Alle Beiträge von Michael Matzer

Lebt in der Nähe von Stuttgart. Journalist und Buchautor.

Lumley, Brian / Festa, Frank / Lueg, Lars Peter / Matern, Andy – Necroscope 7 – Blutlust

_Action in der Wamphyr-Welt_

1989 im russischen Uralgebirge. Der britische Spion wurde durch ein Dimensionstor in eine andere Welt gestoßen. Während in seiner Welt die Vampire versuchen, erneut auf der Erde Fuß zu fassen, erforschen Simmons, seine telepathische Gefährtin Zak und sein Verfolger Karl die fremde Welt, aus der die Vampire stammen. Steile Felstürme mit mächtigen Festungsanlagen, eine Sonnen- und eine Sternseite, Krieger auf Drachenschwingen greifen an. Aus den Schatten versuchen die Fangarme der Wamphyri nach den Eindringlingen zu haschen. Ist ein Überleben unter diesen Bedingungen möglich?

_Der Autor_

Brian Lumley wurde 1937 in England geboren. 1981 beendete er mit 44 Jahren seine Militärkarriere. Seither arbeitet er als freier Schriftsteller. Seine ersten Veröffentlichungen standen ganz unter dem Einfluss von H. P. Lovecrafts |Cthulhu|-Mythos. 1986 schuf Brian Lumley mit seiner Vampir-Saga „Necroscope“ eine der erfolgreichsten Horror-Serien der Welt.

Alleine in den USA haben sich seine Bücher weit über zwei Millionen Mal verkauft. So wie Brian Lumley den Vampir darstellt, hat es noch kein Autor zuvor gewagt. Mittlerweile hat Brian Lumley mehr als 50 Bücher veröffentlicht und schreibt fleißig weiter. Er und seine Frau Barbara Ann leben in Devon im südwestlichen England. (Verlagsinfo)

Band 1: [Erwachen 779
Band 2: [Vampirblut 843
Band 3: [Kreaturen der Nacht 2371
Band 4: [Untot 2963
Band 5: [Totenwache 3000
Band 6: [Das Dämonentor 4368
Band 7: Blutlust
Band 8: Höllenbrut

_Der Sprecher_

Lutz Riedel ist ein hochkarätiger Synchron-Regisseur und die deutsche Stimmbandvertretung von „James Bond“ Timothy Dalton. Er war auch „Jan Tenner“ in der gleichnamigen Hörspielserie. Ich schätze besonders seine Interpretation von H. P. Lovecrafts Schauergeschichten wie etwa [„Das Ding auf der Schwelle“. 589 Er zeigt hier seine herausragenden Sprecher-Qualitäten, die den Hörer mit schauriger Gänsehaut verzaubern.

Der Berliner Schauspieler hat u. a. Timothy Dalton (James Bond) und Richard Hatch (Kampfstern Galactica) synchronisiert. Auch Richard Gere, Samuel L. Jackson und Christopher Walken hat er schon gesprochen. Lutz Riedel ist mit seiner Kollegin Marianne Groß verheiratet.

Riedel liest einen von Frank Festa bearbeiteten und gekürzten Text. Für Regie, Produktion und Dramaturgie zeichnet Lars Peter Lueg verantwortlich, für Schnitt, Musik und Tontechnik Andy Matern.

_Der Regisseur Lars Peter Lueg_

Der Verlag in eigenen Worten: „Nach 10 erfolgreichen Jahren in der Musik- und Medienbranche als Musikproduzent, Künstlermanager, Leiter von Multimediaprojekten und Tontechniker in verschiedenen Tonstudios war es an der Zeit die vorhandenen Kontakte und Erfahrungen zu nutzen, um eine vollkommen neue und andersartige Firma zu gründen.

Ein kompetentes Netzwerk von ca. 20 spezialisierten Unternehmen lässt LPL sehr effektiv und unabhängig arbeiten. Durch eine Passion für Filme, (Hör)Bücher und (Hör)Spiele, die sich dem Thema Horror verschrieben haben, sind Lars Peter Lueg und seine Partner mit viel Herzblut dabei. LPL stellt ausschließlich Produkte her, hinter denen der Verlagsleiter auch zu 100 % steht.“

_Der Komponist_

Andy Matern wurde 1974 in Tirschenreuth, Bayern geboren. Nach seiner klassischen Klavier-Ausbildung arbeitete er einige Jahre als DJ in Clubs. Seit 1996 ist er als freiberuflicher Keyboarder, Produzent, Remixer, Songwriter und Arrangeur tätig. Er kann trotz seiner jungen Jahre bereits mehr als 120 kommerzielle CD-Veröffentlichungen vorweisen. Darunter finden sich nationale und internationale Chart-Platzierungen mit diversen Gold- und Platin-Auszeichnungen.

Bereits Andy Materns erste Hörbuch-Rhythmen erreichten schnell Kultstatus bei den Fans und der Fachpresse. Durch seine musikalische Mitarbeit wurde [„Der Cthulhu-Mythos“ 524 zum besten Hörbuch des Jahres gewählt (Deutscher Phantastik Preis 2003). Seine Arbeit zum Hörbuch „Illuminati“ erreichte 2007 zweifachen Platinstatus. Andy Matern lebt und arbeitet in München. (Verlagsinfos)

_Vorgeschichte (Necroscope 6)_

Michael „Jazz“ Simmons ist ein britischer Spion, der es bis ganz tief ins Herzland der Sowjetunion geschafft hat. Mit Hilfe von ein paar ukrainischen Dissidenten, die sich als Pelztierjäger und Fischer im Ural durchschlagen, ist es ihm gelungen, bis auf den Pass zu gelangen, der in die radioaktiv strahlende Schlucht hinunterführt, in der das ominöse Perchorsk-Institut liegt. Es verbirgt sich seit rund fünf Jahren hier, hineingebaut in den Untergrund, und ein Staudamm versorgt es mit Elektrizität. Doch zu welchem Zweck? Kam von hier wirklich jenes Objekt, das die Amerikaner über der Hudson Bay abschossen?

Leider ist auch Simmons‘ Glückssträhne zu Ende. Den ersten Angreifer kann er zwar noch erwischen, doch der zweite ist zu schnell. Und die Annäherung des dritten bekommt er schon gar nicht mehr mit. Wochen später, tief unten im Perchorsk-Institut. Jazz erwähnt die Monster, die von hier kämen. Sicherheitschef Tschingis Kuf entgegnet: Nein, sie kommen von einer anderen Welt! Er führt ihn ins verbotene, abgeschottete und schwer bewachte Innerste des Perchorsk-Instituts. Hier unten muss eine Kernschmelze oder dergleichen stattgefunden haben. Der Fels ist nämlich zu Magma erstarrt. Hier entwickelte ein genialer Kernphysiker einen Energieschirm gegen aus den USA anfliegende Raketen. Doch der Test ging schief und erzeugte ein Dimensionstor in einer andere Welt. Das Tor liegt in der schwer bewachten Lichtkugel, die Kuf Simmons zeigt.

Woher man denn wisse, dass es sich um ein Tor handle? Ganz einfach, meint Kuf, etwas ist durchgekommen. Und zwar nicht ein- oder zweimal, sondern fünfmal in drei Jahren. Von vier „Begegnungen“ bekommt Simmons Filme gezeigt, doch einen „Besucher“ bekommt er live zu sehen. In einem Glaskäfig schlängelt und windet sich ein schwarzes Ding, das Formen von irdischen Wesen wie Wolf, Fledermaus usw. nachahmen kann. Und es ernährt sich ausschließlich von blutigen Fleischabfällen. Nach dem zu urteilen, was der Krieger, der fünfte Besucher, geschrien hat, steht es in Zusammenhang mit den „Wamphyri“. Ist es ein Vampir? Der Verdacht liegt nahe.

Was soll Tschingis Kuf nur mit seinem britischen Gast anfangen? Er verfällt auf eine hübsche Methode, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Mr. Simmons wird eine Reise ohne Rückfahrschein antreten. Jazz bleibt keinerlei Wahl, als ihm Kufs baumstarker Gorilla Karl Vjotsky einen Rucksack mit Camping-Ausrüstung auf den Rücken packt. Natürlich will er wissen, wohin die Reise gehen soll. Dreimal darf er raten …

_Handlung_

Jazz Simmons marschiert unter einer sengenden Sonne, die sich ungewöhnlich langsam bewegt, auf eine Bergkette zu. Er befindet sich immer innerhalb der Sphäre, als Karl Vjotsky ihn einholt, und zwar auf einem Motorrad. Doch als Karl und Jazz aufeinander feuern, bewegen sich ihre Waffen sehr ungewöhnlich, und damit hat Karl nicht gerechnet. Er wird vom Motorrad geworfen, das sich Jazz sofort schnappt und davonrast.

Nach wenigen Minuten gelangt er an den Rand der Sphäre und betritt die eigentlich Anderwelt. Leider hat Jazz nicht mit dem Höhenunterschied an der Schwelle gerechnet. Der Sturz verbeult das Vorderrad und weil das Bike kein Werkzeug an Bord hat, muss Jazz es aufgeben und zu Fuß weitergehen. Auch sein Walkie-Talkie ist nach einem Kommunikationsversuch nichts mehr wert, und er wirft es weg.

Karl hat ein wenig mehr Glück. Er kann das Bike mit seinem Werkzeug reparieren, und mit seinem Walkie-Talkie erhält er sogar Empfang mit einem weiteren Menschen, der aus seiner eigenen Welt kommt. Es ist Zekyntha Föner, genannt Zek, eine Telepathin des russischen E-Dezernats, die man hierher verbannt hat. Wie es ihr wohl geht, kann Karl nicht herausfinden, denn die Verbindung reißt ab. Karl fährt auf Jazz‘ Spur, bis er an einen Wall gelangt und südwärts muss. Die Landschaft ist karg und von felsigen, kahlen Bergen beherrscht. Da erspäht er etwas, das sich von den Felsen erhebt und auf ihn zufliegt. Er kennt dieses Vieh von den diversen Begegnungen am Dimensionstor. Es ist ein Riesendrache, und ein Reiter lenkt das Flugwesen genau auf Karl zu …

|Die Nomaden|

In der Nähe einer Bergfestung, die einen Pass über den zentralen Gebirgszug bewacht, stößt auch Jazz auf Zek Föner. Sie hat einen großen Wolf bei sich, der ihr aufs telepathische Wort gehorcht. Zek erklärt dem Neuankömmling ein paar Dinge über diese Welt, gesteht aber auch, dass sie gerade in der Tinte sitzt. Ihr Beschützer und der Nomade, mit denen sie lebt, ein gewisser Lardis, ist auf eine Expedition aufgebrochen, und nun will dessen zweiter Mann, ein gewisser Arlek, Zek an einen der Wamphyri-Fürsten verkaufen, die über das Land herrschen und mit ihren teuflischen Kräften jeden Unbewaffneten in einen zombiehaften Untergebenen verwandeln.

Kaum gesagt, sind die beiden auch schon von Arleks Leuten umzingelt und bedrohen sie mit Armbrüsten. Jazz muss seine Waffen abgeben und wird niedergeschlagen. Als er wieder erwacht, ist er gefesselt. Später trifft ein Unterhändler Arleks ein, mit einer Botschaft des Wamphyri-Lords Saitis. Saitis wisse bereits vom Eintreffen Michael Simmons‘ in dieser Welt. Aber woher? Diese Frage klärt sich gleich darauf, als Zeks Walkietalkie zum Leben erwacht. Es ist Karl Vjotsky. Er wurde von Lord Saitis‘ Krieger gefangen genommen. Gleich darauf ist Saitis selbst zu hören. Arlek verlangt im Austausch für die beiden „Magier“ – er meint Zek und Jazz -, künftig von Saitis in Ruhe gelassen zu werden. Saitis ist einverstanden, kann aber nicht für die zwanzig anderen Wamphyri-Lords sprechen. Und er will auch die Waffen des Eindringlings. Arlek ist einverstanden.

Es dauert nicht lange, und drei Gestalten tauchen in der Nacht auf, um sich Zek und Jazz zu nähern, die Arlek als Beute für Saitis zurückgelassen hat. Die drei sind Saitis selbst sowie zwei seiner furchterregenden Krieger. Jazz erinnert sich an ein Video, das ihm Kuf gezeigt hat. Ein solcher Krieger brach einmal durch das Dimensionstor, und die Wächter hatte erheblich Mühe, ihn zur Strecke zu bringen. Die drei nähern sich vorsichtig und kreisen ihre Beute ein.

Zeks Wolf gelingt es, Jazz‘ Fesseln durchzubeißen, so dass er gleich darauf Zek befreien kann. Jetzt muss er nur noch an seine Maschinenpistole gelangen. Und schon bald wird die Sonne aufgehen. Doch da ist auch schon einer der Krieger heran und bedroht Jazz mit seinem klingenstarrenden Kampfhandschuh. Vielleicht sollte Jazz doch lieber auf die Sonne warten …

_Mein Eindruck_

Bislang bewegte sich der neue Unterzyklus um Michael Simmons auf dem relativ festen Boden der sattsam bekannten Spionageromane und Agenten-Action. Mit dem Einführen der Sphäre und dem Dimensionstor betrat die Geschichte das Terrain der Science-Fiction, mit dem schwarzen Wamphyrwesen in Perchorsk das des Horrors. Nun kommt jedoch noch ein weiteres Genre hinzu: Fantasy.

Denn wofür sonst sollen wir die Wamphyr-Fürsten sonst halten als für Kollegen jedes Unterweltherrschers, der je die Seiten von Conan-Geschichten, des walisischen Mabinogion oder des „Herrn der Ringe“ zierte? Der Herr von Annwn, der walisischen Unterwelt, kann kaum grausamer sein als Lord Saitis, erzeugt er doch selbst mit einem schwarzen Kessel eine Armee von Zombiekriegern – man schlage in Lloyd Alexanders TARAN-Zyklus nach. Lord Saitis erschafft aus normalen Menschen durch Infektion mit seinem Wamphyr-Parasiten entsprechende Zombiekreaturen. All dies erklärt die Telepathin Zekyntha ihrem neuen Lover Jazz Simmons in allen Einzelheiten.

Saitis und seinesgleichen reiten nicht auf Motorrädern, sondern selbstredend auf Drachen. Sie bewegen sich von Festung zu Festung, als wären sie Nazgûl auf der Pirsch. Aber anders als die Neun sind sie untereinander zerstritten und neiden einander das Territorium und die Untergebenen. Zu diesen zählen hünenhafte Krieger, aber auch Höhlenbewohner und andere unterlegene Wesen.

Kein Wunder, dass sie auch an Magie glauben. So bezeichnen sie Telepathie und andere Künste wie etwa das Weissagen. Das Einzige, was sie vereint, ist der Hass auf einen Eindringling, den Zek als den „Herrn des westlichen Gartens“ bezeichnet. Wie es scheint, steht dieser mysteriöse Mann in Verbindung mit Berlin in der DDR (man schreibt das Jahr 1989). Das bedeutet wohl, dass es noch ein Dimensionstor auf dieser Welt geben muss …

|Action|

Nach dem anfänglichen Kampf gegen Karl Vjotsky sieht sich Michael Simmons etwa zur Halbzeit den oben genannten drei Wamphyri-Gestalten gegenüber. Diese Art von Action durchzieht erfreulicherweise die ganze Geschichte, wobei es wie zu erwarten am Schluss zu einer dramatischen Zuspitzung der Lage unserer beiden Helden Zek und Jazz kommt. Nur durch eine überraschende Wendung gelingt es ihn, mit heiler Haut davonzukommen. Wie es zu dieser Wendung kommt, macht den Leser bzw. Hörer gespannt auf die Fortsetzung (s. u.).

Die Action kann aber auch nur ein simpler Sparringkampf sein. Jazz hat offenbar im Verlauf seiner Agentenausbildung auch einige Trainingsstunden in Kampfsport investiert, doch leider wird uns nicht verraten, in welcher Disziplin. Da er Handkantenschläge einsetzt, tippe ich mal auf Karate, denn sie kommen in verteidungsorientierten Disziplinen wie Aikido und Jiu-Jitsu nicht vor.

|L’amour|

Weibliche Leser und Hörer kommen ebenfalls auf ihre Kosten. Es wird sie freuen zu erfahren, dass Zekyntha nicht nur eine amouröse Beziehung zu Jazz anfängt, sondern auch des langen und breiten von ihrer Bekanntschaft mit der Wamphyri-Lady Karén erzählt. Dieser diente sie mit Hilfe ihrer Gedankenleserei, bei der sie herausfand, dass die männlichen Wamphyri-Lords ein Komplott gegen die Lady planen. Zum Dank ließ die Lady Zek wieder frei.

|Der Sprecher|

Lutz Riedel liefert wieder eine beachtliche Leistung ab. Er ruft, wenn es angebracht ist, dramatische Aktion oder Anspannung darzustellen. Flüstern deutet Geheimniskrämerei an. Doch als er die Sprechweise des autoritären Lord Saitis umzusetzen hat, muss Riedel seine tiefste und kräftigste Stimmlage hervorkramen, um sowohl Majestät als auch Unerbittlichkeit und Grausamkeit auszudrücken. Und dies nicht nur einmal, sondern mehrere Male. Das direkte Gegenteil dazu ist die Stimmlage Zeks, die ein klein wenig höher angesiedelt ist als die von Michael Simmons, der ganz „normal“ spricht.

Am Anfang der Handlung gilt es, einen Befehl so langsam auszusprechen, wie dies durch die Zeitdilatation im Dimensionstor verursacht wird. Da ruft Riedel ganz langsam – eine besondere Leistung, die eine gute Atemtechnik erfordert. Für einen geübten Sprecher wie Riedel allerdings ein Kinderspiel.

|Die Musik|

Geräusche gibt es keine, aber dafür eine gut abgemessene Menge an Musik. Diese ist nicht in den Hintergrund verbannt, sondern dient (außer als Intro und Extro) der Abgrenzung der einzelnen Kapitel wie auch deren Unterabschnitte. Diese Abschnitte sind aufgrund der nichtlinearen Erzählstruktur oftmals mit Rückblenden durchsetzt. Die Musik Andy Materns tritt sehr selten im Hintergrund in Erscheinung, höchstens als Übergang zur Pause.

In meinen Notizen habe ich überall das Auftreten von Pausenmusik eingetragen, und dabei stellt sich ein deutliches Muster heraus. Sobald eine Szene ihren Höhepunkt erreicht hat, wird sie oftmals abgebrochen, damit sie sich in der Vorstellung des Lesers bzw. Hörers fortspinnen lässt. Sofort setzt Musik ein, die diesen Vorgang auf emotionaler Ebene steuert und stützt. Auf einer geistigen Ebene tritt hier allerdings eine kleine Verschnaufpause ein …

Man sollte auch bedenken, dass wir es diesmal mit einer gekürzten Fassung zu tun haben. Statt der vorherigen sechs CDs sind es diesmal nur noch vier. Abgebrochene Szenen sind zwar mitunter sehr wirkungsvoll, aber wer weiß, was dabei alles verschwiegen wird.

_Unterm Strich_

Während mich die Grundstory in „Necroscope 6: Dämonentor“ stark an Lovecrafts „Berge des Wahnsinns“ erinnerte und entsprechend kalt ließ, so eröffnet das Dimensionstor nach dem Muster von „Stargate“ ein paar aufregende Möglichkeiten, einen ordentlichen Actionplot zu beginnen. Der Kampf mit dem Krieger aus der Anderwelt, eine Szene in „Dämonentor“, war schon mal ein guter Anfang. Die Action wird in Band 7 noch einmal ordentlich ausgebaut, ohne jedoch zu einem bestimmenden Element zu geraten. Ebenso wichtig ist es für Jazz, mehr über die Verhältnisse auf dieser Welt zu erfahren, auf der die Wamphyri eine dominierende Bedrohung darstellen.

Alles in allem gibt es hie und da gute Action, die in einem spannenden Finale gipfelt. Das bedeutet einen klaren Schnitt mit den vorangegangenen Bänden, was auch durch die zeitliche Kluft von acht Jahren ausgedrückt wird. Dass die Sowjetunion immer noch existiert, legt die Vermutung nahe, dass sich die Ereignisse vor dem Jahr 1989 abspielen, in dem das Buch erstmals veröffentlicht wurde. Damals begann der Untergang des Sowjetregimes und die Entstehung der heutigen GUS-Staaten. „Interessante Zeiten“ also, real wie auch fiktiv.

Der Sprecher Lutz Riedel stellt wieder einmal seine Engagiertheit für die Horrorliteratur unter Beweis, ebenso wie die Flexibilität seines Sprechorgans und seiner Darstellungskraft. Am Schluss wendet er sich direkt an den Hörer, um die Fortsetzung „Höllenbrut“ anzukündigen.

|300 Minuten auf 4 CDs
Aus dem Englischen übersetzt von Hans Gerwien|
http://www.lpl.de
http://www.luebbe-audio.de
http://www.festa-verlag.de
http://www.brianlumley.com
http://www.andymatern.de

Simak, Clifford D. (Hg.) – Theodore Sturgeon: Der Bonsai-Mensch und andere Nebula-Preis-Stories Nr. 3

_Inquisition und der Besuch von Dr. Death_

Dieser |Moewig|-Auswahlband enthält mit dem |Nebula Award| ausgezeichnete und dafür nominierte Science-Fiction-Storys aus dem Jahr 1970, darunter Erzählungen von Theodore Sturgeon, Gene Wolfe, Fritz Leiber und Joanna Russ.

_Der Herausgeber_

Clifford D. Simak (1904-1988) ist einer der großen alten Meister des Science-Fiction-Genres. Obwohl er von 1929 bis 1976 als Journalist für Zeitungen arbeitete, konnte er ab 1938 mit einfallsreichen und gefühlvollen Erzählungen und Romanen einen festen Leserstamm gewinnen sowie mehrere wichtige Genre-Preise einheimsen. Und das selbst dann noch, als er schon 77 Jahre alt war.

Sein Schauplatz ist fast immer das ländliche Wisconsin, sein hauptsächlicher Protagonist ein alter weiser Mann, der sich durch Toleranz gegenüber anderen Lebewesen auszeichnet, und seien sie auch so verschieden wie Aliens. In „Way Station“ (1963) spielt ein alter Farmer Bahnhofsvorsteher für eine Durchgangsstation von Außerirdischen. Aber manchmal liegt auch Melancholie über seinen Erzählungen, so in dem Episodenroman „City“ (1952), dessen einzelne Storys darauf beruhen, dass sich Roboter und intelligente Hunde an die verschwundenen Menschen, ihre einstigen Herren, erinnern.

Lustig und verrückt sind seine Slapstick-Romane „The Goblin Reservation“ (1968) und „Out of their minds“ (1970). Simak kann man immer lesen, ganz gleich in welcher Generation, meint das „Heyne SF Lexikon“, und das ist absolut zutreffend, denn mit Computern oder Gentechnik hatte Simak wenig am Hut. 1976 erhielt Simak von seinen Kollegen, den „Science Fiction Writers of America“ (SFWA) den |Grand Master Nebula Award| für sein Lebenswerk. Es sollte noch zwölf weitere Jahre und einige Romane mehr dauern, bis er sich endgültig zur Ruhe legte.

_Die Erzählungen_

1) _Theodore Sturgeon: Der Bonsai-Mensch_ (Slow sculpture)

Eine junge Frau ohne Namen lernt einen kuriosen Mann ohne Namen kennen. Er ist Ingenieur und hat das Elektroskop erfunden, mit dem er auch den Gesundheitszustand von Lebewesen untersuchen kann. Dass er in seinem Haus der Kunst der Pflanzenveredelung durch Bonsai frönt, macht ihn ihr sehr sympathisch, doch die junge Frau hat Angst, dass er sie noch mehr über den Knoten in ihrer Brust, von dem sie ihm unbedacht erzählt hat, fragen wird. Es stellt sich heraus, dass er sie nicht danach fragen, sondern sie davon heilen will. Mit einer einfachen Injektion!

|Mein Eindruck|

Es geht um also um Bonsai und ein Krebsheilmittel, eine zunächst unwahrscheinlich klinge Kombination. Doch Sturgeons Geschichten sind selten konventionell und stets kommt darin seine Liebe zu Außenseitern zum Ausdruck. Der Ingenieur ist ein solcher Außenseiter, denn man hat seine Erfindungen erst gekauft und ihn dann in die Wüste geschickt. Wer würde ihm wohl jetzt glauben, dass er Krebs heilen kann? (Das genaue Verfahren wird im Text beschrieben, aber es hier wiederzugeben, würde zu weit führen.)

Aus diesem Grund misstraut er auch der jungen Frau. Wird sie ihn nicht ebenso verraten wie all die anderen dort draußen? Eine Krebsheilung kommt ja einem kleinen Wunder gleich, und dieses will die Welt stets haarklein erklärt haben, damit es keines mehr ist und die Menschen daran glauben können. So als ob es erst einer Autorität bedarf, die das Wunder absegnet. Wie kleingläubig doch die Menschen sind!

Sie hingegen will ihm nur danken. Sie hat den Glaubenssprung bereits getan, und auch wenn der Knoten erst in zwei Wochen verschwunden sein mag, so werde sie ihm doch bereits danken. Und sie hat ihm selbst ein Geschenk zu machen. Wie man einem Menschen zu vertrauen lernt, nämlich so, wie man einen Bonsaibaum dazu bringt, in die Richtung zu wachsen, die man sich wünscht: durch Toleranz und Fürsorge.

Wie viele von Sturgeons Storys weist auch diese mit dem NEBULA ausgezeichnete Erzählung keinerlei Action auf, bewegt aber deswegen umso im menschlichen Bereich. Wundervoll.

2) _Keith Laumer: In der Schlange_ (In the queue)

Hestler hat fast sein ganzes Leben in der Warteschlange verbracht, doch heute erreicht er sein Ziel: das Fenster! Er hat sein eigenes fahrbares Zelt aufgebaut, um die jahrelange Wartezeit überstehen zu können. Seine Verwandten warten schon darauf, dass er vorankommt und seine Formulare in zwölffacher Ausfertigung abgibt.

Zum Glück ist keiner von ihnen gestorben, so wie es dem armen Kerl zwei vor ihm ergeht. Er muss gehen, um jede Menge Genehmigungen und Bestätigungen einzuholen – und darf wahrscheinlich jahrelang warten, bis er wieder an der Reihe ist. Manche bringen sogar ihr ganzes Leben in der Schlange zu. Platzspringer werden nämlich gnadenlos rausgeworfen, abgeführt, bestraft. Dafür sorgen nicht nur die Reihenpolizisten, sondern die Schlangesteher selbst.

Endlich ist Hestler alle seine Formulare losgeworden, es gibt nicht eine einzige Beanstandung – ein Wunder! Er ist frei, erst 47 Jahre alt und könnte nun tun, was ihm beliebt. Doch was soll er nur mit all der vielen Zeit anfangen …?

|Mein Eindruck|

Der Leser kommt sich vor wie in einer jener absurden kleinen Storys von Philip K. Dick, wenn die Maschinen zu diskutieren anfangen und irgendwelche Rituale ausführen. Laumer hat lediglich das Phänomen des Schlangestehens genommen und es bis zur Absurdität vergrößert und verallgemeinert. Nun besteht das ganze Leben aus Schlangestehen, denn es gibt für alle Bürger nur ein einziges Amt, und dieses stellt nur ein einziges Fenster mit einem Mitarbeiter zur Verfügung.

Doch das Schlangestehen ist wie das Leben selbst voller Dramen. Dass das Schlangestehen an sich falsch sein könnte, auf diese Idee kommt jedoch niemand – dafür hat die Regierung schon gesorgt, indem sie entsprechende Gesetze erließ. Diese Regierung ist offenbar nicht jene, die in Zeiten der Großen Depression Suppenküchen bereitstellte, um die Armen zu speisen, sondern eine, die mehr den Ruch des Sozialismus verströmt.

Das ist natürlich für Amerikaner ein Unwort und wirft die Frage auf, auf welcher politischen Seite der Autor eigentlich steht. Durch die überspitzte Darstellung der Warteschlange gibt er das unamerikanische Phänomen der Kritik preis. Und wenn dieses Phänomen sozialistisch ist, so steht der Autor wohl rechts von der Mitte, vielleicht auf Seiten der Republikaner, die schon immer auf die Yankee-Tugend des Do-it-yourself gesetzt haben.

3) _Gene Wolfe: Dr. Deaths Insel und andere Geschichten_ (Dr. Death’s island and other stories)

Tackman Babcock ist vielleicht acht oder neun Jahre alt, als ihm sein großer Bruder Jason einen Schundroman kauft: „Dr. Deaths Insel“. Darin besitzt Dr. Death eine Insel in der Gegend von Indonesien und führt dort schreckliche Experimente durch. Diese dienen dazu, die Intelligenz von Tieren auf menschliches Niveau zu bringen und den Tieren das Sprechen beizubringen. Tiermenschen, das ist es, was der Gestrandete, Captain Philip Ransom, hier antrifft, und er ist davon nicht sonderlich erbaut. Als Dr. Death ihn gefangen nimmt und ihm an der schönen Gefangenen namens Talar von Lemuria demonstriert, was er mit ihm vorhat, bahnt sich eine Katastrophe an …

Tackies Mama bekommt Besuch von Dr. Black, einem Mediziner, und von Tackies beiden Tanten Julie und May. Tackie lernt Philip Ransom und Dr. Death kennen, doch das ist noch gar nichts gegen die Kostümparty am nächsten Abend. Talar von Lemuria, die an Ransoms Arm den kleinen Tackie entdeckt, ist nur mit einem Haufen Schmuck bekleidet, und Dr. Death lauert in der Ecke, um Tackie ein schreckliches Schicksal anzudrohen.

Als Tackie bei seiner Mutter Trost vor diesen Schrecken sucht, sieht er, wie Dr. Black etwas in Mutters Armbeuge spritzt. Er läuft zur Nachbarin und die ruft die Polizei zu Hilfe. Wollte Dr. Death seiner Mutter etwas antun, fragt sich Tackie bang. Wird er sie verlieren? Werden die Tiermenschen erscheinen? Wo ist Captain Ransom, wenn man ihn braucht?

|Mein Eindruck|

Diese wundervolle Story verpasste den |Nebula Award| nur um eine Stimme, die falsch abgegeben wurde. (Das war eine wahrlich denkwürdige Abstimmung, die in die Annalen einging!) Sie gehört zu einer Triologie aus Erzählungen, die alle mit den Substantiven Doktor, Tod und Insel spielen, so etwa „Der Tod des Dr. Island“ (dt. bei Heyne, Band 06/3674).

Die Story weist Gene Wolfe nicht nur als einfallsreichen und frechen Erzähler aus, sondern auch als gewieften Stilisten. Während Tackies Geschichte in der Du-Perspektive und im Präsens erzählt ist, bleibt die eingeschobene Schundromangeschichte dem gewohnten Präteritum aller Schundromane verhaftet. Auf diese Weise sind die zwei inhaltlichen Ebenen grammatisch sofort erkennbar.

Allerdings vermischen sie sich inhaltlich in der Partyszene, wie oben angedeutet, und zwar auf eine geradezu phantasmagorische Weise, als wandle Tackie zwischen Realitätsebenen hin und her. In seinem Erleben sind Schundroman und eigene Realität miteinander verwoben, weil er sie nicht unterscheidet. Dadurch kommt es zu einer Überlagerung der Realität durch die angelesene Fiktion, die zu einem Irrtum führt. Denn Dr. Black ist keineswegs ein Dr. Death, sondern will Tackies Mutter helfen. Aber der Irrtum deckt Mutters Krankheit auf, und Tackie muss ins Waisenhaus.

Dass der Schundroman eng an den mehrfach verfilmten H. G. Wells‘ Klassiker „Die Insel des Dr. Moreau“ angelehnt ist, dürfte jedem Kenner sofort auffallen. Durch seine Behandlung dieses Vorbilds erreicht Wolfe mehrere Ziele: a) Wells wurde für Schundromane missbraucht – eine Textkritik; b) Schundromane können die Phantasie kleiner Jungs ganz schön anheizen und dabei zu ungeahnten Ergebnisse bei der Interferenz mit der Realität führen – eine Wahrnehmungskritik. Sollten also Schundromane generell kleinen Jungs verboten werden – eine moralisch-ethische Frage, der sich der Autor durch seine Ironie entzieht und dem Leser die Entscheidung überlässt.

4) _Fritz Leiber: Verhängnis in Lankhmar_ (Ill met in Lankhmar, NEBULA)

Dies ist das erste Abenteuer, das das berühmte Abenteurerpaar [Fafhrd und der Graue Mausling 2340 gemeinsam besteht. Nachdem sie zwei Angehörigen der Diebesgilde von Lankhmar Juwelen abgenommen haben, verteilen sie die Beute an ihre jeweiligen Freundinnen Vlana und Ivriana. Doch durch ihre Tat haben sie sich den Zorn der Diebesgilde zugezogen, und deren Großmeister Kovras veranlasst seinen Zauberer Hristomilo, das Werk der Rache auszuführen.

Weil die beiden Damen ihre Freunde der Feigheit vor den Dieben geziehen haben, ziehen die beiden Gefährten los, um das Haus der Diebe auszukundschaften. Sie machen unangenehme Bekanntschaft mit Hristomilo und Kovras, können jedoch über die Dächer entkommen. Als sie Mauslings Heim wieder erreichen, erwartet sie ein schrecklicher Anblick: Ratten haben die beiden Herzensdamen angefressen. Die Rache der beiden Gefährten ist furchtbar und folgt auf dem Fuße …

|Mein Eindruck|

Wie man sieht, fallen die Abenteuer von Fafhrd und dem Grauen Mausling in das Genre der |Sword and Sorcery|, also Schwerter und Zauberei. Fritz Leiber begründete mit diesen rund sechs Büchern, die zahlreiche Erzählungen umfassen, einen separaten Zweig innerhalb der Fantasy, der einerseits im Verbrechermilieu angesiedelt ist, andererseits viel mit Magie zu tun hat. Später baute hierauf die Shared-World-Serie „Die Diebe von Freistatt“ auf, die einigen AutorInnen ein gutes Auskommen verschaffte (dt. bei |Bastei Lübbe|).

Die Abenteuer sind stets abwechslungs- und actionreich, doch die Helden werden selbst ebenfalls überlistet. Das farbenfrohe Milieu ist angelehnt an die Märchen aus Tausendundeiner Nacht, doch die Magie entstammt dem finsteren Mittelalter Europas. Hier lassen sich in der Tat sehr vielfältige Plots ansiedeln. Einen brachialen Conan wird man hier aber nicht antreffen, denn für einen solchen Muskelprotz ist neben Fafhrd und dem Graue Mausling, zwei gewitzten Streunern, kein Platz.

Die Übersetzung ist an manchen Stellen holprig und sogar irreführend (sie verwechselt Vlana mit Ivrian). Ich empfehle daher die Version in dem Sammelband „Schwerter im Nebel“ (|Heyne| 06/4287).

5) _R. A. Lafferty: Fortsetzung auf dem nächsten Stein_ (Continued on next rock)

Dies ist die Story von der wahrscheinlich verrücktesten Archäologenexpedition der Literaturgeschichte. Fünf Archäologen finden sich über dem Green River im Nordwesten der USA zu einer Grabung ein, doch das fünfte Mitglied, Magdalen, ist nur eine Hilfsarbeiterin. Ihre hellseherischen Fähigkeiten verblüffen die anderen immer wieder. Sie weiß, wo ein bestimmtes Stück Wild zu finden ist und dergleichen. Nicht genug damit, nun taucht auch noch ein alter Mann auf, der sich Anteros (= Gott der unerfüllten Liebe) Manypenny nennt und weiß, wo in der geheimnisvollen Felsnadel, an der sie graben, ein bestimmtes Artefakt eingeschlossen ist. Merke: Er kann in den Fels hineinsehen!

Nicht genug damit, beginnen die gefundenen Artefakte eine Geschichte zu erzählen, und da sie auf drei Objekten – aus verschiedenen Zeiten, wohlgemerkt – stehen, steht jeweils am Ende ein mysteriöses Zeichen. Es ist natürlich Magdalen, die es als „Fortsetzung folgt auf dem nächsten Stein“ interpretiert. Die Geschichte besteht aus den Angeboten eines reichen Mannes an eine Angebetete oder an einen Gott, der mit seinem Reichtum prahlt und wirbt.

Die Archäologen sind konsterniert, um es gelinde auszudrücken. Aber es scheint eine enge Verbindung zwischen Geist und Stein zu bestehen. Die Analogie wird weitergetrieben. Als die Felsnadel durch eine Explosion zerstört wird, verschwinden erst Anteros, dann Magdalen, schließlich auch die Erinnerung an die beiden. Als eine Statue aus der Felsnadel geborgen wird, die wie Anteros aussieht, wundern sich alle. Ob hierauf wohl die Geschichte der Indianer fortgesetzt wird?

|Mein Eindruck|

Der Amerikaner Raphael Aloysius Lafferty ist ja bekannt für seine ungewöhnlichen Ideen und Erzählweisen, und diese seine Story stellt selbst den SF-Leser vor Herausforderungen. 1914 in Iowa geboren, arbeitete er 35 Jahre lang als Elektriker. Erst mit 45 Jahren begann er zu schreiben und hatte auf Anhieb Erfolg. Mit seinen geistreichen Schnurrpfeifereien gewann er die Gunst der Leser und 1973 sogar den bedeutenden |Hugo Gernsback Award|.

In dieser Erzählung bekommen wir so ganz nebenbei die Archäologie der indianischen Völker Mittel- und Nordamerikas mitgeteilt, aber nicht etwa trocken und akademisch, sondern mit Leben und Bedeutung erfüllt. Obendrein handelt es sich um eine witzige Geistergeschichte, wie das Auftauchen von Anteros und Magdalen belegt. Magdalen lässt einen der Forscher, Robert, abblitzen, als er ihr Avancen macht. Dass es erotische Spannungen gibt, wird nur unterschwellig, durch die Blume, mitgeteilt, aber man kann diese Hinweise finden.

Die Story mag vielleicht keinen offensichtlichen Sinn ergeben, aber einen symbolischen. Setzt man Schichten des Geistes (inkl. Unterbewusstsein, Gedächtnis usw.) und geologische Schichtungen gleich, dann ergeben sich daraus zahlreiche Folgerungen. Diese spielt Lafferty wortwörtlich durch. Auf einer übertragenen Ebene wird hier also Bewusstseinesarchäologie betrieben.

6) _Harry Harrison: Am Wasserfall_ (By the falls)

Der Reporter Carter besucht den Mann Bodum, der seit vierzig Jahren am Wasserfall lebt. Der Wasserfall ist so groß und so breit, dass niemand ihn je überwunden hat. Und er donnert derart laut, dass Carter schon nach wenigen Minuten fast taub ist. Bodum jedenfalls hat sein Gehör schon fast gänzlich eingebüßt, und so muss Carter brüllen, um sich verständlich zu machen.

Das stabile Haus steht direkt an einer Klippe neben dem Fall, und durch das vibrierenden Panzerglas der Fensterscheibe kann Carter auf den Wasserfall schauen. Etwas Schwarzes kommt heruntergefallen, dann etwas, das wie ein ganzes Schiff mit Passagieren an der Reling aussieht, dann färbt sich der Wasserfall rot – blutrot. Bodum bekommt davon nichts mit und will auch nichts davon wissen, dass dort oben, jenseits des Falls, eine andere Welt sein könnte.

Alles, was er vom Fall weiß, ist, dass ein schwarzes Hund angespült wurde und ein Fetzen Papier, auf dem in Krakelschrift HILFE steht …

|Mein Eindruck|

Es ist eine Geschichte über das Ende der Welt. Nur mit einem etwas verschobenen Blickwinkel. Mal angenommen, der Wasserfall bilde wirklich, wie man im Altertum glaubte, das Ende der Welt, also den Rand der Weltenscheibe, dann könnte er wirklich so groß wie ein Ozean sein. (|Scheibenwelt|-Leser wissen, was gemeint ist.) Dann färbt sich dieser Ozean auf einmal blutrot, was auf eine entsprechende weltumspannende Katastrophe hindeutet, möglicherweise auf einen Krieg.

Die Erzählung zeigt zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Der Reporter ist, wie es seine Art und Aufgabe ist, neugierig auf dieses Phänomen des Untergangs einer noch nie gesehenen Welt, doch Bodum ignoriert diese neue Welt, so gut es geht. Es geht ihn nichts an. Er ist ja eh schon so gut wie taub, und nach 40 Jahren hat er gelernt, nicht nur den Lärm des Falls zu ignorieren.

Was mag der Fall wohl in unserer Wirklichkeit symbolisieren? Ist er das Informationsbombardement, dem wir ständig ausgesetzt sind? Dass er eine Barriere für die Wahrnehmung ist, scheint der, ähem, Fall zu sein. Und diese Barriere schirmt uns vor dem ab, was als Katastrophe in der nächsten Welt gerade passiert. Der Wasserfall ist eine physische Barriere, doch in unserer Realität trennt uns nur eine psychische Barriere davon, uns um die Katastrophen nebenan zu kümmern.

Das war 1970. Heute ist die Welt ein Dorf geworden, und ich denke, die Weihnachtskatastrophe des Tsunami 2005 hat gezeigt, dass unsere Hilfe auch unsere Mitmenschen erreicht, selbst wenn sie 10.000 Kilometer entfernt leben.

7) _Joanna Russ: Die Zweite Inquisition_ (The second inquisition)

Ein sechzehnjähriges Mädchen erinnert sich an den Sommer 1925, als ihre Familie eine sonderbare Frau als Gast bei sich aufnahm, um etwas Geld hinzuzuverdienen. Der Vater ist nur Buchprüfer und herzkrank, kann also nichts verdienen. Die Frau ist deshalb so sonderbar, weil sie sich ganz in Schwarz kleidet, kurzes Haar trägt und mehr als zwei Meter groß ist. Der Buchprüfer Ben lehnt dies kategorisch ab, aber er schweigt, weil er das Geld braucht. Und seine Frau sagt immer nur: „Die arme Frau, die arme Frau.“

Nun, die arme Frau hat einen Plan und mischt sich in das Leben des sechzehnjährigen Mädchens ein. Sie gibt ihr einen unanständigen Roman mit dem Titel „Der grüne Hut“ zu lesen (was zu einer Gardinenpredigt Bens führt), zeigt ihr seltsame Zeichnungen und erzählt ihr von den Kreaturen aus Wells‘ Roman [„Die Zeitmaschine“, 3578 den das Mädchen ebenfalls begeistert gelesen hat. Natürlich gibt es weder Morlocks noch Eloi und erst recht keine Transtemporale Militärbehörde. Oder?

Doch dann lernt das Mädchen auf einer Party im Country Club einen Mann kennen, der ebenso groß ist wie die sonderbare Frau und der keine gute Meinung von den Erdenmenschen hat. Was fällt ihm ein? Die Sonderbare entführt kurzerhand ein Auto und fährt das Mädchen zu ihrem Heim, um dort etwas vorzubereiten, von dem das Mädchen überhaupt nichts begreift. Was soll sie bloß mit einem heißen Schürhaken und einer Tasse giftigen Salmiakgeistes anfangen? Doch als der sonderbar große Mann eintritt und die sonderbare Frau bedroht, geraten die Dinge außer Kontrolle …

|Mein Eindruck|

Was würde passieren, wenn deine Enkelin, die älter aussieht als du selbst, 150 Jahre in der Zeit zurückreisen würde, um dich vor einer kommenden Gefahr zu warnen oder dich um deine Hilfe zu bitten? Nun, sie würde erstmal ziemlich deplatziert und sonderbar aussehen und du würdest ihr zweitens kein einziges Wort glauben, weil sie als Mensch ebenso unglaubwürdig ist wie ihre Geschichte, die sie dir erzählt.

Doch was würde passieren, wenn noch weitere Besucher aus der Zukunft kämen – durch eine Art Spiegel oder so – und würden deine Enkelin bedrohen, sie in ihre eigene Zeit zurückzerren und dich obendrein mit dem Tod bedrohen, weil du alles gesehen hast? Nun sieht die Angelegenheit zwar tausendmal schrecklicher aus, aber du könntest wenigstens den Gedanken wagen, dass es Morlocks gibt. Und wo Morlocks sind, könnte es vielleicht sogar Eloi geben. Und eine Zeitmaschine. Und womöglich sogar – Gott verhüte! – eine Transtemporale Militärbehörde, die auf sie alle Jagd macht.

Und dann könntest du vielleicht anfangen, einen schwarzen Dress zu nähen, der ein wenig so aussieht wie die Uniform einer Morlockkriegerin. Aber das Ding sieht dann auch irgendwie lächerlich aus, nicht wahr? Aber für wie lange …

Viele solcher Zeitreisegeschichten, z. B. „Zurück aus der Zukunft“, handeln vom Besuch bei den Vorfahren, aber nur wenige machen sich Gedanken darüber, was das für den Besuchten bedeuten könnte. Hier ist es ein namenloses Mädchen, das von seiner namenlosen Enkelin besucht wird. In der Zukunft tobt ein transtemporaler Krieg, wie ihn sich H. G. Wells nicht schlimmer hätte ausdenken können. Soll die Enkelin ihre Vorfahrin wirklich dadurch in Gefahr bringen? Sie versucht, sie zu schützen und schafft es mit knapper Not unter Opfern. Dass dies nicht ohne Folgen auf die Vorfahrin bleiben kann, versteht sich, aber wie werden diese aussehen? Sie will ja nicht als Alien durch die Gegend laufen und bald mal heiraten.

Was dies alles mit der Inquisition zu tun hat, wird wohl das Geheimnis der Autorin bleiben. Sie ist offenbar mehr der klassischen Moderne wie etwa Virginia Woolf verpflichtet als dem Stil der Pulp-Fiction-Autoren alter SF.

_Unterm Strich_

Der Auswahlband ist meines Erachtens ein schönes Beispiel dafür, wie Science-Fiction sich mit den sich wandelnden Bedingungen menschlicher Existenz auseinandersetzt („Fortsetzung“, „Bonsai-Mensch“, „In der Schlange“), andererseits aber mit verhängnisvollen Begegnungen für Jugendliche das innere Erleben der Hauptfiguren so interessant zu gestalten vermag, dass man selbst neugierig darauf wird, wie die – meist ziemlich verrückte – Geschichte ausgeht.

Ziemlich aus dem Rahmen fällt natürlich die Fantasynovelle „Verhängnis in Lankhmar“, die später den Titel „Das Haus der Diebe“ erhielt. Was hier nach purer Lust am Abenteuer und an Magie aussieht, entbehrt durch den Verlust der beiden Frauen nicht einer gewissen tragischen Tiefe. Überhaupt mag den Leser verwundern, dass eine Fantasystory in den Band aufgenommen wurde, aber es nun mal so, dass die Amerikaner keinen großen Unterschied zwischen den Genres SF und Fantasy machten, und viele ihrer Autoren in beiden Genres tätig waren, selbst Clifford Simak.

Die Übersetzung gerade dieser Story ist nicht gerade optimal gelungen, und auch bei den anderen Beiträgen neige ich zur Vorsicht und Skepsis. Manchmal findet sich eine bessere Alternative, so etwa bei der Leiber-Novelle.

Die Reihe der „Nebula Award Stories“ wird meines Wissens bis heute fortgeführt. Viele der Preisträger tauchen in den Auswahlbänden „Year’s Best SF“ wieder auf. Ganz nebenbei kann sich der deutsche Leser so auf dem Laufenden halten, was in der SF den Ton angibt, denn deutschen Story-Anthologien mit angloamerikanischen Beiträgen muss man seit 2001, als |Heyne| seine Anthos einstellte, mit der Lupe suchen.

Mit den alten |Moewig|-Auswahlbänden bietet sich Einblick in eine der interessantesten Epochen der US-SF, nämlich nach der New Wave und der Abschaffung von Zensurbestimmungen im Jahr 1967 oder 1968. Dadurch erhielten die Autoren sowohl stilistische als auch inhaltliche Freiheiten, die sie zu Neuerungen anspornten. Ich würde aber nicht sagen, dass diese unbedingt schon in diesem Band zu finden sind, es sei denn man, zählt die Story von Lafferty zu den innovativen.

|Originaltitel: Nebula Award Stories 6, 1971
Aus dem US-Englischen von Rosemarie Hundertmarck|

James Tiptree jr. – Beam uns nachhaus

Mission durch Fission: Die Welt wird bekehrt

Dieser zweite deutsche Tiptree-Band versammelt die ersten Geschichten der Autorin, die sie veröffentlichte und die in der SF-Gemeinde zwischen 1968 und 1971 für Furore sorgten. Zusammen mit dem Band „10.000 Lichtjahre von zuhaus“ (|Heyne| SF-Band 3462) erschienen die Geschichten unter dem Titel „10.000 Lichtjahre von zuhaus“ später in der SF-Bibliothek des |Heyne|-Verlags.

Die Autorin

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Wolfgang Jeschke, Robert Silverberg – Titan-6

Mit Tweel durch die Wüsten des Mars

Die Großen der Science-Fiction werden mit ihren Meisterwerken bereits in der sogenannten „Science Fiction Hall of Fame“ verewigt, welche natürlich in Buchform veröffentlicht wurde (statt sie in Granit zu meißeln). Daher können Freunde dieses Genres noch heute die ersten und wichtigsten Errungenschaften in der Entwicklung eines Genres nachlesen und begutachten, das inzwischen die ganze Welt erobert und zahlreiche Medien durchdrungen hat.

In der vorliegenden Ausgabe des Auswahlbandes Nr. 6 von „Titan“, der deutschen Ausgabe der „SF Hall of Fame“, sind Novellen von Heinlein, Lester del Rey und Stanley G. Weinbaum und John W. Campbell gesammelt.

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Steer, Dugald A. / Bette, Christoph – magische Drachenauge, Das (Die Drachenchroniken 1)

_Abenteuer in der Schule der geheimen Drachenschützer_

Dunkle Höhlen, feuerspeiende Geschöpfe und wertvolle Schätze – das ist die Welt der Drachenforscher. Der Autor schickt die Geschwister Daniel und Beatrice zusammen mit dem exzentrischen Dr. Drake auf eine abenteuerliche Reise, denn das Drachenauge, das unglaubliche Macht verleiht, ist in Gefahr.

Für Kinder vom Verlag empfohlen ab acht Jahren, besser aber erst ab zehn.

_Der Autor_

Der englische Schriftsteller Dugald A. Steer hat im Verlag |Templar Publishing| bereits die ersten Abenteuer von „Ernest Drake: Expedition in die geheime Welt der Drachen“ sowie „Das geheime Buch der Magie – Die Zauberkunst Merlins“ veröffentlicht. Dr. Drake tritt auch in „Das Drachenauge“ wieder auf.

[„Das geheime Buch der Magie – Die Zauberkunst Merlins“ 3890
[„Expedition in die geheime Welt der Drachen“ 3045

_Die Sprecher_

Timmo Niesner ist die deutsche Synchronstimme von Elijah Wood, beispielsweise als Frodo Beutlin in Peter Jacksons Verfilmung des „Herrn der Ringe“. Der zweite Sprecher ist Richard Hucke.

Die beiden Sprecher lesen eine von Christoph Bette bearbeitete Fassung vor. Bette führte auch Regie, nahm in den Mango Studios, Köln, auf und besorgte den Schnitt.

_Handlung_

Die ganze Angelegenheit beginnt um 6:15 Uhr am Freitagmorgen, den 7. Juli 1882 in London. Eine Kutsche lädt wenig später eine ominöse Kiste vor einem Laden im Wyvern Way ab und fährt dann weiter. Ein etwa sechzigjähriger Mann schaut aus dem Fenster des Ladens. Aus der Kiste steigt eine Rauchfahne auf … Die Kutsche des Lieferanten fährt weiter ins Regierungsviertel und hält vor dem Haus des Ministers Shillingford. Doch draußen bleibt eine Dame in der dunklen Kutsche sitzen und harrt der Dinge, die da kommen sollen.

|Ein Laden für Drachenbedarf|

Daniel Cooke wartet am Bahnhof vergeblich auf das Eintreffen seiner Eltern aus Indien. Nur seine Schwester Beatrice ist schon da. Sie gibt ihm einen Brief: Die Eltern seien verhindert und müssten noch länger in Indien bleiben. Statt ihres Onkels Algernon sollen sie diesmal zu ihrem Freund Dr. Ernest Drake in Sussex fahren, um dort den Sommer zu verbringen. Dessen Laden befinde sich im Wyvern Way. Als sie davor stehen, lesen sie das Ladenschild: „Dr. Drakes Drachenbedarf“. Oh je, Onkel Algernon hatte Beatrice gewarnt. Dieser Drake sei ein Träumer – und rede immerzu nur von einem: von Drachen. Bea hat eine sehr geringe Meinung von Drachologen. Aber das soll sich ändern.

Im Drachenladen herrscht große Unordnung, aber es ist niemand zu sehen. Daniel folgt allein den Stimmen von streitenden Männern und stößt in einer Kammer auf ein flatterndes Wesen, das Schwefelgeruch verbreitet. Gerade noch rechtzeitig, bevor der kleine Drache Daniel angreifen kann, schließt Dr. Drake die Tür zu dieser Kammer. Als Daniel seiner Schwester berichtet, da unten im Keller sei ein Drache, glaubt ihm die ernste junge Dame kein einziges Wort. Doch als sie auf einem Bild von anno 1868 ihre Eltern neben Dr. Drake stehen sieht, weiß sie wenigstens, dass sie hier an der richtigen Adresse sind. Allerdings dauert es noch Stunden, bis alles abfahrbereit ist.

|Die Schule für Drachologen|

In Sussex führt Dr. Drake eine kleine Schule für angehende Drachologen auf seiner Burg. In einer Woche beginne sein neuer Ferienkurs. Schnell werden er und Beatrice Freunde, was Daniel nicht wenig erstaunt. Am vierten Tag tauchen weitere Kursteilnehmer auf und bringen eine Kiste mit, die sie im Schuppen verstauen. Sorgfältig verschließen sie den Schuppen wieder. Was mag wohl darin sein, fragt sich Daniel. Er schaut heimlich nach und entdeckt das Drachenjunge, das er schon in Drakes Laden gesehen hat. Diesmal versucht es nicht, ihn anzugreifen. Stattdessen will es ihn hypnotisieren!

Dr. Drake unterbricht noch rechtzeitig den Bann des Drachen, füttert das Jungtier und beruhigt es durch Gesang. Er habe den Auftrag, es von einer Krankheit zu heilen, erzählt er. Daniels Ausrutscher bestraft er nicht, brummt ihm aber entsprechende Arbeiten auf. Außerdem soll er ein Protokollbuch führen. Auf einem morgendlichen Ausflug in den dichten Wald beobachtet er mit Drake einen weiblichen Drachen bei der Jagd auf Kaninchen.

Der Unterricht wird in der Burg fortgesetzt, wo inzwischen alle Kursteilnehmer eingetroffen sind, auch die zwei Kinder des Ministers Shillingford. Endlich erfährt Daniel auch von der Existenz der Geheimen Alten Gesellschaft der Drachologen, kurz GAGD, in der auch seine Eltern Mitglieder sind. Sie hat sich seit 750 Jahren dem Schutz der Drachen weltweit verschrieben. In Indien kümmern sich die Cooks um die krank gewordenen Nagas, erzählt Drake. Da die Gesellschaft über zwölf wertvolle Schätze verfüge, dürfen aber nur Eingeweihte von ihrer Existenz erfahren. Zurzeit gebe es keinen Drachenmeister, der den Kontakt zu den Drachen unterhalte, aber er, Dr. Drake, hoffe, bald von den Oberdrachen, d. h. von der Hüterin und ihren Freunden, dazu gewählt zu werden.

|Das Unheil beginnt|

Dazu kommt es allerdings nicht. Nach einem Ausflug finden die Kursteilnehmer die Burg verwüstet vor, der Jungdrache wurde ebenso gestohlen wie Drakes Tagebuch und einer der Schätze. Oh je, Drake schwant nichts Gutes. Der Räuber hat einen Brief hinterlassen. Er nennt sich Ignatius Crook, sei der Sohn des vormaligen Drachenmeisters. Er hat das Horn des hl. Gilbert gestohlen, und wenn er nun noch Drachenstaub findet und das magische Drachenauge, könnte Crook der neue Drachenmeister werden. Nicht auszudenken, welches Unheil über die Welt hereinbräche, wenn solch ein skrupelloser Schurke über die Drachen der Welt geböte!

Dr. Drake bittet die Kinder, ihm dabei zu helfen, dieses Unheil von der Welt abzuwenden und Ignatius Crook das Handwerk zu legen. Die Kinder, Daniel als erstes, stimmen zu, begeistert, aber auch ein wenig beklommen. Wer weiß schon, womit sie es jetzt zu tun bekommen?

Das Abenteuer beginnt.

_Mein Eindruck_

Die ersten beiden Kapitel wirken, als habe sie der Autor seinen beiden ersten Büchern über a) Drachologie und b) über Merlin nachgebildet. Da ist der weise alte Mann, der über streng gehütetes Wissen verfügt, und da sind die Kinder, die (stellvertretend für die Leser und Hörer) auf sehr vor- und umsichtige Weise in eben dieses Wissen eingeführt werden. Ein Teil dieses Wissens wird – zumindest im gekürzten Hörbuch – bereits vorausgesetzt, so etwa die Arten der Drachen, wie etwa Knucker und Europäische Drachen. Die Reise nach Cornwall kennen wir teilweise schon aus dem „Merlin“-Buch.

Doch diesmal kommen mehrere Faktoren hinzu, die diese Geschichte sehr viel spannender machen als all die erzählenden Lehrbücher davor: ein Bösewicht. Ach was! Zwei Bösewichte sowie ihre drakologischen Helfershelfer wie etwa der kleine fiese Flitz. Wie sich herausstellt, hat Ignatius Crook, dem man das Erbe seines Drachenmeistervaters verwehrt hat, eine feine Intrige gesponnen, die dazu führt, dass sich Dr. Drake um den Erhalt des magischen Drachenauges zu sorgen beginnt. Die vor Drakes Laden abgesetzte Kiste ist der Anfang einer langen Kette von fiesen Tricks, mit denen Crook – der Name spricht Bände – Drake zusetzt.

Drake muss befürchten, dass Ignatius das Drachenauge in die gierigen Finger bekommt, und reist nach Schottland. Dort geht dann die Post richtig gut ab. Erst ereignet sich ein prächtiger Drachenkampf, dann gehen die Drake-Getreuen in den Untergrund. Wie schon aus den Tolkien-Romanen „The Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ zu erfahren, spaziert man nicht einfach so in einen Drachenhort hinein. Todesfallen warten auf den ahnungslosen Wanderer und magische Sprüche sind allenthalben vonnöten, um allerlei Ungemach abzuwenden. Man denke nur an die Westpforte von Moria und die dort auszusprechende Losung („Freund“ bzw. „mellon“).

|VORSICHT, SPOILER!|

Der Höhepunkt der Handlung ist ganz schön actionreich. Der Sieg scheint mal auf der Seite Ignatius‘ zu liegen, dann auf der von Alexandra, schließlich aber bei Dr. Drake. Würde man diese lange Szene verfilmen, müsste man alles aufbieten, was für einen Film gut und teuer ist – ungefähr wie in der Verfilmung von „Eragon“. Sie hat nur ein Manko, abgesehen von den wechselnden Seiten: Daniel und die Kinder kommen nur sehr am Rande darin vor.

|SPOILER ENDE|

Ich fand die Handlung jedenfalls zu keiner Zeit langweilig. Sicher, manchmal wird ein wenig zu stark doziert, wenn Dr. Drake in seiner Schule lehrt. Aber das liegt wohl in der Natur der Sache. Und dass Daniel vom Drachen hypnotisiert wird, ist eher lustig als langweilig. Auch der Kampf gegen die Seeräuber und deren Ende durch eine gewaltige Seeschlange fällt in die Kategorie „gute Unterhaltung für Kids“. Am besten finde ich die ökologische Botschaft der Geschichte: Drachen sind gefährdet und müssen geschützt werden.

Um die Geschichte aufzulockern und die häufig hervorgehobene Bedeutung von Protokollbüchern zu belegen, sind in den erzählenden Text Zitate aus Dr. Drakes Drachentagebuch eingestreut. Diese Einzeiler haben mehr den Charakter von Warnungen und freundlichen Ratschläge – sozusagen die Stimme der Weisheit. Sie bilden ein weiteres Element sehr feiner Ironie.

_Die Sprecher_

Es ist schon bemerkenswert und etwas seltsam, aber ich konnte die beiden Sprecher überhaupt nicht auseinanderhalten. Das bedeutet hoffentlich nicht, dass ich einen Hörschaden habe, sondern nur, dass sich ihre Stimmen und Stimmlagen auf unglaubliche Weise ähneln. Im Folgenden spreche ich daher von den Sprechern in Personalunion.

Der Sprecher zischt und flüstert, äußert sich ärgerlich, herablassend oder spöttisch. Dadurch charakterisiert er nicht nur die Figuren, wie etwa Ignatius und Alexandra, sondern bringt auch die in der jeweiligen Situation angebrachte Emotion zum Ausdruck. Das Bemerkenswerte daran: Dies betrifft nicht nur menschliche Figuren, sondern auch Drachen.

Während der Jungdrache nichts zu melden hat, gewinnen die beiden weiblichen Oberdrachen umso mehr an Bedeutung. Der Jungdrache ist der Sohn der Drachin Scrammasax, die den Schlüssel zu den Schätzen hütet. Es ist insbesondere ihre Kollegin, die uralte Hüterin der Drachenschätze, die eindrucksvoll gestaltet ist. Sie spricht voll Würde, Autorität und Weisheit in einer recht tiefen Tonlage.

Auch länderspezifische Akzente spielen eine charakterisierende Rolle. Drakes Köchin beispielsweise ist eine Französin, sein Assistent Emory Cloth ist Amerikaner und rollt das R fast ebenso schlimm wie die Russin Alexandra Gorenitschka. Am Schluss tritt Onkel Algernon Cook doch noch auf. Mit seinem nervösen britischen Akzent kann man ihn sich sehr gut als verfeinerten Viktorianer vorstellen.

Das Hörbuch weist weder Musik noch Geräusch auf, daher brauche ich darüber keine Worte zu verlieren. Auch ohne diese Zutaten sollte der Text für Kinder ab zehn Jahren gut verständlich sein. Die Action, die im Drachenhort stattfindet, und die dabei entfaltete Gewalt empfehlen die Geschichte nicht für jüngere Kinder.

Den CDs liegt ein Tattoo-Sticker bei. Damit kann man in der Schule sicher gut renommieren.

_Unterm Strich_

Mir hat die Geschichte ausnehmend gut gefallen. Sie ist lehrreich, unterhaltsam, nicht leicht zu durchschauen und deshalb immer wieder überraschend und somit spannend bis zum Schluss. Über den ausgedehnten Actionhöhepunkt war ich ziemlich erstaunt, denn so etwas hätte ich mehr von einem Roman des „Eragon“-Kalibers erwartet als von einem Kinderbuch über fast ausgestorbene Drachen in Britannien.

Drachen spielen hier also eine ganz andere Rolle als in „Eragon“, im „Hobbit“ oder in Naomi Noviks Bestsellerzyklus über die Feuerreiter seiner Majestät, in dem die ganze Welt von Drachen erfüllt ist. Bei Steer sind Drachen eine bedrohte Spezies, die sich gut versteckt, und dementsprechend geheim ist auch die Gesellschaft der Drachenschützer. Wer sich mit diesem Geheimbund identifiziert, darf sich richtig exklusiv fühlen – und vielleicht trifft dies ja auch auf die Grünen im heutigen Großbritannien zu.

Die zwei Sprecher erledigen einen richtig guten Job, ohne dabei aber die Sprachakrobatik von Rufus Beck an den Tag zu legen. Sie charakterisieren die wichtigsten Figuren und präsentieren Emotionen je nach Erfordernis einer Szene – das ist das Minimum an Leistung, das man verlangen kann. Es gibt weder Geräusche noch Musik, die sie in diesem Bemühen unterstützen würden. Aber an keiner Stelle drängen sich die Sprecher in den Vordergrund oder stören durch Patzer. Insofern kann man mit ihrer Lesung durchaus zufrieden sein.

|Originaltitel: The Dragon’s Eye – Dragonology Chronicles Vol. 1, 2006
Aus dem Englischen übersetzt von Dorothee Haentjes-Holländer und Stefanie Mierswa
198 Minuten auf 3 CDs|

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Cory Doctorow – Backup. SF-Roman

Mord und Absturz in Disney World

Vor seiner Ermordung hätte sich der Komponist und Designer Julius nicht träumen lassen, wie wichtig ein zeitnahes Backup der eigenen Erinnerungen ist. Aber da dies schon sein vierter Tod ist, hat er allmählich eine Vorstellung davon, wie wichtig eine Sicherungskopie ist. Daher ist er wenige Tage später schon wieder in einem neuen Klonkörper einsatzbereit. Seine Freunde Dan und Lily helfen ihm, den Verantwortlichen ausfindig zu machen und zur Rechenschaft zu ziehen.
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Rohrbeck, Oliver / Wilhelm, Andrea – Trek nach Westen, Der. Sammelbox Teil 1 – 3

_Westernparodie: wilde Knutschereien und Verfolgungsjagden_

Ein klassischer Western in 3 Teilen: Als der Westen noch wild ist, schließt sich ein junger Ire einem Treck mit dem Ziel Kalifornien an, um sich eine neue Zukunft aufzubauen: Bill Buffalo (sehr irischer Name). Auf dem Ritt lernt er die schöne Helen kennen und heimlich lieben. Aber das gefällt ihrem Vater Taylor Hackford, dem ehrgeizigen Anführers des Trecks, gar nicht. Gemeinsam mit seinem Freund Joe Jackson flieht Bill Buffalo vor Hackfords Rache bis in die Wüste von Mexiko. Können die beiden den wütenden Verfolgern entkommen?

_Die Macher_

Die Aufnahmen des Hörspiels fanden während der Live-Aufführungen der |LauscherLounge| im Jahr 2005 statt. Die Mitwirkenden sind die bekannten Sprecher von Hollywood-Stars wie Richard Gere, Leonardo DiCaprio, Reese Witherspoon (Ranja Bonalana), Ben Stiller (Regisseur Rohrbeck), Jackie Chan, George Clooney (Detlef Bierstedt), Jamie Foxx und „Colt Seavers“, um nur einige zu nennen.

Buch und Konzeption gehen auf das Konto von Andrea Wilhelm und Oliver Rohrbeck, die Geräusche erzeugten Jörg und Peter Klinkenberg, die Musik komponierte Dirk Wilhelm. Für Livemix und Aufnahmen war Stefan Lohr verantwortlich. Regie führte Rohrbeck. Mehr Informationen zum Studio und dessen Angeboten: http://www.lauscherlounge.de.

_Handlung_

Durch das Death Valley in Nevada galoppieren zwei Reiter. Es sind Joe Jackson und Bill Buffalo. Was hat sie nur in diese gottverlassene Gegend verschlagen? Es kann nur an ihren Verfolgern liegen, die von Taylor Hackford angeführt werden, dessen Tochter Helen Bill angeblich verführt hat …

Doch von Anfang an. Alles begann in Little Rock, Arkansas, wo der Landarbeiter Bill Buffalo im Saloon von Taylor Hackford angesprochen wird. Hackford, ein Selfmademan, braucht noch Leute, die seinen Treck nach Westen gegen die Indianer beschützen. Es soll nach Kalifornien gehen, wo der Krösus bereits eine eigene Stadt errichtet hat. Bill ist nicht abgeneigt, aber er braucht in Kalifornien ein wenig Kapital für die Existenzgründung. Null problemo! Wozu ist Hackford nicht auch der Besitzer der Bank von Hackfordville?

Wenig später überlistet Hackford am Pokertisch auch Joe Jackson, einen Cowboy, der seinen Colt schneller zieht als sein Schatten. Leider hat er stets Pech im Spiel, und da er bei Hackford Schulden hat, soll er sie beim Beschützen des Trecks abarbeiten (abzüglich Kost und Logis, versteht sich).

Eine Woche später lernen sie beim Start des Wagenzuges die ausnehmend hübsche und freundliche Helen kennen, und Bill hat keinerlei Skrupel, ihr seine Aufwartung zu machen. Sie hat nur einen Fehler: einen höchst eifersüchtigen Vater mit dem Namen Taylor Hackford! Dieser droht Bill alle Qualen der Hölle an, sollte er seine Finger nicht von seinem Goldschatz lassen. Dabei will der Goldschatz eigentlich gar nicht ins ferne Kalifornien, durchs Gebiet garstiger Indianer. Bill bringt sie schnell auf andere Gedanken …

Bill und Jackson müssen rasch verduften, denn Bill hat Helen Küsse geraubt und Joe Hackford dessen prall gefüllte Portokasse! Eine wilde Verfolgungsjagd beginnt, die unsere beiden Superhelden nicht nur durch Indianergebiet, Wüste und wüste Saloons führen wird, sondern auch ins Banditengebiet von Tucson … Ob Bill wohl seine Angebetete jemals wiedersehen wird?

_Die Inszenierung_

Da die Handlung nur so von Klischees aus sämtlichen Western strotzt, lohnt es sich meines Erachtens nicht, ein weiteres Wort darüber zu verlieren. Alle Figuren sind überzeichnet, wie es sich für eine Western-Parodie gehört. Um unterhalten zu können, muss der Western daher entsprechend amüsant und spannend präsentiert werden. Und dies gelingt dem Live-Hörspiel überraschenderweise sehr gut!

Die schon tausendmal gehörten Sätze, die die Sprecher dennoch immer noch mit Gusto – oder wenigstens halbwegs ernsthaft – vortragen, sind nicht gegen Fehler gefeit, und das macht den besonderen Charme der Live-Aufführung aus: Fast jeder Sprecher macht mal Fehler, jeder wird mal korrigiert, beschwert sich über seltsame Satzkonstruktionen und sogar über einen Druckfehler. Aber das bleibt die Ausnahme, denn dies ist eine Aufführung von Profis in ihrem Fach.

|Musik|

Eine weiterer wesentlicher Beitrag sind Musik und Geräusche. Es war eigentlich zu erwarten, aber als wirklich Ennio Morricones Titelmusik zu „Für eine Handvoll Dollar“ (Teil 1 der Trilogie) aufgeführt wird, breitet sich richtig gutes Western-Feeling aus. „Hey, hey-ho!“ Die obligate Westerngitarre und das Honkytonk-Piano im Saloon ergänzen das musikalische Ensemble, zwischendurch erklingen sogar eine gezupfte Ukulele, ein geblasener Kamm (Kazoo) und – du ahnst es nicht – eine Maultrommel! Aber wenigstens wird nicht gesungen. So kann ordentlich Stimmung aufkommen, mal Richtung Action, mal Richtung Romantik.

|Geräusche und Soundeffekte|

Eine Live-Aufführung eines Western ohne Geräusche wäre wie ein Shakespearestück ohne Dialoge, daher werden die Geräusche massiv eingesetzt. Es gehört einfach zur Untermalung der akustischen Westernkulisse, dass Pferde schnauben und galoppieren (in Stereo!), Schüsse fallen und jede Menge Faustschläge ausgeteilt werden. Dieses spezielle Element setzt die Tonregie (Klinkenberg, s. o.) allerdings derartig inflationär ein, dass es schon wieder entwertet wird.

Nicht zu unterschlagen ist übrigens die „wilde Knutscherei“, der sich Bill und Helen mit Wonne hingeben. Ob dies wieder nur ein Sample oder doch „echt“ ist, lässt sich schwer beurteilen. Es ist jedenfalls Bills und Helens Lieblingszeitvertreib. Es sei denn, ein Baby schreit. Dann heißt es wieder mal à la John Wayne: „Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss.“ Und das ist in diesem Fall das Windelnwechseln.

Zu den Toneffekten gehören auch Filter. Des Öfteren reiten unsere Helden durch Höhlen und Canyons, so dass sich hervorragend der Hall-Effekt einsetzen lässt. Vor dem Einsatz des Echos ist der Regisseur jedoch zurückgeschreckt.

Sehr lustig ist auch das Verzerren von menschlichen Stimmen. Es ist zwar nicht gerade Micky Maus, der da erklingt, aber Polly, Molly und Nelly sind nicht weit davon entfernt, in entsprechenden Stimmlagen zu kieksen. Wer genau auf die im Booklet abgedruckte Sprecherliste schaut, wird entdecken, dass der Regisseur Oliver Rohrbeck vier Rollen spricht und seine „Polly“ ist definitiv weiblich!

Außerdem tritt er als Erzähler auf, um die einzelnen Szenen miteinander zu verbinden. Da das gesamte Hörspiel in drei Akte aufgeteilt ist, ist es zudem seine Aufgabe, am Beginn eines jeden Aktes die Rückblende vorzutragen. In Teil 2 ist sie neun Minuten lang, in Teil 3 schon zehn Minuten. Dadurch wird die reine Spielzeit von rund 68-69 Minuten entsprechend verlängert. Zwischen den drei Akten soll man sich wegen dieser Länge eine gehörige Verschnaufpause gönnen. Besonders im dritten Akt erwartet den Hörer ein verzwickter Handlungsverlauf mit häufigen Szenenwechseln, der hohe Aufmerksamkeit fordert.

Ich könnte jetzt anfangen, noch einzelne Sprecher und Sprecherinnen sowie ihre „stimmsynchronen“ Pendants aus Hollywood (Clooney, Witherspoon, DiCaprio) hervorzuheben, aber das wäre unfair gegenüber den nicht erwähnten Sprechern. Das gesamte Ensemble legt sich unheimlich ins Zeug, um die beste Wirkung zu entfalten. Und wenn mal wieder alle Faustschläge ausgeteilt sind und die „wilde Knutscherei“ die Gemüter erhitzt hat, ist dem Gesamtensemble und nicht bloß Einzeldarstellern der rauschende Applaus sicher – das ist ebenfalls zu hören.

Die Aufnahmequalität der Aufführung ist durchaus annehmbar, und wie gesagt, gibt es auch Stereoeffekte. Man muss sich das Ganze aber als Liveaufführung vorstellen und gegenüber einer Studioaufnahme entsprechende Ansprüche zurückschrauben.

_Unterm Strich_

Mir haben der erste und der zweite Teil am meisten Spaß gemacht. Ich beging den Fehler, vor Teil 3 keine Verschnaufpause einzulegen und verlor zwischendurch ein wenig den Überblick über die durch viele Szenenwechsel relativ verzwickte Handlung. Der Epilog ließ aber an Einfachheit und Verständlichkeit nichts zu wünschen übrig. Wer schon immer mal George Clooney, Reese Witherspoon und Leonardo DiCaprio in einem Western hören wollte, kommt hier voll auf seine Kosten.

Dies ist eine Westernparodie und folglich nicht ernst zu nehmen, aber man kann trotzdem seinen Spaß daran haben, wie das Beispiel „Der Schuh des Manitu“ gezeigt hat. Im Gegensatz zu Bullys Film werden hier aber keinerlei Indianer veräppelt, sondern ganz im Gegenteil tritt ein Medizinmann als Heiler auf, um unseren Lieblingshelden Bill Buffalo wieder auf die Beine zu bringen. Dieser Aspekt hat mir sehr gut gefallen. Vielleicht hätte sich sogar Pierre Brice darüber gefreut, dem bekanntlich Abahatschi als Winnetou-Karikatur völlig gegen den Strich ging.

Im Gegensatz zu den sonst so erhältlichen Hörspielen zeichnet sich diese Aufnahme durch die lebhafte Live-Atmosphäre aus. Dazu gehören aber auch, dass Fehler auftreten und sich die Sprecher manchmal wiederholen oder über Druckfehler im Skript beschweren. Aber Toneffekte und Musik sind vom Feinsten, so dass eine gute Westernstimmung aufkommt. Wer solche humorvollen Hörspiele ebenso wie Live-Aufführungen mag, der sollte hier zuschlagen.

|228 Minuten auf 3 CDs|
http://www.luebbe-audio.de

lauscher news

Sternmut, Norbert – Marlies

Von Normans Spielfeld und Marlies, der Hexe

Nach dem erfolreichen Krimi „Der Tote im Park“ folgt nun das Mittelstück einer Trilogie: „Marlies“. Der Leser darf sich auf alles gefasst machen, denn die rothaarige lüsterne Marlies macht sich wieder einmal über den wankelmütigen Schriftsteller Norman her, der selbstverständlich keine Chance gegen ihre Attacke hat.

Der Autor

Norbert Sternmut
Norbert Sternmut

Norbert Sternmut (= Norbert Schmid), geboren 1958, lebt in Ludwigsburg und arbeitet als Sozialpädagoge. Der Theaterautor, Rezensent, Maler, Lyriker und Romanschreiber erhielt Stipendien vom Land Baden-Württemberg und der Stadt Gerlingen. Er veröffentlichte zwanzig Einzeltitel seit 1980 und ist in über 50 Anthologien vertreten. Als Maler trat er mit 75 Ausstellungen an die Öffentlichkeit. Der gelernte Werkzeugmacher wurde nach einem Studium zwischen 1982 und 87 Sozialpädagoge und ist seit 1993 in der Bildungsarbeit im Bildungszentrum Stuttgart tätig. Mehr Infos gibt’s auf seiner Website www.sternmut.de.

Seit 1980 hat Sternmut eine ganze Reihe von Lyrikbänden veröffentlicht, darunter die von mir vorgestellten Bücher „Photofinish“, „Triebwerk“ und „Absolut, du“. In dem Band „88 Rätsel zur Unendlichkeit“ arbeitete er mit dem Grafiker Volker Funke zusammen: Die Rebus-artigen Rätselgrafiken harmonierten mit den frei assoziierenden Gedichttexten Sternmuts. Eine Webseite ergänzte das multimediale Werk auf der Zeit angemessene Weise.

Auf der Prosaseite ist seine Romantrilogie hervorzuheben, zu der „Der Tote im Park“ (1999), „Marlies“ (2003) und sein Roman mit dem Titel „Norm@n“ gehören. Eine Reihe von z.T. phantastischen Erzählungen erschienen in dem Band „Das Zeitmesser“ (Rainar Nitzsche Verlag, Kaiserslautern, 1997).

Handlung

Norman, der Schriftsteller, hat sich mit seiner Frau Regina und den zwei Kindern Lisa und Gloria (die nicht von ihm sind) fest eingerichtet in einer sicheren, gedeihlichen Umgebung, so dass er an seinem nächsten Roman schreiben kann. Was die mütterlich treu sorgende Regina allerdings nicht ahnt: Norman hat eine Geliebte, eine gewisse Eva Adam. (Man sieht: Namen tun hier wenig zur Sache.) Das dürfte für ihn zu einem gewissen Problem werden.

Marlies hat nämlich angerufen – Marlies, die Zerstörerin, Aphrodite und Kalí in einem, Normans femme fatale. Leider konnte Norman die Klappe nicht halten und erzählte ihr von Eva. Wenig später meldet sich der Herr Inspektor (der überhaupt keinen Namen hat) bei Norman an: Eva Adam sei ermordet (mit „aufgetrennten Brüsten“ und zerschnittenen Genitalien) aufgefunden worden, und ob der Herr Schriftsteller, dessen Fingerabdrücke man überall in der Eva-Wohnung gefunden habe, etwas Erhellendes dazu beitragen könnte? Norman kann nicht.

Als Marlies vor der Tür steht, während Regina beim Einkaufen ist, kann Norman ihr nicht widerstehen, so sehr er sich das auch wünschen würde – von wegen Treue zu Regina und so. Die anschließende Sexszene dauert so lange, dass Regina die beiden in ihrer Wohnung vorfindet. Regina wurde von ihrer Freundin Helga gewarnt, dass der Schriftsteller sie eines Tages enttäuschen würde. Regina stellt Norman auf die sanfte Tour vor die Wahl zwischen zwei Frauen. Doch er hält an ihr fest. Sagt er.

Der Verdacht des Herrn Inspektors gegen Norman wird immer dringender. Warum, bleibt vorerst unklar – Polizeigeheimnis. Allerdings gibt Norman das Verhältnis zu Eva Adam erstmals zu. Das ist wohl nicht so geschickt. Marlies lädt ihn zu einem Stelldichein bei sich ein, doch er erzählt ihr nochmals, dass Eva seine Geliebte gewesen sei und er seiner Frau „treu“ bleiben wolle. Nix da: Marlies‘ Verhältnis zum Schriftsteller, über das nun endlich mehr zu erfahren ist, verhindert, dass er sich ihr verweigern kann. Seine fatale Muse ist für ihn ebenso lebensnotwendig wie die treue Versorgerin.

Da taucht der Herr Inspektor auf und nimmt den Schriftsteller wegen dringenden Mordverdachts fest. Ob ihn Marlies oder Regina aus seiner Zelle herausholen, dürfte der zweite Teil des Romans zeigen.

Mein Eindruck

„Marlies“ ist zwar ein Krimi mit entsprechender Handlungsstruktur, aber es ist beileibe kein realistischer Roman im handelsüblichen Sinne. Das lässt sich schon an der Tatsache ablesen, dass es der Autor wagt, einer der wichtigsten Figuren eines Krimis, nämlich dem Ermittler, hier den Eigennamen zu verweigern. Unerhört, nicht wahr! Er ist einfach nur „der Herr Inspektor“ – eine Chiffre. Jeder Leser kann sie mit einem Gesicht versehen. Das gilt im Grunde auch für die übrigen Figuren in diesem Stück: Marlies, die fatale Muse; Regina, die mütterliche Ehefrau; Norman, der schwankende Schriftsteller, der wie sein Namensvetter Norman Bates (aus Hitchcocks „Psycho“) womöglich einen gravierenden Mutterkomplex hat.

Nicht nur die Figuren sind typisiert, als habe man es mit einem morality play zu tun, sondern auch ihre Sprechweise widerspricht dem mimetischen Prinzip, demzufolge die Figuren so sprechen sollten, wie es wirkliche Menschen tun. Sie deklamieren, argumentieren, überreden, beschwören, flehen einander an, sprechen mit Ausrufezeichen, Fragezeichen und was nicht alles. Der Ton erinnert an Theaterstücke, an hymnische Gedichte (Klopstock, Hölderlin usw.).

Dann wieder beschäftigt sich der Autor mit prosaischen Themen wie dem Leben in Ibbenbüren bei Osnabrück, von wo nie ein Bundespräsident o. Ä. gekommen ist. Auch Elfriede (Jelinek) und Peter (Handke) sowie (Martin (Walser) tauchen als Chiffren auf, herbeizitiert, wie es dem Zweck des Moments dienlich erscheint.

Eines wird also klar: Die Darstellung von Fakten, wie sie einem Krimi wohlansteht, ist hier nicht weiter von Belang. „Wahrheit“ ist nur ein Wort und Fiktion alles. „Wirklichkeit“ ist der Willkür ausgeliefert. Insofern hat es der Leser eher mit einer subjektiven Weltkonstruktion wie bei Joyce oder T. S. Eliot zu tun als mit einer realistischen Erzählweise, die sich eben an Realien festmacht. Die Bewusstseinsebenen wechseln ebenso leicht wie die Sprachebenen.

Gleichzeitig reflektiert der Ich-Erzähler, der sich selbst als „Norman-Figur“ auf die Bühne des Geschehens stellt, über die dargestellte Geschichte: Fiktion und Reflexion sind eng miteinander verknüpft. Selbst wenn „Norman“ also stürbe, so wäre dies relativ unerheblich: Dies ist nur für die Fiktion relevant, nicht aber für den reflektierenden Erzähler.

Für ihn ist die Fiktion eine Versuchsanordnung. Falls er sich in „Norman“ spiegelt, so findet sich Norman in einem Experiment der Beziehugnen zwischen drei Frauen: Marlies, Regina und Eva Adam. Eva wird schon bald aus der Gleichung entfernt, und wer weiß, was Regina noch zustößt? Falls Norman versucht, eine Position zu finden, so ist dieser Versuch wohl zum Scheitern verurteilt. Als Nicht-Handelnder, sondern Gelegenheit-Ergreifender, als Beobachter, ist er ein Spielball mehr oder weniger sichtbarer Kräfte – Marlies ist eine davon. Norman kann nur versuchen, möglichst „gut“ zu scheitern – frei nach Samuel Beckett. Woran sich die Qualität dieses Scheiterns bemisst, ist jedem Leser selbst überlassen.

Unterm Strich

Für den durchschnittlichen Krimileser, der nur eine einigermaßen spannende Unterhaltung für zwei bis drei Tage erwartet, nach denen er den nächsten Krimi „verschlingen“ kann, eignet sich „Marlies“ nur in sehr eingeschränktem Maß. Schon bald bildet nämlich das Spiel mit der Fiktion Stolpersteine auf dem Weg zur Unterhaltung. „Marlies“ bietet kein Paralleluniversum, sondern eine Spielwiese, auf der sich der Autor nach Belieben auslässt, wonach ihm der Sinn steht. Dafür muss der Leser nicht einmal den ersten Band der Trilogie, „Der Tote im Park“, kennen.

Wenn dies also kein „richtiger Krimi“ ist, dann ist es vielleicht ein erotischer Liebesroman? Die Marlies-Figur als verführerische Muse, die den Schriftsteller aus Reginas fürsorglichem Herrschaftsbereich in das Reich von Eros und Sexus entführt, ist die klassische Hexe. Und die Norman-Figur verbrennt sich an ihr regelmäßig die Finger, bedient sich ihrer aber ebenso gerne. (Die Sexszenen sind durchaus erotisch.) Wahrscheinlich schreibt er sogar über Marlies (lies = Lügen). Was aber, wenn dieser Erlebnisdurst seine Existenz zerstört?

Die wichtigste Ebene des Romans dürfte die des reflektierenden Spiels mit Figuren, Gedanken, Empfindungen und Erinnerungen sein. Der Autors verfügt hier über ein breites Repertoire, das durchaus seinen Reiz hat. Immer wieder verweist er auf Samuel Beckett, den alten Iren: „Das letzte Band“ und „Warten auf Godot“ sind in diesem Zusammenhang die maßgeblichen Werke. Gut, wenn man sie schon kennt. Das optimale Scheitern – vielleicht lässt es sich auf dieser Grundlage besser beurteilen. Der Leser sollte auf jeden Fall die nötige Spielfreude mitbringen.

Vielleicht klärt sich ja der Fall „Marlies“ im nächsten Band der Trilogie mit dem Titel „Norm@n“ (s.o.). Man sollte aber keine endgültigen Antworten erwarten.

Verlag: http://www.wiesenburgverlag.de