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Andreas Eschbach – Quest (Lesung)

Zwischen der Verpflichtung für ihren Pantap und der Sorge vor der großen Invasion des Sternenkaisers begibt sich der Fernerkunder Megatao auf die Suche nach der letzten Hoffnung. Kommandant Eftalan Quest und seine Mannschaft versuchen, was noch keinem Menschen glückte: Den Planeten des Ursprungs zu finden, die eine legendäre Welt, auf der alles Leben begann – doch um was zu tun …?

Andreas Eschbach wurde geboren, erlebte eine Kindheit, studierte Luft- und Raumfahrttechnik und arbeitete als Softwareentwickler, ehe es ihn nach Frankreich zog. Dort lebt und arbeitet er mit seiner Familie an der Bretagne im Urlaub.

Die ferne Zukunft: Die Menschheit hat sich über Galaxien ausgebreitet und dabei in die unterschiedlichsten Gruppierungen aufgespalten, so dass die einzelnen Völker voneinander nichts mehr wissen. In der Galaxis Gheera existiert das monarchische Reich des Pantap, und dieses Reich, obwohl gigantisch in seinen Dimensionen, wird von den Heerscharen des Sternenkaisers angegriffen. Noch kennt niemand die Streitkräfte des Gegners, doch es gehen Gerüchte über unglaubliche Massen an Kriegsschiffen, die über weit überlegene Technik gebieten. Da scheint es nicht abwegig, wenn der Pantap einen seiner mächtigen Fernerkunder, die Megatao unter dem Kommando des Kriegshelden Eftalan Quest, auf eine geheime Mission schickt, deren Ziel nur dem Kommandanten höchst selbst bekannt ist.

Quests Mannschaft arbeitet effizient und höchst erfolgreich an den einzelnen Abschnitten auf ihrem Weg, zum Beispiel entwenden sie der gigantischen Bibliothek von Paschkan, die von Außerirdischentechnik geschützt wird, die Heiligtümer, die gehütetsten Informationen, die von Außerirdischen berichten. So findet man schließlich das Volk der Yorsen, der ältesten und mächtigsten Wesen der Galaxis, und erhält dort den nächsten Hinweis auf dieser intergalaktischen Schnitzeljagd. Doch was wäre das alles wert ohne den Unsterblichen Smeeth, den man mit seinem beschädigten Raumschiff aus dem All fischt? Und was hofft Quest auf dem legendären Planeten des Ursprungs zu finden?

„Quest“ ist ein Roman aus den Anfängen des eschbachschen Schaffens. Das „Jesusvideo“ war schon geschrieben, und Eschbach erreichte Publikum außerhalb der Science-Fiction-Szene. Mit „Quest“, das er selbst als Geschenk an seine Fans beschreibt, machte er den letzten Schritt zurück in die offensichtlichen marketingtechnischen Niederungen des Prädikats „SF“, das im Folgenden von seinen Büchern für Erwachsene verschwindet. Quest, einstmals erschienen in wunderschöner großformatiger Paperbackausgabe mit Innenillustrationen auf buntem Hochglanzpapier, präsentiert auf den ersten Blick seine Zugehörigkeit zum „Raumschiffe, Aliens und T..ten“-Genre, wobei Letztere in allen anderen Bereichen der Literatur mindestens genau so präsent sind wie in der SF und Eschbach einen sich stets weiterentwickelnden Stil hat, sie in Szene zu setzen.

Ab diesem Zeitpunkt erscheint Eschbachs Science-Fiction also entweder getarnt als Thriller, oder in Form von Jugendromanen wie dem Marsprojekt oder zuletzt der „*Out-Trilogie“. „Quest“ spricht aber erfreulich direkt schon durch sein Titelbild den echten Fan an, was nicht bedeutet, es sei für andere Leser verschlossen – ein Vorurteil, unter dem die SF Zeit ihres Daseins leidet. Raumschiffe, fremde Galaxien, Sternenkaiser … na und? „Quest“ bietet mehr als ein Beziehungsdrama, in dem die Standesunterschiede und gesellschaftlichen Zwänge eine Rolle spielen; es gibt Ausblicke in die charakterlichen Untiefen des Menschen, egoistisches Handeln bis zur Selbsterkenntnis, Gott als Sinnbild negativer Motivation und schlicht wunderbare Unterhaltung an einer spannenden, gut erzählten Geschichte. Es macht seinem Titel Ehre, denn man kann die Geschichte ebenso auf diesen Aspekt reduzieren: Die Queste, die Suche nach dem Planet des Ursprungs, nach dem Mythos der Menschheit.

Quest als Protagonist ist ein mehrschichtiges Subjekt; er tritt zwar selten in Erscheinung und macht eher den Eindruck des überlegenen, hochintelligenten Kommandanten – über seine Beziehung zur ersten Heilerin erfährt man aber mehr von ihm, als der Schein vortäuscht. Im Grunde ist er ein zerstörtes Leben, zerfressen von Verantwortung und Heldenstatus, ein Mensch, der seine großen Verluste nie verwunden hat. Und doch scheinen diese Verluste ihn vor allem in seinem egozentrischen Weltbild zu bestärken, zeigt er doch nie Trauer oder menschlichen Verlust, sondern in erster Linie Verzweiflung über seine Unfähigkeit, über die Last, die das Schicksal ihm auferlegt hat, über Gottes Gleichgültigkeit. Er ist verbittert ob der Ausweglosigkeit seiner tödlichen Erkrankung, ohne die Möglichkeit, einen Verantwortlichen für die Geschehnisse zu finden als sich selbst.

Andere Charaktere haben ihre weltlicheren Probleme, so wie der erste Verweser (Quests Stellvertreter), der als Einziger in der Kommandohierarchie über Fähigkeiten verfügt und doch niemals ein Kommando wird führen können in der durch gesellschaftliche Strukturen geregelten Konzeption der monarchistischen Flotte des Pantap. Oder der junge Novize Bailan, der sich dem Abenteuer seines zölibatären Lebens gegenüber sieht, als er die Niedere kennenlernt, einer jungen Frau der untersten Kaste, die rechtlos und wertlos wie Leibeigene behandelt werden – auch ein Aspekt, den Eschbach schließlich für eine dramatische Wendung nutzt. Und nicht zuletzt der Unsterbliche, Smeeth, der von Narben übersäte Mann aus der Vergangenheit, der so unendlich viel mehr weiß und kann, als die menschliche Vorstellungskraft für möglich hält, und der sich doch an seine tierische Abstammung klammert, um das Alleinsein über die Jahrtausende zu ertragen. Er ist der Mensch, dessen Abgeklärtheit schließlich den einzigen Ausweg für Quest, den gescheiterten Kommandanten und Fahnenflüchtigen, aufzeigt. Und er ist der Mann, dessen bloße Existenz für die unaufhaltbare Invasion des Sternenkaisers verantwortlich ist durch die Mythen, die sich um ihn und seine Geschwister ranken, die Mythen der Unsterblichkeit, die die Sternenkaiser seit Menschengedenken verfolgen und zu erreichen trachten. Wenn man die Zustände in der Galaxis Gheera auf diesen Punkt reduzierte, würde man sogar Quests Zustand auf Smeeths Existenz zurückführen können. Ein unmenschlicher Gedanke.

Übrigens hängt im Speiseraum der Megatao ein kleiner Haarteppich, eine Kostbarkeit, die den Flechtenden Jahre seines Lebens kostet – was für die Zukunft der Galaxis noch eine ausschlaggebende Rolle spielen soll, wie Eschbach uns in seinem Romanerstling „Die Haarteppichknüpfer“ bereits miterleben ließ.

Sascha Rotermund als Sprecher ist für die neue Vertonung der Eschbach-Klassiker eine feste Größe. An seiner Stimme und Betonung lässt sich nichts aussetzen, es ist durchweg ein angenehmes Hörerlebnis, dem auch die nötige übergreifende Spannung nicht fehlt. Einzig die Namen haben eine eindeutige Anglisierung erhalten, was aufgrund ihrer Schreibweise durchaus im Rahmen des Vorstellbaren liegt, andererseits lässt sich jeder Name – vor allem auch in Anbetracht der zeitlichen Distanz zur Existenz des heutigen Englisch – auch unbedenklich deutsch aussprechen. Die Kürzungen, die aus redaktionellen Gründen anfallen mussten, fallen bei diesem Roman wieder erstaunlich unauffällig aus, und obzwar die vollständige Lektüre natürlich noch eine ganz andere Aussagekraft hat, bietet diese Lesung eine hoch zufrieden stellende und unterhaltende Leistung.

„Quest“ ist mithin einer der besten Romane Eschbachs.

6 Audio-CDs mit 442 Minuten Spieldauer
ISBN: 978-3-7857-4663-9

www.luebbe.de

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (2 Stimmen, Durchschnitt: 1,00 von 5)

John Wyndham – Die Triffids

Der aktuelle Band der Heyne-Reihe „Meisterwerke der Science Fiction“ verlegt den 1951 in England erschienen Roman „The Day of the Triffids“ in schöner Aufmachung und bestätigt damit seinen Status als ein Meilenstein des Genres. Vor dem Hintergrund des Zeitalters und der apokalyptischen Drohung des Atomkrieges traf Wyndham genau den Nerv der Zeit. Dazu kommt eine Prise unkontrolliertes biologisches Experiment und daraus eine zweite Bedrohung für die Reste der Menschheit, auch wenn zu jener Zeit sicherlich die einfachen postapokalyptischen Szenarien noch nicht ausgelutscht waren. Romane wie „Luzifers Hammer“ erschienen erst in den Siebzigern und feilten detailliert an einer barbarischen Welt am Rande des Abgrunds. Wyndham umschiffte diese Klippen durch die Erschaffung der Triffids und hielt sich nur in kurzen beiläufigen Passagen mit ihrer Problematik auf. Die Triffids sind der Garant dafür, dass es wenig zu marodierenden, jegliche Menschenrechte verachtenden oder gar kannibalistischen Gruppierungen kommt, sondern das Hauptaugenmerk auf die sozialen Strukturen gelenkt wird.

Für die Menschen dieser Zeit hatte es jüngst gravierende Entwicklungen gegeben und die Balance der Atommächte war nicht kontrollierbar. England sah sich in eine ungewöhnlich passive Rolle gedrängt, die Sicherheit, die seine Bürger aufgebaut und in den Nachkriegsjahren erhofft hatten, schwand und machte der allgegenwärtigen Furcht Platz. In diese Situation platzte Wyndham mit seiner Dystopie einer weltumfassenden Katastrophe, die anfangs als Naturgewalt geschildert wird, bevor ihr später genau die Befürchtungen der Menschen jener Zeit als Urheber anvermutet werden, nämlich geheime, außer Kontrolle geratene Spezialwaffen.

Außerdem schafft es Wyndham, das unsterbliche London in wenigen postapokalyptischen Jahren und doch absolut glaubhaft zerbröckeln zu lassen und es, entgegen der Lebensart dieser Zivilisation, seines Status als Bollwerk ebenjener Zivilisation zu berauben, ja vielmehr, unnachgiebig seine Schwächen und seine Hilflosigkeit klar auf den Punkt zu bringen – sicherlich ein Vorgehen, das den stolzen Engländern Atemlosigkeit und Grauen bescherte.

Aus heutiger Sicht und unabhängig der damaligen Zustände liest sich der Roman wie ein flottes Stück dystopischer Unterhaltung, das man schwer in unsere Zeit verankern kann aufgrund seines geringen Umfangs, der daraus resultierenden kurzen Anrisse einiger Problematiken, die sich unter den Einflüssen heutiger Ziegelsteinliteratur weniger ausgefeilt geben, als man es gewohnt ist. Auch nicht mehr häufig anzutreffen sind die trotz der geringen Dicke aufgezeigten philosophischen Tendenzen, die Wyndham seinem Werk zugrunde legt und gerade seinen Ich-Erzähler in verschiedenen Gedankengängen oder Dialogen darbieten lässt. Hierin offenbart sich, dass diese Geschichte nur als Auslöser und Transporter für die Zukunftsvision – unter den unbeschreiblichen Zuständen jener Zeit entstanden und extrapoliert – dient und es hier weniger als heute üblich um die Charakterisierung der einzelnen Protagonisten und ihr Innenleben geht.

Wyndham vermutet eine unkontrollierte, als Satellit platzierte Waffe als Auslöser einer weltumspannenden Blindheit – nur die wenigen Menschen, die zum Zeitpunkt des Geschehens nicht die vermeintlichen Kometen beobachteten, blieben verschont und finden sich in einer zusammengebrochenen Welt ohne jegliche Infrastruktur wieder, in der es zu überleben, sich zu organisieren und menschlich zu bleiben gilt. Als zusätzlichen Faktor gerät ein biologisches Experiment außer Kontrolle, und die bewegungsfähigen, mit Giftgeißeln ausgestatteten Pflanzen, die Triffids, sorgen für einen ständig zu führenden Abwehrkampf der letzten Sehenden – die Blinden sind weitgehend schutzlos den lauernden Aggressoren ausgeliefert.

Gleich zu Beginn entsteht eine grandiose Situation, während der der Protagonist Bill Masen, von einer Triffid vergiftet, um sein Augenlicht fürchtet, da er eine entsprechende Behandlung über sich ergehen lassen musste und nun niemand erscheint, um ihm den Augenverband abzunehmen. Als er es schließlich selbst wagt, muss er erkennen, dass er einer der wenigen Londoner ist, die nicht erblindet sind! Großartige Parabel, eigentlich der Höhepunkt der Geschichte.

Insgesamt liest sich der Roman heute sehr flott und unterhaltsam, das verstörende Bild entfaltet sich erst im Kontext mit der Entstehungszeit. Die zügige, auf den Punkt steuernde Schreibweise hebt ihn gegen heutige Weitschweifigkeit angenehm ab, und die philosophische Betrachtung einer möglichen Gesellschaftsumordnung unter katastrophalen Bedingungen ist glaubhaft, wenn auch befremdlich in ihrer Ausrichtung. Aber wie einer der Protagonisten es ausdrückt, sind ethische und moralische Vorstellungen abhängig von den Umweltbedingungen, die das Überleben der Spezies bestimmen.

Broschiert, 300 Seiten
ISBN 13: 978-3-453-52875-8
Originaltitel: The day of the Triffid

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (3 Stimmen, Durchschnitt: 2,33 von 5)


 

Mike Resnick – Mallory und die Nacht der Toten

Die Mallory-Romane:

1 – „Jäger des verlorenen Einhorns“
2 – „Mallory und die Nacht der Toten“
3 – „Mallory und der Taschendrache“ (20.07.2012)

Dies ist John Justin Mallorys zweiter Fall im Manhattan der Fabelwesen, dort, wo er seine detektivischen Fähigkeiten weitaus besser einzusetzen weiß als einst in seinem (unserem) Manhattan. Sowohl die Justiz als auch die Ethik und Moral kommt seinen Vorstellungen sehr entgegen, und hier kann er sich als das geben, was einen typischen fabelhaften Detektiv ausmacht: Knallhart, unbestechlich, mit sicherem Gespür für das Vorgehen seiner Gegner und der Fähigkeit, ihnen immer um die sprichwörtliche Nasenlänge voraus zu sein.

Mike Resnick, einer der produktivsten Schriftsteller unserer Zeit, Verfasser unzähliger Kurzgeschichten, Romane und Erzählungen und regelmäßiger Gewinner einschlägiger Genrepreise, ist dem deutschsprachigen Publikum bisher recht unbekannt. Seit wenigen Jahren veröffentlicht Lübbe in schöner Regelmäßigkeit Romane seiner erfolgreichen Reihen, zuletzt die „Wilson Cole“ – Romane um den gleichnamigen, hochmoralischen und aus diesem Grund meuternden Raumkapitän. Hoffen wir, dass nach der „Mallory“-Reihe noch viel Resnick-Stoff nach Deutschland schwappt.

Nachdem Mallory einen Pakt mit dem Grundy, dem mächtigsten Dämon des parallelen Manhattan, geschlossen hat und sich die Passage, die ihm die Rückkehr in seine Welt ermöglichte, schloss, nistet sich der Privatdetektiv mit seiner über 60-jährigen Partnerin häuslich und bürokratisch ein, eröffnet eine Detektei. Und zu Halloween kracht es: Vlad Dracule (mit weiteren, unbekannteren Namen) reist in Manhattan ein und ermordet alsbald das ungünstigste aller Opfer: den Neffen Mallorys Partnerin Winnifred Carruthers. Außerdem nimmt er auch von Carruthers einen Schluck und bedroht damit ihre Existenz, so dass Mallory nur wenig Zeit bleibt, seinen Gegner zu stellen. Und das in der „Nacht der Toten“, wo alles an umtriebigen Wesen auf den Beinen ist und seine Spürnase auf eine harte Probe stellt …

Mike Resnick erzählt seine Geschichten vor allem über Unterhaltungen. Und so beginnt dieser flotte Roman typischerweise mit einer der merkwürdigen Unterhaltungen zwischen Mallory und dem Katzenwesen Felina. Dieser Stil Resnicks gestaltet seine Geschichten stets hochinteressant und regt natürlich zum Mitdenken an, denn anders als bei erzählenden Stilen dringt der Leser nicht tief in die Gedankenwelt seiner Protagonisten ein, sondern erfährt ihre Absichten und Überlegungen vor allem über die Dialoge. Was vor allem die Fähigkeiten Mallorys ins rechte Licht rückt, denn er führt nicht nur einmal nicht nur seine Gesprächspartner in die Irre oder hält sie unwissend, während er bereits einen durchschlagenden Plan entwickelt.

Die Charaktere erhalten auch in diesem zweiten Band der Reihe ihre typischen Eigenschaften. Resnick versteht es hervorragend, seine Figuren lebendig zu schildern und ihnen besondere Erkennungsmerkmale zu verleihen. So wiederholen sich bestimmte Eigenschaften zwar, wie zum Beispiel Felinas vordergründige Sturheit und katzenartiges Ego, um sich Schmuseeinheiten oder Milchcocktails zu gewinnen. Doch Mallory lässt sich selten auf diese Spielchen ein, und nicht nur Felina muss sich meistens seinen Argumenten beugen. Man gewinnt – nicht während der Lektüre, sondern erst bei genauerem Reflektieren – den Eindruck, dass Resnick ein besonderes System der Protagonistenkreation hat, und das funktioniert einwandfrei. Natürlich könnte man bemängeln, wie unschlagbar seine Helden charakterisiert sind, doch machen diese Helden einen besonderen Reiz seiner Geschichten aus, denn sie transportieren stets einen wichtigen Anteil seiner Geschichten, manchmal auch wichtige Grundsätze oder Moralitäten. Und schließlich ist es wieder kein schlagbarer Gegner, dem sich Mallory stellt, sondern der jahrtausende alte Vampir höchstselbst – niemand sonst als Mallory könnte in der Lage sein, ihm seine Bedingungen aufzuzwingen.

Die Geschichte beleuchtet wieder stroboskopisch und trotzdem erstaunlich eindringlich die Gegebenheiten des fremden Manhattan – das soo fremd gar nicht wirkt. Die Eigenschaften unserer Welt sind auch dort zu finden, nur stellt Resnick sie überspitzt dar und führt sie dadurch humorvoll und plakativ vor Augen. Eindrucksvoll, mitzuerleben, wie Resnick diese deutlichen Bilder weitgehend über Dialoge erzeugt.

In einem Satz: Dieser Roman ist nicht dazu geeignet, als Wurfgeschoss ernsthafte Verletzungen zuzufügen, denn er orientiert sich nicht an der heute üblichen aufgeblähten Seitenzahl, sondern kommt mit weit weniger Platz und umso schneller ans Ziel, leidet nicht unter Längen und ist unterhaltungstechnisch ein Hochgenuss.

Taschenbuch, 361 Seiten plus umfangreicher Anhang zum Autor
Deutsche Erstausgabe
Übersetzt von Thomas Schichtel
Januar 2012
Originaltitel:
Stalking the Vampire
ISBN 13: 978-3-404-20645-2
www.luebbe.de

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (6 Stimmen, Durchschnitt: 1,33 von 5)

Andreas Brandhorst – Das Artefakt

Der Buchrücken verspricht wie eigentlich bei jedem seiner Romane „Brandhorst schreibt Space-Operas, wie man sie sich nur wünschen kann“ – so zitiert man dort Wolfgang Hohlbein. Der Titel ist immerhin so nichtssagend, dass man einfach den Haufen Geld für das aufgeplusterte Trade-Paperback hinlegen muss oder es eben sein lässt.

Andreas Brandhorst schreibt zahlreiche Übersetzungen und tritt seit seiner Kantaki-Serie nun auch verstärkt als Autor in Erscheinung. Man kann sagen, er ist der einzige deutsche Schriftsteller, der regelmäßig Space-Operas bei einem großen Verlag unterbringt. Was durchaus auch für den Unterhaltungswert seiner Romane spricht.

Die Geschichte beginnt mit der Wiedererweckung Rahil Tennerits, eines Missionars der „Ägide“, der während seiner wichtigsten Mission den Tod fand. Nun gibt es mehrere Probleme: Tennerits „Image“ ist fehlerhaft und zu alt, so dass er sich nicht an die Geschehnisse seines Todes, noch an die Einzelheiten seiner Mission erinnert. Die Raumstation, auf der er erweckt wird, ist menschenleer und wird von unbekannten Aggressoren heimgesucht, so dass Tennerit überstürzt aufbrechen muss, ohne sich vorbereiten zu können. Und seine Mission ist entscheidend für den weiteren Weg der Menschheit, denn die Hohen Mächte stehen vor der Entscheidung, die Menschheit an ihrem Wissen teilhaben zu lassen oder sie endgültig auszuschließen.

Für Tennerit beginnt eine irre Reise durch die Galaxis, immer knapp vor ominösen Verfolgern her, auf einer unmöglich anmutenden Mission und mit einer Vergangenheit belastet, die ihn stückweise einholt und auf einen Entscheidungspunkt zustrebt, der zugleich die Entscheidung für die Menschheit bringt.

Es ist eine typische Vorgehensweise, mitten in einer prekären Situation zu starten und die Hintergründe nach und nach aufzudecken. Typisch für Brandhorst ist außerdem, die Protagonisten mit einer ausschlaggebenden Vergangenheit auszustatten und über Schlaglichter in die Vergangenheit einzutauchen, um die Ursache für eine Wirkung aufzuzeigen, die schlussendlich die Entscheidung, die Wendung der Geschichte, dominiert. Das Ganze bettet er in eine spannende Verfolgungsjagd, über deren Verlauf man die Situation der Jetztzeit erfährt und im Fall einer neuen Weltenschöpfung die Gegebenheiten kennenlernt. Dadurch benötigt Brandhorst ein paar Seiten mehr, bis er zum Punkt kommt, doch das verleitet ihn zum Glück in diesem Roman nicht zu weitschweifenden Texten, wie dies in anderen heute üblichen Romanen im Ziegelsteinformat praktiziert wird.

Im Gegenteil liest sich „Das Artefakt“ zügig und durchweg flüssig, auch wenn sich die sich wiederholenden Situationen, aus denen der Protagonist keinen Ausweg zu haben scheint, mit der Zeit sammeln und die Spannung dann nicht mehr durch die Frage danach, ob, sondern höchstens wie überlebt wird, erzeugt wird.

Die Intrigen der Hohen Mächte untereinander und die Ursachen dafür liefern ein ganz eigenes interessantes Spannungsfeld, das auch ganz in typischer Souveränität von Brandhorst erzeugt wird. Spürbar ist hier ein erfahrener Erzähler am Werk, der bei diesem großformatigen Weltenspiel auch den „Sense of Wonder“ nicht vergisst.

Leider ist ein recht wichtiger Aspekt der Auflösung etwas konstruiert: Die Macht und die Fähigkeiten des Vaters Tennerits, der sich eigentlich von den höheren Zivilisationen abkapselte, kommen etwas plötzlich zum Tragen und haben größeren Einfluss auf das Geschehen als glaubwürdig wäre. Immerhin schaffen es die Ereignisse, ihn schließlich doch nur als Strohfigur im Spiel der intriganten Mächte zu entlarven.

Die technischen Aspekte bringen einige interessante Anwendungen von bekannten Vokabeln ein, innovative Neuerfindungen zeigen sich nicht. Doch aus dem mittlerweile ausgefeilten und umfangreichen Vokabular der Science-Fiction filtriert Brandhorst ein abgestimmtes, rundes Element für dieses Universum. So fällt es einem Science-Fiction-Fan leicht, sich in den Begrifflichkeiten zurechtzufinden, und auch der Neuling findet keine unüberwindbaren Barrieren.

So bleibt die Frage: Lohnt sich der Kauf oder lohnt er sich nicht? Hier gibt es kein einfaches Ja oder Nein zu nennen, denn da hinein zählt auch der Aspekt der Aufblähung durch das Format. Typischerweise erscheint ein erfolgreiches Tradepaperback bei |Heyne| in recht naher Zukunft auch als Taschenbuch, so dass es sich auch lohnen kann, noch etwas zu warten. Inhaltlich gesehen bekommt dieser Roman aber ein klares Ja, denn er bietet flotte Unterhaltung, ein interessantes Setting, eine unprofane Lösung und ein stimmiges Gesamtbild. Zwischen den deutschen Genreveröffentlichungen des Jahres wird „Das Artefakt“ mit Sicherheit einen guten Platz belegen.

Tradepaperback, 656 Seiten
ISBN: 978-3-453-52865-9

ORIGINALAUSGABE
Leseprobe
www.heyne.de

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (3 Stimmen, Durchschnitt: 2,00 von 5)

Andreas Eschbach – Solarstation (Lesung)

Wohl einer der bekanntesten Sätze Eschbachs lautete etwa so: „Ihr wollt mehr Action? Sollt ihr haben!“ Und so ist „Solarstation“ seine Antwort auf die Kritiker seines Romanerstlings „Die Haarteppichknüpfer“ die ihm Langeweile vorwarfen. Die typische Umschreibung des vorliegenden Romans lautet: ‚Stirb langsam‘ im Weltraum – nur intelligenter, tiefgründiger und – actionreicher!

Andreas Eschbach wurde geboren, erlebte eine Kindheit, studierte Luft- und Raumfahrttechnik und arbeitete als Softwareentwickler, ehe es ihn nach Frankreich zog. Dort lebt und arbeitet er mit seiner Familie an der Bretagne im Urlaub.

Die Nippon ist eine Raumstation mit Forschungsaufgaben, ihr Hauptzweck ist die Entwicklung der Solarenergiegewinnung und -übertragung für und auf die Erde. An Bord ist eine ständige, rotierende Besatzung, zumeist Asiaten, da sich die Station von der ursprünglich internationalen Planung zu einem Projekt Japans entwickelte. Der derzeit einzige Nichtasiat ist Leonard Carr, der als Reinigungsfachkraft, Mädchen für alles und Securitybeauftragter angestellt ist.

Die Sicherheit war bisher kein Problem, so dass sich Carr vor allem um die Dinge des täglichen Lebens kümmerte. Bis sich eine als unplanmäßig ausgestiegen erklärte Raumkapsel der Europäer auf Kollisionskurs nähert, ein interner Saboteur die Funkanlage unbrauchbar gemacht hat und ein Mord an Bord geschieht.

Leonard Carr ist der Ich-Erzähler der Geschichte. Er führt sich selbst mit teils tiefgründigen, teils wehmütigen Gedanken über Sex im Weltraum im Allgemeinen und seine Affäre mit der Japanerin an Bord im Besonderen ein, ehe es schnell zur Sache geht. Eschbach beginnt also seine Geschichte mit einem erotischen Abenteuer mit direkter Überleitung zum Sabotageverdacht an Bord, der die ganze Mission gefährdet, so dass der Konsument erstens gleich eingefangen wird und zweitens ersten Kontakt mit dem Spannungspotenzial der Grundidee bekommt, ohne dass Eschbach dabei zu ausschweifenden Erklärungen genötigt wäre, denn der Konflikt durch den Saboteur thematisiert die Problematik auf spannende Weise.

In diesem Abschnitt hat Carr eine eher beobachtende Rolle, in der er uns das Leben und Arbeiten an Bord einer schwerelosen Raumstation näher bringt. Dass er dabei schon erste Puzzleteile zur Lösung des Konflikts einsammelt, wird erst später deutlich, doch insgesamt hat seine Arbeit als Mädchen für alles den Vorteil, dass er sich überall ungehindert und unbeobachtet bewegen kann. So wird er Zeuge einer Unterhaltung, die eines der Crewmitglieder im späteren Mordverdacht belastet. Eschbach inszeniert noch ein paar Zusammentreffen, die später eine Rolle spielen werden. So lernen wir die Crew gleichermaßen kennen wie die Station und die Aufgaben, die hier von Wichtigkeit sind.

Richtig spannend wird es, als die europäische Raketenstufe auf Kollisionskurs mit der Station geht und sich schließlich heraus stellt, dass es ein geplantes Rendevous ist, um die Nippon zu überfallen und zu übernehmen. Hier treffen wir auf eine recht typische Gruppierung von Extremisten, wobei die einzelnen Personen fast alle Klischees bedienen, die durch einschlägige Filme von derlei Situationen geschaffen wurden. Der schieß- und mordwütige Handlanger, der Technikfreak, der Verräter und der überlegene, ausgefuchste Anführer der Bande sind mit von der Partie.

Eschbach schafft hier eine ausweglos scheinende Situation, in der die überlebende Mannschaft der Station Zeit zum Nachdenken bekommt – und auf den wahren Sinn des Überfalls stößt, der wiederum bei Leonard einen unüberwindbaren Grund, ein absolutes MUSS erzeugt. Ein Muss, dem er sich unter allen Umständen und unter jedem Risiko stellen muss, denn die Besatzer bedrohen mittels des hochenergetischen Übertragungsstrahls der Solarstation seinen Sohn … Der suggestive Begriff des „Stirb langsam im Weltraum“ entsteht in diesem letzten Abschnitt der Geschichte, denn Carr begibt sich auf eine Einzelmission, deren Erfolgschancen gleich Null zu sein scheinen und während der er immer wieder in Kämpfe, Verletzungen, blutige Szenen getrieben wird, bis er sich mit dem überaus zähen und übermächtig scheinenden Anführer der Bande hoch über der Erde einen fanatischen, in jeder Hinsicht rücksichtslosen Kampf liefert.

Ist eigentlich der Spinnenroboter „Nummer Vier“, der seit Entstehung der Solarstation unermüdlich an der Erhaltung und Erweiterung der Solarfläche arbeitet, ein Deus ex machina? Mit seiner Hilfe erst gelingt Carr nämlich die Flucht aus ihrem Gefängnis. Doch seine Anwesenheit ebenso wie die des toten Wissenschaftlers an Bord der Raketenstufe wird von Eschbach plausibel in die Geschichte eingeflochten, so dass sich diese Frage nur auftut, wenn man im Zuge einer Kritik auch nach Schwachpunkten sucht. Und trotz der stark gekürzten Ausgabe als Hörbuch sind mir derer keine aufgefallen.

Das Hörbuch ist so geschickt eingekürzt, dass sich eine stringente und logische Handlung ergibt, die vollauf zu befriedigen weiß. Und nervenzerreißende Spannung ist Eschbach hier in höchster Qualität gelungen, so dass man als Fazit sagen kann, er hat den Mund mit seiner Ankündigung bei Weitem nicht zu voll genommen!

Sascha Rotermund ist als Sprecher im ersten Moment eine strittige Wahl, denn seine Modulation ist recht unauffällig, so dass man während der ersten Personenwechsel Probleme hat, die Stimmen zuzuordnen. Im Laufe der Geschichte gelingt es dem Hörer immer besser, zwischen den Personen zu unterscheiden, und schlussendlich bleibt auch hier ein rundum zufriedener Eindruck zurück. Dieses Hörbuch ist umfassend gelungen.

6 Audio CDs
Spieldauer: 450 Min.
Sprecher: Sascha Rotermund
ISBN-13: 978-3785746028
www.luebbe.de
andreaseschbach.de

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (2 Stimmen, Durchschnitt: 1,00 von 5)

 

Myra Çakan – Dreimal Proxima Centauri und zurück

Nicht zuletzt die ambitionierte Internetseite deutsche-science-fiction.de machte auf Myra Çakan und ihren neuesten Roman aufmerksam, dessen Titel sich etwas eigentümlich liest in unserer Zeit der reißerischen Schlagworttitel. Er lässt eine humorvolle Geschichte erwarten und klingt gleichzeitig nach einer klassischen Oper – zwei Erwartungen, die die Autorin nicht enttäuscht.

Die deutsche Publizistin Myra Çakan wurde – Zufall oder nicht? – an Halloween geboren. Sie absolvierte ein Schauspiel- und Musikstudium und nahm u.a. an einem Workshop über Sit-Com-Writing sowie an Drehbuch- Seminaren bei Don Bohlinger teil. Myra Çakan ist definitiv die erste deutschsprachige Vertreterin des Cyberpunk. Als freie Autorin und Journalistin (schrieb sie u. a. für Die Woche, Konrad, c’t, Der Spiegel, Süddeutsche Zeitung; MAX, Marie Claire und Cinema) lebt sie mit ihren Burmakatzen in der Nähe von Hamburg.
(Presseinfo Argument Verlag)

Mimsi Mimkovsky tritt an Bord der Stern von Beteigeuze die Reise zum Planeten Proxima Centauri Zwei an – so heißt es im Klappentext. So überrascht es den Leser, wenn im ersten Kapitel die Ereignisse aus dem Blickwinkel des Kabinenstewards Hurriberto geschildert werden. Hurriberto bleibt dabei im weiteren Verlauf der Geschichte ein Nebendarsteller, auch wenn er sich über seine Rolle an Bord des Kreuzfahrtschiffes eine andere Meinung bildet. Mimsi wird schließlich doch zu einem der Haupthandlungsträger, Gleiches gilt für ihren Verehrer Schalck von Schnabel und die Diva Banamarama Halcion, deren Stern bereits am verblassen ist. Ihr sogenannter Impresario, Herr von Luna, offenbart Mimsi gegenüber ein zwiespältiges Wesen, und die Kronprinzessin Silber von Sirius, dreizehn Jahre alt und als Blinder Passagier an Bord in einer Herzensangelegenheit, hat mehr Durchblick in der konfusen Ermittlungssituation, als man ihr zutraut.

Ermittlungssituation? Genau, denn auf diesem Luxusliner passieren während der wochenlangen Reise ungehörige Dinge: Während der Probem zur traditionellen Bordrevue „Schieß mich zum Mars, Liebling“, bei der Madame Halcion die Direktion übernimmt, verschwindet das entscheidende Requisit, ein Dolch, der schließlich im Körper eines undercover reisenden Mafiabosses steckend wieder auftaucht. Leider sind Mimsis Fingerabdrücke auf der Waffe (schließlich soll sie die Hauptrolle in der Revue spielen), so dass sich zu ihrem Leidwesen auch die Bordsicherheit für sie interessiert.

Wir sehen, es herrschen undurchsichtige Zustände auf dem Schiff, auf dem sich eine explosive Anhäufung verdeckt reisender Passagiere befindet, die irgendwie miteinander in Verbindung zu stehen scheinen. Herr von Luna wird als unfähiger Impresario geschildert, der immer im passenden Moment verschwunden ist, so dass die Missstimmung der Diva sich allein auf Mimsi konzentriert, die obendrein auch von Luna schikaniert wird. Dabei stellt sich der Eindruck ein, dass er erstens irgendetwas im Schilde führt, zweitens gar kein Impresario ist, sondern sich mit dieser Rolle Zutritt zum engsten Bereich der Diva – und nicht zuletzt ein Ticket nach PC2 – verschaffte, und drittens über Mimsis nebelhafte Vergangenheit mehr weiß, als ihr vorstellbar erscheint.

Die Diva wird in typischer Art völlig egozentrisch dargestellt, so dass in ihrer Weltsicht gar kein Platz für die Probleme des Lebens außer ihrer eigenen ist, und so geht der ganze Trubel um den Mord weitgehend an ihr vorbei. Einzig die häufigen Störungen der Revue-Proben reizen ihr Gemüt.

Mimsi Mimkovsky ist schließlich doch das Zentrum der Geschichte, denn ihre Vergangenheit, durch ein kindheitliches Trauma verschleiert, wird zwischen Proben, Mord und Liebesglück zum zentralen Aufhänger allen Trubels. Dann ist es immer wieder die kleine Silber, die sich einmischt und der Rätsel Lösungen mit Kinderzunge verkündet, ohne beachtet zu werden. Nur Schalck von Schnabel misst ihr eine tiefere Bedeutung bei und kümmert sich …

Die Lektüre ist wie ein Theaterstück. Szenenwechsel, dabei eine eingeschränkte Auswahl an Bühnenbildern, vor denen sich das Schauspiel entfaltet, diverse Blickwinkel und dabei der witzige Ton der Dialoge und Szenen, wie für ein reales Publikum inszeniert. Vor dieser Erkenntnis gewinnt der Roman eine ganz andere, herausragende Qualität, denn im Vergleich mit einer klassischen Space Opera sucht man hier die typischen Elemente vergeblich. Es gibt keine Raumschlachten, keine außergewöhnlichen innovativen Technikbeschreibungen, kein Sense of Wonder – wobei Letzteres erst den Flair einer klassischen Space Opera ausmacht. Çakan nutzt diesen eigentlich typischen klassischen Krimiplot (eine abgeschlossene Gesellschaft ohne die Möglichkeit für den Täter, sich zu verbergen, also weilt er unter den Anwesenden), um eine wortwörtliche Space Opera zu inszenieren. Das ist ein Kunststück, und sie schafft es, ihre Darsteller im Laufe der Aufführung so zu entwickeln, dass jeder seinen eigenen Charakter bekommt, Sympathie oder Antipathie ausstrahlt oder ein Mysterium wird, dessen Geschichte man erfahren will.

Erwartet man einen typischen, handfesten Roman, kann Çakan nicht mit großen neuen Ideen punkten; lässt man sich dagegen auf das Erlebnis eines Romans als Theaterstück ein, erkennt man mit einem großartigen Gefühl, wie dieses literarische Werk funktioniert und wo seine Stärken liegen. Nämlich nicht in Action und kosmischen Rätseln, sondern in den Gefühlen und im menschlichen Leben, das konzentriert in diesem abgeschlossenen System des Raumschiffs stattfindet.

Ach, und Hurriberto Wicknack, der Kabinenstewart, erhält schließlich als großer Schauspieler und Beobachter noch die Möglichkeit, das Drama dieses Fluges in Form eines Theaterstückes zu verarbeiten – einen Titel hat er ja schon …

Klappenbroschur, 208 Seiten
ISBN 978-3937897479
ORIGINALAUSGABE
Leseprobe auf der Autorenseite
http://www.edition-phantasia.de

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (4 Stimmen, Durchschnitt: 1,50 von 5)

Thomas Elbel – Asylon

Thomas Elbel ist ein bisher in Genrekreisen völlig unbekannter Name, und auch sein Romanerstling Asylon blieb einige Zeit unbemerkt. Bekommt man das Buch dann in die Hände, reizt erstmal weder Titel noch Cover noch Klappentext übermäßig zum Lesen, denn offenbar handelt es sich um ein abgeschlossenes System, eine Stadt als Asyl für die letzten Menschen nach einer dramatischen Katastrophe – ein nicht gerade innovativer Plot. Nimmt man es dennoch zur Hand, bemerkt man schnell, dass sich Elbel von einer attraktiven Idee leiten lässt und das Buch mehr Charisma und Spannung und Grusel enthält, als man vermuten mochte.

Masterleveller Torn entdeckt eine Leiche in den besonderen Sperrzonen der Stadt Asylon, im Minenfeld, das die Stadt gegen das feindliche Umfeld und die sie belagernden Horden verseuchter Menschen schützt – so heißt es. Und so nimmt Torn auch vorerst an, die Leiche gehöre zu einem Eindringling. Seinem munteren Assistenten allerdings fällt auf, dass die Leiche derart ausgerichtet liegt, wie es nur bei der Bewegung nach außen, also weg von der Stadt, vorkommen kann. Bevor er seine Entdeckung allerdings mitteilen kann, wird er von Torns heftigstem Widersacher unterbrochen, dem Polizisten Rygor, der sich von Torn in seiner Kompetenz bedroht sieht und den Fall des vermeintlichen Eindringlings übernimmt. Und ab da überschlagen sich die Ereignisse, sodass die Entdeckung vorerst unbeachtet bleibt.

Torn ist ein Leveller, besser der Masterleveller Asylons, das heißt, er sorgt für ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen den Gangstercliquen, um Stabilität zu garantieren. Seine drastischen, oft tödlichen Maßnahmen werden dabei von allen Seiten toleriert und als Notwendigkeit erkannt – bis Torn, noch aufgewühlt von seiner Konfrontation mit Rygor, in einen menschenverachtenden Konflikt einer Bande verwickelt wird und einen der Mächtigen, ein Stabilitätsfaktum, umbringt. Das führt dazu, dass er seiner Pflichten enthoben und geächtet wird, sodass er nun mittellos ein gejagter Gesetzloser wird. Und dass, wo doch seine Frau schwanger in der Klinik liegt.

Als das Neugeborene unter undurchsichtigen Umständen verschwindet und Torns Frau für verrückt erklärt wird, brechen alle Schranken und Torn begibt sich in einen Kampf zwischen die herrschenden Clans und die geduldete Regierung. Was er entdeckt bei der Suche nach seinem Kind, wirft sein gesamtes Weltbild und das Konstrukt der Realität, mit dem jeder Asylonier lebt, über den Haufen. Hier werden geheime Geschäfte abgewickelt, Kinder auf genetische Prädispositionen untersucht, Gerüchte vom freien Leben außerhalb der Stadt greifen um sich und die dubiosen Machenschaften der Machthaber lassen ihn an seinem Verstand zweifeln.

Thomas Elbel entwirft mal wieder ein dystopisches Zukunftsbild, so scheint es dem Leser anfangs. Doch was sich dahinter verbirgt, ist weit mehr als das. Es ist ein Betrug, der nicht nur die Menschen in der Stadt halten, sondern noch weit größere Verbrechen vertuschen soll. Dabei führt er uns häppchenweise in die Hintergründe ein, aber auf eine spannende, fließend in die Handlung integrierte Art; anders als oft in Ermanglung des nötigen Spielraums trocken aufgetischter Informationen bekommt man hier düstere, teils unglaubliche Verbrechen von bizarrer Brutalität serviert, die in sich den Hintergrund der Story tragen.

Der Betrug, der auf dramatische Weise für einen Teil der Verantwortlichen eine tragische Wendung nahm, ist schließlich der Punkt, der die Geschichte von ähnlichen Romanen um unwissende Gefangene abhebt. Hier geht es nicht darum, dass der Protagonist irgendwann eine Tür durchtritt und feststellt, die Apokalypse draußen hatte nie stattgefunden – das ist nur ein Teil der Lösung, die Elbel hier anbietet. Viel tiefer verschachtelt in mehrere Rätsel ist die Erkenntnis.

Trotz dieser Qualität des Entwurfs bleiben in der Ausführung Mängel, die den Leser in leider zu vielen Momenten verärgern. Die Bilder und Strukturen wirken verwaschen, wie schon oft gehörte Klischees solcher Endzeitstimmungen. Darüber sieht man manchmal hinweg im Bewusstsein, dies ist der Romanerstling des Autors. Doch man erwartet schließlich, dass ein ordentliches Lektorat solche Missstände aufdecken und wegarbeiten müsste, doch leider zieht sich dieses Bild durch den gesamten Roman.

Zum Glück spiegelt der Autor diese Probleme mit seiner besonderen Stärke, nämlich der Beschwörung horroriger Szenen, wie sie nicht besser zu diesem Buch hätten passen können. Die perverse Brutalität des Gegenspielers, sein Doppelbild für die Romanöffentlichkeit, die klaustrophobischen Szenen in der Leichenkammer … Das hält den Leser bei der Stange und bleibt glücklicherweise deutlicher in Erinnerung als der Ärger über stilistische Mängel.

Insgesamt ein durchaus beachtenswerter Romanerstling, der vor allem durch die Idee und die düsteren, perversen Szenarien besticht. Die erzählerische Leistung während füllender Handlungszeiten bleibt dabei ausbaufähig, sodass man auf weitere Geschichten Elbels warten darf mit Vertrauen in die Entwicklungsfähigkeit des Autors.

Taschenbuch, 438 Seiten
ISBN-13 978-3-492-26792-2
ORIGINALAUSGABE

Der Autor vergibt: (3/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (4 Stimmen, Durchschnitt: 1,00 von 5)

D.W. Schmitt – PERLAMITH 1: Der Graue Berg

D. W. Schmitt? Romandebüt? Wurdack-Verlag? Da klingelts doch. Man erinnert sich an die Anfänge dieses Verlags, als vor allem die Sammlungen der Storyolympiade-Geschichten veröffentlicht wurden und sich hieraus die ersten Anthologien abzweigten. So war ein Dieter Schmitt mitverantwortlich für den ersten Sciencefictionband des Verlags, Deus Ex Machina, der einen Stein ins Rollen brachte. Mittlerweile befindet sich Schmitt vor allem im Hintergrund der Verlagsarbeit, doch mit PERLAMITH betritt er wieder die Bühne. Entsprechend gespannt wurde sein Romanerstling erwartet.

Im abgelegenen Perlamith-System häufen sich ungewöhnliche Ereignisse: Ein Erdenbote strandet abseits der Transferstation in der Wildnis des unwirtlichen Planeten Karhenan; der technisierteste Planet des Systems, Menz, greift ohne Vorwarnung den Nachbarn Rogamar an, dessen diktatorisches Regime schnell kapitulieren muss; ein Kampfpilot von Rogamar ist in geheimer Mission nach Karhenan unterwegs und trifft dabei auf einen geheimnisvollen Besucher eines Nachbarsystems, der undurchsichtige Vorhaben verfolgt.

Alle Ereignisse scheinen mit einem Artefakt zusammenzuhängen, dem Jev Maltin, der rogamarische Geheimagent ohne Erinnerung an seinen Auftrag, auf Karhenan auf die Spur kommt. Dabei scheinen die unterschiedlichen Parteien von Informationen aus ungesicherten Quellen geleitet zu sein, so dass sich die Zweifel an ihrer Herkunft mehren und ein Verdacht aufkommt, der auch extraterrestrische Intelligenzen mit einbezieht. Was geht hier vor sich, woher kommt die brisante Nachricht von Massenvernichtungswaffen auf Rogamar, die die Regierung von Menz zu einem Präventivschlag veranlasste, und wer versucht, die menschlichen Parteien zu beeinflussen?

Ein rasanter Wettlauf beginnt, bei dem der menzer Geheimdienst auch ungewöhnliche Methoden einsetzt, um die entscheidenden Informationen und Vorteile zu erlangen, während der Lateralmönch von Centon-B, hinter dem sich ein undurchsichtiges Geheimnis verbirgt, den erinnerungslosen Jev Maltin in Richtung „Grauen Berg“ lenkt, der, wie sich herausstellt, ein außerirdisches Artefakt verbirgt und entscheidende Bedeutung erlangt in einem Konflikt, von dem die Bewohner des Perlamith-Systems noch nichts ahnen …

Der Romanerstling von Dieter Schmitt vermittelt den Auftakt einer groß angelegten Space Opera, und wie es bei „Piloten“ häufig der Fall ist, wartet auch „Der Graue Berg“ mit einer Fülle von Charakteren, Organisationen, Hintergründen und Rätseln auf, die im Verlauf des Mehrteilers eine Rolle spielen werden. Das erfordert vom Autor allerdings ein ausgeprägtes Geschick, diese umfassende Informationsvermittlung in eine spannende Geschichte zu verpacken und den Leser zum Kauf der folgenden Bände zu reizen. Dieter Schmitt wagt diesen Spießrutenlauf auf unbekanntem Terrain, und es ist gleich eine doppelte Herausforderung, denn es ist eben nicht nur der Auftakt eines Mehrteilers, sondern sein Romandebüt, wodurch für ihn noch ganz andere Schwierigkeiten eine Rolle spielen.

Vor dem Hintergrund der Ausrichtung auf einen Mehrteiler macht Schmitt seine Sache gar nicht schlecht, denn er führt umfangreiche Rätsel ein, die schon ein gewisses Suchtgefühl erzeugen und den Leser bei der Stange halten könnten. Die Ausführung der Romanhandlung gelingt ihm teils sehr gut, teils fühlt man sich aber auch an Romanheftserien erinnert, deren Stil selten in längeren Romanen funktioniert. Die Aufspaltung in die ungezählten Handlungsstränge ist für diesen ersten kurzen Roman nicht sehr glücklich gewählt, hier hätte die Konzentration auf einen oder zwei Erzählebenen für eine dichtere Atmosphäre sorgen können. Andererseits ist das Ziel des Romans mit der Ermittlung der drei Piloten schon so fortgeschritten, dass an einen detaillierten Ausbau der anderen Ebenen in späteren Romanen schwerlich zu denken ist, so dass dieser Schritt der parallelen Erzählung durchaus nachvollziehbar ist.

Die Welt, in der Dieter Schmitt seine Geschichte erzählt, hält spannende Geheimnisse und historische Verstrickungen bereit, so dass man gespannt sein kann, wie sich die Zusammenhänge finden, der Wissensdurst des Lesers befriedigt wird und wie sich die Menschen – denn um sie geht es hier schließlich immer noch – behaupten und weiterentwickeln.

Der Stil erinnert an verschiedene Romanmehrteiler der letzten Jahre, wie zum Beispiel die „SunQuest“-Serie aus dem Fabylon-Verlag oder Armin Rößlers „Argona“-Universum, wobei man wieder den Vergleich zum Heftroman ziehen kann, denn zumindest im ersten Beispiel lassen sich die Einflüsse dieser Literaturform nicht abstreiten. Die Charakterisierungen der Protagonisten fallen recht kärglich aus und orientieren sich sehr an ihrer äußerlichen Beschreibung und an für den Leser hörbaren Gedanken, die teilweise in wiederkehrenden Selbstzweifeln verharren oder versuchen, Erinnerungslücken zu schließen. Hier bleibt zu hoffen, dass Dieter Schmitt mit fortlaufender Handlung auch einen eigenen, fesselnderen Stil entwickelt. Allerdings, muss man sagen, hat sich im vorliegenden Roman jenseits der ersten Hälfte die Spannung merklich gehoben und ein durstiges Gefühl hinterlassen, auf dem die Folgebände sicher guten Nährboden finden.

Klappenbroschur
208 Seiten
ISBN 978-3-938065-76-1

wurdackverlag.de

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (4 Stimmen, Durchschnitt: 3,00 von 5)

Terry Pratchett – Der fünfte Elefant (Lesung)

Terry Pratchett, der seit 2007 offiziell an einer Alzheimer-Erkrankung leidet, hat sich literarisch ein kolossales Denkmal gesetzt. Seine Erzählungen von der Scheibenwelt sind jedem geneigten Leser ein Begriff, wurden vielfach preisgekrönt und in alle möglichen Sprachen übersetzt. Pratchett gilt als Meister kurioser Fantasyparodien, doch sind seine Romane viel mehr als das. Die Scheibenwelt, selbst ein einzigartiges Kuriosum, entspricht in ihren Gesetzen und Dogmen nun mal nicht unserer Welt, und obwohl das Genie Pratchetts die Lachmuskeln des Lesers ständig reizt, sind es bei Weitem keine flachen, konstruierten Witze, sondern der Humor entwickelt sich aus dem Stil und der Sprache, in dem zum Beispiel Wortspielereien wörtlich zu nehmen sind oder Details so wirken, als schreibe Pratchett über seine Grübeleien das erstbeste Wort, das ihm dazu einfällt – und das arbeitet er dann erst recht glaubhaft aus.

Der vorliegende Roman, der in seiner deutschen Erstausgabe auf das Jahr 2000 datiert, wurde bereits in gekürzter Version vertrieben und erscheint nun als MP3-CD ungekürzt und neu gelesen. Das Verfahren „MP3-CD“ ist zu begrüßen, da es verstärkt die Möglichkeit bietet, für akzeptables Geld an eine ungekürzte Lesung zu kommen, abseits der einschlägigen und einschränkenden Downloadseiten.

Der fünfte Elefant ist der Legende nach ein ehemals vorhanden gewesen sein sollender fünfter Träger der Scheibenwelt, der von Groß A’tuin abstürzte, die Welt umkreiste und als brüllender, Fleisch gewordener Meteor in der Region Überwald einschlug. Im Laufe weiterer Zeitalter wurde aus ihm dann ein Rohstoff, den man in dieser reinen Qualität nur in den Bergen von Überwald findet: Die gewaltigen Drücke und die Zeit machten aus ihm Talg.

Darum dreht sich die Geschichte nur beiläufig. Im Zentrum steht die bevorstehende Krönung eines neuen niederen Königs der Zwerge, ein Komplott zur Verhinderung derselben mit dem Ziel, die morporkianischen Zwerge ihrer Zwergheit zu berauben, Intrigen zwischen den mächtigsten Gruppierungen Überwalds wie Werwölfe, Vampire und Zwerge, und mittendrin der Kommandeur der morporkianischen Stadtwache Sir Samuel Mumm, Seine Gnaden und Herzog von Ankh, Diplomat und Vertreter der Stadt zum Anlass der Krönung.

Hieraus wird für den belesenen Scheibenweltkenner schon deutlich, dass die Geschichte vor allem aus der Sicht des Kommandeurs erzählt wird. Erwartungsgemäß hat er mit Diplomatie wenig am Hut, so dass er sich in „Bumms“, der überwaldischen Hauptstadt, schnell neue Freunde macht. Erstaunlicherweise kommt er mit seiner geradlinigen und brummigen Art recht gut in dem Dschungel zurecht, bis er des Mordversuchs am König angeklagt wird, von Werwölfen zu Tode gehetzt werden soll und nebenbei das Verbrechen aufklärt, in dem das Komplott verwickelt ist.

In diesen wenigen zusammenfassenden Worten geht natürlich die ganze Bandbreite der Erzählung unter. So verschweigt uns Pratchett keinesfalls, was in der Zeit von Mumms Abwesenheit bei der Wache in Ankh-Morpork passiert. Nachdem nämlich Hauptmann Karotte und Feldwebel Angua ebenfalls nach Überwald unterwegs sind, wird Feldwebel Colon die zweifelhafte Ehre des Hauptmanns auf Zeit angetragen. Danach versinkt die Wache in Chaos und Anarchie.

Mumm, die eigentliche Hauptfigur, ist der vierschrötige Kerl, der stets im Dienst ist und seinen Gegnern immer einen Schritt voraus, der perfekte Kriminalist. Er hat Tricks auf Lager, die ihm selbst das Überleben unter Werwölfen sichern, außerdem führt er eine gerade Zunge, die ihn bei Ermittlungen schnell zum Wesentlichen bringt. Hier ist Pratchett mal ein richtiger Held untergekommen, anders als der in allen Dingen perfekte Karotte, der in seiner Perfektion auch mal sein eigenes Leben gefährdet. Mumm muss als Ausnahmeprotagonist der Scheibenwelt gelten, denn sonst werden Rätsel oder „Questen“ immer mehr durch Zufall oder den Willen, genau das Gegenteil vom scheinbar Notwendigen tun zu wollen, gelöst. Mumm kann es locker mit den führenden Ermittlern der Literatur aufnehmen.

Jeder einzelne Scheibenweltroman entwickelt ein eigenständiges Eigenleben, selbst wenn er mit vertrauten Charakteren besetzt ist oder auf vertrautem Terrain spielt – und so vermag es Pratchett auch diesmal wieder, sowohl der Hauptstadt Ankh-Morpork, als auch den Zwergen, Werwölfen und Vampiren in ihrem Überwald (eine Anspielung auf Transsylvanien, das eine Wortschöpfung aus „Über“ und „Wald“ ist) neue Facetten zu geben.

Der Sprecher Michael-Che Koch, letztlich bekannt dem entsprechenden Klientel aus den regelmäßigen Lesungen für die „Perry Rhodan“-Serie, gibt der Erzählung den richtigen Charakter. Die Stimmen sind maßgeschneidert und deutlich spezialisiert, so dass sie einen hohen Wiedererkennungswert haben. Einzig Angua, die als Werwölfin ja etwas exotisch ist – obwohl man auf der Scheibenwelt eigentlich jeden als exotisch bezeichnen müsste, und so ist auch Mumm, gerade wegen seiner Qualitäten als Ermittler, dort ein Exot – erhält eine gewöhnungsbedürftige Altstimme, die der Vorstellung der attraktiven jungen Frau, die sie in Menschengestalt ist, widerspricht. Trotzdem liegt hiermit eine überzeugende Leistung Kochs vor und hebt ihn so in die Riege der Leser, die man gern auf Hörbüchern stehen hat. Besonders nett ist seine Intonation des „Sekretärs“ beziehungsweise Assassinen Herrn Schaumlöffel mit seinem affektierten Räuspern.

Insgesamt ist dies eine Geschichte, die rundum gut unterhält, zum Lachen, Schmunzeln, Rätseln und Staunen einlädt und durch die Vertonung keinesfalls verliert. Die komischen Aspekte resultieren auch hier wieder vor allem aus der Realitätsnähe, dem Bezug zu unserer Welt, den Pratchett stets beiläufig integriert. Die Probleme, mit denen sich Mumm und Co. herumärgern müssen, sind uns in angepasster Form durchaus ein Begriff.

Ungekürzte Lesung auf 2 MP3-CDs
Spieldauer: 894 Minuten
Originaltitel: The Fith Elephant
ISBN-13: 978-3837112047

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (3 Stimmen, Durchschnitt: 2,33 von 5)

China Miéville – Der Krake

Mittlerweile schreibt der britische Schriftsteller produktive und ambitionierte phantastische Literatur, die in schöner Regelmäßigkeit mit Preisen gewürdigt wird. Sein erst 2010 in Deutsch erschienener Roman „Die Stadt und die Stadt“ wurde mit den wichtigsten Preisen ausgezeichnet wie Locus Award, Hugo Award und World Fantasy Award sowie in Deutschland dem Kurd Laßwitz Preis – wobei sich bei diesem Rundumschlag die Frage stellen könnte, ob es im entsprechenden Jahr keine Konkurrenz gab … China Miéville – Der Krake weiterlesen

Mike Resnick – Jäger des verlorenen Einhorns

Der Auftakt zu einer Reihe von phantastischen Romanen um den Privatdetektiv John Justin Mallory, von Mike Resnick schon im Jahr 1987 veröffentlicht, passt gut in die Regale deutscher Buchhandlungen, die sich derzeit unter der Last dickster urbaner Fantasyliteratur biegen und knacken. Resnick war dieser Welle voraus, und so mag dem einen oder anderen Leser die Ernsthaftigkeit, mit der die aktuellen Autoren ihre Fantasien versehen, bei der leicht und lockeren, aber nichtsdestotrotz spannenden und rasanten Lektüre dieses Krimis fehlen.

Krimi deshalb. Genau. Ein Privatdetektiv erhält im selbstmitleidigen Suff und am Rande seines eigenen Abgrunds einen lukrativen Auftrag von einer Person, die er nicht so recht einzuordnen weiß. Der Elf benimmt sich merkwürdig, greift dicke Bündel Geld aus der Luft und führt Mallory in ein irgendwie anders geartetes Manhattan, in dem Gnome, Pinoccios, Einhörner, Schrumpfpferde, Magier und Dämonen hausen und ihr Unwesen treiben. Oder auch liebenswert leben. Trotz seiner Vorbehalte – immerhin könnte man das Ganze auch für eine alkoholinduzierte Fantasie halten – greift Mallory nach der Chance, seine Lebenspunkte in seinem Manhattan zu verbessern, und begibt sich auf die aberwitzige Jagd auf das Einhorn, dessen einmalige Besonderheit es ist, die Membran, die die beiden Manhattans trennt/verbindet, zu erhalten/erzeugen.

Eine der ersten Szenen, bei denen die Andersartigkeit des anderen Manhattans zur Sprache kommt, ist Mallorys Besuch in einem Museum, in dem auch prompt die Exponate zum Leben erwachen und Jagd auf die nächtlichen Besucher machen – im deutschen Sprachraum deutet alles auf einen billigen Mitschnitt aus „Nachts im Museum“ hin, doch zeigt sich, dass die dem Film zugrunde liegende Kindergeschichte aus dem Jahr 1993 schwerlich Vorlage für diese bereits 1987 erschienene Erzählung gewesen sein kann; ein Verdacht, der nur durch die späte Veröffentlichung des Romans in Deutschland genährt wird. Im Hinterkopf regt sich auch vor dieser Recherche schon das Misstrauen gegen den Verdacht, ist Resnick doch einer der produktivsten Schriftsteller seiner Zunft und laut Locus-Hitliste auf Platz vier der erfolgreichsten Preiseinheimser im Science-Fiction – Genre. Also einer, der Plagiate nun wirklich nicht nötig hat.

Es sind vor allem die Dialoge, die die Geschichte erzählen. Der Roman umfasst 384 Seiten und ist damit beileibe nicht der dickste seiner Zunft, aber dick genug, um eine Erzählung, die nur eine einzige Nacht umfasst, zu verbesondern. Resnick beschreibt nicht viel, hier mal eine Wegstrecke, dort mal eine Tätigkeit – aber nie erhält man direkten Zutritt zu den Gedanken des Protagonisten, sondern ist auf die Ereignisse und Dialoge angewiesen wie seine Mitstreiter, um seine einfallsreichen Pläne und Streiche nachzuvollziehen. Ich erinnere mich in dem Zusammenhang zum Beispiel an die Szene, in der Mallory vor seinem Elf Murgelström, der ihn beschattet, zu entkommen zu versuchen scheint, bis ihn ein Straßenumzug aufhält und er ein beliebiges Geschäft betritt, das unscheinbare Bilder ausstellt. Er beginnt ein Gespräch mit der Verkäuferin und erfährt, dass man in diesen Bildern Urlaub machen könne, und so sucht er sich eines aus und kauft es. Was irgendwie mit dem magischen Stein des Einhorns in Verbindung stehen muss und mit Mallorys Versuch, ihn vor dem mächtigen Dämon Grundy und vor dem zwielichtigen Elf Murgelström zu verstecken. Mit keiner Silbe deutet Resnick Mallorys Gedanken hier an, und so erfährt man erst im Ereignismoment, was er mit diesem Bild eigentlich vorhat und ob seine Mitarbeiter wirklich den Edelstein darin versteckten … immerhin erklärt er seine Ideen im Nachhinein immer einem seiner staunenden Freunde (und uns staunenden Lesern), so dass wir gleichfalls die Kaltschnäuzigkeit bewundern können, mit der er sich im Parallelmanhattan bewegt.

Da wundert es einen nur, warum er in seiner Welt so erfolglos sein soll. Resnick bietet als Erklärung die politischen und gesetzlichen Zustände unserer Welt, die seinen Ermittlungsmethoden stets Stöcke zwischen die Beine werfen oder überführte und verhaftete Gangster nach kurzer Zeit wieder auf freien Fuß setzen.

„Jäger des verlorenen Einhorns“ ist wirklich kurzweilige Unterhaltung, vollgestopft mit komischen Ideen und erzählt in flotter Sprache. Das macht Spaß!

Taschenbuch: 384 Seiten
Originaltitel:
Stalking Unicorn
Deutsch von Thomas Schichtel
ISBN-13: 978-3404200085

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (4 Stimmen, Durchschnitt: 1,00 von 5)

Karsten Kruschel – Galdäa: Der ungeschlagene Krieg

Ausgezeichnet mit dem Deutschen Science Fiction Preis 2012!

Der Deutsche Science-Fiction-Preis ist der einzige dotierte Genrepreis in Deutschland und damit sicherlich für die Autoren auch der interessanteste. Karsten Kruschel ist mit seinem Romanzweiteiler „Vilm“ Preisträger des Jahres 2010 und macht damit aufmerksam auf seinen neuesten Roman „Galdäa“, mit dem er sich fernab der verschollenen Siedler von Vilm den Ereignissen im zivilisatorischen Zentrum seiner Weltenschöpfung widmet. Karsten Kruschel – Galdäa: Der ungeschlagene Krieg weiterlesen

Karl Schroeder – Segel der Zeit (Das Buch von Virga 3)

Virga – eine künstliche Welt im Wega-System, eine Sphäre, geschaffen mit Hilfe unvorstellbarer Technik mit dem Ziel, innerhalb der eigenen Grenzen eben solche Technik zu unterbinden – zum Schutz der eigenen Freiheit vor der „Künstlichen Natur“. Die alles vereinnahmt, umpolt, beschleunigt und gleichschaltet. Den Menschen bevormundet. Das Leben verneint.

Karl Schroeder, junger amerikanischer Autor, der in Deutschland mit seinem phantastischen Ideenreichtum um Virga bekannt wird, setzte im ersten Roman der Reihe „Planet der Sonnen“ eine rasante Entwicklung in Gang, die unbedingt nach weiteren Romanen aus diesem Kosmos verlangte. „Segel der Zeit“ ist nun der dritte Band, in dem der Fokus auf den patriotischen und menschlichen Admiral Chaison Fanning gerichtet ist. Fanning, im ersten Band durch heldenhaften Einsatz Retter seiner Nation Slipstream, wurde von der gegnerischen Partei, der Falkenformation, gefangen genommen und eingekerkert. Dies ist die Geschichte seiner Befreiung, seiner abenteuerlichen Reise mit der geheimnisvollen Heimatschutzagentin durch Feindesland und schließlich seiner Rückkehr nach Slipstream, wo er als Staatsverräter gebrandmarkt gefangen gesetzt wird und erst eine unheimliche Bedrohung für ganz Virga den Auslöser seiner erneuten Befreiung gibt. Dabei werden die Hintergründe der Weltensphäre Virga häppchenweise aufgedeckt und die Gefahr, die von der ausgesperrten Künstlichen Natur ausgeht, anschaulich formuliert.

Die Flucht Fannings hat mehrere erzählerische Gründe. So werden zum einen weitere abenteuerliche Aspekte der künstlichen, auf mittelalterlichem Niveau gestrandeten Zivilisation dargestellt und lassen den Leser teilhaben an Schroeders faszinierendem Ideenreichtum. Es werden politische Auseinandersetzungen thematisiert, in die allzeit Völker involviert werden, die oftmals weder Interesse noch Nutzen daran haben und trotzdem in vielfältiger Weise mit ihrem Leben bezahlen. Virgas Abwehrsysteme und ihre zerbrechliche Sicherheit werden eingeführt und werfen ihre Schatten voraus. Und nebenbei wird Fannings Charakter und Motivation erprobt, gefestigt und weiter entwickelt. Zu guter Letzt läuft natürlich alles auf ein Happy End heraus, zumindest was das Wiedersehen der beiden so unterschiedlichen Fannings (Venera und Chaison) betrifft. An wichtigen Charakteren aus dem ersten Band bleiben hiernach also nur noch Aubry Malhallan und Hayden Griffin. Erste fällt wohl aus, da sie ihr Ende bereits in der ersten Sonne fand, doch Hayden Griffin ist mittlerweile (aus Andeutungen gewonnene Erkenntnis) auf einem guten Weg, seiner Nation Aerie zu neuer Unabhängigkeit zu verhelfen. Hier ist das letzte Wort hoffentlich noch nicht geschrieben.

Das Auftreten der Künstlichen Natur ist relativ kurz und stroboskopisch, sodass sich das undeutliche Bild der Zusammenhänge durch eigene Fantasie des Lesers zusammensetzen muss; umso intensiver ist das Gefühl, das diese Vorstellung hervor ruft. Schroeder schafft hier ordentliches Potenzial zu mehr, denn obwohl er Venera den Schlüssel zu Candesce zerstören lässt, wird es sicherlich noch andere Wege für die Künstliche Natur oder für weitere dumme Menschen wie die Splittergruppe des Heimatschutzes geben. Veneras Tat ist überhaupt erst durch ihre Entwicklung im zweiten Band „Säule der Welten“ glaubwürdig, denn der ursprünglichen Venera hätte die Macht dieses Schlüssels mehr bedeutet als die damit verbundene Gefahr für die Sphäre.

Inzwischen macht die Ausführung und die Auflösung dieses Romans eine Fortsetzung unwahrscheinlich, denn es ist ein Höhepunkt und ein Abschluss erreicht, der an Intensität und Informationsflut genug für den Leser hinterlässt und durch weitere Ausformulierungen wohl nicht besser zu vollenden ist – es sei denn, Schroeder hätte noch bahnbrechende andere Optionen in der Hinterhand. Natürlich ließe sich in diesem Kosmos noch einiges an spannenden Abenteuern erzählen, doch würde das der Geschichte Virgas dienen? Es müsste zu ihrer Auflösung oder Integration durch und in die Künstliche Natur führen, oder der Status quo müsste Bestand behalten – denn anders herum, eine Eroberungswelle der unveränderten Menschen aus Virgas Schutzbereich in die Sphäre der KN, lässt sich nicht logisch entwickeln.

Ich wünsche Schroeder noch viele geniale Einfälle für seine Geschichten, aber mit Virga hat er sich bereits ein Denkmal gesetzt. Es ist auch immer etwas Wehmut im Spiel, wenn so eine gute Geschichte zu Ende geht.

Taschenbuch: 432 Seiten
ISBN-13: 978-3453528055
Originaltitel:
Pirate Sun – The book of Virga 3
Deutsch von Irene Holicki

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (2 Stimmen, Durchschnitt: 1,00 von 5)

Michael Marrak – Black Prophecy: Gambit

Michael Marrak erschafft eine neue galaktische Zivilisation der Menschen und entwirft ein Szenario der dunkelsten Zukunft, in dem der Mensch sich selbst aufs Abstellgleis schickt – Black Prophecy heißt das Onlinegame, für das Marrak federführend tätig war und die Hintergrundgeschichte nun bei Panini zu Papier bringt.

Als die Menschheit das erste fremde Sonnensystem besiedelte, schuf sie genetisch optimierte künstliche „Menschen“, die auf fernen Welten durch ihre hohe Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit als Pionier für die eigentlichen Homo sapiens dienen sollen. Nach der Besiedlung sind sie den Menschen im Weg und werden von der neu erschlossenen Welt verbannt. Aus Angst vor der Rache der sogenannten „Geniden“ entwickeln die Aussiedler kybernetisch hochgerüstete Truppen – doch der befürchtete Angriff bleibt aus. Schließlich kommt es auch zum – freiwilligen – Exodus der sogenannten „Tyi“, der Kyberneten, die sich in die Weiten der Galaxis aufmachen.

Die beiden Schöpfungen der Menschheit treffen bei der Neubesiedlung von Rohstoff- und Kolonialwelten immer wieder aufeinander und führen einen ewigen Konkurrenzkrieg. Doch in einer Angelegenheit sind sie sich schnell einig: Die Menschheit, der Homo sapiens, ist ihnen so weit unterlegen, dass sie ihn schließlich entmachten, enteignen und ihm alle Rechte entziehen. Der Mensch ist auf der untersten Stufe der Bedeutung angelangt, von seinen eigenen Schöpfungen versklavt.

Für niedere Dienste stehen die Menschen den selbsternannten „Superior“-Rassen zur Verfügung, wie zum Beispiel als Testpioniere auf neuen Welten, um die Gefährlichkeit der Erreger und des Lebens dort zu eruieren. Oder als Schiffsmannschaften auf interstellaren Reisen, denn die Superior ziehen während der Jahre dauernden Raumflüge die Kryokammer vor.

Jerome, der sich durch harte Arbeit eine verhältnismäßig angesehene Stellung bei den Superior erarbeitet und etwas aus dem Schattendasein der Sapiens befreit hat, ist bei einer der seltenen gemeinsamen Besiedlungen der Superior einer der mit der Sicherheit einer Raumstation betrauten Spezialisten; einer Raumstation, auf der Tausende ungeduldiger Siedler aller Rassen darauf warten, dass die Untersuchungen und Probenanalysen in den Speziallabors alles für die Besiedlung vorbereitet haben.

Als seine ehemalige Freundin Abhazia, die für Schizophren erklärt wurde wegen der Wahrnehmung seltsamer Wesen, die weder von anderen Menschen noch von Kameras erblickt werden können, spurlos verschwindet, wird Jerome misstrauisch und ermittelt halb inoffiziell in diesem Fall. Dabei verstrickt er sich in Konflikte mit den Superior-Rassen und kommt einem gefährlichen Komplott auf die Spur, das den relativen Frieden der Zivilisation und sogar ihr Bestehen hochgradig gefährdet. Und während er auf verschiedenen Fährten versucht, alles mit ihrem Fall in Verbindung zu bringen, gelangt Abhazia in eine Enklave anderer Interessen, die eine ungeheure Entdeckung gemacht hat, ohne sie noch richtig einordnen zu können …

Als Marrak vor Jahren in seinem Log von seiner Arbeit für ein Onlinegame berichtete, konnte seine Begeisterung nur teilen, wer ebenfalls den Computerspielen anheimgefallen ist – für den Real-Life-Verwurzelten hieß das nämlich nur eines: weniger krasse Romane! Mit Lord Gamma legte Marrak sich selbst natürlich auch eine herausfordernde Messlatte an, an deren Höhe die folgenden Romane mit absteigendem Erfolg kratzten – vielleicht ein Grund, warum seine Geschichten immer seltener wurden? Trotzdem hat jeder seinen eigenen Charme und ein typisches Charisma. Hier heißt „absteigender Erfolg“ nicht unspannend oder Ähnliches, sondern echt geile Geschichten, die aber den „Gamma“ nicht erreichen.

Thematisch haben seine Geschichten immer etwas Abstruses oder Transzendentes zu bieten, und da kommt die Sprache auf den vorliegenden neuesten Roman, der den Kosmos eben jenes Onlinegames beleuchtet: Er ist weder abstrus noch transzendent. Er transportiert eine detailliert ausgefeilte Welt, manche Abschnitte lösen sich regelrecht aus der Handlung und pfropfen Fakten hinein, die literarisch zu thematisieren der Raum fehlt.

Darin erkennt man die Arbeit, die Game-Historie, und doch glänzen in den Handlungsabschnitten Marraks erzählerische Talente und packen den Leser und vermitteln ihm das Leben und Streben der wichtigen Charaktere. Für sich allein gelesen ist der Roman unbefriedigend, wirft er doch Unmengen Fragen auf und lüftet nur einen Zipfel der Rätsel, die er anlegt. Es ist wie der Auftakt zu einer Serie, doch hinterlässt der Hinweis auf Folgebände im Zusammenhang mit Michael Marrak einen schalen Beigeschmack: Es wäre nicht der erste auf mehrere Bände angelegte Roman, der nicht über den ersten Teil hinaus kommt. So verschwand sein groß angekündigtes und ambitioniertes Jugendromanprojekt Das Aion recht schnell unbemerkt und fast kommentarlos nach dem ersten vielversprechenden Roman – sodass sogar mancher Verlagsmitarbeiter von seiner Existenz gar nichts wusste …

Es ist ein Seiltanz zwischen Weltentwurf und spannender Handlung, den Marrak trotz der großen Informationsdichte auf fesselnde Weise bewältigt. Allerdings bleiben die Charaktere recht oberflächlich, obwohl Marrak gerade bei Abhazia und Jerome einen tragischen Hintergrund einzuflechten versucht. Nur Jerome erhält eine gewisse Persönlichkeit und entwickelt sich zu einem heldenhaften, sympathischen Charakter, der mit allen Wassern gewaschen scheint und aus jeder Lage einen Ausweg findet.

Die dabei eingeflochtenen historischen und wissenschaftlichen Informationen reichern das Universum von Black Prophecy an und sind hier im Roman so spannend und interessant zu lesen, dass man die dadurch verursachte teilweise Handlungslichte gut verzeihen kann. Einziger Wermutstropfen ist das wirklich sehr unvollständige Ende, wodurch die Geschichte ohne einen Folgeband zu unbefriedigend wirkt.

Man braucht mehr davon! Obwohl die Marrak-typische Düsternis und Tiefe noch fehlt.

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (3 Stimmen, Durchschnitt: 2,33 von 5)

Broschiert: 315 Seiten
ISBN-13: 978-3833223556

Black Prophecy – offizielle Homepage
www.marrak.de

Terry Pratchett – Das Mitternachtskleid (Lesung)

Dieses Hörbuch handelt von einer jungen Hexe namens Tiffany Weh, die sich aufopferungsvoll um die Menschen ihres Einzugsbereichs kümmert – in allen menschlichen Belangen wie Streit, Krankheit, Alter, Erziehung, Bildung … Während dieser Zeit, als sie gerade ihre Stellung in der Gegend zu festigen sucht, verstirbt der Baron und mit ihm der wichtigste Fürsprecher der Hexe, die sich fortan gegen Intrigen und im folgenden Machtkampf um die beste Stellung an Seiten des jungen Barons durchsetzen muss. Mit dem Volk der „Wir sind die Größten“ hat sie wertvolle, wenn auch oftmals über das Ziel hinausschießende Verbündete, doch erwächst ihr auch ein Gegner, wie ihn jede Hexe in jungen Jahren zu besiegen hat: aus Misstrauen geboren, greift „der Mann ohne Augen“ nach ihr und den Menschen ihrer Umgebung.

Kurz: Es ist die Geschichte der Etablierungsprüfung der jungen Hexe, die sich damit selbst beweist, des Mitternachtskleides (wohl die traditionelle Kleidung der Hexen) würdig zu sein.

Während der Geschichte treffen wir auf alte Bekannte wie Hauptmann Karotte und den „kleinen irren Arthur“ aus Ankh Morpork, die Rufus Beck so einprägsam zu charakterisieren vermochte, oder die Hexen Oma Wetterwachs und Nanny Ogg, die durch die krächzende Stimme Katharina Thalbachs personifiziert und perfektioniert wurden. Hier zeigt sich eine Schwäche wechselnder Vorleser, denn obwohl Boris Aljinovic solide Arbeit leistet (und zuletzt im „Club der unsichtbaren Gelehrten“ überzeugte), kommt seine schnoddrige Interpretation nicht an die charismatischen Töne Becks und Thalbachs heran, die sehr gut differenzierten zwischen volksdümmlicher, austauschbarer Intonation und sehr persönlicher Charakterisierung der Protagonisten. Dagegen passt dieser Ton Aljinovics hervorragend zum Beispiel zu den „Größten“ …

Die Geschichte selbst ist geradlinig, doch sind es wieder, wie Pratchett-typisch, die Details, die sie zu etwas Besonderem macht – wie zum Beispiel das komplett zerlegte Wirtshaus in Ankh Morpork, das die Größten nächtens wieder rekonstruieren und dabei leider verkehrt herum aufstellen!

Für die Handlung wohl irrelevant und daher für das Hörbuch gekürzt (so hofft man, wenn man Pratchett keine Nachlässigkeit unterstellen will), ist die Frage nach dem Mitternachtskleid. Es findet kaum Erwähnung, geschweige denn Erklärung, doch lässt die letzte Thematisierung vermuten, dass es sich um das traditionelle Gewand der Hexen handelt und Tiffany es bisher nicht trug, weil sie sich dem noch nicht für würdig erachtete. Das ändert sich erst nach ihrer Konfrontation mit dem Mann ohne Augen.

Die zumeist dümmlichen Vertreter der Bevölkerung der Scheibenwelt sind in diesem Roman in der Minderheit, hier geht es vielmehr um die Persönlichkeit der Hexe und ihrer Reifung, bis sie zur finalen Konfrontation bereit ist. Natürlich bleibt trotzdem die reizende Blödheit einzelner Personen nicht aus, die ja bekanntlich einen Gutteil des Charmes ausmacht, von dem die Pratchett-Romane durchdrungen sind. Etwas feiner und stiller kommt der Roman daher, nicht so polternd wie in vielen anderen Beispielen ist der Humor – vielleicht ein Grund, warum man hier von einem Märchen spricht. Ein anderer ist natürlich die Charakteristik der Geschichte, die Reise und der Weg der jungen Tiffany Weh, ihre Reife und Reifeprüfung …

Insgesamt ein angenehmes Hörvergnügen, das mit wenigen überraschenden Wendungen auskommt, aber wie immer durch den Einfallsreichtum und die Vielfältigkeit besticht. Von Pratchett kann man nicht genug haben!

4 Audio CDs
Spieldauer: 318 Minuten
Originaltitel:
I Shall Wear Midnight
Gelesen von Boris Aljinovic
ISBN-13: 978-3837108187

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (3 Stimmen, Durchschnitt: 2,33 von 5)

Terry Pratchett – Hohle Köpfe (Lesung)

Hohle Köpfe sind sie fürwahr, die Bewohner der Stadt Ankh Morpork. Und das ist gerade ein Teil des Charmes, der Pratchetts Bücher so lesenswert macht. Denn trotz all ihrer Hohlheit entwickeln die Charaktere immer wieder ungeahnte Gedanken und Ideen, laufen strahlend vor Dummheit genau in die verzwicktesten Geheimnisse und retten sich selbst, sich selbst, sich selbst und neben bei auch immer allen anderen das Leben und die Freiheit. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Unerklärliche Morde suchen die unbescholtenen Bürger Ankh Morporks heim, und so wird ein alter Priester, ein Museumswärter und der Patrizier der Stadt tot aufgefunden – wobei Letzterer sich immer wieder aufrappelt und erst im Laufe seiner täglichen Arbeit wieder dahinsiecht. Das ruft die gesamte Mannschaft der Stadtwache auf den Plan, deren Hauptarbeitgeber der Patrizier ist. Zwischen Arsen unter den Fingernägeln des Priesters, Brennöfen für Zwergenkampfbrot, ungeheuerlichen Vorgängen unter den Golems der Stadt und Geschlechtskonflikten bei der Stadtwache ermittelt der Inspektor Mum intelligent, sein Hauptmann Karotte ehrlich und mit unerschütterlichem Glauben an die Liebe, der Rest der Wache mit sympathischer Hohlheit und erstaunlichen Zufallserfolgen. Doch es ahnt niemand, dass hier mehr auf dem Spiel steht als nur die rätselhafte Mordserie, dass es um eine gravierende Umwälzung der Gesellschaft geht …

Während sich eine amüsante Handlung in einem verstrickten Netz ausbreitet und die Wachen mehr stolpernd als zielstrebig an die Puzzlestücke gelangen, offenbart Pratchett so ganz nebenbei mal wieder kleine Einzelheiten, die seine grandiose Schöpfung schmücken, reicher machen und bunt und lebendig in ihr Umfeld betten. Die Worte in den „Hohlen Köpfen“ der Golems, die ihr Gewissen, ihre Programmierung darstellen – und sie an ihre Herren binden. War das bei dem Rabbi auch so? Neu ist jedenfalls die Idee, einen Golem zu befreien, indem man ihm seine Kaufquittung statt der Worte in den Kopf legt. Die Zwergin, die nicht über Gold und Schlachten singen will, sondern sich mit Make-up und Kleidern ausstaffiert und dadurch bei ihren Kollegen bei der Stadtwache grandiose Verwirrung stiftet. Die grandiose Verhörtechnik des trollischen Korporals, der dumpf und stur, aber konsequent, den Verdächtigen mit den Wörtern bombardiert „Du es sein gewesen? Ich wissen du es sein gewesen! Gib zu! Du es sein gewesen!“, bis die richtige Antwort fällt, die lautet „Ja ja ja, ich war es! Ich weiß zwar nicht mal, was mir vorgeworfen wird, aber ich war es, und bitte halt den Mund!“

Hohl im wörtlichen Sinne sind also die Köpfe der Golems, während sie im übertragenen Sinne mehr, wenn nicht sogar mindestens genauso viel darin haben wie ihre hohlen menschlichen (oder trollischen, zwergischen, …) Herrn. Davon heben sich ein paar Personen ab, wie Hauptmann Karotte, der zwar etwas weltfremd und naiv durch die Geschichte läuft, aber gerade dadurch in der Achtung der Städter ganz oben steht. Oder Kommandeur Mum, der die wirkliche Ermittlungsarbeit leistet, wenn er auch auf die unbeabsichtigten Treffer seiner Untergebenen angewiesen ist. Und der Patrizier belächelt sein Volk und bleibt an der Spitze, weil er der ruhende Pol, der Garant für Stabilität in der Politik der Stadt ist.

Die Zauberer der Unsichtbaren Universität bleiben diesmal außen vor, denn noch mehr Hohlheit hätte der Geschichte sicherlich mehr geschadet als genutzt …

Der Vorleser, kein geringerer als Rufus Beck, der sich nicht zuletzt über die Harry-Potter-Vertonung im Hörbuchsektor etabliert hat, zeigt bei seinen Arbeiten für die Terry-Pratchett-Romane ein besonderes und sicheres Gespür für die Charaktereigenschaften der Protagonisten. Inzwischen ist seine enorm wandelbare Stimme keine Überraschung mehr, wenn es auch bemerkenswert bleibt, wie er den Figuren Leben einhaucht – sogar den Golems. So zeigt er sich auch diesmal wieder als Pfeiler, und natürlich steht und fällt ein Hörbuch mit seinem Interpreten. Beck ist nicht nur eine sichere Wahl, sondern auch eine ausgesprochen sympathische.

Diese Geschichte hebt sich nicht erkennbar aus der Masse der Pratchetts heraus, die Qualität und der Einfallsreichtum des Autors machen es immer schwerer, eine qualitative Einordnung seiner Romane unter ihresgleichen vorzunehmen. Außerhalb seiner eigenen Schöpfung fehlt es Pratchett an vergleichbarer Konkurrenz, zu einzigartig ist und bleibt die Scheibenwelt.

6 Audio CDs, 420 Minuten Spieldauer
Gelesen von Rufus Beck
ISBN-13: 978-3837107876

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (3 Stimmen, Durchschnitt: 2,33 von 5)

China Miéville – Die Stadt & Die Stadt

China Miéville ist von Städten gefangen, vereinnahmt … ja fast hypnotisiert, so scheint es, wenn man sich durch seine Bibliografie liest. Immer neue Facetten entdeckt er und verarbeitet sie in den unterschiedlichsten, teils wunderbar abgefahrenen Romanen, denken wir nur an London, in das er bereits mehrfach seine Geschichten verfrachtete (zum Beispiel „König Ratte“ oder „Un Lon Dun“). Dort wird der im Sommer 2011 bei Lübbe erscheinende Roman „Der Krake“ ebenfalls angesiedelt sein und Miévilles Städten eine neue dunkle Seite hinzufügen.

Seine absonderlichste, brutalste, farbenprächtigste und dabei genialste Schöpfung ist New Crobuzon, die Hauptstadt seiner fiktiven Welt Bas Lag und wundervoll zu erleben in „Perdido Street Station“. Mit dem vorliegenden Roman entwirft er eine ebenso abstruse wie faszinierende Stadtschmelze, die beiden Städte Beszél und Ul Quoma, die sich durchdringen, teilweise aus identischen Straßen bestehen und doch unterschiedlicher nicht sein könnten …

Der Polizeiinspektor Borlú aus Beszél wird mit einem Mordfall betraut, bei dem es sich um eine junge, hübsche und unbekannte Frau handelt. Seine Recherche führt zu einem ungesetzlichen Telefonat mit einem Mann aus Ul Quoma, wo dieser zugibt, über die Grenze hinweg Plakate der Frau gesehen zu haben und sie zu erkennen – eindeutig Grenzbruch, das schwerste Verbrechen in den Städten, doch gibt es den ersten Hinweis auf die Herkunft der Frau. Borlú vermutet ein grenzüberschreitendes Verbrechen unter Grenzbruch und versucht, die Ermittlungen an die über-/zwischengeordnete Macht Ahndung abzugeben, die die Grenze zwischen den Städten bewacht und aufrecht erhält, indem sie Grenzbrecher grundsätzlich und radikal bestraft.

Plötzlich tauchen jedoch Videoaufnahmen auf, die den Grenzbruch ausschließen und damit wieder Borlú und seinen Ul Quoma’schen Kollegen Dhatt zu den verantwortlichen Ermittlern machen. Borlús Misstrauen ist geweckt, er scheint mit seinem Vorgehen einem größeren Verbrechen auf der Spur zu sein, als es bisher den Anschein machte. Was er schließlich entdeckt, sprengt all seine Vorstellungen; hier geht es um Dinge, die das sensible Gleichgewicht der Städte aushebeln und zum absoluten Chaos führen können, und das zwischen Macht- und Geldgier, dem Streben nach Anerkennung und der fanatischen Suche nach einer unsichtbaren dritten Stadt

Was sich in der einfachen Inhaltsangabe wie ein recht unspektakulärer Krimi anhört, liest sich mit einem ganz anderen Schwerpunkt. Wie bei dem Titel nicht anders zu erwarten, liegt die Stadt im Mittelpunkt des schöpferischen Interesses. Borlús Ermittlungen führen den Leser kreuz und quer durch die Städte und konfrontieren ihn immer wieder mit den absurdesten und faszinierendsten Situationen, die eine solche Stadtstaatenkonstruktion mit sich bringen würde. Anfangs glaubt man noch an eine irgendwie geartete phantastische zweite Stadt, die die reale Stadt hin und wieder überlagert oder nur manchen ausgewählten Menschen Zutritt gewährt, doch weit gefehlt.

Beszél und Ul Quoma sind zwei Städte auf einem Terrain. Man nehme sich eine beliebige Stadt (für die Vorstellung vorzugsweise eine, die man kennt) und teile sie folgendermaßen: Das Zentrum mit seinen Parks, Marktplätzen, Straßen und Gassen gehört zu beiden Städten und wird als „deckungsgleich“ bezeichnet. Je weiter man nach außen kommt, desto seltener werden die sogenannten Deckungsgleichen und desto mehr Stadtteile werden „total“ einer Stadt zugeordnet. Und die Trennung der beiden besteht ausschließlich in der Psyche der Bewohner: Quomani leben nur in ihren Bereichen, sehen nur ihre Landsleute und Fahrzeuge und Häuser und Straßen, während die Besz genichtsehen werden, wie auch ihre Fahrzeuge, Kneipen, Straßenbahnen, Autos und Häuser … Das Nichtsehen ist dabei der Knackpunkt: Von Kindesbeinen an lernen die Bewohner, sich auf bestimmte Arten zu bewegen, zu kleiden, bestimmte Farben zu meiden und alle anders charakterisierten Details zu nichtsehen. Das ist weit mehr als es nicht zu beachten, es ist ein psychischer Prozess, bei dem die Aspekte weitgehend aus dem Wahrnehmungsspektrum ausgeschlossen werden. Im Straßenverkehr auf Deckungsgleichen ist das besonders interessant …

Diese Konstruktion ist es, die Miéville in den faszinierendsten Farben beleuchtet und ein unglaubliches, weil eigentlich unvorstellbares Bild dieser speziellen Stadt vor den Leseraugen ausbreitet. Die möglichen Konflikte bieten seiner Geschichte dabei Ansatzpunkte, ebenso wie die spezielle Art, die Grenze zu überschreiten: Es gibt ein Gebäude in der Stadt, das von beiden Seiten durchfahren werden kann und als Grenzübergang fungiert. Unvorstellbar, dass jemand, der eben noch die Gerüche der quomanischen Kaffees genichtrochen hat und sie, sobald er die Grenze durchschritten hat, in ihrem vollen Aroma wahrnimmt, ebenso wie alles andere auf dieser Seite der Stadt.

Unvorstellbar, dass sich jemand an diese Zustände halten würde, doch auch dafür hat Miéville eine Lösung: Eine annähernd allmächtige Zuständigkeit in Form der Organisation Ahndung, die jeden Grenzbruch (also zum Beispiel, wenn ein Besz ohne Umweg über das Grenzgebäude in eine total in Ul Quoma liegende Straße geht oder, weniger offensichtlich, ein Quomani einen Gegenstand in einer deckungsgleichen Gegend ablegt und ein Besz ihn an sich nimmt) unnachgiebig und radikal ahndet.

Die Geschichte an sich ist eine durchaus spannende, unterhaltsame und wendungsreiche Ermittlungsgeschichte, deren Auflösung sich aber nicht einfach auf eine Kriminalgeschichte beschränkt, sondern eng verwoben mit den besonderen Zuständen der Stadt ein unausweichliches und anspruchsvolles Gesamtbild hinterlässt. Man kann das teilweise skurrile Flair und das Charisma der Schöpfung kaum beschreiben, und so bleibt als einzige Möglichkeit die uneingeschränkte Leseempfehlung!

Taschenbuch: 428 Seiten
Originaltitel: The City & The City
Deutsch von Eva Bauche-Eppers
ISBN-13: 978-3404243938

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (4 Stimmen, Durchschnitt: 1,00 von 5)


 

Eoin Colfer – Artemis Fowl VII: Der Atlantis-Komplex (Lesung)

Dies ist das siebente Abenteuer des bis dato als „kindliches Verbrechergenie“ bekannten Artemis Fowl, der sich im Zuge seiner Unternehmungen mit dem unterirdischen Erdvolk erst anlegte und später einließ, bis sich Freundschaften entwickelten und sich Artemis‘ Charakter wandelte. Doch jetzt steht er vor einem neuen Problem: Er entwickelt eine psychische Krankheit, die sich in Zwangsstörungen, Paranoia und multiplen Persönlichkeiten äußert. Beim Erdvolk ist diese Krankheit bekannt als „Atlantis-Komplex“.

Während Artemis‘ Genie sich neuerdings mit der Rettung der Welt befasst und zu diesem Zweck ein großartiges Projekt ersinnt, kämpft der Junge gegen die immer stärker auftretenden Symptome seiner Krankheit an, die er auch vor seinen engsten Freunden zu verbergen sucht. Diesen wiederum bleibt sein merkwürdiges Verhalten wie – nur als Beispiel – seine zwanghafte Fixierung auf die Zahl Fünf natürlich nicht lange verborgen, und allen voran Holly Short, Captain der Zentralen Untergrundpolizei, stößt in diesem Zusammenhang schnell auf den Atlantis-Komplex. Ehe sie ihren oberirdischen Freund jedoch zu einer Therapie überreden kann, kommt es zu einem beinahe tödlichen, anfangs als Unfall zu betrachtenden Ereignis: Eine von Foaleys Marssonden stürzt sich genau auf den Aufenthaltsort der Versammlung, der Artemis just zu diesem Zeitpunkt sein Weltrettungsprojekt vorstellt und an dem die Koryphäen von Erd- und Menschenvolk teilnehmen.

Holly, Foaley und Artemis entgehen knapp der Attacke und verfolgen die riesige Sonde auf ihrem Weg ins Erdinnere, wo sie die Unterwasserstadt Atlantis auf geradem Weg ansteuert. Während Foaley sich seine Machtlosigkeit über das Gerät nicht erklären kann, sitzt in atlantischer Haft ein gerissener, größenwahnsinniger Elf, der sich durch diesen vermeintlichen Angriff unbemerkt aus dem Gefängnis befreien will und – so ganz nebenbei – sich der Elite der ZUP inklusive Holly, Artemis und Foaley zu entledigen versucht …

Für die „Artemis Fowl“-Romane ist Rufus Beck eine optimale Wahl als Vorleser. Mit seinem modulationsfähigen Tenor trifft er den „Ton“ der Geschichte mitten ins Herz und verleiht den Protagonisten, die sich vor allem aus dem jugendlichen Artemis und der Elfe Holly zusammensetzen, ihren aussagekräftigen Charakter. Doch auch die Mafiosi-Stimme von Butler oder das Wiehern des Zentaurs Foaley sind einzigartig und lassen kaum erkennen, dass sie vom selben Interpreten vertont werden. Einzig nervig sind die austrialisierten Akzente der Zwerge, vor allem des alles andere als redefaulen Mulch Diggums. Allerdings sind seine Monologe und Kommentare von mehr als ausgleichender Qualität und sorgen für den typischen Humor der Reihe.

Die Idee, Artemis mit einer Psychose auszustatten und so eine geistige Auseinandersetzung zwischen sich selbst, seinen neuen Identitäten und zuletzt den Symptomen der Krankheit zum beherrschenden Problem zu machen, ist überraschend vor dem Hintergrund, dass Artemis bisher als unübertreffliches Genie mit einem Einfall und einer Lösung für jedes Problem galt, andererseits natürlich eben vor diesem Hintergrund eine logische Weiterentwicklung des im sechsten Band „Das Zeitparadox“ ausgefochtenen Konflikts mit einem personifizierten jüngeren Ich. So lässt Colfer seine Figur an immer ausgefeilteren Problemen wachsen und gedeihen, was sich nicht zuletzt an der sich entwickelnden Menschlichkeit und Gefühlswelt des Jungen zeigt.

Eingebettet ist dieser Konflikt in eine spannende Geschichte der Kriminalistik colferscher Manier, die dem stark abgelenkten Fowl einiges abverlangt. Nebenbei erfährt man wieder ein bisschen mehr über die Erdvolkzivilisation und die wirklichen Umstände unserer Erde, obwohl sich Colfer gegenüber dem Vorgänger einen Widerspruch gestattet: Die im sechsten Band widerlegte Bezeichnung von Tiefseekalmaren als „Kraken“ findet hier wieder ihre klassische Verwendung …

Artemis Fowl betritt also nun den Weg vom Verbrechergenie zum Weltverbesserer, doch nicht nur innere Widerstände hindern ihn am unbeschwerten Fortschreiten. Ob ihm diese Wandlung endgültig gelingt, oder ob er dadurch seine Charme verliert, möge uns sein Biograf in weiteren Abenteuern dieser unterhaltsamen Qualität nahe bringen.

6 Audio CDs
ISBN-13: 978-3899033229
Originaltitel:
Artemis Fowl and the Atlantis Complex
Deutsch von Claudia Feldmann

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (2 Stimmen, Durchschnitt: 1,00 von 5)

Wolfgang und Heike Hohlbein – Anders 2: Im dunklen Land (Lesung)

Nachdem Anders‘ und Kats Flucht über die Berge ihr jähes Ende vor einer unüberwindlichen Betonmauer fand, wurden sie endlich doch noch von dem sie verfolgenden Elder eingeholt. Kat liegt in tiefer Bewusstlosigkeit, doch Anders muss sich dem Krieger stellen. Doch was sich unter dem schweinsgesichtigen Helm verbirg ist nicht etwa die erwartete pervertierte Mutation eines Schweines, sondern ein Wesen mit edlen Gesichtszügen und – Anders glaubt es kaum – spitzen Ohren.

Der Elder und seine Familie nehmen Anders (der weiterhin etwas Besonderes in diesem unbegreiflichen Land zu sein scheint) und – widerstrebend – auch Kat auf und bringen sie nach Tiernan, der Stadt der Elder, wo sie sich „Oberons Rat“, dem Triumvirat der Elder, stellen müssen. Kats Herkunft und Eigenart als sogenannter Tiermensch wird verschleiert, und Anders stößt erneut auf keine Antworten, sondern nur auf Hinhaltetaktiken – ja, die Elder wollen ihn gar mit einer der menschlichen Dienerinnen verkuppeln, um ihn an sich zu binden.

Bei seinen geheimen Streifzügen, durch die Anders erstens einen Fluchtweg finden will und zweitens Informationen über diese nicht offiziell existierende Enklave sucht, entdeckt er, dass auch Tiernan ein verfallenes und verlassenes Produkt „seiner“ Menschen ist: Bunkeranlagen, verlassene Büros, zerstörte Laboratorien … Hier scheinen geheime Experimente gehörig schief gegangen zu sein! Doch als er von den Elder nur hingehalten wird, diese sich brutal an Kats Sippe vergehen und Kat ausgewiesen werden soll, kommt es zum Desaster, bei dem Anders fast einen Elder tötet und – zu ihrem scheinbaren Bedauern – einem langwierigen Gottesurteil ausgesetzt wird …

Die Geschichte bezweckt vor allem eins: Ein unglaubliches Geheimnis der realen Welt, bei dem ein schiefgelaufenes, absurdes Experiment vertuscht werden soll, aufzudecken und dabei den Helden durch möglichst haarsträubende Abenteuer zu schicken, aus denen er trotz seiner jugendlichen Trotz- und Großmäuligkeit schließlich und stets erfolgreich hervorgeht. Dem erwachsenen Hörer fällt ziemlich deutlich auf, wie unsinnig das Verhalten der Elder ist, wenn sie Anders an der langen Leine verhungern lassen und nicht einmal versuchen, ihm ihr Leben zu erklären. Sie arbeiten regelrecht daran, seine Widerspenstigkeit zu schüren und ihn zum Kontern zu animieren, obwohl sie ihn eigentlich halten wollen. Natürlich ist das ein strategisches Hilfsmittel der Autoren, die Geschichte über die vielen Bände auszudehnen und den Hörer mit der interessanten Welt zu binden, durch die sich Anders bewegt und in der er immer neue Rätselteile entdeckt, die gelöst werden wollen. Da sie dabei einen schmalen Grat beschreiten zwischen Empörung über die Hinhaltetaktik und Interesse an der Fortsetzung, rechnen sie offenbar mit dem Sog einer einmal begonnenen Geschichte, die man normalerweise nicht wegzulegen anstrebt, bis man ihr Ende kennt.

Der zweite „Anders“-Roman beginnt ungefähr genau dort, wo der erste Band endetet, nur erfährt man sofort, dass sich hinter den Schweinsmasken keine brutalen Schlächter, sondern charismatische Wesen mit den typischen Akzenten elbischer Charaktere verbergen. Sie sind hochgewachsen, haben spitze Ohren und edle Gesichtszüge und einen messerscharfen Verstand – und sind Meister der Intrige und Verschleierungstaktik, wie sich hier wieder zeigt, denn Anders – und mit ihm der Hörer – wird weiter im Dunkeln gelassen und erfährt so gut wie keine neuen Informationen.

Einen jugendlichen Hörer mag das nicht weiter stören, wenn die Geschichte drum herum spannend erzählt ist, doch verärgert es den wissbegierigen doch zusehends, wenn man in der Geschichte eigentlich kaum voranschreitet. Weiterhin bleibt Anders‘ überragende Intelligenz unbemerkt, deutlich zu Tage tritt dagegen sein hitzköpfiges Temperament, von dem bei seiner Selbstvorstellung in Band 1 nichts erwähnte. War er im ersten Teil noch der sympathische Junge, macht er sich mehr und mehr unbeliebt, und das nicht nur bei den Elder …

Hörenswert ist die Geschichte allemal, denn trotz der Mängel an der Informationsvermittlung, gelingt es den Autoren, ihre Welt interessant zu machen, und der Sprecher Bernd Stephan hat keinen geringen Anteil an der fließenden und unterhaltenden Atmosphäre, die die Aufmerksamkeit des Hörers durchaus zu binden vermag. Insgesamt dürfte der jugendliche Hörer gierig nach der nächsten Folge greifen, um das Schicksal des eingeschlossenen Anders mitzuerleben, doch täte eine energischere Raffung der Geschichte nur gut.

4 Audio CDs
Spieldauer: 4:51 Std.
ISBN-13: 978-3833721199
Gelesen von Bernd Stephan

Der Autor vergibt: (3/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (3 Stimmen, Durchschnitt: 1,67 von 5)

SunQuest – Quinterna 2: Invasion der Stummen

Im zweiten Band des zweiten Sechsteilers der „SunQuest“-Saga geht es vor allem darum, wie die drei Frauen aus Burundun, dem Standort des Archivs, auf verschiedenen Wegen versuchen, den Widerstand gegen ELIUM und die Quinternen zu organisieren und letztlich selbst nach der Wurzel des Übels zu greifen versuchen.

Seiya wurde von ihrem ursupatischen Bruder in die Heimat gerufen, denn dort übernahmen die Quinternen die Kontrolle, um an die für sie wichtigen reichen Kristallvorkommen zu gelangen. Und die vertriebene Schwester organisiert den Widerstand, ehe sie weiter Richtung ELIUM vordringt.

Shanija erreicht mit ihrem Trupp den Sitz der Familie Hag, um dort eine Armee für den Krieg gegen ELIUM zusammenzustellen.

Und As’mala ist weiterhin in ELIUM gefangen und arbeitet an einem Ausbruchsversuch, als sie eine unerwartete und wichtige Begegnung mit dem Wesen Nur-Eins hat …

Wie gehabt teilen sich zwei Autoren einen Roman, sodass die Gewichtung der Ereignisse sehr zu Lasten Seiyas geht, um die sich die gesamte erste Hälfte dreht … ohne dabei jedoch wichtige neue Erkenntnisse zu vermitteln neben dem für die „Stummen“ wichtigen Kristallvorkommen. Dagegen drängen sich im zweiten Abschnitt die Handlungsebenen um Shanija, ihren Sohn Darren (der in Burundun seine psimagische Kraft entdeckt und geistigen Kontakt zu Nur-Eins herstellt) sowie As’mala, und in jeder Ebene ereignen sich spannende und richtungsweisende Dinge wie Darrens unerwarteter Kontakt, der Angriff auf das Archiv, der Ausbruch von Darrens Fähigkeiten oder das Auftreten Nur-Eins‘ im Körper eines Kindes, eines Mädchens, das – als Cliffhanger konstruiert – bei As’mala Assoziationen zu seiner Identität weckt – die der Leser im nächsten Roman zu erfahren hoffen muss, denn an dieser wichtigen Stelle endet der Roman.

Hat also Dennis Mathiak einen zwar unterhaltsamen, aber wenig handlungstreibenden Romanabschnitt um einen Teilerfolg im Befreiungskampf geschrieben, verarbeitet Achim Mehnert in kompakterer Form interessante Aspekte des Weltentwurfs, die wieder Lust auf mehr machen. Man merkt den Texten insgesamt jedoch die Schule der Autoren im Fortsetzungsroman mit den Charakteristika derselben an, es tummeln sich klischierte Protagonisten und beschreibende Floskeln, was sich aber vor allem im zweiten Teil unter den Informationshappen und der spannenden, dichteren Atmosphäre versteckt.

Insgesamt ist dieser zweite Teil gute Bettlektüre, der zum Ende hin noch ein paar Köder nach dem Leser wirft, um ihn zum Weiterlesen zu animieren, was der durchaus interessante Weltentwurf auch verdient.

Broschiert: 240 Seiten
ISBN-13: 978-3927071285
Originalausgabe

Der Autor vergibt: (3/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (2 Stimmen, Durchschnitt: 1,00 von 5)