Band 1: [„Das unendliche Licht“ 2646
Band 2: [„Der eisige Schatten“ 3610
_Handlung_
Nachdem Kai die letzten Abenteuer überstanden hat, kehrt er nach Colona zurück, denn Morgoyas Armee belagert die Stadt am Rhyn. Mitten in einem der ersten Scharmützel taucht das fliegende Schiff der Universität zu Halla auf und entscheidet diesen ersten Kampf für die Verteidiger. Doch die Freude dauert nur kurz, denn der Erzmagus Hallas, Aureus von Falkenhain, zwingt Kai dazu, dessen Lehrling zu werden, um ihm seinen „dunklen Kern“ auszutreiben, und bindet ihn mit einem Sklavenring an sich. Zudem hat er die Mitglieder des Hermetischen Ordens versteinern lassen, beginnt mit Hexenverbrennungen und hat Magister Eulertin auf eine Expedition geschickt, die fast sicher dessen Tod bedeutet. Kai kann zwar entkommen, doch seine Wege führen ihn direkt nach Albion in die „Höhle des Löwen“ vor die Klauen Morgoyas … Finn, Thomas – Letzte Flamme, Die (Die Chroniken der Nebelkriege 3) weiterlesen →
Cory Doctorow ist eines davon, immer auf dem aktuellen Stand der Technik, in zahlreichen Weblogs unterwegs, Mitverantwortlicher von vielen Infoboards und nach eigenen Worten sehr findig darin, die Möglichkeiten des Internets zu nutzen, um seinen eigenen (Verkaufs-)Profit via kostenlos verteilter eBooks zu optimieren. Desweiteren ist er Journalist und hat in Kanada das Licht der Welt erblickt.
Bücher hat er bisher vier veröffentlicht: die Kurzgeschichtensammlung „A Place so foreign and Eight more“, den aktuellen Roman „Someone comes to Town, Someone leaves Town“ (2005), „Eastern Standard Tribe“ (2004) und „Down and out in the Magic Kingdom“ (2003), welches als einziges übersetzt wurde und als „Backup“ vor mir liegt.
_Woppel, Disney und Unsterblichkeit._
Julius, der Ich-Erzähler, geleitet den Leser in eine nicht allzu ferne Zukunft, irgendwo im 22. Jahrhundert. Es gibt keinen Tod mehr, die Menschen sind interaktive Multimedia-Stationen, die sich allerorten ein Backup machen können, eine Kopie ihres gesamten Erfahrungs- und Erinnerungsschatzes, die schlicht und einfach in einen neuen Klon-Körper geladen wird, sollte dem aktuellen Körper irgendeine Scheußlichkeit zustoßen. Krankheiten haben ihren Schrecken verloren, dem dahinsiechenden Körper wird einen Todesspritze verpasst und schon erwacht man am nächsten morgen in einem taufrischen Klon seiner selbst. Langeweile ist die schlimmste Geißel dieser Zeit, aber auch dem kann Abhilfe verschafft werden: Wer des Lebens überdrüssig geworden ist, kann entweder im Kälteschlaf darauf warten, bis interessantere Zeiten angebrochen sind, oder sich einfach die finale Spritze reinjagen lassen.
Das allerdings kommt selten vor, die Menschheit lebt nämlich in einer Zeit des Überflusses, Energie und Nahrung sind keine Mangelware mehr und deswegen wurde auch das Finanzwesen abgeschafft und so etwas wie Armut gibt es nicht mehr. Die einzige Währung, die zählt, ist der Ruf, den man genießt, gemessen in sogenannten „Woppel“. Da jeder Mensch ja eine wandelnde Multimediastation ist, kann man die Woppel seiner Mitmenschen ständig abrufen und man behandelt sein Gegenüber dann auch gemäß dieses Woppelstandes.
Organisiert ist die Gesellschaft jener Zukunft über kleine Interessengruppen, sogenannte Ad-hocs, die jeweils ihre eigene Hierarchie haben. Julius jedenfalls ist Teil eines solchen Ad-hoc, das sich in Disneyland befindet und sich samt und sonders dem „Spukschloss“ verschrieben hat. Alles läuft wunderbar, Julius (über 100 Jahre Lebensalter) lebt in einer glücklichen Beziehung mit seiner Freundin Lil (gerade mal 20 Jahre Lebensalter) und beide widmen sich voller Inbrunst der Optimierung des Spukschlosses und verfügen über einen ordentlichen Woppel-Stand.
Am Anfang der Geschichte beginnt dieses Glück allerdings zu bröckeln. Julius‘ Kumpel Dan steht plötzlich auf der Matte, einstiger Woppelmillionär und Lebenskünstler, aus irgendwelchen Gründen hat er jedoch sein komplettes Ansehen verspielt. Aber damit nicht genug, jemand hat ein Attentat auf Julius ausgeübt, ihn umgebracht, und die Indizien deuten auf die Ad-hoc-Gruppe einer gewissen Debra. Debras Lebensziel scheint es zu sein, ganz Disney World zu übernehmen, und selbstverständlich ist das Spukhaus ein besonders leckerer Happen; da Julius ihr schon immer dabei im Weg stand, sich diesen einzuverleiben, liegt es nahe, dass sie sein Ableben beabsichtigt hat.
Julius steigert sich immer übler in diesen Verdacht hinein, er geht Wagnisse ein, entwickelt eine regelrechte Paranoia und zettelt einen Krieg gegen Debra an, der weder seiner Freundschaft zuträglich ist noch seiner Beziehung noch seinen Woppel. Als er einen Sabotageakt gegen Debras „Halle der Präsidenten“ zu verüben versucht, schießt es ihm plötzlich die Lichter aus, die Multimediaschnittstelle im Hirn versagt ihm kurzzeitig den Dienst und plötzlich befindet er sich wieder in der technologischen Steinzeit …
_William Gibson und die Inflation._
Auf dem Klappentext prangt es: „Der beste Debüt-Roman seit William Gibsons Neuromancer“, so behautet es jedenfalls der |Austin Chronicle| und löst damit selbstverständlich erst mal eine gewaltige Prise Skepsis aus. So beeindruckend wie [„Neuromancer“? 521 So gut wie ein Roman, der 1987 auf einer mechanischen Schreibmaschine geschrieben wurde, der ein ganzes Genre begründete, noch heute Autoren aller Altersklassen beeinflusst und kein bisschen von seiner visionären Kraft verloren hat? Mal ehrlich, welcher Leser lässt sich von derartigen Übertreibungen noch hinter dem Ofen hervorlocken? Einen Cent für jeden Roman, der von größenwahnsinnigen Werbeleuten als das „nächste große Ding nach Tolkien“ verkündet wurde, und ich könnte meinen Brotjob an den Nagel hängen.
Also, liebe(r) Leser(in), natürlich ist „Backup“ nicht so beeindruckend wie Gibsons „Neuromancer“, aber das hat wohl auch keiner wirklich erwartet, oder? Im Gegenteil, das futuristische Setting ist relativ klassisch und die entscheidende Idee von der Unsterblichkeit via „Backups“ hat Richard Morgan in seinem [„Unsterblichkeitsprogramm“ 464 bereits wesentlich praller, bunter und abgefahrener umgesetzt, als es Doctorow in „Backup“ tut.
Das Buch deswegen zu schmähen, wäre dennoch nicht gerecht, denn unterhaltsam ist „Backup“ allemal. Es hat schon was, einem besessenen Disney-Fanatiker dabei zuzusehen, wie er sein gesamtes Lebensglück von einer Themenpark-Attraktion abhängig macht, wie er einen Krieg anfängt und alle möglichen Tricks anwendet, um sich „Woppel“ zu organisieren. Man fiebert auch mit Julius mit, wenn er sich mal wieder einen richtig riskanten Schachzug ausgeklügelt hat und ihn durchziehen will, man kann sich geradezu ausmalen, welche Auswirkungen ein Fehlschlag haben wird.
Auch hat Doctorow mit Julius die richtige Erzählperspektive gewählt; mit locker ironischem Ton führt er den Leser durch die „Bitchun-Society“ jener Zukunft und bringt ihm die Feinheiten dieser Welt sehr unterhaltsam nahe. Die Erzählperspektive sorgt dabei für Spannung, weil sie sich auf Julius beschränkt und dem Leser ausschließlich dessen paranoide Wahrnehmung übermittelt. Ständig fragt man sich, wie viel dran ist an dieser Wahrnehmung, immerhin könnte es auch sein, dass Julius‘ Freunde Recht damit haben, dass Julius einfach spinnt.
Aber über ‚unterhaltsam‘ geht das Ganze dann doch nicht wirklich hinaus; nach 285 Seiten hat man einfach das Gefühl, einen interessanten Blick geworfen zu haben in das interessante Leben einer interessanten Person in einer interessanten Zukunft. Klar, die Geschichte der Hauptfigur ist spannend, auch sein Kampf um das Spukhaus, um seine Beziehung und um seine Woppel nehmen den Leser gefangen. Trotzdem habe ich etwas Größeres erwartet als diesen Streifzug durch ein Lebenskapitel von Julius, nicht nur, weil mich der Klappentext mit „Neuromancer“ gelockt hat. Mir persönlich fehlt hier das faszinierende Element, das wirklich Visionäre. „Backup“ ist ein kluges soziologisches Gedankenexperiment, zeigt die Zukunft aber hauptsächlich im Mikrokosmos von Disney World. Wie die Welt außerhalb dieses Mikrokosmos aussieht, wird nur angerissen, und das meiste bleibt der Fantasie des Lesers überlassen. Um es also auf den Punkt zu bringen: „Backup“ ist unterhaltsam und spannend, aber keine Pflichtlektüre.
|Originaltitel: Down and out in the Magic Kingdom, 2003
287 Seiten
Aus dem US-Englischen von Michael K. Iwoleit|
http://www.heyne.de
Im März 1912 ereignet sich das „Wunder“: Der Kontinent Europa verliert sein bekanntes Gesicht. Während die Topografie erhalten bleibt und alle Flüsse oder Berge noch dort zu finden sind, wo man sie seit jeher kannte, verschwinden Tiere, Pflanzen und Menschen spurlos. Die Städte, Industrielandschaften oder Felder Europas werden ersetzt durch eine bizarre, außerirdische Wildnis, bevölkert von seltsamen, meist sechsbeinigen und in der Regel giftigen Kreaturen.
„Darwinia“ wird das neue Land genannt; ein halb spöttischer Versuch, jenes auf seine Weise völlig ausgewachsen aus dem Nichts entstandene Land zu begreifen, das Charles Darwins epochale, gerade erst halbwegs akzeptierte Lehre von der allmählichen Entstehung und evolutionären Veränderung der Arten Lügen zu strafen scheint. So ist denn auch der alte, halb wissenschaftliche, halb religiöse Streit zwischen den Darwinisten und den „Naochiten“, nach deren Überzeugung Darwinia wie einst die Welt überhaupt in einem einzigen Schöpfungsakt entstand und sich seither nicht mehr verändert hat, wieder aufgeflammt. Die Evolution wird bestritten, Fossilien gelten als göttliche Spielerei, und da die Naochiten nicht nur über eine kopfstarke Anhängerschar verfügen, sondern die Darwinisten fanatisch verfolgen, droht die Forschung auf ein totes Gleis zu geraten.
In der deutschen Fabelwelt ist der Fuchs als verschlagenes, hinterlistiges Tier bekannt. Doch das ist nichts gegen das, was man dem Fuchs im Japan des Mittelalters nachsagt. Er soll Zauberkräfte besitzen und sogar dazu in der Lage sein, sich in Menschengestalt zu verwandeln.
Tatsächlich beschreibt die Amerikanerin Kij Johnson in ihrem Buch „Das Geheimnis der Fuchsfrau“ einen solchen Fall. Kitsune, eine junge, verspielte Füchsin, lebt mit ihrem weisen Großvater, ihrer verrückten Mutter und ihrem in sie verliebten Bruder auf dem verfallenen Landsitz des Adligen Kaya no Yoshifuji. Obwohl er sich dort seit Jahren nicht mehr hat blicken lassen, beschließt der junge Mann mit seiner hübschen Frau Shikujo, seinem achtjährigen Sohn Tadamaro und der Dienerschar, nachdem er bei der bei den Neujahrsernennungen kein Amt abbekommen hat, wieder aufs Land zu ziehen. Kitsune, die äußerst neugierig ist und sich sehr für Menschen interessiert, verliebt sich unsterblich in Yoshifuji. Als ihr Großvater ihr erzählt, dass es Füchsen möglich ist, sich mit Magie in Menschen zu verwandeln, ist Kitsune hellauf begeistert.
Doch ihre Gefühle sind nicht einseitig. Yoshifuji, der sich mit seiner hübschen, stets braven Frau langweilt, verspürt eine gewisse Rastlosigkeit. Er ist nicht mit seinem Leben zufrieden und fühlt sich zu den Füchsen im Garten seltsamerweise hingezogen. Seine Frau sieht das ein bisschen anders. Ihr machen diese Tiere Angst und sie glaubt, dass sie böse sind und Seelen stehlen. Tatsächlich hat sie selbst so ihre Erfahrung mit diesen Tieren und bittet ihren Ehemann, die Füchse zu vertreiben. Doch der lässt sich nicht erweichen. Immer versessener wird er im Hinblick auf diese Tiere, und so beschließt Shikujo, ohne ihn, dafür aber mit Tadamaro in die Hauptstadt zurückzukehren. Das erweist sich als Fehler, denn zur gleichen Zeit beginnt Kitsune mit der Verwandlung in eine Frau, und sie hat nur ein Ziel: Yoshifuji …
Kij Johnson schildert in ihrem Buch eine sehr anschauliche, mythische Geschichte, die gerade Lesern aus der westlichen Kultur sehr gefallen wird, erzählt sie doch aus einem völlig anderen Kulturkreis. Das Buch spielt in der Heian-Zeit, die ungefähr dem Mittelalter entspricht, und bietet neben einer fremden Kultur dementsprechend auch einen sehr interessanten historischen Hintergrund. Kij Johnson stellt diese beiden Aspekte in der Geschichte sehr gut dar. Sie verwebt sie zu einer dichten, atmosphärischen Kulisse und erklärt in wenigen, aber anschaulichen Worten die Besonderheiten des damaligen Japans. Sie schafft es dabei, sich so knapp zu fassen, dass das Buch nicht zerfasert, sondern zu einem runden Ganzen wird.
Allerdings kommt die Geschichte trotz eines guten Anfangs nicht richtig in Gang. Die ersten Seiten erzählen von Kitsunes Geburt als Füchsin und wie sie aufwächst und ihre und die Welt der Menschen erlebt. Da aus der Tierperspektive geschrieben, ist der Anfang unglaublich interessant, stellenweise gewitzt und macht Lust auf mehr. Doch bis dann einmal Schwung in die Geschichte kommt, vergeht einige Zeit. Auf der einen Seite ermüdet es ein wenig, dass sich Johnson manchmal an Kleinigkeiten aufhält, auf der anderen Seite benötigt sie diese, um die zwischenmenschlichen Beziehungen darzustellen. In der Ehe zwischen Yoshifuji und Shikujo kriselt es und die Autorin schildert dies auf eine schleichende Art und Weise, die den Leser dazu auffordert, selbst zu erkennen, wie es um die beiden steht. Glücklicherweise gibt es aber immer wieder Phasen, in denen es im Buch flott vorangeht, und in der Summe überwiegt das Positive der Handlung.
Dazu gehören die Anschaulichkeit und die unglaublich gewandte Darstellung der Ereignisse. Johnson teilt ihr Buch in drei Erzählperspektiven auf: Kitsune, Yoshifuji und Shikujo, die jeweils aus der Ich-Perspektive sprechen. Sie schafft es dabei, zwischen den Perspektiven und dem Leser nur eine geringe Distanz zu belassen. Man kann direkt verfolgen, was die Hauptpersonen bewegt, was sie denken und wie sie verschiedene Ereignisse erleben. Die Charaktere sind ungewohnt gut ausgearbeitet. Sie haben Ecken und Kanten, Geheimnisse und geheime Wünsche und wirken menschlich und bodenständig, keinesfalls heroisch. Es scheint, als ob Johnson tatsächlich bis in die verstecktesten Winkel der Persönlichkeiten vorgedrungen wäre, und dies macht einen großen Teil des Zaubers dieses Buches aus.
Einen nicht unbeträchtlichen Anteil an diesem Zauber hat auch der Schreibstil. Die amerikanische Autorin erzählt leichtfüßig, anschaulich und bildhaft und verwendet viele (Farb-)Adjektive, so dass man sich alles sehr gut vorstellen kann. Außerdem benutzt sie virtuose Metaphern, allerdings nicht im Übermaß, sondern wohldosiert. Insgesamt ist der Schreibstil sehr unaufdringlich und auf subtile Art und Weise beeindruckend. Dass Johnson dies den ganzen Roman hindurch beibehält, verdient großes Lob.
Mit „Das Geheimnis der Fuchsfrau“ ist Kij Johnson ein exotisches und anmutiges Buch gelungen. Ihr Erzählstil zieht in den Bann und erfreut durch seine Anschaulichkeit; die interessanten Charaktere sind wunderbar ausgearbeitet. Einzig die Handlung ist an einigen Stellen etwas zu langatmig, doch das wird durch die restliche Qualität des Buches schnell wieder aufgewogen.
Dieser |Moewig|-Auswahlband enthält mit dem |Nebula Award| ausgezeichnete und dafür nominierte Science-Fiction-Storys aus dem Jahr 1970, darunter Erzählungen von Theodore Sturgeon, Gene Wolfe, Fritz Leiber und Joanna Russ.
_Der Herausgeber_
Clifford D. Simak (1904-1988) ist einer der großen alten Meister des Science-Fiction-Genres. Obwohl er von 1929 bis 1976 als Journalist für Zeitungen arbeitete, konnte er ab 1938 mit einfallsreichen und gefühlvollen Erzählungen und Romanen einen festen Leserstamm gewinnen sowie mehrere wichtige Genre-Preise einheimsen. Und das selbst dann noch, als er schon 77 Jahre alt war.
Sein Schauplatz ist fast immer das ländliche Wisconsin, sein hauptsächlicher Protagonist ein alter weiser Mann, der sich durch Toleranz gegenüber anderen Lebewesen auszeichnet, und seien sie auch so verschieden wie Aliens. In „Way Station“ (1963) spielt ein alter Farmer Bahnhofsvorsteher für eine Durchgangsstation von Außerirdischen. Aber manchmal liegt auch Melancholie über seinen Erzählungen, so in dem Episodenroman „City“ (1952), dessen einzelne Storys darauf beruhen, dass sich Roboter und intelligente Hunde an die verschwundenen Menschen, ihre einstigen Herren, erinnern.
Lustig und verrückt sind seine Slapstick-Romane „The Goblin Reservation“ (1968) und „Out of their minds“ (1970). Simak kann man immer lesen, ganz gleich in welcher Generation, meint das „Heyne SF Lexikon“, und das ist absolut zutreffend, denn mit Computern oder Gentechnik hatte Simak wenig am Hut. 1976 erhielt Simak von seinen Kollegen, den „Science Fiction Writers of America“ (SFWA) den |Grand Master Nebula Award| für sein Lebenswerk. Es sollte noch zwölf weitere Jahre und einige Romane mehr dauern, bis er sich endgültig zur Ruhe legte.
_Die Erzählungen_
1) _Theodore Sturgeon: Der Bonsai-Mensch_ (Slow sculpture)
Eine junge Frau ohne Namen lernt einen kuriosen Mann ohne Namen kennen. Er ist Ingenieur und hat das Elektroskop erfunden, mit dem er auch den Gesundheitszustand von Lebewesen untersuchen kann. Dass er in seinem Haus der Kunst der Pflanzenveredelung durch Bonsai frönt, macht ihn ihr sehr sympathisch, doch die junge Frau hat Angst, dass er sie noch mehr über den Knoten in ihrer Brust, von dem sie ihm unbedacht erzählt hat, fragen wird. Es stellt sich heraus, dass er sie nicht danach fragen, sondern sie davon heilen will. Mit einer einfachen Injektion!
|Mein Eindruck|
Es geht um also um Bonsai und ein Krebsheilmittel, eine zunächst unwahrscheinlich klinge Kombination. Doch Sturgeons Geschichten sind selten konventionell und stets kommt darin seine Liebe zu Außenseitern zum Ausdruck. Der Ingenieur ist ein solcher Außenseiter, denn man hat seine Erfindungen erst gekauft und ihn dann in die Wüste geschickt. Wer würde ihm wohl jetzt glauben, dass er Krebs heilen kann? (Das genaue Verfahren wird im Text beschrieben, aber es hier wiederzugeben, würde zu weit führen.)
Aus diesem Grund misstraut er auch der jungen Frau. Wird sie ihn nicht ebenso verraten wie all die anderen dort draußen? Eine Krebsheilung kommt ja einem kleinen Wunder gleich, und dieses will die Welt stets haarklein erklärt haben, damit es keines mehr ist und die Menschen daran glauben können. So als ob es erst einer Autorität bedarf, die das Wunder absegnet. Wie kleingläubig doch die Menschen sind!
Sie hingegen will ihm nur danken. Sie hat den Glaubenssprung bereits getan, und auch wenn der Knoten erst in zwei Wochen verschwunden sein mag, so werde sie ihm doch bereits danken. Und sie hat ihm selbst ein Geschenk zu machen. Wie man einem Menschen zu vertrauen lernt, nämlich so, wie man einen Bonsaibaum dazu bringt, in die Richtung zu wachsen, die man sich wünscht: durch Toleranz und Fürsorge.
Wie viele von Sturgeons Storys weist auch diese mit dem NEBULA ausgezeichnete Erzählung keinerlei Action auf, bewegt aber deswegen umso im menschlichen Bereich. Wundervoll.
2) _Keith Laumer: In der Schlange_ (In the queue)
Hestler hat fast sein ganzes Leben in der Warteschlange verbracht, doch heute erreicht er sein Ziel: das Fenster! Er hat sein eigenes fahrbares Zelt aufgebaut, um die jahrelange Wartezeit überstehen zu können. Seine Verwandten warten schon darauf, dass er vorankommt und seine Formulare in zwölffacher Ausfertigung abgibt.
Zum Glück ist keiner von ihnen gestorben, so wie es dem armen Kerl zwei vor ihm ergeht. Er muss gehen, um jede Menge Genehmigungen und Bestätigungen einzuholen – und darf wahrscheinlich jahrelang warten, bis er wieder an der Reihe ist. Manche bringen sogar ihr ganzes Leben in der Schlange zu. Platzspringer werden nämlich gnadenlos rausgeworfen, abgeführt, bestraft. Dafür sorgen nicht nur die Reihenpolizisten, sondern die Schlangesteher selbst.
Endlich ist Hestler alle seine Formulare losgeworden, es gibt nicht eine einzige Beanstandung – ein Wunder! Er ist frei, erst 47 Jahre alt und könnte nun tun, was ihm beliebt. Doch was soll er nur mit all der vielen Zeit anfangen …?
|Mein Eindruck|
Der Leser kommt sich vor wie in einer jener absurden kleinen Storys von Philip K. Dick, wenn die Maschinen zu diskutieren anfangen und irgendwelche Rituale ausführen. Laumer hat lediglich das Phänomen des Schlangestehens genommen und es bis zur Absurdität vergrößert und verallgemeinert. Nun besteht das ganze Leben aus Schlangestehen, denn es gibt für alle Bürger nur ein einziges Amt, und dieses stellt nur ein einziges Fenster mit einem Mitarbeiter zur Verfügung.
Doch das Schlangestehen ist wie das Leben selbst voller Dramen. Dass das Schlangestehen an sich falsch sein könnte, auf diese Idee kommt jedoch niemand – dafür hat die Regierung schon gesorgt, indem sie entsprechende Gesetze erließ. Diese Regierung ist offenbar nicht jene, die in Zeiten der Großen Depression Suppenküchen bereitstellte, um die Armen zu speisen, sondern eine, die mehr den Ruch des Sozialismus verströmt.
Das ist natürlich für Amerikaner ein Unwort und wirft die Frage auf, auf welcher politischen Seite der Autor eigentlich steht. Durch die überspitzte Darstellung der Warteschlange gibt er das unamerikanische Phänomen der Kritik preis. Und wenn dieses Phänomen sozialistisch ist, so steht der Autor wohl rechts von der Mitte, vielleicht auf Seiten der Republikaner, die schon immer auf die Yankee-Tugend des Do-it-yourself gesetzt haben.
3) _Gene Wolfe: Dr. Deaths Insel und andere Geschichten_ (Dr. Death’s island and other stories)
Tackman Babcock ist vielleicht acht oder neun Jahre alt, als ihm sein großer Bruder Jason einen Schundroman kauft: „Dr. Deaths Insel“. Darin besitzt Dr. Death eine Insel in der Gegend von Indonesien und führt dort schreckliche Experimente durch. Diese dienen dazu, die Intelligenz von Tieren auf menschliches Niveau zu bringen und den Tieren das Sprechen beizubringen. Tiermenschen, das ist es, was der Gestrandete, Captain Philip Ransom, hier antrifft, und er ist davon nicht sonderlich erbaut. Als Dr. Death ihn gefangen nimmt und ihm an der schönen Gefangenen namens Talar von Lemuria demonstriert, was er mit ihm vorhat, bahnt sich eine Katastrophe an …
Tackies Mama bekommt Besuch von Dr. Black, einem Mediziner, und von Tackies beiden Tanten Julie und May. Tackie lernt Philip Ransom und Dr. Death kennen, doch das ist noch gar nichts gegen die Kostümparty am nächsten Abend. Talar von Lemuria, die an Ransoms Arm den kleinen Tackie entdeckt, ist nur mit einem Haufen Schmuck bekleidet, und Dr. Death lauert in der Ecke, um Tackie ein schreckliches Schicksal anzudrohen.
Als Tackie bei seiner Mutter Trost vor diesen Schrecken sucht, sieht er, wie Dr. Black etwas in Mutters Armbeuge spritzt. Er läuft zur Nachbarin und die ruft die Polizei zu Hilfe. Wollte Dr. Death seiner Mutter etwas antun, fragt sich Tackie bang. Wird er sie verlieren? Werden die Tiermenschen erscheinen? Wo ist Captain Ransom, wenn man ihn braucht?
|Mein Eindruck|
Diese wundervolle Story verpasste den |Nebula Award| nur um eine Stimme, die falsch abgegeben wurde. (Das war eine wahrlich denkwürdige Abstimmung, die in die Annalen einging!) Sie gehört zu einer Triologie aus Erzählungen, die alle mit den Substantiven Doktor, Tod und Insel spielen, so etwa „Der Tod des Dr. Island“ (dt. bei Heyne, Band 06/3674).
Die Story weist Gene Wolfe nicht nur als einfallsreichen und frechen Erzähler aus, sondern auch als gewieften Stilisten. Während Tackies Geschichte in der Du-Perspektive und im Präsens erzählt ist, bleibt die eingeschobene Schundromangeschichte dem gewohnten Präteritum aller Schundromane verhaftet. Auf diese Weise sind die zwei inhaltlichen Ebenen grammatisch sofort erkennbar.
Allerdings vermischen sie sich inhaltlich in der Partyszene, wie oben angedeutet, und zwar auf eine geradezu phantasmagorische Weise, als wandle Tackie zwischen Realitätsebenen hin und her. In seinem Erleben sind Schundroman und eigene Realität miteinander verwoben, weil er sie nicht unterscheidet. Dadurch kommt es zu einer Überlagerung der Realität durch die angelesene Fiktion, die zu einem Irrtum führt. Denn Dr. Black ist keineswegs ein Dr. Death, sondern will Tackies Mutter helfen. Aber der Irrtum deckt Mutters Krankheit auf, und Tackie muss ins Waisenhaus.
Dass der Schundroman eng an den mehrfach verfilmten H. G. Wells‘ Klassiker „Die Insel des Dr. Moreau“ angelehnt ist, dürfte jedem Kenner sofort auffallen. Durch seine Behandlung dieses Vorbilds erreicht Wolfe mehrere Ziele: a) Wells wurde für Schundromane missbraucht – eine Textkritik; b) Schundromane können die Phantasie kleiner Jungs ganz schön anheizen und dabei zu ungeahnten Ergebnisse bei der Interferenz mit der Realität führen – eine Wahrnehmungskritik. Sollten also Schundromane generell kleinen Jungs verboten werden – eine moralisch-ethische Frage, der sich der Autor durch seine Ironie entzieht und dem Leser die Entscheidung überlässt.
4) _Fritz Leiber: Verhängnis in Lankhmar_ (Ill met in Lankhmar, NEBULA)
Dies ist das erste Abenteuer, das das berühmte Abenteurerpaar [Fafhrd und der Graue Mausling 2340 gemeinsam besteht. Nachdem sie zwei Angehörigen der Diebesgilde von Lankhmar Juwelen abgenommen haben, verteilen sie die Beute an ihre jeweiligen Freundinnen Vlana und Ivriana. Doch durch ihre Tat haben sie sich den Zorn der Diebesgilde zugezogen, und deren Großmeister Kovras veranlasst seinen Zauberer Hristomilo, das Werk der Rache auszuführen.
Weil die beiden Damen ihre Freunde der Feigheit vor den Dieben geziehen haben, ziehen die beiden Gefährten los, um das Haus der Diebe auszukundschaften. Sie machen unangenehme Bekanntschaft mit Hristomilo und Kovras, können jedoch über die Dächer entkommen. Als sie Mauslings Heim wieder erreichen, erwartet sie ein schrecklicher Anblick: Ratten haben die beiden Herzensdamen angefressen. Die Rache der beiden Gefährten ist furchtbar und folgt auf dem Fuße …
|Mein Eindruck|
Wie man sieht, fallen die Abenteuer von Fafhrd und dem Grauen Mausling in das Genre der |Sword and Sorcery|, also Schwerter und Zauberei. Fritz Leiber begründete mit diesen rund sechs Büchern, die zahlreiche Erzählungen umfassen, einen separaten Zweig innerhalb der Fantasy, der einerseits im Verbrechermilieu angesiedelt ist, andererseits viel mit Magie zu tun hat. Später baute hierauf die Shared-World-Serie „Die Diebe von Freistatt“ auf, die einigen AutorInnen ein gutes Auskommen verschaffte (dt. bei |Bastei Lübbe|).
Die Abenteuer sind stets abwechslungs- und actionreich, doch die Helden werden selbst ebenfalls überlistet. Das farbenfrohe Milieu ist angelehnt an die Märchen aus Tausendundeiner Nacht, doch die Magie entstammt dem finsteren Mittelalter Europas. Hier lassen sich in der Tat sehr vielfältige Plots ansiedeln. Einen brachialen Conan wird man hier aber nicht antreffen, denn für einen solchen Muskelprotz ist neben Fafhrd und dem Graue Mausling, zwei gewitzten Streunern, kein Platz.
Die Übersetzung ist an manchen Stellen holprig und sogar irreführend (sie verwechselt Vlana mit Ivrian). Ich empfehle daher die Version in dem Sammelband „Schwerter im Nebel“ (|Heyne| 06/4287).
5) _R. A. Lafferty: Fortsetzung auf dem nächsten Stein_ (Continued on next rock)
Dies ist die Story von der wahrscheinlich verrücktesten Archäologenexpedition der Literaturgeschichte. Fünf Archäologen finden sich über dem Green River im Nordwesten der USA zu einer Grabung ein, doch das fünfte Mitglied, Magdalen, ist nur eine Hilfsarbeiterin. Ihre hellseherischen Fähigkeiten verblüffen die anderen immer wieder. Sie weiß, wo ein bestimmtes Stück Wild zu finden ist und dergleichen. Nicht genug damit, nun taucht auch noch ein alter Mann auf, der sich Anteros (= Gott der unerfüllten Liebe) Manypenny nennt und weiß, wo in der geheimnisvollen Felsnadel, an der sie graben, ein bestimmtes Artefakt eingeschlossen ist. Merke: Er kann in den Fels hineinsehen!
Nicht genug damit, beginnen die gefundenen Artefakte eine Geschichte zu erzählen, und da sie auf drei Objekten – aus verschiedenen Zeiten, wohlgemerkt – stehen, steht jeweils am Ende ein mysteriöses Zeichen. Es ist natürlich Magdalen, die es als „Fortsetzung folgt auf dem nächsten Stein“ interpretiert. Die Geschichte besteht aus den Angeboten eines reichen Mannes an eine Angebetete oder an einen Gott, der mit seinem Reichtum prahlt und wirbt.
Die Archäologen sind konsterniert, um es gelinde auszudrücken. Aber es scheint eine enge Verbindung zwischen Geist und Stein zu bestehen. Die Analogie wird weitergetrieben. Als die Felsnadel durch eine Explosion zerstört wird, verschwinden erst Anteros, dann Magdalen, schließlich auch die Erinnerung an die beiden. Als eine Statue aus der Felsnadel geborgen wird, die wie Anteros aussieht, wundern sich alle. Ob hierauf wohl die Geschichte der Indianer fortgesetzt wird?
|Mein Eindruck|
Der Amerikaner Raphael Aloysius Lafferty ist ja bekannt für seine ungewöhnlichen Ideen und Erzählweisen, und diese seine Story stellt selbst den SF-Leser vor Herausforderungen. 1914 in Iowa geboren, arbeitete er 35 Jahre lang als Elektriker. Erst mit 45 Jahren begann er zu schreiben und hatte auf Anhieb Erfolg. Mit seinen geistreichen Schnurrpfeifereien gewann er die Gunst der Leser und 1973 sogar den bedeutenden |Hugo Gernsback Award|.
In dieser Erzählung bekommen wir so ganz nebenbei die Archäologie der indianischen Völker Mittel- und Nordamerikas mitgeteilt, aber nicht etwa trocken und akademisch, sondern mit Leben und Bedeutung erfüllt. Obendrein handelt es sich um eine witzige Geistergeschichte, wie das Auftauchen von Anteros und Magdalen belegt. Magdalen lässt einen der Forscher, Robert, abblitzen, als er ihr Avancen macht. Dass es erotische Spannungen gibt, wird nur unterschwellig, durch die Blume, mitgeteilt, aber man kann diese Hinweise finden.
Die Story mag vielleicht keinen offensichtlichen Sinn ergeben, aber einen symbolischen. Setzt man Schichten des Geistes (inkl. Unterbewusstsein, Gedächtnis usw.) und geologische Schichtungen gleich, dann ergeben sich daraus zahlreiche Folgerungen. Diese spielt Lafferty wortwörtlich durch. Auf einer übertragenen Ebene wird hier also Bewusstseinesarchäologie betrieben.
6) _Harry Harrison: Am Wasserfall_ (By the falls)
Der Reporter Carter besucht den Mann Bodum, der seit vierzig Jahren am Wasserfall lebt. Der Wasserfall ist so groß und so breit, dass niemand ihn je überwunden hat. Und er donnert derart laut, dass Carter schon nach wenigen Minuten fast taub ist. Bodum jedenfalls hat sein Gehör schon fast gänzlich eingebüßt, und so muss Carter brüllen, um sich verständlich zu machen.
Das stabile Haus steht direkt an einer Klippe neben dem Fall, und durch das vibrierenden Panzerglas der Fensterscheibe kann Carter auf den Wasserfall schauen. Etwas Schwarzes kommt heruntergefallen, dann etwas, das wie ein ganzes Schiff mit Passagieren an der Reling aussieht, dann färbt sich der Wasserfall rot – blutrot. Bodum bekommt davon nichts mit und will auch nichts davon wissen, dass dort oben, jenseits des Falls, eine andere Welt sein könnte.
Alles, was er vom Fall weiß, ist, dass ein schwarzes Hund angespült wurde und ein Fetzen Papier, auf dem in Krakelschrift HILFE steht …
|Mein Eindruck|
Es ist eine Geschichte über das Ende der Welt. Nur mit einem etwas verschobenen Blickwinkel. Mal angenommen, der Wasserfall bilde wirklich, wie man im Altertum glaubte, das Ende der Welt, also den Rand der Weltenscheibe, dann könnte er wirklich so groß wie ein Ozean sein. (|Scheibenwelt|-Leser wissen, was gemeint ist.) Dann färbt sich dieser Ozean auf einmal blutrot, was auf eine entsprechende weltumspannende Katastrophe hindeutet, möglicherweise auf einen Krieg.
Die Erzählung zeigt zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Der Reporter ist, wie es seine Art und Aufgabe ist, neugierig auf dieses Phänomen des Untergangs einer noch nie gesehenen Welt, doch Bodum ignoriert diese neue Welt, so gut es geht. Es geht ihn nichts an. Er ist ja eh schon so gut wie taub, und nach 40 Jahren hat er gelernt, nicht nur den Lärm des Falls zu ignorieren.
Was mag der Fall wohl in unserer Wirklichkeit symbolisieren? Ist er das Informationsbombardement, dem wir ständig ausgesetzt sind? Dass er eine Barriere für die Wahrnehmung ist, scheint der, ähem, Fall zu sein. Und diese Barriere schirmt uns vor dem ab, was als Katastrophe in der nächsten Welt gerade passiert. Der Wasserfall ist eine physische Barriere, doch in unserer Realität trennt uns nur eine psychische Barriere davon, uns um die Katastrophen nebenan zu kümmern.
Das war 1970. Heute ist die Welt ein Dorf geworden, und ich denke, die Weihnachtskatastrophe des Tsunami 2005 hat gezeigt, dass unsere Hilfe auch unsere Mitmenschen erreicht, selbst wenn sie 10.000 Kilometer entfernt leben.
7) _Joanna Russ: Die Zweite Inquisition_ (The second inquisition)
Ein sechzehnjähriges Mädchen erinnert sich an den Sommer 1925, als ihre Familie eine sonderbare Frau als Gast bei sich aufnahm, um etwas Geld hinzuzuverdienen. Der Vater ist nur Buchprüfer und herzkrank, kann also nichts verdienen. Die Frau ist deshalb so sonderbar, weil sie sich ganz in Schwarz kleidet, kurzes Haar trägt und mehr als zwei Meter groß ist. Der Buchprüfer Ben lehnt dies kategorisch ab, aber er schweigt, weil er das Geld braucht. Und seine Frau sagt immer nur: „Die arme Frau, die arme Frau.“
Nun, die arme Frau hat einen Plan und mischt sich in das Leben des sechzehnjährigen Mädchens ein. Sie gibt ihr einen unanständigen Roman mit dem Titel „Der grüne Hut“ zu lesen (was zu einer Gardinenpredigt Bens führt), zeigt ihr seltsame Zeichnungen und erzählt ihr von den Kreaturen aus Wells‘ Roman [„Die Zeitmaschine“, 3578 den das Mädchen ebenfalls begeistert gelesen hat. Natürlich gibt es weder Morlocks noch Eloi und erst recht keine Transtemporale Militärbehörde. Oder?
Doch dann lernt das Mädchen auf einer Party im Country Club einen Mann kennen, der ebenso groß ist wie die sonderbare Frau und der keine gute Meinung von den Erdenmenschen hat. Was fällt ihm ein? Die Sonderbare entführt kurzerhand ein Auto und fährt das Mädchen zu ihrem Heim, um dort etwas vorzubereiten, von dem das Mädchen überhaupt nichts begreift. Was soll sie bloß mit einem heißen Schürhaken und einer Tasse giftigen Salmiakgeistes anfangen? Doch als der sonderbar große Mann eintritt und die sonderbare Frau bedroht, geraten die Dinge außer Kontrolle …
|Mein Eindruck|
Was würde passieren, wenn deine Enkelin, die älter aussieht als du selbst, 150 Jahre in der Zeit zurückreisen würde, um dich vor einer kommenden Gefahr zu warnen oder dich um deine Hilfe zu bitten? Nun, sie würde erstmal ziemlich deplatziert und sonderbar aussehen und du würdest ihr zweitens kein einziges Wort glauben, weil sie als Mensch ebenso unglaubwürdig ist wie ihre Geschichte, die sie dir erzählt.
Doch was würde passieren, wenn noch weitere Besucher aus der Zukunft kämen – durch eine Art Spiegel oder so – und würden deine Enkelin bedrohen, sie in ihre eigene Zeit zurückzerren und dich obendrein mit dem Tod bedrohen, weil du alles gesehen hast? Nun sieht die Angelegenheit zwar tausendmal schrecklicher aus, aber du könntest wenigstens den Gedanken wagen, dass es Morlocks gibt. Und wo Morlocks sind, könnte es vielleicht sogar Eloi geben. Und eine Zeitmaschine. Und womöglich sogar – Gott verhüte! – eine Transtemporale Militärbehörde, die auf sie alle Jagd macht.
Und dann könntest du vielleicht anfangen, einen schwarzen Dress zu nähen, der ein wenig so aussieht wie die Uniform einer Morlockkriegerin. Aber das Ding sieht dann auch irgendwie lächerlich aus, nicht wahr? Aber für wie lange …
Viele solcher Zeitreisegeschichten, z. B. „Zurück aus der Zukunft“, handeln vom Besuch bei den Vorfahren, aber nur wenige machen sich Gedanken darüber, was das für den Besuchten bedeuten könnte. Hier ist es ein namenloses Mädchen, das von seiner namenlosen Enkelin besucht wird. In der Zukunft tobt ein transtemporaler Krieg, wie ihn sich H. G. Wells nicht schlimmer hätte ausdenken können. Soll die Enkelin ihre Vorfahrin wirklich dadurch in Gefahr bringen? Sie versucht, sie zu schützen und schafft es mit knapper Not unter Opfern. Dass dies nicht ohne Folgen auf die Vorfahrin bleiben kann, versteht sich, aber wie werden diese aussehen? Sie will ja nicht als Alien durch die Gegend laufen und bald mal heiraten.
Was dies alles mit der Inquisition zu tun hat, wird wohl das Geheimnis der Autorin bleiben. Sie ist offenbar mehr der klassischen Moderne wie etwa Virginia Woolf verpflichtet als dem Stil der Pulp-Fiction-Autoren alter SF.
_Unterm Strich_
Der Auswahlband ist meines Erachtens ein schönes Beispiel dafür, wie Science-Fiction sich mit den sich wandelnden Bedingungen menschlicher Existenz auseinandersetzt („Fortsetzung“, „Bonsai-Mensch“, „In der Schlange“), andererseits aber mit verhängnisvollen Begegnungen für Jugendliche das innere Erleben der Hauptfiguren so interessant zu gestalten vermag, dass man selbst neugierig darauf wird, wie die – meist ziemlich verrückte – Geschichte ausgeht.
Ziemlich aus dem Rahmen fällt natürlich die Fantasynovelle „Verhängnis in Lankhmar“, die später den Titel „Das Haus der Diebe“ erhielt. Was hier nach purer Lust am Abenteuer und an Magie aussieht, entbehrt durch den Verlust der beiden Frauen nicht einer gewissen tragischen Tiefe. Überhaupt mag den Leser verwundern, dass eine Fantasystory in den Band aufgenommen wurde, aber es nun mal so, dass die Amerikaner keinen großen Unterschied zwischen den Genres SF und Fantasy machten, und viele ihrer Autoren in beiden Genres tätig waren, selbst Clifford Simak.
Die Übersetzung gerade dieser Story ist nicht gerade optimal gelungen, und auch bei den anderen Beiträgen neige ich zur Vorsicht und Skepsis. Manchmal findet sich eine bessere Alternative, so etwa bei der Leiber-Novelle.
Die Reihe der „Nebula Award Stories“ wird meines Wissens bis heute fortgeführt. Viele der Preisträger tauchen in den Auswahlbänden „Year’s Best SF“ wieder auf. Ganz nebenbei kann sich der deutsche Leser so auf dem Laufenden halten, was in der SF den Ton angibt, denn deutschen Story-Anthologien mit angloamerikanischen Beiträgen muss man seit 2001, als |Heyne| seine Anthos einstellte, mit der Lupe suchen.
Mit den alten |Moewig|-Auswahlbänden bietet sich Einblick in eine der interessantesten Epochen der US-SF, nämlich nach der New Wave und der Abschaffung von Zensurbestimmungen im Jahr 1967 oder 1968. Dadurch erhielten die Autoren sowohl stilistische als auch inhaltliche Freiheiten, die sie zu Neuerungen anspornten. Ich würde aber nicht sagen, dass diese unbedingt schon in diesem Band zu finden sind, es sei denn man, zählt die Story von Lafferty zu den innovativen.
|Originaltitel: Nebula Award Stories 6, 1971
Aus dem US-Englischen von Rosemarie Hundertmarck|
Während die gesamte Weltbevölkerung die Besatzung der TITAN bei ihrer Rückkehr feiert und sich dankbar für die Rettung vor den Emotionsrebellen zeigt, ist Shalyn Shan weiterhin damit beschäftigt, das Rätsel um ihre Geliebte Monja Anjetta zu lösen. Gemeinsam mit Wernher von Witzleben verfolgt sie eine heiße Spur, die sie bis nach Managua führt, wo sie Zeugin einiger grausamer Reality-Shows wird. Allerdings erweist sich die Fährte der selbsternannten Fledermaus als Trugschluss, da der verbliebene Drilling in einem interaktiven Killerspiel das Zeitliche segnen musste. Von Witzleben gibt jedoch nicht auf und verspricht sich von einem befreundeten Voodoo-Vampir Aufschluss über die jüngsten Ereignisse. Dieser wiederum verfügt über die Fähigkeit, ins Reich der Toten einzutauchen und dort Informationen über Monjas Herkunft zu erhalten. Allerdings ist der Preis unendlich groß …
Unterdessen dauert der kalte Krieg zwischen Michael Moses und der Weltregierung an; die World Police entsendet einen Agenten, um den Leiter des weltweit größten Wirtschaftsimperiums festzunehmen und für seine hinterhältigen Machenschaften zu bestrafen. Doch Moses kennt Mittel und Wege, sich solcher Schergen zu entledigen. Ebenso wie Wernher von Witzleben, dessen Verhalten im Beisein Shalyns immer kurioser wird. Doch scheinbar ist die Fledermaus auf endlich auf der richtigen Spur.
_Persönlicher Eindruck_
Nach einem vierteiligen Interludium wendet sich in den TITAN-Sternenabenteuern wieder das Blatt zugunsten der Suuranerin Shalyn Shan und ihrer Suche nach den Drahtziehern der jüngsten Anschläge sowie der Identität ihrer neuen Lebensgefährtin. Stammautor S. H. A. Parzzival nimmt den Faden aus „Krakentanz“ gekonnt auf und präsentiert in „Blutkriege“ seine bislang beste Arbeit innerhalb dieser Serie, festzumachen an einer temporeichen Handlung und einigen irrwitzigen Wendungen. Der Schritt zurück in die klassische Science-Fiction scheint also seine ersten Früchte zu tragen …
Die neue Geschichte beginnt schon äußerst brisant: Wernher von Witzleben, das Kuriosum schlechthin, bedroht den Sicherheitschef der CRC, Thomas Chaivelli, mit einer Waffe und zählt bereits dessen letzte Sekunden. Ohne lange Einleitung wird der Leser sofort vor den Kopf gestoßen, da eine derartige Konfrontation aus der bisherigen Vorgeschichte sicherlich nicht abzuleiten war. Was es indes damit auf sich hat, erfährt man anschließend in einem ausführlichen Rückblick auf den vorangegangenen Tag, dem vielleicht merkwürdigsten im Leben der Protagonistin Shalyn Shan. Zurück auf der Erde, erfährt sie von menschlichen Gräueln, mörderischem Live-Entertainment und der Existenz einer anderen Ebene des Daseins, in der einige Auserwählte mit den Toten kommunizieren können. Als wäre dies nicht genug, muss sich die verwirrte Dame mit einem völlig ausgeflippten Kollegen herumschlagen, der einerseits als rücksichtsloser Killer agiert, andererseits aber auch des Öfteren in die Rolle des ungeschickten Liebhabers schlüpft. Dementsprechend mangelt es der Story an keiner Stelle an Humor; die grundlegende Erzählung ist allgemein schon ziemlich verrückt und wagemutig, doch einzelne Passagen sprengen diesbezüglich noch einmal den Rahmen, so zum Beispiel, als Wernher von Witzleben plötzlich unbekleidet in Shalyns Schlafkabine steht und mit seinen ‚Reizen‘ prahlt. Ohne Worte, dank der außergewöhnlichen Beschreibung der individuellen Szenen aber jederzeit für ein anhaltendes Schmunzeln gut.
Davon abgesehen hat es sich Parrzival mehr denn je zur Aufgabe gemacht, aktuelle politische Ereignisse in die Handlung aufzunehmen; die Kleinkriege zwischen Wirtschaftsunternehmen und Regierung sind zwar in diesem Sinne nicht außergewöhnlich, jedoch in der stringenten Erzählform durchaus authentisch dargebracht. Gleiches lässt sich für so manch kruden Fakt sagen, der hier mit unterschwelligen Sticheleien abgearbeitet wird, so zum Beispiel der extreme Querschläger in Richtung Reality-Shows, der in der überzogenen Form erst seine wahre Wirkung zeigt. Nicht schlecht gemacht!
Allgemein darf man für das 30. Sternenabenteuer der TITAN-Crew festhalten, dass der altgediente Plot nach einer ungefähr einjährigen Pause noch einmal so richtig aufgefrischt wurde und man dank des Verzichts auf die peinlichen Social-Fiction-Inhalte auch im Strang um Shalyn, Monja und Co. endlich wieder dort angelangt ist, von wo man mit dem Beginn der neuen Serie langsam aber sicher Abschied feierte. „Blutkriege“ ist ein durchweg spannender Science-Fiction-Roman und weckt großer Hoffnungen, dass die mit dem 32. Band abgeschlossene Serie doch noch alte Qualitätsstandards erreicht. Im Frühjahr 2008 wissen wir mehr …
Was Gordon Dahlquist mit seinem Debütroman „Die Glasbücher der Traumfresser“ abgeliefert hat, ist schon rein optisch ein Hingucker: Ein großformatiger Schuber mit zehn handlichen Einzelbänden. Ein Hauch von Groschenroman weht da mit, genau wie eine gehörige Portion Nostalgie, wenn man im Klappentext liest: |“Zehn komfortabel zu lesende Bände für die schlanke Damenhand und für den Herrn auf Reisen“.|
Gordon Dahlquist hat ein durch und durch viktorianisches Buch geschrieben – das fängt bei der Skizzierung von Zeit und Figuren an und hört erst beim zeitgemäßen optischen Erscheinungsbild des Werkes auf. Insgesamt klingt die Geschichte von Dahlquists Debütroman, als wäre sie selbst einem Roman entsprungen. Angefangen hat alles mit einem Traum, es folgten ein Zwei-Millionen-Dollar-Deal mit dem Verlagshaus |Bantam| und der Verkauf der Filmrechte, und damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Längst hat Dahlquist den zweiten Teil geschrieben, der im nächsten Jahr im englischsprachigen Raum erscheinen wird.
„Die Glasbücher der Traumfresser“ entwickelte sich schnell zum Bestseller, dabei klingt der Plot nicht wirklich so, als würde er Stoff für eine sich millionenfach verkaufende Geschichte liefern. Und wie das Ganze überhaupt verfilmt werden soll … Na ja, warten wir’s ab. Man tut sich schwer, den Inhalt in wenigen Worten zusammenzufassen, denn dafür ist die Handlung teilweise einfach zu abgefahren.
Alles beginnt ganz harmlos, als Celeste Temple, frisch von ihrem Verlobten Roger Bascombe abserviert, selbigem heimlich zu einem Maskenball aufs Land in das noble Anwesen Harshmort House folgt. Eigentlich will sie nur den Grund für Rogers plötzlichen Sinneswandel wissen, doch unversehens findet sich Miss Temple mitten in einer undurchsichtigen Konspiration wieder. In Harshmort House wird sie Zeugin höchst eigenartiger Vorgänge und Orgien, wird obendrein beinahe das Opfer einer Vergewaltigung und entgeht nur knapp einem Mordversuch.
Wenig später trifft Celeste Temple auf zwei unverhoffte Mitstreiter, die ebenso begierig darauf sind, zu erfahren, was in Harshmort House und rund um den merkwürdigen Comte d’Orkancz und die eigenwillige Schönheit Contessa Lacquer-Sforza vor sich geht. Einer der beiden ist ein Auftragskiller, der sich Kardinal Chang nennt. Ein Mann mit vielen Narben und einer Vorliebe für seinen extravaganten und nicht minder auffälligen roten Mantel. Auch er wird durch eine eigentlich unbedeutende Geschichte in die Verwicklungen von Harshmort House gezogen und muss schon bald, wie seine beiden Verbündeten, um sein Leben bangen.
Der Dritte im Bunde ist der Leibarzt des mecklenburgischen Prinzen Karl-Horst. Dr. Adelbard Svenson will eigentlich nur seinen Schützling Karl-Horst vor Schaden bewahren, bevor der sich wieder kopfüber in irgendeine ausschweifende Sache stürzt, die später seinem Ruf und seiner Gesundheit schadet. Doch schon kurze Zeit später wird Prinz Karl-Horst entführt und Svenson schließt sich mit Miss Temple und Chang zusammen, um mit ihnen gemeinsam der Sache auf den Grund zu gehen, denn es scheint ein Zusammenhang zu bestehen zwischen dem Verschwinden von Karl-Horst und den Vorkommnissen in Harshmort House.
Was folgt, ist ein rasantes Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Verschwörern und ihren drei Kontrahenten Miss Temple, Chang und Dr. Svenson. Im Laufe der Zeit finden die drei heraus, dass seltsame Glasbücher, in denen der Comte und seine Gefolgschaft offenbar Träume und Gedanken anderer Menschen konservieren, eine wichtige Rolle spielen. Doch was hat es mit den Glasbüchern auf sich? Und welchem Zweck dienen sie?
Die Geschichte an sich ist eine recht komplexe. Fast 900 Seiten umfasst der Roman, und die Zeitspanne, in der sich die Handlung abspielt, zieht sich über kaum mehr als zwei oder drei Tage. Von Anfang an setzt Dahlquist auf einen straffen Spannungsbogen, der teilweise auch davon lebt, dass der Leser nach Lektüre des Klappentextes keinen Schimmer hat, was ihn eigentlich erwartet. Er wird unvermittelt in den Plot gezogen, folgt neugierig Miss Temple auf den Maskenball und sieht dann erstaunt und ein wenig ratlos, wie die merkwürdigsten Dinge vor sich gehen und Miss Temple ganz unerwartet von einer brenzligen Lage in die nächste stolpert.
Noch nie habe ich einen Roman gelesen, in dem schon im ersten Kapitel dermaßen viel passiert, und dementsprechend vollgestopft sind auch die folgenden neun Kapitel. Stets hält Dahlquist den Spannungsbogen aufs Äußerste gestrafft und gönnt dem Leser kaum eine Verschnaufpause. Das führt mit zunehmender Seitenzahl zu gewissen Ermüdungserscheinungen. Natürlich gibt es Beispiele, in denen ein Autor es schafft, den Spannungsbogen stets auf einem Maximum zu halten, aber solche Romane sind doch eher Ausnahmeerscheinungen, wie z. B. [„Sakrileg“ 184 von Dan Brown. Dahlquists Geschichte aber spielt sich eben nicht auf 400 bis 500 Seiten ab, sondern auf knapp 900, und da scheint der stetig straffe Spannungsbogen dann doch mit der Zeit etwas auszuleiern.
Die Geschichte an sich offenbart einen wilden, eigenwilligen Genremix, der sich jeder Kategorisierung entzieht. Ein großer Schuss viktorianischer Roman, eine Prise Jules Verne, ein Spritzer Gothic Novel, vermengt zu einem blutrünstig-erotisiertem Thriller-Spektakel mit ausgeprägtem Verschwörungs- und Weltherrschaftsaroma – fertig ist die obskure Mischung, die Dahlquist dem Leser serviert.
Romantisch verklärte Bilder des viktorianischen England mischt der Autor mit unheimlichen Ideen voller Alchemie oder gar einer Prise Science-Fiction, und das ist ein Mix, der einen unwiderstehlichen Reiz auf den Leser auszuüben vermag. Inszeniert hat Dahlquist das Ganze als Geschichte einer großangelegten Verschwörung, in der es (natürlich) um nichts anderes als die Weltherrschaft geht.
Die Groschenroman-Optik des Buches täuscht dabei ein wenig über die eigentliche Tiefe des Plots hinweg. Man muss schon konzentriert lesen, um den Faden nicht zu verlieren. Mit jedem Kapitel begleitet der Leser eine andere Figur, mal Miss Temple, mal den Doktor, mal Chang, teilweise kreuzen sich die Wege aller drei Figuren im Laufe eines Kapitels aber auch. Daraus ergeben sich natürlich Sprünge im zeitlichen Ablauf. Man verfolgt eine Szene später oft noch einmal aus dem Blickwinkel einer anderen Figur, mit anderen Einschätzungen und Sichtweisen. Dabei das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren, erfordert schon einige Konzentration, die über die knapp 900 Seiten aufrechtzuerhalten schon eine gewisse Anstrengung darstellt. Eine Straffung hätte dem Buch sicherlich gutgetan, obgleich es vor Erscheinung schon gehörig gestrafft wurde (von 1300 auf die jetzigen knapp 900 Seiten).
Und genau das ist auch die größte Schwierigkeit. Es gibt so viele Namen, so viele undurchsichtige Figuren, deren Rollen von den unterschiedlichen Protagonisten jeweils unterschiedlich eingeschätzt werden. Man kann im Laufe der Zeit wirklich leicht den Überblick verlieren, eben auch deswegen, weil der sich abnutzende Spannungsbogen für gewisse Ermüdungserscheinungen sorgt. Die ganze Geschichte bleibt auch am Ende noch einigermaßen schwer nachvollziehbar, und das schmälert dann doch ein wenig die Freude.
Passend zum viktorianischen Zeitalter bedient Dahlquist sich eines Erzählstils, der die Zeit widerspiegelt: ausgeschmückt, ein wenig altertümlich und mit feinen ironischen Nuancen versehen. Das macht das Buch zu einer angenehmen Lektüre, wenngleich man auch immer wieder über etwas holprige Stellen stolpert. Ob das nun dem Autor selbst oder vielmehr der Übersetzung anzulasten ist, lässt sich ohne Blick in das Original nicht klären.
„Die Glasbücher der Traumfresser“ ist in jedem Fall ein Buch, das seinesgleichen sucht. Man muss als Leser offen und auf alles gefasst sein, ähnlich wie beispielsweise bei den Büchern von Robert Anton Wilson, dann wird man im Großen und Ganzen schon seine Freude an der Lektüre haben. Man muss aber auch stets gleichermaßen konzentriert bei der Sache sein, um im Meer der Figuren und zwielichtigen Gestalten nicht den Faden zu verlieren.
Bleibt unterm Strich festzuhalten, dass Gordon Dahlquist mit „Die Glasbücher der Traumfresser“ ein beachtenswertes Debüt geglückt ist, ein ungewöhnlicher Roman und ein wilder Genremix mit vielen verrückten Einfällen. Zwar bemüht Dahlquist sich, die Spannung von Anfang bis Ende kontinuierlich hoch zu halten, dennoch nutzt sich der Spannungsbogen mit der Zeit ab. Etwas straffer und nachvollziehbarer erzählt, könnte „Die Glasbücher der Traumfresser“ ein echter „Pageturner“ sein. So bleiben aber einzelnen Schwachpunkte in einem faszinierend vielschichtigen Plot, der eine aufgeschlossene Leserschaft sucht.
|Originaltitel: The Glass Books of the Dream Eaters
Originalverlag: Bantam, New York 2006
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen
Deutsche Erstausgabe 2007
Paperback, 896 Seiten, 15,0 x 22,7 cm
Luxusausgabe in 10 Bänden in eleganter Geschenkbox|
http://www.gordon-dahlquist.de/
http://www.blanvalet-verlag.de
Unter dem Titel „Flammenflügel“ hat Wolfgang Hohlbein Drachengeschichten zusammengetragen, geschrieben von den „renommiertesten und erfolgreichsten Jugendbuchautoren Deutschlands“ – so der Verlagstext. Von außen sieht das Buch ja schon mal nicht schlecht aus, mir zumindest gefällt die Darstellung eines Drachens als Schmuckstück vor dem grüngeschuppten Hintergrund.
Also schauen wir mal zwischen die Buchdeckel: Neun Geschichten finden sich da. Neun? Waren es laut Verlagstext nicht zehn Autoren? Wer fehlt denn da? Jenny May-Nuyen. Ausgerechnet die Autorin, deretwegen ich das Buch hauptsächlich lesen wollte! Sehr ärgerlich! Aus welchem Grund auch immer keine Geschichte dieses vielversprechenden Nachwuchstalents dabei ist – trotzdem mit ihrem Namen Werbung zu machen, finde ich irgendwie ein wenig irreführend! Na gut, lesen wir halt das, was da ist …
Die erste Geschichte trägt den Titel „Reyvigur“ und stammt von _Ulrike Schweikert_: Sie erzählt von zwei verschiedenen Stämmen in einem Land aus Eis und Frost. Sowohl die Einheimischen als auch die Flüchtlinge aus dem Süden sind auf ihre Drachen angewiesen, die ihre Behausungen mit ihrer Flamme wärmen. Als beider Drachen sich paaren und das Weibchen ein Ei legt, kommt es zum Konflikt, zumal der männliche Drache im Sterben liegt. Die Grundidee der Geschichte sowie der knappe Entwurf der Welt haben mir gar nicht mal schlecht gefallen. Sogar die Kampfbeschreibung zwischen den beiden menschlichen Hauptprotagonisten war recht gelungen. Der Rest der Erzählung ist allerdings ein wenig flach geraten und konnte mich nicht wirklich gefangen nehmen. Geradezu als störend empfand ich die Hinweise auf die körperliche Kondition des einheimischen Jägers; sie sind im Grunde überflüssig und wirken, als wäre es der Autorin nicht ganz gelungen, ihre heimliche Schwärmerei für den Jungen zu verbergen. Die Konfliktlösung am Ende war zwar naheliegend, ging mir aber doch ein wenig zu glatt und problemlos vonstatten. Ich fand diese Geschichte eher durchschnittlich.
Als nächstes erzählt _Kai Meyer_ „Komm, schweb mit mir, mein Amethyst“: Diese Geschichte ist mit nur fünfzehn Seiten die kürzeste der Sammlung, zum Glück, denn ich konnte nicht wirklich viel mit ihr anfangen. Es geht um das erste Mal, zugegebenermaßen für Jugendliche ein hochinteressantes Thema. Für Zwölfjährige ist der Text stellenweise allerdings schon ziemlich erotisch ausgefallen. Die Erzählung ist zwar einerseits durchaus stimmungsvoll und glaubwürdig geraten, andererseits spielen spielen die Drachen, die eigentlich in dieser Anthologie die Hauptpersonen sein sollten, lediglich eine kleine Rolle ganz am Rande, sozusagen als Dekoration. Irgendwie war mir das zu wenig.
„Tombola“ von _Nina Blazon_ ist die dritte Erzählung: Sie spielt in Ljubljana, wo alle zehn bis zwölf Jahre das Drachenfest veranstaltet wird. Was die Touristen für pittoreskes Brauchtum halten, ist in Wirklichkeit ein Kampf um Leben und Tod. Denn in dieser Nacht erwachen die vier Statuen der Drachenbrücke zum Leben und fordern von der Stadt ihren Tribut. Schon allein die Schilderung des Auswahlverfahrens auf dem Marktplatz zog mich in ihren Bann. Nicht nur der Zorn und die Angst des Protagonisten wirken überaus lebendig, auch die von ihm reflektierten Hintergründe des Festes sind interessant dargestellt. Richtig spannend wird es, als der Kampf beginnt. Das überraschende Ende allerdings setzt der Geschichte die Krone auf, es macht das gesamte Geschehen zu einem grausamen Spiel, umso mehr, als es vollkommen sinnlos scheint. Um es gleich vorweg zu sagen: Nina Blazons Beitrag zu dieser Anthologie war der mit Abstand fesselndste und intelligenteste unter den neun.
_Peter Schwindt_ hat „Drachenwinter“ geschrieben: Auch diese Geschichte ist mit nur siebzehn Seiten ziemlich kurz geraten, enthält aber – zusammen mit „Tombola“ – die ungewöhnlichste Idee. Ein Junge liegt im Krankenhaus und hofft, dass er seine schwere Krankheit überwunden hat. Doch die Krankheit ist unheilbar … Peter Schwindts Drache ist eine allegorische Figur, sie steht zum einen für Zerstörung, für die Krankheit und letzten Endes für den Tod. Im Laufe der Geschichte wandelt sich der Drache jedoch vom Feind zum Freund, obwohl er noch immer für den Tod steht. Eigentlich könnte man meinen, dass diese Erzählung eigentlich viel zu kurz geraten ist, um den Übergang von einem verzweifelten Überlebenskampf hin zur Akzeptanz des Unvermeidlichen zu beschreiben. Das Thema scheint viel zu umfangreich und vielschichtig dafür. Andererseits bin ich mir da gar nicht so sicher. Und dass ich mich diesbezüglich nicht wirklich entscheiden kann, sondern immer noch darüber nachdenke, spricht eigentlich nur für den Autor.
„DragonLand“ stammt von _Peter_ und _Florian Freund_: Ein Teenager fährt in den Ferien zum wiederholten Mal mit seinen Eltern in die Berge. Einziger Lichtblick scheint eine Einladung ins nahe DragonLand, einen Vergnügungspark kurz vor der Neueröffnung. Wenn da nur nicht kurz vorher das Treffen mit diesem merkwürdigen Mädchen gewesen wäre und das deutliche Gefühl, dass irgendetwas an diesem Park nicht stimmt … Zur Abwechslung spielt diese Geschichte mal in der Zukunft, ist aber trotzdem Fantasy. Die Grundidee ist zwar nicht ganz neu, sie erinnert deutlich an „Westworld“, die Figur des skrupellosen Geschäftemachers klingt dafür äußerst realistisch, und der Handlungsverlauf an sich ist auch recht lebendig gestaltet. Der Schluss allerdings ist etwas abrupt geraten und auch die Rahmenhandlung – kursiv gedruckt – glitt gegen Ende etwas ins Unglaubwürdige ab. Abgesehen davon hatte ich mit ein paar logischen Problemen zu kämpfen, zum Beispiel dem der unbekannten Insel, die der Oberbösewicht überraschend entdeckt hat, und das im Zeitalter von Google Earth. Auch sprachlich wirkt die Geschichte stellenweise etwas unausgegoren. Ankleiden statt anziehen klingt vielleicht in einem Historienroman gut, hier klingt es eher geschwollen. Damit fällt dieser Beitrag wieder eher ins Mittelfeld.
Der nächste Beitrag heißt „Silberschatten“ und stammt aus der Feder von _Katja Brandis_: Hier haben wir es mit Fantasy in ihrer klassischen Form zu tun. Der junge Held ist zu Hause ein Außenseiter, den niemand wirklich ernst nimmt. Als er den Thronfolger des Reiches daran hindert, einen schlafenden Drachen zu erschlagen, muss er fliehen. Kein leichtes Unterfangen, so ganz ohne Ausrüstung, in den Wäldern lauern gefährliche Geschöpfe und außerdem Räuber, und er wird überall gesucht. Trotzdem schafft er es beinahe, die Grenze zum Nachbarland zu erreichen. Aber nur beinahe … Diese Geschichte hat nicht gerade das Genre neu erfunden, aber immerhin ist sie nett erzählt. Der Kronprinz ist ein wenig trocken geraten, die Mitglieder der Räuberbande dagegen sind ganz gut getroffen, und die sich anbahnende Freundschaft zwischen dem Jungen und dem Drachen ist elegant eingeflochten. Nur dass der Drache Stahlseile durchgebissen hat, fand ich ein wenig übertrieben.
„Das versteinerte Herz“ hat _Ralf Isau_ geschrieben: Die Geschichte spielt in China zum ungewöhnlichen Zeitpunkt der Kulturrevolution. Eine junge Frau, deren Mutter eine berühmte Geschichtenerzählerin ist, träumt davon, das Rätsel der Drachen zu lösen, was in dieser Zeit allerdings ziemlich suspekt und damit gefährlich ist. Trotzdem lässt sie sich nicht davon abhalten und geht als Ausgrabungshelferin ins Gebirge, wo versteinerte Drachenskelette ausgegraben werden. Dort macht sie durch reinen Zufall einen erstaunlichen Fund … Als Erstes fiel mir die stellenweise recht saloppe Ausdrucksweise auf. Nicht, dass sie gestört hätte, sie bildete nur einen deutlichen Kontrast zu den bisherigen Schreibstilen und erzeugte einen Effekt, als hätte mir jemand auf die Schulter getippt, um meine Aufmerksamkeit zu erringen. Im weiteren Verlauf fällt der lockere Ton dann weg. Übrig bleibt eine sehr warmherzige Geschichte über Freundschaft und wahre Berufung, auch wenn das Verhalten der beiden Parteifunktionäre Chen und Sun stellenweise doch ein klein wenig weit hergeholt wirkte.
_Monika Felten_ hat „Die Legende der weißen Drachen“ beigesteuert: Ein junges Mädchen kämpft um das Leben seines Bruders, der im Kampf mit einem Drachen vergiftet wurde. Doch keiner der vielen Ärzte und Heiler weiß Rat. Da taucht eine schwer bewaffnete Frau im Palast auf und erklärt, nur ein weißer Drache könne ihren Bruder retten. Mit neu erwachter Hoffnung folgt die junge Prinzessin der Frau in die Berge … Auch diese Erzählung wirkt zunächst wie klassische Fantasy in Reinform. Gut gefallen haben mir der Schöpfungsmythos, den die Fremde der Prinzessin erzählt, sowie die Kehrtwendung am Schluss, die der Sache etwas Pfiff verleiht. Ansonsten tut sich innerhalb der Handlung nicht allzu viel, das Intermezzo mit dem Bären ist zu kurz geraten, um echte Spannung zu erzeugen. Übrig bleibt am Ende die Erkenntnis, dass die besten Lügen zu 98 Prozent aus Wahrheit bestehen.
Den Schluss macht _Wolfgang Hohlbein_ mit „Drachenträume“: Der Sohn des Khan hat nicht den besten Ruf, die meisten halten ihn für einen Feigling. Der Schwurbruder seines Vaters allerdings scheint irgendetwas an ihm zu finden, er bietet ihm seine Tochter zur Frau. Der Junge ist sich allerdings zunächst einmal gar nicht sicher, ob er dieses Mädchen mit dem scharfen Verstand und der spitzen Zunge wirklich will! Gut, dass er einen Drachen zum Freund hat, der ihn in seinen Träumen besucht, auch wenn Drachenweisheiten manchmal etwas unverständlich daherkommen. Diese Erzählung ist mit achtzig Seiten mit Abstand die längste des Buches. Es geht darum, was genau eigentlich feige und was mutig ist. Am Ende stellt sich heraus, dass der sogenannte Feigling den meisten Mumm hat, und das ganz ohne Kampf oder heldenhafte Rettungsaktion oder Ähnliches, sondern auf fast alltägliche und doch dramatische Weise. Angenehm ist auch, dass der Text zu keiner Zeit schulmeisterlich wirkt, sondern immer nahe am Protagonisten und deshalb ehrlich bleibt. Ich muss zugeben, mit dieser Geschichte hat Herr Hohlbein, von dessen Büchern ich bisher nicht viel hielt, mich sehr positiv überrascht.
Wenn ich jetzt für jede Geschichte Sterne von 1 bis 5 vergeben müsste, dann käme für die Anthologie insgesamt eine Bewertung von 3,7 heraus. Zwar haben mich nur zwei Geschichten wirklich begeistert, die meisten anderen waren aber immerhin nett zu lesen, wenn auch nicht gerade mitreißend. Die verschiedenen Szenarien waren vielfältig und abwechslungsreich, und die sprachliche Gestaltung größtenteils flüssig und gut lesbar. Nicht so gut war das Lektorat, vor allem Zeitfehler sind mir begegnet. Kurz gesagt: Das Buch ist durchaus eine nette Lektüre, das Prädikat „Extra-Klasse“ allerdings ist meiner Meinung nach ein wenig übertrieben.
Band 1: [„Das unendliche Licht“ 2646
Band 2: [„Der eisige Schatten“ 3610
Die Trilogie „Die Chroniken der Nebelkriege“ ist abgeschlossen. „Die Letzte Flamme“ nennt sich der dritte Band aus der Feder von Thomas Finn und muss, um den Erwartungen gerecht zu werden, den beiden Vorgängern zumindest gleichkommen, diese wenn nicht sogar übertrumpfen. Ein nicht ganz einfaches Unterfangen, denn nachdem der Auftakt „Das unendliche Licht“ einen fulminanten Start hingelegt hatte und abseits der ausgelutschten Klischees eine durch und durch spannende Fantasy-Geschichte mit sympathischen Hauptfiguren bot, legte der zweite Teil „Der eisige Schatten“ noch einen drauf, wurde rasanter und, in der Figurenkonstellation bereits von Beginn an angelegt, vielschichtiger. Nun wollen in Band Drei nicht nur alle noch offenen Handlungsfäden zusammengeführt und alle offenen Fragen um die Charaktere beantwortet werden. Band Drei muss auch ein Finale bieten, das die Trilogie mindestens ebenso stark abschließt wie sie begonnen hat.
_Inhalt_
Aus dem jungen Irrlichtfänger Kai ist mit der Zeit ein junger Mann geworden, der trotz bisher eingeschränkter Handlungsmöglichkeiten niemals aufgegeben und weitergekämpft hat. Kai weiß mittlerweile um seine Bestimmung als letzte Flamme, als letzter lebender Feuermagier. Nach einer Prophezeiung ist er dazu bestimmt, die Finsternis abzuwenden. Morgoya, die dunkle Nebelkönigin, die aus ihrer Residenz auf der Insel Albion regiert, hat die Brisanz dieser Prophezeiung mittlerweile ebenfalls erkannt und schickt ihre Schergen, eine ganze Armee blutrünstiger Krieger, auf den Kontinent. Es liegt nun an Kai und seinen Freunden, Morgoya aufzuhalten.
Kai hat sich mit Fi, einer hübschen Elfe, und Dystariel, einer auf den ersten Blick groben, im Herzen jedoch gutmütigen Gargyle, nach Colona zurückgezogen, um über die weiteren Schritte im Kampf gegen Morgoya zu beraten. Die Nebelkönigin hat die Hafenstadt Hammaburg überrannt und steht kurz davor, auch die übrigen Städte des Landes einzunehmen. Die Hexen, Magier, Menschen und Zwerge, die sich Morgoya entgegenstellen, stehen zwar alle auf einer Seite, wollen jedoch ihre eigenen Interessen durchsetzen. Und so findet sich Kai zwischen den streitsüchtigen Parteien wieder und muss zu schlichten versuchen. Die Zeit rennt der letzten Flamme jedoch davon, denn die Nebelkönigin rückt weiter unbehelligt vor.
Obwohl die Situation schon paradox genug ist, kommt es noch schlimmer. Von Falkenhain, seines Zeichens oberster Stadtmagier Hallas, taucht plötzlich in Colona auf, will Kai zu Zucht und Gehorsam erziehen und seine weitere Ausbildung übernehmen. Den kleinen Däumlingszauberer Eulertin, in dessen Lehre Kai bisher gestanden hat, hat der Magier mit Hilfe einer eigenen kleinen Armee einfach aus dem Weg räumen lassen. Schnell wird Kai klar, dass von Falkenhain in ihm als letzter Flamme, nach dessen eigener Interpretation der Prophezeiung, einen Schlüssel sieht, mit dem Morgoya vernichten werden könnte – dass es Kai das Leben kosten kann, ist von Falkenhain dabei herzlich egal.
Gut, wenn man in solch einer Situation seine Freunde in der Nähe weiß. Im letzten Moment wird Kai nämlich von den Hexen aus den Klauen des Magiers gerettet und findet Zuflucht im Kreis einer kleinen Gemeinschaft, die zwar auf dem Schlachtfeld nicht viel ausrichten kann, aber immerhin zu einem schnellen Handeln bereit ist. Auf die Streitmacht Colonas, die nun unter der Führung der Magier steht, dürfen Kai und seine Freunde im Kampf gegen die Nebelkönigin nicht mehr hoffen. Daher schmieden sie einen neuen, wenn auch tollkühnen und gefährlichen Plan: Sie wollen sich durch die feindlichen Linien nach Albion begeben, um die böse Hexe in ihrem eigenen Refugium zu vernichten.
Schon der Weg in den Norden, in Richtung Meer, ist gefährlich. Schließlich kommen Kai, sein kleiner Drachen Olitrax, Fi, Dystariel und – endlich wieder befreit – Magister Eulertin und dessen Geist Quiiiitsss aber in der Hafenstadt Hammaburg an, wo sie sich im Verborgenen mit dem Klabautermann Koggs treffen. Er besorgt ein Schiff und bringt die Mannschaft übers Nordmeer nach Albion hinüber. Die Sonne dort ist von dicken Nebelschwaden bedeckt, das Land ist grau und trist und die Menschen sind von der Schreckensherrschaft gezeichnet. Immerhin eine weitere Motivation für die letzte Flamme und seine Freunde, Morgoya endlich Einhalt zu gebieten. Bis dies allerdings geschieht, wartet noch die ein oder andere Überraschung auf die ungleiche Truppe – leider nicht nur im Guten.
_Bewertung_
Um es vorweg zu nehmen: „Die Letzte Flamme“ kann die Erwartung erfüllen und „Die Chroniken der Nebelkriege“ zu einem würdigen Abschluss führen. Damit ist Thomas Finn eine Seltenheit gelungen, nämlich seine Trilogie auf konstant hohem Niveau zu halten, die zu keiner Zeit sprachlich abfällt, den Spannungsbogen gekonnt auszureizen weiß und am Ende ein Finale bietet, das nach allen Regeln der Kunst in Szene gesetzt worden ist. Wo andere Autoren Probleme haben, wenn sie zwar den Anfang und das Ende ihres Romans konzipieren, aber den Mittelteil als notwendiges Übel hinnehmen und dort in der Regel schwächeln, beweist Finn, dass er seine Handlung von A bis O durchgeplant hat. Einem schnellen, spannenden Einstieg folgt eine ruhigere Szene. Dann ist wieder Action (auf einem leicht angehobenen Level) angesagt, bis sich erneut eine ruhige, im Vergleich zur ersten aber wiederum gesteigerte Passage anschließt, die neue Details über einen der Charaktere enthüllt. Diese sind für ein späteres Kapitel wichtig und verknüpfen so, über die chronologische Erzählweise hinweg, den gesamten Roman.
Trotz allem wirkt „Die Letzte Flamme“ aber nicht konstruiert, ganz im Gegenteil, der Roman ist flüssig zu lesen, zu jeder Zeit äußerst unterhaltsam und fällt durch sein tragfähiges Erzählgerüst nie in sich zusammen – sowohl was die Handlung, als auch die Darstellung der Charaktere angeht. Anderen Autoren mag es gelingen, ihr Werk am Ende doch noch durch ein geschicktes Stilmittel zu retten und die abgestürzte Handlung nach oben zu ziehen. Finn muss hingegen an keiner Stelle seines Buches zu solchen Mitteln greifen. Der Vorteil liegt auf der Hand, denn so kann er sich auf die Geschichte konzentrieren und das grobe Gerüst mit Leben ummanteln. Und dies tut er auch ausgiebig. Märchenmotive verknüpft er mit Elementen aus Sagen, Legenden und – man merkt, dass er sich hier zu Hause fühlt – mit Elementen der Fantasy.
Neuartig ist das sicher nicht, doch es kommt eben auf die Mischung an. Die weiß nämlich zu gefallen, umgeht die bekannten Klischees und variiert gekonnt das Märchen- und Fantasysetting. Obwohl als Jugendbuch konzipiert, ergeht sich Thomas Finn nicht in einer neuen Version der Blümchenfantasy, sondern folgt der Tradition von Märchen und Sagen und fügt jedem Charakter (und vielen Schauplätzen) eine graue, mitunter schwarze Seite hinzu. Die Elfe Fi umgibt ein Geheimnis, ebenso wie die Gargyle Dystariel. Auch Kai ist nicht immer nur der strahlende junge Held, der er gerne wäre, obwohl er als klassische Identifikationsfigur angelegt ist.
Dazu kommt mit Albion ein für die Handlung zentraler Ort, der mit seinen Nebelbänken und mürrischen Bewohnern herrlich düster daherkommt. Doch ebenso wie die Helden eine dunkle Seite haben, haben auch dunkle Orte Licht zu bieten. Es bleibt natürlich alles kind- und jugendbuchgerecht, doch sollte dies auch erwachsene Leser nicht davon abhalten sollte, einen Blick zu wagen. Ganz im Gegenteil, so mancher Erwachsenenroman kann sich hier noch etwas abgucken.
Wenn man in diesem Buch etwas bemängeln möchte, dann sind es Nebensächlichkeiten, die in keinem Verhältnis zu seinen Vorzügen stehen. Auffallend ist höchstens das wie schon erwähnt packende Finale, das vielleicht etwas zu lang ausgefallen ist. Allerdings muss auch dies wieder in Relation zur gesamten Trilogie gesehen werden, und da hat die Einführung Kais im ersten Band auch ein paar Seiten mehr veranschlagt.
„Die Letzte Flamme“ von Thomas Finn ist ein rundum überzeugender Abschluss einer grandiosen Trilogie geworden, die zu den besten Fantasy-Veröffentlichungen der letzten Jahre zählt. „Die Chroniken der Nebelkriege“ ist ein ambitioniertes Projekt eines deutschen Autors geworden, von dem man in Zukunft noch viel erwarten kann. Eine Altersempfehlung erübrigt sich, denn hier werden Jung wie Alt wunderbar unterhalten.
http://www.ravensburger.de
http://www.thomas-finn.de
[Unser erstes Interview mit Thomas Finn]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=59
[Unser aktuelles Interview mit Thomas Finn]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=85
[„Der Funke des Chronos“ 2239
[„Das Greifenopfer“ 1849
[„Das Greifenopfer“ 2844 (Hörbuch)
Band 1: „Priester“
Band 2: „Magier“ (Januar 2008)
Band 3: „Götter“ (März 2008)
Schon als Kind wollte Auraya gern Priesterin werden. Doch mit einer kranken Mutter, die auf ihre Pflege angewiesen war, schien dieser Traum unerfüllbar. Dass er letztlich doch wahr wurde, verdankt Auraya unter anderem ihrem früheren Lehrmeister Leiard, einem Traumweber.
Jetzt ist Auraya nicht nur eine ausgebildete Magierin, sie wurde sogar von den Göttern in den Kreis der Weißen berufen, jener fünf Unsterblichen, die als die unmittelbaren Vertreter der Götter in der Welt auserwählt wurden. Seither besteht ihr Leben fast ausschließlich aus Diplomatie. Denn die Götter wünschen, ganz Nordithania durch Bündnisse zu vereinen. Keine leichte Aufgabe, denn in anderen Ländern haben die Traumweber noch wesentlich mehr Einfluss und ihr Misstrauen gegenüber den Weißen ist schier unüberwindbar. Auraya bittet ihren früheren Lehrmeister Leiard um Hilfe, mit schwerwiegenden Folgen …
Während Auraya und Leiard versuchen, ihre unmögliche Situation auf die Reihe zu kriegen, tauchen immer öfter schwarz gekleidete Fremde aus den Ländern des südlichen Ithania auf. Und sie scheinen nichts Gutes vorzuhaben. Schon bald kursieren die ersten Gerüchte von einem drohenden Krieg …
Auraya ist ein bemerkenswertes Mädchen. Schon in jungen Jahren beweist sie großes Einfühlungsvermögen in fremde Denkweisen und ein ungewöhnliches Geschick für Verhandlungen, abgesehen natürlich von ihrem ausgeprägten Mut. Ihr diplomatisches Geschick ist für die Weißen einerseits von unschätzbarem Wert, andererseits bedeutet ihr ausgeprägtes Verständnis und Mitgefühl für andere Kulturen auch sozialen Sprengstoff. So hat Auraya zum Beispiel überhaupt kein Verständnis für die restriktive Politik den Traumwebern gegenüber, und auch andere Minderheiten wie die Siyee, die geflügelten Bewohner der Berge, liegen ihr besonders am Herzen. Und genau das ist ihr Dilemma: Auraya macht keine halben Sachen. Bei allem, was sie tut, engagiert sie sich auch emotional sehr stark. Schmerzliche Erfahrungen sind da unausweichlich.
Leiard ist weit schwieriger einzuschätzen. Zunächst will er nichts weiter als bessere Lebensbedingungen für die Traumweber erreichen. Da er Auraya seit ihrer Kindheit kennt und ihr vertraut, ist er bereit, mit ihr zusammenzuarbeiten. Allerdings muss er dazu eine tiefsitzende Angst überwinden, die übertrieben scheint, denn obwohl Juran und Dyara, die beiden ältesten Weißen, ihm äußerst kühl begegnen, wird er zu keiner Zeit bedroht oder diskriminiert. Die Traumweberälteste Arleej bemerkt als Erste, dass Leiard ungewöhnlich viele und deutliche Erinnerungen an Mirar, den einstigen Traumweberältesten, besitzt. Und je näher Auraya und Leiard sich kommen, desto stärker werden diese Erinnerungen. Bis irgendwann ein fremdes Bewusstsein Leiard dreinzureden beginnt. Und bald begnügt es sich nicht mehr damit zu reden … Wo kam dieses Bewusstsein her? Und wieso hat es solche Macht über Leiard? Wer ist Leiard wirklich?
Emerahl hat von all dem nichts mitbekommen. Sie ist eine Wilde, eine Unsterbliche und eine Zauberin. Jahrelang hat sie im Verborgenen gelebt, bis sie dem Vorsteher des benachbarten Dorfes in die Quere kam. Nun suchen die Priester nach ihr, und Emerahl bleibt nichts anderes übrig als zu verschwinden. Ein schwieriges Unterfangen, denn sie muss feststellen, dass die Zahl der Priester enorm zugenommen hat! Emerahl muss auf all ihre Fähigkeiten zurückgreifen, um ihnen auszuweichen, und sie darf dabei nicht auffallen. So kommt es, dass das Versteckspiel sie letztlich dazu zwingt, im Tross eines Bordells den Truppen Nordithanias in den Krieg zu folgen, wo sie die größte Überraschung ihres langen Lebens erwartet.
Trudi Canavan hat für ihre neue Trilogie durchaus interessante Charaktere entworfen. Sie sind auch klar gezeichnet und ihre Handlungen nachvollziehbar. Trotzdem konnte ich mit keiner von ihnen richtig warm werden. Zwar ist keine von ihnen unsympathisch oder langweilig, es ist aber auch keiner von ihnen gelungen, mich wirklich zu fesseln und mit ihr fiebern zu lassen, zu vorhersehbar ist die Entwicklung geraten. Das betrifft sowohl die wachsenden Fähigkeiten Aurayas als auch Leiards wachsende Labilität.
Dasselbe gilt für die Handlung. Die Autorin lässt es extrem langsam angehen. Langsamer, als es für die Ausarbeitung der verschiedenen Beziehungen zwischen den Protagonisten nötig wäre. Ausführlich schildert sie Aurayas diplomatische Bemühungen zunächst in Somrey, später bei den Siyee. Dazu kommt die Entwicklung von Tryss‘ Fluggeschirr und seiner Beziehung zu dem Mädchen Drilli. All dies wirft zwar ein sehr deutliches Licht auf die Kultur der Siyee, trotzdem wäre es mir gelegentlich lieber gewesen, das Erzähltempo wäre etwas höher angesetzt. Denn der eigentliche Konflikt mit den schwarzen Magiern aus den Südlanden kommt dadurch erst extrem spät zum Tragen. Lediglich zwei kurze Zwischenfälle deuten darauf hin, worauf das Ganze zusteuert, doch danach versinkt die Handlung jedes Mal erneut in Diplomatie. Irgendwie ist Trudi Canavan diesmal nicht so richtig in die Gänge gekommen. Als es dann endlich ernst wird, kommt sie dagegen ziemlich rasch zur Sache, und der Höhepunkt, auf den eigentlich ein Spannungsbogen hätte zulaufen sollen, ist erstaunlich kurz geraten und auf eine Weise entschieden worden, die ich ein wenig enttäuschend fand.
Zu diesem etwas blassen Gesamteindruck hat sicherlich auch die starke Zurückhaltung der Autorin in Bezug auf Antworten beigetragen. Dass sie bisher nicht verraten hat, wie es kommt, dass Leiard diesen ungebetenen Gast mit sich herumträgt, kann ich ja verstehen. Dem geschichtlichen Hintergrund hätte es allerdings gutgetan, die Autorin hätte an der Diplomatie ein wenig Ausführlichkeit abgezwackt und sie in ein paar Details über die Vergangenheit ihrer Welt investiert. So hat sie den Konflikt zwischen den Weißen und den Traumwebern zwar mit ein paar trockenen Worten erklärt, sodass der Leser wenigstens die Grundlagen versteht. Aber nachvollziehbar wird die Vergangenheit dadurch nicht. So erfährt der Leser zum Beispiel nicht, warum Mirar so gegen die Götter gewettert hat, dass Juran sich gezwungen sah, ihn zum Schweigen zu bringen. Immer wieder wird ein Krieg der Götter erwähnt, aber niemand verliert ein Wort über die Ursache und die Konsequenzen dieses Krieges. Auch Emerahls Rolle in dieser Vergangenheit bleibt bisher noch ein Geheimnis.
Auch den Gegnern der Weißen, den Südländern, hat die Autorin kaum Beachtung geschenkt. Einerseits scheinen sie ziemlich grausam zu sein, andererseits zeigen sie Züge von Freundlichkeit, etwa, wenn eine ihrer Zauberinnen bedauert, gegen die Siyee kämpfen zu müssen, als täten diese ihr leid. Eine Erklärung für diese ungewöhnliche Diskrepanz gibt es bisher nicht, auch nicht, warum die schwarzen Magier einen so ausgeprägten Hass auf die Götter der Weißen haben. Der Feind wirkt fast wie eine Kulisse; er hat zwar ein Ziel, aber keine Kultur, keine Geschichte, keine Beweggründe.
So bleiben unterm Strich nicht viel mehr als eine akzeptable Charakterzeichnung sowie ein recht gelungener Entwurf einer Kultur von Flügelwesen und der einer Theokratie. Dabei hat die Geschichte durchaus noch eine Menge Potenzial: die Meermenschen, die Dunweger, die Südländer, die Vorgeschichte, Mirar und Emerahl … aber offenbar hat sich die Autorin all das für die Fortsetzungen aufgehoben. Ich für mein Teil hätte diesen ersten Teil interessanter gefunden, wenn Trudi Canavan all diese Aspekte in gleichem Umfang weiter ausgebaut hätte, anstatt sich so sehr auf die Diplomatie der Weißen und das Volk der Siyee zu konzentrieren, dass für die anderen fast nichts mehr übrig blieb. Nach der Lektüre der abwechslungsreichen und lebendigen Magiertrilogie hatte ich durchaus mehr erwartet. Ich hoffe, das rappelt sich noch.
Trudy Canavan stammt aus Australien, wo sie nach einem Studium am Melbourne College of Decoration als Designerin, Illustratorin und Kartenzeichnerin für verschiedene Verlage tätig war, ehe sie zu schreiben begann. 1999 gewann sie mit ihrer Kurzgeschichte „Whispers of the Mist Children“ den Aurealis Award for Best Fantasy Short Story. 2001 erschien dann ihr erster Roman, der erste Band der Trilogie Die Gilde der schwarzen Magier. „Priester“ ist der erste Band der Trilogie Das Zeitalter der Fünf, dessen Folgebände „Magier“ und „Götter“ im Januar beziehungsweise im März nächsten Jahres erscheinen sollen. Die Autorin arbeitet derweil an „The Magician’s Apprentice“, einem Prequel zur Magiertrilogie. Auch ein dreibändiges Sequel ist in Arbeit.
Catherine Fisher ist eine seit vielen Jahren aktive Autorin von Jugendfantasybüchern, auch wenn sie in Deutschland sicherlich noch nicht die Bekanntheit erreicht hat, die sie in England vorweisen kann. Dort wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet und war unter anderem für den |Whitbread Children’s Book Award| nominiert. |Heyne| veröffentlicht nun „The Snow-Walker Trilogy“, allerdings nicht in drei, sondern in einem Band.
Die Snow-Walker, zu deutsch Schneewanderer, sind ein magisches Völkchen, das die normalen Bewohner der nordisch anmutenden Fantasywelt von Fisher verängstigt und Stoff für Gerüchte und Legenden liefert. Grund dafür ist Gudrun, die Frau des Jarl. Man sagt ihr nach, dass sie eine böse Hexe sei, und für die junge Jessa erhärtet sich der Verdacht, als Gudrun sie und ihren Freund Thorkil nach Thrasirshall schickt.
Jessas und Thorkils Väter sind beim Jarl in Ungnade gefallen, und nun sollen auch die beiden Kinder darunter leiden. Gudrun möchte sie außer Reichweite haben und schickt sie deshalb an diesen sagenumwobenen Ort, an den sie einst ihren eigenen Sohn Kari verbannte. Über Kari gibt es die schauerlichsten Märchen. Angeblich ist er ein Monster, doch niemand glaubt, dass er das lange Exil überhaupt überlebt hat. Die Reise der Kinder ist folglich eine Reise ins Ungewisse …
Weiteres zum Inhalt zu sagen, wäre unfair gegenüber potenziellen Lesern, obwohl nur die Geschehnisse des ersten Buches angerissen wurden. Da das Buch drei voneinander unabhängige publizierte Geschichten vereint, fällt es schwer, einen Gesamtüberblick zu geben.
Im Mittelpunkt von „Schneewanderer“ steht der Kampf gegen Gudrun. Die Handlungen der einzelnen Geschichten sind dabei sehr einfach und kindgerecht geschnitzt. Verworrene Intrigen oder großartige Überraschungen darf man nicht erwarten, dafür aber eine wunderschöne Kulisse und eine konsistente, manchmal vorhersehbare Handlung. Was positiv auffällt, ist, dass in dem Buch zwar oft gereist wird, so dass man ständig neue Eindrücke bekommt, diese Reisen aber sehr gerafft dargestellt werden. Fisher begeht nicht den Fehler, sich in seitenlangen Schilderungen von Strapazen in den eisigen Landstrichen zu ergehen, sondern konzentriert sich auf die tatsächliche Handlung. Zusammen mit dem simplen Hintergrund – es gibt wenig Magie und auch nur wenige Fantasywesen und Ähnliches – gelingt es ihr dadurch, packend und interessant, wenn auch nicht besonders innovativ zu erzählen.
Hauptperson in den drei Geschichten ist Jessa, ein starrköpfiges Mädchen, das dem Leser den Zugang zu sich erschwert. Fisher greift zwar immer wieder auf ihre Gedanken und Gefühle zurück und erzählt in der dritten Perspektive aus ihren Augen, aber trotzdem steht sie nicht wirklich im Vordergrund. Ihre Charaktereigenschaften oder sogar ihr Aussehen offenbaren sich dem Leser erst im zweiten Band richtig, was schade ist. Gerade Kinder und Jugendliche haben es gerne, wenn sie sich mit den Hauptfiguren im Buch identifizieren können, was in diesem Fall etwas schwerfällt.
Die anderen Personen sind gut ausgearbeitet. Sie ähneln von Namen und Wesen her am ehesten Wikingern oder Menschen aus der nordischen Geschichte. Fisher etabliert verschiedene Charaktere, die den Leser das ganze Buch hindurch begleiten. Leider zeichnet sie diese oft etwas zu sehr schwarzweiß. Die Bösen haben kaum gute Seiten, während die Guten wenige schlechte haben. Diese Tatsache passt zu der Einfachheit des Plots und wird den erwachsenen Leser vielleicht etwas enttäuschen.
Was ebenfalls für herabhängende Mundwinkel sorgt, ist die Übersetzung, die an einigen Stellen hängt beziehungsweise sogar den einen oder anderen Grammatikfehler aufweist, wie eine Textstelle auf Seite 390 zeigt.
|“Es war kein Tier. Aber auch nicht eigentlich ein Mensch, dachte Jessa, nur sehr ähnlich.“|
Hier hätte man sich ein strafferes Lektorat gewünscht, das solche Fehler ausmerzt. Insgesamt ist das Buch auf Kinderniveau geschrieben, was aber nichts Negatives ist. Fisher erzählt klar und nüchtern, geradezu objektiv, was die eigene Phantasie des Lesers anspricht. Umständliche Erklärungen findet man selten, doch die Autorin schafft es auch mit wenigen, simplen Worten, ihre Welt und die darin befindlichen Menschen anschaulich darzustellen.
Insgesamt ist „Schneewanderer“ ein Buch, das nicht nur Stärken aufweist. Es ist anfangs gewöhnungsbedürftig, dass die Hauptfigur Jessa, aus deren Perspektive erzählt wird, nicht im Mittelpunkt steht. Außerdem tauchen immer wieder vermeidbare Grammatik- oder Ausdrucksfehler auf und die Einfachheit des Buches hat auch seine negativen Seiten. Die Handlung ähnelt anderen Fantasybüchern an manchen Stellen, gefällt aber auch dank des flotten Erzähltempos und des klaren Aufbaus. Der Schreibstil ist anschaulich und verstrickt sich nicht in Nebensächlichkeiten, die Personen gefallen durch geschickte Ausarbeitung. Für Kinder und Jugendliche ist dieses Buch sicherlich ein schönes Weihnachtsgeschenk, dennoch sollte man nicht zu viel davon erwarten.
|Originaltitel: The Snow-Walker Trilogy (The Snow-Walker’s Son/ The Empty Hand/ The Soul Thieves)
Originalverlag: RED FOX/ Random House
Aus dem Englischen von Beate Brammertz
Mit Illustrationen von Animagic
Paperback, 656 Seiten|
http://www.heyne.de
Ein langes Leben?
Ein langes gesundes Leben?
Ein langes gesundes Leben ohne Krankheit?
Ein langes gesundes Leben ohne Krankheit und Tod?
Ein endloses Leben.
Ein Leben aus dem Backup. Keine Gefahr für den Geist und die Seele, Mord sinnlos. Der Körper aus der Retorte mit allen Modifikationen, die man sich wünscht. Zum Beispiel an den Weltraum angepasst oder mit einem zweiten Kniegelenk für den eleganten Schritt oder dem Gesicht eines berühmten Schauspielers (dessen Gesicht wiederum nicht sein eigenes sein muss). Oder alles das – und viel mehr.
Und das Beste: Alles kostenlos! Jedenfalls auf den ersten Blick, denn man ist auf die Achtung seiner Mitmenschen angewiesen, und mit der Achtung steigen die eigenen Whopple-Punkte. Den Punktestand kann jeder Mensch anpingen und entscheiden, ob man es würdig ist, beachtet zu werden oder in welcher Suite eines Hotels man würdig ist zu übernachten oder welche Klonmodifikationen man sich leisten kann.
Das ist die Bitchun-Society. Man legt an entsprechenden Terminals in individuellen Abständen Backups seiner Persönlichkeit an, um im Falle des eigenen Ablebens mit einem möglichst aktuellen Erinnerungsstand wiederbelebt werden zu können. Natürlich kann man auch ältere Backups nutzen, um unangenehme Erfahrungen nicht nur aus dem Gedächtnis, sondern auch aus der Persönlichkeit zu streichen. Sehr praktisch, zum Beispiel wenn man ein Verbrechen begehen will und sich danach an nichts mehr erinnert …
Cory Doctorow sagt von sich selbst, er lebe im Internet. Und so gestaltet sich auch die Geschichte: Es begann als Revolution des Internets. Die Bitchun-Society, die Gesellschaft größten Glücks, entsteht und stürzt die alten Lehrstrukturen an den Universitäten. Das Internet findet in den Köpfen der Mitglieder statt, der Informationszugriff ist optimiert. Daraus entwickelt sich die scheinbar einzig gerechte Währung, die Whopple-Punkte gegenseitigen Respekts und Achtung, in der jeder Mensch unabhängig von seiner Herkunft die gleichen Chancen hat. Grundlage ist natürlich auch die Weiterentwicklung künstlicher Arbeitskräfte, so dass grundsätzlich jeder Mensch der Gesellschaft Zugriff auf alles Lebensnotwendige hat, und zwar in für unseres Verständnis luxuriösen Maßen. Es gibt Arbeiten, die weiterhin von Menschen erledigt werden müssen (wie Putzen oder kreative Programmierung), und die entsprechenden Menschen sammeln mit dieser Arbeit enorme Punkte.
Natürlich gibt es Feinde und Neider dieser Gesellschaft, aber sie hat ein schlagendes Argument: Ihre Gegner sterben aus, während ihre Mitglieder beliebig oft aus einem Backup neu erstellt werden können. Man kann sich trotz der perfekt sozialistisch anmutenden Idee der Whopple-Punkte ausmalen, dass es Betrugsmöglichkeiten in diesem System gibt. Und hinter den Kulissen ist alles viel komplizierter, als sich in wenigen Sätzen sagen lässt. Zentrales Thema des Romans ist zum Beispiel die Langeweile, die bei den fast unsterblichen Mitgliedern der Gesellschaft häufig aufkommt. Man hat schon alles erlebt, jedes Risiko genossen, jede Anstrengung vollbracht, jede Möglichkeit der Entspannung und des Nichtstuns genutzt – was kann einem dann das Leben noch bieten? Man lässt sich einfrieren, um vielleicht in hundert Jahren zu erwachen und etwas Neues zu erleben. Oder ein Computer wacht über die Ereignisse und weckt einen, wenn interessante Neuigkeiten greifbar sind. Oder man lässt sich auf unbestimmte Zeit einfrieren, sagen wir, bis zum Kollaps unseres Universums. Denn das bietet auf jeden Fall noch Unerlebtes.
Was aber passiert mit einem Menschen, der durch Fehlfunktionen seiner Implantate aus dem Netz fliegt? Normaler Weise kann er sich aus einem Backup neu erstellen lassen, aber wenn er die Erlebnisse seit dem Backup nicht vergessen will? Er wird zum Außenseiter, der keinen Zugriff mehr auf die sphärische Kommunikation seiner Mitmenschen hat, sondern auf die normale Sprache angewiesen ist. Dessen Whopple nicht mehr angepingt werden kann, der also völlig vom guten Willen seiner Mitmenschen abhängig ist. Und hinter dessen Rücken man eins-a intrigieren kann, ja, in dessen Beisein man an ihm vorbei kommunizieren und sich über ihn lustig und ihn betrügen kann.
»Backup« ist mit seinen 285 Seiten für heutige Verhältnisse ein erfrischend dünner Roman, dessen flotte Gangart seinem Thema entspricht und Lesevergnügen »in einem Rutsch« liefert. Er ist spritzig, witzig, tiefgründig – uneingeschränkt zu empfehlen.
Originaltitel: Down and out in the Magic Kingdom, 2003 287 Seiten
Aus dem US-Englischen von Michael K. Iwoleit
Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: (6 Stimmen, Durchschnitt: 1,33 von 5)
Band 1: [„Der Spiegel der Erinnerung“ 3928
Band 2: [„Das magische Relikt“ 4217
In Thurkad herrscht Chaos. Yggurs Armee steht vor den Toren der Stadt und Tensor hat das Große Konklave angegriffen, um den Spiegel von Aachim an sich zu bringen. Während Tensor mitsamt dem widerstrebenden Llian im Schlepptau aus der Stadt Richtung Norden flieht und Karan von Shand aus der Ratshalle geborgen wird, hat sich Mendark mit Tallia und dem Straßenmädchen Lilis vorerst in der Feste verbarrikadiert. Die Lage ist aussichtslos, und Mendark weiß das. Während die Altstadt fällt, plant er seine Flucht. Doch er wird verraten …
Faelamor und Maigraith sind zwar ebenfalls aus der Ratshalle entkommen, Faelamor hat jedoch all ihre Kräfte verloren und keinen Verbündeten in der Stadt. Da entschließt sich Maigraith zu einem folgenschweren Schritt …
_Der dritte Band_ des Drei-Welten-Zyklus trägt den Titel „Der Turm von Katazza“. Dieser Turm wurde von Mendark bereits erwähnt, als er Llian in die Keller der Feste schickte, um nach Informationen über den Spiegel zu suchen. Wer jetzt allerdings glaubt, irgendjemand hätte sich auf den Weg nach Katazza gemacht und in dem Turm womöglich sogar ein paar Antworten gefunden, der wird enttäuscht sein. Offenbar hat derjenige, der den Titel für diesen Band vergeben hat, sich vorher nicht die Mühe gemacht, ihn auch zu lesen. Dabei wäre eine solche Reise eine durchaus logische Entwicklung für die Handlung gewesen. Stattdessen konzentriert sich alles auf die Eroberung Thurkads und die verzweifelten Versuche der verschiedenen Protagonisten, ihren Hals zu retten.
Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf Mendark. Außer seinem Gold und seinem eigenen Leben liegt diesem Mann nur die Stadt Thurkad am Herzen. Oder besser: seine Macht über Thurkad, denn die Stadt selbst und ihre Bewohner sind ihm herzlich gleichgültig. Er nutzt jeden aus, der ihm begegnet, Tallia eingeschlossen. Damit ist auch schon so ziemlich alles über diesen Mann gesagt, was es bisher zu sagen gibt.
Durch die starke Gewichtung von Mendarks Person rückt auch seine getreue Gefolgsfrau Tallia etwas mehr ins Rampenlicht, was allerdings auch nicht viel heißt. Zwar wird deutlich, dass sie nicht viel von Mendarks Rücksichtslosigkeit hält, aber sie steht trotzdem in jeder Situation treu zu ihm. Lediglich im Bezug auf Lilis ist sie diejenige, die sich durchsetzt. Da Tallia alles andere als dumm ist, stellt sich die berechtigte Frage, warum sie diesem selbstsüchtigen Kerl so treu ergeben ist!
Leider geizt Ian Irvine immer noch mit Antworten, und das gilt nicht nur für die Charaktere. Der Spiegel, der die ganze Sache erst ins Rollen brachte und eigentlich so außerordentlich wichtig für das Schicksal Santhenars sein soll, fristet nur noch ein kümmerliches Randdasein. Das einzige Wort, das darüber verloren wird, ist Tensors Feststellung, dass er keine Ahnung hat, was seit dem Diebstahl durch die Charon genau mit dem magischen Artefakt angestellt wurde. Und er hat offenbar auch keinerlei Anstrengungen unternommen, seine Flucht in eine Gegend zu lenken, wo er eventuell Antwort auf diese Frage erhalten könnte …
Auch an neuen Ideen tut sich nicht viel. Neu waren allein die Kaistadt und ihre Bewohner, die Hlune und die Telt. Um frischen Wind in die Geschichte zu bringen, blieben sie aber zu nebensächlich und die Ausarbeitung zu oberflächlich. Über die historischen Ereignisse, die zu der momentanen Situation führten, erfährt der Leser überhaupt nichts Neues. Die Aachim Malien, die Llian nach der Vergangenheit fragt, lässt sich lediglich zu einer vagen Andeutungen herab.
Auch diesmal ist also der Handlungsverlauf der Hauptträger der Geschichte. Und auch diesmal bestand sie zu meinem großen Leidwesen ausschließlich aus Flucht. Der einzige Unterschied zu den Vorgängerbänden ist der, dass jetzt nicht nur Karan und Llian, sondern auch noch die Gruppen um Mendark und Tensor auf der Flucht sind. Die Schilderung, wie Yggur die Schlinge um die in der Kaistadt Versteckten immer enger zieht, sollte den Spannungsbogen straffen, was aber nicht wirklich gelungen ist.
Dasselbe gilt für die kurze Szene, in der die Gâshâd beschließen, Karan zu fangen und zu benutzen, denn sie bleibt ohne Zusammenhang oder gar Folgen – zumindest in diesem Band. Erst als Mendarks Gruppe sich endlich auf dem Wasser befindet, zieht die Handlung vorübergehend so weit an, dass der Leser sich nicht langweilt. Besonders spannend kann man aber auch diesen Teil des Buches nicht nennen.
_Mit anderen Worten:_ Im Grunde bewegt sich die Geschichte überhaupt nicht weiter! Und so bleibt unterm Strich bei diesem Band sogar noch weniger als beim zweiten: Die Handlung kommt nicht über ein wirres Hin- und Hergerenne hinaus; der Mangel an Spannung, Abwechslung und Weiterentwicklung bewirkt bestenfalls ein Gefühl von Überdruss und Unzufriedenheit. Die Charakterzeichnung von Mendark und Tallia ist ziemlich blass geraten und die Figur des Mendark zudem nicht übermäßig sympathisch und damit eher ungeeignet, die Sympathien der Leser zugewinnen, sodass eine Identifikationsfigur fehlt, mit der man mitfiebern könnte. Ian Irvine ist es nicht gelungen, seinem vielversprechenden Anfang den entscheidenden Impuls zu geben und seine Charaktere und seine Handlung lebendig zu erhalten. Falls ich mich tatsächlich dazu durchringen sollte, einen weiteren Band aus diesem Zyklus zu lesen, dann muss der einiges mehr an Intensität, Bewegung und Einfallsreichtum aufbieten, denn sonst wird er der letzte sein, zumindest für mich.
_Ian Irvine_ ist Doktor für Meeresbiologie und hat einen Großteil des südpazifischen Raums bereist. Die Idee zu seinem Drei-Welten-Zyklus entstand bereits während des Studiums. Die damals entstandenen Karten und Skizzen dienten später als Basis für die Ausarbeitung, die inzwischen zwei Tetralogien umfasst und noch weiter ausgebaut werden soll. Abgesehen davon hat Ian Irvine den Öko-Thriller „Human Rite“ geschrieben sowie den Zyklus „Runcible Jones“. Der nächste Band des Drei-Welten-Zyklus „Die Festung der Macht“ erscheint Anfang Dezember 2007.
Es gilt gemeinhin als ungeschriebenes Gesetz, dass die magischsten Momente der Fantasy-Literatur ausschließlich dem englischsprachigen Raum entstammen. Es sind Autoren wie Martin, Tolkien und auch moderne Schreiberlinge wie Jordan und Barclay, die in der Vergangenheit die anerkannten Maßstäbe setzten und das Kaufverhalten der Leserschaft durch ihre fabelhaften Geschichten maßgeblich beeinflussten.
In diesem Zusammenhang mag die schwedische Schriftstellerin Margit Sandemo, immerhin Jahrgang 1924, zunächst einmal eine unscheinbare Persönlichkeit im nach wie vor aufstrebenden Genre sein, hat aber gerade die phantastische Literatur im europäischen und speziell im skandinavischen Raum in den vergangenen Dekaden richtungsweisend geprägt. Ihre |Saga vom Eisvolk| entwickelte sich zum steten Bestseller und brachte es zwischen 1982 und 1989 auf insgesamt 47 Ausgaben. Seltsamerweise hat man hierzulande niemals eine offizielle Kostprobe des historischen Fantasy-Epos‘ zu Gesicht bekommen, auch wenn vor geraumer Zeit schon einmal der Versuch gestartet wurde, die ersten neun Bände in einer Kleinauflage zu etablieren – wirklich viel Rummel haben die Veröffentlichungen nämlich nicht ausgelöst.
Gottlob wird nun via |Blanvalet| ein zweiter Versuch gestartet, diese in Insider-Kreisen hoch gehandelte Reihe in einer deutschen Übersetzung landesweit zu manifestieren – drücken wir also die Daumen, dass es diesmal funktionieren wird!
_Story_
Im Jahre 1581 wird ganz Norwegen von der heimtückischen Pest heimgesucht und mit fürchterlicher Konsequenz getroffen. Ein Großteil der Bevölkerung erliegt dem schwarzen Tod, hoffnungs- und schutzlos ausgeliefert und vor Angst schier ohnmächtig. Unter der armen Bevölkerung ist auch die Familie der jungen Silje, die mit einem Mal ihre gesamten Angehörigen verliert. Verbittert und völlig ausgehungert tritt sie die Flucht an und nimmt sich auf ihrer Reise in die Zuflucht Trondheims zweier weiterer Waisenkinder an, die ohne Hoffnung auf Überleben der Kälte und Armut alleine ausgesetzt sind.
Der Großbauer Benedikt nimmt das Mädchen auf seinem Hof auf und schenkt ihr und den Kindern Liebe und Nahrung, ohne dafür jedwede Gegenleistung zu erwarten. Allerdings ist die Freude über die neue Geborgenheit nur von kurzer Dauer, denn die intrigante Cousine des Bauern macht sich alsbald auf dem Hof breit und verscheucht alle störenden Elemente unter gemeinen Vorwänden von Benedikts Gut.
In jenen Tagen macht Silje die Bekanntschaft des verrufenen Tengel, dem Mann, dessen Bekanntschaft tödlich sein kann, und der ihr auf ihrer vorherigen Reise bereits mehrere Male in mysteriösen Situationen begegnet war. Unter seiner Obhut erfährt sie von der geheimen Sippe des Eisvolkes, seinem Heimatstamm, dessen Urvater sich einst an den Teufel verkauft hatte. In einer versteckten Berglandschaft führen die wenigen Überlebenden seiner Gemeinschaft ein zurückgezogenes Leben, stets in großer Angst, eines Tages entdeckt und alleine für ihre Herkunft mit dem Tode bestraft zu werden.
Während Silje mit ihren unverhofften Mutterpflichten zu kämpfen hat, reift die junge Dame langsam aber sicher zur selbstbewussten Erwachsenen heran und kann auch ihre geheimen Gelüste nicht mehr zurückhalten. Ausgerechnet der schroffe Tengel hat ihr Herz erobert – doch seine Nähe ist verboten, da eine Partnerschaft möglicherweise eine weitere Teufelsbrut hervorbringt. Und die Angst hiervor ist so groß, dass beide Seiten schweren Herzens auf ihre Liebe verzichten. Vorerst …
_Persönlicher Eindruck_
Der erste Teil der „Saga vom Eisvolk“ ist sicherlich ein gelungener Auftakt der Mammutserie und liefert bereits einen ziemlich detaillierten Überblick über die Protagonisten und das allgemeine Setting der Handlung. Allerdings fordert er auch sogleich zur Korrektur auf, dass es sich bei diesem Epos nur bedingt um eine echte Fantasy-Geschichte handelt, denn im Grunde genommen unterwirft sich der Plot doch recht deutlich den Gegebenheiten eines historischen Dramas, verknüpft mit den Sehnsüchten und heimlichen Gelüsten einer unerlaubten Liebesbeziehung.
Insofern ist auch der Aufbau alles andere als fantasytypisch; der Rahmenschauplatz beschreibt nämlich ein allzu realistisches Standbild im Europa der Pestepoche, welches auch atmosphärisch sehr stimmig und authentisch wiedergegeben wird. Die gesamte Stimmung des Romans ist recht beklemmend ob der anhaltenden Todesgefahr und der wachsenden Armut und Verwahrlosung des gemeinen Volkes. Das gesamte skandinavische Gebiet welkt langsam dahin, und währenddessen klafft die Schere zwischen Reich und Arm bereits zu diesen Zeiten unheimlich stark auseinander.
In dieser Zeit kämpfen auch drei Waisen kaum unterschiedlicher Generationen ums nackte Überleben, unwissend bzw. intellektuell noch gar nicht fähig, realistische Zukunftsvisionen zu spinnen. Die erst 17-jährige Silje steht im Mittelpunkt des Ganzen, übernimmt für einen ausgesetzten Säugling sowie eine hinterlassene Zweijährige die nötige Verantwortung und hilft ihnen in letzter Not, nicht selber von der Pest dahingerafft zu werden. Allerdings wird das ungleiche Trio in der Folgezeit nur herumgeschubst; nirgendwo scheint man richtig willkommen, und auch wenn einige wenige ihnen die vermisste Liebe entgegenbringen, so scheint ihr Aufenthalt nirgendwo sicher.
Aus einem Trieb heraus, gleichzeitig aber auch aus Furcht vor dem Landvogt, der ihr den verbotenen Kontakt mit dem geheimnisvollen Tengel nachsagt, steuert sie schließlich auf die Welt des Eisvolkes zu und folgt ihrem heimlichen Geliebten, der sich jedoch aus großer Furcht vor den Konsequenzen nicht eingestehen kann, dass er ebenfalls der Liebe verfallen ist. Verkrampft, verzweifelt und in ihrem Handeln zumeist ohnmächtig kämpfen sie für- und gegeneinander, wohl wissend, dass das Schicksal für beide ein Buch mit sieben Siegeln ist, ganz gleich, wie sie ihre Beziehung gestalten werden.
Bereits in „Der Zauberbund“ bestätigt sich, dass Margit Sandemo eine fantastische Geschichtenerzählerin ist; ihre detailreichen Darstellungen von Szenarien und Hintergründen bringen den Leser alsbald in das Norwegen des späten 16. Jahrhunderts und lassen ihn sofort eins werden mit dieser beklemmenden Stimmung innerhalb der Bevölkerung. Gleichzeitig gelingt es ihr auch auf faszinierende Weise, einige packende Charakterzeichnungen zu entwerfen, unter denen vor allem Tengel und die Hauptakteurin Silje hervorragende Eindrücke hinterlassen. Ihr steter Wechsel aus Bestimmtheit und Unentschlossenheit beherrscht einen großen Teil des Buchs und markiert die nicht abklingende Spannung, die sich trotz der vergleichsweise nur langsam voranschreitenden Story sofort auf den ersten Seiten entwickelt.
Andererseits ist das schleppende Tempo auch ein geringfügiger Kritikpunkt, der zwar insofern fast schon widerlegt werden muss, als man es hier erst mit dem ersten Band einer Mammut-Saga zu tun hat und eine diesbezügliche Drosselung zugunsten der Detailfülle fast schon wieder erforderlich ist, insgesamt aber doch mehrfach zu einigen kleinen Längen führt, gerade im letzten Drittel des Buches, welches nur noch die unterdrückte Liebelei der beiden Protagonisten thematisiert. Hier hätte Sandemo sicherlich etwas kompakter agieren können, was man ihr aber aufgrund des begeisternden Erzählstils (der auch in der Übersetzung sehr schön zum Tragen kommt) kaum übelnehmen darf.
Daher muss man den Einstieg in diese stilistisch vermischte „Saga vom Eisvolk“ auch als durchweg gelungen und entsprechend auch als empfehlenswert bezeichnen. Zwar wollen sich noch keine magischen Gefühle einstellen, doch fühlt man sich in der Welt von Tengel, Silje und ihren beiden Waisenkindern auf Anhieb wohl, ist bereit, ihr Schicksal zu teilen und es mit ihnen gemeinsam zu bestreiten. Beste Voraussetzungen also, um die Serie endgültig auf dem deutschen Markt zu etablieren!
|Originaltitel: Sagan om Ísfolket 1: Trollbunden
Originalverlag: Boknöje ab 1982
Aus dem Norwegischen von Dagmar Mißfeldt
Mit einem Nachwort von Gabriele Haefs
Taschenbuch, 320 Seiten|
http://www.blanvalet.de
http://www.margitsandemo.se/
Wir schreiben das Jahr 1102 des Dritten Zeitalters. Der Clan des Schwarzen Pfads, vertrieben aus seiner Heimat, durchquert das Land Car Criagar. Verfolgt von Stämmen der Wahren Geschlechter tritt der abtrünnige Clan die Flucht in den Norden an. Doch der Weg ist beschwerlich und nur die Stärksten haben eine Chance. Verwundete und Schwache müssen zurückgelassen werden, damit die letzten standhaften Krieger den Frauen und Kindern die Zuflucht in den Norden, in das Tal der Steine ermöglichen können. Viele tapfere Männer lassen ihr Leben, und als der Clan endlich sein Ziel erreicht, ist er auf wenige hundert Männer, Frauen und Kinder dezimiert.
150 Jahre später. Es ist viel passiert, die Länder und Herrschaftshäuser haben sich stark verändert. Die Wanderung des Schwarzen Pfads ist zur Legende geworden, die Geschichte wird nur noch am Kamin erzählt. Das Reich ist nun aufgeteilt in große Stämme, über die der Hoch-Than Gryvan oc Haig herrscht. Wer es wagt, seinen Herrschaftsanspruch in Frage zu stellen, muss mit einer harten Strafe rechnen. Wer sich nicht seinem Willen beugt, muss um sein Leben fürchten. Der Clan des Schwarzen Pfades jedoch ist längst aus dem Blickfeld des Thans und seiner Häuser geraten. Die einst Vertriebenen haben ihr Exil im hohen Norden angenommen. Seitdem herrscht Ruhe, an den nördlichen Grenzen zumindest ein stabiler Waffenstillstand.
Doch die Zeichen stehen auf Sturm und eine Rückkehr des Clans, der sich für die Vertreibung in den Norden nach all den Jahren rächen will, steht kurz bevor. Der Than hat die Exilanten aus dem Blickfeld verloren und bemerkt erst viel zu spät, dass sie sich erheben – aus einem Land aus Stein, Schnee und Eis.
„Winterwende“ nennt sich der Auftakt der neuen Saga „Die Welt aus Blut und Eis“, das schriftstellerische Debüt des Autors Brian Ruckley. Ganz im Stil George R. R. Martin versucht sich Ruckley an einer epischen Erzählung, die rau, brutal und erbarmungslos daherkommt. Doch kann „Winterwende“ dem Vergleich zum Genrekönig „Das Lied von Eis und Feuer“ standhalten?
_Inhalt_
Orisian nan Lannis-Haig ist zu Besuch bei seinem Onkel Croesan auf der Burg Anduran, als er zusammen mit seinem Neffen Naradin auf die Jagd geht. Orisian ist erst 16 Jahre alt, doch bereits ein geschickter Jäger und gewandt auf dem Rücken eines Pferdes. Mit der Erfahrung seines Neffen, der erst kürzlich geheiratet und einen Sohn gezeugt hat, der eines Tages als auf der Burg Anduran herrschen soll, kann es der Junge aber noch nicht aufnehmen. Doch auch Naradin hat sich den Kampf mit dem Eber, den er und Orisian schließlich stellen, wesentlich einfacher vorgestellt. Denn das Tier sucht nicht, wie üblich, sein Heil in der Flucht, sondern geht zum Angriff über. Als Naradin es schließlich erlegt, entdeckt dieser den Grund für dessen eigenartiges Verhalten. Eine abgebrochene Pfeilspitze, die noch im Fleisch steckt, muss es zum aussichtslosen Kampf getrieben haben. Auch die Pfeilspitze gibt Rätsel auf, denn Naradim kann sie den Kyrinin zuordnen, den Waldelfen. Doch es ist lange her, dass sie sich so weit in die Nähe der Menschen gewagt haben. Was muss in dem rauen, schneebedeckten Land hoch im Norden vor sich gehen, dass sich Tiere wie auch Kyrinin so dicht an die Grenzen der Menschen heranwagen?
Orisian kehrt einige Tage später wieder nach Kolglas zu der Burg seines Vaters zurück. Dort beginnen bereits die Vorbereitungen für das große Fest zur Winterwende. Um Orisians Vater Kennent steht es allerdings schlecht. Denn seit vor vielen Jahren eine Krankheit Kennets Ehefrau und seinen ältesten Sohn dahinscheiden ließ, hat der Herrscher über Kolglas jeden Lebenswillen verloren. Orisian und Anyara, seine Tochter, sind das Einzige, was Kennet noch geblieben ist. Das Winterfest, so hoffen Orisian und seine Schwester, wird nicht nur die Stadt und die Burg, sondern auch Kennet, zumindest für ein paar Tage, die dunklen Stunden der Trauer vergessen lassen. Doch es kommt zu einem unerwarteten Angriff, bei dem die Burg in Schutt und Asche gelegt wird und Orisian und Anyara gefangen genommen werden.
Zur selben Zeit belagert Hoch-Than Gryvan oc Haig weit im Süden die Feste An Caman, um Abtrünnige des Dargannan-Clans, die sich seiner Herrschaft widersetzt haben, auszubluten. Mit Männern aller ihm unterstehenden Häuser hat er die besten Kämpfer aus den nördlichen Landen abgezogen. Und während der Hoch-Than kurz davorsteht, einen leichten, aber unbedeutenden Sieg einzufahren, bemerkt er nicht, wie der Norden überrannt wird.
_Bewertung_
Brian Ruckley fährt mit „Winterwende“ ein wahrlich beachtliches Debüt auf. Der Prolog zieht den Leser direkt in die Geschehnisse hinein und lässt ihn bis zum Schluss nicht mehr los. „Winterwende“ ist grausam und brutal ist, ergeht sich allerdings nicht in blutigen Schilderungen, sondern lässt den Leser durch die raue und umbarmherzige Umgebung am harten Leben der Protagonisten teilhaben. Sprachlich versiert vermischt Ruckley den rauen Ton der Geschichte mit der eisigen Winterwelt. Die Kombination gelingt und ergibt ein stimmungsvolles Ganzes.
Obwohl Ruckley darauf achtet, nur kleine Ausschnitte zu zeigen, wird die Welt bereits nach wenigen Seiten plastisch, als wäre sie historisch mit der Zeit gewachsen. Das gelingt den meisten Autoren selbst nach seitenlangen Beschreibungen über historische Hintergründe nicht. Wo andere sich verzweifelt bemühen, ihre Geschichte plausibel rüberzubringen, aber lediglich die Welt um die viel zu konstruiert wirkende Handlung anlegen, schafft es Ruckley, seine Geschichte als Teil eines großen Ganzen darzustellen. Gerade dadurch vermittelt „Winterwende“ Realismus, der zu fesseln weiß, ohne die fantastischen Elemente in den Hintergrund zu drängen.
Ruckley richtet seine Erzählung, obwohl er keine geringe Anzahl an Personen einführt und die Schicksale vieler Charaktere über die Grenzen ihrer Völker hinweg miteinander verbindet, auf einige wenige Personen und Schauplätze. Er lässt bewusst weiße Flecken auf der Landkarte, die er erst mit der Zeit (und vermutlich erst mit den nächsten Bänden) allmählich gestalten wird. Im Gegensatz zu George R. R. Martin, der aufgrund der epischen Breite und Erzählstruktur tatsächlich als Referenz herangezogen werden kann, erzählt Ruckley jedoch nicht aus der Sicht vieler Personen, sondern beschränkt sich auf zentrale Figuren. Gerade dadurch wird ihr Überlebenskampf im hereinbrechenden Winter(krieg) umso deutlicher und bietet Identifikationsmöglichkeiten für den Leser.
Ruckley nimmt keine Einteilung in Gut und Böse vor, schafft es jedoch noch nicht, seine Charaktere so bunt und tiefgründig zu zeichnen, wie es ein Martin vermag. Das fällt aber nicht weiter ins Gewicht, vor allem nicht angesichts eines bis zum Ende hin steigenden Spannungsbogens, der bis zum Finale gehalten wird.
Weniger geglückt, aber nicht dem Autor zuzuschreiben ist die eher zweckmäßig zu bezeichnende Karte, welche die Länder und Orte abbildet. Die wichtigsten Städte, Burgen und Regionen sind eingezeichnet, hübsch sieht das allerdings nicht aus. Hilfreich ist sie trotzdem, ebenso wie die Zeittafeln und Namensregister, die die Orientierung erleichtern. Vor allem die Namen sind anfangs gewöhnungsbedürftig, tragen jedoch unweigerlich zur Atmosphäre der miteinander in Verhältnissen stehenden Herrschaftshäusern bei.
Bewusst verzichtet wurde auch auf die klassischen Fantasyelemente. Fantastische Wesen gibt es schon einmal gar nicht. Obwohl Elfen auftauchen, allerdings in der Bezeichnung der Kyrinin, unterscheiden sie sich deutlich von ihren herkömmlichen Artgenossen. Dem Grundtenor des Romans angemessen sind sie ebenso unbarmherzig, rau und kalt wie die Wälder um sie herum. Magie wirken die Kyrinin daher ebenso wenig, und wenn überhaupt von Magie die Rede ist, dann in einer unklaren, mysteriösen Form, die eher unserem weltlichen, im Mittelalter üblichen Verständnis für Zauberei nahekommt.
Brian Ruckley gelingt mit „Winterwende“ ein rundum gelungenes Debüt. Die Erzählung ist vielschichtig, die Welt komplex und nicht einfach in Schwarz und Weiß eingeteilt und die Charaktere besitzen Profil. Hie und da merkt man dem Autor an, dass es sein Erstlingswerk ist, doch das fällt angesichts der überzeugenden Gesamtleistung kaum ins Gewicht. Bis zum Ende mag man das Buch nicht mehr aus der Hand legen und hofft darauf, dass diesem Werk möglichst bald weitere aus der Feder Ruckleys folgen. Diesen Autor sollte man im Auge behalten – sein Stil ist frisch, klar und stimmungsvoll.
Als Anführer der Wolverines hat Jari in den letzten Jahren schon einige brisante Aufträge erfolgreich zu Ende gebracht. Nun jedoch soll seine Söldnereinheit in eines der größten Krisengebiete auf dem Globus eingeschleust werden, um ein muslimisches Artefakt zu bergen und zu retten. Unter seiner Leitung wird der einst gefangene Adlerschamane Voiata zusammen mit dem naiven, noch jugendlichen Nachwuchsrunner Reynard und der mysteriösen Flechette hinter die Grenzen Afghanistans eingeschleust, von wo aus die Jagd nach ‚Fatimas Tränen‘ beginnen soll.
Doch noch bevor der Auftrag in die ernste Phase kommt, gerät das Team in interne Schwierigkeiten. Voiata muss sich unfreiwillig seiner bedrückenden Vergangenheit stellen und dabei realisieren, dass sein Wandel zum Schamanen die düsteren Flecken auf seiner Seele nicht hat verdrängen können. Immer häufiger bringt der unberechenbare Adler seine Mitstreiter in Gefahr – und verurteilt die Mission aufgrund seiner persönlichen Egotrips gleich mehrfach beinahe zum Scheitern. Doch was verbirgt sich hinter Voata wirklich?
_Persönlicher Eindruck_
Zeichneten sich gerade die vergangenen Romane aus der großen Fantasy-Welt von „Shadowrun“ vor allem durch einem großen Hang zur rücksichtslosen Action aus, fokussiert Stammschreiber Alex Wichert seine Gedanken in „Fatimas Tränen“, einem aktuellen Beitrag zur Serie (Roman Nr. 79), vordergründig auf die Darstellung seiner Charaktere. Nicht die Story an sich ist über weite Strecken das zentrale Element des Romans, sondern ihre äußerst lebendigen Träger, allen voran der faszinierende Voiata, aus dem Wichert einen echten Vorzeige-Schamanen gebastelt hat. Unglaublich jedenfalls, wie authentisch und leidenschaftlich der Autor die Emotionen und verstörten Gedanken des eigentlichen Protagonisten aufarbeitet, ohne dabei an den Rand jedweden Klischees zu stolpern. Dies ist im Hinblick auf das ungewöhnlich Setting gleich umso erstaunlicher, da der Verfasser sich insgesamt doch recht weit vom klassischen „Shadowrun“ entfernt.
Die Welt der Schatten ist gekennzeichnet von ihren finsteren Helden, und dazu gehört natürlich auch besagter Schamane, von Gesetzlosigkeit, Intrigen und blutiger Action. All die typischen Themengebiete, die diesen breiten Zweig der internationalen Fantasy mittlerweile markant verwurzelt haben, werden in „Fatimas Tränen“ zugunsten einer unkonventionellen, allerdings stilistisch sehr angenehmen, erfrischenden Herangehensweise weit hinten angestellt. Wichert gönnt seinen Figuren ungeheuer viel Zeit zur persönlichen Reife und neigt gerade im ersten Drittel zu einer deutlichen Temporeduzierung, die zuerst einmal geschluckt werden muss. Inwiefern das Buch später von diesem Vorgehen profitieren wird, ist zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht abzusehen, so dass manch einer sich sicherlich wundern wird, warum das Setting erst in aller Ausführlichkeit, bisweilen auch ein bisschen kompliziert aufgebaut wird. Nach geraumer Zeit – sobald die Dynamik der Geschichte ins Rollen kommt und für den Außenstehenden ersichtlich ist – schließt sich diesbezüglich jedoch der Kreis. Die persönlichen Merkmale der Schicksalsträger gewinnen inhaltlich Gewicht und forcieren schließlich auch die Entwicklung des Romans, der mit dem undurchschaubaren Spiel Voiatas einerseits an Würze und Spannung gewinnt, aufgrund der intelligent konstituierten Action schließlich aber auch wieder den Anschluss zum bekannten, geliebten „Shadowrun“-Universum gewinnt.
Brisant bleibt die Story jedoch allemal, nicht zuletzt weil Wichert wagemutig über den eh schon breiten Tellerrand des Genre-Kosmos hinausschaut und auch Themen anschneidet, die auf den ersten Blick gar nicht so recht in eine solche Story hineinpassen wollen. Voiatas merkwürdige sexuelle Neigungen sind hier zum Beispiel ein wesentliches Element, das perspektivisch eher in einen Thriller einzuordnen wäre, sich aber überraschend gut in die Entwicklung der Geschichte einbinden lässt, unterdessen sogar die Dramaturgie noch einmal wesentlich erweitert. Von den toll inszenierten Flashbacks des Hauptdarstellers und der generell sehr prickelnden Erzähl-Atmosphäre mal ganz zu schweigen …
Insofern darf man dem populären Autor zweifelsohne bescheinigen, die Grenzen des Genres innovativ ausgedehnt und einen Beitrag zum Themenkomplex „Shadowrun“ geleistet zu haben, der durch eine ganze Reihe interessanter Neuerungen auch komplett neuen Schwung in die bisweilen durchaus limitierte Serie gebracht hat. „Fatimas Tränen“ gehört auf jeden Fall zu den besten Titeln, die parallel zum erfolgreichen Rollenspiel in den letzten beiden Jahren veröffentlicht wurden, und überzeugt vor allem mit einer Palette überaus faszinierender Charaktere.
Dieser zweite deutsche Tiptree-Band versammelt die ersten Geschichten der Autorin, die sie veröffentlichte und die in der SF-Gemeinde zwischen 1968 und 1971 für Furore sorgten. Zusammen mit dem Band „10.000 Lichtjahre von zuhaus“ (|Heyne| SF-Band 3462) erschienen die Geschichten unter dem Titel „10.000 Lichtjahre von zuhaus“ später in der SF-Bibliothek des |Heyne|-Verlags.
|Die Zeit-Verschwörung|:
Band 1: [„Imperator“ 3516
Band 2: _“Eroberer“_
Band 3: „Navigator“ (2008)
Band 4: „Weaver“ (2008/09)
Britannien, im Jahre 607 nach Christus: Der Halleysche Komet zieht über den blassen Himmel über London und erschreckt die Sachsen, die sich über die Hinterlassenschaften der Römer hermachen und das Land in Besitz nehmen. Der junge Sachsenkrieger Wuffa erfährt von einer uralten Prophezeiung, dem Menologium der Isolde, die der „der letzte Römer“ genannte Ambrosias im Norden bewahrt. Dieser teilt die Prophezeiung mit ihm und seinem Freund Ulf sowie Sulpicia, einer hübschen Britannierin, die sie zu Rivalen um ihre Gunst macht.
Die Prophezeiung erschreckt ihn, denn Teile davon sind anscheinend bereits eingetreten: Der Wolf des Nordens, der den Bären erlegt, muss sich auf die Sachsen und Nordmänner beziehen, die König Artus besiegten. Doch was ist die Insel, die doch nicht Insel ist, Schild und doch nicht Schild? Was sind die Drachenklauen aus dem Osten, welches Blut mischt sich, welcher Drache muss das Haupt neigen?
Bis hin ins Jahr 1066, dem Datum der Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer, reicht die Prophezeiung. Doch hier versagt die Prophezeiung des geheimnisvollen „Webers“ zum ersten Mal – das zehntausendjährige „Arierreich reinen Blutes aus dem Norden zu Christi Ruhm“ entsteht nicht, Wilhelm ist 1066 siegreich in der Schlacht von Hastings. So sinnieren der Wikinger Orm und der Priester Sithric bei der Krönung Wilhelms: |“Das hier ist falsch. Wir sind in der falschen Zukunft, mein Freund. Und nun werden wir sie nicht mehr los.“ „Hätte es denn anders kommen können?“ „Du warst doch dabei, Wikinger. Du weißt, wie wenig gefehlt hat …“|
_Stephen Baxter_
Der Engländer Stephen Baxter (* 1957) ist bekannt für seine naturwissenschaftlich fundierten Science-Fiction-Romane. Seit 1995 arbeitet Baxter hauptberuflich als Autor und wurde seitdem mit zahlreichen renommierten SciFi-Preisen wie dem |Philip K. Dick Award| und unter anderem auch dem deutschen |Kurd-Laßwitz-Preis| ausgezeichnet.
Doch Baxter ist kein Technomane, er ist vielmehr ein Visionär. Er scheut sich nicht, Handlungsbögen aus tiefster Vergangenheit über die Gegenwart bis hin in die ferne Zukunft zu schlagen, wie er es bereits in seiner |Kinder des Schicksals|-Trilogie getan hat.
Dies tut er auch in der |Zeit-Verschwörung|, die ich treffender dem Genre Alternate History denn der Science-Fiction zuordnen möchte. Das Zeitalter der Römer in Britannien und seinen Niedergang behandelte er im ersten Band, in „Eroberer“ zeigt er den Aufstieg und Fall der germanischen und nordischen Stämme. Dabei macht er die Schlacht bei Hastings 1066 als den Dreh- und Angelpunkt der Prophezeiung fest; Harold Godwinson hat es in der Hand, die Prophezeiung des Webers zu erfüllen und die Tür für die prophezeite zehntausendjährige glorreiche nordische Zukunft Britanniens aufzustoßen. Doch der Normanne Wilhelm siegt, der Plan des ominösen „Webers der Zeit“, von dem die Prophezeiung stammt, erfüllt sich nicht. Oder etwa doch?
_Britannische Geschichte häppchenweise_
Das Menologium der seligen Isolde gibt verschlüsselt Auskunft über bedeutende geschichtliche Ereignisse. Anhand der Wiederkehr des Halleyschen Kometen werden exakte Datumsangaben gemacht, zum Beispiel über das Jahr der Plünderung von Lindisfarne durch die Wikinger. Das sorgt für einen sehr episodischen Charakter des Buchs; mit Ausnahme der abschließenden Episode um Wilhelm den Eroberer sind die anderen eher kurz gehalten. So wechseln sich die Hauptcharaktere recht schnell ab; interessanterweise fallen ihre Nachkommen wie bereits im Vorgänger der Sklaverei anheim, können aber dennoch die Prophezeiung bewahren und weitergeben. Besondere Sympathien für die Handlungsträger können sich so leider nicht entwickeln, dafür wird man mit einer kurzweiligen Rundreise quer durch Höhepunkte der britannischen Geschichte verwöhnt, die Baxter sorgfältig recherchiert hat.
Nach wie vor bleiben jedoch die Motive des „Webers“ im Dunklen. Das großartige britannische Reich der Zukunft unter Harold Godwinson ist gescheitert, Wilhelm regiert jetzt das Land. Die Prophezeiung fällt einem maurischen Sklaven in die Hände, der sie nach Spanien bringt, wo der nächste Band des Zyklus („Navigator“) zum ersten Mal außerhalb Englands spielen wird, mit Kolumbus‘ Entdeckung der Neuen Welt als zentralem Thema. Es stellt sich jedoch, insbesondere für Science-Fiction-Leser, die Frage, ob hier nicht Etikettenschwindel betrieben wird. Für einen Thriller reicht der mysteriöse „Weber“ im Hintergrund nicht aus, Science-Fiction-Elemente sind auch nicht vorhanden, stattdessen liefert Baxter einen reinrassigen historischen Episodenroman.
_Fazit:_
Quo vadis, Baxter? Die Prophezeiung entspricht exakt den historischen Tatsachen, Überraschungen gibt es keine. Auch der Grad der Beeinflussung der Hauptcharaktere durch die Kenntnis der Prophezeiung wird in diesem Buch im Unterschied zu „Imperator“ nicht thematisiert, gewisse Elemente wie der Abstieg in die Sklaverei und die Bewahrung der Prophezeiung trotz aller Widrigkeiten hingegen wiederholen sich.
Im Vergleich zum Vorgänger bietet Baxter nichts Neues, die Charaktere sind weniger memorabel und bis auf die Wilhelm-Episode erzählt er auch kaum eine eigene Geschichte, sondern käut nur bekannte Historie wieder. Das ist mir einfach zu wenig. Baxter scheint erpicht darauf zu sein, ein kleines bisschen historischen Roman in jeder Epoche der britannischen Geschichte unterzubringen, wirklich interessante Aspekte wie einen möglichen Sieg Harold Godwinsons bei Hastings, was diesen Roman zu einer Alternate History Novel machen würde, verkneift er sich jedoch. Im Genre des historischen Romans muss sich Baxter jedoch mit anderen Autoren messen, denen er mit diesen von einer Prophezeiung zusammengehaltenen historischen Episoden-Häppchen meiner Ansicht nach, trotz vorzüglicher Recherche, nicht das Wasser reichen kann. Und alleine diese reicht bei weitem nicht aus, diese Serie als Science-Fiction zu klassifizieren. Hoffentlich lässt der „Weber“ im nächsten Band ein wenig mehr von seinen Absichten erkennen – das Episoden-Schema alleine kommt nicht über Mittelmaß hinaus.
Einzig die Übersetzung (insbesondere der Prophezeiung, unter Beibehaltung des Akrostichons) verdient ein Extralob: Peter Robert leistet, mittlerweile fast schon wie gewohnt, exzellente Arbeit.
Die Bevölkerung unserer Erde besteht zu über neunzig Prozent aus Werwölfen, den so genannten Lykos. Die Nicht-Lykos, die „Nons“, werden abschätzig als Glatthäute bezeichnet und als Missgeburten angesehen. Sämtliche Nicht-Werwölfe müssen später bei der ASÜLA arbeiten, dem Amt zur ständigen Überwachung lykanthropischer Aktivitäten.
Zu dieser Behörde gehört auch Lola Galley, die als Anwältin und Fängerin bei ASÜLA tätig ist. Jetzt muss sie die Verteidigung eines gewissen Ellaway übernehmen, der es als Werwolf angeblich nicht mehr schaffte, bei Einbruch der Vollmondnacht einen geeigneten Schutzbunker aufzusuchen. Als Lyko überfiel er Lolas Partner Johnny Marco und biss ihm eine Hand ab. Doch der Fall erhält eine völlig neue tragische Dimension, als Johnny plötzlich erschossen wird – mit einer silbernen Kugel! Bricht hier der schon lange unterschwellig gärende Hass der Lykos gegen die Minderheit der Nons an die Oberfläche?
Kurz darauf wird bei einem Fängereinsatz, bei dem in Vollmondnächten streunende Werwölfe aufgriffen werden, auch Lolas neuer Partner, ein Praktikant, schwer verwundet. Der Täter Seligmann wird von Lola und einem weiteren Auszubildenden verhört. Wenig später wird auch dieser Azubi mit einer Silberkugel erschossen.
Lola Galley verstrickt sich nicht nur in den Machenschaften ihres eigenen Amtes, sondern muss auch die innere Kluft zwischen Nons und Lykos überwinden, um den Fall zu lösen. Dass sie sich in den Lyko Paul Kelsey, einen Sozialarbeiter, verliebt, scheint ihr zunächst dabei zu helfen. Doch dann gehört Paul plötzlich zu den Hauptverdächtigen und Lolas Welt bricht endgültig zusammen …
Eine höchst interessante alternative Realität hat Kit Whitfield hier in ihrem Debütroman entworfen, der am ehesten zur Social-Fantasy gerechnet werden muss. Die Handlung spielt in einer Großstadt in der Gegenwart, in welcher alles so ist, wie wir es kennen, nur mit dem Unterschied, dass die meisten Menschen Lykanthropen sind.
Einfühlsam versteht es Whitfield, die Kluft zwischen den Werwölfen und den „Nons“ herauszuarbeiten, und benutzt die Lykanthropie als gelungene Metapher auf unsere eigene Gesellschaft, nur dass bei Whitfield die „normalen“ Menschen die Minderheit bilden. Wurde der Werwolf bislang in der phantastischen Literatur meistens als Einzelgänger oder Verfluchter dargestellt, so dreht die Autorin dieses Mal den Spieß um und zeigt dem Leser eine Welt, in der es von Nachteil ist, ein gewöhnlicher Mensch zu sein. Wobei diese Normalität gänzlich im Auge des Betrachters liegt und in Whitfields Vision eben darin besteht, die Gabe der Metamorphose zu besitzen. Allerdings können die Werwölfe ihre Verwandlung nicht steuern, sondern sind gänzlich dem Mondzyklus ausgeliefert.
Gekonnt zeigt die Schriftstellerin auf, wie paradox eine Gesellschaft auf Andersartigkeit reagieren kann. Obwohl die „Nons“ verpönt und geächtet werden, sind sie ein wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen Systems. Damit sich die Lykanthropen während der Vollmondnächte nicht gegenseitig zerfleischen oder Nons anfallen, müssen sie sich bei Vollmond in Schutzbunker flüchten, wo sie sich in Ruhe austoben können. Vereinzelte Streuner werden von Angehörigen der ASÜLA eingefangen. Gerade deshalb ist die Minderheit der Nicht-Werwölfe für eine Gesellschaft, die sich bei Vollmond fast komplett in eine Horde wilder Tiere verwandelt, von unermesslichem Wert. Hier zeigt die Schriftstellerin realitätsnah die Schizophrenie dieser Gesellschaft. Da die Mehrheit sich in Werwölfe verwandelt, wird abschätzig auf jene hinabgeschaut, die diese Fähigkeit nicht besitzen und somit unnormal sein müssen. Verhaltensweisen, die auch auf unsere Lebensgemeinschaft durchaus zutreffend sind und immer wieder beobachtet werden können.
Die Protagonistin des Romans, Lola Galley, ist eine solche „Non“ und bei der ASÜLA als Anwältin und Fängerin beschäftigt. Als Nicht-Werwölfin hat sie wie alle Nons keine leichte Kindheit gehabt, und auch in ihrem Berufsleben leidet sie unter ihrer Andersartigkeit. Whitfield hat es hervorragend verstanden, den zynisch-depressiven Charakter von Lola glaubhaft herauszuarbeiten. Lola berichtet ihre Erlebnisse aus der Ich-Perspektive, was die Suche nach dem Täter spannender gestaltet, da der Leser genauso im Dunkeln tappt wie die Protagonistin selbst, dafür wird er aber auch mit den düsteren und schwermütigen Gedanken Lolas hautnah konfrontiert. Das macht die Lektüre bisweilen ein wenig langatmig und trostlos, denn Optimismus gehört nicht zu den Eigenschaften von Whitfields Hauptfigur.
Wer aufgrund von Titel, Cover oder auch dem Klappentext einen reißenden Werwolf-Schocker im Stil von „Der Mr.-Hyde-Effekt“ oder „Underworld“ erwartet, wird sicherlich enttäuscht sein. Dieses Buch lotet das gesamte Spektrum der Möglichkeiten aus, die ein solches alternatives Szenario zu bieten hat, und vermeidet die simple Darstellung von Gewalt und Action. Der Roman ist stellenweise sehr beklemmend, wenn die Verhörmethoden der ASÜLA geschildert werden, die stellenweise starken Gestapo-Charakter aufweisen. Auch hier wird die Ohnmächtigkeit der Minderheit der Nons gegenüber der Mehrheit der Werwölfe deutlich. Die Angehörigen der ASÜLA nutzen die Verhöre oftmals, um Frust und Hilflosigkeit abzubauen. Der Leser wird direkt mit der dunklen Seite der menschlichen Seele konfrontiert, wenn sich selbst die Ich-Erzählerin Lola solcher Methoden bedient, auch wenn sie mit Gewissensbissen zu kämpfen hat.
Die Eingliederung in ein Genre war selten so schwer wie bei diesem Werk, und die oben erwähnte „Social-Fantasy“ wird diesem Buch nicht ganz gerecht. Es ist kein Horror-Roman, keine Kriminalgeschichte und auch keine „Fantasy“. Es steckt sowohl ein Liebesroman als auch eine gelungene Gesellschafsstudie in diesem Werk. Ein hochaktueller und sehr brisanter Roman, der mit Sicherheit nicht verfilmt werden wird.
Die Aufmachung ist dem Verlag hervorragend gelungen. Als Relief erhebt sich der Titel unter einem vollen, strahlenden Mond, über den sich die blutigen Kratzer eines wilden Prankenhiebs erstrecken. Hier wird dem Leser vielleicht eine gänzlich andere Story suggeriert, aber im Nachhinein ist das Motiv dennoch passend ausgewählt worden und funktioniert als Gleichnis zur angeschlagenen Seele einer Nicht-Werwölfin.
_Fazit:_ Ein faszinierender Erstling aus der Feder von Kit Whitfield. Die alternative Realität, in der die meisten Menschen in den Vollmondnächten zu Werwölfen mutieren, wird hier als gelungene Metapher auf die heutige Gesellschaft und ihre Reaktion auf Minderheiten angewendet. Wolfsspur ist kein Horror-Roman, sondern vereint vielmehr die Hauptgenres der Literatur zu einem düsteren, pessimistischen Werk voller Gefühl und Spannung. Dem innerlich zerrissenen Charakter der Protagonistin wird dabei viel Aufmerksamkeit geschenkt.
„Wolfsspur“ ist ein Buch für Freunde anspruchsvoller Fantasy- und Horrorliteratur; Fans von Kriminal- und Liebesgeschichten kommen ebenfalls auf ihre Kosten. Allerdings hat der Roman auch seine Längen, und der Zynismus und Pessimismus der Hauptfigur bleiben nicht ohne Wirkung auf den Leser.
Die Großen der Science-Fiction werden mit ihren Meisterwerken bereits in der sogenannten „Science Fiction Hall of Fame“ verewigt, welche natürlich in Buchform veröffentlicht wurde (statt sie in Granit zu meißeln). Daher können Freunde dieses Genres noch heute die ersten und wichtigsten Errungenschaften in der Entwicklung eines Genres nachlesen und begutachten, das inzwischen die ganze Welt erobert und zahlreiche Medien durchdrungen hat.
In der vorliegenden Ausgabe des Auswahlbandes Nr. 6 von „Titan“, der deutschen Ausgabe der „SF Hall of Fame“, sind Novellen von Heinlein, Lester del Rey und Stanley G. Weinbaum und John W. Campbell gesammelt.