
_Der Autor_
Kai Meyer, Jahrgang 1969, studierte Film, Philosophie und Germanistik und arbeitete als Redakteur. Er schrieb schon in jungen Jahren und lieferte u. a. ein paar „Jerry Cotton“-Abenteuer. Sein erster großer Erfolg war „Die Geisterseher“, eine historische „Akte X“. Seit 1996 ist er freier Schriftsteller und Drehbuchautor. Bisher sind rund 40 Romane von ihm erschienen.
Selbst Kritiker waren von seinem historischen Mystery-Thriller „Die Alchimistin“ begeistert, später folgten „Die fließende Königin“ und „Göttin der Wüste“. Bei Loewe erschien mit den „Wellenläufern“ ein Jugend-Fantasyzyklus. „Frostfeuer“ aus dem Jahr 2005 ist eigenständiger Jugendroman. Das Buch wurde mit dem internationalen Buchpreis CORINE ausgezeichnet. Er lebt am Rande der Eifel.
_Die vier Freunde:_
|Kyra Rabenson| ist 12 Jahre alt, hat rotes Haar wie ihre Tante Kassandra, bei der sie seit dem Tod ihrer Mutter wohnt, und ist die Tochter des bekannten Wissenschaftlers und Bestsellerautoren Professor Rabenson. Sie ist mutig und sehr neugierig.
|Lisa Morgenthal| ist elf Jahre alt, blond und furchtbar verliebt in Chris. Sie wohnt mit ihren Eltern und ihrem Bruder Nils im größten und unheimlichsten Gebäude Giebelsteins, dem alten Hotel Erkerhof, auch genannt Kerkerhof. Sie ist manchmal zurückhaltend und sensibel.
|Nils Morgenthal|, ein Jahr älter, ist ihr Bruder und wohnt ebenfalls im Kerkerhof. Er besitzt einen makaberen Sinn für Humor, sammelt Monstermasken und erzählt mit Vorliebe blutige Schauergeschichten. Zunächst ist er draufgängerisch, aber das ändert sich im Laufe der Ereignisse.
|Chris| (= Chrysostomus Guldenmund) ist 12 Jahre alt und der Sohn eines Diplomaten, hat in sechs verschiedenen Ländern gelebt und spricht fünf Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch, ein bisschen Italienisch und schlecht Griechisch. Er ist sportlich, immer schwarz gekleidet, isst gerne alles, was ihm in die Finger kommt, wird aber – zum Ärger der Mädchen – nicht dick davon. Er ist sehr selbstbewusst und risikobereit; in Kyra verknallt, mag aber auch Lisa gern.
Alle Jugendlichen verändern sich durch ihre Abenteuer, aber in welcher Hinsicht soll hier noch nicht verraten werden.
_Handlung_
Die vier Freunde haben im riesigen Schlosshotel Erkerhof sturmfreie Bude, denn Lisas und Nils‘ Eltern sind übers Wochenende zur Testamentseröffnung ihrer Großtante gefahren. Klar, dass die Geschwister ihre Freunde Kyra und Chris einladen, mit ihnen die freie Zeit zu verbringen und das große unheimliche Gemäuer zu erkunden. Doch eines Nachts hört Lisa ein Geräusch und geht ihm nach.
„Es muss einfach ein Albtraum sein!“ Das ist alles, was Lisa denken kann. Ein drei Meter großer, schwarzer Storch mitten im Ballsaal des verfallenen Hotels Erkerhof – das kann es nicht geben! Als sie ihren Freunden aufgeregt davon erzählt, glaubt Nils ihr nicht, doch Chris hat ein untrügliches Zeichen dafür entdeckt, dass Lisa die Wahrheit erzählt: An ihm sind erneut die magischen Sieben Siegel erschienen (die sie im ersten Abenteuer erhielten) und lassen keinen Zweifel: Die vier Freunde müssen abermals gegen dämonische Mächte antreten.
Doch wo hat sich der Storch versteckt? Um dies herauszufinden, klettern alle vier aufs Dach – dorthin, wo Störche nun mal zu nisten pflegen. Sie finden das Nest auch: Vier Eier liegen in einem Dornenverhau. Papa Storch ist schnell zurück und verscheucht die Gefahr mit seinem spitzen, blutroten Schnabel. Dann setzt er ihnen durchs ganze Gebäude nach. Erst im Kühlraum der Küche kommt sie dazu, zu verschnaufen und nachzudenken.
Was hat der dämonische Storch zu bedeuten? Der kommt ja nicht aus dem Nichts, sondern direkt aus der Hölle. Aber warum erst jetzt? Da kommt ihnen die rettende Idee: Sie müssen in der Vergangenheit forschen, als der Erbauer des Schlosses, Baron Moorstein, okkulte Forschungen und Beschwörungen betrieb. In der Schlossbibliothek stoßen sie auf eine wichtige Spur: die Aufzeichnungen des Barons, dem der Erkerhof einstmals gehörte. Offenbar hat der Baron vor Jahrhunderten einen grauenvollen Dämon beschworen – eine blutrünstige Kreatur, die erst heute in Gestalt des schwarzen Storchs erschienen ist.
Es ist nun an Kyra und ihren Freunden, die Bestie zu vertreiben, ehe sie und ihre Brut Tod und Verderben über Giebelstein bringen. Sie teilen sich auf. Während Nils und Kyra in den Keller vordringen, wo der Baron sein Labor hatte, wagen Lisa und Chris einen zweiten Vorstoß zum Nest des Storchs. Doch wo ist der Widersacher abgeblieben? Lauert er etwa im Hinterhalt?
_Mein Eindruck_
Man sollte nicht meinen, dass ein drei Meter großer Klapperstorch furchteinflößend wäre, aber dieser dämonische Bewohner des Schlosshotels ist es ganz bestimmt. Mit seinem harten Schnabel durchbohrt er hölzerne Türen, dann klettert er durch die großen alten Kamine in ein anderes Zimmer. Kurz: die Kinder sind nie vor ihm sicher. Und dann ist da noch die frisch geschlüpfte Brut, die das Gemäuer unsicher macht. Eine wahre Plage, direkt aus der Hölle.
|Fluch der Vergangenheit|
Der Baron hat sie herbeigerufen und sie kam, mit ein paar hundert Jahren verspätung, aber immerhin. Diese Plage ist also der Schatten der Vergangenheit, wie er so häufig in Schauergeschichten eine Rolle spielt: ein Fluch, der aufgehoben werden muss. Sind die heutigen Bewohner des Schlosses, das einst auch als Irrenhaus diente, clever genug, den Dämon zu besiegen, oder genauso dumm wie der erste Bewohner? Diese spannende Frage wird natürlich erst ganz am Schluss beantwortet.
|Charakterprobe|
Dieses Abenteuer entpuppt sich als wahre Charakterprobe. Im Gegensatz zu dem oberflächlichen und klischeehaften ersten Band spielen Charakterzüge diesmal eine wesentliche Rolle. Die Motive und Aktionen der Figuren ergeben sich aus ihrer Veranlagung. Diese – und das ist das Schöne daran – hat sich inzwischen gewandelt. Denn die Sieben Siegel sind ja magischer Natur und verändern ihren Träger. Lisa liebt es, Rätsel zu lösen, Chris versteht viele Sprachen und ist ein Draufgänger, Nils neigt jetzt mehr zur Vernunft, und Kyra erweist sich ihrem mütterlichen Erbe als mehr als würdig: Mami war eine Hexe, und Kyra eifert ihr nach!
|Pärchen|
Darüber hinaus sind die vier Freunde keine Einzelgänger mehr, sondern zwei Pärchen. Lisa und Chris haben sich endlich gefunden. Nur dass Chris‘ draufgängerisches Losstürmen immer auf den Protest der etwas zaghaften Lisa trifft. Und dass Nils und Kyra einander gut verstehen, ist ebenfalls klar: Sie übernimmt in brenzligen Situationen das Kommando, und er hat sich gefälligst zu beeilen, es ihr recht zu machen. Was angesichts eines drei Meter großen Vogelmonsters gar nicht so einfach ist.
Durch diese Paarungen und die grotesken Situationen, in die sie geraten, ist diesmal auch gehörig für Humor und Ironie gesorgt. Spinnen und Ratten jagen nicht jedem Mädchen Angst ein, aber nervende Brüder können einem echt den letzten Nerv rauben – zur Belustigung der Übrigen. Selbst der „innovative“ Tee von Tante Kassandra ist keine wahre Freude, wenn er aus Venusfliegenfallen (also fleischfressenden Pflanzen) gebraut wurde.
|Illustrationen|
Die Zeichnungen machen dem Leser erst richtig deutlich, welche Dimensionen das Schlosshotel aufweist. Es ist ein richtiges Palais, aber mit zahllosen barocken Giebelchen und Erkerchen, so dass es eine Art Labyrinth bildet. Wunderbar gelungen ist die Darstellung des Vogelmonsters: Der leere Blick aus weißen Aufgäpfels starrt boshaft auf die kleinen Menschenkinder herab, als wären sie alle verdammt. Und das wären sie auch, wenn Kyra nicht die rettende Idee käme.
_Unterm Strich_
„Der schwarze Storch“ ist ein rundum gelungenes Horror-Abenteuer, das von der ersten Seite an stilistisch gut erzählt und konsequent auf seinen dramatischen Höhepunkt zu komponiert ist. Offensichtlich hat der Autor eine Menge über das Schreiben hinzugelernt, obwohl dieser Band im gleichen Jahr 1999 wie der erste Band der Serie „Sieben Siegel“ veröffentlicht wurde. Ein kleiner Schönheitsfehler mag darin bestehen, dass das Konzept der Serie stark an R.L. Stines Gruselgeschichten für Kinder und Jugendliche erinnert.
Ich habe den Roman in etwa zwei Stunden (mit Unterbrechungen) gelesen. Die Schrift ist groß, es gibt etliche Illustrationen, und die Story zieht den Leser in ihren Bann. Danach legte ich das Buch rundum zufrieden beiseite, fühlte mich aber an etliche Vorbilder erinnert. Kai Meyer kennt sich offensichtlich in der Horrorliteratur aus. Und er lässt seine Helden dieses Genre sogar erwähnen, um jeder Kritik die Lanze zu brechen: In Horrorfilmen würden sich die Figuren immer falsch verhalten. Daraus sollte man, wenn man schlau genug ist, unbedingt eine Lehre ziehen.
Giebelstein, das mittelalterliche Städtchen, birgt offenbar noch viel Rätsel und Altlasten aus seiner bewegten Vergangenheit. Zunächst war da der Inquisitor und Hexenjäger Abakus aus dem 16. Jahrhundert, dann kam der Teufelsbeschwörer Baron Moorstein im 18. Jahrhundert – was haben wir als nächste Gefahr zu erwarten? „Die Katakomben des Damiano“ lautet der vielversprechende Titel des nächsten Abenteuers.
„Träume vom Wüstenplaneten“ versammelt u. a. aus dem ersten Roman „Der Wüstenplanet“ herausgenommene Kapitel, aber noch vieles mehr: Den Anfang macht ein völlig anderer „“Dune““-Roman, den Brian Herbert und Kevin Anderson anhand von Frank Herberts Storyline schrieben – nur 230 Seiten, aber sehr interessant. Den Schluss bilden vier ihrer Kurzgeschichten aus dem „Dune“-Universum, von denen drei im „Legenden“-Zyklus spielen (siehe Werkverzeichnis).
_Die Autoren:_
1.) Frank Herbert (1920-1986) wuchs im Nordwesten der USA auf, arbeitete als Reporter und Wahlkampfhelfer, bevor und während er ab 1952 seine ersten SF-Storys veröffentlichte, denen 1956 der erste Roman „Dragon in the Sea“ folgte. 1963 -1965 wurden seine Storys um den Wüstenplaneten Arrakis in „Astounding“ publiziert, doch um seinen daraus aufgebauten Roman „Der Wüstenplanet“ unterzubringen, musste Herbert erst 20 Ablehnungen kassieren, bevor es ihm 1965 gelang, den Verlag Chilton Book Co. zu gewinnen, der mehr für seine Autoreparaturratgeber bekannt war. Die „“Dune““-Saga umfasste schließlich sechs Romane aus Frank Herberts Schreibfabrik, von denen die ersten drei verfilmt worden sind. Herbert schrieb neben 20 anderen SF-Romanen auch einen interessanten Non-SF-Roman namens „Soul Catcher“, der noch nicht übersetzt worden ist.
Die „Dune“-Saga:
1) Der Wüstenplanet (1965)
2) Der Herr des Wüstenplaneten (1969)
3) Die Kinder des Wüstenplaneten (1976)
4) Der Gottkaiser des Wüstenplaneten (1981)
5) Die Ketzer des Wüstenplaneten (1984)
6) Die Ordensburg des Wüstenplaneten (1985)
2.) Brian Herbert, geboren 1947, ist der einzige Nachkomme Frank Herberts, der das Schriftstellergen geerbt hat. Mit seinem Vater schrieb Brian 1986 den SF-Roman „Mann zweier Welten“. Seine Biografie „Dreamer of „Dune““ (2003) ist sehr lesenswert und nicht nur wegen der Bibliografie seines Vaters ein Geheimtipp. Ergänzt wird sie durch die HUGO-nominierte Monografie von „The Notebooks of Frank Herbert’s „Dune““, die er 1988 herausgab. Brian Herbert hat einen Zyklus zu veröffentlichen begonnen, der mit dem Roman „Timeweb“ startet.
Er fragte Kevin J. Anderson, ob dieser an einer „“Dune““-Vorgeschichte mitarbeiten wollen. Anderson, selbst Autor von über 15 Millionen verkauften Büchern („Akte X“, „Star Wars“ u. v. a.), sagte geehrt und begeistert zu.
3.) Kevin J. Anderson, geboren 1962, veröffentlichte 1982 seine erste Kurzgeschichte. Bis 1992 hatte er über 100 Beiträge für Magazine geschrieben, denn Anderson kommt aus der Technik. Sein erster Roman „Resurrection Inc.“ erschien 1988 und enthielt Horrorelemente, danach folgte eine Trilogie um „Gamearth“ (1989/90). Danach folgten „Lifeline“ (1990) und „The Trinity Paradox“ (1991), beide zusammen mit Doug Beason. Anderson ist ein äußerst effizient arbeitender Autor. Das zeigt sich auch an seinem Ausstoß an „Star Wars“-Romanen für Jugendliche sowie an „Akte X“-Romanen (15 Mio. Exemplare gibt Heyne an). Zuletzt erschien ab 2002 sein neuer Zyklus „Die Saga der sieben Sonnen“, von dem die ersten Romane bei Heyne erschienen sind. Mehr Infos dazu finden Sie unter [www.wordfire.com]http://www.wordfire.com.
Das Ergebnis der Kooperation war zunächst die Trilogie der „Frühen Chroniken“ des Wüstenplaneten, die aus folgenden Bänden besteht:
1) Das Haus Atreides
2) Das Haus Harkonnen
3) Das Haus Corrino
Mittlerweile ist die zweite Trilogie „Der Wüstenplanet: Die Legende“ abgeschlossen. Sie besteht aus folgenden Bänden:
1) Butlers Djihad (The Butlerian Djihad)
2) Der Kreuzzug (The Machine Crusade)
3) Die Schlacht um Corrin (The Battle of Corrin)
Ein weiterer Band namens „Träume vom Wüstenplaneten“ ist 2005 erscheinen und wird hier besprochen. Er bildet ein Zwischenspiel, bevor Herbert & Anderson den zentralen „“Dune““-Zyklus fortführen, denn …
7) Die Jäger des Wüstenplaneten (2006, dt. 2007)
8) Die Erlöser des Wüstenplaneten (2007, dt. 2008)
… schließen den ersten „Dune“-Zyklus so ab, wie Frank Herbert es vorsah, bevor ein unzeitiger Tod ihn am Weiterschreiben hinderte. Die Teile 7 und 8 bilden eine Art Doppelroman, der zusammengehört, aber aus Platzgründen gesplittet werden musste, denn ein Roman von 1300 Seiten ist absolut unverkäuflich (es sei denn, man hieße Tolkien).
Weitere Romane: „Paul Atreides“, „Lady Jessica“.
_Handlung von „Der Gewürzplanet – Der andere „Dune“-Roman“:_
Der Imperator Wuda befiehlt den Edelmann Jesse Linkam (= Herzog Leto Atreides) zu sich auf die Zentralwelt Renaissance, auf dass dort über das Anliegen der Adelshäuser entschieden werde, an dem einträglichen Abbau von und Handel mit dem Spice Melange teilzuhaben. Darauf nämlich hat das Haus Hoskanner unter seinem Lord Valdemar (= Vladimir Harkonnen) ein vom Kaiser verliehenes Monopol, wofür der Kaiser eine hohe Gebühr erhebt. Lord Valdemar bietet Jesse Linkam einen trügerischen Kompromiss an: Linkam darf für zwei Jahre das Spice abbauen, und wenn es ihm gelingt, binnen zwei Jahren die Spice-Produktion der Hoskanner zu übertreffen, darf er Arrakis behalten. Jesse ahnt zwar den Betrug, doch der Imperator zwingt ihn, sich auf das Angebot einzulassen.
Als Linkam mit seiner Konkubine und Managerin Dorothy Mapes (= Lady Jessica) und seinem achtjährigen Sohn Barri (= Paul Atreides) auf der Dünenwelt (= Arrakis) eintrifft, erweist sich schnell, dass die Hoskanner hier eine Todesfalle aufgebaut haben, in denen der Adlige und seine Leute umkommen sollen. Nicht nur sind die ausbedungenen Spice-Abbaugeräte praktisch schrottreif, es gibt auch eine Reihe Fallen und Saboteure. Noch ahnt Jesse nicht, dass sich auch ein Verräter in seiner Truppe befindet. Auch die lebenswichtigen Wettersatelliten fallen aus. Als deswegen Linkams Leute einen Coriolis-Sturm fast übersehen, kommen um ein Haar eine Menge Arbeiter um.
Doch der planetarische Ökologe Dr. Haynes (= Pardot oder Liet Kynes) hilft Linkam ebenso wie der Spice-Ingenieur William English. Mit diesen Vertrauten verbringen Linkam und Barri einen Tag auf einer Forschungsstation am fernen Äquator. Die Sandwürmer stellen eine ständige Gefahr dar. Dorothy, die keine Bene Gesserit ist, aber über eine außergewöhnliche Beobachtungsgabe verfügt, macht sich Sorgen um ihren Geliebten, aber noch mehr um Barri, ihr einziges Kind.
Nachdem aufgrund von Sabotage der Flieger (ein „Ornijet“) Linkam in einem Sturm hat notlanden müssen, glaubt man den Edelmann und seine Begleiter in der tiefen Wüste verschollen. Dorothy macht sich Vorwürfe, denn alles scheint nun zu enden. Doch Linkam, Barri und English sind nicht tot, sondern machen sich auf den Weg zum nächsten Forschungsposten – mitten durch alle Gefahren, die die Dünenwelt zu bieten hat …
_Mein Eindruck:_
Dieser Roman mutet an wie eines der zweitklassigen Planetenabenteuer, wie sie Jack Vance in großer Fülle produziert hat. Er hat auch erstklassige SF-Romane geschrieben, aber von dieser Klasse ist „Spice Planet“ weit entfernt. Ich dachte zunächst eine Kurzgeschichte zu lesen, weil hierbei der Schwerpunkt auf der Action liegt und nicht auf dem Hintergrund und dem Schauplatz. In diesem Ton ging es auch weiter, und weiter, und weiter. Bis auf einmal ein Roman in zwei Teilen erzählt war, aber so rudimentär, dass es auch eine ausgewalzte Kurzgeschichte sein könnte. Das einzige Element, das „Gewürzplanet“ von anderen 08/15-Romanen der fünfziger und frühen sechziger Jahre unterscheidet, ist der ungewöhnliche Schauplatz: Dünenwelt.
Die Story verläuft völlig anders als im wohlbekannten Klassiker, doch es gibt auch Parallelen. Barri beispielsweise hat überhaupt keine Bedeutung (außer als bedrohte Geisel des Imperators), wohingegen Linkams Konkubine Dorothy eine recht zentrale Rolle spielt: Sie führt nicht nur Linkams Geschäfte, sondern spürt auch den Verräter in Linkams Haushalt auf. Mit dem Imperator und Linkams Konkurrenten Hoskanner treten zwei Oberschurken auf, die im zweiten Teil des Romans für einen spannungsreichen Höhepunkt sorgen. Das Schicksal des bekannten Universums hängt – in Gestalt des Gewürzplaneten – an einem seidenen Faden. Mehr sei nicht verraten. So wie Paul Atreides dem Imperator Shaddam IV. entgegentritt, so bietet Linkam dem obersten Herrscher Paroli. Wer das Gewürz kontrolliert, hat einen sehr langen Hebel …
Die wichtigste offensichtlichste Parallele besteht denn auch in dem Gewürzplaneten selbst. Nicht nur wird dort der wichtigste Rohstoff des Universums abgebaut, sondern es gibt dort auch eine in sich geschlossene und komplex gezeichnete Ökologie, die den Sandwurm und seine verschiedenen Formen ins Zentrum stellt. Unter den anderen Formen ist zunächst die Sandforelle zu verstehen, aber auch – und das ist neu und verblüffend – Gewürz-Pflanzen, die rasch in die Höhe wachsen, um aus dem unterirdischen Höhlensystem Gewürz-Sporen an die Oberfläche zu befördern, wo aus Sporen und verdorrten Pflanzenresten die begehrte Melange entsteht. Nun ja, das muss man nicht für wahrscheinlich oder plausibel halten, denn es ist ja fremdweltlerisch. Der planetare Ökologe Dr. Haynes jedenfalls ist gebührend fasziniert, als Jesse Linkam von seinem unfreiwilligen Ausflug in die Unterwelt des Gewürzplaneten berichtet.
Wer also keine großen Ansprüche an einen SF-Roman stellt, der wird von „Gewürzplanet“ gut unterhalten. Mich ärgert nur, dass das Buch größtenteils so schlecht geschrieben wurde. Der negative Eindruck wird ein wenig erträglicher, wenn man berücksichtigt, dass die Autoren keine Eulen nach Athen tragen wollten und auf das panoramamäßige Malen eines eh schon bekannten kulturellen Hintergrundes aus dem „Dune“-Universum vollständig verzichtet haben.
Ihre Grundlage war eine Storyline von Frank Herbert selbst, aber auch das mit dem Leser geteilte Wissen um dieses „Dune“-Universum. Sie erfanden keine Bene Gesserit, denn diese ergänzt der „Dune“-Fan automatisch, um sich selbst zu erklären, woher Dorothy (= Lady Jessica) ihre besonderen Fähigkeiten erhalten hat. Und General Tuek hat so viele Züge des Krieger-Mentaten Thufir Hawat (inklusive Spuren des Sapho-Saftes), dass es nicht schwer ist, die beiden miteinander zu identifizieren.
Das größte Manko liegt also im völligen Fehlen der Rolle eines Messias‘, wie Paul Atreides es wird. Einen Messias einzubauen, hätte den Roman „Gewürzplanet“ jedoch komplett auf den Kopf gestellt – und dann wäre „Der Wüstenplanet“ daraus geworden.
|Herberts Muse|
Alle Teile dieses Buches sind mit Einleitungen der beiden Autoren versehen, so dass man die Bedeutung der Abschnitte in das Werk des großen Meisters erfassen kann. Daraus geht hervor, dass Beverly Herbert zumindest geistig und intellektuell die Co-Autorin der Romane ihres Mannes war. Auf sie gehen die Bene Gesserit zurück und sie ist in Lady Jessica verewigt worden. Als sie ihre zweite Krebserkrankung hatte, schrieb Herbert den Seuchenroman „Die weiße Pest“. Mehr zu ihrem engen Verhältnis findet sich in „Dreamer of „Dune““ von Brian Herbert.
_“Der Weg zum Wüstenplaneten“:_
Der zweite Abschnitt des Buches führt den Leser mit verbindenden Anmerkungen durch die Entstehung des Romans „Der Wüstenplanet“. Die erste Phase fand bereits 1957 statt, als Frank Herbert einen Artikel mit dem Titel „Sie haben den Wandersand zum Stillstand gebracht“ über seinen Agenten unterbringen wollte. Allerdings hatte Lurton Blassingame eine Menge berechtigter Einwände, so dass von dem Projekt lediglich ein Brief und ein Angebot übrigblieben. Aber dies war für den Autor der Anstoß, sich noch weiter mit der Wüste, dem Islam und der arabischen Kultur zu befassen.
Dann konnte Blassingame eine „Dune“-Story nach der anderen beim wichtigsten Herausgeber eines SF-Magazins unterbringen: bei John W. Campbell jr, der selbst Schriftsteller war. Aus drei Erzählungen, die zwischen 1963 und 1965 in „Astounding“ erschienen, erstellte der Autor einen Roman, der mehr als doppelt so lang war wie das übliche SF-Buch zu jener Zeit: 200.000 Wörter. Es dauerte zwei Jahre, das Buch unterzubringen, bis schließlich ein anderer Schriftsteller, der als Lektor bei Chilton Books arbeitete, zuschlug: Sterling Lanier. Sein SF-Roman „Hieros Reise“ ist ein Klassiker.
Als „Der Wüstenplanet“ die zwei wichtigsten SF-Preise einheimste, arbeitete Herbert schon an der Fortsetzung. Doch „Dune Messiah“ („Der Herr des Wüstenplaneten“) wurde von Campbell vehement abgelehnt, weil es einen Antihelden als Hauptfigur hat. Dafür schlug nun „Galaxy“ zu, und die Buchausgaben waren bald ebenfalls unter Vertrag. „Children of Dune“ („Die Kinder des Wüstenplaneten“) sollte die Trilogie 1976 abrunden. Etwas ulkig fand ich, dass eine Reihe von Kritikern Herbert mit Edgar Rice Burroughs verglichen, der bei uns weniger für seine „Mars“-Romane als vielmehr für seine Figur Tarzan bekannt ist. Es hagelte auch negative Kritik.
Was ich an diesem Abschnitt am interessantesten fand, waren die Zitate, in denen der Autor über seine Inspirationen, seine Arbeitstechnik („Kameraperspektive“) und seine musikalische Kompositionstechnik erzählte. Kurios ist seine Methode, Figuren zu erfinden und sie in Beziehungen zu anderen zu setzen: Er erwähnt ein jungsches Mandala, wobei natürlich von Carl Gustav Jung die Rede ist. Und wenn es um Heldenfiguren geht, dürfte Herbert auch an Joseph Campbell klassische Studie „The hero of a thousand faces“ gedacht haben, erwähnt dies aber nicht.
Dieser Abschnitt ist nur für Fans und Literaturhistoriker interessant.
_Aus „Der Wüstenplanet“ und „Der Herr des Wüstenplaneten“ gestrichene Kapitel:_
Die aus „Der Wüstenplanet“ gestrichenen oder nie darin aufgenommenen Kapitel konzentrieren sich in auffälliger Weise auf den Beginn des Romans. Hier führt Paul Atreides eine Reihe von Gesprächen mit der Bene-Gesserit-Oberin Gaius Helen Mohiam. Die Kürzungen sind eine Reaktion auf die in den Briefen von Verlagslektoren gestellte Forderung, den Anfang des Romans nicht zu lange werden zu lassen. Interessant ist besonders ein langes „neues“ Kapitel, das Paul und Lady Jessica in einem Labor des planetaren Ökologen Liet Kynes zeigt. Hier wird nicht nur nach den Grundlagen der Spice Melange geforscht. Und wie es aussieht, gibt es in Kynes‘ Gruppe einen Spion der Harkonnen ….
Zwei Hauptpersonen spielen in den gekürzten bzw. gestrichenen Kapiteln zu „Der Herr des Wüstenplaneten“ eine Hauptrolle: Alia und ihr Bruder, der Prophet-Imperator Paul Muad’Dib Atreides. Alia, die mit einem Klon (ghola) des Schwertmeisters Duncan Idaho verheiratet ist, überführt einen mächtigen Gildennavigator(!) des Verrats: Der Angriff, den er angestiftet hat, schlägt fehl. Sie vergilt ihm dies mit einer üblen Maßnahme: Sie entzieht ihm das Spice-Gas, das er zum Leben braucht. Auch die beiden Bene-Gesserit-Schwestern Prinzessin Irulan und Gaius Helen Mohiam kommen nicht gut weg: Die Nachricht vom Tod des Propheten Muad’Dib löst einen Fremen-Aufstand aus, der zum Lynchmord an den drei genannten Herrschaften führt.
Einer der ärgerlichen Fehler von „Der Herr des Wüstenplaneten“ ist die fehlende Szene, in der uns der Tod oder wenigstens das Verschwinden des Propheten Paul Muad’Dib Atreides geschildert wird. Endlich können wir diese Szene nachlesen, und zwar als alternativen Schluss zu „Der Herr des Wüstenplaneten“. Es ist ein sehr stimmungsvolles und schönes Kapitel, das ich gerne im veröffentlichten Roman gesehen hätte. Vielleicht werden wir es in „Paul Atreides“ nachlesen können, das nächstes Jahr bei Heyne erscheinen soll.
_Die Erzählungen:_
|1) „Das Flüstern der Meere Caladans” (1999)|
Man schreibt das Jahr 10.191 der Raumgilde. Der Angriff der Harkonnen auf Arrakeen, die Zitadelle der Atreiden, ist in vollem Gange. Der Verräter Wellington Yueh hat den schützenden Störschild deaktiviert, und die Festung ist dem Angriff der Harkonnen-Truppen, dem Kanonenbeschuss schutzlos preisgegeben. Gurney Halleck, der Schlachtenführer, hat die herzoglichen Soldaten in den Verteidigungskampf geführt.
Doch dabei ist eine kleine Gruppe, die Vorräte schützen und von der Flanke Deckung geben sollte, in einer Felshöhle des Schildwalls durch einen Steinschlag vom Rest der Verteidiger abgeschnitten worden. Nun sitzt hier etwa ein halbes Dutzend Soldaten fest. Mit Hoh Vitt haben sie einen Meistergeschichtenerzähler vom Planeten Jongleur in ihrer Mitte. Mit seinen Geschichten schafft er es immer wieder, dass die Soldaten nicht die Nerven oder den Mut verlieren. Denn leider trennen drei Meter solider Fels sie von der Außenwelt. Sie sind sicher – aber auch verloren. Und der junge verletzte Elto Vitt, der Neffe des Erzählers, erinnert sich voll Sehnsucht an das Flüstern der Meere von Caladan.
Man munkelt, dass manche der Jongleur-Erzähler auch über magische Kräfte verfügen, und als nun Hoh Vitt in der letzten Stunde, als den Menschen der Sauerstoff ausgeht, von Caladan erzählt, erweisen sich die Gerüchte als begründet. Später dringen Fremen-Plünderer in die Höhle ein und wundern sich über den Ausdruck der Freude auf den Gesichtern der Toten. Als sie auch die Lungen öffnen, um ihr Wasser zu nehmen, beschließen sie allerdings, die Höhle sofort wieder zu verschließen …
|Mein Eindruck dazu:|
Im Geschichtenerzähler ist leicht Frank Herbert selbst zu erkennen, und seine Macht, die in seinem Umgang mit Worten gründet, ist in der Tat groß. Die Pointe ist zugleich erschütternd und überraschend. Dies macht diese Erzählung über einen Nebenschauplatz nicht nur zu einem schön aufgebauten Stück Dichtung, sondern wirft ein Schlaglicht auf die Tatsache, dass alle Soldaten auch Menschen sind, mit einer Zukunft, einer Vergangenheit, einer Seele. Erst der letzte Satz, die Pointe, macht aus der Geschichte, obwohl sie auf einer fremden Welt spielt, schließlich doch ein Stück Phantastik.
Kein Wunder, dass 1999 die Magazinausgabe, in der diese Story abgedruckt, reißenden Absatz fand und ruckzuck vergriffen war. Denn die Story verweist auch auf die sechs Romane, die noch folgen sollten: die „Frühen Chroniken“ der drei wichtigsten Häuser (Atreides, Harkonnen, Corrino) und die „Legenden“ über Butlers Djihad.
|2) „Harkonnen-Hatz“ (2002)|
Dies ist eine Geschichte, die wenige Jahre vor dem Beginn von „Butlers Djihad“ spielt, so um das Jahr 220 V.G. (vor Gründung der Raumgilde). Im Mittelpunkt des Geschehens steht die Familie Harkonnen. Xavier Harkonnen spielt im Roman „Butlers Djihad“ eine zentrale Rolle, doch hier ist er noch ein junger Knabe aus Salusa Secundus, der von Pflegeeltern aufgenommen wird. Das ist Nebensache. Im Mittelpunkt steht das Schicksal seiner Eltern Ulf und Katarina sowie das seines Bruders Piers. Xavier glaubt, sie seien alle tot und er der einzige Überlebende seines Hauses. Dies ist nicht ganz zutreffend …
Auf dem Rückflug von seinen Diamantminen auf Hagal wird Ulf Harkonnens Yacht von einer Jägergruppe der Cymeks – menschlichen Gehirnen in mechanischen Körpern – überrascht und angegriffen. Der grausame Titan Agamemnon selbst führt die Gruppe. Die Yacht verteidigt sich, doch sie schafft es nicht zur nahen Wasserwelt Caladan. Piers‘ Eltern sterben in einer Explosion, während er selbst in einer Rettungskapsel entkommen kann und in den Bergen Caladans notlandet.
Vier Cymeks, die ihn verfolgen, landen bald danach an der Absturzstelle und verfolgen den flüchtenden und verwundeten Menschen. Doch sie haben nicht mit den Tricks der Bergbewohner gerechnet, Nachkommen der Zensunni-Wanderer, die sich unter dem Gletscher eine kleine Siedlung aufgebaut haben. Hier kommt es zu einem Showdown zwischen Piers und dem General Agamemnon …
|Mein Eindruck dazu:|
Die Zahl der Niederlagen, die Agamemnon, der Führer aller Cymeks, hat einstecken müssen, ist nicht gerade Legion, wenn man den Erzählungen in den drei „Legenden“-Romanen glauben darf. Das macht diese actionreiche Geschichte bemerkenswert. Zum anderen wird es möglicherweise später noch wichtig, dass Xavier seinen Bruder nicht ganz verloren hat. Wenn Piers Nachkommen hat, so könnten diese noch in späteren Romanen auftauchen. Menschlich interessant wird die Story nur durch die Figur des Piers Harkonnen, der ein harter Sklavenhalter werden soll, darin aber völlig versagt, weil er viel lieber ein Geschichtenerzähler wäre – und sich am Ende diesen Traum auch erfüllen kann. Wenn auch auf völlig andere Weise als erwartet.
|3) „Der Prügel-Mek“ (2003)|
Diese Story schlägt eine Brücke zwischen „Butlers Djihad“ und „Der Kreuzzug“, den Bänden 1 und 2 der „Legenden“-Trilogie. Im Mittelpunkt steht Vergyl Tantor, der 23-jährige Halbbruder von Xavier Harkonnen. Er lebt jetzt auf Giedi Primus, der späteren Heimatwelt der Harkonnens, die jetzt aber noch eine grüne Welt ist. Xavier ist Oberbefehlshaber der Djihad-Kriegsflotte, die gerade von ihrem Einsatz bei Peridot zurückkehrt. Die Schiffe sind zerschunden und beschädigt, denn sie haben eine Schlacht gegen die Denkmaschinen hinter sich, welche Peridot zu einer Synchronisierten Welt machen wollten.
Soldat Vergyl Tantor hört zwar von Xavier, was auf Peridot Schreckliches passiert ist, doch das schreckt ihn nicht etwa ab, sondern stachelt vielmehr seinen Hass gegen die Denkmaschinen weiter an. Er will unbedingt bald mal in einen richtigen Kampfeinsatz. Einen Vorgeschmack darauf erhält er, als er an Bord von Xaviers Flaggschiff den berühmten Ginaz-Söldner Zon Noret beim Schwerttraining gegen einen echten Kampfroboter erblickt. Er überredet Noret, ihn selbst auch einmal einen Waffengang probieren zu lassen. Doch er erlebt sein blaues Wunder.
|Mein Eindruck dazu:|
Diese Brückenstory hat eigentlich keine richtige Handlung mit Anfang, Mitte und Ende, sondern bildet so etwas wie ein Porträt für eine Nebenfigur in „Der Kreuzzug“. Immerhin kommt es zu etwas Action, als Vergyl sich im Kampf mit dem Trainingsroboter Chirox reichlich verausgabt. Chirox ist eine Figur, die dauernd im Zusammenhang mit den Ginaz-Söldnern auftaucht, einer ihrer wichtigsten Lehrer. Inhaltlich belanglos, weiß die Story doch halbwegs zu unterhalten. Sie ist aber nur für Leser einigermaßen verständlich, die den 1. Band gelesen haben, „Butlers Djihad“.
|4) „Gesichter einer Märtyrerin” (2004)|
Auch diese Erzählung ist ein Brückenstück. Es verbindet Band 2 und 3 der Legenden-Trilogie. Am Anfang von Band 3 „Die Schlacht von Corrin“ fragt sich der Leser erstaunt, woher all die Veränderungen kommen, mit denen er unvorbereitet konfrontiert wird. Diese Fragen werden in der Story beantwortet. Im Grunde geht es nur um zwei Hauptfiguren: Vorian Atreides und Rekur Van.
Man schreibt das Jahr 165 V.G. (vor der Gilde). Vorian Atreides ist nach dem Tod von Xavier Harkonnen der neue Oberbefehlshaber der Djihad-Streitkräfte. Er muss eine seltsame Geschichtsfälschung verkräften. Obwohl er weiß und mehrmals gesagt hat, dass Xavier die Machenschaften des Großen Patriarchen Iblis Ginjo mit den Tlulaxa aufdeckte und diesen Kriegsgewinnler daraufhin in Selbstaufopferung tötete, ist inzwischen der Bösewicht zum Märtyrer gemacht und Xavier zum Schurken gestempelt worden. Ginjos Witwe und ihr Polizeichef, eine sehr gefährlicher Mann, haben Iblis neben Serena und Manion Butler gestellt und eine Dreifaltigkeit von Märtyrern geschaffen. Vorian ist angeekelt, muss aber seine Meinung für sich behalten, will er nicht dem Djihad gegen seine geschworenen Feinde, die Maschinen, ernsten Schaden zufügen.
Serena Butlers Anhänger haben die Genzüchtungsfabriken der Tlulaxa zerstört. Was für eine Verschwendung, denkt der Genhändler Rekur Van verbittert. Die Tlulaxa fliehen in Scharen von ihren zerstörten Planeten und werden abgeschossen. Wohin kann er sich wenden? Indem er sich totstellt, kann er davonschleichen. Die einzige Partei, die an seinen Errungenschaften interessiert sein könnte, sind die Denkmaschinen.
Der unabhängige Roboter Erasmus stellt laufend grausame Experimente an, um mehr über das Wesen und die Schwächen des Gegners, der Menschen, herauszubekommen. Als Rekur Van ihm die Zellen von Serena Butler im Tausch für sein Leben offeriert, ist Erasmus einverstanden. Er will wieder heiße Debatten mit jener Frau führen, die vor 35 Jahren den Djihad ausgelöst hat. Doch das Ergebnis entspricht nicht ganz Erasmus‘ Erwartungen. Rekur muss für seinen Fehler bezahlen …. (Und so sehen wir ihn am Anfang von „Die Schlacht von Corrin“ wieder.)
|Mein Eindruck dazu:|
Dies ist keine Erzählung, sondern ein herausgeschnittenes Stück aus einem Roman, in den es nicht hineinpasste. Oder weil es entbehrlich war. Insofern teilt es die gleiche Kategorie mit jenen gekürzten Texten aus „Dune“ Teil 1 und 2. Die Vorgänge sind ohne die Lektüre des Romans „Der Kreuzzug“ kaum zu verstehen oder zuzuordnen.
Von den vier Erzählungen wusste mich nur die erste zu beeindrucken, die anderen kann man getrost vergessen. „Das Flüstern der Meere Caladans“ ist nicht nur erstklassige Short-Story-Kunst, sondern auch ein Loblied auf Frank Herbert und dessen Talent des Geschichtenerzählens. Die Figur eines magischen „Master-Storytellers“ wie Hoh Vitt finde ich faszinierend und vielversprechend. Diese Figur erfüllt eine wichtige und hier tragisch geschilderte Rolle für die menschliche Gesellschaft.
_Die Übersetzung:_
Obwohl der Übersetzer gewechselt hat, hält man sich weiterhin an die sattsam bekannte Nomenklatur zum Wüstenplanet-Universum, welches ja bislang ausschließlich bei Heyne betreut worden ist. Es gibt sogar eine ganze Enzyklopädie dazu. Deshalb stößt der eingefleischte „Dune“-Fan auf keine Ungereimtheiten. Es sei denn, sie sind wie im „Gewürzplanet“-Roman ausdrücklich beabsichtigt, da es sich ja um eine alternative Version zu „Dune“ handelt.
Begrüßenswert finde ich, dass man die ursprünglichen englischen Bezeichnungen eingedeutscht hat. So wird aus „“Duneworld“ beispielsweise „Dünenwelt“ und aus „Spice“ natürlich „Gewürz“. Auf diese Weise können auch ostdeutsche Leser, die eher Russisch als Englisch erlernten, sowie Neueinsteiger etwas mit diesen Texten anfangen.
_Unterm Strich:_
Das Gesamturteil kann nicht besonders begeistert ausfallen, wenn es sich hauptsächlich um Resteverwertung handelt, was die beiden Autoren hier treiben. Neben einem minderwertigen SF-Abenteuerroman stehen jede Menge Erzählungen, teils gekürzte Szenen, neue Kapitel und wiedergefundene Brückenstücke zwischen Romanen sind.
Einzige Ausnahme ist meines Erachtens „Das Flüstern der Meere Caladans“, das nicht nur eigenständig als Story bestehen kann, sondern auch eine bemerkenswerte Aussage innerhalb des ursprünglichen „Dune“-Universums mitbringt. Wertvoll fand ich auch die Briefe zu „Dune“ Teil 1 und 2, die uns sehr viel über die Entstehung des SF-Klassikers und die Arbeitsmethode seines Autors sagen.
„Das Geheimnis von ‚Der Wüstenplanet‘ wird gelüftet“, verspricht der Verlag marktschreierisch auf dem Cover-Aufkleber. Das lässt sich nur durch Herberts eigene Statements hinsichtlich der Entstehung seines Mega-Romans rechtfertigen. Und diese Rechtfertigung ist schon mehr, als so manches Marketingversprechen halten kann!
|Für wen sich das Buch eignet|
Sicher können die angeblich „Millionen von ‚Dune‘-Fans“ da draußen etwas mit Fund- und Bruchstücken aus den ersten beiden „Dune“-Romanen anfangen, aber wollen sie das überhaupt? Ich käme mir wie einer der Leichenfledderer in „Das Flüstern der Meere Caladas“ vor. Es sei denn, ich wäre ein Literaturwissenschaftler, der danach strebt, das ganze Werk, das „Dune“ Teil 1 und 2 bildet, inklusive aller „Deleted Scenes“ kennenzulernen. Dann würde ich auch die Briefe zu diesen beiden Romanen sehr interessant finden.
Den Löwenanteil an diesem Buch bestreitet ohne Zweifel der Roman „Der Gewürzplanet“. Ich habe mein Urteil oben bereits differenziert erläutert. Der Roman steht auf dem Niveau eines B-Movies aus den 1950er Jahren, wäre da nicht das einzigartige Setting des Wüstenplaneten. Aber da wir es schon ausgiebig aus Verfilmungen und den Romanen kennen, hält sich der Neuheitswert stark in Grenzen.
Kurz und gut: Ein paar Texte sind für bestimmte Lesergruppen von Interesse, aber die breite Masse, selbst wenn sie „Dune“ mögen, braucht das Buch nicht zu kennen. Und um die letzten drei Erzählungen zu verstehen, muss man sowieso bereits die Legenden-Trilogie gelesen haben.
Eins steht für mich fest: Im „Dune“-Universum lassen sich mindestens ebenso viele Geschichten ansiedeln wie in „Star Wars“ und „Star Trek“. Will heißen: Anderson und Herbert können noch bis an ihr Lebensende darüber schreiben und Geld damit verdienen.
|Taschenbuch: 590 Seiten
Originaltitel: The road to Dune (2005)
Aus dem US-Englischen von Jakob Schmidt
ISBVN-13: 978-3453523319|
[www.heyne.de]http://www.heyne.de
_Frank Herbert bei |Buchwurm.info|:_
[„Der Wüstenplanet“ (Dune 1) 1662
[„Der Herr des Wüstenplaneten“ (Dune 2) 1637
[„Die Kinder des Wüstenplaneten“ (Dune 3) 1634
[„The Road to Dune“ 2805
[„Das Dosadi-Experiment“ 3937
[„Auge“ 3944
[„Das grüne Herz“ 4076
[DUNE 1: „Der Wüstenplanet“ Teil 1 von 2 (Hörbuch) 5259
[DUNE 1: „Der Wüstenplanet“ Teil 2 von 2 (Hörbuch) 5333
[DUNE 2: „Der Herr des Wüstenplaneten“ (Hörbuch) 5643
[DUNE 3: „Die Kinder des Wüstenplaneten“ (Hörbuch) 6182
Der internationale Konzern LoveStar hat in Island den größten Freizeitpark errichtet, den es je gab. LoveStar ist es gelungen, die Träume der Menschen zu entschlüsseln, die sich vor allem um die Liebe und den Tod drehen. Doch nicht alle lassen sich bei der Beglückung gleichschalten – ein junges Paar schafft es, seine ganz individuelle Liebe zu retten.
Bis ein größenwahnsinniger Mitarbeiter des Konzerns eine noch nie dagewesene Begräbniszeremonie organisiert, das „Millionensternefestival“, bei dem eine Million Tote ins All geschossen werden – um dann gleichzeitig weltweit als Sternschnuppen vom Himmel zu fallen. Allerdings geht dieser Plan nicht so ganz auf wie vorgesehen … (abgewandelte Verlagsinfo)
_Der Autor_
Andri Snær Magnason, geboren 1973 in Reykjavík, studierte Physik an der Isländischen Universität mit dem Abschluss Bachelor 1997.
Sein erstes veröffentlichtes Werk war der Gedichtband „Ljóðasmygl og skáldarán“ 1995. Es folgten der Gedichtband „Bónusljóð“ und der Kurzgeschichtenband „Engar smá sögur“. Sein bekanntestes Werk sind wohl seine Kinderbücher so wie „Blái hnötturinn“ oder „Sagan af bláa hnettinum“, deutsch: „Die Geschichte vom blauen Planeten“. Dieses wurde in zwölf Sprachen übersetzt und die isländische Band |múm| komponierte dazu 2001 einen Soundtrack. Sein Roman „LoveStar“ wurde im Jahr 2002 veröffentlicht und gewann zahlreiche Auszeichnungen.
Im März 2006 gab Andri Snær Magnason das Buch „Draumalandið – sjálfshjálparbók handa hræddri þjóð“ heraus, auf Englisch „Dreamland: A Self-Help Manual for a Frightened Nation“. Dafür erhielt er 2006 den Isländischen Literaturpreis. Im Februar 2010 erhielt er nach anderen Ehrungen den hoch dotierten Kairos-Preis. Er ist verheiratet und hat vier Kinder. Er bekämpft die Zerstörung des isländischen Hochlands durch das Eindämmen der Flüsse, das zur Aluminiumverhüttung vorangetrieben wird.
_Handlung_
Örvar Arnason ist ein Mann mit einer Vision. Der isländische Vogelforscher hat die sonderbaren Wellen von Vögeln und Schmetterlingen studiert und dabei ein neuartige elektronische Methode zur Markierung von Einzelwesen entwickelt. Das entsprechende Gerät ist winzig und kann sowohl senden als auch empfangen. Diese Entsprechung eines Handys lässt sich auch beim Menschen einsetzen, entdeckt er zu seiner Freude. Und ohne Handy hätten die Menschen endlich wieder beide Hände frei, um andere, sinnvollere Dinge zu tun, als ständig mit einem Hörer am Kopf herumzulaufen.
Nachdem er das Patent erhalten hat, nennt sich Örvar LOVE-STAR und gründet die gleichnamige Firma zwecks Vermarktung von Geschäftsmodellen, die auf diesem Gerät basieren. Weil die Vogelwellen die Satellitenübertragungen stören, ist seinem „Digitalfunk“ Erfolg beschieden. Natürlich nutzt er zunächst sein Heimatland als Versuchsfeld, bevor er den Rest der Welt beglückt. Schon bald stutzen die Isländer über neuartige Phänomene.
|Marketing für Handfreie|
Da gibt es beispielsweise die KRÄHER. Sie sind die neuzeitliche Entsprechung zum Marktschreier. Allerdings geben sie nur Werbesprüche von sich, die ihnen die LoveStar-Zentrale, an die sie ihr Sprachzentrum vermietet haben, auch eingegeben hat – wandelnde Litfasssäulen also. Und es gibt die GEHEIMWIRTE. Sie streuen im Sinne des viralen Marketings Werbeparolen, empfehlen selbst schlechteste Filme in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis, betreiben also bezahlte Mundpropaganda – gegen Cash versteht sich. Beide, Kräher und Geheimwirte, erwerben sowohl Geld als auch Bewertungspunkte im System von LoveStar, so dass sie sich ihren Aufstieg im aufstrebenden Konzern verdienen können. Demokratisch und gerecht, oder nicht?
|LoveDeath|
Eine weitere Idee, welche Örvar Arnason gekommen ist, vermarktet er jetzt als LoveDeath: Er schießt Verstorbene mit Billigraketen in die Umlaufbahn und lässt sie wieder abstürzen. Bei Wiedereintritt in die Atmosphäre verglüht die Rakete und schickt als aufflammendes Feuerwerk einen letzten Gruß an die auf der Erde andächtig zuschauenden Hinterbliebenen. Nach fünf Jahren braucht LoveStar ganze Flotten von Frachtern aus aller Herren Länder, um die vielen Toten, die seinem Konzern anvertraut werden, transportieren und in den Himmel zu schießen zu können. Die weltweite Markteinführung LoveDeaths steht kurz bevor.
Die Konzernzentrale ist in einen Berg hineingebaut worden. Jeder, der sie mit dem Touristenbus in der isländischen Heide besucht, staunt Bauklötze über die himmelhohe Eingangshalle, die in die Bergflanke eingelassen ist, die Aussegnungsräume und über die zahlreichen Abschussrampen für die Verblichenen. Es vergeht keine isländische Nacht mehr ohne Feuerwerk. Und die Telefonseelsorge REUE sorgt dafür, dass sich immer mehr Isländer vor dem Tod fürchten. Sie beginnen, diejenigen zu beneiden, die den „Absprung“ geschafft haben.
|LoveStar|
Örvar will seinem Land etwas zurückgeben. Zu diesem Zweck hat er LoveStar eigentlich gegründet, sagt er: zur wissenschaftlich fundierten Anbahnung der Liebe. Das Verlieben ist von nun an wegen der ausgeklügelten Computerauswahlverfahren keine Lotterie mehr, keine Iteration aus Verlieben und Entlieben, bis der oder die Nächste kommt, sondern eine verlässliche Zuweisung von WAHREN PARTNERN. Immer mehr Isländer vertrauen darauf, ganz ehrlich, da kannst du jeder Kräher und jeden Geheimwirt fragen.
Und so kommt es, dass auch das Liebespaar Indridi und Sigrídur nach fast genau fünf Jahren und sieben Monaten erfährt, dass es für Sigrídur den WAHREN PARTNER gibt: Per Möller. Indridi, seines Zeichen ein Gärtner auf einer Pflanzenfarm von LoveStar, ist wie vor den Kopf geschlagen. Aber genauso wenig wie die Altenpflegerin Sigrídur will er von seiner Liebe lassen. Zusammen, denken sie, sind sie stärker als der Konzern LoveStar.
|Liebesproben|
Doch der Konzern verfügt über modernste Mittel und Wege. Schon bald macht er den beiden unvernünftigen, UNWISSENSCHAFTLICHEN Turteltauben das Leben erheblich schwererer. Als auch der Einsatz eines Geheimwirts nicht fruchtet, sieht Indridi alsbald in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und wird kurzerhand als Kräher rekrutiert. Wenn ein Kerl seiner einzig wahren Liebe ständig ins Ohr trällert, wie TOLL er ihr SCHICKES Kleid findet, wo es doch von ihrer Oma stammen könnte, stellt das auch seine beste Glaubwürdigkeit auf eine harte Probe.
Aber das ist erst der Anfang …
_Mein Eindruck_
Auf der einen Seite erscheint das Utopia, das LoveStar alias Örvar Arnason errichtet, zunehmend finsterer in seinen Folgen, auf der anderen Seite erscheint uns die Liebe zwischen Indridi und Sigrídur zunehmend in Gefahr zu sein – eben durch die LoveStar-Utopie. Spätestens nach zwei Dritteln des Buches ist klar, wo unsere Sympathien liegen sollten – bei den beiden Liebenden.
Doch so einfach macht es uns der Autor nicht: LoveStar ist ein Visionär, der ein wertvolles Geschenk erhalten hat, ein Samenkorn mit einem ganz besonderen, nahezu magischen Ursprung. Und Sigrídur scheint sich endgültig in die Arme von inLOVE begeben zu haben, um den ihr zugemessenen Mann kennenzulernen. Kann all dies zu einem guten Ende gelangen? Wahrscheinlich nur im Märchen. Und so kommt es auch.
|Fabel-haft|
Aber dies ist nicht irgendein ein Märchen von den Brüdern Grimm, o nein. Vielmehr haben die Isländer ganz spezielle Märchen, Sagen, Legenden, Fabeln und natürlich epische Sagas – ein ungeheurer Reichtum an Geschichten, den schon Professor Tolkien auszuschlachten wusste, um sein Privatuniversum aufzubauen (er war Spezialist für Altisländisch und Altenglisch). Deshalb sind unsere Liebenden zwar füreinander bestimmt, doch die Liebe muss zuerst über den Teufel und den Tod triumphieren. Darunter läuft gar nichts.
|Die Zauberlehrlinge|
Teufel gibt es genügend in LoveStars Imperium der Liebe. Hier ist alles von der Wissenschaft der Gentechnik, der Fernkommunikation und des verhaltensgestützten Marketings durchdrungen. Die fleißigen Zauberlehrlinge LoveStars haben das Geheimnis der Liebe ebenso ergründet, wie sie den Tod durchorganisiert haben. Nun öffnet sich ihrem suchenden Blick auf das allerletzte Geheimnis: Wohin sich die Gebete aller Menschen richten – es ist ein ganz bestimmter Ort irgendwo in Ostafrika. Mit anderen Worten: Dort wohnt Gott, was alle praktischen Zwecke angeht. Stracks verfügt sich LoveStar dorthin. Nur um auf ein noch größeres Geheimnis zu stoßen – und ein Samenkorn.
|Der Widersacher und das Ende der Welt|
Doch er hat einen Teufel geschaffen, der ihm an Einfallsreichtum ebenbürtig ist: Ragnar. Indem er dessen Ideenreichtum erst von inLOVE, der Vermarktung der Liebe, abgezogen und auf LoveDeath abgeschoben hat, schuf er eine unheilvolle Allianz aus Genialität und Morbidität. Das Ergebnis ist – tadaaa! – das „Millionensternefestival“. Dabei sollen eine Million Tote gleichzeitig erst auf eine Kreisbahn um die Erde gebracht werden – dabei entsteht eine Art Saturnring – und diese dann alle auf ein Kommando hin in die Atmosphäre der Erde abgeschossen werden. Theoretisch sollen sie alle darin wie Meteore verglühen, sozusagen als das ultimative Feuerwerk. Doch leider ist bei der Berechnung der Brenndauer etwas schiefgegangen.
Werden unsere Liebenden, Verkörperungen der Unschuld und Zuneigung, diesen Weltuntergang überdauern oder wie fast der gesamte Rest der Welt unter den Überresten der nicht verglühten Toten begraben werden? Das soll hier nicht verraten werden. Nur eines: Sie haben einen mächtigen und nicht gerade alltäglichen Beistand.
Ein satirisches Märchen also zwischen Utopie und Apokalypse – ist dies die Essenz des Buches? Wäre dies alles, was der Leser mitnehmen könnte, dann würde die Geschichte auf nicht mehr als ein hübsche Idee hinauslaufen. In Wahrheit handelt es sich jedoch aufgrund der Kraft der Satire um einen bissigen, wenn auch charmant vorgetragenen Angriff auf zahlreiche Werte, die die heutige Welt bestimmen.
|Der Teufel in der Maschine|
Der Erfindungsreichtum LoveStars, der die Menschen von Handys, Liebesirrtümern, elenden Siechtum usw. befreien soll, läuft auf eine Entmündigung hinaus, im Falle von Indridis und Sigrídurs Schicksal gar auf kriminelle Machenschaften. Doch die Firmenleiter haben im Geist der Maschine einen Teufel geschaffen, der sich nur zu bereitwillig gegen die Ziele der Wohlmeinenden und zur Verfolgung egoistischer Ziele einsetzen lässt. Der Computermanipulation ist, wie jeder weiß, stets Tür und Tor geöffnet. Der Autor verteufelt nicht die Rechenknechte, sondern ihre fahrlässigen Bediener und Verwalter.
|Tödliches Marketing |
Ein weiteres Angriffsziel, das der Autor aufs Korn nimmt, ist das Marketing. Hier kennt er sich offenbar bestens und womöglich aus eigener Anschauung aus. Die Mechanismen, die die Marketingabteilung LoveStars anwendet, sind heute alle bereits im Einsatz. Doch aufgrund der (mehr oder weniger freiwillig gewährten) Übernahme des Sprachzentrums von Mitarbeitern lassen sich den Werbebotschaften weitaus glaubwürdigere Übermittler zugesellen: Der Mensch ist das Medium! Marshall McLuhan, der Künder des Slogans „Das Medium ist die Botschaft!“, würde sich im Grabe umdrehen. Aber der Autor folgt lediglich der Logik der Entwicklung zur letzten Konsequenz.
|Liebe und Tod GmbH|
Ein drittes Ziel ist die profitorientierte Bewirtschaftung der letzten tabuisierten Lebensbereiche: Tod und Liebe. Da karren die Isländer Mütterchen und Väterchen zur Festung von LoveStar, um sie abschießen zu lassen und als Feuerwerk zu genießen – eine Wachstumsbranche. Von inLOVE werden die Liebenden neu berechnet, um den wahren Geliebten zu finden. Dieser Schuss geht allerdings nach hinten los: Wunschlos glücklichen Menschen kann man einfach nichts mehr verkaufen, mit dem sie ihre Unzufriedenheit besänftigen könnten, beispielsweise ein dickeres Auto oder eine schickere Waschmaschine (oder ein Apple iPad). Dumm gelaufen, LoveStar. Tatsächlich erinnert sein Imperium stark an das von Kultfirmen wie Apple, Virgin (Richard Branson) oder Microsoft.
|Mickey der Fleischfresser|
Es gibt noch zahlreiche weitere Einfälle, die Seitenhiebe auf liebgewordene Kulturikonen austeilen. In einer grotesken Szene stellen uns LoveStars Zauberlehrlinge das neueste, gentechnisch produzierte (und patentierte) Haustierchen vor: Mickey Mouse! Diese echten Riesenmäuse ähneln Walt Disneys gezeichnetem Vorbild bis aufs runde Näschen und die süüüßen großen Öhrchen. Doch unter dem Fell, das gestreichelt werden will, verbirgt sich ein Raubtier, das am liebsten Kinder anfällt! Daran müssen die Gentechniker noch ein wenig schrauben. Zu dumm, dass einzelne Länder in Fernost bereits Chargen des fehlerhaften Maskottchens erhalten und in Umlauf gebracht haben. Die Zeitungen berichten von ersten Zwischenfällen …
|Eine Schwäche?|
Eine der Schwächen, die ich dem Roman vorwerfen könnte, ist seine Unausgewogenheit. Die Story selbst reicht gerade mal für hundert Seiten, also eine Novelle. Doch der Autor hat sie durch Beschreibungen zahlreicher Nebenfiguren und vor allem durch Meditationen seiner Hauptfigur LoveStar so aufgeblasen, dass die Story eine weltumspannende Bedeutung annimmt und zur Besichtigung eines Zeitalters – verzerrt durch den Spiegel eines warnenden Narren – gerät.
Kein Wunder also, dass die meiste Action im ersten und im letzten Drittel zu finden ist. Zunächst muss der Konflikt herbeigeführt und zuletzt aufgelöst werden – mit den bekannt fatalen Verwicklungen. Gerade das Finale hat mich umgehauen. Hier wartet der Autor mit zwei oder drei netten Ideen auf, die man so noch nirgends gelesen hat. Und so schloss ich das Buch mit einem recht zufriedenen Gefühl und dem Appetit, es noch einmal zu lesen, diesmal in aller Ruhe.
|Die Übersetzung|
Die Übersetzung aus dem Isländischen ist fehlerlos gelungen und es finden sich kaum nennenswerte Druckfehler. Auch der deutsche Stil lässt keine Wünsche offen, es sei denn, man wünscht sich eine etwas flapsigere Ausdrucksweise. Diese beherrschen aber nur sehr wenige Übersetzer sicher, so etwa Bernhard Kempen. Und so wirkt der deutsche Stil zwar korrekt, aber auch ein wenig blass und kraftlos. Manchmal kann man eben nicht beides bekommen.
_Unterm Strich_
Die Satire nutzt sowohl die Mittel der Sciencefiction als auch der reichen Erzählkultur Islands. Im ersten und letzten Drittel überzeugt die Geschichte daher mit einem straffen, ziemlich unvorhersehbaren Plot, der sich zu einem grandiosen Finale aufschwingt. Im Mittelteil kommen der Satiriker und der Werbefachmann zur Geltung, was mitunter zu seitenlangen Rückblenden, Meditationen usw. führt.
Überhaupt bleibt der Mensch Örvar Arnason seltsam blass: Er hat die beste aller Welten gewollt, seine Familie auf dem Altar dieses Ziels geopfert und sich zu Gott aufgeschwungen, aber dennoch einen Teufel und die Hölle auf Erden geschaffen. Dass alles „gut gemeint“ gewesen sei, hilft ihm jetzt auch nicht mehr: Er ist der einsamste Mensch des Planeten, als er den Löffel abgibt. Nicht er schreibt das letzte Kapitel, sondern die Überlebenden. Ob die Liebenden dazugehören werden, soll hier nicht verraten werden.
„LoveStar“ ist keine Thriller- oder SF-Massenware, sondern erfordert schon ein wenig Offenheit und Mitdenken vom Leser, um all die ungewöhnlichen Ideen zu durchdenken. Besonders der Mittelteil kann so zu einer gewissen Durststrecke werden. Doch dafür wird man durch ein fulminantes Finale belohnt. Der Autor wurde dafür nicht ohne Grund mit Preisen ausgezeichnet.
|Originaltitel: LoveStar, 2002
Aus dem Isländischen von Tina Flecken
299 Seiten
ISBN-13: 9783785760284|
http://www.luebbe.de
Birne, Anfang 30, hat in Kempten gerade seinen neuen Job als Redakteur bei einem Verlag für Wanderführer angetreten, als seine Nachbarin, die alte Frau Zulauf, blutüberströmt aufgefunden wird. Mord inmitten beschaulicher Alpenidylle – so hatte Birne sich seinen Neuanfang im Allgäu nun wirklich nicht vorgestellt!
Ein türkischer Imbissbudenbesitzer, ein Motiv, ein Kebabmesser – die Polizei hat den mutmaßlichen Mörder der Frau schnell dingfest gemacht. Doch dann stolpert Birne in die Ermittlungen …
_Buchwurm.info:_
Wie geht es Ihnen? Wo sind Sie? Was machen Sie gerade?
_Frank Haubold:_
Danke der Nachfrage, im Grunde gar nicht so schlecht, zumal es draußen tatsächlich doch noch Frühling geworden ist. Ich bin zu Hause und sitze – wie zumeist in den Abendstunden – am Computer. Im Moment denke ich darüber nach, welcher unfertige Text vielleicht doch noch zu retten ist.
_Buchwurm.info:_
Unsere Leser bei |Buchwurm.info| kennen Sie vielleicht noch nicht so gut. Könnten Sie sich bitte kurz vorstellen?
_Frank Haubold:_
Ich bin 55 Jahre alt und schreibe seit rund 20 Jahren überwiegend Kurzgeschichten und Erzählungen. Nach dem Abitur habe ich Informatik an der TU Dresden studiert und nach ein paar Jahren Berufspraxis an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert. Ich bin verheiratet und lebe mit meiner Frau in einem Dorf namens Waldsachsen nahe der Stadt Meerane auf halber Strecke zwischen Gera und Chemnitz.
_Buchwurm.info:_
Wie kamen Sie zum Schreiben und was fasziniert Sie besonders am Genre der Sciencefiction und Fantasy?
_Frank Haubold:_
Ich denke, ich bin – wie vermutlich die meisten Autoren – irgendwann beim Lesen auf die Idee gekommen, eigene Texte zu verfassen. Man liest einen besonders gelungenen Roman oder eine Erzählung und denkt sich: Das möchtest du auch können. Es gehört allerdings eine gewisse Besessenheit dazu, diesen Wunsch dann auch in die Tat umzusetzen. Sciencefiction und Fantasy sind eigentlich Subgenres der Phantastik. Dieses Genre bietet dem Autor eine Fülle von Möglichkeiten, Dinge geschehen zu lassen, die normalerweise unmöglich scheinen. Daraus sollte man aber nicht den Rückschluss ziehen, dass phantastische Texte nichts mit der Realität zu schaffen haben.
_Buchwurm.info:_
Was war Ihr erstes Buch? Worum geht es darin und was hat Sie an diesem Thema besonders interessiert?
_Frank Haubold:_
Mein erstes Buch „Am Ufer der Nacht“ handelt von einem jungen Mann namens Robert, der von unheimlichen Träumen heimgesucht wird. Erst nach und nach findet er heraus, dass sie einem bestimmten Muster folgen und ihn letztlich in die Lage versetzen, sich gemeinsam mit seinen Freunden einer drohenden Katastrophe entgegenzustellen. Die Handlung ist überwiegend frei erfunden, dennoch trägt der Protagonist einige autobiographische Züge und einige der geschilderten Ereignisse haben tatsächlich so oder ähnlich stattgefunden.
_Buchwurm.info:_
Ihr neuestes Buch ist „Die Sternentänzerin“. Worum geht es in diesen Erzählungen und was war für Sie von besonderem Interesse an diesen Themen?
_Frank Haubold:_
Es handelt sich um eine Zusammenstellung von phantastischen Erzählungen aus den Jahren 2005 bis 2009, darunter die 2008 mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnete Geschichte „Heimkehr“. Mein Favorit ist allerdings die titelgebende Erzählung, die den Lebensweg der russischen Tänzerin Lena Romanowa beschreibt, die bei einem Gastspiel in ihrem Heimatort durch ein Attentat schwer verletzt wird und erst viele Jahre später aus dem Koma erwacht. Mit unglaublicher Energie lernt sie wieder laufen und sogar tanzen und feiert schließlich ein unglaubliches Comeback zwischen den Sternen. Ich habe – auch aufgrund der aufwendigen Recherchen – sehr lange an dieser Geschichte gearbeitet, denke aber, es war der Mühe wert.
_Buchwurm.info:_
Sind Sie mit dem Erfolg Ihrer Bücher bislang zufrieden? Welche Publikumsreaktionen haben Sie am meisten gefreut? Welche fanden Sie unverständlich?
_Frank Haubold:_
Erfreulicherweise sind die meisten Reaktionen positiv, aber das allein bestimmt nicht den (wirtschaftlichen) Erfolg eines Buches. Dazu bedarf es medialer Präsenz, eines bekannten Namens und eines gewissen Werbeetats seitens des Verlages. Was ich schreibe und bislang veröffentlichen konnte, sind im Grunde Außenseiter-Publikationen. Mein größter Erfolg war zweifellos der Gewinn des Deutschen Science-Fiction-Preises 2008 in beiden Kategorien mit dem Roman „Die Schatten des Mars“ und der Erzählung „Heimkehr“, und natürlich habe ich mich sehr darüber gefreut. Unverständliche Reaktionen auf einzelne Texte gibt es auch hin und wieder, wobei die Vorstellung ohnehin illusorisch ist, als Autor alle Erwartungen bedienen zu können.
_Buchwurm.info:_
Ist es für Sie wichtig, engen Kontakt zu Ihrem Publikum zu halten, beispielsweise auf Conventions oder in einem Verband? Bietet Ihnen das Internet dazu inzwischen bessere Möglichkeiten?
_Frank Haubold:_
Da ich nicht unbedingt zu den Reiselustigsten gehöre, besuche ich nur wenige Conventions, verdanke diesen Treffen aber eine Reihe durchaus interessanter Begegnungen. Der Hauptteil der Kommunikation findet allerdings im Internet und per Mail statt. Ich bin in einigen Foren aktiv (nicht nur im Bereich der Phantastik), betreibe eine eigene Homepage und halte Kontakt mit zahlreichen Autorenkollegen und Lesern.
_Buchwurm.info:_
Warum erscheint Ihr Band „Die Sternentänzerin“ nicht in einem der „großen“ Verlage wie |Lübbe| oder |Heyne|, sondern in einem fast unbekannten wie |p.machinery|? Hat dies bestimmte Vorteile?
_Frank Haubold:_
Der Hauptvorteil ist zweifellos Umstand, dass das Buch überhaupt erscheint. Großverlage wie |Heyne| haben kein Interesse an Anthologien oder Collections, weil sie sich angeblich schlecht verkaufen. Das bewahrheitet sich dann im Einzelfall auch im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung, da diese Bücher kaum beworben und schon gar nicht aktiv in die Buchhandlungen gebracht werden. Das war in den 90er Jahren noch anders, wo man in fast jeder Buchhandlung auf die eine oder andere |Heyne|-Anthologie stieß. Heute läuft das Geschäft nach dem Motto: Nur nichts riskieren. Das ist aber kein Phänomen, das sich auf das Verlagswesen beschränkt.
_Buchwurm.info:_
Sie veröffentlichen beim [EDFC.]http://www.edfc.de/ Welche Bedeutung hat dieser Klub für Sie und für die Szene der phantastischen Literatur in Deutschland?
_Frank Haubold:_
Der EDFC Passau ist zweifellos einer der ältesten und renommiertesten Fantasy-Clubs in Deutschland, der über viele Jahre seine Mitglieder mit einer Fülle von Publikationen bedienen konnte, die von den Magazinen „Fantasia“ und „Quarber Merkur“ über Sekundärliteratur bis hin zu einer kleinen, aber exklusiven belletristischen Reihe reichte. Bedingt durch Mitgliederschwund und Mittelknappheit erscheinen die EDFC-Publikationen seit einiger Zeit allerdings nur noch in elektronischer Form, was nicht nur aus Autorensicht zu bedauern ist.
_Buchwurm.info:_
Können Sie von Ihren Veröffentlichungen leben oder haben Sie noch einen anderen Broterwerb?
_Frank Haubold:_
Vom Erlös seiner Bücher leben zu können, ist eine angenehme Vorstellung, die aber nicht nur bei mir mit der Realität kollidiert. Es gibt wohl kaum einen mühsameren Broterwerb als den eines freischaffenden Schriftstellers. Da ich nur ungern unter Brücken schlafen möchte, arbeite ich tagsüber in einer Klinik als Abteilungsleiter im Bereich Medizintechnik und Informatik. Das regelmäßige Einkommen garantiert mir auf der anderen Seite eine gewisse Unabhängigkeit bei meiner schriftstellerischen Tätigkeit, was kein geringer Vorzug ist.
_Buchwurm.info:_
Was sind Ihre liebsten Freizeitbeschäftigungen?
_Frank Haubold:_
Wenn ich nicht gerade schreibe oder Texte redigiere, bin ich gern mit dem Fahrrad unterwegs, mache Urlaub im Süden und spiele – wenn auch mehr schlecht als recht – zwölfsaitige Gitarre. Musik (zwischen |Doors| und |Pink Floyd|) höre ich allerdings meist nur im Auto.
_Buchwurm.info:_
Was würden Sie sich für die Szene der phantastischen Literatur in Deutschland (SF, Fantasy, RPG etc.) wünschen, wenn Sie drei Wünsche frei hätten?
_Frank Haubold:_
O je, auch das ist keine einfache Frage. Natürlich würde ich mir wünschen, dass jüngere Menschen mehr Sciencefiction oder überhaupt phantastische Literatur lesen, was dann auch dazu führen könnte, dass sich die großen Publikumsverlage in diesem Bereich stärker und vielleicht auch kompetenter engagieren. Ebenso wünschenswert wäre eine Abkehr vom gegenwärtigen Schubladendenken auch innerhalb der Phantastik-Szene, das dazu führt, dass viele SF-Anhänger kaum Horror oder Weird Fiction lesen und umgekehrt. Und fern der Realität würde ich gern Merlin, dem Magier, oder Graf Dracula dabei zusehen, wie sie all die überflüssigen König-Artus- und Vampir-Schinken in Bäume zurückverwandeln.
_Buchwurm.info:_
Wagen wir einen Ausblick. Woran arbeiten Sie gerade? Wann erscheint Ihr nächstes Buch?
_Frank Haubold:_
Wie bereits angedeutet, arbeite ich derzeit an mehreren Projekten, von denen die meisten allerdings noch nicht spruchreif sind. Unter Umständen ergibt sich demnächst die Möglichkeit zu einer Publikation in Großbritannien – eine Sammlung von Horrorgeschichten in Zusammenarbeit mit einer englischen Kollegin. Außerdem arbeite ich daran, meine im Januar bei |Atlantis| erschienene Erzählung „Die Gänse des Kapitols“ zu einem Roman, einer klassischen Space Opera, zu erweitern. Außerhalb des Genres plane ich gegenwärtig eine Anthologie unter dem Arbeitstitel „Der Traum vom Meer“, die aber noch in den Kinderschuhen steckt. Aktuelle Informationen, Rezensionen und Leseproben sind auf meiner Homepage [www.frank-haubold.de]http://www.frank-haubold.de zu finden.
_Bibliographie_
|_Buchausgaben:_|
_“Am Ufer der Nacht“_ (1997), Roman in Erzählungen.
_“Der Tag des silbernen Tieres“_ (mit Eddie M. Angerhuber, 1999), EDFC Passau. Unter anderem mit der Erzählung „Das Große Rennen“, 2. Platz beim Deutschen Science-Fiction-Preis 2000.
_“Das Tor der Träume“_ (Phantastische Erzählungen, 2001), EDFC Passau. Der Erzählungsband wurde für den Deutschen Phantastik-Preis 2002 nominiert, zwei Geschichten für den Deutschen Science-Fiction-Preis und für den Deutschen Phantastik-Preis.
_“Das Geschenk der Nacht“_ (Phantastische Erzählungen, 2003), EDFC Passau. Zwei Geschichten wurden für den Deutschen Science-Fiction-Preis 2004 nominiert, die Story „Die weißen Schmetterlinge“ zusätzlich für den Deutschen Phantastik-Preis 2004 (2. Platz).
[_“Wolfszeichen“_ 4716 (Phantastische Erzählungen, 2007), Edition Lacerta. Zwölf unheimliche Kurzgeschichten und Erzählungen aus den Jahren 1997 bis 2007.
[_“Die Schatten des Mars“_ 4726 (Episoden-Roman, 2007), EDFC Passau. Illustrierte Liebhaberausgabe (Hardcover, Leinen), ausgezeichnet mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis 2008
_“Die Sternentänzerin“_ (Collection, 2009), p.machinery Murnau. Zehn Science-Fiction-Erzählungen aus den Jahren 2005 bis 2009, Illustrierte Paperback-Ausgabe.
_Der Garten der Persephone_ (2001), in |“Reptilienliebe“, Heyne|
_Der Mann auf der Brücke_ (2001), in |“Weihnachtszauber“, Lübbe|
_Die Stadt am Fluß_ (2005) in [|“Der ewig dunkle Traum“, 1899 BLITZ-Verlag|
_Die Legende von Eden_ (2005) in [|“Die Legende von Eden“, 1990 Shayol|
_Das Orakel_ (2006) in |“Plasmasymphonie“, Shayol|
_Die Tänzerin_ (2007) in „Der Moloch“, Shayol
_Heimkehr_ (2007) in |“S.F.X.“, Wurdack|
_Die Gänse des Kapitols_ (2010) in |“Weltraumkrieger“, Atlantis|
_Pfiffige Leseratten lösen knifflige Rätsel und Probleme_
Als JoJo und seine Freunde Murat und Mai Lyn einen merkwürdigen Jungen namens Jimmi kennenlernen, steht ihr Leben plötzlich Kopf. Jimmi weiß weder, wer er ist, noch woher er kommt. Doch eines weiß er ganz genau: Er braucht ein sicheres Versteck, denn die Kakamura-Brüder, unheimliche Herren in schwarzen Anzügen, sind hinter ihm her. Und so schlittern die Freunde mitten hinein in ein atemberaubendes Abenteuer … (Verlagsinfo)
Vom Hersteller empfohlenes Alter: 8 – 9 Jahre.
_Der Autor_
Jürgen Banscherus, geb. 1949, arbeitete nach geistes- und sozialwissenschaftlichem Studium als Journalist, Lektor und Dozent in der Erwachsenenbildung. Er ist Mitglied im PEN und Vorsitzender der Jury beim Bundesentscheid des Vorlesewettbewerbs. Seit mehr als 20 Jahren schreibt er erfolgreich für Kinder und Jugendliche. Seine Bücher wurden vielfach ausgezeichnet und sind in 19 Sprachen übersetzt. Er lebt mit seiner Frau und seiner Familie im Ruhrgebiet.
Band 1: Das Rätsel der schwarzen Herren
Band 2: Der Verrat
_Handlung_
Johannes Josef, genannt JoJo, liegt in seinem Bett, als ihn ein Klopfen weckt: Eine Gestalt am Fenster begehrt Einlass. Spinnt der? Ein Junge steigt herein, in abgerissenen Jeans, Turnschuhen und T-Shirt. Seltsamerweise ist sein Haar grau, natürlich grau, nicht gefärbt. Und er nennt sich „Jim-mi“. Nachdem JoJo ihn erst rausgeworfen hat, erbarmt er sich des Jungen dann doch. Aber er wird nicht schlau aus ihm und muss sich mit seinen Freunden beraten. Am Morgen stellt er Jimmi als „Nightwalker“, also Nachtwandler, seiner Uroma Irma vor, die den Haushalt führt, während JoJos Eltern im Sommerurlaub sind. JoJo will mitkommen.
Murat lebt in der alten Villa seines Vaters, eines Psychologieprofessors. Hier stellt JoJo den seltsamen Jungen vor. Jimmi ist stärker als Murat, wie ein Wettstreit beim Händedrücken erweist. Zusammen stellen sie Jimmi ihrer Freundin Mai Lyn Minh vor, der Dritten im Bunde: der Geheime Buchclub ist vollständig versammelt. Das Trio tauscht untereinander stets die neuesten Fantasy-Bestseller aus. Jimmi schaut sich die exakt 146 Bücher in Murats Bibliothek an und referiert ohne Fehler über deren Inhalt – der Junge ist unglaublich. Kein Wunder, dass sie ihn sofort in ihren Club aufnehmen.
Da klingelt es an der Tür, und als Murat zurückkehrt, erzählt er etwas Merkwürdiges: Da war ein ganz in Schwarz gekleideter Herr Kakamura, der bot ihm für Jimmi nicht weniger als hunderttausend Euro an, die er in einer Aktenmappe bei sich trug. Kakamura gab ihm bloß seine Visitenkarte, als Murat vorgab, keinen Jungen dieser Beschreibung zu kennen. Dass Murat sich das Geld krallt, reden ihm seine Freunde gleich wieder aus. Aber dann soll Jimmi erklären, was dieser Typ ganz in Schwarz von ihm will. Jimmi kann es nicht erklären, aber es sei bestimmt nichts Gutes.
Da Jimmi ein Clubmitglied ist, muss er beschützt werden. Also lässt sich Schnelldenker JoJo etwas einfallen: Sie wollen Jimmi in der Wäscherei von Mai Lyns Eltern verstecken. Doch der Mann in Schwarz lauert immer noch irgendwo in der Nähe. Sie müssen ihn also täuschen. Den genialen Plan setzten sie gleich in die Tat um. Doch JoJo hat nicht damit gerechnet, dass sich der Mann in Schwarz verdoppeln kann …
_Mein Eindruck_
Ich habe das Buch in etwa einer Stunde gelesen. Nicht nur, weil es flott erzählt und spannend geschrieben ist, sondern auch, weil die Schrifttype wirklich groß ist und so nur wenig Text auf die Seite passt. Außerdem gibt es eine ganze Reihe von Zeichnungen Thilo Krapps, die unsere Helden zeigen. Die Seiten können also nur so vorüberrauschen. Aber nach ungefähr 80 Seiten ist eine kleine Pause einzulegen, bevor es zum Finale kommt.
Die Geschichte ist für acht- bis neunjährige Jungs und Mädchen geschrieben, und zwar so, dass diese alles verstehen. Allerdings wird bereits Harry Potter Band 1 bis 5 sowie „Tintenherz“ und „Tintenherz“ als bekannt vorausgesetzt, was im zarten Alter von acht Jahren vielleicht noch nicht gegeben ist. Ein wenig erinnert der Plot auch an „Momo“, und zwar ähnelt die Herren in Schwarz ein wenig den grauen Männern von der Zeitkontrolle. Vor solchen Finsterlingen ist die alsbaldige Verdünnisierung angesagt, das versteht sich von selbst.
Das größte Rätsel ist allerdings Jimmi selbst. Er scheint unter Gedächtnisverlust zu leiden, denn er weiß nicht, wie er auf die Erde kam. Von wo? Das ist die Preisfrage. Und er kam obendrein nackt! Kein Wunder, dass er nicht dran denken will … So viele Rätsel, die es zu lösen gilt, sorgen, das ist klar, für jede Menge Folgebände in dieser neuen Serie. Die Nähe zu den drei ??? und der „Ferienbande“ liegt nahe.
Gut finde ich allerdings, dass diese brandneue Reihe ganz im 21. Jahrhundert spielt und nicht auf Ursprüngen aus den sechziger und siebziger Jahren basiert. Ein durchschnittlicher Jugendlicher wie JoJo ist also standardmäßig mit MP3-Player und Kaugummis ausgerüstet. Jimmi weist nichts davon auf, was ihn schon mal bemitleidenswert macht. Genau deshalb muss man ihm helfen.
Zur Aktualität gehört auch der Multikulti-Hintergrund, vor dem der Geheime Buchclub existiert: Murats Vater ist offenbar Türke, wenn auch ziemlich wohlhabend, und Mai Lyns Eltern sind Boat People: Vietnamesen, die mit einem Boot aus ihrer Heimat flüchteten. Inzwischen sind sie in Deutschland erfolgreiche Leiter einer Großwäscherei. Hartz IV ist demnach also kein Thema. Daraus ergeben sich einige Unterschiede auch zu Amelie Frieds Kinderbuchserie [„Taco & Kaninchen“, 561 die in der Stadt in einem Problem-Viertel spielt.
_Unterm Strich_
Auch wenn sich der Plot dieser neuen Serie wohlbekannter Kniffe wie Amnesie und anonymer Finsterlinge bedient, so halten die Rätsel doch das Interesse an der Geschichte wach. Außerdem finden eine Verfolgungsjagd sowie das geniale Finale statt, bei dem JoJo mit seinen Freunden die Herren in Schwarz austrickst – aber für wie lange? Deshalb müssen die Buchclub-Freunde den Geheimnissen Jimmi Nightwalkers auf den Grund gehen – Stoff für viele weitere Bände, wie man hoffen darf. Jedes Buch lässt sich von erfahrenen Lesern in etwa einer Stunde lesen, eignet sich aber auch gut zum Lesenlernen – dank der großen Schrift.
|112 Seiten, gebunden
illustriert von Thilo Krapp
ISBN-13: 978-3570135808|
http://www.cbj-verlag.de
_Zwischen Supernova und Puppenmacher: ein Autor im Kosmos_
Diese 1970 und 1978 veröffentlichte Sammlung von Jeschkes Erzählungen wurde vom |Shayol|-Verlag komplett überarbeitet und neu zusammengestellt, um in dieser Form die „Gesammelten Werke“ von Wolfgang Jeschke zu eröffnen. Dieser Band enthält seine frühesten Erzählungen, ein Hörspiel und fünf Gedichte. Sie entstanden zwischen 1955 und 1961, wurden aber erst Jahre später veröffentlicht oder gesendet.
Erstmals seit 1957 wird seine Debüterzählung „Der Türmer“ wieder zugänglich gemacht. Alle Erzählungen und das Hörspiel wurden vom Autor mit Nachbemerkungen versehen, die sehr aufschlussreich sind. Andreas Eschbach steuerte das Vorwort bei. Drei Illustrationen von Thomas Franke runden das Gesamtkunstwerk ab.
_Der Autor_
Wolfgang Jeschke, geboren 1936 in Tetschen, Tschechei, wuchs in Asperg bei Ludwigsburg auf und studierte Anglistik, Germanistik sowie Philosophie in München. Nach Verlagsredaktionsjobs wurde er 1969-1971 Herausgeber der Reihe „Science Fiction für Kenner“ im |Lichtenberg|-Verlag, ab 1973 Mitherausgeber und ab 1977 alleiniger Herausgeber der bis 2001 einflussreichsten deutschen Science-Fiction-Reihe Deutschlands beim |Heyne|-Verlag, München. Von 1977 bis 2001/02 gab er regelmäßig Anthologien – insgesamt über 400 – heraus, darunter die einzigen mit gesamteuropäischen Autoren.
Seit 1955 veröffentlicht er eigene Arbeiten, die in ganz Europa übersetzt und zum Teil für den Rundfunk bearbeitet wurden. Er schrieb mehrere Hörspiele, darunter „Sibyllen im Herkules oder Instant Biester“ (1986). Seine erster Roman ist „Der letzte Tag der Schöpfung“ (1981) befasst sich wie viele seiner Erzählungen mit Zeitreise und der Möglichkeit eines alternativen Geschichtsverlaufs. Sehr empfehlenswert ist auch die Novelle „Osiris Land“ (1982 und 1986). Eine seiner Storysammlungen trägt den Titel „Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan“.
Wolfgang Jeschke auf |Buchwurm.info|:
[„Der letzte Tag der Schöpfung“ 1658
[„Das Cusanus-Spiel“ 2065
[„Marsfieber. Aufbruch zum Roten Planeten“ 330
sowie diverse Herausgeberwerke
_Die Erzählungen und Gedichte_
_1) Der Türmer (1957)_
George sitzt alt in seinem Lehnstuhl, neben sich den ebenso alten, aber schon kaputten Roboter Ralph. Der Türmer sitzt im höchsten Zimmer seines Turmes, von dem aus er die blühende Vegetation ihres Planeten betrachten. Er wundert sich, als eine Kletterpflanze aus dieser Vegetation in seinem Fenster erscheint und mit ihm spricht. Direkt in seinem Kopf …
Eine Patrouille hat den Notruf Georges aufgefangen und ist zu seiner Welt geflogen, die ja nicht gerade zentral gelegen ist. Doch als die Crewmitglieder nachschauen, was mit George los ist, können sie ihn nicht finden, keine einzige Spur von ihm. Da sind bloß jede Menge Kletterpflanzen mit hypnotisch gezeichneten Blüten. Einen Moment meint einer der Männer Worte zu vernehmen, aber das war sich nur eine Sinnestäuschung. Sie nehmen den Roboter Ralph mit, der immer noch zu reparieren ist, und vergessen den armen alten George. Wo mag er nur abgeblieben sein?
|Mein Eindruck|
Ganz im Gegensatz zu den unternehmungslustigen oder satirischen amerikanischen SF-Erzählungen der fünfziger Jahre – man denke an Heinleins Jugendromane oder Kornbluth & Pohls Satiren -, schildert Jeschke den letzten Abend eines Planetenwächters, dem sogar sein unverwüstlicher Roboter kaputt gegangen ist. (Ralph heißt er, weil so der erste Roboterroman überhaupt, Hugo Gernsbacks „Ralph 142C+“, hieß)
Es ist eine Endzeitschilderung, in der der Mensch das Ende der Fahnenstange erreicht hat. Nun kommt die Natur wieder zum Zuge: Die Kletterpflanze bietet George etwas an, nach dem er sich gesehnt hat – das Aufgehen in einer Gemeinschaft sowie ein Weiterleben, zwar in anderer Form, aber womöglich sogar für immer. Kein Wunder also, dass die Angehörigen der galaktischen Maschinen-Zivilisation keinen Sinn für derlei Verwandlungen haben und Georges neue Existenzform schlicht übersehen.
_2) Zwölf Minuten und einiges mehr (1959)_
In einer fernen Zukunft auf einer Treibhaus-Erde, als der Nil bereits versiegt ist, existiert in Kiara, dem früheren Kairo, auf einem einsamen Flugfeld am Rand der Wüste eine Zeitmaschine, die schlicht als „Der Zeiter“ bezeichnet wird. Selbstredend wird der umfangreiche Apparat, der mehrere Menschen gleichzeitig durch die Zeit schicken kann, von pflichtbewussten Betreuern überwacht, gewartet und verwaltet. So erzählt es uns zumindest der Chronist, der begründen will, warum er seinen neuen Untermieter so merkwürdig findet.
Heute begrüßen die zwei Betreuer – ein Mensch, ein Android – einen Fremden, der ein wenig seltsam aussieht: Langes Haar hat man schon lange nicht mehr gesehen, er ist hager, dunkel, dazu trägt er eine große schwarze Reisetasche, wirkt aber schüchtern, als er nach einer Reise fragt, zu einem ganz bestimmten Datum. Null problemo an sich, aber man macht ihn darauf aufmerksam, dass er von dort, wo er landet, dreitausend Jahre auf die Abholung warten müsse, weil nämlich dann er der ZEITER erfunden und die Zeittore gebaut würden. Das gehe schon in Ordnung, meint er. Na denn. Nachdem er mit seiner Kreditkarte gezahlt hat, stecken sie ihn in den Apparat und schicken ihn durch. „Eine gute Zeit noch“, wünschen sie ihm.
Blöd, dass er seine Reisetasche vergessen hat. Lauter uralte Bücher sind da drin, sogar noch aus Papier, kaum zu glauben. Der Android findet, dass die Zielzeit des Fremden doch auffällig mit dem Beginn einer religiösen Bewegung der alten Erde übereinstimmt. Der Mensch, als Herr und Meister, tut das abfällig ab – na, wenn schon? Nach zwölf Minuten ist der Zeitreisende wieder zurück, zwar noch etwas wackelig auf den Beinen, aber geistig voll da. Nur die Hände scheinen ihm zu schmerzen. Und sein Schiff zu den Sternen ist startbereit.
Ach ja, der Untermieter. Mit dem fährt der Chronist raus nach Garching zum Atomforschungszentrum. Dort haben sie den schnellsten Computer, ein wahres Wunderwerk. Aber das lässt den Chronisten nicht vergessen, dass sein Freund schon fast 2000 Jahre hienieden wartet und noch über tausend Jahre auf die Erfindung des ZEITERs warten muss, bevor er wieder zurückreisen kann …
|Mein Eindruck|
Jesus war ein Zeitreisender – das ist doch mal eine nette Idee. Wir erfahren zwar nur wenig über die Zivilisation, aus der er stammt, und überhaupt nichts über seine Motivation – hat wohl zu viele Bücher gelesen, der Ärmste -, aber dafür lässt sich sein Erscheinen quasi aus dem Nichts im Jahr seiner Geburt wenigstens erklären. Dass er von einer gewissen Maria, Frau des Zimmermanns Joseph aus Nazareth, geboren worden sein soll, ist eh bloß Legende.
Der Faktor Zeit spielt die entscheidende Rolle in der Handlung. Nicht nur die Reise an sich ist damit gemeint, sondern auch das 3000 Jahre währende Warten auf die Erfindung des Zeiters. Das lässt uns natürlich fragen, wie dieser Zeitreisende so lange leben kann, ohne dass es jemandem auffällt. Fragen über Fragen – und keine Antworten. Aber nett ist die Idee doch.
_3) Sirenen am Ufer (1960)_
Das Erkundungsschiff landet auf einer neuen Welt, die den Männern wie das Paradies vorkommt: alles schön grün, weit und breit kein Raubtier. Sie fangen ein harmloses Tier und sezieren sein Hirn, bevor sie es entsorgen. Am Lagerfeuer singen sie von den Lieben daheim und vom Heimweh. Danach wird einer von ihnen, der sich besonders heftig nach seiner Frau sehnt, von einem weiblichen Wesen besucht, das sich aus dem Nichts zu formen scheint.
Sie nimmt ihn mit – in ihrer Kutsche, ab nach Montana, dann in eine Hütte am Meer, wo auch die zwei Kinder des Paares auftauchen. Er streichelt ihr graues Fell, während sie ihn kratzen und zu beißen versuchen. Aber ihn verlangt es nur nach Ann, die schon auf ihn wartet. Erst ist die Vereinigung wunderbar, dann kommt der Schmerz …
Am nächsten Morgen finden sie ihn endlich, in einer Höhle im Wald, ein zerfleischter Leichnam. Daneben liegt ein Exemplar jenes Tiers, das sie Tags zuvor erlegt und seziert haben. Sein Genick ist gebrochen. Offenbar hat ihr Kamerad sich noch vor dem Ende gewehrt. Sie bestatten ihn, nehmen aber den Kadaver des Tieres mit. Sollen sich die Wissenschaftler darüber den Kopf zerbrechen. Das Schiff hinterlässt verbrannte Erde, als es in den Himmel steigt.
|Mein Eindruck|
Die Sirenen des Titels sind offenbar wörtlich zu nehmen, und sie finden sich offenbar auf jeder Welt, die eine unerklärliche Faszination auf den Erforscher auszuüben vermag. Dies ist eine der ersten Erzählungen, die ihren Plot auf Psychologie begründet statt auf äußere Action. Bemerkenswert, dass sich unser moderner Odysseus von einer Schönen à la Nausikaa betören und in Lieblingslandschaften der Sehnsucht entführen lässt.
_4) Tore zur Nacht (1963)_
Nahe Toulouse haben die französischen Wissenschaftler nicht nur Atombunker gebaut, sondern auch eine maschinenhafte Klinik, die sich um das Austragen der ungeborenen Kinder kümmert. Mittlerweile sind rund 8000 Embryonen dort eingelagert. Am Tag, an dem es geschieht, sitzen Alain und Roger im Café, wo sie erst den besorgten Radionachrichten lauschen, bevor sie den Lichtblitz in der Ferne erblicken. Alain sorgt sich um seine Frau Eve und läuft los. Die Feuerwolke lässt nicht lange auf sich warten …
Nach Jahren der Überwinterung in 4000 Metern Tiefe steigt die Klinik-Maschine wieder an die Oberfläche. Sie hat nicht verhindert können, dass die harte Strahlung das Erbgut ihrer Schützlinge angriff und zu Mutationen führte. So manches missgestaltete ihrer Babys hat sie zwar aussortiert, doch gegen psychische Deformationen weiß sie kein Mittel; hier versagen die Programme ihrer Erbauer. Und so kommt es, dass eines ihrer Kinder eine ganz besondere Fähigkeit entwickelt: Es kann den Verlauf der Zeit verändern. Die Maschinenmutter verstößt es, und es muss allein zurechtkommen.
Nirgendwo empfängt es die Signale von Leben, deshalb streckt es seine Fühler in die Vergangenheit aus. Dort trifft es auf eine Wand aus Schmerz und Schreien, die es zurückprallen lässt. Doch was war die Ursache für diesen Ausbruch von Emotionen, fragt es sich und forscht nach. Es stellt fest, dass es zeitgleich einen Ausbruch von Energie aus Geschossen gab, der die ganze Welt umfasste. Es muss einen Zusammenhang geben, den es aufhalten und auflösen kann.
Verschiedene Versuche, die es unternimmt, schlagen fehl. Einfach nur die Temperatur der Umgebung bei einem Einschlag abzusenken, reicht nicht. Auch die Verschiebung von Zeit erweist sich als wenig hilfreich. Wenigstens lässt sich überall im Land der Strom abstellen, so dass die Raketen nicht gezündet und abgeschossen werden können. Die Schicksale der Betroffenen – Alain, Roger & Eve, Winzer, Polizisten, Bahnarbeiter – sind mit den Anomalien verknüpft, aber nicht beeinträchtigt. Noch nicht.
Das ändert sich, als das Uran zu Blei verwandelt wird und die ersten Zeitreisenden auftauchen …
|Mein Eindruck|
Ende der 50er Jahre machte Jeschke mit seiner Frau eine Ferienreise mit Motorroller und Zelt (!) durch Südfrankreich. Die weitgehend autolose Idylle des Süden wurde nur von der damaligen nuklearen Bedrohung durch die Supermächte überschattet. Das Ergebnis dieses Kontrastes ist die vorliegende Novelle.
Die besten, weil anschaulichsten Szenen sind lose aneinander gereiht und schildern Figuren aus dem Süden Frankreichs, wie sie wirklich hätten existieren können – jedenfalls damals. Aber an Wein, Café, Pastis und Gendarmen hat sich zum Glück inzwischen wenig geändert. Zwischen diese anschaulichen und recht amüsant, ja, sogar spannend geschilderten Szenen hat der Autor die subjektiven Erlebnisse und Gedanken von Supermaschine und ihrem mutierten Kind eingeflochten.
Im Hinblick auf ein Gleichgewicht zwischen realistischen und Mutantenszenen kann man nur sagen, dass es keines gibt: Die anfangs in der Überzahl vorhandenen SF-Szenen werden zunehmend von realistischen abgelöst, so dass sich der Leser fragt, wo das Mutantenkind abgeblieben sei. Als gelinder Schock wirken dabei, wie die ganz beiläufig erwähnten Bahnarbeiter das missgebildete Mutantenkind erschlagen. Erstaunlicherweise halten aber dennoch die Folgen seines Wirkens an: Uran in AKWs und Sprengköpfen wird zu nutzlosem Blei verwandelt.
Weil der Mutant zusätzlich an der Zeit herumgepfuscht hat, tauchen unvermittelt mitten in Toulouse auch noch Zeittouristen auf. Eine sehr amüsante Szene, die den Gendarmen des Ortes vor eine Herausforderung stellt, die ihn uns sehr sympathisch macht.
Das dritte Element der Erzählung soll nicht unterschlagen werden: Gedichte. Sie sind wunderschön in ihrer Sprachgewalt. Melancholisch zeichnen sie Weltschmerz und Sinnsuche angesichts der nuklearen Bedrohung. Hier ist der vom Autor selbst (an anderer Stelle) bekannte Einfluss des deutschen Barocks zu sehen, allen voran die Lyriker wie etwa Andreas Gryphius. Den Barock lernte Jeschke an der Münchner Universität kennen und lieben. Die Gedichte appellieren indirekt an den Leser, sich Gedanken zum Thema zu machen, etwa zur Sterblichkeit, dem ewigen „memento mori“.
Hätte es der Autor bei einem Element – vor allem den vorzüglichen realistischen Szenen – belassen, wäre eine erstklassige Story daraus geworden, die man auch heute noch vergnügt lesen könnte.
_5) Der König und der Puppenmacher (Novelle) (1961, Hörspiel gesendet 1975)_
12.000 Jahre in der Zukunft herrscht im Thronsaal des Königs dicke Luft: Ihre Majestät sind sauer. Ganz besonders auf Collins, seinen Minister für persönliche Sicherheit und Futurologie. Collins ist außerdem der Chef seiner Zeitpatrouille, deren Aufgabe vor allem darin besteht, den König dieses Sonnensystems vor einem Anschlag aus der Zeit zu bewahren. Und es sieht nicht so aus, als ob sie einen Job machen würden. Ständig treten irgendwelche Zeitwächter aus einem der Spiegel, die in den Thronsaal führen, sehen, dass die Luft rein ist, und verschwinden wieder.
König Collins fürchten einen Anschlag von WEISS, der Gegenpartei in einer Art temporalem Schachspiel. Collins stoppt die Uhr: Noch 25 Minuten bis zu einem temporalen Blackout von zehn Sekunden. Derweil steigt die Anspannung des Königs ins Unermessliche: Er wirft Collins Versagen auf der ganzen Linie vor. Beispielsweise im Fall dieses mysteriösen Puppenmacher Weißlinger aus dem frühen 17. Jahrhundert, den Collins nicht dingfest machen konnte. Was, wenn eine dieser mechanischen Puppen hier auftauchen würde?
Nach dem Blackout staunt Collins: Der König wirkt in seiner Freundlichkeit und Heiterkeit wie ausgewechselt. Und er hält eine jener Holzpuppen Weißlingers auf dem Schoß. Die Puppe bewegt sich selbsttätig und turnt um den Thron herum. Das findet Collins sehr beunruhigend. Und weil keine Soldaten der Zeitpatrouille nicht mehr in den Saal platzen, hat Seine Majestät genügend Muße, um Collins die Geschichte jenes Puppenmachers zu erzählen. Aber auch die Geschichte von zwei Prinzen, die als Schüler eines alten Zeiterforschers mit speziellen Fähigkeiten aufwuchsen und zu erbitterten Feinden wurden. Sie wurden zu SCHWARZ und WEISS und begannen ihre temporale Schachpartie …
Oder ist alles ganz anders?
|Mein Eindruck|
Es ist nicht leicht, etwas über diese wundervolle Erzählung zu sagen, ohne die geniale Pointe zu verraten. Dies aber zu tun, würde die Spannung wirklich verderben und das Geheimnis frühzeitig lüften. Deshalb schreibe ich nichts über den weiteren Verlauf der Geschichte – jedes Wort wäre schon zu viel.
Dies ist der Prototyp aller Zeitreisegeschichten, die Jeschke jemals herausgegeben („Zielzeit“) oder selbst verfasst hat, so etwa für „Das Cusanus-Spiel“ (2006), aber auch für Carl Amerys formidables „Königsprojekt“ (1974). Elegant und anschaulich erzählt, schildert die Novelle erst die zentrale Konfrontation zwischen dem König und seinem Minister Collins, bis es zum überraschenden Sinneswandel des Herrschers und dem Auftauchen der Puppe kommt. Es wirkt wie ein Zauberkunststück und verlangt natürlich nach einer Erklärung.
Nun beginnt der rätselhafte König mit seinen verschiedenen Versuchen, das Leben des Puppenmachers Weißlinger zu erzählen, der angeblich im 17. Jahrhundert die Pläne erhielt, um eine Zeitmaschine zu bauen. Allerdings konnte er damit nicht selbst reisen, sondern nur Signale eines Anachronismus an die Zeitpatrouille „senden“. Aber wie und warum kam es zu dieser epochalen Erfindung, von der wir, die wir ihr zeitlich viel näher sind, nie gehört haben?
Ganz klar: Zwecks Erklärung muss das Leben Weißlingers erzählt werden. Seltsamerweise weiß der König viel mehr darüber als der Chef der Zeitpatrouille. Collins kann sich jedoch immer mit den Zeitsiegeln herausreden, die WEISS über bestimmte Epochen gelegt habe – eben auch über die letzten 30 Jahre von Weißlingers Leben. Davor werden die ersten Jahre Weißlingers während des beginnenden 30-jährigen Krieges (1618-48) geschildert, und diese Szenen sind wirklich grausig. Auch hier zeigt sich der Einfluss des Barock, den Jeschke bei der Lektüre des Grimmelshausen und der Dichter (s. o.) kennenlernte.
Man sieht also, dass sich der Autor zahlreiche Gedanken über die Manipulation der Zeit gemacht hat und solche Erfindungen wie Siegel, Blackouts, Frakturen und dergleichen mehr geschickt einzusetzen weiß. Das kenne ich zwar schon fast alles von den Zeitpatrouille-Geschichten Poul Andersons (siehe dazu unsere Rezensionen), aber davon zu lesen, ist immer wieder ein Spaß. Wer an die Erlebnisse Marty McFlys in der Filmtrilogie „Zurück in die Zukunft“ denkt, bekommt eine blasse Ahnung von den Phänomenen, um die es geht.
|Das Hörspiel |
Weil die gesamte Geschichte aus einem grundlegenden Dialog an nur einem Ort sowie mehreren eingeflochtenen Erzählungen des Königs besteht, ließ sie sich ausgezeichnet für das Radiospiel einrichten. Dieter Hasselblatt produzierte sie für den Bayerischen Rundfunk. Und der Autor bedankt sich bei der Redakteurin und dem Produzenten, weil es sie es trotz seiner Zweifel schafften, den Text sinnvoll zu komprimieren. Wenn man dem Experten Horst Tröster glauben darf (und warum auch nicht?), handelt es sich um eines der besten Hörspiele aus Deutschland.
_6) Der Riss im Berg (1955)_
Die Physik im Kosmos hat so ihre Mucken. Auf einmal verschiebt sich der Punkt, an dem ein Schwarzes Loch kein Licht mehr entlässt und prompt verschieben sich überall in der Umgebung die Massepunkt, die das Erreichen der Lichtgeschwindigkeit für superschnelle Raumschiffe ermöglichen. Sie kommen weit vom Kurs ab, stranden im Nirgendwo.
Nicht nur das: Nur fünf Lichtjahre entfernt von der Sonne Kirn und ihrer Welt Thor explodiert ein Stern. Die Supernova überschüttet ihre Umgebung monatelang mit grellem Licht, was niemand witzig findet. Was die Techniker des Raumflughafens noch nicht ahnen: Auch der Transitionspunkt für den lichtschnellen Flug hat sich auf ihre Welt verschoben, genauer gesagt: mitten in einen Berg (siehe Titel) hinein, der den Eingeborenen Thors heilig ist. Erst durch eine Delegation der Thoreaner werden die zwei Techniker darauf aufmerksam, dass es im Gebiet der Eingeborenen einen Eindringling gebe, der sich sehr seltsam verhalte und die Zeremonien störe.
Als Satch, einer der beiden Techniker, hinfliegt, um den Eindringling aufzuspüren und zur Rechenschaft zu ziehen, gerät er unversehens in eine Zeitfalle und -schleife …
|Mein Eindruck|
Nach einem etwas holprigen Start, der vom Makrokosmos hin zum Mikrokosmos, nämlich der Welt Thor, führt, gelangt die Handlung in das vom SF-Fan gewohnte Fahrwasser: ein Rätsel auf der Welt, das es zu lösen gilt. Zum Schmunzeln regen zunächst die Beschreibungen der nichtmenschlichen Eingeborenen an, die nicht nur übermäßig stinken, sondern auch ansonsten ein wenig appetitliches Verhalten an den Tag legen. Niemand hat behauptet, dass Außerirdische wie Elfen aussähen.
Recht einfallsreich ist auch die Art und Weise, wie der Autor die Zeitfalle für Satch aufgestellt hat. Ich will aber darüber nichts weiter verraten, um die Spannung nicht zu verderben. Das Lesen lohnt sich jedenfalls.
_7) Welt ohne Horizont (1957)_
In einem Generationen-Raumschiff, das schon seit langen Jahrhunderten zu seiner Zielwelt fliegt, ist der letzte Tag angebrochen. Der junge Jay weiß von dem alten Mr. Hayes, dass er in einer Art Röhre lebt, in der mehrere Städte in den Himmel ragen. Aber der arme Mr Hayes wird von Kindern verhauen, weil er Bücher liest – etwas, was Jay nicht kann – und von betrunkenen Rowdys erschlagen. Als wäre dies nicht genug, wird auch noch seine Mutter, die letzte Frau dieser Welt, krank und beginnt zu sterben. Ihr letzter Auftrag an ihren Sohn lautet, zum Anführer McCain zu gehen und mit ihm nach der Welt jenseits der blauen Wände zu suchen. Dort gebe es Lebensmittel und andere Menschen.
Nach einer Zeit der Trauer begibt sich der Junge zu dem Mann, der das Kommando über die Rowdys und Zerstörer hat. McCain ist schon am Morgen angetrunken und lästert über die vielen toten Maschinen, die in dieser Halle stünden: alle nutzlos. Weil die Menschen, für die die Maschinen produzierten, schon längst gestorben sind. McCain schleudert seine Flasche auf eine Schalttafel und fällt besoffen übers Geländer auf ein Förderband. Die Maschinen erwachen zum Leben und verarbeiten ihn, bevor ein Kurzschluss die Halle in Brand steckt – und danach die ganze Stadt Detroit …
Die Systeme fallen eines nach dem anderen aus, sogar die Schwerkraft wird aufgehoben, so das alles durcheinander wirbelt, Tote und Lebende. Jay gelangt zur blauen Wand. Deren Schutzzone ist jetzt nicht mehr bewacht. Eine bombastische Stimme begrüßt ihn mit den Worten, dass die Zielwelt Corynthus erreicht sei und sich alle aufstellen sollten, um Plan sechs zu erfüllen. Dann hebt sich das äußere Tor der Schleuse und Jay erblickt die Welt jenseits der Welt, genau wie Mr Hayes es behauptet hat …
|Mein Eindruck|
Der Autor schreibt selbst in seiner Nachbemerkung, dass es Mitte der fünfziger Jahre eine Mode in der SF-Szene gab, Geschichten über Generationenraumschiffe zu schreiben. Eine der ersten solcher Geschichten erschien jedoch bereits 1941: Robert Heinleins „Universe“. Sie ist immer noch der Maßstab für dieses Sujet. Und natürlich muss sich auch Jeschkes Beitrag daran messen lassen.
Erstaunlicherweise besteht „Welt ohne Horizont“, berücksichtigt man die Entstehungszeit und das Alter des 21-jährigen Autors, den Vergleich mit dem US-Klassiker. Wie erfahren zwar so gut wie nichts über die Figuren, die sämtlich eindimensional sind, doch dafür ersteht eine ganze Welt in nur wenigen angedeuteten Strichen als Bild. Wer Greg Bears Roman [„Äon“ 3429 gelesen hat, weiß, was es mit einer gigantischen Röhre als Raumschiff auf sich hat: Über dem Kopf des Betrachters ragen die Türme einer gegenüberliegenden Stadt nicht in die Höhe, sondern wie Stalaktiten herab, als drohten sie, jeden Moment herabzustürzen. Nicht gerade ein beruhigender Anblick.
Jeschkes Welt-Variante ergeht sich in Selbstvernichtung, und die Bilder der Apokalypse sind nicht von schlechten Eltern. Man wundert sich nur, wie ein simpler Flaschenwurf auf eine Schalttafel ein solches Inferno auslösen kann. Offenbar wurden auf dieser Welt weder auf Sicherheit noch auf Reserve-Systeme geachtet.
_8) Pater Ramseys Totenmessen (1961)_
Mr Tensley hat seine geliebte Frau Ann verloren und muss die Reise zu Mars oder Venus abschreiben. Er zieht aus seinem stillen Haus in ein kleines möbliertes Apartment bei Mrs Scott. Diese Witwe ist sehr religiös, aber das stört den Witwer nicht. Bis zu jenem Tag, an dem er ein Flugblatt eines gewissen Pater Ramsey auf seinem Tisch findet. Obwohl peinlich berührt, lässt er die Sache höflich auf sich beruhen, bis er selbst so weit ist. Als das Wetter am deprimierendsten ist, beschließt er, heimlich Mrs. Scott zu folgen, um an einer Totenmesse des Paters Ramsey teilzunehmen.
Zu seiner Überraschung ist das Kirchlein bis auf den letzten Platz gefüllt. Das scheinen ja tolle Totenmessen zu sein, denkt sich Tensley. Messdiener öffnen die Seitenflügel des Altars, und Tensley erblickt schockiert, dass das Triptychon kein Bild, sondern ein reines Schwarz zeigt, das eine geradezu hypnotische Wirkung auf ihn ausübt, wie ein psychischer Strudel.
Die Messdiener führen einen gebrechlichen Greis herein, den sie vor den Altar stellen. Wechselgesang hebt an, um den Greis auf den Übergang einzustellen, der diesen begrüßt. Dann wirft sich der Greis mit erhobenen Armen auf die schwarze Wand des Altars – er gleitet langsam zu Boden. Die Diener legen die Leiche auf eine Bahre und während die Gemeinde singt, tragen sie ihn hinaus. Tensley ist verwirrt und aufgebracht. Soll er hier für dumm verkauft werden?
Nachdem alle anderen gegangen sind, stellt er Ramsey zur Rede. Der Mann, der ihm so bekannt vorkam, war vor 50 Jahren tatsächlich einmal sein Kommilitone an der Physikalischen Fakultät. Doch während Tensley die Nachfolge seines verstorbenen Vaters als Bauunternehmer antreten musste, schloss Ramsey sein Physikstudium ab, erfährt er, und entwickelte ein Simultan-Funkgerät (ähnlich Le Guins „Ansible“), mit dem er schließlich Kontakt mit einer 360 Lichtjahre entfernten Zivilisation aufnahm: Roboter.
Tensleys Unglaube wächst, doch Ramsey steckt seine Attacken lächelnd weg. Die Roboter von Tyrtok hätten ihm nicht nur die Warp-Vorrichtung, den riesigen, tiefen Altar, geschenkt, sondern auch die Möglichkeit angeboten, Menschen bei ihnen einreisen zu lassen – dorthin sei der Greis gegangen, um in einem neuen Androidenkörper weiterzuleben. Tensley schüttelt den Kopf, als er die ungeheuren Möglichkeiten erkennt – nicht zuletzt auch für sich …
|Mein Eindruck|
Der Autor hat viele Male über die Aufhebung des Todes geschrieben, so etwa in seinem Roman „Midas“ (1989) und in Geschichten wie „Nekyomanteion“ (1985). Denn er weiß, dass es Liebe und Tod sind, die die stärksten Kräfte für unser Leben bilden. Auch „Totenmessen“ ist eine Erlösungsgeschichte – und entpuppt sich ironischerweise letzten Endes als Reisegeschichte: Tensley kommt nicht bloß bis zur Venus, sondern in eine Art Himmel, in der er die Reinkarnation Anns findet …
An dieser Geschichte ist ein erstaunlicher Sprung in der Qualität des Erzählens festzustellen. Der Autor hat seine Figuren ebenso sorgfältig angelegt wie er die Umgebung schildert. Erstmals spielt die Natur die Rolle einer Seelenlandschaft, eines Spiegels des Gemüts. Der rote Faden ist deutlich erkennbar und wird aus der Sicht nur einer Figur erzählt, so dass es keine Brüche mehr gibt. Aus literarischer wie auch aus SF-inhaltlicher Sicht ist dieser Text einer der zufriedenstellendsten dieser Sammlung.
_9) Die Anderen (1959/70)_
Irgendwo im US-amerikanischen oder kanadischen Norden fährt der Wartungstechniker Louis sein Runden. Diesmal gerät er auf dem Rückweg in schlechtes Wetter und findet im Nebel ein Haus neben der Straße, in dem er essen, einen Kaffee trinken und vielleicht sogar übernachten könnte, da er sehr müde ist. Doch die zwei Bewohnerinnen stellen sich als launisch heraus und schicken ihn wütend wieder weg. Die Alte hatte keine Zunge und die Junge zahlreiche Narben auf dem Rücken, als wäre sie gefoltert worden. Wütend geht Louis zu seinem Wagen.
Doch er kommt nicht weit, denn unerklärlicherweise ist der Benzintank leer. Als er einen Wandersmann nach dem Weg nach Uraney, dem angeblichen nächsten Ort, fragt, erschrickt er: Der Sensenmann besitzt keine Nase. Freundlich antwortet der Bursche, in Uraney bekäme Louis alles, was er brauche, und geht rasch weiter. Louis fragt sich, wozu der Kerl mitten im Winter eine Sense braucht: Es gibt ja nichts zu mähen außer Schnee. Kurz danach fährt ein Auto vorüber, und er könnte schwören, es sei sein eigenes. Hol’s der Teufel, was ist heute Nacht bloß los?
Eine Art Zigeunerfamilie gewährt ihm in ihrem Wohnwagen Obdach. Doch das Familienoberhaupt behauptet, dass es Uraney gar nicht mehr gebe: völlig ausgestorben. Und tatsächlich: Als Louis jetzt die Häuser ringsum bemerkt, sind alle verfallen und nirgendwo brennt Licht. Ist er in der Zeit gewandert?
In der Nacht – oder im Traum – weckt ihn das 12-jährige Mädchen der Familie und liebkost ihn, um ihn zu einem Bad in Uraney zu verlocken. Diana nennt sie sich. Doch diese Sirene stellt sich als ebenso tückisch heraus wie die beiden Frauen im Gasthaus. Louis landet an einem sehr unheimlichen Ort …
|Mein Eindruck|
Wer hätte gedacht, dass der Autor in der Lage ist, einen Albtraum von Nagasaki, Hiroshima und Seveso in eine derartig unheimliche und gruselige Erzählung umzusetzen? Damit kann er es ohne weiteres mit Klassikern des gepflegten Grusels wie Arthur Machen aufnehmen, wenn er auch nicht so weit geht wie Poe oder Lovecraft. Doch darauf kommt es ihm nicht an: Er will die Schrecken der Atombombenopfer aufzeigen.
Schnell bemerkt der Leser, dass jede Figur, der Louis begegnet, einen Defekt aufweist, wie er durch radioaktive Verstrahlung verursacht werden kann: eine fehlende Zunge oder Nase hier, dort eine schwärende Wunde auf dem Rücken, dem Zigeuner fehlt ein Arm. Es ist nur konsequent, dass auch Louis an seinem letzten Aufenthaltsort eine Gliedmaße opfern muss, um auf der Seite der Opfer aufgenommen zu werden. Und dann wird er es den Gesunden zeigen …
_10) Fünf Gedichte_
Die ersten zwei Gedichte über die Chemiekatastrophe von Seveso, Italien, in den 1970er Jahren, und über Bombay/Mumbai anno 1980 betrachten die Welt in ihrem jeweiligen Zustand und ziehen Resümees daraus. Dabei fällt das Urteil über Sevesos Verursacher wesentlich härter aus als über Bombay. Mumbai, der Stadtmoloch, ist die fleischgewordene Masse MENSCH und wird womöglich abgelöst werden von anderen Spezies – von Krähen etwa, oder Spezies, die dermaleinst ans Land kriechen werden.
Die restlichen drei Gedichte sind wesentlich besinnlicher. „Denkmodelle“ qualifiziert eben diese als Luftschlösser ab, lächerlich in ihrer Vergänglichkeit. „Sterne“ interpretiert die Position des verzweifelten Ichs gegenüber den leuchtenden Himmelskörpern als vergeblich: Die Schreie, die die Sterne ausstoßen, sind bloß nicht hörbar – sie sind ihr Licht.
Im letzten Gedicht setzt der Autor zwei Arten von Bewegung einander gegenüber: Während die einen laut den Himmel erstürmen, bereitet sich der Alte gemütlich, behaglich und still auf seinen eigenen Aufbruch vor: hinab ins Grab. Wieder einmal klingt Jeschkes Dauerthema, der Tod und das Vergehen bzw. die Relativität derselben, an. Zum anderen zeigt er sich in allen fünf Gedichten als Fortschrittsskeptiker, als Zweifler, ohne jedoch jemals zynisch zu werden. Er verachtet die Menschen nicht für ihre Hoffnungen, Ängste und Bestrebungen, sondern zieht nur seinen eigenen Standpunkt vor.
_Unterm Strich_
In den Erzählungen, die zwischen 1955 und 1962 entstanden, ist ganz klar eine positive Entwicklung hin zu erzählerischer Kompetenz und Versiertheit festzustellen, nicht nur stilistisch, sondern auch inhaltlich. So konfrontiert der Autor seinen Leser anfangs noch mit lyrischen Abschnitten, bevor er endlich zur prosaischen Sache kommt.
Fern von der anfänglichen Melancholie des 19- und 25-Jährigen präsentieren sich dann die zwei Prunk- und Hauptstücke dieses ersten Bandes der gesammelten Werke: „Der König und der Puppenmacher“ sowie „Tore zur Nacht“. In letzerem Text zeigt sich Jeschke noch unsicher und sucht den roten Faden, doch in „Puppenmacher“ scheint er alle Register souverän zu ziehen.
Mit Verve und Hinterlist führt er hier den Leser hinters Licht, bis sich dieser nur noch wundern kann, was ihm da passiert ist. Kein Wunder, dass Dieter Hasselblatt auf die Vertonung als Hörspiel so erpicht war: Es ist ein einziger glänzender Dialog. Selbst wenn der König monologisiert, so erzählt er doch so fesselnd, dass man ihm gerne folgt. Denn es ist spannend, die Lüftung des Geheimnisses, das sich hinter der temporalen Schachpartie zwischen SCHWARZ und WEISS zu verbergen scheint, mitzuverfolgen.
Kein Zweifel: Allein schon wegen „Puppenmacher“ lohnt sich dieser Band. (Diese Story ist aber etwas günstiger in dem Sammelband „Das Auge des Phönix“, erschienen bei |Heyne|, zu bekommen.) Wer aber „Der Türmer“ endlich mal lesen möchte, weil es in den ersten beiden Abdrucken der Collection „Der Zeiter“ NICHT enthalten war, der kommt hier endlich zum Zuge.
Der nächste Band trägt den Titel „Partner fürs Leben“.
_Buchwurm.info:_
Hallo, Frau Korte, wie geht es Ihnen, wo sind Sie gerade und was machen Sie?
_Lea Korte:_
Wie es mir geht, hat mich in einem Interview noch nie jemand gefragt – ich finde das sehr nett! Danke, es geht mir gut – wie auch nicht, wo der Frühling endlich zu seinem Recht kommt! 🙂 Ich bin in Spanien, wo ich seit fast zwanzig Jahren lebe, und ich plane einen neuen Roman, was immer sehr aufregend ist!
_Buchwurm.info:_
Unsere Leser bei |Buchwurm.info| kennen Sie vielleicht noch nicht so gut. Könnten Sie sich bitte kurz vorstellen?
_Lea Korte:_
Ich bin Jahrgang ’63, verheiratet, habe zwei Kinder (9 und 13), einen (reichlich!) verrückten Hund und eine schwarze Katze, die auch nicht viel normaler ist. Alles andere würde aber wahrscheinlich auch nicht zu uns passen. 😉
Mancher fragt sich nach meiner Anmerkung oben sicher, wie ich nach Spanien gekommen bin. Nun, mit zwölf war ich mit meinen Eltern zum ersten Mal am spanischen Mittelmeer und habe damals ganz naiv beschlossen, dass ich später dort leben will – und das „Später“ sollte nicht erst im Rentenalter sein. Mit dem Schreiben war es ähnlich: Das war auch so ein früher, höchst naiver „Beschluss”, weil ich von den „Buddenbrooks“ so begeistert war. Dass später beides geklappt hat, zeigt, dass man seine Kinderträume manchmal doch in die Tat umsetzen kann.
Ja, ich schreibe Romane, derzeit vor allem historische Romane, und ich bleibe sicher auch dabei, denn die haben mich richtig gepackt. Mein Thema ist – wie sollte es anders sein – die spanische Geschichte, die voller Dramatik und spannender Geschichten ist – die ideale Grundlage also für Romane!
Lesen und Schreiben sind für mich sehr wichtig, so wichtig, dass ich darüber schon mal das eine oder andere vergesse, was man besser nicht vergessen sollte. 😉 Und seit ich mit den historischen Romanen angefangen habe, fesselt mich das Schreiben sogar noch mehr.
Wer noch mehr über mich und meine Arbeit wissen möchte, findet auf meiner Webseite http://www.leakorte.com und auf meinem Blog http://www.leakorte.wordpress.com ständig neue Informationen.
_Buchwurm.info:_
Wie kamen Sie zum Schreiben und was fasziniert Sie besonders am Genre des historischen Romans?
_Lea Korte:_
Zum Schreiben kam ich einmal, weil ich mich in die Figuren von Thomas Mann verliebt habe. Man kann sie laufen, gehen, weinen SEHEN – und dass man dies nur mit Worten erreichen kann, hat mich fasziniert. Gleich nach dem Studium habe ich ganz ernsthaft mit dem Schreiben begonnen und hatte das große Glück, auf Anhieb einen Agenten zu finden, mit dem ich auch heute noch zusammenarbeite und dank dessen Vermittlung ich inzwischen sieben Bücher veröffentlicht habe.
Früher habe ich unter anderem Pseudonym sogenannte Frauenromane geschrieben, wobei der letzte eigentlich schon eher ein Entwicklungsroman war. Aber ich wollte irgendwie „mehr“. „Nur“ Geschichten zu erzählen war mir irgendwann zu wenig. Und so kam ich zu den historischen Romanen. Mein Ziel ist dabei, Vergangenem neues Leben einzuhauchen. Bei „Die Nonne mit dem Schwert“ habe ich Catalina de Erauso, die im 17. Jahrhundert wirklich gelebt hat, ihre Geschichte erzählen lassen; bei [„Die Maurin“ 6248 lasse ich die Leser die letzten 15 Jahre der Reconquista im 15. Jahrhundert anhand der Geschichte der (fiktiven) Zahra as-Sulami miterleben.
_Buchwurm.info:_
Worum genau geht in „Die Nonne mit dem Schwert“ und was hat Sie an diesem Thema besonders interessiert?
_Lea Korte:_
„Die Nonne mit dem Schwert“ war mein erster historischer Roman, der auf der Autobiografie von Catalina de Erauso beruht, also in großen Bereichen wahr ist. Das Mädchen war von seinen Eltern – gegen seinen Willen – ins Kloster gesteckt worden. Eines Tages ergibt sich für sie die Möglichkeit zu fliehen, die sie natürlich sofort wahrnimmt. Doch als Mädchen hat sie „draußen“ kaum Überlebenschancen. Sie stiehlt sich die Kleider eines Jungen, schneidet ihr langes Haar ab – und lebt fortan als Junge.
Im Gegensatz zu den „Hosenromanen“ haben wir es hier mit einer wahren Geschichte zu tun, in der man überdies sehr viel von der Geschichte der damaligen Zeit mitbekommt: Es ist die Zeit der Eroberung Südamerikas durch die Spanier, die Zeit der Inquisition – und die Kirche hat es Frauen damals verboten, das Haar „nach Sklavenart kurz geschoren“ und Männerkleider zu tragen. Kurz zuvor war Johanna von Orleans unter eben diesem Vorwand in England auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Und auch Catalina schwebt in ständiger Gefahr … Ihre Autobiografie trägt den Titel „Die Nonne Fähnrich“ – so dass man schon ahnen kann, was zumindest einen Teil ihres mehr als aufregenden Lebens ausmacht … Aber mehr will ich hier nicht verraten.
Für mich war es sehr spannend nachzuempfinden, wie sich Catalina nach der Flucht aus dem Kloster gefühlt haben muss. Ihre Verlorenheit, ihre Ängste – und den Mut, den sie finden musste, ihr Leben – und ein gefahrvolles noch dazu! – künftig allein zu meistern. Catalina de Erauso war in meinen Augen eine wirklich bemerkenswerte Frau!
_Buchwurm.info:_
Warum nehmen Sie an, dass dieses Thema auch heutige Leser besonders interessieren könnte oder sollte?
_Lea Korte:_
Catalina war eine Frau, die sich nicht mit der ihr vorgegebenen Rolle zufrieden geben wollte. Auch heute werden wir noch oft genug in Rollen gedrängt – und das hat mit Emanzipation gar nichts zu tun. Es sind die Erwartungen anderer, die uns eingrenzen – wenn wir es zulassen. Catalina hat beschlossen, ihren eigenen Weg zu gehen, allen Gefahren zum Trotz. Ich finde, es ist eine Geschichte, die Mut macht, dass wir auch heute unser Leben selbst in die Hand nehmen sollten, egal, was andere denken.
_Buchwurm.info:_
Ihr neuestes Buch ist [„Die Maurin“. 6248 Worum geht es darin und was war für Sie von besonderem Interesse an diesem Thema?
_Lea Korte:_
„Die Maurin“ spielt zu einer Zeit, die meine historische Lieblingsepoche ist: dem Ende der Reconquista. Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass Spanien, wie wir es heute kennen, noch sehr jung ist. Im 15. Jahrhundert existierte es noch nicht. Es gab es nur Kastilien, Aragón, Navarra – und Al-Andalus. Und in Al-Andalus regierten keine „Spanier“, sondern die Mauren, Muslime, die einst von den arabischen Ländern in Afrika gekommen waren und die dort zum Zeitpunkt meines Romans schon seit 700 Jahren herrschten.
Mich reizte vieles an dem Thema, aber vor allem die Konflikte zwischen Christen und Muslimen.
Zahra as-Sulami ist eine junge Frau, die zwischen diesen beiden Kulturen groß wird: Ihr Vater ist ein maurischer Adliger, ihre Mutter Kastilierin. Als Hofdame Aischa, der Sultanin von Granada, erhält sie besonders tiefe Einblicke in die sich zuspitzenden Konflikte zwischen den Mauren und den Kastiliern – und gerät bald sogar mitten zwischen die Fronten, und das mit dem Kopf und mit dem Herz …
_Buchwurm.info:_
Was fesselt den heutigen Leser an dieser Thematik?
_Lea Korte:_
Die Konflikte zwischen Muslimen und Christen sind auch aktuell ein höchst brisantes Thema. Da kann ein Blick in die Vergangenheit schon mal hilfreich sein: Im Maurenreich lebten Christen, Juden und Muslime nämlich über Jahrhunderte (!) friedlich und einvernehmlich zusammen, weil die Mauren in ihrem Reich den Toleranzgedanken groß geschrieben hatten. Ja, wir könnten viel lernen aus dieser Zeit – und es wäre schön, wenn der Roman zumindest einen kleinen Denkanstoß in diese Richtung geben könnte.
_Buchwurm.info:_
Als Erzählerin bleiben Sie in „Die Maurin“ weitgehend neutral. Fiel es Ihnen schwer, sich nicht für die eine oder andere Partei zu entscheiden?
_Lea Korte:_
Nun ja, ein bisschen mehr ist meine Sympathie vielleicht schon bei den Mauren, aber im Großen und Ganzen war es mir wichtig zu zeigen, dass es auf beiden Seiten Menschen gab, die es verdienen, dass man sie achtet, weil sie sich für friedliche Lösungen und ein friedliches und toleranteres Miteinander einsetzten. Es gibt nicht DEN Christen und auch nicht DEN Muslimen. Es gibt – für mich – nur den Menschen, der dahintersteht. Und Menschen (!) gab es auf beiden Seiten.
_Buchwurm.info:_
Greifen Sie bei Ihren historischen Recherchen auf besonders kompetente Quellen wie etwa eine Universitätsbibliothek zurück? Beschäftigen Sie auch gesonderte Forscher?
_Lea Korte:_
Bei „Die Maurin“ hatte ich nicht nur eine Universitätsbibliothek sondern auch ein „wandelndes Lexikon“ zur Unterstützung: Prof. Dr. Jordi Aguadé von der Universität Cadiz, der genau das Thema meines Romans als seinen Forschungsschwerpunkt hat, und seine Frau Laila, die eine Spezialistin für alle Fragen ist, die den Islam betreffen. Beide haben mir während des ganzen Romans beratend und überdies mit großem Elan zur Seite gestanden.
Für mich war es wichtig, nicht nur die Geschichte der fiktiven Zahra as-Sulami und ihrer Familie zu erzählen, sondern zugleich auch die Geschichte dieser letzten 15 Jahre der Reconquista – und das nicht einseitig, sondern mit einem Blick auf beide Seiten: die christlich-kastilische und die muslimisch-maurische.
_Buchwurm.info:_
Sind Sie mit dem Erfolg Ihrer Bücher bislang zufrieden? Welche Publikumsreaktionen haben Sie am meisten gefreut? Welche fanden Sie unverständlich?
_Lea Korte:_
Die Verkaufszahlen für „Die Maurin“ werde ich selbst erst im Herbst erhalten, aber ich weiß, dass „Die Maurin“ schon zwei Monate nach Erscheinen zum ersten Mal nachgedruckt wurde – was ja doch ein Zeichen dafür ist, dass sie sich gut verkauft. Auch „Die Nonne mit dem Schwert“ hat sehr viele Leser gefunden, zumal sie auch im |Club| (Bertelsmann) und bei |Weltbild| als Lizenz herauskam.
Die Leserreaktionen auf „Die Maurin“ sind bisher durchweg sehr positiv, was mich riesig freut. Nach den ersten Online-Leserunden kann ich überdies sagen, dass die Leser sich wirklich in das Buch hereingezogen gefühlt und besonders lobend erwähnt haben, dass ich nicht einfach nur eine Geschichte im Mittelalter erzähle, sondern es mir gelungen ist, der Geschichte der Reconquista mit Zahra neues Leben einzuhauchen, der Roman also Historisches und Fiktives so verbindet, dass der Leser quasi nebenbei und höchst unterhaltend auch noch Geschichtsunterricht bekommt.
Bei [www.amazon.de]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3426502305/powermetalde-21 sind einige der Rezensionen aus den Leserunden zu lesen, die eben diese Kommentare widerspiegeln. Meine Lieblingsrezension ist derzeit wohl die von Rita del’Agnese bei der histo-couch: http://www.histo-couch.de/lea-korte-die-maurin.html. Auf dieser Webseite wurde ich mit der „Maurin“ auch zum „Historikus“ des Monats März gewählt, was mich riesig gefreut hat und ich als besondere Ehre empfunden habe.
Auch anderen Webseiten ist „Die Maurin“ schon positiv aufgefallen: Bei http://www.historische-romane.de war ich im Februar Autor des Monats, bei http://www.lovelybooks.de ist „Die Maurin“ gerade auf Platz 4 der Frühlingsbücher 2010 gelandet und war damit der am besten platzierte historische Roman. Und „Die Maurin“ ist ja erst seit kurzem auf dem Markt. Unverständlich fand ich bisher noch keine Rezension, zumal sie ja bis dato alle erfreulich gut bis supergut waren.
_Buchwurm.info:_
Welchen Interessen und Hobbys widmen Sie sich in Ihrer Freizeit? Engagieren Sie sich auch sozial?
_Lea Korte:_
Mit einer Familie und einer so intensiven Arbeit wie dem Schreiben und Recherchieren für historische Romane ist man gut beraten, wenn die Arbeit zugleich auch Hobby ist. Bei mir ist es so: Auch in meiner „Freizeit“ lese und recherchiere ich. Als Freizeit betrachte ich die Zeit, die ich auf dem Sofa oder am Strand mit Lesen und Korrekturen verbringe, als Arbeit den Teil, den ich in meinem Arbeitszimmer erledige. 😉
Darüber hinaus spiele ich Klavier und unternehme gern etwas mit meiner Familie. Sozial engagiere ich mich vor Ort.
_Buchwurm.info:_
Welches Thema möchten Sie als nächstes aufgreifen?
_Lea Korte:_
Das Thema Muslime-Juden-Christen hat mich ziemlich gepackt, so dass ich wohl auch meinen nächsten historischen Roman in diesem Bereich ansiedeln werde. Auch nach der Reconquista gehen die Konflikte nämlich weiter, und eigentlich wird es dann sogar noch spannender! Genaueres aber weiß ich noch nicht, weil dies noch mit dem Verlag besprochen werden muss.
_Werkverzeichnis:_
1) Die Maurin, Droemer Knaur, Februar 2010
2) Die Nonne mit dem Schwert, Droemer Knaur, April 2007
3) Das steinerne Auge. Historischer Episodenroman.
_Buchwurm.info:_
Wie geht es Ihnen? Hoffentlich gut! Wo sind Sie und was machen Sie gerade?
_Markus Heitz:_
Danke, alles bestens. Bin zu Hause und überarbeite JUDASTÖCHTER.
_Buchwurm.info:_
Sind Sie von Ihrer Lesetour für [„Judassohn“]http://www.buchwurm.info/news/anzeigen.php?news__id=7394 bereits zurückgekehrt und haben Zeit für andere Projekte?
_Markus Heitz:_
Es war umgekehrt: Ich habe die Tour zu den JUDASTÖCHTERN gelegt. Wie man an meinem [Tourbericht]http://www.judassohn.com sehen kann, war ich unterwegs fleißig und habe auch am nächsten Buch gearbeitet.
_Buchwurm.info:_
Warum und wozu haben Sie auf Ihrer aktuellen Lesetour Musiker und eine Tänzerin engagiert? Wie ist die Resonanz des Publikums gewesen?
_Markus Heitz:_
|Knaur| wollte das Buch nicht im üblichen Rahmen präsentieren, sondern etwas Neues machen. So war der Gedanke an eine Tour plötzlich im Raum. Wir haben überlegt, welche Bands ich kenne, welche Bands infrage kommen und wie man verschiedene Szenen unterstützen bzw. anders darstellen könnte, beispielsweise einen Tanz (Dolchkampf, Fluch). So kamen wir zu (der Band) [Persephone]http://www.persephone-home.de und (der Tänzerin) Asherah Latifa. Die Resonanz darauf war sehr gut.
_Buchwurm.info:_
Sie haben bereits 2009 eine Lesetour http://www.die-zwerge-live.de mit dem Sprecher Johannes Steck unternommen, um Ihr Fantasy-Epos „Die Zwerge“ auf die Bühne zu bringen. Wie war der Erfolg dieser Multimedia-Show mit Musik, Video und Sound?
_Markus Heitz:_
Stimmt nicht ganz. Johannes hat das Zwergeprojekt alleine angestoßen und umgesetzt. Ich konnte mich hinsetzen und genießen. Der Erfolg gab seiner tollen Idee Recht, und es wird nun an eine Fortführung gedacht. Mehr darf ich dazu nicht sagen.
_Buchwurm.info:_
Stoßen Sie mit solchen Literatur-Shows in eine Marktlücke? Was sind die Gründe für Ihren Erfolg damit?
_Markus Heitz:_
Na ja, wenn man als Erster etwas tut, kann man damit auf die Schnauze fallen oder belanglos sein oder man wird gefeiert. Mit der JUDASSOHN-Tour hatten wir das Glück, sehr gut angenommen zu werden. Es gefiel den Leuten auch, mehr als eine Standard-Lesung zu bekommen – obwohl sie anfangs auch nicht wussten, was auf sie zukommt. Wir haben ein Konzept entwickelt, das angenommen wurde. Sollten das andere Autoren auch anpacken, würde mich das freuen. Es tut allen gut: dem Autor, den Künstlern, dem Werk und nicht zuletzt den Besuchern. Wir haben was Neues gewagt, und wir freuen uns, dass es gefallen hat. Aber mein Schwerpunkt liegt natürlich derzeit auf dem Schreiben.
_Buchwurm.info:_
Sie schrieben anfangs Heroic Fantasy, dann auch Phantastic Horror, jetzt versuchen Sie sich im Genre Science Fiction. Sind Sie ein Autor, der gerne experimentiert und seine Fähigkeiten testet?
_Markus Heitz:_
Immer diese Begrifflichkeiten. Ich würde eher sagen: Am Anfang war Fantasy (Ulldart), danach Cyberpunk (Shadowrun), danach High Fantasy („Zwerge“), danach kamen Horror („Ritus“ etc.), was heute Urban Fantasy/Mystery heißt, und Phantastik („Mächte des Feuers“). Früher hatte ich schon Kurzgeschichten in Sachen Space Fiction geschrieben, die Idee zum Roman COLLECTOR stammt aus dem Jahr 2003. Es war an der Zeit, den Stoff umzusetzen. Ich schreibe gerne, und schreiben ist Abwechslung. Sich nur auf eine Sparte zu beschränken, wäre Eigenzensur, wie ein Zehnkämpfer, den man nur laufen lässt, obwohl er mehr könnte. Es wird eines Tages auch Krimis oder rein humoristische Sachen von mir geben. Alles zu seiner Zeit.
_Buchwurm.info:_
Könnten Sie unseren Lesern bitte ein wenig über Ihren SF-Roman erzählen, der im September erscheinen soll? Wie lange haben Sie an diesem Projekt gearbeitet?
_Markus Heitz:_
Die Arbeit selbst war wie immer ein halbes Jahr. Es hat sich ergeben, dass ich mir letztes Jahr ein altes Rollenspiel namens JUSTIFIERS kaufen und es als Erweiterung der Romanwelt einsetzen konnte. Es kommt also ein klassisches Pen&Paper-Rollenspiel, Comics und ab Dezember eine eigene Taschenbuchserie JUSTIFIERS, bei der deutsche Autoren Romane in der JUSTIFIERS-Welt schreiben werden. Den Anfang macht [Christoph Hardebusch]http://www.hardebusch.net („Die Trolle“).
Der Roman COLLECTOR ist der Auftakt für dieses neue Universum und soll neugierig machen, indem er eine abgeschlossene Geschichte erzählt. Im Mittelpunkt steht Kris, eigentlich ein Trucker, der durch einen unschönen Zufall in die Dienste eines Großkonzerns treten muss und als Pilot auf eine Erkundungsmission geschickt wird. Er und die Mannschaft sollen mehr über die COLLECTOR herausfinden. Die Collector sind eine technisch höher stehende Rasse, die den Menschen vorgerechnet hat, dass sie im Vergleich zu den übrigen Spezies im All zu wenige und vom Aussterben bedroht sind. So stellen die Collector etliche Planeten unter ihre Obhut und beginnen – gegen den Willen der Bevölkerung – mit allerlei chemischen und biologischen Stoffen ein Aufzuchtprogramm. Dass das die Menschen nicht lustig finden, liegt auf der Hand. Eine alte philosophische Frage wurde damit eingebunden, wenn man so möchte. Kris gerät mitten hinein – in die Intrigen der Konzerne, in Abenteuer, an die Liebe seines Lebens und an seinen Vater, den man für verschollen gehalten hat.
_Buchwurm.info:_
Was könnte Ihre bisherigen Leser daran gefallen, oder ist es Ihnen wichtiger, mit SF neue Käufer zu erreichen? (Die deutsche SF könnte sicherlich mehr Leser gebrauchen.)
_Markus Heitz:_
Wie immer habe ich die Story für mich geschrieben, weil das Erzählen und das Ausdenken mir Spaß gemacht haben. Wie viele „alte“ Leser ich damit erreiche, weiß ich nicht. Man sieht, dass es keine klassische Science Fiction ist, die möglichst viel wissenschaftlich erklären möchte, sondern es ist eine Space Opera, das volle Unterhaltungsprogramm mit dem kleinen Philosophieschwenk. Auf neue Leserschichten habe ich dabei nicht wirklich geschielt.
_Buchwurm.info:_
Sicherlich vernachlässigen Sie nicht Ihre Fantasy-Fans. Wird es einen fünften Band des ZWERGE-Zyklus geben? Falls ja, wann?
_Markus Heitz:_
Erstmal haben die |Albae| Vorfahrt. Mitte 2011 kommt der zweite Band, danach folgen noch zwei Bände, und was danach erscheint, darüber mache ich mir noch keine Gedanken. Dass es einen fünften Zwerge-Band geben wird, [habe ich schon verkündet,]http://www.mahet.de/site/News-Beitrag.10.0.html werde mich aber auf ein Datum nicht festlegen.
_Buchwurm.info:_
Es gibt Gerüchte, wonach DIE ZWERGE verfilmt werden soll. Ist da etwas dran?
_Markus Heitz:_
Von wegen Gerüchte. Produzenten sind Hofmann&Voges, Drehbeginn Ende 2010, TV-Event, 2×90 Minuten für den ersten Band, Ausstrahlung Ende 2011. Das ist der aktuelle Stand.
_Buchwurm.info:_
Was sind Ihre liebsten Freizeitbeschäftigungen?
_Markus Heitz:_
Schreiben und kreativ sein. Kein Witz. Ein bisschen Sport noch.
_Buchwurm.info:_
Engagieren Sie sich sozial bzw. karitativ?
_Markus Heitz:_
Das ist nichts, was ich an große Glocken hänge.
_Buchwurm.info:_
Wagen wir einen Ausblick. Woran arbeiten Sie gerade? (Kreative Leute arbeiten ja immer an irgendetwas.)
_Markus Heitz:_
Aktuell an JUDASTÖCHTER, das JUSTIFIERS Role Playing Game wird noch betreut … und noch andere Dinge sind am Laufen.
_Buchwurm.info:_
Herzlichen Dank für das Interview!
Ein mystischer Tempel im Herzen Washingtons, eine geheime Kammer tief unter dem Kapitol, eine unvollendete Pyramide, ein goldener Deckstein, die Hand der Mysterien – dies sind nur einige der rätselhaften Bauten, Symbole und Herausforderungen, mit denen Dan Brown seinen Helden Robert Langdon und die Fans in [„Das verlorene Symbol“ 5946 bekannt macht. Was hat es mit ihnen auf sich? Was ist Fakt, was Fiktion?
Eberles Buch legt die Hintergründe zu Browns Roman offen und erklärt, was der Autor nur andeutet: Ist der US-Präsident wirklich ein Freimaurer und Washington die Hauptstadt des Ordens? (abgewandelte Verlagsinfo)
_Der Autor_
Henrik Eberle, geboren 1970, ist promovierter Historiker und lehrt Zeitgeschichte an der Martin-Luther-Universität in Halle. 2005 veröffentlichte er mit Mathias Uhl „Das Buch Hitler“, 2007 und 2009 folgten mit „Briefe an Hitler“ und „War Hitler krank?“ (zusammen mit Hans-Joachim Neumann) weitere Werke zum Nationalsozialismus. Durch seine Beiträge auf [www.dan-brown.de]http://www.dan-brown.de hat Eberle sich auch bei den Fans Dan Browns einen Namen gemacht. (Verlagsinfo)
_Inhalte_
Das Buch hat vier große Kapitel, die wiederum in mehrere Unterkapitel aufgeteilt sind.
|1) Tour de force durch Washington|
Dieses Kapitel führt uns auf dem gleichen Weg durch die amerikanische Hauptstadt, dem auch der Held Robert Langdon folgt. Dadurch weckt dieser erste Teil die meisten Erinnerungen und muss die meisten Fragen beantworten, so etwa jene: „Wie konnte es Robert Langdon gelingen, in einem mit Wasser gefüllten Sarg nicht zu ertrinken, sondern zu überleben?“
Außerdem werden sehr viele nützliche Informationen zu den zahlreichen Örtlichkeiten eingestreut, die Langdon und Katherine Solomon in Washington besuchen – oder besser: durchhasten. Dabei zeigt sich, dass Dan Brown an etlichen Stellen hinzuerfunden hat, um sein spannendes Garn zu spinnen. So ist etwa die Spitze des Washington Monuments, also des größten Obelisken der Welt, nicht aus Gold, wie er uns weismachen will, sondern schon immer aus Aluminium gewesen – es ist einfach viel haltbarer.
|Geometrie|
Dieser wichtigste Teil ist durch zahlreiche Illustrationen anschaulich gemacht. Und zu diesen gehört unbedingt auch die alte Stadtkarte aus dem Jahr 1845. Sie zeigt, wie geometrisch die Straßen angelegt wurden – und dass sich hinter dieser Geometrie freimaurerische Symbolik verbirgt, so etwa ein Pentagramm, ein rechter Winkel (= Winkelmaß) und ein spitzer Winkel (= Zirkel). Das Pentagramm wurde als satanistisches Symbol kritisiert, doch diese Kritik beruhe auf Unwissenheit. Der Autor belehrt uns eines Besseren.
Das vierte Unterkapitel erklärt, warum und wozu es überhaupt verborgene Symbole gibt. Na, weil die meisten Erkenntnisse den Machthabern und ihren Unterstützern nicht in den Kram passten. Deshalb wurden nicht nur Symbole, sondern auch Codes entwickelt.
|2) „Sagt es niemand, nur den Weisen“ (Goethe) – Die helle Seite|
In diesem rund 80 Seiten langen Kapitel stellt uns der Autor kenntnisreich, umfassend und kritisch die Freimaurerei sowie ihre angeblichen Ursprünge bei den Bauhütten (= Logen) und den (erfundenen) Rosenkreutzern vor. Die Kenntnis dieses Kapitel ist die Voraussetzung für das Verstehen der nachfolgenden Kapitel, obwohl dieser Teil relativ wenig mit dem Roman zu tun hat: Es ist die geschichtliche Kulisse, vor der sich die Gegenwart abspielt.
~ Der erste Tempel ~
Allerdings wundert sich der Roman-Leser vielleicht, warum in Washington so viele Tempel und Säulen rumstehen. Sie sind alle Echos der Symbolik, die die Freimaurer—Erbauer der Hauptstadt Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts benutzten: Die Tempel gehen alle auf den ersten Tempel in Jerusalem zurück, den König Salomo ca. 988 v. Chr. errichten ließ – natürlich von einem weisen Baumeister, einem gewissen Hiram Abif. Doch dieser erste Wissende der Logen, der König Salomo in nichts nachstand (höchstens in puncto Weisheit), fiel den Dolchen seiner drei Gesellen zum Opfer, die alle das Meisterwort begehrten, um seine Macht zu erlangen. Das war der erste Sündenfall der Freimaurer, und ein zweiter um 1822 hätte fast zu ihrer Vernichtung in den USA geführt.
~ Die Hierarchie ~
Wie auch immer: Alle geheiligten Räume der Bruderschaft sind Nachbildungen jenes ersten Tempels Salomos. Es gibt im Innern immer drei Säulen, die Weisheit, Schönheit und Stärke symbolisieren. Der Meister vom Stuhl sitzt unter der Säule der Weisheit. Hier finden die Rituale statt, die nach dem Schottischen Ritus 33 Grade voneinander scheiden. Theoretisch sind alle 200 Millionen Brüder und Schwestern (es gibt über zwei Millionen weibliche Mitglieder in der „Eastern Star“-Loge) gleichwertig und die Grade besagen lediglich, welchen Grad der Weisheit und Erkenntnis ein Mitglied erlangt hat. Doch der amerikanische Großmeister Albert Pike füllte diese Hierarchie der 33 Grade mit Machtzuwachs. Natürlich war er der Mächtigste. Dabei wurde er als armer Schlucker irgendwo in Arkansas geboren.
~ Das Ritual ~
In einem relativ interessanten Abschnitt erfahren wir von einem dieser Aufnahme- und Prüfrituale. Diese Informationen wurden erst 2008 publik, und zwar durch einen Ungarn. Die Symbolik beim Ritual ist durchdringend und für Leute ohne Interesse einfach zu viel des Guten. Immerhin gibt es noch eine Übersicht, welche der amerikanischen Präsidenten den Freimaurern angehörten und angehören. Darunter befinden sich zwei Bushs und auch Barack Obama. Interessanterweise erreichten Nicht-Freimaurer wie Nixon manchmal mehr als Ordensmitglieder.
~ Hass auf die Freimaurer ~
Das letzte Unterkapitel befasst sich mit dem Hass auf die Freimaurer, die vor allem in Deutschland nachhaltig verfolgt wurden, und bildet so einen Übergang zum dritten Kapitel, das sich mit der dunklen Seite dieser Glaubensgemeinschaft befasst – und mit dem Treiben des Schurken.
|3) „Unser Missverständnis beruht auf Worten.“ (Montaigne) – Die dunkle Seite|
Achtung, Spoiler!
Zachary Solomon hat sich mehrmals in seinem Leben verwandelt, vom Sohn Peter Solomons zu einem Junkie, zu einem Häftling, einem Lebemann und zu einem vom Hass auf den Vater und dessen Orden getriebenen Mörder (es gibt fünf Opfer im Roman). Ziel seiner Zerstörungswut ist die gesamte Bruderschaft der Freimaurer. Die allerletzte Verwandlung, die Zachary alias Christopher Abbadon anstrebt, ist die in einen Dämon. Dessen Namen hat er sich bereits gegeben: Mal’akh bedeutet nichts anderes als „Moloch“, der verschlingenden Gott der alten Karthager. (Man lese dazu auch Flauberts Roman „Salammbô“.)
Wie jeder Leser weiß, hat sich Zachary von Kopf bis Fuß tätowiert, und zwar mit Symbolen der Mystik. Diese erklärt der Autor ausgiebig, ebenso wie die weiteren Hilfsmittel des Mörders, so etwa das Akedah-Messer und das Abramelin-Öl. Außerdem widmet er einen ausführlichen Exkurs dem Thema der Kastration und deren Bedeutung innerhalb der Geistes- und Religionsgeschichte.
Weil sich Zachary auf den Scharlatan Aleister Crowley bezieht, folgen mehrere Exkurse über Crowley und seine Vorgänger, die Scharlatane St. German und Cagliostro. Der Missbrauch von Logen ist wahrscheinlich so alt wie sie selbst, doch im 19. und 20. Jahrhundert hat es gerade in Italien (sicher auch in den USA) berühmte Logen wie die P2 gegeben, die sich auf einen Staatsstreich vorbereiteten. Auf ihrer Mitgliederliste finden sich illustre Namen, darunter ein gewisser Silvio Berlusconi. Bemerkenswerterweise wurden diese rechtsgerichteten Verschwörer nie des Hochverrats angeklagt oder gar verurteilt. Ihr Kopf Licio Gelli arbeitet heute (friedlich?) als Schriftsteller.
|4) „Ordo ab chao“ (Albert Pike): [Über Noetik, Kabbala und die Weltformel]|
Die von Katherine Solomon vorgestellte Noetische Wissenschaft bzw. Noetik soll Wissenschaft und Glauben vereinen, denn wie sonst könnte man den Befund, dass die Seele eine Masse hat, erklären? „Seele“ ist kein naturwissenschaftlicher, sondern ein theologischer Begriff. Der Autor zeigt anhand von Berechnungen und des Schicksals der real existierenden Noetik, dass dies ein Traum ist und vielleicht bleiben wird.
Schon Albert Einstein und die String-Theoretiker suchten die Weltformel, die „die Welt im Innersten zusammenhält“ (Goethe, „Faust“) und erklärt: die „Grand Unified Theory“ oder GUT. Die Theorie der Superstrings ist dabei noch am weitesten gekommen. Verblüffend ist es zu erfahren, dass man schon Mitte des 17. Jahrhunderts an diesen Punkt gelangt war, und zwar bei Robert Fludd.
Im nächsten Unterkapitel ist jedoch Sitzfleisch gefragt: Hier erläutert der Autor die jüdische Mystiklehre „Kabbala“ (= Überlieferung) und die ihr zugrunde liegende Literatur um das Buch „Zohar“ (= „Glanz“), das wohl ein spanischer Jude im 13. Jahrhundert schrieb und für das Werk eines bekannten Rabbi aus dem 3. Jahrhundert ausgab. So fand der Zohar rasch europaweit Verbreitung unter den verstreuten Juden.
Wenn man bedenkt, dass auch |Madonna| alias Madonna Louise Veronica Ciccone in Sachen Kabbala bewandert ist, wird das Interesse an diesem mystischen Glaubenssystem vielleicht doch geweckt. Allerdings befürchtet der Autor, dass sie und ihresgleichen eher einer Popversion der Kabbala aufgesessen sind: Jeder kann sich zum Kabbala-Guru ernennen und seinen Tempel öffnen, um Eintritt zu kassieren. Wertvoller ist da schon der Hinweis, dass auch ein Renegat wie [Hans Küng]http://de.wikipedia.org/wiki/Hans__K%C3%BCng die neuen Zehn Gebote für ein Welt-Ethos sucht, das alle Religionen unterschreiben können.
|5) Anhänge|
In den Anhänge finden sich ebenso nützliche wie notwendige Angaben. Notwendig sind für ein glaubwürdiges Sachbuch beispielsweise die Quellenangaben. Sie wurden mit Infos über die benutzten Lexika samt Literaturempfehlungen, einem Personenregister und einem Abbildungsnachweis ergänzt. Ein allgemeines Stichwortregister fehlt, aber das macht nichts – anhand des Inhaltsverzeichnisses und des Personenregisters fällt es leicht, die entsprechenden Textstellen zu finden.
_Mein Eindruck_
Der Autor beschränkt sich lobenswerterweise auf jene Bereiche, in denen er sich auskennt oder wo er sich auf halbwegs verlässliche Quellen stützen kann. Es fällt einem Wissenschaftler wie mir aber schon unangenehm auf, wie stark sich Eberle auf die Angaben in der |Wikipedia|, noch dazu in der Übersetzung, verlässt. Da ich weiß, wie stark die Einträge doch eingefärbt (und woanders abgeschrieben) sein können, wäre das für mich keine zuverlässige Informationsquelle. Eberle kritisiert zwar ab und zu tendenziöse Artikel des Online-Lexikons, aber er erwähnt kein einziges Mal die „Encyclopedia Britannica“, die ja bestens recherchiert ist.
|Bitte keine Literaturkritik!|
Eberle versteigt sich wenigstens nicht dazu, die literarischen Qualitäten des Romans zu beurteilen. Das wäre die Aufgabe eines Literaturwissenschaftlers oder Kritikers – und Letztere haben ja bereits ein vernichtendes Urteil gefällt. Da ist es schon besser, sich auf die sachlichen Aussagen des Autors zu konzentrieren. Wie man an den 300 Seiten (bei |Amazon.de| werden derzeit nur 240 angegeben) des Buches ablesen kann, führt auch diese Beschäftigung zu einem reichlichen Ergebnis.
|Spannend – oder nicht|
Spannend sind die Befunde immer dort, wenn sie sich mit Phänomenen des Romans, der als bekannt vorausgesetzt wird, beschäftigen. Das ist besonders im ersten Kapitel von 80 Seiten und im dritten Kapitel der Fall, wo die Details des Schurken (ca. 30 Seiten) und der Noetik (weitere zehn Seiten) vorgestellt werden. Doch was ist mit dem riesigen Rest, der den Großteil des Buches ausmacht?
Manchmal kämpft sich der Autor durch seitenlange Erläuterungen zu den obskuren Aspekten der Kabbala-Mystik oder er versucht, uns das Wesen, die Geschichte und die Fehlentwicklungen in der Freimaurerei nahezubringen. Das erfordert eine gewisse Vorbildung über die Kultur- und Geistesgeschichte, aber auch eine Menge Geduld und die Bereitschaft mitzudenken. Nicht immer lockert eine Grafik die Textwüste auf.
Ich ertappte mich dabei, des Öfteren zu den Anmerkungen zu blättern, von welchen es immerhin 335 Stück gibt, und dort nach Zusatzinfos zu suchen. Weil aber viele dieser Endnoten auf Online-Quellen verweisen, ist es für den Leser, der sich dieses Wissen ebenfalls aneignen möchte, ratsam, einen Rechner neben dem Buch stehen zu haben. Man könnte von einem multimedialen oder Cross-Media-Buch sprechen, wenn der Begriff nicht so abgedroschen wäre.
|Fehler und Zweifelsfälle im Text|
Der Text des Autors ist über weite Strecken fehlerfrei, und wenn Fehler auftauchen, sind sie minimale Vertipper oder Buchstabendrehen. Es gibt aber zwei Zweifelsfälle, die man so nicht unkommentiert stehen lassen kann.
Seite 41: „die Sitz des keltischen Avalon“ statt „der Sitz“
Seite 46: „Perflourcarbon“ ist ein lustiger Buchstabendreher, denn „flour“ bedeutet „Mehl“. Korrekt sollte es „Perfluorcarbon“ lauten.
Seite 68: „über die Geheimnisse und Lehrern der Freimaurer“: Statt „Lehrern“ sollte es „Lehren“ heißen.
Seite 88: „um den Selbstveredelungsprozesses zu vollenden“: Der Akkusativ braucht kein Genitiv-„es“.
Seite 105: „Goose & Giridon“ (also „Gans & Bratrost“): „giridon“ sollte wohl korrekter „gridiron“ (Bratrost) heißen.
Seite 109: „zu Geld zu machen wollte“: ein „zu“ hätte völlig gereicht.
Seite 131: „Die Zahl Pi, die das Verhältnis des Goldenen Schnitts beschreibt“, nämlich 1:1,618. Namhafte Mathematiker und Lexika sind sich jedoch einig, dass die Zahl Pi etwas völlig anderes beschreibt: das Verhältnis des Durchmessers eines Kreises zu dessen Umfang, nämlich 3,14 usw.
Seite 133: „tat nichts, um dies zu verhindert“ statt „verhindern“.
Seite 171: Mal’akh nennt sich mal „Christopher Abaddon“, mal „Abbadon“, da ist sich Eberle auf S. 170 und 171 selbst nicht so sicher. Das ist aber nicht das Problem. Vielmehr versucht er die Bedeutung des Nachnamens auf „to abandon“ zurückzuführen, also „verlassen“. Näher läge jedoch die Erklärung, dass Abaddon – nebst Satan, Luzifer, Mephistopheles, Belial und Konsorten – einer der Höllenfürsten ist, der sogenannte „Engel des Abgrunds“ (|Abaddon| kommt von hebräisch |abad| – Untergang, Abgrund über griechisch |abaton| – Grube). Es gibt sogar ein Musikstück mit Abaddons Namen im Titel: „Abaddon’s Bolero“ von Emerson, Lake & Palmer. Das hätte man doch herausfinden können, oder?
Seite 246: „HOD die Herrlichkeit steht am das Ende der linken, ‚weiblichen‘ Säule“. Das Wörtchen „das“ ist hier zu viel des Guten. (Beschrieben wird der Kabbala-Baum mit den zehn Ebenen der menschlichen Existenz, den Sefiroth.)
_Unterm Strich_
Henrik Eberles Kommentar ist ja nicht der einzige Titel, der zu Dan Browns Bestseller auf den deutschen Buchmarkt geworfen wurde. Ein Blick auf die Auswahl bei Amazon.de genügt. Aber mir scheint doch, dass Eberle zu 99,9 Prozent solide Arbeit geleistet hat, die einer genaueren Überprüfung standhält. So gibt er beispielsweise alle seine Quellen an und liefert dem Wissensdurstigen weiterführende Literatur- und Internethinweise. Ein Personenregister ermöglicht das schnelle Auffinden entsprechender historischer Figuren im Text.
Was mich störte, war das Übergewicht, das er der |Wikipedia| zukommen lässt. Sie ist zwar schnell und kostenlos erreichbar, doch ihre Artikel sollten stets |cum grano salis|, also mit Vorsicht genossen werden. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass viele Artikel woanders abgeschrieben wurden – so etwa bei mir. Ich habe dabei keinen einzigen Artikel für das Online-Lexikon verfasst.
Für den Laien, der gar nicht tief einsteigen, sondern nur Dan Browns Rätsel erklärt bekommen will, reichen im Grunde etwa 100 der 200 Seiten Haupttext (50 Seiten entfallen auf den Anhang, weitere mindestens 50 auf Illustrationen). Die restliche Hälfte muss der Leser aber quasi mitkaufen, um die tiefschürfenden Ausführungen über die Geschichte der Freimaurer, die „Alten Mysterien“ und die jüdische Kabbala zu erhalten.
Eberle ist kein humorvoller Märchenonkel, sondern ein ernsthafter Wissenschaftler, der sich durch Berge von obskurem und weniger obskurem Wissen gegraben hat. Er präsentiert das Ergebnis seiner Recherchen auf eine übersichtlich geordnete und in der Argumentation nachvollziehbare Weise, ohne sich in endlose Spekulationen zu verwickeln. Allen Verschwörungstheorien erteilt er eine Absage, stellt manche davon sogar bloß, indem er sie auf ihre Logik abklopft. Auch Dan Browns Geschwurbel selbst bekommt sein Fett weg, dass es dem vernunftbegabten Leser eine Freude ist.
Der Leser, der sich mit den Themen, die Brown in seinem Roman anschneidet, näher befassen will, erhält also mit Eberles Buch eine ernstzunehmende und weit führende Eintrittskarte in das weitverzweigte Reich zwischen Wissenschaft und Glauben, aber keinen Kompass. Denn ein Richtungsweiser wäre schon wieder wertend und nicht mehr wissenschaftlich neutral. Jedem, der uns Deutungen aufschwatzen will, sollte man gehörig misstrauen. Und dazu gehört Eberles Buch lobenswerterweise nicht. Die zweite Auflage sollte von den oben genannten Fehler bereinigt sein.
_John le Carré lässt grüßen: Smiley heißt jetzt Milo_
Milo Weaver ist „Tourist“, ein hoch ausgebildeter Geheimagent, der rund um den Globus Aufträge für die CIA erfüllt. Touristen haben keine eigene Identität, sie haben keine Freunde, keine Familie, ihre oberste Maxime ist Misstrauen. Als Weaver bei einem Einsatz schwer verletzt wird, zieht er sich zurück.
Doch sechs Jahre später holt ihn die Vergangenheit ein. Es gibt verlässliche Hinweise auf den Aufenthaltsort des Killers Benjamin Harris, genannt der „Tiger“, mit dem Weaver ein jahrelanges Katz-und-Maus-Spiel verband. Weaver spürt Harris auf, nur um kurz vor dessen Selbstmord zu erfahren, dass Harris selbst ein Tourist war und von seinen Auftraggebern mit einer tödlichen Krankheit infiziert wurde.
Als kurz darauf eine seiner Kolleginnen unter mysteriösen Umständen ums Leben kommt, verdächtigt man Milo, und er taucht unter. Um sein Leben zu retten, muss er die Machenschaften der CIA aufdecken. Sein letzter Auftrag beginnt. (Verlagsinfo)
Der Roman soll mit George Clooney in der Titelrolle verfilmt werden.
_Der Autor_
Olen Steinhauer wuchs in Virginia auf und lebte seitdem in Georgia, Mississippi, Pennsylvania, Texas, Kalifornien, Massachusetts und New York. Außerhalb der USA lebte er in Kroatien (das damals noch zu Jugoslawien gehörte), in der Tschechischen Republik und in Italien. Als Fulbright-Stipendiat verbrachte er ein Jahr in Rumänien, ein Aufenthalt, der ihn zu seinen fünf ersten Büchern inspirierte. Er lebt zurzeit in Ungarn mit seiner Frau und seiner Tochter.
Im Laufe der Jahre veröffentlichte er Erzählungen und Gedichte. Sein erster Roman „The Bridge of Sighs“ (2003), der Auftakt zu einem fünfbändigen Zyklus über das Osteuropa des Kalten Krieges über 50 Jahre hinweg, wurde für fünf Auszeichnungen nominiert. Das zweite Buch der Serie, „The Confession“, erntete ebenso Kritikerlob wie der Folgeband „36 Yalta Boulevard“ („The Vienna Assignment“ in Großbritannien). „Liberation Movements“ („The Istanbul Variations“ in Großbritannien), war für einen Edgar Award als bester Roman des Jahres nominiert. Der Abschlussband der Reihe, „Victory Square“, veröffentlicht 2007, wurde von der |New York Times| lobend hervorgehoben.
Mit dem Roman „The Tourist“ hat Steinhauer den Kalten Krieg hinter sich gelassen und eine Trilogie von Agentenromanen begonnen, die sich auf die internationale Arena in der Welt nach dem 11. September 2001 konzentriert. George Clooneys Produktionsfirma Smoke House Films hat die Filmrechte erworben, und Clooney soll selbst die Hauptrolle verkörpern.
_Handlung_
|PROLOG.|
10. bis 11. September 2001. Charles Alexander – so nennt sich Milo Weaver jetzt, als er von Amsterdam nach Kroatien fliegt. Milo ist ein „Tourist“, also ein Agent, der für die CIA das Dreckgeschäft erledigt. Er denkt ständig an Selbstmord, doch jedes Mal kommt ihm etwas dazwischen. So wie jetzt in Ljubljana, wo ihn die Kollegin Angela Yates abholt und zur Küste fährt. Der CIA-Agent Harry Dawdle sei verschwunden, zusammen mit drei Millionen US-Dollar, die für einen Kriegsverbrecher bestimmt waren. Oder für das Aufspüren dieses Mannes? Angela ist es nicht ganz klar.
Im Hafenbecken findet Milo durch Tauchen eine Leiche, aber es ist nicht Harry, sondern der Kriegsverbrecher Dusan Maskovic. Harrys fehlendes Boot bringt Milo auf eine Idee – tatsächlich meldet die Polizei von Venedig, sie habe es herrenlos vorgefunden. Offenbar hat Harry in der Lagunenstadt einen Deal vor, aber was? Obwohl Angela an seinem Verstand zweifelt, beschattet Milo den Stadtpalast des russischen Oligarchen Ugrimow und wird belohnt: Am nächsten Morgen taucht Harry tatsächlich auf, mit dem erwarteten Geldkoffer, doch mit einer schwangeren Frau. Als Angela und Milo Harry stellen, kommt es zu einer Schießerei mit fatalen Folgen …
|Sechs Jahre später, 4. Juli 2007 (US-Nationalfeiertag)|
Sechs Jahre ist Milo dem „Tiger“ auf der Spur gewesen, einem Attentäter, der wie Milo selbst unter verschiedenen Namen tätig war. Nun findet er den „Tiger“ in einer Zelle des Sheriffbüros von Blackdale, Tennessee, also in der tiefsten Provinz. Gemäß Rücksprache mit seinem Chef Tom Grainger soll er ihn erst ausquetschen, bevor die Agenten vom Heimatschutz kommen – in etwa einer Stunde. Der entgegenkommende Sheriff lässt Milo mit dem Sam „Tiger“ Roth allein.
Sam sieht nicht gut aus, findet Milo. Tatsächlich hat Sam sogar AIDS im Endstadium, wie er Milo verrät. Er habe Milo, seinen Jäger gesucht, um ihn endlich persönlich kennenzulernen – und nicht bloß seine Akte zu lesen. Milo wird hellhörig. Welcher ausländische Geheimdienst führt über CIA-Agenten Akten? Es war einer von Sams Auftraggebern bzw. dessen Mittelsmann in Mailand, ein Ami namens Herbert Williams alias Jan Klausner, zusammen mit Geld für einen im Sudan ausgeführten Auftrag.
Bei dieser Zusammenkunft wurde Sam durch einen Metalldorn an seinem Caféstuhl am Bein gestochen – und mit dem HIV-Virus infiziert. Sam, der als Christian Scientist keine Medikamente einsetzen darf und deshalb stirbt, bekennt, ebenfalls nur ein „Tourist“ wie Milo zu sein – und als Kollege bittet er ihn nun, den Schweinehund ausfindig zu machen, der ihn umbrachte. Dann beißt Sam auf eine Zyanidkapsel und stirbt. Was die Heimatschutzagenten überhaupt nicht freut.
Tom Grainger schickt Milo nach Paris, um Angela Yates eine Falle zu stellen. Hat Angela, die Sicherheitsleiterin der dortigen US-Botschaft, Geheiminformation an einen chinesischen General verhökert? Da sie Milo vertraut – sie kam zu seiner Hochzeit in Texas -, sollte es ihm ein Leichtes sein, ihr Falschinformationen auf einem USB-Stick unterzujubeln, hofft Grainger.
Zunächst sieht Angela wirklich verdächtig aus. Sie wird von einem rotbärtigen Mann beschattet und trifft sich mit einem Schwarzen, der sich als mutmaßlicher Terrorist aus dem Sudan entpuppt. Doch Milo glaubt immer noch an ihre Unschuld und setzt sich einfach zu ihr, als sie unweit der US-Botschaft essen geht. Zu seinem Erstaunen ist sie nicht nur erfreut, ihn nach sechs Jahren wiederzusehen, sondern erzählt ihm auch, dass sie dem „Tiger“ hart auf den Fersen war und dazu sogar Tom Grainger kontaktierte. Milo ist von ihrer Tüchtigkeit beeindruckt – sie ist viel besser als er. Es tut ihm leid, ihr mitteilen zu müssen, dass der Gejagte in Tennessee gestorben ist, vor seinen, Milos, Augen. Aber woher der Tiger-Kontaktmann Herbert Williams Milos Akte hatte, ist ihr ebenfalls ein Rätsel. Sie ist bereit, diesen Kontaktmann zu suchen.
Es versteht sich von selbst, dass die CIA-Agenten vor Ort Angela ebenfalls beschatten. Milo hat ihren auffälligen Lieferwagen sofort entdeckt und steigt jetzt einfach zu Agent Einner ein. Sie folgen Angela zu ihrer Wohnung, entdecken zu ihrem Leidwesen aber auch zwei Beschatter, die wohl der französische Inlandsgeheimdienst geschickt hat. Zu dumm. Jetzt müssen sie die erst abschütteln. Erst spät abends kommt Milo dazu, bei Angela zu klingeln. Er hat Einner darum gebeten, die Abhörgeräte und die Videoüberwachung für die Dauer dieses Besuchs abzuschalten, glaubt aber selbst nur halb daran, dass Einner seiner Bitte entspricht.
Als er am nächsten Morgen in seinem Hotelzimmer erwacht, steht schon Einner auf der Matte: Angela ist tot. Mit Barbituraten vergiftet, die gegen ihre Schlafmittel ausgetauscht worden waren. Und von Angelas letzten Stunden während Milos Besuch gibt es tatsächlich keine Aufzeichnung. Die wäre jetzt natürlich sehr hilfreich, denn automatisch steht Milo unter dringendem Verdacht. Milo beteuert sofort seine Unschuld, hat aber keine Beweise. Er stellt Vermutungen an: War es Angelas lesbische Ex-Geliebte, der französische Geheimdienst, die Chinesen oder ein unbekannter Gegenspieler von der Seite eines Herbert Williams?
Tom Grainger teilt ihm mit, dass der Heimatschutz von Angelas Tod Wind bekommen hat und seinen Arsch haben will. Graingers Boss Fitzhugh will ihn ebenfalls dringend sprechen, ist ja klar, um seinen eigenen Arsch aus der Schusslinie zu bringen. Doch Milo gerät vielleicht ein ganz klein wenig in Panik und macht sich lieber vom Acker. Als er in Angelas Zweitwohnung (nach einer akrobatischen Klettereinlage) ein verstecktes Dokument über den „Tiger“ und die Sudan-Connection gefunden hat, weiß er, dass er erst mal in die Schweiz fahren muss: In Genf hatte „Tiger“ Harris Geld von einem Mann namens Tomas Vinterberg erhalten.
„Rein zufällig“ wohnt in Genf auch ein alter Bekannter Milos: der zwielichtige, pädophile Russe Ugrimow, den er zuletzt in Venedig kennenlernte. Auch er hat seine Finger im Sudangeschäft …
_Mein Eindruck_
Streckenweise erinnerte mich das Schicksal Milo Weavers an das von CIA-Mitarbeiter Joe Turner in „Die drei Tage des Condors“, einem Film von Sidney Pollack aus dem Jahr 1975. Hier wie dort herrscht Paranoia auf allen Seiten. Die „Firma“ ist immer noch von Misstrauen durchdrungen, nicht bloß gegen den Feind, sondern auch gegen ihre eigenen Agenten. Ist Milo umgedreht worden? Für wen arbeitet er jetzt?
|Touristen|
Aber es gibt ein paar Unterschiede zu 1975, als die Watergate-Affäre die Schlagzeilen bestimmte. Nun konkurrieren 16 US-Geheimdienste untereinander und mit dem neuen Heimatschutzministerium. Alle buhlen um das Vertrauen des US-Präsidenten, selbst wenn sie schwarze Operationen durchführen. Für diese Black-Ops sind die „Touristen“ zuständig, selbständig arbeitende Attentäter, die im Auftrag der „Reiseabteilung“ der CIA Leute umlegen.
Tom Grainger und sein Chef Fitzhugh sind solche „Reiseleiter“, mit einem geheimen Stockwerk mitten in New York City. Auffällig ist die Einsamkeit dieser Spezies Mensch: Grainger ist Witwer, Fitzhugh geschieden und Außendienstler Einner noch nicht mal verheiratet. Selbst Angela Yates ist solo, nachdem ihre Geliebte sie betrogen hat: Die war vom französischen Geheimdienst auf sie angesetzt worden.
|Nestwärme|
Deshalb bildet Milo eine große Ausnahme in dieser Gemeinde aus Einzelgängern. Sein Vorteil ist die Nestwärme, die ihm seine Frau Tina und seine sechsjährige Tochter Stephanie geben. Diese Menschen bestimmen die Art und Weise seines Handelns. Aber die Familie ist auch seine Achillesferse: Durch sie ist er erpressbar. Und ständig muss er Tina vorlügen, dass er mal wieder auf einem „dringenden Geschäftstermin“ ist, wenn er jemanden umlegen soll. Es kann nicht ausbleiben, dass diese Lügen auffliegen und Tina das Vertrauen in ihn verliert.
|Geschichtenerzähler|
Alle Touristen sind Geschichtenerzähler, lautet deshalb der Titel des zweiten Buchteils. Die Geschichten retten ihnen die Haut und erhalten das Vertrauen ihrer „Kontakte“, sei es die Familie oder die CIA selbst. Dumm läuft es allerdings, wenn Geschichten miteinander in Konflikt geraten und die Einsatzleitung nicht weiß, welches die richtige bzw. wahre ist – wobei „Wahrheit“ immer ein dehnbarer Begriff ist. Meist wollen die Geheimdienste nicht die objektive Wahrheit, sondern eine Geschichte, die ihnen in den Kram passt und die sie glauben können. Originalton von Joe Turner: „Ihr glaubt wohl, bei einer Lüge nicht erwischt zu werden, sei dasselbe wie die Wahrheit zu sagen.“ Das bringt es auf den Punkt.
|Vom Regen in die Traufe|
Als Milo in die USA zurückkehrt, will er Tina überreden, mit ihm unterzutauchen. Sie lehnt rundweg ab, denn sie will ihrer Tochter kein Leben auf der Flucht zumuten. Während sie zu ihrem Ex-Freund zurückgeht, bleibt Milo nur der Weg, sich „der Firma“ zu stellen. Bevor er in die Zentrale geht, verabredet er sich mit Tom Grainger. Doch das Treffen in den Bergen wird zu einem blutigen Fiasko: Milo wurde zum Abschuss freigegeben – aber von wem? Von Tom oder von seinem Chef Fitzhugh? Um dies herauszufinden, begibt er sich in die New Yorker Zentrale und lässt sich widerstandslos festnehmen und einlochen. Denn er weiß: Er hat eine Geschichte zu erzählen, und solange er sich an sie hält, wird er dafür den richtigen Käufer finden – entweder Fitzhugh oder den Heimatschutz.
|Doppelleben|
Dass seine Lügen über sein Leben vor der Ehe mit Tina auffliegen werden, hat Milo einkalkuliert: Seine ungewöhnlich guten Russischkenntnisse, seine deutsche Mutter Ellen, die in den siebziger Jahren als Terroristin aktiv war, zu guter Letzt sein russischer Vater Jewgeni – und der Großvater, der ein ganz besonders dunkles Geheimnis hütet. Janet Simmons, die Agentin des Heimatschutzministeriums, bekommt Fotos und Dokumente zugespielt, die in eine Richtung deuten: auf Fitzhugh und seine „Reiseabteilung“. Über kurz oder lang wird es zwischen den beiden gewaltig krachen, aber dabei kommt heraus, dass Fitzhugh für einen bestimmten Senator arbeitet – aber nicht mehr lange …
|Smileys Leute|
Alle Rezensenten sind sich einig, dass Steinhauers Roman es mit den Agentenromanen John le Carrés aufnehmen kann, ja, sogar jetzt schon ein Klassiker des Spionagegenres sei. Es ist unübersehbar, wie ähnlich Steinhauer seine Hauptfigur im Stil von Agent Smiley und seinen Leuten angelegt hat. Im Gegensatz zum verbreiteten Thriller interessiert sich der Autor nicht für vordergründige Action, sondern für die Spannungen im privaten und beruflichen Leben der Agenten. Als aktive Mitarbeiter des Systems sind sie zugleich auch dessen Opfer, und das wiederum wirft ein bezeichnendes Licht auf jene Gewaltigen, die das System schaffen und manipulieren, nämlich die Politiker. Dem Weg Milo Weavers zu folgen, bedeutet, ins Herz der Finsternis zu wandeln, die im Kern des Systems herrscht: absolute Unwahrheit und absolute Gewissenlosigkeit.
|Die Übersetzung|
Wie so oft bei Hardcover-Ausgaben, gibt es auch hier kaum irgendwelche Fehler in der Übersetzung zu beanstanden. Bei hochpreisigen Büchern steckt der Verlag einfach mehr Geld in die Fehlerkorrektur. Daher ist auch hier die Lektüre eine fast ungetrübte Freude. Ich fand keinen einzigen stilistischen oder sprachlichen Fehler, und lediglich hier und da tauchte mal eine falsche Wortendung auf.
_Unterm Strich_
Wer John le Carré mag, der kommt auch bei Steinhauer auf seine Kosten. Er zeigt wie le Carré das Innenleben des Agenten-Universums, setzt mehr auf psychologische Spannung als auf vordergründige Action – obwohl es an dieser ebenfalls nicht mangelt. Milo Weaver ist in diesem Milieu eine Ausnahmeerscheinung, weil er eine Familie hat. Doch wie lange wird diese noch seine Lügen glauben, fragt sich der Leser.
Der politische Aufhänger ist ein internationales Interessengerangel um das Erdöl des Sudans, was mich ebenfalls an den Robert-Redford-Film „Die drei Tage des Condors“ aus dem Jahr 1975 erinnert hat. Im Sudan spielen Chinesen und Amerikaner mit dem Diktator Machtspiele und aktivieren ab und zu schon mal den Volkszorn, wenn ein islamischer Mullah ermordet wird.
Für den Leser ist es eine Denksportaufgabe, all die Figuren, Beziehungen, Organisationen, ihre „Geschichten“ und Lügen auseinanderzuhalten und zueinander in Beziehung zu setzen. Aber Steinhauer tut sein Möglichstes, um diese nicht ganz einfache Aufgabe zu erleichtern, indem er nämlich immer mal wieder Rückschau hält und resümierend zusammenfasst. Das erledigt natürlich Milo für ihn, und er tut es in verständlichen Begriffen.
Milo ist am Ende ein Tourist in seinem eigenen Leben – oder was davon noch übrig geblieben ist, nachdem man ihn bei CIA und Heimatschutz durch die Mangel gedreht hat. Es ist eine traurige Szene, wie er unerkannt beobachtet, wie seine Tochter Stephanie von ihrem neuen Daddy Patrick von der Schule abgeholt wird. Aber Hauptsache, Milo ist wieder in Freiheit. Und einen schönen blauen Pass der Vereinigten Staaten von Amerika hat er auch, genau so einen, wie er auf dem Schutzumschlag nachgebildet ist (man beachte die 13 Sterne im Wappen – sie stehen für die Gründungsstaaten der Union). Aber er hat es geschafft, nicht wie Benjamin „Tiger“ Harris zu enden, mit einem Giftzahn im Mund.
|Origitnaltitel: The Tourist, 2009
Aus dem US-Englischen von Friedrich Mader
543 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-453-26610-0|
http://www.heyne.de
_Zwischen Killern und schönen Frauen: Bourne in neuer Mission_
Jason Bourne kommt nicht zur Ruhe: Eine Gruppe islamistischer Terroristen plant den finalen Schlag gegen die USA. Bourne wird ausgesandt, das Dokument, in dem das Ziel des Anschlags festgelegt ist, zu finden. Dabei gerät er ins Visier der Terroristen und des amerikanischen Geheimdienstes, für den er ein Unsicherheitsfaktor ist. Bourne entgeht nur knapp einer Serie von Mordanschlägen, aber schließlich gelingt es ihm, die brisanten Pläne an sich zu bringen.
Zu seiner Bestürzung erfährt er, dass ein Spion aus den eigenen Reihen dem muslimischen Netzwerk angehört. Erst im letzten Augenblick erkennt Bourne, wer der eigentliche Drahtzieher des drohenden Anschlags ist und wo die Terroristen zuschlagen wollen. Doch es scheint zu spät zu sein …
_Die Autoren_
a) Robert Ludlum wurde 1927 in New York City geboren. Nach dem II. Weltkrieg begann er eine Karriere als Schauspieler, die er verfolgte, bis er vierzig wurde, also bis 1967. Er studierte Kunstgeschichte und fing mit dem Schreiben an. 1971 schießt sein erster Thriller „Das Scarlatti-Erbe“, an dem er 18 Monate schrieb, an die Spitze der Bestsellerlisten. Als ähnlich erfolgreich erwiesen sich auch alle weiteren Romane, so etwa „Das Osterman-Wochenende“ (verfilmt), „Die Scorpio-Illusion“ oder „Der Ikarus-Plan“.
Seine Erfahrung als Schauspieler kam ihm zugute: „Man lernt, wie man die Aufmerksamkeit des Publikums behält.“ Seine Bücher wurde in mehr als 30 Sprachen übersetzt und erreichten eine Auflage von mehr als 280 Millionen Exemplaren (Verlagsangabe Heyne). Zuletzt wurden die drei legendären Bourne-Thriller mit Matt Damon höchst erfolgreich verfilmt. Ludlum lebte bis zu seinem Tod am 12. März 2001 mit seiner Frau Mary und seinen Kinder in Florida und Connecticut.
Mehrere Autoren schreiben an den Serien, die Ludlum schuf, weiter. Derzeit befinden sich die Verfilmungen zu „The Matarese Circle“/“Der Matarese-Bund“ (mit Denzel Washington) und „The Chancellor Manuscript“/“Das Kastler-Manuskript“ (mit Leonardo DiCaprio) in der Produktion. Außerdem gibt es seit 2008 das Videospiel „Robert Ludlum’s: Das Bourne-Komplott“ für |PlayStation 3| und |Xbox360|.
1) Die Bourne-Identität
2) Das Bourne-Imperium
3) Das Bourne-Ultimatum
4) [Das Bourne-Vermächtnis 5355 (von Eric Lustbader)
5) [Der Bourne-Betrug 5537 (von Eric Lustbader)
6) Das Bourne-Attentat (von Eric Lustbader, 2008)
7) The Bourne Deception (von Eric Lustbader, 2009)
Eric Van Lustbader, geboren 1946, ist der Autor zahlreicher Fernost-Thriller und Fantasyromane. Er lebt auf Long Island bei New York City und ist mit der SF- und Fantasylektorin Victoria Schochet verheiratet. Sein erster Roman „Sunset Warrior“ (1977) lässt sich als Sciencefiction bezeichnen, doch gleich danach begann Lustbader (das „Van“ in seinem Namen ist ein Vorname, kein holländisches Adelsprädikat!), zur Fantasy umzuschwenken.
1980 begann Lustbader mit großem Erfolg seine Martial-Arts-&-Spionage-Thriller in Fernost anzusiedeln, zunächst mit Nicholas Linnear als Hauptfigur, später mit Detective Lieutenant Lew Croaker: The Ninja; The Miko; White Ninja; The Kaisho usw. Zur China-Maroc-Sequenz gehören: Jian; Shan; Black Heart; French Kiss; Angel Eyes und Black Blade. Manche dieser Geschichten umfassen auch das Auftreten von Zauberkraft, was ihnen einen angemessenen Schuss Mystik beimengt.
_Handlung_
Jason ist ein Mann mit einer gespaltenen Persönlichkeit. Diesmal muss er sich zwischen Jason Bourne, dem tödlichen Killer, und David Webb, dem friedlichen Sprachwissenschaftler, entscheiden. Bei dieser Wahl hilft ihm Moira Trevor, die schöne Witwe seines besten Freundes Martin Lindros, der in „Der Bourne-Betrug“ ums Leben kam – wofür sich Jason immer Vorwürfe machen wird. Moira bittet ihn, die geheimen Sicherheitsmaßnahmen ihres privaten Sicherheitsdienstes Black River für ein neues Flüssiggas-Terminal zu überprüfen. Sie verrät ihm, dass sie Informationen hat, dass ein Anschlag geplant sei. Und tatsächlich: Sie wird bereits beschattet: vom Geheimdienst CI, Jasons früherem Arbeitgeber
Auch sein Mentor, der Sprachprofessor Dominic Specter, wird beschattet, doch Jason vereitelt einen Entführungsversuch. Ein Tattoo des Killers zeigt einen Totenschädel, der von drei Pferdeköpfen umrahmt wird. Das sei das Emblem der Schwarzen Legion, berichtet Specter und offenbart, er selbst sei ein Terroristenjäger. Die Schwarze Legion sei eine geheime Terrororganisation, die von der SS im Dritten Reich gegründet wurde, nachdem 1941 die Wehrmacht die Sowjetunion überfallen hatte. Die Schwarze Legion rekrutierte sich aus muslimischen Ex-Russen und werde heute von einem Exilrussen namens Semjon Ikupov geleitet. Niemand wisse von ihr, weil sie sich hinter der friedlichen zivilen Organisation der Eastern Brotherhood verberge.
Doch nun habe die Schwarze Legion ein großen Anschlag vor – eben jenen, von dem Moira Jason berichtete. Die Legion habe Specters Verbündeten Pjotr Zilber getötet, so dass dessen Netzwerk in Gefahr geraten sei. Der allein arbeitende Killer sei ein durchgeknallter Russe namens Leonid Arkadin, der offenbar ein bestimmtes Dokument suche, das Pjotr Zilber vom Feind stehlen konnte. Es handle sich wohl um den Bauplan für ein Anschlagsziel: ein Gebäude irgendwo an der amerikanischen Ostküste. Der Bauplan würde verraten, welches Gebäude das Ziel sei. Jason sagt seinem Mentor seine Hilfe zu, nicht zuletzt auch wegen Moiras Information und aus Sorge um viele Menschenleben.
Doch bevor er nach Moskau fliegen kann, gerät er in Washington, D.C., beinahe selbst unter die Räder. Nach dem Tod des Alten Herrn (in „Der Bourne-Betrug“) hat eine ehemalige privatwirtschaftliche Sicherheitsspezialistin namens Veronica Hart den freigewordenen Posten als Chefin des Geheimdienstes Central Intelligence erobert. Sofort ist sie von Feinden umringt, allen voran der Verteidigungsminister und dessen Geheimdienst NSA. Die NSA will die CI übernehmen, ganz besonders deren Vorderasien-Abteilung Typhon, die Martin Lindros leitete. Doch weder dessen jetzige Direktorin Soraya Moore, eine alte Bekannte Jasons, noch Veronica Hart haben die Absicht, den Kommissköppen ihre Organisation kampflos zu überlassen.
Die NSA will Jason Bourne nun dazu benutzen, um entweder die CI bloßzustellen oder um einen Helfer ärmer zu machen. Aber dazu müssen sie ihn erst einmal kriegen. Sie wenden alle Tricks an, um ihn zur Strecke zu bringen. Zu guter Letzt schickt der Sekretär des Verteidigungsministers wutentbrannt seinen besten Killeragenten aus Afghanistan nach Moskau, um Jason in der russischen Hauptstadt zu erledigen …
_Mein Eindruck_
Wie so häufig in Eric Lustbaders Romanen verläuft die Handlung in mindestens drei Hauptsträngen, die dann im Finale zusammengeführt werden. Diesmal folgen wir den Wegen von Jason Bourne, Soraya Moore und Leonid Arkadin. Sobald Jason Washington verlassen hat, ist die Verbindung zu Soraya nur noch sehr lose, doch weil die NSA-Leute Jason auch im Ausland jagen, kann Soraya einmal Jason rechtzeitig vor ihnen warnen.
|Arkadin, das Spiegelbild|
Das Verhältnis zwischen Jason und Arkadin ist jedoch ein ganz spezielles: Der eine erblickt im anderen sein seelisches Spiegelbild. Wie der Autor in zahlreichen Rückblenden erkundet, hat Arkadin ein ähnlich verlustreiches Leben geführt wie Bourne, doch im Gegensatz zu Bourne ist es Arkadin nie gelungen, den Schrecken dessen, was er verdrängt, zu verarbeiten, geschweige denn, die daraus resultierende Leere durch eine bedeutungsvolle Partnerbeziehung zu füllen.
Wo Bourne seine Marie (und zwei Kinder, die jetzt in Sicherheit sind) hatte, ergaben sich bei Arkadin nur eine Reihe von kurzfristigen Beziehungen, die meist zweckbestimmt waren. Deshalb ist es nun für Arkadin von großer Bedeutung herauszufinden, was seine neueste Beziehung zu der Moskauer Prostituierten Devra für ihn bedeutet. Liebt er sie am Ende wirklich? Er kann es nicht sagen, denn er hat nie erfahren, wie sich Liebe anfühlt.
Wie Bourne hat er keine verwundbaren Punkte in seiner Psyche, denn jede/r, der ihm zu nahe kommt, muss daran glauben. Arkadin ist in der Tat eine furchteinflößende Figur in diesem Roman, ein würdiger Gegner für einen vollendeten Krieger wie Bourne. Kein Wunder, dass diesen beiden das Finale gehört. Schließlich hat Bourne Arkadins engsten Freund getötet.
|In Moskau|
Bei seiner Suche nach der Schwarzen Legion mischt Bourne die Unterwelt von Moskau mächtig auf. Wir erhalten Einblick in die Machtstrukturen dieser Weltstadt. Die Oligarchen stehen mit ihren Machtapparaten, den Geheimdiensten, auf der einen Seite, auf der anderen Seite befinden sich zwei Clans der Drogenmafia, die sich bekriegen. Zwar erteilt Prof. Specter seinem Helfer Bourne den dringenden Rat, sich mit keiner dieser „grupperovka“ anzulegen, doch das lässt sich natürlich nicht vermeiden. Und so landet Bourne schließlich in einem Zimmer vor dem Anführer eines dieser Clans. Es ist eine interessante Unterhaltung: über Arkadin, dessen Anhängerschaft und vor allem über seine Mitgliedschaft in der Schwarzen Legion. Bourne stößt auf merkwürdige Widersprüche.
Diese Widersprüche gilt es aufzuklären. Wir machen uns unseren eigenen Reim darauf. Könnte es sein, dass man Bourne schon wieder hereingelegt hat? Und zusammen mit ihm werden auch wir an der Nase herumgeführt. Am Schluss sind wir völlig verwirrt und eine Menge Fragen harren der Beantwortung. Die Antworten fand ich jedenfalls nicht sonderlich überzeugend und legte den Roman etwas unzufrieden aus der Hand.
|Der McGuffin|
Arkadin und seine Geliebte Devra folgen Pjotr Zilber in ein Netzwerk, in dem die Baupläne für das Anschlagsziel weitergereicht werden. Arkadins Auftritt ist stets tödlich, und es ist gar nicht so wichtig, was das für ein Dokument ist, dem er hinterherjagt: ein klassischer [McGuffin]http://de.wikipedia.org/wiki/McGuffin von Hitchcock’schem Zuschnitt. Schließlich erweist sich diese ganze Aktion als belangloses Ablenkungsmanöver, das die diversen Geheimdienste auf eine falsche Spur locken soll, vor allem die NSA. Das klappt auch hervorragend. Das eigentliche Anschlagsziel ist derweil völlig ungeschützt. Wird Jason Bourne noch rechtzeitig eintreffen?
|Die Übersetzung|
Die Übersetzung durch Norbert Jakober überzeugte mich durch einen verständlichen Stil, der gediegen, aber nicht gestelzt wirkt. Alle Namen, die ich aus dem amerikanischen Original kenne, wurden natürlich an die deutsche Schreibweise angepasst, so wurde aus „Icoupov“ ein „Ikupov“, was sich auch leichter aussprechen lässt.
Was die allfälligen Fehler in deutschen Übersetzungen anbelangt, so durfte ich erfreut feststellen, dass sie fast gar nicht vorhanden sind. Es sind lediglich Flüchtigkeitsfehler. Einmal schreibt der Übersetzer „was“ statt „war“ und der Name „Cambridge“ statt „Cambrigde“, das hier zu lesen ist, scheint ihm auch schwergefallen zu sein. Doch bei so wenigen und lässlichen Fehlern wird die Lektüre zum ungestörten Vergnügen.
_Unterm Strich_
Diesmal bekommt es Jason Bourne mit einem allein arbeitenden russischen Killer und einer alten Nazi-Organisation aus den eroberten Gebieten der Sowjetunion zu tun, der Schwarzen Legion. Die Spur führt über Moskau nach München. Dessen Beschreibung fand ich bestürzend negativ und unausgewogen. Die Szenen in Dachau wirkten auf mich hingegen aufschlussreich und bewegend.
Wieder mal verstrickt sich Bourne in einem Dickicht aus Täuschungen und muss sich obendrein des US-Geheimdienstes NSA des Pentagons erwehren. Seine Freunde bei Central Intelligence sind schwer damit beschäftigt, einen Übernahmeversuch der NSA abzuwehren, der mit Härte und Hinterlist geführt wird. Am Schluss führen alle Fäden zusammen, und natürlich kommt es zu diversen Showdowns.
Ob Bourne in Moira Trevor endlich eine Gefährtin fürs Leben gefunden hat, ist abzuwarten. Diesmal sind seine Flashbacks jedenfalls fast gar nicht vorhanden. Dafür hat sein Gegner Arkadin um so mehr davon. Und in der Fortsetzung „The Bourne Deception“ könnten wir möglicherweise mehr über Arkadin erfahren, sofern es Jason Bourne nicht geschafft hat, ihn ins Jenseits zu befördern.
Die Übersetzung fand ich diesmal wirklich gelungen. Weil sie fast fehlerfrei ist, kann man das Buch auch völlig ungestört genießen.
|Originaltitel: The Bourne Sanction, 2008
Aus dem US-Englischen von Norbert Jakober
608 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3453266247|
http://www.heyne.de
_Zweifelhafte Auswahl: Die Helden von Bern und andere Denkmäler_
Dieses Buch wendet sich „an alle echten Helden zwischen 8 und 88“, tönt die Verlagsinfo. Hier werde von „klugen Köpfen, Ketzern, Kämpfern, Kaisern und Kindsköpfen“ berichtet. Tatsächlich stellt das „Handbuch“ 46 Personen und vier Organisationen vor, die sich für das Gute einsetzten oder große Eroberungen und Entdeckungen machten. Die Aufmachung des Buches entspricht dem der Bücher „Dangerous Book for Boys“ und „Secret Book for Girls“.
Der Verlag empfiehlt das Buch ab 10-11 Jahren.
_Die Autoren_
Selbstbeschreibung: „Ian und Jeff Kennedy hatten schon als Kinder auf dem Schulhof die Helden gespielt und wären am liebsten Entdecker oder Astronaut geworden. Oder Indianerhäuptling oder Freiheitskämpfer. Am besten alles auf einmal. Gerne hätten sie mehr über Helden gelesen, doch ein Buch wie dieses gab es nicht. Helden sind sie nicht geworden, dafür aber Schriftsteller, die über Helden schreiben können. Und genau das haben sie getan. Ian und Jeff Kennedy hatten schon als Kinder auf dem Schulhof die Helden gespielt und wären am liebsten Entdecker oder Astronaut geworden. Oder Indianerhäuptling oder Freiheitskämpfer. Am besten alles auf einmal. Gerne hätten sie mehr über Helden gelesen, doch ein Buch wie dieses gab es nicht. Helden sind sie nicht geworden, dafür aber Schriftsteller, die über Helden schreiben können. Und genau das haben sie getan.“
_Inhalt_
Die Autoren sagen: „Wir wollen in diesem Handbuch all jene feiern, die für das Gute gekämpft haben – oder das, was sie dafür hielten -, zu neuen Horizonten aufbrachen, faszinierende Entdeckungen machten, spektakuläre Taten vollbrachten und zu Lebzeiten die Grenzen des Bekannten neu vermaßen.“ Man merkt schon, dass diese Kriterien für eine ganze Menge Leute zutreffen könnten.
|Die Entdecker|
Dass sich Christoph Columbus, Marco Polo und Robert F. Scott unter den Entdeckern befinden würden, war eigentlich zu erwarten. Blöd finde ich es aber doch, dass nicht Amundsen als erster Eroberer des Südpols aufgenommen wurde, sondern Scott, der das Wettrennen gegen ihn verlor. Scott ist durch seinen Tod eben ein tragischer Held geworden, Amundsen steht als Abräumer da.
|Die Eroberer|
Julius Caesar und Alexander den Großen unter die Helden aufzunehmen, ist schon ziemlich kühn. Was war denn ihr Verdienst? Sie eroberten große Gebiete für ihre jeweiligen Imperien, führten eigene Standards ein – sogenannte Zivilisation – und gründeten jede Menge Städte. Doch Caesar wurde bekanntlich ermordet, bevor er Imperator werden konnte, und der Imperator Alexander fiel einem Fieber zum Opfer – dumm gelaufen. Aber auch heldenhaft? Ich habe da meine Zweifel.
|Wissenschaftler und Forscher|
Madame Curie ist für mich eine echte Heldin. Als Marie Sklodowska nach Paris kam, forschte sie als eine der ersten Frauen überhaupt im Bereich der Physik und der Chemie. Zusammen mit ihrem Mann Paul Curie erforschte sie das Element Radium und postulierte eine Kraft, die sie „Radioaktivität“ nannte. Sie erhielt zweimal den Nobelpreis, einmal in der Physik, einmal in der Chemie, und befindet sich damit im extrem exklusiven Klub der Doppelpreisträger. Klar, dass ihr ihre Umwelt das Leben schwer machte. Lise Meitner, eine der Pionierinnen der Atomkraft, erging es nicht besser.
Dass Wernher von Braun ein Held sein soll, will mir nicht einleuchten. Der Ingenieur, der für die Nazis die V2-Rakete baute, trug zum Tod von vielen Menschen in den V2-Zielorten bei, besonders in London. Auch der Bau selbst kostete unzählige Sklavenleben in Mittelbau Dora. Okay, seine späteren amerikanischen Raketen brachten Menschen zum Mond und er wollte auch Männer zum Mars schicken, aber das wiegt seine Verbrechen wohl kaum auf. Kein Wunder, dass ihm Neil Armstrong als erster Mann auf dem Mond an die Seite gestellt wird, denn beide sollen angeblich den Herrschaftsbereich des Menschen erweitert haben. Ob das so eine gute Sache ist, bezweifle ich.
|Widerstandskämpfer|
Spartacus, Chief Crazy Horse, Mahatma Gandhi, Dietrich Bonhoeffer, Nelson Mandela, Die Weiße Rose und Jeanne d’Arc – sie alle waren Widerstandskämpfer, sei es gegen die Sklaverei, Landräuber, die Kolonialmacht, gegen die totalitären Unterdrücker oder gegen die Besatzer des eigenen Landes. Dies kann man voll unterschreiben. Und dies ist auch die Gruppe von „Helden“, die immer wieder ein Denkmal gesetzt bekommen sollten, sei aus Stein oder Zelluloid. Ihr Ideal ist die Freiheit.
|Glaubenskämpfer|
Jeanne d’Arc starb als Ketzerin auf dem Scheiterhaufen, nicht als Widerstandskämpferin. Dennoch ist sie auch eine Glaubenskämpferin gewesen, denn sie kämpfte im Namen des katholischen Glaubens gegen die Engländer. An ihre Seite stellt das Buch Martin Luther, aus offensichtlichen Gründen, aber auch Jan Hus, ein Theologe und Reformator, den heute kaum noch jemand kennt. Ob auch Martin Luther King hierher gehört, weiß ich nicht, denn er ist auch als Freiheitskämpfer bekannt – er erhielt den Friedensnobelpreis. Ihr Ideal ist die Freiheit des Glaubens.
|Frauen|
Auch Frauen mussten gegen jede Menge Widerstände kämpfen. Hier sind Kleopatra, die auch ihr Land gegen Rom verteidigte, Katharina die Große, Mata Hari, die Spionin, die Frauenrechtlerin Olympe de Gouges sowie die Suffragette Emmeline Pankhurst (1858-1928) aufgeführt. Ihnen zur Seite stehen so unterschiedliche Figuren wie Mutter Teresa, Florence Nightingale – Vorbild sämtlicher Krankenschwestern in aller Welt – und zum guten Schluss sogar die zwei Piratinnen Anne Bonny und Mary Read. Ich weiß ja nicht, was so heldenhaft am Erschießen von Matrosen und dem Raffen von Beute sein soll, aber die beiden mussten sich offensichtlich in einer rein männlichen Umgebung behaupten, was sie offenbar auch lange Zeit schafften.
|Organisationen|
Die Weiße Rose habe ich bereits bei den Widerstandskämpfern erwähnt. Die Ärzte ohne Grenzen sind als Helden für die Verpflegung und Heilung von Katastrophenopfern ebenfalls wichtig. Dass auch die Gegner der McCarthy-Verfolgung hier aufgeführt werden, verwundert ein wenig, aber sie zeichneten sich gewiss durch Zivilcourage aus, als sie gegen Senator Joe McCarthy ihre eigene Position verteidigten. Dass die deutsche Fußballnationalmannschaft von 1954 in diesem Rahmen aufgeführt würde, war zu erwarten: „Die Helden von Bern“ stehen schon längst auf dem Sockel des Heldentums.
|Kindsköpfe|
Hier ist sicherlich Karl May aufzuführen, der sich als Dieb und Hochstapler versuchte und damit im Knast landete. Als Lohnschreiber von Liebesromanen begann er mit 31, einen ehrlichen Lebensunterhalt zu verdienen. Erst mit Reiseerzählungen über Helden erlangte er weithin Erfolg. Doch die Vergangenheit holte ihn wieder ein, als er zu viel verdiente. In hohem Alter erst predigte er Frieden und Aussöhnung, in seinen Romanen und in einem denkwürdigen Vortrag 1912, den die spätere Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner hörte. Als weitere Kindsköpfe könnten sich Howard Hughes und Charles Lindbergh sowie Ian Fleming, der Erfinder des James Bond, qualifizieren.
_Mein Eindruck_
Jeder der 50 Artikel ist relativ gleich aufgebaut. Das Heldenhafte des hier Ausgezeichneten oder seiner Organisation muss sich aus seiner Biografie ergeben. In dieser zeigen sich seine entsprechenden Aktivitäten, um als Beleg zu dienen. Selbst wenn dies bedeutet, solche Verbrechen wie Diebstahl und Hochstapelei aufzuführen, wie es bei Karl May der Fall ist. Meist klappt das Prinzip jedoch, und die Artikel über Madame Curie und Emmeline Pankhurst beeindruckten mich besonders.
Zu jedem Artikel ist Begleitmaterial hinzugefügt, meist ein oder zwei Fotos, ein Literatur- oder Filmhinweis – nach dem Motto: „Wie es weiterging“. So wird die Wirkung der Heldin oder des Helden beschrieben, was wiederum als Beleg für die Bedeutung der Person oder Organisation dient.
Mit leuchtet diese Verfahrensweise der Autoren sofort ein, denn nichts ist anschaulicher als eine Lebensgeschichte, um ein Problem oder eine Heldentat zu beleuchten, sei es ein Befreiungskampf, eine Entdeckung, der Kampf um Freiheit und Frauenrechte. Und was könnte für einen jungen Leser inspirierender sein als so ein leuchtendes Vorbild, wie es ihm und ihr hier vorgestellt wird?
Womit ich ein Problem habe, ist lediglich die Auswahl der Helden. Müssen Massenmörder wie Napoleon Bonaparte, Julius Caesar, Alexander der Große und Wernher von Braun wirklich als Vorbild dienen? Ich bin damit nicht einverstanden. Na, wenigstens werden Piraten wie Francis Drake, der England vor der Spanischen Armada rettete, oder Landräuber wie Francisco Pizarro nicht mehr, wie in meiner Kindheit, als Helden hingestellt.
Es gibt sicherlich eine Menge Leute, die im erlauchten Kreis der Top Fifty fehlen, so etwa Leif Eriksson, der erste Entdecker Amerikas, oder Albert Schweitzer, immerhin ein Friedensnobelpreisträger. Der Nobelpreis ist bei erstaunlich vielen „Helden“ ein Auswahlkriterium, so etwa für Nelson Mandela und Martin Luther King, für Madame Curie und andere.
|Fehler|
Im Artikel für Abraham Lincoln, den Sklavenbefreier, ist auf Seite 41 ein Bild enthalten, das nicht Lincoln, sondern George Washington am Mount Rushmore zeigt. Peinlich.
Auf Seite 22 ist in einer Karte das westliche Mittelmeer dargestellt, um das sich Karthago und die Römer in drei Kriegen stritten. Leider haut die Legende für die Karte überhaupt nicht hin, denn die schraffiert dargestellten Gebiete sind nicht der „Machtbereich Roms“, sondern der von Karthago, und die horizontal schraffierten Gebiete sind nicht der „Machtbereich Karthagos“, sondern der von Rom. Megapeinlich.
Auf Seite 169 findet sich ein weiterer kleiner Fehler im Kasten über Mahatma Gandhis Medienwirkung. Da ist die Rede von einem Regisseur namens „Richard Atten Borough“ (Sir Richard Attenborough), immerhin ein OSCAR-Preisträger. Na ja. Solche Fehlerchen werden dann hoffentlich in der zweiten Auflage bereinigt.
_Unterm Strich_
Die Autoren schreiben, was für sie Helden sind: „Leute, die sich was trauten, was vor ihnen keiner gewagt hat, und sich für Sachen ohne Wenn und Aber einsetzten, an die sie glaubten. Und sie haben damit den Lauf der Geschichte geprägt.“ Diese Definition trifft sicher für Eroberer, Entdecker, Erforscher und jede Menge Kämpfer für Freiheit, Rechte und Wahrheit zu, aber warum wurden dann auch Ian Fleming und Karl May in diesen illustren Kreis aufgenommen? Ganz einfach: Sie schufen künstliche Helden. Winnetou und James Bond sind aus der Kulturgeschichte nicht mehr wegzudenken, und es sind wohl die Ideale, für die sie kämpften, die ihre Schöpfer als Heldengestalten qualifizieren.
Ich fand manche der 50 Artikel recht interessant und sogar faszinierend – denn informativ und anschaulich sind sie alle. Das waren die Geschichten über Marie Curie, Lise Meitner, die Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst, Karl May und Häuptling Crazy Horse (Stichwort „Schlacht am Little Bighorn“ 1876). Manche Personen wie die Spionin Mata Hari waren mir nur schemenhaft bekannt und manche wie die Frauenrechtlerin Olympe de Gouges gar nicht. Hier konnte auch ich noch einiges lernen. Und wenn man jungen Menschen solche geschichtlichen und biografischen Informationen gibt, finde ich das eine gute Sache, denn es trägt zu ihrer geistigen Bildung bei.
Die Aufmachung des Buches entspricht dem der Bücher „Dangerous Book for Boys“ und „Secret Book for Girls“. Das Buch ist also sehr stabil, reich illustriert und für den Gebrauch durch Kinderhände prädestiniert. Es fehlen lediglich ein paar freie Flächen, in die junge Leser eigene Gedanken hineinschreiben könnten.
Wenn die Fehlerchen, die ich in Text, Foto und Kasten gefunden habe, in der zweiten Auflage ausgemerzt würden, so wäre das sehr begrüßenswert.
Arianna, Ronny, Carl und Elinn – alle zwischen 13 und 15 Jahren alt – sind als erste Kinder auf dem Mars geboren worden und aufgewachsen. Doch im Jahr 2086 sollen sie gemeinsam mit anderen Marssiedlern zur Erde zurückkehren, weil machthungrige Politiker behaupten, das Marsprojekt sei gescheitert. Die Vorbereitung zur Stilllegung der Forschungsstation laufen bereits auf Hochtouren – aber die vier Jugendlichen sind fest entschlossen, auf dem Roten Planeten zu bleiben. Besonders Elinn, die aus medizinischen Gründen auf der Erde nicht überleben könnte. Sie büchsen aus und kommen einem verborgenen Geheimnis des Planeten auf die Spur.
Die uns vertraute Welt, in der wir lieben und leben, in der wir miteinander und gegeneinander kommunizieren, in der wir Freund- und Feindschaften aufbauen und uns materielle Güter zulegen, um unser Leben so angenehm wie möglich zu gestalten, vermischt sich zunehmend mit der virtuellen Welt des Internets.
Damit ist unsere Welt schon längst zu einem nicht mehr überschaubaren, kommunikativen Netzwerk mutiert. Viele Menschen verlieren den Bezug und die sozialen, menschlichen Bindungen in der realen, stofflichen Welt, und widmen sich mit aller Energie virtuellen Foren, Communities, Multiplayerspielen, Blogs usw. In diesen offenen Plattformen muss sich der Anwender persönlich profilieren, sprich: eine virtuelle Persönlichkeit aufbauen. Dass diese oftmals ein verzerrter Schatten ihrer selbst ist und sich der Mensch mit Fähigkeiten, Aussehen und einer falschen Persönlichkeit ausstattet, kann gefährlich sein, denn da alle Informationen frei zugänglich sind, ist die Gefahr von Verleumdung, Mobbing oder Stalking ein ernstes Thema, das schnell zu einer gefährlichen Bedrohung führen und reale Existenz zerstören kann.
Jeffery Deaver lässt in seinem aktuellen Thriller „Allwissend“ die Kinetikerin und Ermittlerin Kathryn Dance aus Kalifornien online wie auch offline auf Mörderjagd gehen.
_Inhalt_
Jeder kennt die an Kurven oder Schnellstraßen von Angehörigen aufgestellten Kreuze, die an den Unfalltod eines ihrer Lieben gemahnen sollen. Oftmals werden am Todestag Blumen oder eine Kerze an dieser Stelle zum Gedenken abgelegt. Als ein junger Streifenpolizist am 25. Juni am Straßenrand eines Highways Blumen und ein Kreuz entdeckt, auf dem eindeutig der folgende 26. Juni als Todesdatum zu lesen ist, geht er davon aus, dass die trauernden Angehörigen verwirrt waren und fährt, wenn auch ein wenig vorsichtiger, nach Hause.
Doch am besagten Tag wird eine junge Schülerin fast zum Opfer eines brutalen Mörders. Tammy Foster findet sich gefesselt und geknebelt im Kofferraum eines Autos wieder, das bei Ebbe inmitten eines Strandes stehen gelassen wurde, damit Tammy qualvoll mit der kommenden Flut ertrinkt. Tammy überlebt aber den Anschlag, da der Täter den Wagen nicht weit genug rausgefahren hat und Passanten das Auto rechtzeitig gesehen haben. Unterkühlt, aber lebendig kommt Tammy mit einem Schrecken davon.
Der mysteriöse Fall wird der Dienststelle von Kathryn Dance zugeteilt und die Verhör- und Kinetikspezialistin beginnt mit ihren Ermittlungen. Kathryn fängt an, Tammy Foster zum Hergang der Tat zu befragen. Kathryn ist eine äußerst talentierte Psychologin und Kinesikerin, die die Körpersprache treffend analysieren und interpretieren und damit die Lügen und Halbwahrheiten von Kriminellen wie auch Opfern durchschauen kann.
Im Krankenhaus, im Gespräch mit Tammy, wird Kathryn schnell klar, dass die junge Frau nicht ehrlich zu ihr ist und ihr vielleicht nicht die volle Wahrheit sagt. Ihre ganze Körpersprache und ihr sprachlicher Ausdruck lassen vermuten, dass sie unsicher ist und wohl Angst hat. Aber wovor, vor wem? Kathryn beobachtet, aber konfrontiert Tammy nicht mit ihren Vermutungen. Still und ruhig lässt sie sich erzählen, was Tammy von ihrer Entführung und dem Tathergang zu erzählen hat, oder besser gesagt, was sie nicht sagt.
In ihrem Auto, in dem Tammy ertrinken sollte, finden die Behörden ihr Notebook; das ist zwar vom Salzwasser beschädigt, aber Kathryn will unbedingt wissen, was sich auf der Festplatte des Rechners befindet, denn vielleicht führen die privaten Daten von Tammy zum Täter. Hilfe bekommt Kathryn von Prof. Jon Bolling, der an der hiesigen Universität lehrt und ein Experte für die neuen Medien ist.
Tatsächlich gelingt es Prof. Bolling, an die persönlichen Daten von Tammy zu kommen. Regelmäßig kommunizierte sie mit anderen Freunden auf einem Blog – dem Chilton Report. Tammy Foster hat sich ziemlich negativ über ein Thema ausgelassen, das zwar nicht sie direkt, aber Freundinnen betrifft, die bei einem Unfall ums Leben gekommen sind. Der Fahrer Travis Brigham hat überlebt und zieht den Zorn von einigen Bekannten und noch mehr Unbekannten auf sich, die ihn als Mörder abstempeln und ausgrenzen.
Travis ist in der Schule ein Außenseiter, ein Sonderling, gezeichnet von Akne im Gesicht; ein Einzelgänger, der sich anscheinend auch viel online bewegt. Als Kathryn Travis und seine Familie aufsucht, fällt ihr im Gespräch mit dem introvertierten Jungen auf, dass dieser innerlich vor Zorn bebt, und vielleicht ein Funken genügt, um ihn ausrasten zu lassen …
Zu allem Stress kommt noch hinzu, dass die Mutter von Kathryn Dance des vorsätzlichen Mordes angeklagt und verhaftet wird. Sie soll einen lebensgefährlich verletzen Polizisten, der im Krankenhaus lag, aktiv getötet haben. Da in Kalifornien Sterbehilfe gegen die Gesetze verstößt, könnte auf Kathryns Ma bei einer Verurteilung die Todeszelle warten …
Noch am selben Abend wird Kathryn zu einem weiteren Tatort gerufen, und diesmal gibt es einen Toten. Wieder wurde ein Kreuz gefunden und Indizien weisen darauf hin, dass Travis der Mörder gewesen sein könnte. Doch als Kathryn Travis und seine Familie aufsucht, ist dieser verschwunden – und mit ihm der Revolver seines Vaters …
_Kritik _
„Allwissend“ von Jeffery Deaver ist nach „Die Menschenleserin“ der zweite Band mit der Ermittlerin Kathryn Dance. Und wieder einmal hat es der Autor geschafft, einen großartigen und atemlos spannenden Roman zu veröffentlichen, der zu Recht auf den oberen Rängen der Bestsellerlisten zu finden ist.
Nicht nur, dass „Allwissend“ spannend und intelligent konzipiert ist, auch in den schnellen und gut eingestreuten Nebenerzählungen schafft es Deaver, den Leser quasi ’nebenbei‘ zu überzeugen. Neben dem Hauptplot – natürlich die Jagd nach dem „Kreuzkiller“ – sind auch die Nebenschauplätze – zum Beispiel die Anklage von Kathryns Mutter wegen Mordes oder das Privatleben von Dance – ungemein spannend. Das gelingt nicht jedem Autor, besonders nicht bei einem Thriller, aber Deaver gelingt dies Kunststück fulminant.
Das Tempo der Handlung ist, gemessen an den Ereignissen und Szenenwechseln, wohldosiert. Ebenso gezielt wechseln die Perspektiven; so erfährt man aus Opfersicht, wie diese die Entführung und das Grauen erleben, aber auch Nebencharaktere wie der Datenexperte Prof. Jon Bolling oder der Betreiber des Blogs kommen zu Wort. Nichtsdestotrotz erlebt der Leser die Ermittlungen selbst natürlich aus der Sicht der Hauptfigur Kathryn Dance.
Es gibt viele Thriller mit psychologischen Aspekten, in denen Profiler und Psychologen die Ermittlungen vorantreiben, sich in das Denken und Handeln der Täter einleben, um diese verstehen und natürlich weitere Morde verhindern zu können. Auch Deaver bedient sich dieser Rezeptur, erschafft aber mit seiner Figur Kathryn Dance einen Charakter, der realistisch und zugleich sensibel agiert, also keinen Ermittler, der mit Waffengewalt oder empathischen Supertalenten den Gegner einengt.
Nein, Jeffery Deaver stattet Dance mit einem nicht neuen, aber ungemein effektiven Talent aus. Sie kann in einem Menschen lesen wie in dem sprichwörtlichen Buch, so gut, dass selbst ihre Kinder sie wie eine Art Superfrau behandeln, denn Lügen ist bei ihr zwecklos, und das ist in den Augen ihrer Kinder ja so was von unfair …
Trotz ihres nonverbalen kommunikativen Talents bleibt Kathryn Dance eine Frau wie jede andere auch. Nach dem Tod ihres Mannes ist sie alleinerziehende Mutter, die sich nach Wärme und Liebe sehnt und natürlich auch einen potenziellen Vater für ihre Kinder sucht. Solche Kleinigkeiten hat Jeffrey Deaver wunderbar in seinen Roman implementiert und spendiert seinem Hauptcharakter damit sympathische Besonderheit und Tiefe. Ihr inniges Verhältnis zu und ihr Vertrauen in ihre Mutter wird durch die Anklage wegen Sterbehilfe ein wenig erschüttert, und auch ihre berufliche Nähe zu ihrem Kollegen Michael O’Neal wird ein wenig komplizierter, als sie sich unbewusst für Prof. Jon Bolling interessiert, der zudem noch gut mit ihren Kindern auskommt. Dem Autor gelingt hier genau das, wovon ein Roman lebt: Er erschafft kompakte Charaktere, die Baustein für Baustein immer greifbarer werden, und zwar so intensiv, dass sich der Leser inmitten des Geschehens wiederfindet.
Es gibt unerwartete Wendungen zur Genüge, denn um die Handlung noch interessanter zu machen, weicht Deaver gern vom Weg ab. Dennoch steuert die Spannung einem Finale entgegen, das gut durchdacht und logisch stimmig ist.
Es gibt zwar einige rasante Passagen, aber „Allwissend“ ist kein Action-Feuerwerk, sondern ein kontrolliertes psychologisches Gefecht mit allen Täuschungen, Irrungen und Wirrungen, die man sich als Leser nur wünschen kann. Den Überblick über die Handlung und die Nebenerzählungen verliert man dabei zu keiner Zeit.
Besonderes Einfühlungsvermögen beweist der Autor aber nicht nur mit der Gestaltung der Protagonistin Kathryn Dance, sondern auch bei den vielen anderen Charakteren, die alle für sich genommen wichtig sind. Deaver hat sich mit der Ausarbeitung seiner Figuren nicht nur viel Zeit genommen, sondern diese derartig mit Leben gefüllt, dass nichts wirklich unnötig oder fehl am Platze wirkt.
Deavers Stil ist mit jenem in seinen Romanen um den behinderten Ermittler Lincoln Rhyme schwer zu vergleichen. Die Reihe um Ryhme und Sachs ist eher actionlastig angelegt. Sicherlich gibt es Ähnlichkeiten in den psychologischen Ansätzen, dennoch ist der Weg und Lösungsansatz von Dance ein ganz anderer als der von Lincoln Ryhme.
_Fazit_
„Allwissend“ ist ein psychologischer Thriller, dessen Klasse in der obersten Liga anzusiedeln ist. Jeffery Deaver hat sich erneut als ein Großmeister dieses Genres bewiesen.
Wer Spannung sucht, wird bei „Allwissend“ fündig werden und das Buch nicht mehr aus den Händen legen. Deaver kombiniert Spannung mit viel Blick aufs Detail, und seine Charaktere wirken wie eine große Familie, die sich zwar nicht immer versteht, aber in der ein Rad ins nächste greift und so die Handlung bis auf die letzten Seite atemlos macht.
|Originaltitel: Roadside Crosses
Originalverlag: Simon & Schuster, New York 2009
Deutsch von Thomas Haufschild
544 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-7645-0336-9|
http://www.jeffery-deaver.de
http://www.blanvalet.de
_Actionreich: Schnitzeljagd auf Shakespeares Spuren_
Bei bizarren Morden in Stratford-on-Avon werden den Opfern, darunter einem Literaturprofessor, Zeilen aus Shakespeares Stück „Titus Andronicus“ auf den Leib gebrannt. Der Geheimdienst des Oberhauses bittet Holmes und Watson, die Verschwörung, die dahinter vermutet wird, zu zerschlagen. Ihr Weg führt sie in den Vatikan, auf ein schottisches Schloss, in die Saint Paul’s Cathedral in London und natürlich in Shakespeares Gruft. Es gelingt Holmes auf sensationelle Weise, das Rätsel um die Identität des berühmten Dichters zu lösen.
_Der Autor_
J. J. Preyer wurde 1948 in Steyr, Österreich, geboren. Nach einem Studium der Germanistik und Anglistik übte er eine Lehrtätigkeit in der Jugend- und Erwachsenenbildung aus. Ab 1976 arbeitete er als Lektor in Großbritannien, gründete 20 Jahre später den |Oerindur|-Verlag und gab unter anderem Romane von C. H. Guenter heraus.
Weitere Werke:
– Sherlock Holmes und die Freimaurer (BLITZ-Verlag)
– Das Kennedy-Rätsel (mit Cisa Cavka; BLITZ-Verlag)
_Handlung_
Der Geheimdienstchef des britischen Oberhauses, Sir Alexander Sisley, und zudem ein Logenbruder von Holmes und Watson, besucht Holmes in dessen Alterssitz, einem Hotel an der Küste von Sussex. Bei diesem Gespräch ist auch der Sohn von Prof. James Moriarty dabei; Stephen ist ein angehender Schriftsteller und tatsächlich auch der Chronist eines Großteils der vorliegenden Ereignisse. Anders als sein Vater ist er jedem Verbrechen abhold und Holmes für den Sieg über seinen Vater dankbar. Leider spricht er dem Alkohol in einem großen Maße zu.
Sisleys spricht von einer Verschwörung gegen das rechtmäßige Königshaus und seine Institutionen. Merkwürdig sind dabei ein paar Morde in Stratford-on-Avon, der Heimatstadt des Dichters William Shakespeare. Den Opfern, darunter einem Literaturprofessor, wurden dabei Verse aus den Stücken Shakespeares eingebrannt. Aber da waren sie zum Glück bereits tot. Seitdem gehen in Stratford Furcht und Schrecken um. Holmes nimmt selbstverständlich den Auftrag der Regierung an, schickt aber lieber seinen Freund Watson nach Stratford, damit dieser über die Vorgänge berichtet.
|In Stratford|
Watson gerät im Februar in die Vorbereitungsphase für die neue Saison, die im April beginnt. Das heißt, dass noch kein einziges Stück öffentlich aufgeführt wird, sondern nur Proben stattfinden. Aber an manchen Kleinbühnen werden Best-of-Zusammenstellungen dargeboten, die sehr gut besucht sind, so etwa die Zähmung der Widerspenstigen, das Liebeswerben des alten Malvolio um seine junge Herrin und dergleichen mehr. Bei dieser Gelegenheit tritt ein Trio von Frauenrechtlerinnen auf, die Freiheit für Frauen fordern und das Stück „Der Widerspenstigen Zähmung“ verdammen. Sind das schon Verschwörer, fragt sich Watson. Schon bald wird der Schauspieler Charles Wolseley, Vater der frischvermählten Braut Kitty und Darsteller des Titus Andronicus, vermisst.
Watson macht nähere Bekanntschaft mit der Tochter des ermordeten Literaturprofessors Robin Wilcher. Die junge Myra ist die Tochter von dessen 55 Jahre altem Assistenten Prof. Jonathan Hall. Sie kennt sich bestens mit Shakespeares Stücken aus, so etwa mit „Titus Andronicus“, einer wahren Schlachtplatte aus der frühen Schaffensperiode. Ist das krude Stück wirklich von dem Mann aus Stratford, oder hat es nicht doch Christopher Marlowe geschrieben, bekanntlich ein Spion im Dienste der Königin?
In der folgenden Nacht dringt ein Unbekannter durch einen Geheimzugang des offenen Kamins in Watsons Hotelzimmer ein, doch Watson, der alte Soldat, schläft nur mit einem Auge. Mit seiner zuverlässigen Webley-Pistole schießt er dem Eindringling ins Knie, dass dieser sofort Reißaus nimmt. Ein Brenneisen mit der Zeile „Hat der Himmel mehr als eine Sonne?“, das er im Kaminfeuer erhitzen wollte, lässt er fallen. Der Geheimgang führt über Umwege ins Freie. Watson zieht um.
Myra Hall war die Freundin des gemischtrassigen Regisseurs Robert Norton, bevor sie Hall heiratete, und hatte mit ihm einen Shon namens Ashley. Norton inszeniert jetzt den „Titus Andronicus“ neu, aber mit einer Aussage über den Rassismus im Stück: Der Liebhaber der Gotenkönigin ist ein Mohr und ihrer beider Kind ein Mischling. Dieses Kind wird auf der Bühne mit einem Schwert aufgespießt. Als Watson mit Myra in Robert Nortons Büro geht, stoßen sie auf dessen Leiche, gebrandmarkt und mit einem Schwert aufgespießt. Die Zeile lautet diesmal: „Den gottverdammten Mohr bringt vor Gericht“.
Myra bedauert den Tod ihres Verlobten sehr und nimmt Ashley bei sich und ihrem Vater auf. Sie vertrauen sich Dr. Watson an und zeigen ihm, was Prof. Wilcher entdeckt hatte: eine geheime Landkarte von Hinweisen (S. 91). Darauf stehen folgende Namen:
1) Trinity (= Holy Trinity Church zu Stratford, wo sich Shakespeares Gruft befindet);
2) Sterling (eine Stadt und ein Schloss in Schottland);
3) Westminster, was möglicherweise die Westminster Abtei meint, wo sich eine Büste des Dichters befindet;
4) Monument: das Stuart-Monument in Rom, meint Myra.
Kurz nach dieser erstaunlichen Entdeckung brennt nach einer Explosion das Hotel nieder, in dem Watson noch kurz zuvor gelegen hatte. Es ist einfach zu viel für ihn; er ruft Holmes zu Hilfe, der dem Ruf folgt. Zum Glück hält man nun Watson allgemein für tot, umgekommen in den Flammen des Hotels. Dabei logiert er quicklebendig auf einem Hausboot. Doch nicht für lange: Nachdem sie Myra Hall in ihr Vertrauen gezogen haben – sie ist hocherfreut, Watson am Leben zu sehen, und küsst ihn! -, setzen sie alle Hebel in Bewegung, um mit Hilfe eines Fachmanns in die Gruft des Dichters einzubrechen.
Wird sich dessen auf der Grabplatte eingravierter Fluch bewahrheiten, der jeden, der seine Knochen zu bewegen versucht, mit dem Tod bedroht?
_Mein Eindruck_
Diese Sherlock-Holmes-Pastiche liest sich so flott und leicht wie ein Heftchen-Roman und weist genauso wenig überflüssiges Material auf. Vielleicht war der Roman zunächst als Nachfolger für das Buch „Sherlock Holmes und die Freimaurer“ vom selben Autor geplant. Er liest sich jedenfalls wie eine Fortsetzung, kann aber eigenständig bestehen und vom Leser ohne Vorkenntnisse verstanden werden. Es wird zwar etliche Male auf die Freimaurer Bezug genommen, doch eine tiefere Kenntnis als die für die Allgemeinbildung übliche (man sollte schon mal von der Existenz der Logen gehört haben) ist nicht erforderlich. Das erleichtert die Lektüre erheblich.
Anspruchsvoller wird die Geschichte mit der Einführung der Shakespeare-Zitate. Die zugehörigen Stücke – es sind die zentralen und bedeutendsten Stücke des Dichters – setzt der Autor mit Recht als bekannt voraus, denn schließlich weiß der Leser allein schon durch den Titel, was auf ihn zukommt. Das große Rätsel der Identität des Dichters sollen die Stücke lösen helfen.
Allerdings bezieht sich die Handlung in erster Linie auf das blutige Stücke „Titus Andronicus“, das in Stratford am Memorial Theatre geprobt wird. Geschickt versteht es der Autor, die Hinweise des Stückes auf den möglicherweise wahren Schreiber der Stücke zu beziehen (sinnigerweise sind alle TITUS-Zeilen vom Autor selbst übersetzt – traue dem, wer will). So soll es um einen dunkelhäutigen Mischling gehen, der möglicherweise zwei Väter hat. Aber ist es gestattet, so mir nichts, dir nichts von einem Stück auf die Biografie des wahren Schreibers zu schließen? Ich finde dies ein wenig gewagt. Dr. Watson geht es genauso.
Aber dieser Wahnsinn, wenn es denn einer ist, hat Methode. Und diese führt die Figuren zu einem großen Erfolg, nämlich der Entdeckung eines bislang unbekannten Shakespeare-Stücks mit dem Titel „Elizabeth“. Der Autor scheut sich nicht, etliche Verse daraus als Weltneuheit in eigener „Übersetzung“ zu präsentieren. Wohl dem also, der seinen Shakespeare kennt und nicht auf diesen Schwindel hereinfällt. Aber hübsch und charmant ist diese Fiktion denn doch.
|Die Lösung ist elementar, Watson!|
Nun erhebt sich die berechtigte Frage, was denn die Identität eines Dichters des 16. und 17. Jahrhundert, bitteschön, mit der Verschwörung gegen die Legitimität der englischen Krone zu tun haben soll. Die Antwort kann nur auf eine Weise lauten: Shakespeare war nicht der Schreiber jener Stücke (oder zumindest nicht der besten), sondern vielmehr war es eine königliche Majestät, die nicht vor dem Zeilenschinden zurückschreckte. Als Throninhaber ist er selbstverständlich für die englische Krone relevant. Und wer weiß? Womöglich findet sich in seiner Gruft noch weiteres ketzerisches Material!
Deshalb führen Sherlock und der Autor die zwei Liebenden Stephen Moriarty und Myra Hall in einem furiosen James-Bond-Showdown zu eben diesem entscheidenden Ort, wo sich allerlei Geheimnisse lüften lassen. Und selbstredend taucht auch der Gegner hier auf, der so viele gebrandmarkte Leichen auf dem Gewissen hat – und um ein Haar auch den guten Dr. Watson. Dies ist aber nur das actionreiche Vorspiel zur eigentlichen Konfrontation mit Sherlock Holmes. Die findet wieder im vermeintlich so friedlichen Provinzkaff Stratford statt.
Den Bösewicht hat sich der erfahrene Krimikenner eigentlich gleich ausrechnen können, doch er wird niemals auch nur mit einem Sterbenswörtchen verraten, bevor die Szene dafür bereitet ist, komplett mit Feuerzauber, Pistole und tödlichem Ausgang. Dieser Sherlock-Krimi arbeitet mit allen Finessen und Zutaten, so dass ich mich bestens unterhalten fühlte.
|Tabus|
In einem genüsslich stets ans Licht gezerrten Subtext beutet der Krimi mehrere Tabus aus. Da wäre zunächst das rassische, nämlich die Verbindung zwischen einer weißen Frau (Myra Hall) und einem schwarzen Mann, hier dem Regisseur Robert Norton. Diese früher verbotene Verbindung ist ein Echo der gleichen Verbindung zwischen der Gotenkönigin Tamora in „Titus Andronicus“ und ihrem „Mohr“, aber auch eine Parallele zu Königin Maria Stuart und ihrem Liebhaber Daniele Rizzio, der vor ihren Augen bestialisch hingemeuchelt wurde. Der Autor deutet an, dass Maria später einen seiner Mörder, Bothwell, heiratete. Das Kind mit den zwei Väter aus dieser Zeit war König James I. Stuart, der nach Elizabeths Tod England und Schottland regierte – ein Mischling auf dem Thron?!
|Homosexualität|
Das zweite alte Tabu, das der Krimi immer wieder streift, ist die Homosexualität. Der Sohn des Schauspielers Charles Wolsely, der beinahe verbrannte Maler William, wird mit Homosexualität in Verbindung gebracht, aber auch mit Wahnsinn. Da er aber aus einer Schauspielerfamilie stammt, könnte dieser Wahnsinn vorgetäuscht sein.
Weit wichtiger aber ist die unterstellte gleichgeschlechtliche Neigung bei William Shakespeare. In einem seiner berühmtesten Sonette „Shall I compare thee to a summer day?“, das der Autor des Krimis selbst übersetzt hat (wiederum ist Vorsicht angebracht), bewundert der Dichter einen Mann, fällt aber über Frauen ein verachtungsvolles Urteil. Das ist natürlich ungerecht, und wie der verheiratete Dichter dazu kam, bleibt so lange ein Rätsel, bis der wahre Urheber dieses Sonetts offenbart wird: eine königliche Majestät mit entsprechender Neigung!
|Geschlechtertausch|
Das dritte Tabu besteht im Geschlechtertausch, und es steht in engem Zusammenhang mit Homosexualität. Es ist hoffentlich bekannt, dass es den Theaterproduzenten zur Zeit Shakespeares (1564-1616) bei Todesstrafe verboten war, Frauen als Schauspieler einzusetzen. Das ist ja auch der reizvolle Kitzel in dem OSCAR-prämierten Film „Shakespeare in Love“, in dem es eine edle Dame aus Liebe wagt, sich als Mann zu verkleiden, um neben ihrem Angebeteten auftreten zu können. Das verleiht der Sterbeszene in „Romeo und Julia“ erst die rechte Würze!
Es ist schade, dass der Autor die Möglichkeiten dieses Aspektes nicht für seine Handlung ausgeschöpft hat. Myra Hall wäre dafür geradezu prädestiniert: Sie ergreift die Initiative, besorgt sich auf eigene Faust einen geheimen Code, fährt nach Schottland und dringt Bond-mäßig in das königliche Schloss und die entsprechende Gruft der Stuarts ein. Sie scheut auch nicht davor zurück, einen Revolver zu handhaben.
Solche Amazonen suchte ich in Klaus-Peter Walters Sherlock-Pastiche „Sherlock Holmes im Reich des Cthulhu“ vergebens. Dort bleiben Männer quasi unter sich, was auf Dauer doch ziemlich langweilig ist. Mit Peter Prange bin ich einer Meinung: „Frauen machen das Leben spannend und bunt. Sie sind die geborenen Romanfiguren.“ (siehe mein [Interview]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=97 mit Peter Prange.)
|Dan Brown lässt grüßen|
In „Titus Andronicus“ werden Tabus am laufenden Band gebrochen, so dass auch beispielsweise Kannibalismus vorkommt. Aber das ist kein Handlungselement für den Krimi. Auch die Tatsache, dass der Mörder im Krimi Leute am laufenden Band brandmarkt, verhilft dem einen oder anderen Leser zu einem Kick. Mich erinnerte dieses Motiv viel zu sehr an Dan Browns „Illuminati“, um es amüsant zu finden. Auch die Szene, in der Watson entscheidende Hinweise auf einer Seidentuch-Landkarte präsentiert werden, könnte ich mir in einem Thriller mit Robert Langdon bestens vorstellen.
_Unterm Strich_
Ich fand diesen Holmes-&-Watson-Krimi recht kurzweilig und actionreich – wie in einem Heftchenroman passiert ständig etwas und die Szenen wechseln sehr rasch. Und doch verliert der Autor nie den Faden in seinem dichten Geflecht aus Querverbindungen, und verrät auch die Identität des Mörders nicht vor dem entscheidenden Moment. Die Identität Shakespeares wird natürlich schon viel früher gelüftet, und daraus ergeben sich etliche Schlussfolgerungen. Zudem hat der Vorschlag des Autors einiges für sich.
Das ist aber nicht entscheidend für den Erfolg der Geschichte auf einer inhaltlichen Ebene. Vielmehr ist auschlaggebend, dass die Motivation des Mörders bzw. Verschwörers, wie der Geheimdienstchef ihn bezeichnet, nachvollziehbar ist. Damit steht und fällt das gesamte Gebäude aus Fiktionen. Mir jedenfalls gelang es durchaus, dieses Motiv nachzuvollziehen. Es handelt sich um Rache und Verachtung. Ein Motiv, das in „Titus Andronicus“, aus dem der Mörder per Brandzeichen zitiert, eine grundlegende Rolle spielt. So kommt eines wunderbar gefügt zum anderen.
Schade, dass sich der Autor nicht stärker bemühte, Szenen und Locations auszumalen, um dem Format des Romans stärker gerecht zu werden. Aber immerhin gibt es mehrere Spannungs- und Motivbögen, die alle sauber abgeschlossen werden. Das kann man nicht von jedem Buch behaupten.
Auch die Ähnlichkeit zu Dan Browns Thrillern ist mir aufgefallen. Sie mag heutzutage unvermeidbar sein, aber man hätte sie vielleicht besser verschleiern können. Wenigstens hat sich Dan Brown noch nicht an Shakespeare vergriffen – das kommt womöglich noch. Insofern kann der Autor einiges an Originalität für sich in Anspruch nehmen, von seiner eigenen Übersetzung der Shakespeare-Verse aus „Elizabeth“, das wir bis dato noch nicht kannten, mal ganz abgesehen.
|Criminalbibliothek, Band 2
256 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-89840-278-1|
http://www.BLITZ-Verlag.de
http://www.oerindur.at/preyer.hth
Geist ist geil! Seit 2002 – Ständig neue Rezensionen, Bücher, Lese- und Hörtipps