Archiv der Kategorie: Historisches

Stephen Lawhead – Scarlet – Herr der Wälder (Rabenkönig 2)

Die Rabenkönig-Trilogie:

Hood – König der Raben
Scarlet – Herr der Wälder
Tuck (Januar 2009, US-Ausgabe)

Stephen Lawhead (* 1950) setzt seine historisch fundiert recherchierte Fassung der Legenden um Robin Hood auf interessante Weise mit einem erzählerischen Kniff fort:

Der titelgebende Will Scarlet, Vertrauter des Rabenkönigs Rhi Bran y Hud, sitzt im Gefängnis und wartet auf seine Hinrichtung. Nur der Verrat am Rabenkönig und seinen Gefährten könnte ihn vor Abt Hugos Zorn retten. Scarlet diktiert Bruder Odo seine Geschichte, und beide werden allmählich Freunde, denn Scarlet denkt gar nicht daran, Hugo oder den Sheriff mit Informationen zu versorgen. Er schildert Odo, wie sein Thane Aelred entmachtet und er zum Geächteten wurde, wie er sich dem Rabenkönig anschloss und schließlich gefangen gesetzt wurde.

Erst nach dieser Rückschau setzt die weiterführende Handlung des zweiten Bandes ein:

Rhi Brans Männer haben einen an den Papst adressierten Brief erbeutet, dessen Inhalt sie vorerst nicht richtig deuten können. Dieser ist jedoch brisant und grenzt an Hochverrat: Einige der Barone von König Wilhelm Rufus kochen lieber ihr eigenes Süppchen als treu zu ihrem Lehnsherrn zu stehen. Auch die Familie de Braose ist in das Komplott verwickelt, und Bran sieht die lang erwartete Gelegenheit gekommen, sein Erbland Elfael zurückzugewinnen und die Gnade und Gerechtigkeit des Königs zu erlangen.


Meine Eindrücke

Da dies der zweite Band einer Trilogie ist, kann man erahnen, dass Rhi Bran/Robin und der König differierende Auffassungen von ‚Gerechtigkeit‘ haben. Historisch wurde Wilhelm Rufus von dem verirrten Pfeil eines Untergebenen niedergestreckt; nach dem Ende des zweiten Bandes bin ich mir sehr sicher, dass es sich in dieser Trilogie nicht um ein Versehen handeln wird. Aber in „Scarlet“ wird der König überleben; die Eskalation des Kampfes zwischen dem König, dem Sheriff und Robin Hood wird erst im abschließenden Band „Tuck“ stattfinden.

Der erste Teil des Buches behandelt das Leben William Scatlockes, der sich selbst Scarlet nennt – aufgrund seines Namens, nicht wegen einer besonderen Vorliebe für die Farbe. Er wird nie in scharlachroter Montur auftreten, wie dies in diversen Filmfassungen der Fall ist. Diese Romanpassage langweilte mich ein wenig, denn so nett und interessant Scarlets Geschichte auch sein mag, die Erzählung vom brutal durch die Normannen enteigneten Waliser, der daraufhin zum Geächteten wird und in die Wälder flüchtet, wurde im ersten Band bereits erzählt. Robin und Scarlet sind beide erstklassige Bogenschützen, auch sonst sind sie sich sehr ähnlich, sowohl in ihrer Geschichte als auch in ihrem Charakter.

Erst als die Sprache auf den Brief kommt, läuft „Scarlet“ zur Höchstform auf. Mit Sir Guy de Gysburne und Richard de Granville, dem Sheriff, treten notorisch berühmt-berüchtigte Figuren der Legenden um Robin Hood auf. Auffallend ist, dass Granville zwar Sheriff, aber nicht der Sheriff von Nottingham ist. Hier möchte ich daran erinnern, dass Lawhead die Handlung in das walisische Grenzgebiet verlegt hat. Im Gegensatz zu anderen Fassungen sind der Sheriff und Sir Guy auch nicht ein Herz und eine Seele oder Herr und Untergebener. Sir Guy und seine Ritter dienen dem ehrgeizigen Abt Hugo, nachdem sie von Robin überfallen und ausgeraubt wurden, ihren Baron enttäuschten und Guys Karriere in dessen Diensten beendet war. Er ist dem Sheriff nicht direkt unterstellt, obwohl dieser sehr oft nach Gysburne ruft.

Ziemlich zurückgenommen hat Lawhead den Groll, den Gysburne gegen Robin hegt. Er dient jetzt dazu, zwei verschiedene Arten von Grausamkeit und Unrecht zu zeigen, unter denen die Waliser zu leiden haben: So töten die jungen Ritter Guys nach einer frustrierend erfolglosen Jagd ein paar Tiere aus der Herde eines walisischen Hirten. Er lässt sie gewähren und schlägt den ihn um Gerechtigkeit anflehenden Hirten nieder. Er hat keine besondere Beziehung zu den Bewohnern oder dem Land, in dem er jetzt dient und lebt. Sie sind ihm völlig egal. Die Grausamkeit des Sheriffs ist anderer Natur: Er kennt die Regeln der Macht und setzt das Gesetz mit erbarmungsloser Härte durch. Bewusste Abschreckung durch Terror und ein Hang zum Sadismus zeichnen ihn aus, der dem gedankenlos brutalen Guy fehlt. Sir Guy kennt Ritterehre; er nimmt es den Sheriff übel, wenn er Wort bricht und Gefangene trotzdem hängen will, obwohl er ihnen zuvor Versprechungen gemacht hat.

Der weitere Verlauf ist geradezu klassisch: Der Sheriff jagt Robin, doch er erwischt ihn nicht. Robin versucht einmal sogar, den betrunkenen Sheriff zu entführen, und schleppt ihn wie einen nassen Sack über der Schulter mit sich. Verkleidet unter den Männern des Sheriffs, schlägt er ihnen so manches Schnippchen, und es kommt sogar zu einem Bogenschießen mit Sir Guy, obwohl es kein direkter Wettbewerb zwischen den beiden sein wird. Besonders interessant wird die Geschichte, als Robin sich in die Dienste des Königs stellt: Sein Erbland Elfael gegen die Aufdeckung einer Verschwörung gegen Wilhelm Rufus. Dieser ist leider, wie bereits erwähnt, kein edler Richard Löwenherz. So entledigt sich Robin zwar der Familie de Braose, sein Land erhält er dennoch nicht zurück:

|“Nach einer angemessenen Zeit des Nachdenkens ist der König zu dem Schluss gekommen, dass es nicht im besten Interesse der Krone ist, Elfael zu diesem Zeitpunkt wieder unter walisische Herrschaft zu stellen.“ „Und was wird aus uns?“, schrie Bran, der nun sichtlich wütend wurde. „Das ist unser Land – unsere Heimat! Man hat uns Gerechtigkeit versprochen!“

„Gerechtigkeit“, erwiderte der in Seide gewandete Bischof kühl, „habt ihr auch bekommen. Euer König hat ein Urteil gefällt. Sein Wort ist Gesetz.“
(…)

Gysburne war der Einzige, der diese Katastrophe amüsant fand – er und ein paar der nicht ganz so klugen Soldaten bei ihm.| (S. 444/446)

Ich hoffe etwas klüger zu sein als die Soldaten Gysburnes, aber als Leser finde auch ich die Situation köstlich. Erst jetzt wird Robin Hood vom lästigen Räuber zum ernsthaften Problem, eine Eskalation und das Aufeinanderprallen von Sheriff, Gysburne und Robin unvermeidlich. Und auch mit dem König und Abt Hugo wird noch abgerechnet. Viel Stoff also für den abschließenden Band, der wieder von einer anderen Person – dem aufgrund der Ernährung im Wald nicht mehr ganz so dicken Mönch Tuck – erzählt werden wird.

Fazit

Erwähnenswert ist auch das neue Erscheinungsbild der Trilogie: „Scarlet“ verwendet dasselbe moderne und hübsch anzusehende Titelbild wie die amerikanische Fassung. Auch wenn mir dieser Stil persönlich besser gefällt als der des ersten deutschen Bandes „Der König der Raben“, ist es dennoch ärgerlich, dass das Erscheinungsbild der Trilogie verändert wurde. „Der König der Raben“ ist jetzt im neuen Einband unter dem leicht veränderten Titel „Hood – König der Raben“ erhältlich.

Bei der wie üblich lobenswerten Übersetzung von Rainer Schumacher fielen mir einige Schludrigkeiten bei der Namensgebung auf: Baron Neumarché heißt jetzt Baron Neufmarché (im ersten Band Neumarché), das englische William und das deutsche Wilhelm werden wahllos miteinander gemischt und vermischt für ein- und dieselbe Person, und aus Guy von Gysburne wird manchmal auch Guy de Gysburne. Die verschiedenen Stadien der Verballhornung von Rhi Bran y Hud über Rhi Bran Hud zu Riban Hud und schließlich Robin Hood sensibilisieren für die Namensgebung, und es mag gut möglich sein, dass im Original Gysburne von normannischen Adeligen als „de Gysburne“ und von den Walisern als „von Gysburne“ bezeichnet wird, allerdings konnte ich diese mögliche Unterscheidung im Text der deutschen Übersetzung nicht nachvollziehen und die Verwendung erschien mir wie bei William/Wilhelm sehr willkürlich.

Auch wenn mir der Charakter Will Scarlet wie ein schwächeres Abziehbild Robin Hoods erscheint, kompensieren die späteren Auftritte des Sheriffs und die Handlung um den politisch brisanten Brief für diese gewisse Redundanz zum ersten Band. Es wird nicht mehr so viel Hintergrund über die Lage im Land dargelegt, nur wenige, spärlich kurze Passagen werden noch aus der Sicht der normannischen Adeligen erzählt. Das habe ich ein wenig vermisst, dafür gibt es jetzt mehr äußere Handlung – es wird erfrischend viel gekämpft, intrigiert und getrickst.

Zu meiner großen Freude scheint der Abschlussband aufgrund des Cliffhangers, in dem Abt Hugo Sir Guy de Gysburne gezielt auf die Jagd nach Robin schickt, noch mehr davon zu bieten. Stephen Lawhead, obwohl – wie seit Anfang 2007 bekannt ist – an Krebs erkrankt, geht es nach eigenen Angaben wieder besser, und die Ankündigung im Nachwort der deutschen Übersetzung (der abschließende Band könne aufgrund gesundheitlicher Probleme eine Weile auf sich warten lassen) ist somit überholt. „Tuck“ erscheint im US-Original am 10. Februar 2009; über den Erscheinungstermin der Übersetzung ist noch nichts bekannt.

Gebunden: 461 Seiten
Originaltitel: Scarlet
Ins Deutsche übertragen von Rainer Schumacher
ISBN-13: 978-3-7857-2341-8

http://www.stephenlawhead.com
http://www.luebbe.de

_Mehr von Stephen Lawhead auf |Buchwurm.info|:_

[Hood – König der Raben
[„Der Sohn des Kreuzfahrers“
[„Der Gast des Kalifen“
[„Die Tochter des Pilgers“
[„Taliesin“
[„Empyrion – Die Suche“
[„Empyrion – Die Belagerung “
[„Der Sohn der grünen Insel“

Kammerer, Iris – Varus

„Varus, gib mir meine Legionen zurück“, soll Kaiser Augustus gerufen haben, als er von der Vernichtung seiner drei Legionen im fernen Germanien hörte. Im Herbst 2009 jährt sich die [Varusschlacht]http://de.wikipedia.org/wiki/Varusschlacht zum zweitausendsten Male. Die Diskussion um den Schauplatz der Schlacht wird immer wieder kontrovers geführt. Die heutige Forschung favorisiert Kalkriese bei Bramsche im Landkreis Osnabrücks als den Ort, an dem die dreitägige Vernichtungsschlacht stattgefunden haben soll. Doch auch andere Landkreise und Gemeinden lassen die Diskussion um die Lokalisierung immer wieder aufleben.

Spektakulär und aufregend sind in jedem Fall die Funde an Waffen, Münzen, Ausrüstung und Alltagsgegenstände in Kalkriese, die auch dort im Museum zu bestaunen sind. Auch Knochen von Tieren und Menschen hat man in verschiedenen Gruben auf dem Gelände in der unmittelbaren Nähe eines künstlich errichteten Walles gefunden. Diese Schädel tragen eindeutige Kampfspuren – ein Beweis für die Theorie des endlich gefundenen Schlachtfeldes oder nur ein Indiz dafür, dass hier eine kleinere Gruppe von versprengten Legionären den Tod fand?

Als gesichert kann es angesehen werden, dass drei Legionen des Statthalters [Publius Quinctilius Varus]http://de.wikipedia.org/wiki/Publius__Quinctilius__Varus sowie Hilfstruppen und ziviles Personal, Handwerker, und auch der Tross des Zuges, der aus Frauen und Kindern der Legionäre bestand, bis auf wenige Überlebende abgeschlachtet wurden. Drei Legionen zusammen mit den Hilfstruppen (drei Reiterabteilungen und sechs Kohorten) entsprechen ca. 20.000 Mann, wie es die Quellenlage berichtet, dazu kommt noch der Tross mit mehreren tausend Zivilisten. Römische Historiker berichten von einer beispiellos grausamen Schlacht, in der keine Gnade gewährt wurde. Römische Offiziere, die lebend in die Hände der Germanen fielen, wurden als Blutopfer den germanischen Göttern geweiht. Es gehörte wohl zur Strategie des Arminius, die besiegten Gegner abzuschrecken.

Die eigentliche Frage, die sich stellt, ist jedoch: Wie konnte diese Vereinigung der germanischen Stämme, die auch untereinander, alles andere als friedlich miteinander umgingen, gelingen? Welch tiefes Vertrauen muss Varus gegenüber [Arminius]http://de.wikipedia.org/wiki/Arminius – der immerhin die römische Staatsbürgerschaft besaß und dort den Rang eines Ritters innehatte – empfunden haben, galt Varus doch als politisch erfahrener Stratege, der schon im fernen Osten ein Gebiet sozusagen ‚befriedet‘ hatte? War es Blindheit, Dummheit oder pure Arroganz und Überheblichkeit?

Die Autorin Iris Kammerer hat sich in ihrem Roman „Varus“, erschienen im |Heyne|-Verlag, genau diese Frage gestellt und nach einer Antwort darauf gesucht.

_Inhalt_

Im Herbst des Jahres 9 n. Chr. war Germanien mit seinen vielen unterschiedlichen Stämmen zwar nicht befriedet, aber doch von der römischen Weltmacht unterworfen. Es entstanden die ersten Siedlungen, die sich später zu großen Städten entwickeln sollten, z. B. Bonna (Bonn), Confluentes (Koblenz) und Bingium (Bingen). Germanische Hilfstruppen dienten an der Seite der römischen Legionen, und selbst junge Anführer aus den Reihen der Germanen erhielten hohe Dienstgrade, Macht und Geld, so dass sie juristisch faktisch römische Bürger, gar Ritter wurden.

Arminius, ein Fürst der Cherusker, wurde schon als Jugendlicher den Armen seiner germanischen Eltern entrissen und als Geisel einer römischen Erziehung unterzogen. Als ausgebildeter römischer Offizier erkämpfte er sich in einigen Feldzügen Loyalität und hohes Ansehen in den Augen seiner Vorgesetzten und Gönner. Trotz seiner militärischen Ausbildung und seiner in Kämpfen erlernten römischen Strategien und Taktiken vergaß er doch nie seine cheruskerischen Wurzeln.

Als er den römischen Staathalter Publius Quinctilius Varus in Germanien kennenlernte, gewann er nach und nach das Vertrauen des älteren und erfahrenen römischen Senators und Politikers. Varus setzte in Germanien unter seinem Oberbefehl strikt seinen eigenen Willen durch; Gesetze, Steuern und Tribut wurden von den Stämmen eingefordert, und ehemalige Bundesgenossen wurden durch die Repressalien zunehmend kritischer und unzufriedener.

Als Segestes, ebenfalls ein Fürst der Cherusker, Varus davor warnt, dass germanische Fürsten vereint unter Arminus den Aufstand gegen die römische Besatzung planen, glaubt Varus ihm kein Wort. Im Gegenteil, er wird sogar ärgerlich, und auch seine hellhörigen Stabsoffiziere, die diese Warnung ernster als der Statthalter nehmen, werden ignoriert. Selbst als Varus den vermeintlichen Verräter zur Rede stellt und dieser die Anklage ins Lächerliche zieht, kommen dem Statthalter keine Zweifel.

Annius, ein ehemaliger römischer Legionär, der nach einer Verletzung nun als Schreiber im Generalsstab tätig ist, findet ebenfalls Hinweise und ihm fallen Merkwürdigkeiten auf, und auch einzelne ihm bekannte Offiziere sehen sich hilflos einem möglichen Aufstand ausgesetzt. Als Annius Mitleid mit der germanischen Sklavin Thiudgif hat und diese bei einem Würfelspiel gewinnt, sieht er endlich in seinen Leben wieder eine Aufgabe, vielleicht sogar eine Zukunft, für die es sich zu leben lohnt.

Trotz aller Warnungen, Anzeichen, Hinweise und laut ausgesprochenen Zweifeln der Offiziere setzt sich Varus durch und zieht mit seinen drei Legionen und den germanischen Hilfstruppen in das Winterhauptquartier in der Nähe von Xanten. Langsam und schwerfällig setzen sich die Legionen mitsamt dem Tross in Bewegung. Der Weg ist beschwerlich und führt über schmale Pfade durch Moore und an Sümpfen vorbei. Dichte Wälder machen es unmöglich, das Gelände strategisch klug überblicken zu können. Hinzu kommt noch der anhaltende Regen, der die Wege schlüpfrig und die Kleidung der reisenden Legionen schwer und klamm macht.

Es kommt zu schweren Kämpfen, die Nachhut der Legionen wird immer wieder in kleinere Kämpfe verwickelt. Germanische Bogenschützen nehmen aus dem Schutz der Wälder heraus den Tross und die Soldaten unter Beschuss und machen keinen Unterschied zwischen Römern und Germanen, die als Angehörige den Zug begleiten.

Diese Taktik erschrickt die römischen Veteranen, und sie ahnen, dass sich die Warnungen des Segestes nun bewahrheiten. Das mitgeführte Kriegsgerät und die Wagen mit Materialien für eventuelle Befestigungsanlagen werden von den aufständischen Germanen vernichtet. Angst macht sich breit, nicht nur unter den Legionären, denn auch ihre Frauen und Kinder sind Ziel der brutalen und rücksichtslosen Angriffe, die oftmals aus dem Hinterhalt kommen.

Auch Annius wird in die Kämpfe verstrickt und muss sich vom Tross und von Thiudgif trennen, um einen letzten Befehl des Varus zu befolgen. Thiudgif dagegen flieht zusammen mit einer Schar Frauen in die Wälder, um auf eigene Faust entweder zu ihrem Vater zu gelangen oder aber eine römische Festung erreichen zu können. Die Verluste an Soldaten und Ausrüstung nehmen dramatisch zu, und durch einen Boten des Arminius wird Varus nun auch klar, dass er zusammen mit über 20.000 Männern, Frauen und Kindern mit einer gnadenlosen Schlacht konfrontiert werden wird, die in einer tödlichen Falle enden muss, und er allein ist dafür verantwortlich …

_Kritik_

Iris Kammerer hat der Tragödie um Varus eine erzählerische Wucht verliehen, die unter die Haut geht. Eher langsam, aber vielseitig konfrontiert sie die Leser mit dem Verdacht eines Verrats und führt ihre dramatischen Protagonisten konzentriert und wohlüberlegt in die Handlung ein.

Aus fast jeder Perspektive kommen die Einzelschicksale vor dem Leser zur Entfaltung. Annius, der sich nach Ruhe innerhalb einer Familie sehnt und nach seiner Verletzung noch immer nicht weiß, welchen Weg er gehen muss, ist genauso verloren wie seine Vertraute Thiudgif, die zwischen den Kulturen leben muss und langsam ihre Sympathie für den Feind entdeckt. Anfänglich wirkt sie hilflos, verloren, unselbständig, aber mehr und mehr gewinnt sie an Selbstvertrauen hinzu, und als sie auf der Flucht in die Wälder eine Gruppe von Frauen anführt, erwachen ihre Stärke und ihr couragiertes Selbstbewusstsein.

In vielen kleinen Nebensequenzen wird dem Leser aus der Sicht von römischen Offizieren die Verzweiflung und die Angst bildlich vor Augen geführt, wenn beispielsweise ein Speerhagel auf die römischen Legionäre niedergeht oder der fast hilflose Tross unter vielen zivilen Opfern aufgerieben wird. Die Handlung, die stets spannende Dialoge bereithält, wechselt auch immer wieder in die Perspektive der kämpfenden römischen Soldaten, die atemberaubend geschildert wird.

Es gibt Momente im Buch, die den Schrecken in unserer Fantasie zum Leben erwecken. Sicherlich fehlen uns Zeitzeugen und Texte, welche die Grausamkeit dokumentieren, die die Legionäre erleben mussten, aber Iris Kammerer fängt die wahrscheinlichsten Empfindungen auf und beschreibt diese so atmosphärisch dicht, dass man fast glauben mag, selbst diese Hoffnungslosigkeit zu empfinden. Aber nicht nur die Kampfszenen, die im Detail erzählt werden, sind spannend dargestellt, sondern ebenso die Dialoge der Offiziere und einfachen Legionäre.

Arminius, der ja in seiner militärischen Laufbahn die Taktik und die Strategie der römischen Militärmacht kennengelernt und selbst erlernt hat, weiß auch um ihre Fehler und Schwächen. Selbst die psychologische Komponente ist ihm dabei nicht fremd, und er setzt gerade dieses Element skrupellos, aber bewusst ein. Eine Szene soll Beispiel von dieser Kampfsituation geben: Man stelle sich vor, es ist Nacht und die Legionen haben mehr schlecht als recht in dem unwegsamen Gelände versucht, ein Lager zu errichten; der Wald ist nur wenige hundert Meter entfernt, es regnet und ist stockfinster. Im Schein von Fackeln sieht man am Waldrand die Leichen der Frauen und Kinder in den Bäumen im Wind schaukeln, man hört die Schmerzensschreie von Frauen und Kindern, die vielleicht die eigenen sind; unter Folter werden diese verstümmelt und zur Schau gestellt. Die Legionäre können nicht viel tun; hilflos, wütend und erschreckt stehen sie erstarrt da und lauschen den letzten Lauten hilfloser Angehöriger. Ein Römer fragt den anderen: „Woher haben sie diese Grausamkeiten?“ Woraufhin der römischer Gesprächspartner und Freund leise erwidert: „Von uns!“ Wenig später werden die campierenden römischen Truppen von erbeuteten Katapulten mit Leichenteilen der Gefangenen beschossen.

Was diese Menschen durchmachten mussten in dieser mehrtägigen Schlacht, können wir uns nicht vorstellen, aber Iris Kammerer formt den Schrecken in erzählerischen Bildern, obwohl die Wahrheit noch schrecklicher gewesen sein mag, wenn wir den Historikern Glauben schenken möchten.

„Wer Wind sät, wird Sturm ernten“ – das ist eine Botschaft, die deutlich auch in „Varus“ transportiert wird. Die Eroberungspolitik und der Versuch, fremden Ländern seine Politik, Religion und gesamte Kultur aufzuzwingen, kann einfach kein gutes Ende nehmen. Die Selbstkritik der römischen Protagonisten und die Erkenntnis begangener Fehler treten auch in diesem Roman sehr hervor.

Für manche Menschen mag Arminius – oder „Hermann“ wie er manchmal genannt wird – ein Held sein, ein heroischer Freiheitskämpfer, der sich der Besatzungsmacht entledigte. Diese Meinung allerdings wird im vorliegenden Buch nicht vertreten. Arminius wird ohnedies nur wenig Raum gegeben, was auch gut so ist. In „Varus“ geht es primär um den titelgebenden Feldherrn, dessen Fehler, Dummheit oder Überheblichkeit tausende von Menschen das Leben kostete. Es geht aber auch um die Legionäre als Menschen, die feststellen, dass sie die nächsten Tage nicht überleben werden. Für Arminius empfindet man keinerlei Sympathie oder gar Verständnis, zu deutlich sind die von ihm hervorgerufenen Schrecken. Trotzdem weist die Autorin aber auch daraufhin, dass die Römer alles andere als unschuldig sind. Diese Botschaft hat Frau Kammerer wirklich großartig übermittelt.

Einziger kleiner Kritikpunkt ist, dass nicht erzählt wird, wie es weitergeht nach der Varusschlacht, welche Politik und welche Reaktionen es nach dieser Tragödie gibt und welchen weiteren Weg Arminius geht. Aber das könnte auch noch Inhaltsstoff für weitere Romane ergeben, auch wenn Frau Kammerer diese Geschichte eigentlich nicht weitererzählen möchte, beispielsweise aus der Sicht des Cheruskerfürsten Arminius. Wer mehr über die Zeit nach der Schlacht erfahren möchte, dem empfehle ich die Trilogie um den Tribun Cinna, der vor der eigentlichen Schlacht von Germanen gefangen genommen und festgehalten wird.

_Fazit_

„Varus“ ist ein historischer Roman, der wirklich gut anhand der vorliegenden Quellen recherchiert und erzählt wurde. Er ist abwechslungsreich und spricht mit einer atmosphärischer Stimme, die nicht zu überhören ist. „Varus“ ist kein leiser Roman, sondern ein Buch, das zwar Unterhaltung bietet, aber doch vielschichtig, informativ und spannend auf Aktion und Reaktion eingeht. So still auch die Einleitung zunächst erscheinen mag, so explosiv wuchtig eskaliert die Erzählung im Hauptteil, und auch der Schlussakt bildet ein gutes und nachvollziehbares Ende. Ein Nachwort, eine kleine Zeittafel und Erklärungen von Waffen und Ausrüstung sowie Alltagsgegenständen runden den Roman hervorragend ab.

Im Lauf der nächsten Monate wird es viele Romane, Sachbücher und auch Reportagen über die „Varusschlacht“ geben, die immer noch Stoff für Mythen, Legenden und geschichtlichen Überraschungen bereithält. „Varus“ von Iris Kammerer kann ich zu diesem Thema beruhigt weiterempfehlen, denn die Autorin versteht es, erzählerische Freiheiten mit Fakten zu vermischen, ihrer Leserschaft Hochspannung zu kredenzen und im Leser das Interesse daran zu wecken, mehr über das Schicksal des Publius Quinctilius Varus zu erfahren.

_Die Autorin_

Iris Kammerer, 1963 in Krefeld geboren, arbeitete nach dem Studium der Klassischen Philologie und Philosophie als Texterin, Redakteurin und Beraterin. Seit 2004 ist sie freie Autorin. Bisher erschienen die erfolgreiche Trilogie um den römischen Offizier Cinna („Der Tribun“, „Die Schwerter des Tiberius“ und „Wolf und Adler“) sowie der im Mittelalter angesiedelte Roman „Der Pfaffenkönig“. Iris Kammerer lebt zusammen mit ihrem als Sachbuchautor tätigen Mann Helmut Kammerer in Marburg.

|Taschenbuch, 464 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-47089-7|
http://www.iris-kammerer.de/
http://www.heyne.de

Braga, Alice – Dorf der Unsterblichen, Das (Die Chronik der Wölfe 1)

Das große Rätselraten darf beginnen … Einmal mehr hat ein deutscher Autor beschlossen, unter Pseudonym zu schreiben. Dieses Mal handelt es sich um Alice Braga (zugleich der Name einer Schauspielerin, die in „City of God“ und „I Am Legend“ zu sehen war), hinter der sich eine bekannte deutsche Schriftstellerin historischer Romane verbirgt. Mit „Das Dorf der Unsterblichen“ bewegt sie sich nicht besonders weit weg von ihren Wurzeln. Der Roman spielt zur Zeit der Inquisition, begibt sich aber gleichzeitig aufs Terrain der Dark Fantasy, wenn auch in der Light-Version. Nicht umsonst ist das Buch der Auftakt von „Die Chronik der Unsterblichen“, die sich, wie der Titel schon sagt, auch über andere Jahrhunderte erstrecken soll.

Es ist das Jahr 1503, und Alessando Varese, ein junger Inquisitor, wird nach Oberitalien gesandt, um den Vorgängen in dem Dorf Ascolte auf den Grund zu gehen. Man sagt, dass dort Ketzer leben, und als er dort ankommt, findet er das Götzenbild einer Wolfsmutter vor. Ob das ein erster Beweis ist? Wenig später entdeckt Alessandro in den Kirchenbüchern, dass in fast hundert Jahren nur ein Mitglied des Dorfes gestorben ist. Der verängstigte, knorrige Geistliche Virgilio weigert sich, Weiteres zu diesem Thema preiszugeben, doch Alessandro kommt dem Unwesen im Dorf bald auf die Spur – allerdings anders, als er es sich erhofft hat.

Valeria, eine junge Dorfbewohnerin, deren Zauber Alessandro sich nicht entziehen kann, beißt den Inquisitor, woraufhin sich dieser in einen Werwolf verwandelt. Valeria möchte, dass Alessandro, der ein anderes Mädchen auf dem Dorf als Ketzerin auf den Scheiterhaufen gebracht hat, spürt, was es heißt, einer von ihnen zu sein. Doch er geht ziemlich ungewöhnlich damit um, denn er probiert, diese „Krankheit“ wissenschaftlich zu erforschen, und stößt dabei auf Dinge, die ihn den Kopf kosten könnten …

Obwohl als historischer Roman betitelt, ist „Das Dorf der Unsterblichen“ eher ein seichtes Gemisch aus historischer und fantastischer Literatur. Für ein historisches Werk ist das Buch nicht detailliert genug; das 16. Jahrhundert wird in seiner Besonderheit nur sehr oberflächlich geschildert. Damalige Bräuche, Sitten und charakteristische Eigenschaften kommen kaum zum Tragen, so dass Fans solcher Bücher nur wenig Freude daran haben werden. Über den Anteil fantastischer Literatur lässt sich streiten. Der Hardcore-Fan wird vermutlich die Vielfalt vermissen, denn die Werwölfe sind die einzigen „magischen“ Wesen, und auch sie sind nicht besonders fantastisch dargestellt. Sie weisen so gut wie keine magischen Kräfte auf und benehmen sich auch sonst in einem sehr normalen Rahmen. Also doch mehr Historien- als Fantasyroman? So einfach lässt sich diese Frage nicht beantworten. Das hängt sicherlich davon ab, was man von diesem Buch erwartet.

Die Handlung kann einiges am zweifelhaften Ambiente wiedergutmachen. Sie läuft langsam an und wirkt im ersten Teil zunächst etwas behäbig und uninteressant. Die Autorin schafft es aber, mit der Zeit immer mehr überraschende Wendungen einzubauen und diese konsequent zu Ende zu führen. Dadurch wird die Geschichte spannender und von der Vorhersehbarkeit der ersten Seiten ist nichts mehr zu spüren. Leider wirken dabei einige Ereignisse konstruiert, insgesamt überrascht „Das Dorf der Unsterblichen“ aber durchaus. Der Anfang lädt nicht gerade zum Weiterlesen ein, doch Braga schafft die Wende, so dass man den zweiten Teil des Buches stellenweise gierig verschlingt.

Was für die historischen Einzelheiten gilt, gilt auch für die Charaktere. Sie sind gestrichelt gezeichnet, doch es fehlt an den Farben. Zum einen hätte ein wenig mehr Geist des 16. Jahrhunderts nicht geschadet, zum anderen fehlt es an grundlegender Persönlichkeit. Valerias verschlagene Züge und Alessandros Wissensdurst und Experimentierfreude sind Eigenschaften, die sehr stark herausstechen und dementsprechend gut dargestellt werden. Zwei oder drei Charakterzüge machen aber noch lange keinen Menschen aus, und leider begeht die Autorin den Fehler, ihre Figuren nicht weiter zu vertiefen.

In der Summe ist dieses unauffällig und nüchtern geschriebene Buch zwar interessant, aber kein großer Wurf. Störend ist vor allem die mangelnde Tiefe bei Personen und dem historischen Hintergrund. Die Geschichte wird für den Leser dadurch nicht greifbar, so dass er nach Zuschlagen des Buches mehr oder minder schon wieder vergessen hat, was „Das Dorf der Unsterblichen“ eigentlich ausgemacht hat. Fans der momentan grassierenden Dark-Fantasy-Welle sollten sich ebenfalls lieber anderweitig bedienen, denn die Geschichte versprüht nur wenig untoten Charme. Der erste Band von „Die Chronik der Wölfe“ ist etwas Nettes für Zwischendurch, aber satt wird man davon nicht.

|Taschenbuch, 412 Seiten
ISBN-13: 978-3-499-24729-3|

http://www.rororo.de

Cornwell, Bernard – Sharpes Feuerprobe. 1799: Richard Sharpe und die Belagerung von Seringapatam

Private Richard Sharpe ist Soldat, offensichtlich aus Ermangelung irgendwelcher anderer Talente. Der Leser trifft ihn das erste Mal, als er 1799 unweit der indischen Festung Seringapatam herumsitzt und sich fragt, ob er nicht vielleicht desertieren sollte. Das wäre zumindest spannender als nichts zu tun, findet Sharpe, doch sein Erfinder, der britische Autor Bernard Cornwell, bringt den Jungspund schnell auf andere Gedanken, indem er ihn flugs in ein spannendes Abenteuer stürzt.

Weil er in ein Mädchen verliebt ist, auf das es auch der brutale und abscheuliche Sergeant Obadiah Hakeswill abgesehen hat, wird er ausgepeitscht. Doch bevor die Strafe komplett vollzogen werden kann, greift Colonel Wellesley ein und schickt Sharpe auf eine geheime Mission. Gemeinsam mit dem Offizier Lawford soll er sich in Seringapatam einschleichen. Wellesley vermisst nämlich einen seiner Spione und glaubt nun, dieser werde in der Festung gefangen gehalten.

Sharpe und Lawford geben sich also als gemeine Deserteure aus und werden von Tippu, dem Herrscher von Seringapatam, recht freundlich aufgenommen. Sie dürfen in dessen Armee dienen, Sharpes geschundener Rücken wird versorgt und in einem glücklichen Moment finden sie auch den verschollenen Spion, der ihnen Beunruhigendes zu berichten hat. Doch wie sollen sie die Information aus der Festung herausbringen?

Bevor die Handlung in der abschließenden Schlacht um Seringapatam kulminiert, werden Lawford und Sharpe noch gefangen genommen, in den Kerker gesteckt und von Tigern bedroht. Es gibt kleinere Scharmützel, einen fürchterlichen Obadiah Hakeswill, der einfach nicht sterben will, und einen unglaublich jungen und ungeschliffenen Richard Sharpe.

Die Abenteuer um Richard Sharpe sind Bernard Cornwells Opus Magnus. 1981 veröffentlichte er die ersten beiden Bände der Serie, „Sharpe’s Eagle“ und „Sharpe’s Gold“, denen regelmäßig neue Bände folgten. Auf ursprünglich circa zehn Bände angelegt, erhielt die Serie neuen Auftrieb, als das britische Fernsehen die Rechte an Richard Sharpe kaufte und eine stattliche Anzahl der Romane mit Sean Bean in der Titelrolle verfilmte (auf Deutsch ist die Filmreihe unter dem Titel „Die Scharfschützen“ bekannt). Mittlerweile gibt es mehr als zwanzig Romane, die im Sharpe-Universum angesiedelt sind, und es kommen ständig neue hinzu.

Chronologisch steht „Sharpes Feuerprobe“ am Anfang der Sharpe-Geschichte, auch wenn der Roman eher zu den jüngeren gehört (erstveröffentlicht 1997 unter dem Titel „Sharpe’s Tiger“). Cornwell präsentiert hier einen grobschlächtigen, ungebildeten Unterschichten-Sharpe. Als Sohn einer Hure (also im wörtlichen Sinne ein Hurensohn) ist er in einem Bordell aufgewachsen und hat demnach keine nennenswerte Bildung genossen. Aus Ermangelung an Alternativen hat er sich von der Armee anwerben lassen und erweist sich dort als ziemlich erfolgreich, da ihm seine Straßenschläue oft den Hals rettet. Er ist gewitzt, kann kämpfen, schnell schalten und Pläne schmieden, und auch wenn er ein ziemlich dreckiges Mundwerk hat, so sitzt das Herz bei ihm doch am rechten Fleck. Sharpe ist also in diesem frühen Abenteuer noch ein ungeschliffener Diamant, der erst bei seiner Kerkerhaft mit Lawford und Candless (dem verschollenen Spion) mit Hilfe einer eingeschmuggelten Bibelseite das Lesen lernt. Dank dieser neu gewonnenen Fähigkeit kann er nun endlich selbst nachlesen, ob „Du sollst dich nicht schnappen lassen“ wirklich eins der zehn Gebote ist.

„Sharpes Feuerprobe“ ist auf der einen Seite ein hervorragend recherchierter Historienroman, der zu großen Teilen von den militärischen Schachzügen Wellesleys und Tippus und dem exotischen Setting in Indien lebt. Auf der anderen Seite schafft es Cornwell aber mit der gleichen Leichtigkeit, eine umfangreiche Personage einzuführen, die sich kaum in das übliche Schwarzweiß-Schema einordnen lässt. Da wäre zunächst der Gegner Tippu, von dem Sharpe in seiner jugendlichen Einfalt annimmt, er sei einfach ein „teuflischer Bastard“. Dass dem längst nicht so ist, wird dem Leser recht früh klar, denn Tippu wird als durchaus aufgeklärt beschrieben, auch wenn er zur Belustigung seiner Mannen schon mal Gefangenen Nägel durch die Schädeldecke schlagen lässt.

Eine ebenso differenzierte Betrachtung erfährt Colonel Wellesley, der sicherlich eher unter seinem späteren Titel Duke of Wellington bekannt ist und der hier in Indien auf seiner ersten Mission mit Versagensängsten und Startschwierigkeiten zu kämpfen hat. Ein bisschen unsicher und reichlich kühl gegenüber seinen Untergebenen, ist er noch weit von dem großen Staatsmann entfernt, zu dem er sich später einmal mausern wird. Nur einer ist überhaupt nicht ambivalent beschrieben, und das ist Hakeswill, der so tyrannisch und stiefelleckerisch daherkommt, dass ihm der geneigte Leser am liebsten eigenhändig das Genick brechen möchte. Dass Sharpes kleiner Mordanschlag auf den Erzfeind nicht von Erfolg gekrönt sein wird, ist wohl logisch. Hakeswill wird Sharpe noch in vielen weiteren Romanen auf dem Kieker haben.

„Sharpes Feuerprobe“ ist der spannende und mitreißende Auftaktroman einer Serie, die in England praktisch Kultstatus genießt. Da vergibt man Cornwell auch mal die gelegentliche Blut-und-Ehre-Rhetorik, wenn er sich von der Heroik seiner Charaktere ein bisschen zu sehr mitreißen lässt. Die Passagen, in denen Sharpe sich ein ums andere Mal bewährt, nie um einen dreckigen Witz verlegen ist und am Schluss dann auch noch einen Feind nach dem anderen umnietet, lassen den Leser so unerträgliche Formulierungen wie „der Stahl war hart und kalt in ihren Seelen“ gern vergessen. Schade, dass es noch bis März 2009 dauern wird, bevor |Bastei Lübbe| den nächsten Teil, „Sharpes Sieg“, herausbringt.

|Originaltitel: Sharpe’s Tiger, 1997
Aus dem Englischen von Joachim Honnef
476 Seiten
ISBN-13: 978-3-404-15862-1|
http://www.bastei-luebbe.de
http://www.bernardcornwell.net
http://www.southessex.co.uk

_Bernard Cornwell auf |Buchwurm.info|:_
[„Stonehenge“ 113
[„Die Galgenfrist“ 277
[„Der Bogenschütze“ 3606 (Auf der Suche nach dem Heiligen Gral 1)
[„Der Wanderer“ 3617 (Auf der Suche nach dem Heiligen Gral 2)
[„Der Erzfeind“ 3619 (Auf der Suche nach dem Heiligen Gral 3)

Blazon, Nina – Königsmalerin, Die

Sofonisba Anguissola, die Heldin aus Nina Blazons historischem Roman „Die Königsmalerin“, hat tatsächlich gelebt. Sie war eine der bekanntesten Malerinnen der Renaissance, und der Buchtitel kommt nicht von ungefähr. Sofonisba war tatsächlich so erfolgreich, dass sie die damalige spanische Königin und deren Gatten malen durfte. Das ist ungewöhnlich für eine Frau aus niederem Adel und auch nicht unbedingt gefahrlos …

Die junge Sofonisba erhält, wie ihre kleine Schwester Elena, auf Anweisung ihres Vaters eine gute Ausbildung als Malerin. Da die Familie nicht besonders reich ist, hofft sie, durch die Einkünfte von Sofonisbas Bildern ihr Vermögen aufstocken zu können. Sofonisba tut, was sie kann, und schließlich ist ihr Ruf in Italien so gut, dass sie eine Anstellung als Hofmalerin am spanischen Königshof erhält.

Dort soll sie nicht nur ihre beliebten Porträts anfertigen, sondern auch der jungen Königin Isabel de Valois Kunstunterricht geben. Kaum in Toledo angekommen, läuft Sofonisba die junge Holländerin Lien über den Weg, die bei ihrem Onkel, einem Maler, die Farben mischt. Liens größter Traum ist das Malen, und sie wünscht sich Sofonisba als Lehrmeisterin. Diese nimmt das junge Mädchen als Schülerin zu sich, beeindruckt von deren Talent, Emotionen zu Bildern zu verarbeiten. Sie ahnt allerdings nicht, dass das Bild, welches Lien immer wieder malt, das einer Ketzerin ist: Lien zeichnet Ana Moreno, eine Freundin von ihr, die während der Inquisition auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden ist.

Als der Inquisitor des spanischen Königshofs herausfindet, wen Lien da auf Leinwand bannt, hat ihre Stunde geschlagen. Sie wird festgenommen und in den Kerker geworfen, um später der Ketzerei angeklagt und verbrannt zu werden. Sofonisba, der ihre Schülerin ans Herz gewachsen ist, beschließt, Lien zu retten. Mithilfe ihres alten Kindermädchens Bertola, des jungen Adligen Flavio Gonzaga und des Apothekers Martín Segundo schmiedet sie einen Plan …

Nina Blazon hat ihren Einstand in der Literaturwelt mit ihren Fantasyromanen begangen, doch mittlerweile hat sie schon mehr als einmal bewiesen, dass sie sich auch in anderen Genres bestens zurechtfindet. Vor allem historische Romane scheinen es ihr angetan zu haben. Nach [„Der Maskenmörder von London“, 3983 das im England des 18. Jahrhunderts spielt, begibt sie sich nun ins 16. Jahrhundert. Auch dieses Mal schafft sie es auf leichtfüßige Art und Weise, die Geschichte zum Leben zu erwecken. Abseits von jeglichem Historienschwulst entspinnt sie eine raffinierte kleine Geschichte, in deren Mittelpunkt zwei Frauen stehen: Sofonisba und Lien.

Am Anfang geht es hauptsächlich um Sofonisbas Werdegang, erst später rückt die Spannung in den Vordergrund, als es um Liens Rettung geht. Obwohl schön konstruiert, fehlt es dem ersten Teil des Buches an fesselnden Erlebnissen. Wer also or allem Spannung sucht, dem wird „Die Königsmalerin“ nicht unbedingt gefallen. Trotzdem ist das Buch interessant genug. Blazon hat gut recherchiert und neben den kleinen Besonderheiten dieser Zeit sehr viele Informationen über die Malerei eingewoben. Der junge Leser erfährt eine Menge über das Mischen von Farben in der damaligen Zeit und darüber, wie Porträtzeichnungen entstehen. Nina Blazon ersetzt dabei sicherlich keinen Kunstratgeber, schafft es aber, die Malerei für das Laienpublikum lebendig zu machen.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen allerdings die wunderbaren Charaktere. Sie sind unglaublich vielschichtig, interessant und alles andere als historisch trocken. Was vielen Autoren nicht gelingt, schafft Blazon mit Leichtigkeit: Sie erweckt die Figuren tatsächlich zum Leben, so dass auch ein Leser aus der heutigen Zeit sich mit ihnen identifizieren kann. Die Personen sind gut ausgearbeitet, mit Ecken und Kanten versehen, und in ihnen brennt eine spürbare Leidenschaft. Sofonisba, die aus der Ich-Perspektive erzählt, ist dabei sicherlich diejenige, die am besten im Gedächtnis bleibt. Ihre Gefühlen und Gedanke werden sehr anschaulich dargestellt und erklären ihre Handlungen und ihr Verhalten. Die Nebencharaktere sind nicht weniger bunt. Mit meist nur wenigen Strichen skizziert Blazon interessante Persönlichkeiten, die sich trotz der Reduziertheit an Beschreibungen einprägen.

Ein großes Plus ist erneut Blazons Schreibstil, der gewohnt locker und luftig aus dem Zeitalter der Inquisition berichtet. Wie bei ihren vorherigen Büchern, schreibt die Autorin sehr elegant, lebendig und teilweise mit einem dezenten Augenzwinkern. Sie benutzt einen großen, jugendfreundlichen Wortschatz, der frei von historischem Ballast ist und daher viel Freude bereitet. Ihre Erklärungen über die Malerei sind sehr verständlich und interessant aufbereitet und zugleich detailliert, aber nie störend. Sie schafft es, diese Zusatzinformationen reibungsfrei in den Fließtext einzuweben, so dass man „Die Königsmalerin“ ohne Probleme in einem Rutsch durchlesen kann.

Mit diesem Buch beweist Nina Blazon einmal mehr, welch eine gute Jugendbuchautorin sie ist. Erneut gelingt es ihr, eine historische Epoche mithilfe fantastischer Charaktere und des tollen Schreibstils zum Leben zu erwecken, ohne dabei wie einige Zunftkollegen schwermütig oder geschwollen zu klingen.

|346 Seiten, gebunden
Empfohlen ab 12 Jahren
ISBN-13: 978-3-473-35278-4|
http://www.ninablazon.de
http://www.ravensburger.de

_Nina Blazon bei |Buchwurm.info|:_

[„Im Bann des Fluchträgers“ (Woran-Saga 1) 2350
[„Im Labyrinth der alten Könige“ (Woran-Saga 2) 2365
[„Im Reich des Glasvolks“ (Woran-Saga 3) 2369
[„Die Reise nach Yndalamor“ (Die Taverne am Rande der Welten 1) 3463
[„Im Land der Tajumeeren“ (Die Taverne am Rande der Welten 2 3980
[„Das Königreich der Kitsune“ (Die Taverne am Rande der Welten 3) 4725
[„Die Sturmrufer“ (Die Meerland-Chroniken 1) 4180
[„Der Bund der Wölfe“ 2380
[„Die Rückkehr der Zehnten“ 2381
[„Der Spiegel der Königin“ 3203
[„Der Maskenmörder von London“ 3983

Massimo Marcotullio – Das Blut des Skorpions

Im Rom des 17. Jahrhunderts treibt ein Attentäter und Serienmörder sein Unwesen. Ein cholerischer Maler und seine Gefährten geraten erst in sein Visier und dann in eine politische Intrige, die Herrscherhäuser in ganz Europa ins Wanken bringen könnte … – Anspruchsloser, ausschließlich der Unterhaltung verpflichteter und historische Akkuratesse nie in den Vordergrund stellender Thriller mit wüsten Morden, simpel gestrickten Figuren und stetigem Druck aufs erzählerische Gaspedal.
Massimo Marcotullio – Das Blut des Skorpions weiterlesen

Gordon D. Shirreffs – Der Silberschatz von La Barranca

Shirreffs Silberschatz Cover kleinDrei Männer ziehen im Jahre 1868 durch die Wüste von Mexiko, um in einer sagenhaften Silbermine reich zu werden. Stattdessen finden sie Hitze, mörderische Indianer und Wahnsinn: den Fluch von La Barranca … – Western vor ungewöhnlicher aber authentischer Kulisse; in einer grandios geschilderten Landschaft spielt sich ein fast kammerspielartiges Drama um Freundschaft, Gier und Verrat ab: ein kantiger Roman mit viel Spannung und ohne Sentimentalitäten.
Gordon D. Shirreffs – Der Silberschatz von La Barranca weiterlesen

Vantrease, Brenda – Schriftenhändlerin, Die

Europa im 15. Jahrhundert: Der Buchillustrator Finn ist aus England geflüchtet und hat sich mit seiner Enkelin Anna in Prag niedergelassen. Gemeinsam illustrieren sie religiöse Texte und übersetzen heimlich die lateinische Bibel, was als ketzerisch gilt. Kurz vor seinem Tod bittet Finn daher Anna, Schutz beim befreundeten Sir John Oldcastle in England zu suchen. Die gefahrenvolle Reise führt Anna ins französische Reims, wo sie überwintert und weiterhin als Illustratorin arbeitet.

Zur gleichen Zeit wird der Ablasspriester Gabriel vom Erzbischof als Spion ausgesandt, der nach Ketzern Ausschau halten soll, welche die Bibel ins Englische übersetzen. Als flämischer Händler VanCleve getarnt, begegnet er Anna in Reims auf dem Marktplatz und erteilt ihr einen Auftrag. Obwohl sich Gabriel verzweifelt gegen seine Gefühle wehrt, verliebt er sich in Anna, die dies erwidert. Der Priester steht im doppelten Konflikt, Anna belogen zu haben und sie verraten zu müssen. Unter einem Vorwand verlässt er schließlich das Land.

Anna setzt nach vergeblichem Warten ihre Reise nach England fort und wird von Sir John aufgenommen. Mittlerweile weiß sie, dass sie ein Kind von VanCleve erwartet. Als sich auch hier in England die Lage zuspitzt, kommt sie in einem Nonnenkloster unter, ohne zu wissen, dass die Äbtissin ihre Großmutter ist, von der Finn glaubte, sie sei verstorben. Hier begegnet sie auch Gabriel wieder und erkennt seine wahre Identität, während die Kirche sie als Ketzerin jagt …

Mit dem [„Illuminator“ 3361 stürmte Brenda Vantrease zu Recht sofort die Bestsellerlisten und legte die Latte für den Nachfolgeroman dementsprechend hoch – was glücklicherweise kein Hindernis war, um nicht sehr überzeugend daran anknüpfen zu können.

|Spannende Fortsetzung|

Der Vorgänger-Roman drehte sich vor allem um die Liebesgeschichte zwischen der verwitweten Lady Kathryn und dem Illustrator Finn, dem mitsamt seiner Tochter auf Kathryns Herrensitz Unterkunft gewährt wurde. Im vorliegenden Werk steht ihre gemeinsame Enkeltochter als junge Frau im Mittelpunkt. Der geschichtliche Hintergrund ist der gleiche geblieben; immer noch werden die Übersetzer der Bibel als Ketzer von der katholischen Kirche gejagt, immer noch müssen heimlich in die Volkssprache übertragene Schriften versteckt gehalten werden. Damals war Finn der Ketzer, der sein Leben aufs Spiel setzte, heute führt seine Enkelin dieses wagemutige Erbe fort. Für den Leser ist es einmal spannend zu verfolgen, wie sich Gabriel gegenüber Anna verhält, ob er sich für seine Gefühle entscheidet oder der Kirche loyal bleibt, aber auch, wann Anna von seiner wahren Identität erfährt. Immer wieder gibt es Momente, in denen sie ahnt, dass er etwas zu verbergen hat, doch es braucht lange, bis sie die Dimensionen begreift.

Ähnliches gilt für Annas Verhältnis zu Kathryn. Ungeduldig wartet man auf den Augenblick, in dem beide erfahren, dass sie Enkelin und Großmutter sind. Fast ununterbrochen muss man um Annas Leben fürchten, denn die Kirche sucht unermüdlich nach „Ketzern“ wie ihr. Selbst bei Sir John Oldcastle, der einst mit dem jungen König befreundet war, ist sie nicht in Sicherheit, denn auch die alten Bande bewahren Sir John und seine Angehörigen nicht davor, ins Visier der Jäger zu geraten.

|Gelungene Charaktere|

Wie schon im „Illuminator“ gelingt es Brenda Vantrease überzeugend, die Liebesgeschichte vor kitschigen Schilderungen zu bewahren, was angesichts der klischeebehafteten Konstellation der verbotenen Liebe bzw. Priester und Geliebte nicht selbstverständlich ist. Anna ist ein glaubwürdiger und vor allem höchst sympathischer Charakter, eine starke junge Frau, die ihr Leben trotz erheblicher Widrigkeiten meistert. Ebenso fasziniert Gabriels Ringen zwischen seinem kirchlichen Gelübde, seinen Spionageabsichten und seinen Gefühlen für Anna. Im späteren Verlauf wird außerdem seine unbekannte Herkunft zu einem wichtigen Punkt in der Handlung. Bislang wusste Gabriel nur, dass seine Mutter eine Prostituierte war und ihn früh ins Kloster gab, wo Pater Francis sein spiritueller Vater wurde. Die Wahrheit über seine Herkunft bedeutet für Gabriel eine zusätzliche Belastung, die sein bisheriges Leben ins Wanken bringt.

Interessante Nebenfiguren sind die alte Roma-Zigeunerin Jetta, die Anna vor dem Ertrinken bewahrt, und ihr Findelkind Bek, ein scheinbar autistischer Junge, der später mit unglaublicher musikalischer Begabung verblüfft. Anna lebt für eine Weile bei den Zigeunern, ehe sie mit Klein-Bek als Ziehsohn einen neuen Lebensweg einschlägt. Dieser führt sie zu Sir John Oldcastle, dessen Gestalt vermutlich einst Shakespeare zur Figur des Sir John Falstaff inspirierte. Ganz in diesem Sinn lässt die Autorin Sir John als andeutungsweise satirischen Charakter mit seiner Genusssucht und seinem deftigen Humor auftreten, der einerseits wegen seiner Jovialität schnell die Sympathien der Leser gewinnt und andererseits vehement für seine Überzeugungen eintritt, auch wenn sie sein Leben gefährden.

|Kaum Schwächen|

Auch wenn es nicht zwingend notwendig ist, den „Illuminator“ zuvor gelesen zu haben, bringt dies doch erhebliche Vorteile mit sich. Vor allem die Zusammenhänge zwischen Kathryn und Finn werden anderenfalls erst sehr allmählich klar. Der Lesegenuss erhöht sich eindeutig, wenn man die Vorgeschichte kennt – wenn man weiß, dass Annas Mutter, Kathryns Tochter, bald nach der Geburt starb und Kathryn ihre Enkelin zunächst wie ihr eigenes Kind aufzog, und wenn man weiß, dass Kathryn ihren Tod gegenüber Finn nur vortäuschte und was sie dazu bewog, obwohl sie nie aufhörte, ihn zu lieben. Außerdem dauert es übertrieben lange, nachdem Anna in Kathryns Nonnenkloster eingekehrt ist, bis beide endlich erfahren, dass sie miteinander verwandt sind.

_Als Fazit_ bleibt ein spannender Historienroman, der an die Ereignisse in „Der Illuminator“ anschließt und in keiner Hinsicht hinter diesem Werk zurückbleibt. Lebhafte Schilderungen einer bewegten Epoche ergänzen sich mit interessanten Charakteren, sodass die kleinen Schwächen so gut wie gar nicht ins Gewicht fallen.

Die Autorin Brenda Vantrease, Jahrgang 1945, studierte und promovierte in Tennessee in englischer Literatur. Anschließend arbeitete sie als Englischlehrerin und Bibliothekarin. Auf ausgiebigen Reisen nach Großbritannien und Irland erkundete sie die Schauplätze der Geschichte und verfasste zahlreiche Essays und Kurzgeschichten. [„Der Illuminator“ 3361 war ihr Romandebüt.

http://www.limes-verlag.de

Will C. Brown – Der Fluch von Massacre Bend

Ein Viehtrieb durch das gesetzlose Indianerterritorium wird zur Bewährungsprobe für einen jungen Ex-Soldaten, der sich rehabilitieren möchte, falls er und die ihm anvertrauten Männer (und eine Frau) den Kampf gegen Comanchen, Schmuggler und Armeefunktionäre überleben … – Klassischer Western mit allen bekannten und bewährten Klischees; spannend, flott und mit sparsam aber kundig eingebrachten historischen Fakten erzählt: kein Muss aber ein deutliches Kann.
Will C. Brown – Der Fluch von Massacre Bend weiterlesen

Assouline, Pierre – Lutetias Geheimnisse

Pierre Assouline hat ein Buch über den Zweiten Weltkrieg geschrieben – das ist an und für sich nichts Besonderes, doch der Franzose wählt einen nicht alltäglichen Ausgangspunkt. Er erzählt die Geschichte des Palasthotels „Lutetia“ aus der Sicht des Hoteldetektivs Edouard Kiefer, der aus dem Elsass stammt und somit sowohl französische als auch deutsche Wurzeln besitzt.

Dieser Tatsache ist es zu verdanken, dass er auch während der Besatzung der Deutschen, die das Hotel für ihre Zwecke requirierten, bleiben darf. Während er vorher für die Sicherheit der zumeist erlesenen Hotelgäste zuständig war, muss er nun dolmetschen oder Botengänge für die Nazis erledigen. Doch das Lutetia, das in Edouards Augen seine eigenen Geheimnisse beherbergt, spielt nicht nur geduldig während der Besetzung Frankreichs eine wichtige Rolle. Danach wird es erneut requiriert und dient als Auffanglager für aus KZs befreite Häftlinge. Dabei spielen sich teilweise rührselige Szenen in den Fluren des großen Hotelkomplexes ab: Leute finden sich wieder oder erfahren, dass jene, die sie suchen, tot sind.

Obwohl Edouard Kiefer zumeist in den Hintergrund rückt und als Beobachter fungiert, schimmert an der einen oder anderen Stelle auch sein Privatleben durch. Die Gräfin Nathalie Clary beispielsweise liegt ihm sehr am Herzen. Die beiden sind gemeinsam großgeworden, doch sie heiratete den Grafen Clary, und sie und der Hoteldetektiv pflegen zu den Hochzeiten des Lutetias eine geheime Beziehung. Doch als die Deutschen Einzug in Frankreich halten, wird Nathalie deportiert und kehrt nach dem Krieg für einen kurzen, aber intensiven Moment zurück zu ihrer Jugendliebe. Daneben beschäftigt sich der Ich-Erzähler mit seiner Mutter, die ihn und seinen Vater schon vor Jahren alleine gelassen hat, und dem seltsamen Zufall, dass einer der brutalsten Deutschen beinahe den gleichen Nachnamen wie er trägt …

Viel ist es nicht, was in „Lutetias Geheimnisse“ passiert, doch gerade das ist die Stärke des Romans. Pierre Assouline gestaltet die Zeit vor, während und nach dem Krieg nicht als Abenteuer, sondern konzentriert sich aufs Beschreiben und darauf, die vielen unterschiedlichen Gesichter dieser gewichtigen Zeit darzustellen. Dabei greift der Autor auch auf historisch belegte Gestalten zurück, zum Beispiel den Schriftsteller James Joyce, der vor dem Krieg des Öfteren im Lutetia weilte. Die realen und die erfundenen Personen werden zumeist kurz eingeführt und haben selten einen längeren Auftritt als ein paar Seiten. Einige Charaktere werden mehr als einmal erwähnt, aber in der schier unendlichen Masse von Personen und Schicksalen, die Edouard beobachtet, ist es schwierig, den Überblick zu behalten. Gerade Charaktere, die immer wieder auftauchen, hinterlassen aufgrund der Vielfalt zu wenig Eindruck, um dem Leser erinnerlich zu bleiben, was einfach schade ist. Auf der einen Seite lassen sich der Krieg und seine Übel durch die vielen vorüberziehenden Gesichter sehr gut und weitreichend darstellen, auf der anderen ufert die Geschichte manchmal aus.

Es sind nicht nur die Charaktere, die untergehen, sondern auch der Erzähler selbst. Edouard erzählt flüssig, dicht und sehr detailliert, wirkt dabei aber plaudernd und auch ungeordnet. Man hat das Gefühl, als würde er dem Leser direkt gegenübersitzen und über die guten alten Zeiten plaudern. Er ist ein guter Beobachter, und trotz der Ich-Perspektive rückt er auf weiten Strecken in den Hintergrund. Sein Privatleben vermischt sich nur selten mit seiner Arbeit als Hoteldetektiv, und so vergisst der Leser manchmal sogar, wer der Erzähler eigentlich ist. Allerdings ist fraglich, ob die Geschichte so gut und atmosphärisch wäre, wenn Edouard sich mehr in den Vordergrund gedrängt hätte. Daher ist es in diesem Fall besser, von einem Beobachter anstatt von einem Erzähler zu sprechen, denn dank Assoulines Schreibstil erlebt der Leser die Geschehnisse tatsächlich wie durch Edouards scharfe und aufmerksame Augen.

Dadurch, dass das Buch hauptsächlich Beobachtungen vereint, ist kaum ein roter Faden in der Handlung zu erkennen. Abgesehen von den historischen Ereignissen verfolgt Assouline keine erzählerischen Ziele. Wen das nicht schreckt, der wird in „Lutetias Geheimnisse“ ein gut recherchiertes, fiktives, aber erschreckend realistisches Zeitzeugnis finden. Dabei ist gerade für deutsche Leser die Sichtweise interessant: Es wird nicht direkt vom Ort des Geschehens berichtet, sondern aus dem Nachbarland, und der Fokus liegt dabei auch nicht unbedingt darauf, die Ereignisse möglichst eindringlich und brutal darzustellen, sondern auf der stillen Beobachtung. Obwohl ein subjektiver Erzähler deutlich erkennbar ist, wirkt das Buch an vielen Stellen sehr objektiv.

Diese Objektivität ist allerdings nie mit Sterilität oder Kühle gleichzusetzen. Im Gegenteil erzählt der französische Autor warmherzig und offen und hat den Leser bereits nach den ersten Seiten fest im Griff. Wie bereits erwähnt, ist es Edouards Plaudertonfall, der sich eines gehobenen Vokabulars bedient und so gut wie nie in die Alltagssprache abrutscht, zu verdanken, dass sich das Buch flüssig und ohne Widerstände lesen lässt. Die Worte werden richtiggehend lebendig und wirken eher wie im Gespräch als aus einem Buch gelesen. Das ist überhaupt die größte Stärke von „Lutetias Geheimnisse“: die Lebendigkeit, die vor allem vom Erzähler und damit auch vom Schreibstil ausgeht. Nichts wirkt gekünstelt, sondern nüchtern und bodenständig. Da fällt es schwer zu glauben, dass der Autor acht Jahre nach Kriegsende geboren wurde und nicht mittendrin war.

„Lutetias Geheimnisse“ ist ein Buch, für das man ein gesundes Interesse und den Willen, sich darauf einzulassen, mitbringen muss. Es hat kaum eine geradlinige Handlung, sondern setzt sich hauptsächlich aus den Beobachtungen von Geschehen und Personen zusammen. Der sehr gut ausgearbeitete Erzähler Edouard hält den Roman dabei mit seiner Beobachtungsgabe und der nüchternen, aber dennoch lebendigen Erzählweise zusammen. Wer gerne etwas über den Zweiten Weltkrieg aus einer ungewöhnlichen Sicht erfahren möchte, ist mit Pierre Assoulines Werk gut beraten.

http://www.heyne.de

Meister, Derek – Knochenwald (Rungholt, Band 3)

[„Rungholts Ehre“ 4460
[„Rungholts Sünde“ 4767
[Unser Interview mit Derek Meister vom März 2008]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=88

Im Mittelalter gab es unzählige Reliquien, die in verschiedenen christlichen Wallfahrtsstätten oder Kirchen ausgestellt wurden. Ein Splitter vom Kreuze Jesu, ein Dorn des Rosenkranzes, mit dem Jesus gefoltert wurde, ein Knochen eines Heiligen usw. Das Sortiment an heiligen Reliquien war vielfältig, und Pilger aus aller Welt nahmen nicht selten unter Lebensgefahr die Strapazen auf sich, um vor solchen Heiligtümern zu beten, oder sie versprachen sich davon, ihre Sünden vor Gott begleichen zu können.

Für die Städte, in denen ein „Gnadenjahr“ veranstaltet wurde, wie z. B. in München im Jahre 1392, war es wirtschaftlich gesehen jeweils ein sehr gutes Jahr. Mit den Pilgern kam das Geld dieser Sünder in die Stadt, in die Wirtshäuser und Unterkünfte, besonders für die Kirche stellten diese zahlenden Pilger eine wahre Geldquelle dar. Ablassbriefe, persönlich unterzeichnet von der Obrigkeit Römisch-Katholischen Kirche durch einen Bischof oder sogar Kardinal, wurden genauso gerne verkauft wie Spendenkassen vor angeblich heiligen Reliquien aufgestellt.

Alles in allem war dies also ein sehr lukratives Geschäft für die Stadt und die Geschäftsleute, genau wie für die Kirche und ihre Fürsten. Nicht wenige Gemeinden oder gar Fürstentümer und Herrschaftshäuser sahen die Chance, hierbei an Geld, Macht und Ansehen zu gelangen. Alle Welt reiste zu diesen Wallfahrtsorten, egal ob nun Edelmann oder ein einfacher Kaufmann. Kranke versprachen sich Heilung, Ritter und Adelige vielleicht die Unterstützung für einen Feldzug Krieg gegen die Ungläubigen, Kaufmänner einen Aufschwung ihrer Geschäfte und die Vergebung ihrer Sünden, um gleich darauf ihre Konten mit Geld und dafür oder damit begangenen Sünden wieder auffüllen zu könnten. Die Absolution wurde gegen ein gewisses Entgelt immer gerne erteilt.

Und wenn einmal keine Reliquien zur Hand waren, so fälschte man diese halt. Wer konnte denn schon beweisen, dass dieser kleine Knochen nicht heilig war? Was daraus folgte, war ein reger Austausch und Handel mit Fälschungen von Reliquien jeglicher Art, und nicht selten war man auch bereit, dafür zu morden.

Derek Meister, der Autor von „Runholts Ehre“ und „Rungholts Sünde“, lässt diesmal seinen bärbeißigen Patrizier Rungholt im dritten Fall im fernen München auf Mörderjagd gehen.

_Die Geschichte_

Rungholt ist in seinen Vierzigern, und seit dem Tod seines Freundes und Mentors Winfried ist ihm der Tod bewusster geworden. Seine Sünden, die noch immer an ihm nagen und ihn innerlich nicht zur Ruhe kommen lassen, belasten den Lübecker Ratsherren und Kaufmann sehr. Schon von Kinderbeinen an ist der Tod ein ständiger Begleiter; seine Eltern und seine Schwester sind ertrunken, und dieses Trauma wiegt ebenso schwer wie seine eigenen Bluttaten und der Tod seiner geliebten Irena.

Auch in Lübeck kommt der Kaufmann nicht zur Ruhe und musste bei seinen beiden Mordfällen erneut töten, wenngleich dies in Notwehr geschah. Rungholt verspürt Angst vor dem Tod und Respekt vor der Hölle, die ihn vielleicht erwartet. Er will für sich endlich seinen Seelenfrieden finden.

Und gerade jetzt im Jahre 1392 findet im Wallfahrtsort München ein ‚Gnadenjahr‘ statt. So nimmt also der dickschädelige Hanser die weite Reise von Lübeck nach München auf sich. Zwei Wochen in einem Holzwagen lassen auch den Pilger Rungholt bei seiner Ankunft seinen wunden Hintern spüren, den er noch Tage später zu pflegen hat.

Die Zeit in München wird er zudem nutzen, um seine älteste Tochter Margot zu treffen, bei der er auch während seines Aufenthaltes wohnen wird. Doch es gibt Spannungen zwischen dem erfahrenen Patrizier und seiner Tochter, die nur einen ärmlichen Flößer geheiratet hat. Sein Schwiegersohn Utz ist Rungholt ein Dorn in Auge. Margot und Utz leben in bescheidenen, fast schon ärmlichen Verhältnissen, und auch des Schwiegersohnes Umgangsformen und dessen auch nur bescheiden anmutender Geist stimmen den Pilger und Sünder Rungholt sehr skeptisch.

Auf dem Weg zu den Kapellen, in denen die Reliquien ausgestellt sind, ereignet sich ein Zwischenfall, und Rungholt wird es verwehrt, die Kirche besuchen zu dürfen. Sein Seelenfrieden und seine Absolution rücken damit in weite Ferne. Hinzu kommt noch, dass ihn weitere Sorgen plagen, denn der Bau seiner Bierbrauerei ist ein finanzielles Desaster und der Handel in der Ostsee verläuft wegen Blockaden der Piraten mehr als nur schleppend.

Auf die drängende Bitte seiner Tochter hin, die davon berichtet, dass eine Freundin von ihr, die Frau eines Goldschmiedes, spurlos verschwunden ist, soll sich Rungholt auf die Suche nach der Vermissten machen. Sein Ruf als Ermittler scheint ihm vorausgeeilt zu sein. Rungholt, der nun vielleicht seine einzige Chance für die Vergebung seiner Sünden darin sieht, die vermisste Frau zu finden, nimmt die Ermittlungen auf. Diese führen den Patrizier in die dunklen, tiefen Wälder der Stadt, und er wird dort tatsächlich fündig. Mit der Hilfe von Torfstechern findet Rungholt zwei Leichen, die noch nicht lange tot, aber bereits tief im Moor und Schlamm versunken sind.

Die weiteren Ermittlungen verlaufen nur schleppend, und der Zunftmeister der Gilde der Goldschmiede ist nicht sehr kooperativ, ebenso wenig wie ein Kollege des Goldschmiedes. Unerwartet bekommt Rungholt dafür Unterstützung durch seinen dänischen Freund und Kapitän Marek. Dieser wurde von Alheyd, Rungholts Ehefrau, nach München geschickt. Rungholt und Marek müssen erneut in den unheimlichen Wald gehen, um mit den Ermittlungen voranzukommen. Sie werden jedoch zusammen mit dem Goldschmied, der Rungholt und Marek begleitet, in einen Hinterhalt gelockt und entkommen nur knapp und verletzt diesem Mordanschlag.

Als die Identität der beiden Toten aus dem „Knochenwald“ aufgeklärt ist, verdichten sich die Spuren um eine geheime Gesellschaft, die sich der Alchemie verschrieben hat. Was wusste die Goldschmiedin darüber, und hat dies etwas mit den wundertätigen Reliquien zu tun, die so viel Geld in die Stadt und die anliegenden Klöster bringen?

Zu spät stellt Rungholt fest, dass es um mehr geht als nur falschen Handel und seine Gegner in eine Verschwörung verstrickt sind, von der eine tödliche Gefahr ausgeht …

_Kritik_

Im dritten Teil um den bärbeißigen und dickköpfigen Rungholt lässt Derek Meister die Geschichte nicht in Lübeck, sondern ausgerechnet in München spielen. Ohne seinen regionalen Vorteil und sein Wissen um die Menschen vor Ort ist Rungholt bis auf die unerwartete Unterstützung seines Freundes Marek auf sich allein gestellt. Ein Hanser von der Ostsee, der inmitten eines Pilgerstromes im bayrischen, von Bergen umgrenzten München Spuren deuten und Mörder überführen soll, ist eine Herausforderung nicht nur für den Protagonisten, sondern ebenso für den Autor selbst.

„Knochenwald“ ist fast ebenso spannend wie seine beiden Vorgänger geworden. Inhaltlich gesehen, wird die Verschwörung bis auf einen kleinen Teil schon im Laufe der Handlung aufgeklärt, auch das Schicksal der Vermissten ist schon bald kein Rätsel mehr, so dass sich die Geschichte auf den jeweils laufenden Stand und das Fortschreiten der Ermittlungen von Rungholt konzentriert. Dem Autor geht es hier darum, dem Leser die Geschichte in kleinen Puzzleteilen zu präsentieren, um damit die Spannung langsam steigern zu können – natürlich werden die Verschwörung und die Motivation der Täter erst am Ende verraten.

Um es vorab zu verraten, ohne dass dies den Leser erstaunen wird: Die verschwundene Goldschmiedin lebt natürlich, und sie ist der Schlüssel zu dieser ganzen Geschichte – auch die geschilderte Situation aus ihrer Sicht ist übrigens fast schon spannender, als die Ermittlungen Rungholts es sind.

Rungholts Charakter wird hier ebenso dickköpfig und aufbrausend geschildert wie in den beiden vorherigen Romanen auch. Sein Verhältnis zu seiner ältesten Tochter Margot und ihrem einfachen Ehemann Utz ist integraler Bestandteil der Geschichte, und die beiden sind ebenso wie sein Freund Marek der einzige Rückhalt, auf den er bauen kann. Analysiert man den Charakter Margots, so lässt sich sagen: Die Tochter hat wirklich fast die gleichen Eigenschaften wie ihr jähzorniger Vater geerbt, und auch sie ermittelt auf ihre eigenen Weise.

„Knochenwald“ ist in seiner Kompisition ein historischer Krimi von erzählerischer Raffinesse, die Ihresgleichen sucht. Die Epoche des späten Mittelalters wird hier detailreich und getreu wiedergegeben, und dem Autor gelingt es vorbildlich, den historischen Hintergrund mit einer spannenden Kriminalgeschichte zu kombinieren.

Es wird vorkommen, dass der eine oder andere Leser die Stadt Lübeck und den einen oder anderen Charakter aus den beiden Romanen „Rungholts Ehre“ und „Rungholts Sünde“ vermissen wird, doch diese Expedition nach München war für den Charakter Rungholt durchaus auch nötig, um Abwechslung ins Spiel zu können.

Die Geschichte hat vielleicht nicht so viele verschiedene Handlungsstränge, wie es der Leser dieser Reihe bislang gewohnt ist, aber die kleineren Nebenschauplätze und die Verhältnisse der Charaktere untereinander machen dies schnell wieder wett.

Vermissen könnte man allerdings in dieser Geschichte die Chance, das mittelalterliche München dargestellt zu bekommen. Hier wird nicht viel über das tägliche Leben oder die zahlreichen Unterschiede im Vergleich zu einer Hansestadt aufgeschlüsselt, ebenso wenig werden die Reliquien und ihre Wichtigkeit für die Pilger und die Stadt München über Maß hervorgehoben.

_Fazit_

Eine historische Krimireihe mit den jeweils gleichen Charakteren im Zentrum der Geschehnisse unterliegt dem Gesetz des Fortschrittes. Die Figuren müssen dem Leser vertrauter und inhaltlich wie chronologisch glaubhaft aufgebaut werden. Genau hier liegt der Anspruch des Lesers, und dem wird der Autor Derek Meister absolut gerecht.

Ebenso muss das historische Ambiente fast schon lückenlos recherchiert sein; sicherlich bedarf es hier schriftstellerischer Freiheiten, doch es werden Alltagsgegenstände, Berufe und dergleichen zeitgemäß dargestellt. Lobend sei hier erwähnt, dass sich der Autor die Zeit nimmt, in einem Nachwort auf seine Geschichte einzugehen und auch die Hintergründe plausibel zu erklären. Auch eine Landkarte der Umgebung Münchens lässt es zu, dass der Leser die Touren Rungholts nachverfolgen kann. Ebenso hilfreich ist das kleine Glossar am Ende des Buches, in dem man Ausdrücke und Gegenstände des alltäglich mittelalterlichen Lebens erklärt bekommt.

„Knochenwald“ von Derek Meister ist wie seine Vorgänger ein dichter Krimi mit sehr gut ausgebauten Charakteren, die man schnell ins Herz schließt. Die Spannung baut sich verhältnismäßig schnell auf und der Autor ist bereit, auch mal unkonventionelle Wege zu beschreiten, die gleichsam für die Figuren und die Handlung unabdingbar sind, ansonsten würde dieser Krimireihe wie vielen anderen auch vielleicht die Luft ausgehen.

Prädikat: erneut sehr gut und auch noch beim dritten Mal absolut lesenswert. Freuen wir uns auf den vierten Teil, und dem Autor zufolge wird es dann auch ein Wiedersehen mit der schönen Stadt Lübeck und ihren Charakteren geben.

http://www.rungholt-das-buch.de

inhalt


http://www.blanvalet.de

McCaig, Donald – Rhett

Charleston zur Mitte des 19. Jahrhunderts: Der junge unbeugsame Rhett Butler wächst auf der Reisplantage seines Vaters auf. Schon früh überwirft er sich jedoch mit Langston Butler und verlässt das Elternhaus. Vor allem der Abschied von seiner jüngeren Schwester Rosemary fällt ihm schwer. Erst viele Jahre später treffen sich Rhett und Rosemary wieder. Rhett Butler ist inzwischen ein erfolgreicher Geschäftsmann, der für seinen Charme und seine Schlitzohrigkeit bekannt ist. Während seine geliebte Schwester Rosemary in die Ehe mit dem zuverlässigen aber langweiligen John Haynes gedrängt wird, bietet er ihr Halt, wann immer er kann.

1861 bricht der Sezessionskrieg aus, der Norden und Süden spaltet. Rhett ist einer der wenigen Südstaatler, der schon zu Beginn die Chancenlosigkeit des Südens erkennt, der zahlenmäßig bei aller Tapferkeit zu stark unterlegen ist. Auf einem Ball in Atlanta begegnet Rhett der jungen Scarlett O’Hara, einer temperamentvollen und eigensinnigen Südstaatenschönheit, die den sensiblen Ashley Wilkes begehrt, der jedoch bereits an die ebenfalls ruhige und sanfte Melanie Hamilton vergeben ist.

Rhett begreift sofort, dass er und Scarlett füreinander bestimmt sind. Noch nie hat ihn eine Frau dermaßen faszinieren können, und für ihre sinnlose Schwärmerei für den Gentleman Ashley hat er nur Spott übrig. Scarlett aber ignoriert sein Werben. Auch nach seiner Hochzeit trauert sie noch Ashley Wilkes hinterher. Während der Krieg tobt, nimmt sich Scarlett widerwillig ihrer heimlichen Rivalin Melanie an, um wenigstens auf diese Weise regelmäßig Kontakt zu Ashley zu haben. Und immer wieder stiehlt sich Rhett Butler in das Leben von Scarlett …

„Vom Winde verweht“ ist auch rund achtzig Jahre nach seinem Erscheinen ein höchst beliebter Klassiker, der auch durch die grandiose Verfilmung mit Clark Gable und Vivien Leigh unsterblich wurde. Das offene Ende, in dem sich die beiden – womöglich nur zeitweilig? – trennen, hat seitdem unzählige Fans beschäftigt und zu Spekulationen aufgerufen. 1991 folgte die Fortsetzung [„Scarlett“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3455063268/powermetalde-21 von Alexandra Ripley, die die Geschichte fortsetzte und ihr zu einem glücklichen Ende verhalf. Wer sich immer noch nach weiterem Material um eines der berühmtesten Liebespaare der Literatur sehnt, für den bietet „Rhett“ einen interessanten Stoff – diesmal mit dem Fokus auf Rhett Butler.

|Alte und neue Bekannte|

Ohne Zweifel ergibt sich erst dann ein besonderer Reiz aus „Rhett“, wenn man ihn mit dem Wissen um [„Vom Winde verweht“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3548269338/powermetalde-21 liest. Stand dort fast ausschließlich Scarlett im Mittelpunkt, erfährt man hier endlich Details aus dem Leben des legendären Schlawiners: Ereignisse aus seiner Kindheit und Jugend, der Bruch mit seiner Familie, das Verhältnis zu seiner Schwester Rosemary und die Bezüge zu Belle Watling. Belle Watling ist die rothaarige Prostituierte, die mit Rhett in enger Verbindung steht und für Scarlett in „Vom Winde verweht“ daher ein rotes Tuch war. Der Leser erfährt, dass er sich in jungen Jahren einmal wegen ihr duelliert hat und Belle ihm eine clevere Geschäftspartnerin war. Dennoch ist es keine Bedingung, Margaret Mitchells Roman zu kennen (auch wenn nur Banausen ihn nicht spätestens danach lesen wollen und werden).

Eine interessante Figur ist Rosemary Butler, die sich in den hübschen, schneidigen Andrew Ravenel verliebt. Trotz eines leidenschaftlichen Kusses in der Öffentlichkeit muss sie, um dem strengen Vater zu entfliehen, den weit weniger attraktiven, wenn auch anständigen John Haynes heiraten. Andrew dagegen, der im Krieg zu einem gefeierten Helden wird, heiratet die unscheinbare Charlotte. Ihre Tochter Meg bedeutet für Rosemary einen Lichtblick und eine der wenigen Gemeinsamkeiten mit ihrem Ehemann, doch viel zu früh muss diese in den Kriegswirren sterben – und damit hat Rosemary noch längst nicht alle schwierigen Zeiten hinter sich gebracht.

Ein ebenfalls oft leidvolles Schicksal ist Belle Watling zugedacht. Die Besitzerin des prunkvollen Etablissements „Chapeau Rouge“ ist zwar Rhett Butlers Vertraute, kann aber nicht mehr als seine platonische Liebe erringen. Der Leser erfährt die Herkunft ihres unehelichen Sohns Taz, der lange Zeit glaubt, dass Rhett Butler sein Vater sei, und gewinnt Einblicke in die enge Freundschaft zwischen Rhett und Belle. Zur tragischen Figur wird Belle, als sie sich mit Melanies Hilfe darum bemüht, eine „feine Dame“ zu werden und nicht mehr als Prostituierte zu arbeiten, ein Versuch, der bitter endet und Belle demonstriert, dass sie ihre Hoffnungen auf ein Leben als Mrs. Butler endgültig begraben muss.

Die Zeit des Bürgerkrieges wird längst nicht so intensiv wie in „Vom Winde verweht“ aufbereitet, dennoch gewinnt der Leser auch hier einen Einblick in die Schrecken des Krieges. Familien werden auseinandergerissen, Städte zerbombt und Plantagen in Brand gesetzt. Die wichtigsten Schlachten und Schachzüge der Unionisten und Konföderierten werden eingebracht. Angedeutet wird auch das wechselhafte Verhältnis zu der farbigen Bevölkerung. Selbst unter ihrem eigenen Volk stehen sich freie Schwarze und Diener, die bei ihren Herren bleiben, oft misstrauisch und ablehnend gegenüber, und es fehlt nicht an grausigen und schockierenden Szenen, in denen nach dem Krieg der neu gegründete Ku-Klux-Klan die Schwarzen verfolgt.

|Kopie mit Schwächen|

Auch wenn es auf der Hand liegt, soll ruhig noch einmal deutlich gesagt werden, dass „Rhett“ in keiner Weise mit „Vom Winde verweht“ mithalten kann. Es ist eine bestenfalls nette Light-Version und bietet vor allem den Fans des Originals neuen Diskussionsstoff sowie den Reiz einiger zusätzlicher Figuren. Doch allein schon der geringere Umfang bedeutet automatisch, dass „Rhett“ sich nicht viel Zeit für die Entwicklung der Handlung nimmt. Das Epos der Mitchell umfasst beinah tausend Seiten, McCaigs Werk ein paar hundert weniger, und das trotz rund zwanzig Jahren mehr Handlung. Viele Szenen, die man liebevoll-detailliert aus dem Original kennt, werden hier in wenigen Sätzen abgehandelt. Die Zeit zwischen dem Tod von Scarletts zweitem Ehemann und ihrer Hochzeit mit Rhett wird kaum erwähnt, die Umstände von Gerald O’Haras Tod nicht erklärt und den tödlichen Unfall von Scarletts und Rhetts Tochter Bonnie, die sie für lange Zeit entzweit, erfährt man sogar nur aus einem Briefwechsel zwischen Melanie und Rosemary. Auch das Sterben von Melanie verläuft unspektakulär und erreicht nicht im Mindesten die traurige Intensität der Vorlage. Für Nichtkenner des Originals wird außerdem die Figur von Will Benteen, der später Scarletts Schwester Suellen heiratet, unzureichend eingeführt.

Da die Geschichte den Fokus auf Rhett legt, fallen zwangsläufig einige Szenen aus „Vom Winde verweht“ heraus, die damals von Scarlett erlebt werden, etwa die schwierige Geburt von Melanies Sohn, während die Yankees in Atlanta einfallen. Leider können die Erlebnisse von Rhett, die man dafür im Gegenzug präsentiert bekommt, in kaum einem Fall an diese Schilderungen heranreichen, sondern bleiben blass dahinter zurück. Anhänger der Fortsetzung „Scarlett“ müssen außerdem erkennen, dass dieses Werk hier ignoriert und quasi eine Alternativ-Fortsetzung geschrieben wurde.

Zudem gibt es mehrere Unstimmigkeiten bei den Charakteren. Sind Rhett und Scarlett im Wesentlichen mit den Originalen identisch, so ist Melanie Hamilton Wilkes deutlich unglaubwürdiger geraten. Unbeabsichtigt belauscht sie ein Gespräch zwischen Rhett und Scarlett, das enthüllt, das Scarlett ihren ersten Ehemann, Melanies Bruder Charles, nie geliebt hat. Schwer vorstellbar, dass die sensible Melly, die ihren Bruder abgöttisch liebte und nichts mehr hasste als Unaufrichtigkeit, mit diesem Wissen Scarlett nach wie vor wie eine Schwestern geliebt haben soll. Noch schwerer vorstellbar sind die Briefe, die Melly an Rosemary schickt, in denen sie, zwar verhalten, aber dennoch ungewohnt offen über ihr sexuelles Verlangen nach Ashley schreibt – dem sie nicht nachgeben darf, da eine zweite Geburt ihr Leben gefährden würde – und ihre Eifersucht gesteht, weil sie über Scarletts und Ashleys gegenseitiges Begehren Bescheid weiß. Margaret Mitchells Melanie mag zwar geahnt haben, dass sich ihr Ehemann zur unbändigen und lebenslustigen Scarlett hingezogen fühlte – doch gleichzeitig wusste sie auch, dass sie ihm stets vertrauen konnte, dass er Melanie niemals für eine Affäre ohne Zukunft verlassen hätte. Die eifersüchtige Melly, die Rosemary gesteht, dass sie sich bemüht, bisweilen Zusammentreffen von Ashley und Scarlett zu verhindern, passt einfach nicht zum Verhalten des Originals und lässt die beeindruckende Stärke dieser Melanie vermissen.

_Als Fazit_ bleibt ein Wiedersehen mit Scarlett O’Hara und Rhett Butler, das sich vor allem für Hardcore-Fans des Originals eignet, die sich neuen Stoff um das Traumpaar herbeiwünschen. Nicht alle Personendarstellungen passen zur Vorlage, und das Werk erinnert nur in ganz wenigen Momenten daran. „Rhett“ ist ein lesbares Buch, das sich als Zeitvertreib eignet, aber keinesfalls ein Ersatz oder eine wirkliche Ergänzung für „Vom Winde verweht“.

_Der Autor_ Donald McCaig wurde 1940 in Montana geboren und zog 1971 mit seiner Frau ins Hochland von Virginia. McCaig hat sowohl Gedichtsammlungen herausgegeben als auch Artikel für Zeitschriften verfasst und bereits mehrere Romane über den Amerikanischen Bürgerkrieg geschrieben. Für seine Werke erhielt er bereits mehrfach Preise, unter anderem den |American Library Association Award| für das Beste Kriegsbuch, den |John Esten Cooke Award| für das Beste Südstaatenbuch und im Jahr 2000 den Ehrendoktortitel der Christopher Newport University. Die Fortsetzung „Rhett“, an der er vierzehn Jahre lang arbeitete, wurde von den Erben Margaret Mitchells autorisiert.

|Originaltitel: Rhett Butler’s People
Übersetzerin: Kathrin Razum
640 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag|
http://www.rhett-dasbuch.de
http://www.hoffmann-und-campe.de

Meister, Derek – Rungholts Sünde

Im Mittelalter waren der Glaube an Gott und das Leben nach den Gesetzen Gottes den Menschen wichtiger und für ihren Alltag unmittelbarer, als es in unserer Zeit der Fall ist. Die Menschen fürchteten das Fegefeuer und die Verdammnis, und obwohl viele von ihnen wahrlich Sünder waren, so war es ihnen doch wichtig, sich ihrer Sünden zumindest durch Ablassbriefe, Pilgerfahrten und Beichten zu entledigen. Bei vielen war dies geradezu ein Kreislauf von Sünden und immerzu gewährter Gnade von Kirchenfürsten, natürlich nach Entrichtung eines entsprechenden Geldbetrages. Andere Zeitgenossen dagegen waren eher wahre Atheisten, aber das behielt man besser für sich, denn jegliches Leugnen Gottes wurde als Frevel, Sünde, gar als Ketzerei mit Folter und dem Tode durch das reinigende Feuer bestraft. Die Umgangsformen der Inquisition dürften ja jedem Leser ausreichend bekannt sein.

Die größtenteils ungebildeten und vom Leben gezeichneten Menschen hatte nur eine vage Hoffnung in ihrem Dasein, einen wirklichen Glauben an Erlösung und ein besseres Leben im Paradies, an den man sich verzweifelt klammerte. Nach dem Tode im friedvollen Paradies fernab von Krankheit, Krieg, Hunger und Tod leben zu können, klang vielversprechender, als das wirkliche Leben sich darstellte. Die Seele sollte in eine bessere Welt übergehen und dort alles das erhalten, was dem irdischen Menschen nicht möglich war.

Den räumlichen Sitz der Seele vermuteten nicht nur einfache Menschen im Herzen, auch Mediziner und Priester ihrer Zeit waren sich darin einig. Die Wissenschaft der Anatomie eines Menschen war selbst den Medizinern ziemlich unbekannt, und es war nicht verwunderlich, dass die Scharfrichter mehr über den körperlichen Aufbau eines Menschen wussten als der Medicus.

Derek Meister, bekanntgeworden als Drehbuchautor von erfolgreichen Fernsehfilmen und zugleich Autor des historischen Kriminalromans [„Rungholts Ehre“, 4460 der in der Hansestadt Lübeck spielt, lässt seinen jähzornigen, bärbeißigen Ermittler und Kaufmann wieder im späten Mittelalter auf Mördersuche gehen.

_Die Geschichte_

Lübeck, 1392. Bei Brunnenarbeiten entdecken die beiden Arbeiter und Brüder Allrich und Nantwig ein altes Kellergewölbe. Es sieht aus, als wären die Steine verbrannt, so schwarz und grau ist deren Oberfläche. Bei weiteren Grabungen finden die beiden Brunnenbauer die Leiche eines Mannes.

Der junge und auf Macht strebende Richteherr Kerking bittet Rungholt, sich den Toten einmal näher anzuschauen, denn dieser hat einen aufgerissenen oder aufgeschnittenen Brustkorb, und in diesem liegt ein faustgroßer Stein statt des Herzens. Wie kommt die Leiche des Mannes, der noch nicht lange tot ist, in das zugemauerte Kellergewölbe?

Richteherr Kerking bietet den Patrizier für seine Hilfe an, ihm den Vertrag über die Herstellung und den Verkauf von Weiß- und Rotbier in seiner eigenen Brauerei zu genehmigen. Im Grunde erklärt sich Rungholt nur widerwillig einverstanden, denn mit seiner Brauerei, die sich gerade im Aufbau befindet, hat er bereits alle Hände voll zu tun, und das Gewerbe funktioniert auch nicht so, wie er sich dies Anfangs vorstellte.

Aus Neugierde heraus und mit dem Wissen, dass sich der bürokratische Weg ein wenig einfacher gestalten lässt, folgt Rungholt dem jungen, karrieresüchtigen Richteherr, dem er nach dem Mordfall vor zwei Jahren noch immer nicht vertraut. Es hat sich viel verändert in den letzten zwei Jahren. Die Überlegung, eine Brauerei zu bauen, erweist sich fast schon als Geldgrab, sein Schwiegersohn Daniel ist erfolgreich in Europa unterwegs und vertritt Rungholt bei geschäftlichen Angelegenheiten und seine eigene Tochter Mirke erwartet ihr erstes Kind.

Die Leiche ist für den bärbeißigen „Bluthund“, wie ihn Freunde und Feinde nennen, ein Schreck. Bei genauerer Untersuchung entdeckt Rungholt in der aufgerissenen Brust des Toten ein Stück Stola! War der Tote ein Priester?

Gerade jetzt zur Passionszeit herrscht in diesen Tagen in Lübeck ohnehin eine große Anspannung und Unruhe, nicht nur wegen der Fastenzeit und der unerträglich hohen Temperaturen: Dem „Schlächter von Visby“, Conrad van der Hune, soll in Lübeck der Prozess gemacht werden. Eine Verurteilung unter Richteherr Kerkering würde diesem für die anstehende Wahl des Bürgermeisters gut zu Gesicht stehen.

Die Zeit drängt, und als ein weiterer Mord an einem Soldaten geschieht und die Leiche noch brutaler zugerichtet ist, setzt Rungholt alles daran, den Mörder zu finden. Unterstützt wird er von seinem Kapitän und Freund Marek, der frisch in Sinje verliebt ist, eine junge Heilerin, die sich in die Ermittlungen immer wieder einmischt. Rungholt ist von der frechen jungen Frau beeindruckt, auch von ihrem medizinischen Wissen.

Die junge Frau erkennt in den Morden ein Muster, und Rungholt dämmert es, dass die Morde nicht zufällig in diese Passionszeit fallen. Ein gottesfürchtiger Wahnsinniger sühnt die alten Sünden und wiegt diese mit dem Gewicht der entnommenen Herzen auf – und Rungholt selbst belasten seit zwanzig Jahren schwere Sünden, die er immer wieder verdrängt, da er nicht den Mut aufbringt, sich seiner Vergangenheit zu stellen …

_Kritik_

Derek Meister hat sich in seinem zweiten Roman mit dem charakterlichen schwerfälligen und jähzornigen Rungholt handwerklich steigern können. Gleich die ersten Kapitel zeigen dem Leser auf, dass es mehrere Handlungsstränge geben wird und die Protagonisten mehr von sich zeigen und abverlangenmüssen, allen voran Rungholt selbst.

Die Basis des Romans ist ganz sicherlich die Jagd nach dem Serienmörder, der seinen noch lebenden Opfern das Herz entnimmt, doch auch die Inhaftierung des Massenmörders Hune ist nicht weniger spannend und entwickelt sich überhaupt nicht so, wie man es doch vermuten mag. Kerking als Richteherr Lübecks muss hier über seinen Schatten springen und konsequent auftreten, was auch seiner Figur etwas von seiner anfänglichen Arroganz nimmt, ihn aber noch immer nicht sympathisch erscheinen lässt.

Schon im ersten Fall „Rungholts Ehre“ gerieten Kerking und Rungholt aneinander, und auch diesmal fehlt es nicht an Wort- und sogar Körpergefechten; die Fehde der beiden ist also ein weiterer Handlungsstrang, den es zu entwickeln gilt.

In „Rungholts Sünde“ wird der Serienmörder schon sehr früh vom Autor namentlich genannt und sein Motiv von ihm selbsterklärend detailreich geschildert. Die Offenlegung seiner Identität bricht den aufzubauenden Spannungsbogen jedoch überhaupt nicht auf. Rungholt und der Mörder wechseln sich in den einzelnen Passagen erzählerisch ab, und ein Showdown zwischen beiden muss zweifelsfrei irgendwann stattfinden.

Natürlich gibt es Figuren aus dem ersten Teil, die auch hier eine wesentliche und tragende Rolle zu spielen haben. Allen voran Marek Bolge, ein dänischer Kapitän, der für Rungholt Waren ein- und verkauft und damit die nordischen Häfen ansteuert. Dieser hilft seinem alten Freund und Patrizier gegen einen gewissen hanseatischen Betrag gerne. Seine Gefährtin Sinje dagegen ist neu dabei, tritt aber emanzipiert und resolut gegenüber unserem alten Haudegen auf, was dieser überhaupt nicht gewohnt ist.

Schon in „Rungholts Ehre“ wurde angedeutet, dass Rungholt selbst seit seinem Aufenthalt in Russland eine dunkle Vergangenheit mit sich herumträgt, die ihn tief bedrängt und nicht zur Ruhe kommen lässt. In diesem zweiten Teil wird das Rätsel um seine geliebte Irena und das Bild des roten Schnees aufgelöst. In mehreren, sehr ausführlichen Rückblenden wird geschildert, warum sie sterben musste und welche Sünde Rungholts damit einhergeht.

Winfried der Kahle, Rungholts ältester Freund und Mentor, ist natürlich auch mit von der Partie, ebenso Rungholts junge Tochter Mirke und seine Frau Alyhed, die aber in der gesamten Handlung nur wenig Platz beanspruchen. Als einen kleinen Schwachpunkt sehe ich die Figur des „Schlächters von Visby“, denn dieser Mörder ist historisch nicht belegt, eben nur fiktiv; vielleicht wäre hier ein realer Mörder der Hansestadt Lübeck, dem der Prozess gemacht wird, für das Interesse des Lesers eher von Vorteil gewesen.

„Rungholts Sünde“ ist nicht nur spannender aufgebaut als der erste Teil, sondern auch wesentlich blutiger und brutaler geschildert, ohne dies jedoch zu übermäßig ausufern zu lassen. Erneut sehr aufschluss- und lehrreich wird das späte Mittelalter geschildert, auch gerade, was die Begrifflichkeiten und Alltagsgegenstände angeht. Die Stadt Lübeck kommt ebenfalls wieder wunderbar und detailreich zur Geltung. Auch hier rundet der Autor das Gesamtbild als Anhang mit Erklärungen und einem kleinen Stadtbild von Lübeck ab.

_Fazit_

„Rungholts Sünde“ ist ein großartiger historischer Roman geworden, ein Krimi, der durch Spannung und seine Charaktere überzeugt. Mit diesem Roman hat Derek Meister anfängliche Lücken seines Erstlingswerks zur Zufriedenheit seiner Leserschaft erklären und abschließen können. Wie sich zeigt, kann der treue Leser sich im nun erschienen dritten Band „Knochenwald“ auf weitere Auseinandersetzungen zwischen Richteherr Kerking und dem Patrizier Rungholt freuen. Derek Meister verbindet in „Rungholts Sünde“ erneut den dunklen Zauber des Mittelalters als Grundlage für seinen Kriminalfall mit einem gut recherchierten historischen Umfeld.

_Derek Meister_ wurde 1973 in Hannover geboren. Schon früh entdeckte er seine Leidenschaft für das Geschichtenerzählen und den Film. So entstanden in den 1980er Jahren mit Freunden erste Spielfilme auf Super-8 im Wald hinter dem Haus.

Die frühen Versuche verschlugen ihn 1995 an die Filmhochschule Konrad Wolf in Potsdam/Babelsberg. Dort studierte er Film- und Fernsehdramaturgie. Schon während des Studiums wurden erste Drehbücher unter anderem vom |ZDF| realisiert. 2003 beendete Derek Meister sein Studium zum Film- und Fernsehdramaturgen mit Diplom.

Derek Meister schreibt für diverse Produktionsfirmen und Sender, darunter das |ZDF|, |RTL|, |Sat.1| und |Pro7|. Er entwickelte die Krimiserie „Mit Herz und Handschellen“ mit, die 2003 erfolgreich auf |Sat.1| lief, und wurde mit „Weg!“ für den FirstSteps-Preis nominiert. Außerdem gewann das Spiel „Wiggles“, für das er das Drehbuch verfasste, zahlreiche Branchenpreise.

Derek Meister arbeitet seit 1999 als freier Autor in Berlin. Neben der „Rungholt“-Reihe schreibt Derek Meister zusammen mit seiner Frau die Reihe „Drachenhof Feuerfels“, die im |Loewe|-Verlag erschienen ist.

inhalt


http://www.rungholt-das-buch.de
http://www.blanvalet.de
[Unser Interview mit dem Autor]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=88

Gregory, Philippa – Schwester der Königin, Die

Heinrich VIII., König von England (* 28. Juni 1491 in Greenwich; † 28. Januar 1547 im Whitehall-Palast, London), war zweifellos ein Großer unter den Königen seiner Zeit. Er war ein Mann der Künste, der Diplomatie und auch ein nicht zu unterschätzender Militärstratege. In die Geschichte ist er allerdings eingegangen als königlicher Gemahl von sechs Ehefrauen und Liebhaber diverser Mätressen und inoffiziellen Gefährtinnen, als Scheidungen und offene Beziehungen noch nicht gerade an der Tagesordnung waren. Um diese tragischen und dramatischen Ehen ranken sich viele Geschichten und Gerüchte. Heinrich VIII. Tudor war auch ein Tyrann seiner Zeit, er legte sich mit dem römisch-katholischen Glauben an, wurde exkommuniziert und gründete daraufhin die Anglikanische Kirche, deren Oberhaupt er war. Seine allergrößte Sorge zu Lebenszeiten war es, einen Nachfolger für das englische Königshaus zu finden bzw. einen eigenen Sohn zu zeugen.

Seine erste Frau war die seines verstorbenen Bruders Arthur Tudor, Katharina von Aragón. Diese Ehe war ein politisches Bündnis und sollte die Freundschaft zu Spanien festigen, damit man gegenüber dem Erzfeind Frankreich mehr Druck ausüben könnte. Doch Heinrich war ein Lebemann in jeder Hinsicht, er genoss die vielen festlichen Bankette und Turniere, an denen er sich regelmäßig beteiligte. Sein Lebenswandel war ausschweifend und sein in jungen Jahren gutes Aussehen brachte ihm immer weitere Frauen in sein eheliches Bett, die er sich als Mätressen nahm. Er überhäufte die jungen Frauen mit Geschenken und Vergünstigungen, und nicht wenig profitierten auch die Familien der jungen Frauen davon, ihre Väter hatten wichtige Ämter beispielsweise im Kronrat inne oder erwarben Adelstitel und Ländereien.

Da Katharina von Aragón ihm keinen legitimen Sohn schenken konnte und eine Prinzessin gebar – Prinzessin Mary – arbeitete Heinrich auf eine Scheidung hin, die ihm aber die päpstliche Instanz verweigerte. 1520 verliebte er sich in die vierzehnjährige Mary Boleyn, die zwar verheiratet war, doch das war für ihn kein Hindernis und für die umschmeichelte und vom König verwöhnte junge Frau auch nicht. Auch die gesamt Familie Boleyn plante, sich den Königsthron zu erobern, und das ermöglichte die Intrige einer jungen Frau, die ihm einen Nachfolger schenken sollte. Die Liebesaffäre ging fünf Jahre gut. Womöglich schenkte sie Heinrich eine Tochter, die aber offiziell den Namen ihres Mannes Carey annahm.

Ungefähr während der Karnevalszeit 1521 lernte Heinrich VIII. Anne Boleyn kennen, die wie ihre ältere Schwester zuvor eine der Hofdamen seiner Ehefrau Katharina von Aragón war. Um Anne Boleyn ranken sich viele Legenden und Gerüchte, und sie war wohl die bekannteste Ehefrau des berüchtigten Königs von England. Angeblich soll sie Heinrich VIII. mit Zaubersprüchen in ihrem Bann geschlagen und verhext oder mit Zaubertränken gefügig gemacht haben, überdies soll sie hochgebildet gewesen sein und geradezu von Ehrgeiz getrieben ihr Ziel verfolgt haben, Königin von England zu werden – mit allen ihr zu Verfügung stehenden Mitteln. Aber sie bezahlte einen hohen Preis für den majestätischen Titel, denn am 19. Mai 1536 wurde sie, angeklagt wegen mehrfachen Ehebruchs, inzestuöser Beziehungen zu ihrem Bruder sowie Hochverrat, von dem französischen Henker Jean Rombaud mit dem Schwert hingerichtet.

Philippa Gregory hat mit dem Roman „Die Schwester der Königin“ (The Other Boleyn Girl) die tragische Geschichte der Boleyn-Mädchen in fabelhafter und gut recherchierter Form niedergeschrieben. Das Buch wurde 2008 mit den Stars Natalie Portman, Scarlett Johansson und Eric Bana von Justin Chadwick verfilmt.

_Die Geschichte_

Die Adelige Mary Boleyn ist gerade vierzehn Jahre jung, als sie an den englischen Königshof kommt, um dort der Königin Katharina von Aragón als Hofdame zu dienen. Mary ist erzogen worden, für ihre Familie alles zu tun, und wie gewohnt legt sie ihr Schicksal in die Hände ihres ehrgeizigen Vaters und des Onkels, die in ihr nicht anderes sehen als eine nützliche Marionette, um Einfluss zu gewinnen.

Die junge Frau findet sich sehr schnell am königlichen Hof zurecht und genießt das Vertrauen und die Freundschaft ihrer Königin, die sie oftmals den anderen Hofdamen vorzieht. Ihr Ansehen wächst von Tag zu Tag, und auch dem König fällt Mary schnell auf.

Ihre Schwester Anne Boleyn wird wenig später ebenfalls Hofdame der Königin, und auch sie fällt mit ihrer wohlerzogenen Art sofort auf. Ihre in Frankreich erlernten höfischen Manieren und auch ihre Mode unterscheidet sich vollkommen von der der englischen, und damit zieht sie nicht nur die anderen adeligen Männer im Palast in ihren Bann.

Als dem ehrgeizigen Onkel und dem Vater das Interesse des englischen Königs an den beiden jungen Frauen auffällt, werden diese schnell zum Spielball innerhalb der königlichen Politik. Marys Onkel ruft als Familienoberhaupt den Familienrat zusammen und gibt seinen Plänen ein Gesicht. Es trägt das Antlitz seiner Nichte Mary, die von nun an unter der Regie von Anne den König erobern und binden soll. Kein einfacher Schachzug, sondern ein Spiel mit dem Feuer, das den Beteiligten schnell die Existenz kosten kann.

Mary fügt sich wie gewohnt und ohne viele Widerworte den Befehlen und Wünschen ihrer Familie. Nur wenig später ist es Mary gelungen, den König mit ihrer unschuldigen und gewinnenden Art zu überzeugen, und sie schenkt ihm eine Tochter und einen Sohn. Der Familienklan der Boleyn sieht sich schon als Teil des Königshauses, aber Mary fühlt sich immer unwohler in ihrer Rolle und hat gegenüber ihrem Ehemann William Carey arge Gewissensbisse, der sie immerhin nicht verstößt und trotz alledem zu ihr hält und ihre Kinder annimmt.

Mehr und mehr gewinnt Anne dafür an Einfluss, und der Familienrat beschließt aufgrund dieser offensichtlichen Tatsache, die Rollen der beiden Schwestern zu tauschen. Anne ist skrupelloser, ehrgeiziger und immer Herrin der Lage. Sie versteht es, den König zu locken und zu manipulieren und sie ist überdies eine aufmerksame und wohlüberlegte Beobachterin.

Auf der königlich-politischen Bühne bewegt sie sich vollkommen sicher, mit dem einzigen Ziel vor Augen, eines Tages Königen von England zu werden.
Die einzige Schwierigkeit besteht darin, die Ehe mit Katharina von Aragón, der Ehefrau von Heinrich VIII., in Frage zu stellen und annullieren zu lassen. Um das zu erreichen, sind ihr alle Mittel recht …

Mary sieht ihren Einfluss am Hofe schwinden und vernunftgemäß das Glück ihrer Kinder im Vordergrund, daher steht sie Anne nicht mehr als Rivalin gegenüber. Der Weg zum königlichen Thron ist frei für Anne Boleyn …

_Kritik_

Philippa Gregory gelingt es in „Die Schwester der Königin“, dem englischen Hof mit seiner ganz eigenen kleinen Welt und den darin lebenden Menschen ein lebhaftes Antlitz zu verleihen. In den Jahren 1521 bis 1536 geschieht im englischen Königshaus, das halb Europa beherrscht, viel Gegensätzliches. König Heinrich VIII. stellt sein persönliches Glück über dasjenige Englands, und sein Streben nach einem Nachfolger, einem legitim gezeugten Sohn als Erbfolger wird zu einer fixen Idee. Für diese legt er sich mit der römisch-katholischen Kirche an, duldet eine Exkommunikation und gründet ganz pragmatisch eine eigene, ihm unterstellte christliche Glaubensgemeinschaft – die Anglikanische Kommunion wird geboren.

Es sind wirre und gefährliche Zeiten, die dem König zum Ruf eines tyrannischen Herrschers verhelfen. Sein politisches Geschick lässt nach, und die Spanier sind alles andere als begeistert darüber, wie er mit seiner Ehefrau Katharina von Aragón umspringt. Er jedoch nimmt alles in Kauf, um einen Sohn zu zeugen. Anne Boleyn verführt den König geschickt mit ihren Reizen, doch alle Beteiligten spielen mit ihrem Leben und sind sich des Risikos, das sie dabei tragen, durchaus bewusst.

Heinrich VIII. redet sich gern die Lage schön: Er war mehr Optimist als Realist. Für Komplimente und Schmeicheleien war er charakterlich zeitlebens empfänglich. Anne setzte genau diesen Schwachpunkt ein, um als Majestät angesprochen zu werden.

Philippa Gregory beschreibt ihre authentischen Charaktere sehr anschaulich und menschlich. Alle Facetten der Boshaftigkeit, Falschheit, aber auch der Opferbereitschaft und nicht zuletzt der Menschlichkeit werden hier in vollem Ausmaß bedacht. Mary und Anne Boleyn bewegen sich auf einem schmalen Grat; eine unheilschwangere Stimmung, die sich durch die gesamte Geschichte zieht.

Wer ein wenig die Historie dieser Epoche kennt und mit den tragischen Figuren Heinrich VIII. und Anne Boleyn vertraut ist, der weiß, wie die Geschichte enden wird. Es ist nicht die Spannung der Unwissenheit, die diesen Roman so interessant und lesenswert macht, es ist vielmehr die Art, wie die Figuren auf dem Schachbrett der Politik positioniert werden.

Die Geschichte und das persönliche Schicksal der Protagonisten gehen dem Leser sehr nahe. Es stimmt traurig, wenn man bedenkt, wohin es führen kann, wenn eine Familie entgegen aller Vernunft für die Macht kämpft, dabei ihre Menschlichkeit verliert und die Ihren ins Verderben reißt.

Mary Boleyn liebte den König als Person, als Mann, nicht nur als Herrscher mit Einfluss und Macht. Ihre Schwester dagegen opfert ihre große Liebe für dieses Spiel um Macht und majestätische Würde. Besonders ergreifend empfand ich das Schicksal der ersten Ehefrau Katharina von Aragón. Niemals aufgebend und immer hoffend, erwartet sie ein trauriges Schicksal, das sie desillusioniert im Exil annehmen muss. Auch den Bruder Georg Boleyn erwartet ein unrühmliches Ende, auch er, fällt der Intrige zum Opfer – doch zu welchem Gegenwert?

Heinrich VIII. wird als der Charakter dargestellt, der in dieser Gestalt geschichtlichen Forschung wahrscheinlich am nächsten kommt. Ein vielversprechender, arroganter und eigensinniger Charakter war er, so wie ihn die Autorin beschreibt. Er spielt bei weitem nicht die charakterliche Hauptrolle, eher eine Nebenfigur mit deutlichen Tiefen, die aber nicht als abgründige Verhaltensformen interpretierbar sind. Sein Wille, einen Nachfolger zu zeugen, einen Sohn, der die Königswürde und -bürde übernimmt, ist logisch begreifbar, nicht jedoch um den Preis, den auch er letztlich zahlen muss. Etwas schade fand ich, dass seine Gedanken und seine Persönlichkeit ein wenig untergegangen sind, aber es gibt andere Literatur, die vergleichbar gut und vielversprechend ist und sich stärker mit dem Herrscher selbst auseinandersetzen. Es lohnt sich, sich mit ihm zu befassen.

Wer war Anne Boleyn wirklich? Die neueste Geschichtsforschung beschreibt sie, wie Philippa Gregory auch, als eine gewissenlose, charismatische und gebildete Frau, die wenn sie es musste, vielleicht auch über Leichen ging, dies zumindest in Erwägung zog. Sie war eine von ihrem eigenen Machtstreben verurteilte junge Frau, die mit ihrem Ehrgeiz auch ihren eigenen Niedergang beschwor. Im Roman ist sie keine Figur, an deren Schicksal sich man positiv erinnert, aber auch hier stellt sich die Frage, ob es ihr eigener Charakter und ihre Erziehung waren, die sie zur Intrigantin machten, oder ob nicht die wahren Schuldigen die Hintermänner, also der eigene Vater und der Onkel gewesen sind. Anne Boleyn war die Königin der Tausend Tage, und oftmals wird sie für ihren Tod heroisiert, in anderen Romanen kommt ihr Charakter entsprechend weitaus positiver zur Geltung.

Philippa Gregory hat für den Roman ausgezeichnet recherchiert, auch das wird im Nachwort von ihr angemerkt und unterstreicht nur noch ihre Professionalität als Autorin historischer Romane. Es gibt nur wenige zeitliche oder erzählerische Freiheiten in der historisch verbürgten Handlung. Einzelne Passagen sind freilich von ihr frei interpretiert, aber auch dann sprechen die Indizien ganz klar für Gregorys Interpretation.

_Fazit_

„Die Schwester der Königin“ ist ein hochinteressanter historischer Roman, der den Leser zugleich zu unterhalten weiß. Es geht hier einmal nicht um Schlachten und Kriege, obwohl man sagen kann, dass in diesem Falle das Bett des Königs einem Schlachtfeld gleichkommt.

Der Roman ist leicht verständlich geschrieben und macht Lust darauf, mehr über die drei Boleyn-Geschwister zu erfahren. Wer sich also für englische Geschichte und das Schicksal von Anne Boleyn interessiert, kann guten Gewissens zu „Die Schwester der Königin“ greifen.

|Originaltitel: The Other Boleyn Girl
Aus dem Englischen von Ulrike Seeberger
Taschenbuch, 693 Seiten|
http://www.aufbau-verlag.de
http://movies.universal-pictures-international-germany.de/dieschwesterderkoenigin/
http://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich__VIII.__%28England%29

|Philippa Gregory auf Buchwurm.info:|
[„Die Schwiegertochter“ 2865

Dorothy Dunnett – Spiel der Skorpione (Das Haus Niccolò 3)

Das Haus Niccolò 1: „Niccolòs Aufstieg“
Das Haus Niccolò 2: „Frühling des Widders“

Nicholas‘ triumphale Rückkehr aus der Levante hat einen kräftigen Dämpfer erhalten, kaum dass er venezianischen Boden betreten hat: Seine Frau Marian de Charetty ist tot. Und entgegen der Vermutung seiner Umwelt hat ihn dieser Verlust tief getroffen. In einem Zustand der Ziellosigkeit und Niedergeschlagenheit trifft er auf Charlotte von Zypern, die unbedingt seine Söldnertruppe unter Vertrag nehmen will. Bereits in Venedig hat er ihren Gesandten zurückgewiesen, ebenso wie den ihres Bruders und Gegners Jakob. Doch Charlotte lässt nicht locker und schickt ihm eine ihrer Hofdamen auf den Hals, die Kurtisane Primaflora. Nicholas „flieht“ zu Astorre in den Krieg um Neapel – nur um sich nach der Entscheidungsschlacht in einer völlig fremden Umgebung wiederzufinden …

Dorothy Dunnett – Spiel der Skorpione (Das Haus Niccolò 3) weiterlesen

Martina André – Das Rätsel der Templer

Die Tempelritter hatten in der Zeit ihrer Epoche (1118 – 1312) erheblichen Einfluss auf die Königreiche in Europa. Der Orden der Templer vereinte das Rittertum mit der Gemeinschaft der Mönche. Die ursprüngliche Aufgabe des Ordens war es, die Handelswege in das gelobte Land für die Pilger und Händler zu sichern. Der Einfluss der Templer stieg, sie verliehen gegen Zinsen ihr Geld, nicht wenig profitierten davon auch die Adeligen, und selbst Königshäuser gehörten zu den Kunden dieser „Priesterschaft“.

Um ihre Finanzen zu organisieren und das Geld an jeder Stelle zentral zu verwalten, erschufen die Templer das so genannte Kreditwesen, das wir zum großen Teil auch noch in unserer Zeit, Jahrhunderte später wiederfinden. Selbst die Buchführung war in dieser Zeit mehr als fortschrittlich.

Martina André – Das Rätsel der Templer weiterlesen

Dübell, Richard – Tochter des Bischofs, Die

[„Der Tuchhändler“ 2750
[„Der Jahrtausendkaiser“ 3003
[„Eine Messe für die Medici“ 3288
[„Die schwarzen Wasser von San Marco“ 3323
[„Das Spiel des Alchimisten“ 3380

Wir befinden uns im Aquitanien des 12. Jahrhunderts. Raymond le Railleur ist ein Vagant, ein Sänger. Und leider mag er auch gerne spöttische Versduelle zum Besten geben, die ihm nicht so gut bekommen. Aufgrund seines letzten, sehr unglücklich verlaufenen Auftrittes befindet er sich nun auf den Weg nach Poitiers, um den mächtigen Bischof Jean Bellesmains aufzusuchen.

Er erhofft sich von ihm die Chance, zu spielen und eine Empfehlung für den Hof des jungen König Henri Plantagenet zu bekommen, um seinem Beruf weiter nachgehen zu können. Doch der Bischof hat von seinem Ruf und auch von seiner letzten Pleite bereits gehört, und um dessen Empfehlung zu bekommen, muss Raymond einen Auftrag erfüllen. Der Assistent des Bischofs, Firmin, ist verschwunden; sollte Raymond ihn zurückbringen, wäre seine Zukunft gerettet. Widerwillig nimmt der Sänger den Auftrag an.

Glücklicherweise folgt der zweite Arbeitgeber auf der Stelle. Der ehrgeizige Ritter Robert Ambitien möchte, dass Raymond für ihn ein Fest ausrichtet, bei dem auch der Bischof eingeladen werden soll. Dankbar, einen Grund zu haben, um in der Gegend zu bleiben und Firmins Spur aufzunehmen, begibt sich Raymond auf Roberts Anwesen und verliebt sich prompt in dessen Frau Suzanne, die nicht nur wunderschön ist, sondern auch über ein scharfes Zünglein – vor allem gegenüber dem Klerus – verfügt.

Raymond, als Sänger natürlich verpflichtet, die Hausherrin anzubeten, schwankt nun zwischen zwei Aufträgen und seinen stetig wachsenden Gefühlen. Zu allem Übel findet er heraus, dass Firmin nicht nur verschwunden, sondern sogar ein Mörder ist. Als er selbst als Mörder gesucht wird, wird eines ganz deutlich: Dieser Auftrag hat es mächtig in sich, und seine Liebesgefühle sind nicht gerade förderlich für seine Situation …

„Die Tochter des Bischofs“ ist nun der fünfte Roman von Richard Dübell, den ich genießen durfte. Zwar stand mir diesmal nicht der Kaufmann Peter Bernward zur Seite, aber Raymond le Railleur ist mir auch ein wenig ans Herz gewachsen. Insgesamt ist der Roman meiner Meinung nach nicht so gelungen wie die Bernward-Romane, aber eine Lektüre wert ist er allemal – unterhaltsam, spannend, flüssig lesbar. Der Plot steuert gradlinig auf den Höhepunkt zu, nur eine Überraschung erwartet den Leser, und das natürlich am Ende der Erzählung.

Sprachlich fasziniert der Autor immer wieder mit pointierten Sätzen, zielgerichteten Beschreibungen und gut gesetzten Metaphern und Vergleichen. Das unterhält und verleitet zum Weiterlesen. Oft habe ich einen Satz ein zweites Mal gelesen – nicht, weil ich den Sinn nicht verstanden hätte, sondern weil der Satz einfach schön und harmonisch klingt. Das weiß zu gefallen!

Die Dialoge sind zum einen sehr spritzig, weil Raymond einen sehr sarkastischen, aber treffenden Humor besitzt, der ihm natürlich bei den Spottversen sehr zugute kommt. Zum anderen dienen die Dialoge aber natürlich auch dem Voranschreiten der Handlung, und auch hier beweist der Autor sein handwerkliches Geschick.

Nur die Charaktere sind mir etwas zu blass geraten. Ich kann noch nicht mal sagen, dass mir etwas an ihnen direkt fehlen würde, aber ich konnte mich bei weitem nicht so intensiv in sie hineinversetzen wie bei den anderen Romanen des Autors. Der bereits erwähnte Humor von Raymond ist die einzige Ausnahme, ansonsten verlaufen sich mir die Figuren doch zu sehr ins Klischee: der mächtige, grollende Bischof, der geifernde Pastor, die wunderschöne und kluge Rittersfrau, die natürlich nicht von ihrem Mann geliebt wird, sondern von dem Held der Geschichte. Ja, klar, Liebe gehört dazu, aber irgendwie hat man das in dieser Form doch schon allzu oft gelesen.

Raymonds Spurensuche kann der Leser gut folgen, durch dessen Gedanken auch gut mitziehen. Das Buch ist zwar in der dritten Erzählperspektive geschrieben, aber eindeutig aus Sicht des Sängers; es gibt auch keinen Moment, der den Leser von Raymonds Seite weichen lässt, dadurch wirkt alles fortlaufend und geradeaus geführt. So entdecken der Sänger und der Leser Stück für Stück das Geheimnis des verschwunden Mönches, und dadurch kommt entsprechende Spannung auf. Man will halt nicht nur wissen, wie Raymond Firmin schnappt, sondern auch, was der Bischof mit seinem abtrünnig gewordenen Untertan anstellt. Und nebenbei kann man dann ja auch noch erfahren, was nun mit den Gefühlen zwischen Suzanne und unserem Held sein wird. Happy End oder gebrochenes Herz auf Lebensende?

Insgesamt lässt sich sagen, dass mir „Die Tochter des Bischofs“ ganz gut, aber eben nicht herausragend gefallen hat. Ich habe das Buch gelesen, werde es aber kein zweites Mal zur Hand nehmen. Es ist zwar eher eines der mäßigeren dieses Autors, dafür aber immer noch deutlich besser gelungen als die vergleichbare Masse auf dem Buchmarkt.

Homepage des Autors: http://www.duebell.de
http://www.bastei-luebbe.de/
http://www.ehrenwirth.de

Meyer, Kai – Göttin der Wüste

Kai Meyer gehört wohl zu den erfolgreichsten Schriftstellern Deutschlands. Seine unzähligen Veröffentlichungen bedienen sich stets der Phantastik, und so ist es auch bei „Göttin der Wüste“. Das Buch spielt im Afrika der deutschen Kolonialzeit und greift auf afrikanische Mythen zurück.

Die zweiundzwanzigjähre Bremerin Cendrine Muck ist auf dem Weg nach Südwest in Afrika, wo sie als Gouvernante für die kleinen Mädchen eines reichen deutschen Minenbesitzers arbeiten soll. Die Familie Kaskade wohnt auf einem herrlichen Anwesen, doch Cendrine fällt es schwer, sich einzugewöhnen. Zum einen macht Madelaine, die Herrin, ihr ab und an das Leben schwer, zum anderen fühlt sie sich von Adrian, dem neunzehnjährigen Sohn, der seit einer Kinderkrankheit taub ist, verfolgt. Er scheint Interesse für sie an den Tag zu legen, und er ist es auch, der ihr Antworten auf die Fragen gibt, die sich ihr stellen, als sie plötzlich wirre Träume hat. Träume, die nicht nur real wirken, sondern sich auch so anfühlen und mit der tragischen Geschichte des Gutes der Kaskades zusammenhängen. Immerhin ist der Erbauer des stolzen Gebäudes damals Amok gelaufen und hat sich und seine ganze Familie ausgelöscht. Adrian eröffnet ihr, dass sie, das kleine weiße Mädchen, die Kräfte einer Schamanin hat. Obwohl die Beweise dafür sprechen, fällt es ihr schwer, dies zu glauben. Doch die Träume kommen wieder und plötzlich sieht sie auch andere Dinge, übersinnliche Dinge, und sie verspürt einen Ruf, der sie in Richtung Henoch, der Stadt, die der Brudermörder Kain einst erbaute, zieht …

Das Szenario, das der Autor in diesem unheimlichen Roman entwirft, ist in seinen Einzelteilen nicht neu, in ihrer Kombination aber recht ungewöhnlich. Eine junge Deutsche mit einer nicht geheimnisfreien Vergangenheit reist zum Anfang des 20. Jahrhunderts nach Südwestafrika, wo sich ihr offenbart, dass sie weit mehr ist als nur die kleine Gouvernante aus Bremen. Der Anfang der Geschichte beinhaltet kaum Fantasyelemente, sondern erzählt vielmehr anschaulich und exakt wie ein historischer Roman. Doch spätestens als Cendrine ein ihr merkwürdiges Stammesritual der Eingeborenen mit Menschenopfern beobachtet und einen kleinen Jungen vor dem Tod bewahrt, wird klar, dass dieses Buch weit mehr ist als eine historische Darstellung. Allmählich und wohldosiert lässt Meyer mystische und auch religionskritische Elemente einfließen, ohne diese zu übertreiben oder in den Mittelpunkt zu rücken. Vielmehr steht Cendrine beziehungsweise die Geschichte als Ganzes im Vordergrund, wobei wichtige Nebenerzählstränge nicht vernachlässigt werden.

Cendrine Muck, die Hauptperson, ist ein angenehmer Charakter, der manchmal aber ein wenig zu sehr an ähnlich geartete Figuren anderer Bücher erinnert. Das zeigt sich vor allem dann, wenn ihr Temperament gegenüber ihrer Erziehung die Überhand gewinnt und sie ihrer Herrin patzige Antworten gibt oder wenn es darum geht, Gerechtigkeit gegenüber den Eingeborenen walten zu lassen. Trotz dieser etwas stereotypen Eigenschaften sticht Cendrine dennoch hervor, denn sie ist authentisch, wird nie als Überheldin dargestellt und ist nicht zu überzeichnet. Meyer gelingt es tatsächlich, den Leser mit seiner Protagonistin zu überraschen. Es scheint zwar so, als ob man schon alles über sie wüsste, aber trotzdem gibt es das eine oder andere Geheimnis, das der Autor aus dem Ärmel ziehen kann.

Abgesehen von der sauber gestalteten Geschichte und der sympathischen Hauptfigur ist es vor allem der Erzählstil, der dafür sorgt, dass man „Göttin der Wüste“ in einem Rutsch liest. Meyer erzählt unglaublich dicht, interessant, dabei aber auch sauber und klar. Er lässt irrelevanten Gedankengängen vonseiten Cendrines nur wenig Platz, sondern konzentriert sich darauf, die Geschichte mit seinem ausgewählten, recht nüchternen Wortschatz zu veranschaulichen. Er geht dabei sehr sorgfältig vor, und es ist sicherlich nicht übertrieben, ihn als „Erzähler“ zu bezeichnen.

Letztendlich schreibt Kai Meyer nicht, um mit einem möglichst originellen Stil zu prunken oder eine durchkonstruierte Handlung zu präsentieren, sondern er schreibt um der Geschichte willen. Er liefert ein Gesamtpaket ab, das sich aus vielen positiven Komponenten zusammensetzt, und das ist es, was es seinem Roman ermöglicht, den Leser in eine andere Welt zu entführen.

http://www.kai-meyer.com
http://www.bastei-luebbe.de

|Kai Meyer auf Buchwurm.info:|

[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
[„Der Brennende Schatten“ 4506 (Hörspiel)
[„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 (Hörspiel)
[„Die Wellenläufer“ 3247 (Hörbuch)
[„Die Muschelmagier“ 3252 (Hörbuch)
[„Die Wasserweber“ 3273 (Hörbuch)
[„Frostfeuer“ 2111 (Hörbuch)
[„Die Alchimistin“ 73
[„Das Haus des Daedalus“ 373
[„Der Schattenesser“ 2187
[„Die Fließende Königin“ 409
[„Das Buch von Eden“ 890 (Hörbuch)
[„Das Buch von Eden“ 3145
[„Der Rattenzauber“ 894
[„Faustus“ 3405
[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
[„Lanze und Licht“ 4549 (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)

Dunnett, Dorothy – Frühling des Widders (Das Haus Niccolò 2)

Das Haus Niccolò 1: [„Niccolòs Aufstieg“ 3501

_Der junge Färberlehrling Nicholas_ hat es in der Tat weit gebracht. Sowohl sein Kurierdienst als auch seine Söldnertruppe wurden ein wirtschaftlicher Erfolg, und nun hat er auch noch seine frühere Dienstherrin, die Witwe Marian Charetty, geheiratet und ist damit quasi zum Geschäftsführer des Unternehmens aufgestiegen. Das Befremden, das diese ungewöhnliche Ehe in ihrem gesamten Umfeld ausgelöst hat, ist allerdings das kleinste aller Probleme.

Denn im Laufe seiner Unternehmungen hat Nicholas sich einige Feinde gemacht, allen voran den schottischen Adligen Simon de St. Pol von Kilmirren. So kommt es, dass Nicholas gezwungen ist, Brügge für längere Zeit zu verlassen, und da kommt ihm das Angebot des Griechen de Acciajuoli gerade recht: Der Basileos, der Kaiser von Trapezunt, wünscht eine Handelsvertretung der Florentiner in seinem Land. Denn die Vertreter der Venezianer und Genuesen haben sich durch ihr Auftreten und ihre Geschäftspraktiken nicht gerade beliebt gemacht. Nicholas macht sich auf den Weg nach Florenz, und von dort aus weiter nach Osten. Doch kaum ist er in See gestochen, zeigt sich allmählich, worauf er sich da eingelassen hat …

_War der historische Hintergrund_ im ersten Band schon äußerst komplex, wird er im Folgeband noch um die politischen Verhältnisse in der Levante erweitert. Der Begriff Levante wurde geprägt von den italienischen Stadtstaaten, bedeutete zunächst lediglich „östlich“ im Sinne von „östlich von Italien“ und umfasste in dieser Bedeutung nicht nur die vorderasiatische Mittelmeerküste, sondern auch das Gebiet der heutigen Türkei und Griechenlands bis hin zum südlichen Balkan. Das Handlungsgros spielt sich jedoch in Kleinasien ab, einem Gebiet, das weit zersplitterter war, als man es im Hinblick auf die Herrschaft der Osmanen und die Eroberung von Byzanz 1453 erwarten würde.

|1460|

Das [osmanische Reich]http://de.wikipedia.org/wiki/Osmanisches__Reich hat nach dem Einfall der Mongolen unter Timur Lenk Anfang des Jahrhunderts die Kontrolle über einen Großteil Anatoliens verloren. Einige Gebiete werden von den Turkmenen gehalten, unter anderem von den weißen Horden Uzun Hasans, dem Fürsten von Diyarbakir. Im Südosten entstand das Sultanat Karaman, im Norden an der Küste zum schwarzen Meer das Emirat Jandar. Keine Frage, dass Sultan Mehmet II., der bereits die verloren gegangenen Gebiete in Griechenland und auf dem Balkan zurückerobert hat, auch hier gerne wieder die osmanische Hegemonie herstellen würde.

Außerdem ist da noch [Trapezunt.]http://de.wikipedia.org/wiki/Kaiserreich__Trapezunt Das Kaiserreich liegt an der Südostecke des Schwarzen Meeres, ein winziger Streifen Land zwischen Meer und Gebirge und Knotenpunkt der Handelswege nach Russland, dem mittleren Osten und ins Mittelmeer. Wirtschaftlich reich, aber militärisch schwach, war es zunächst den mongolischen Il-Khanen tributpflichtig, jetzt den Osmanen.

Der Kaiser jedoch, in einer Seitenlinie Abkömmling des Herrscherhauses von [Byzanz,]http://de.wikipedia.org/wiki/Byzantinisches__Reich sieht sich noch immer als von Gott eingesetzten Herrscher und außerdem als obersten Hirten der Christenheit auf Erden. Vor den Osmanen fühlt er sich sicher, stehen doch die Berge sowie der Emir von Jandar und die Horden der Turkmenen zwischen ihm und Konstantinopel. Die Kontakte Trapezunts zu seinen Nachbarn beschränken sich allerdings auf verwandtschaftliche Beziehungen, und die Bemühungen, aus diesen losen Bindungen ein handfestes Bündnis zu schmieden, tröpfeln halbherzig dahin. Eine Gesandtschaft mit Vertretern der verschiedenen Fürstentümer wird nach Westen geschickt, um Unterstützung gegen die Osmanen zu erbeten. Im Übrigen widmet der Basileos sich lieber dem pompösen und dekadenten Hofleben.

Beim [Papst]http://de.wikipedia.org/wiki/Liste__der__P%C3%A4pste in Rom rennt die Gesandtschaft aus der Levante offene Türen ein, bei den Ländern nördlich der Alpen beißt sie jedoch auf Granit. Frankreich und England sind zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, und auch vom Herzog von Burgund ist nicht mehr zu bekommen als ein paar allgemeine Lippenbekenntnisse.

Den [Medici]http://de.wikipedia.org/wiki/Medici ist die Unsicherheit der politischen Lage bewusst. Doch um den Genuesen und Venezianern die Oberherrschaft über den Osthandel streitig zu machen, sind sie bereit, das Wagnis einzugehen. Die Venezianer wiederum begegnen der Herausforderung der Florentiner auf ganz eigene Weise …

_Auch Nicholas_ ist sich im Klaren darüber, dass das Unternehmen Trapezunt eine gewagte Angelegenheit ist. Womit er nicht gerechnet hat, sind die zunächst kleinen, dann immer größer werdenden Widrigkeiten, mit denen er sich außerdem herumzuschlagen hat. Aber Nicholas ist ein Spieler und nimmt die zusätzliche Herausforderung an, wenngleich sie weit weniger Begeisterung bei ihm auslöst als die erste.

Der Name des Herausforderers lautet Pagano Doria und erweist sich als genuesischer Gauner, dem es gelungen ist, von seiner Heimatstadt als Konsul nach Trapezunt geschickt zu werden. Der gut aussehende, charmante, aber skrupellose Doria ist offiziell nur ein geschäftlicher Konkurrent, greift aber zu Mitteln, die in ihrer Hinterhältigkeit und Tragweite ein gerüttelt Maß über das hinausgehen, was sonst zwischen konkurrierenden Kaufleuten an Tricks üblich ist.

Dazu kommt noch, dass seit den Ereignissen des ersten Bandes Nicholas‘ engste Mitarbeiter, allen voran Rechtskonsulent Julius und der Arzt Tobias Beventini, die größten Bedenken haben, ihm einfach freie Hand zu lassen. Dabei ist keineswegs sicher, was ihnen mehr Angst macht, sein geistiges Potenzial oder seine Jugend und Unerfahrenheit. Auf jeden Fall beschließen sie, jeden seiner Schritte zu kontrollieren.

Außerdem begegnet Nicholas erneut Violante von Naxos, Prinzessin aus Trapezunt und Ehefrau des venezianischen Kaufmanns Caterino Zeno, von der die Information über den kaiserlichen Wunsch nach einer florentinischen Vertretung stammt. Die kluge und hochmütige Frau ist eine Meisterin der Intrige, die sich von niemandem in die Karten schauen lässt, was sie zu einem eigenen Machtfaktor in Trapezunt macht.

Und als wären es der Komplikationen noch nicht genug, ist auch noch Catherine, Nicholas‘ jüngere Stieftochter, verschwunden. Die verwöhnte Zwölfjährige, die auf die Heirat ihrer Mutter mit Nicholas mit Empörung und Zorn reagiert hat, ist zwar nicht dumm, aber eitel, unerfahren und leichtgläubig. Aus purem Trotz hat sie sich in den Kopf gesetzt, so bald wie möglich heiraten zu müssen, und ist mit dem erstbesten Schmeichler durchgebrannt. Kein Zufall, wie sich schon bald herausstellt …

_Die Darstellung der Charaktere_ in „Frühling des Widders“ kann problemlos mit der in „Niccolòs Aufstieg“ mithalten. Sowohl die frei erfundenen als auch die historisch belegten Neuzugänge wirken lebendig und glaubwürdig und waren außerdem ausgezeichnet in die Handlung eingepasst. Angenehm ist auch, dass die bereits bekannten Figuren flexibel geblieben sind, sich entwickeln, ohne Knicke und Brüche davonzutragen. Das gilt vor allem für Nicholas. Sehr gelungen.

_Die Handlung_ ließ sich zu Beginn allerdings wieder eine Menge Zeit. Zweihundert Seiten vergehen, ehe die Entwicklung des Plots endlich in die Gänge kommt. Eine ziemliche Durststrecke aus einzelnen Fäden, welche die Autorin nur ganz allmählich zusammenführt. Bis der Leser endlich erfährt, wie die verschiedenen Stränge zusammenlaufen, muss er eine Menge Geduld aufbringen. Sobald aber aus den angedeuteten Absichten konkrete Taten werden, zieht die Spannung an, windet sich um eine Menge Knoten, Verwicklungen und hintersinnige Anspielungen, um schließlich in einen Showdown zu münden, der vielleicht am meisten deshalb überrascht, weil er völlig unpolitisch ist.

_Den kulturellen Hintergrund_ stellt diesmal Byzanz. Das bringt einen Hauch von Exotik mit sich, auch wenn das Leben der einfachen Leute außen vor bleibt. Die stärkere Gewichtung des Katz-und-Maus-Spiels zwischen Nicholas und Daria lässt nicht so viel Raum für Lokalkolorit wie der erste Band, deshalb beschränkt sich die Beschreibung der byzantinischen Kultur auf den Hof des Kaisers.

Das Bild, das die Autorin da zeichnet, ist eines geistiger und körperlicher Trägheit und der Dekadenz. Bäder, Lustknaben, die Elefantenuhr, Feste und Prozessionen … Weiß, Gold, Purpur… Seide und Edelsteine … das Kaiserreich inszeniert sich selbst. Für die Ereignisse außerhalb seiner Grenzen hat es nur ein gleichgültiges Lächeln übrig. Sehenden Auges und doch gleichzeitig ungläubig driftet es auf den Untergang zu. Byzanz hat sich in Trapezunt endgültig selbst überlebt.

Abgesehen von diesem üppigen Hintergrund streift die Autorin auch noch einige politische Details wie den Streit zwischen West- und Ostkirche, zwischen Griechen und Lateinern. Die feine, schier unmerkliche Manipulation hinter den Kulissen geht auf das Konto Violantes von Naxos und gibt der Mischung zusätzlich raffinierte Würze.

_Mit anderen Worten:_ Ab dem Punkt, wo allmählich Schwung in die Handlung kommt, wird das Buch zunehmend interessant. Da macht es nicht einmal etwas aus, dass dem Geheimnis um Nicholas‘ Herkunft nicht ein einziger Buchstabe gewidmet wurde.

Es ist allerdings geraten, die Gespräche zwischen Kontrahenten, gleich ob politischen oder merkantilen, konzentriert zu lesen. Denn die Andeutungen, welche die Autorin ihren Figuren in den Mund legt, sind wirklich ausgesprochen vage. Wer das beherzigt und die Geduld mitbringt, die lange Anlaufzeit des Romans durchzuhalten, wird mit einer farbenprächtigen Geschichte belohnt, die vielleicht nicht ganz so viele überraschende Wendungen bereit hält wie die erste – immerhin kennen wir Nicholas jetzt ja schon ein wenig – dafür aber mehr Bewegung und Spannung bietet, sowie eine interessante Persönlichkeitsentwicklung des Protagonisten. Lesenswert.

_Dorothy Dunnett_ stammte aus Schottland und studierte in Edinburgh und Glasgow. Ihr erster Roman „Das Königsspiel“, Teil I der |Lymond Chronicles|, erschien interessanterweise zuerst in den USA, da das Manuskript von britischen Verlagen abgelehnt wurde. Letztlich wuchs der Zyklus auf sechs Bände an. Zu ihren Werken zählen neben den |Lymond Chronicles| und |Das Haus Niccolò| vor allem „The King Hereafter“, ein Roman über den historischen Macbeth, sowie eine Reihe von Kriminalromanen. Dorothy Dunnet starb 2001 78-jährig in Dunfermline.

http://www.dorothydunnett.de
http://www.ddra.org/Deutsch/startseite.html

|Originaltitel: The house of Niccolò, Spring of the Ram
Aus dem Englischen von Britta Mümmler und
Mechtild Sandberg-Ciletti
746 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Lesebändchen, Stammbäume, Karten|

Willocks, Tim – Sakrament, Das

Malta: Etwas weiter im Süden Europas gelegen als das italienische Sizilien, findet man diese Insel im Mittelmeer. Malta war immer schon ein strategisch wichtiges Bollwerk für eine Vielzahl von Völkern und Kulturen. Phönizier, Römer und auch die Spanier bauten die Insel zu einer scheinbar uneinnehmbaren Festung aus. Rund um die Küstenlinie säumen Festungen und Schanzen die Grenze zum Meer.

„Das Sakrament“ von Tim Willocks schildert die Belagerung Maltas im Jahre 1565. Auf der Insel haben die Ritter vom Johanniterorden, später bekannt als der Malteserorden, ihren Stützpunkt errichtet. Nach dem Verlust und der Vertreibung von der griechischen Insel Rhodos sind sie nicht gewillt, den Osmanen die letzte Grenze Europas kampflos zu überlassen.

_Die Geschichte_

Matthias Tannhäuser, der Sohn eines sächsischen Schmiedes, dessen Familie in die Karpaten ausgewandert ist, muss mit ansehen, wie seine Schwester und Mutter von den eindringenden Türken vergewaltigt und ermordet werden. Mit dem Mut und dem Schock, die ihn umfangen, imponiert er einem General, der ihn osmanisch erzieht und Matthias zu einem Janitscharen formt. Die Janitscharen waren die Elitetruppe und persönliche Leibwache des Sultans. Rekrutiert wurden diese zumeist aus eroberten Ländern. Griechen, Bulgaren, Serben und viele andere Christen wurden islamisch umerzogen und bis zum 24. oder 25. Lebensjahr ausgebildet.

Doch Matthias entsagt später dem osmanischen Glauben und sagt sich los, desillusioniert und egoistisch baut er sich in Sizilien ein legales und ein illegales Handelsnetz auf. Tannhäuser ist politisch vollkommen neutral und nur am Profit interessiert. Zugleich respektiert und gefürchtet, macht ihn das für den Johanniterorden außerordentlich interessant. Mit einer List versuchen die Ritter vom Orden der Johanniter, Matthias für sich zu gewinnen. Seine Kenntnisse als erfahrener und kampferprobter Janitschare könnten dabei helfen, die Festung Malta vor den anrückenden Osmanen zu stärken.

Die List kommt daher in Form einer schönen Frau des Wegs, der Contessa Carla, die ihn bittet, ihren vermissten Sohn, den sie nach der Geburt nie wieder gesehen hat, auf der Insel zu finden und zurückzubringen. Matthias willigt ein unter der Voraussetzung, die Contessa später zu heiraten, da ihm dann ein Adelstitel zustünde. Ein reines Geschäft für den Kaufmann, der zusammen mit seinem britischen Partner Bors von Carlisl aufbricht, um sich diesen Titel zu verdienen.

Zusammen mit der Contessa und ihrer Dienerin Ampara machen sie sich auf den Weg nach Malta. Tannhäuser findet sich schnell inmitten der Schlacht um Malta wieder, aber nicht nur diese wird ihren Tribut fordern. Malta ist schon längst von hohem politischem Interesse geworden für den Vatikan und den Spaniern. Der „Botschafter“ und Inquisitor Ludovico, den Tannhäuser kennt und verabscheut, hat persönliche Interessen daran, dass Malta als Bastion Christi entweder fällt oder aber durch seine Hilfe und seinen Einfluss gerettet wird. Tannhäuser ist dies alles recht egal, er hat seine eigenen Pläne, weiß aber auch, dass die Konfrontation mit Ludovico stattfinden wird, schließlich hat dieser einen seiner Freunde und Gelehrten auf den Scheiterhaufen gebracht und als Ketzer verbrannt.

Es kommt schließlich, wie es kommen muss und sollte. Der Plan der Johanniter geht auf und Tannhäuser findet sich auf dem Schlachtfeld wieder. Die Osmanen rücken mit 30.000 Soldaten an, dieser Streitmacht stehen nur 700 Ordensritter und etwa 8.500 Malteser entgegen. Der Großmeister Jean de la Vallette, ein grandioser, aber auch skrupelloser Taktiker, sieht sich gezwungen, die Insel mit allen Mitteln zu verteidigen. Für jeden Tag der Belagerung wird ein Moslem auf der Festungsmauer vor den Augen der Osmanen gehängt., egal, ob dieser nun ein Kriegsgefangener ist oder früher schon auf der Insel gelebt hat. Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt, und das nehmen alle Beteiligten mehr als nur ernst.

Tannhäuser macht sich auf, den Sohn der Comtessa zu suchen, und was er findet, wird seine Opfer fordern …

_Kritik_

Tim Willocks legt hier mit seinem Genre-Debüt „Das Sakrament“ einen großartigen historischen Roman vor. Willocks Gespür für die historische Komplexität ist brillant und verleiht dem Roman eine eindrucksvolle Atmosphäre von der ersten bis zur letzten Seite. „Das Sakrament“ ist ein klassisches Drama mit viel Sinn fürs Detail. Willocks beschreibt alle Situationen in allen Facetten. Nicht nur die vielen Kämpfe werden in ihrem Ablauf und historischen Detailreichtum einwandfrei erzählt, auch nimmt sich der Autor viel Raum und Zeit, um die schönen Insel, die Natur und die Ortschaften zu beschrieben.

Der Leser fiebert förmlich mit Willocks Hauptpersonen mit und hat stets das Gefühl, selbst am Geschehen beteiligt zu sein. Das ist emotional absolut ansprechend geschrieben. Die Protagonisten sind stark beschrieben und überaus durchdacht angelegt. Matthias Tannhäuser als Hauptfigur wird nicht nur einseitig dargestellt, auch seine Entmenschlichung und seine egoistische Seite werden detailliert geschildert. Er ist ein Wanderer zwischen den Welten; osmanisch erzogen und nun wieder mehrere Jahre in der christlichen Welt lebend, fühlt er sich hin- und hergerissen zwischen Verstand und Gefühl.

Die Contessa Carla und ihre hellsichtige Dienerin Amparo bestechen zunächst durch ihre Attraktivität. Aber auch diese erfahren im Laufe der Handlung eine Wandlung, der sie sich nicht erziehen können. Tannhäusers Gegenspieler, der Inquisitor Ludovico, ist durchtrieben und grausam genug für einen mächtigen Mann der Kirche. Auch aus der ‚zweiten Reihe‘ heraus hat er viel Einfluss auf die politische Lage und das Schicksal der Menschen, die nur an Gott glauben wollen und sich eigentlich beschützt und behütet wähnen. Das Schicksal der Charaktere ist dabei nicht unbedingt vorgezeichnet. Tim Willocks hat viele kleine Überraschungen in seine Geschichte eingebaut, die das Buch umso lebendiger machen.

Der reale Hintergrund wie auch die historischen Charaktere bilden die Basis des Romans. Schon allein, wie die Ritter und die Malteser auf den Festungsmauern stehen, kämpfen und sterben, erobern und zurückgeschlagen werden, wird zwar blutig und detailreich geschildert, gehört aber zur Handlung unmittelbar dazu, gerade weil die Hauptpersonen mit all ihren Ängsten und Hoffnungen daran teilnehmen müssen.

Die Kampfszenen sind drastisch und glaubwürdig, aber es sind die Szenen im Hospital, die Verwundeten, Sterbenden, die im Gedächtnis bleiben. Die Contessa Carla opfert sich beinahe auf und macht es sich zur Aufgabe, die Opfer zu pflegen oder sie sanft in den Tod zu begleiten. Sie wird vom egoistischen unnahbaren Charakter zu einer starken, aufopfernden Frau.

Die Tragik der Geschichte findet sich wieder in der Person von Ludovico. Auch dieser wandelt sich, muss sich wandeln, und das ganz überraschend. Entgegen aller Klischees eines klassischen Bösewichts gibt es um diese Figur zutiefst bewegende Szenen.

Der Roman bietet eindringliche Porträts historischer Figuren, unter anderem das des Jean de la Vallette, Hochmeister des Malteserordens. Vallette ist brillanter Taktiker, dessen Strategien gegen jedes Kriegsrecht auch seiner Zeit verstoßen; ein korruptionsfreier und integerer Mann, der einen Kardinalshut ablehnt, aber völlig unfähig ist, im Frieden zu leben, und mit seinem Fanatismus furchteinflößender ist als so mancher korrupte, aber verhandlungsfähige Politiker.

_Fazit_

Es gibt einige Romane, welche die Belagerung von Malta durch das Osmanische Reich schildern, und der hier vorliegende gehört zum Besten, was ich zu dieser Thematik bisher gelesen habe. „Das Sakrament“ ist ein spannender und zutiefst bewegender Roman, für Freunde und Leser historischer Romane ein wahrer Leckerbissen und ein rundum gelungenes Werk, das man nur sehr ungern aus der Hand legen wird.

Es wird eine Fortsetzung mit den überlebenden Figuren geben – in welche Richtung diese verlaufen wird, vermag man bis dato noch nicht zu erahnen.

_Der Autor_

Tim Willocks wurde 1957 in Manchester geboren und begann bereits mit zehn Jahren zu schreiben. 1983 promovierte er in London, wo er Medizin und Psychologie studierte. Bis 2003 arbeitete er als Psychologe und behandelte vor allem drogenabhängige Patienten. Vor Jahren hat er mehrere erfolgreiche Thriller geschrieben. Dann entdeckte ihn der Agent von Ken Follett, der ihm auf unbegrenzte Zeit seine Villa in Florida zur Verfügung stellte, damit er sein Buch „Das Sakrament“ vollenden konnte, seinen ersten historischen Roman,

http://www.aufbauverlag.de/