Archiv der Kategorie: Horror & Unheimliches

Nevill, Adam – Apartment 16

_Das geschieht:_

Barrington House erhebt sich seit jeher in einer der besseren Wohngegenden Londons. In ruhiger Abgeschiedenheit leben hier reiche Menschen in einem der 40 Apartments, die auf dem Wohnungsmarkt praktisch unbezahlbar sind. Apryl Beckford kann deshalb ihr Glück kaum fassen, als ihr Großtante Lillian Archer das Apartment Nr. 39 vererbt. Der Kontakt zur verschrobenen Verwandten war schon vor vielen Jahren abgerissen, zumal Apryl im US-Staat New Jersey lebt. Bis ein Verkauf in die Wege geleitet ist, zieht die junge Erbin in die Wohnung und sichtet den Nachlass der Verstorbenen. Dabei stößt sie auf einige Tagebücher, die entweder den Wahnsinn der Tante oder einen Fall von Verfolgung aus dem Geisterreich dokumentieren.

Seth, ein brotloser Künstler, der sich seinen Lebensunterhalt als Nachtwächter in Barrington House verdient, glaubt längst an einen bösen Spuk. Er manifestiert sich im Apartment 16, das seit über 50 Jahren leer steht und nicht betreten werden darf. Dennoch hört Seth es während seiner nächtlichen Kontroll-Rundgänge dort umgehen. Die Erscheinungen werden manifester, und sie beschränken sich bald nicht mehr auf Barrington House. Seth beginnt die Geister jener zu sehen, die nach ihrem Tod zwischen Diesseits und Jenseits ‚hängen‘ blieben – armselige, böse Kreaturen, die es freilich in keiner Weise mit dem Grauen aufnehmen können, das in Nr. 16 lauert.

Auch Apryl wird inzwischen heimgesucht. Aus den Tagebüchern ihrer Tante kennt sie zumindest den Namen des bösen Geistes von Barrington House: Der Maler und Okkultist Felix Hesse fand hier 1949 einen grausamen Tod aber keineswegs sein Ende. Seitdem spuken er und seine nicht minder üblen Begleiter durch das Haus. Hesse will Rache, sie suchen nach Opfern – die ideale Basis für eine Zweckgemeinschaft der besonders grässlichen Art, die ihr Visier auf Apryl zu richten beginnt …

_Großes Haus mit dunklen Ecken_

Man kann und mag es kaum glauben, aber selbst in einer phantastischen Gegenwart, die von weinerlichen „Twilight“-Vampiren, plapperschnattrigen Freizeit-Hexen oder – offenbar als Kontrast – genetisch verdrehten, kannibalischen, wahnsinnigen Mutanten und Hinterwäldlern dominiert wird, gibt es noch einsame Rufer in der Wüste bzw. Autoren, die der klassischen |ghost story| die Treue halten. Adam Nevill beweist in „Apartment 16“, dass dieses ehrwürdige Genre längst nicht ad acta gelegt ist, wenn man die alten Regeln behutsam aber durchaus nachdrücklich hinterfragt und neu interpretiert.

Den Anhängern der eingangs gelisteten Grusel-Gestalten mag der Schrecken, der in einer scheinbar verlassenen Wohnung lauert, allzu zahm sein. Wer sich daran erinnert, dass „Horror“ sich nicht nur aus der Suche nach dem untoten Mr. Right oder aus Blut & Gemetzel, sondern auch aus einer besonderen Atmosphäre der Angst speisen kann, denkt anders und freut sich über eine Geschichte, die anderen Ansprüchen gerecht wird, ohne darüber in literarischen Sphären zu schweben: „Apartment 16“ ist kein Ort, an dem es nur vielleicht spukt und die Furcht auch auf Einbildung beruhen könnte. Hier geht es mit Pauken & Trompeten um, wenn man ein einprägsames Bild bemühen möchte.

Denn in Apartment 16 hat sich nicht einfach ein finster gestimmtes Gespenst eingenistet. Felix Hesses Ambitionen gehen über simple Rache weit hinaus. Er gehört zu zwar jenen Pechvögeln, die nach vielen Jahren einer entbehrungsreichen Suche tatsächlich fanden, was sie gesucht haben. Nun ist Hesse in jeder Hinsicht klüger und zorniger geworden.

|Das Jenseits als (Vor-) Hölle|

Hesses Informationsgier galt seit jeher der „Vortex“. Das Konzept einer Vorhölle, in der jene Seelen gefangen sind, die den ‚Aufstieg‘ in höhere und friedlichere Gefilde nicht schaffen, ist keineswegs neu. Autor Nevill verfügt jedoch über die notwendige Wortgewalt, diesen Ort anschaulich zu beschreiben. Der verhinderte Maler Seth – die zweite Hauptfigur – muss ihn stellvertretend für uns Leser erleben und erleiden. Die „Vortex“ wird zum verzerrten Spiegelbild einer Realität, die auf ihre negativen, bösen, unerfreulichen Seiten komprimiert wurde. Selbstmörder, Mordopfer und Mörder sind typische „Vortex“-Bewohner. Der arme Seth erlangt die Fähigkeit, sie zu sehen, wie sie an den Stätten ihres Todes immer wieder Qualen erleiden. Ihr Elend macht sie nicht nur hässlich, sondern auch bösartig.

Unter den Blinden ist offensichtlich auch im Jenseits der Einäugige König. Hesse fügt sich nicht in sein Schicksal. Auch ihn hat die „Vortex“ geprägt: Er ist noch gefährlicher geworden. Vor allem hat er das Potenzial dieser Sphäre erkannt. Hesse zwingt die verirrten Seelen unter seine Gewalt. Sie dienen ihm, wobei sich seine Macht nicht auf Barrington House beschränkt. In den Jahrzehnten seit seinem Tod konnte Hesse eine Art Bannkreis um das Gebäude ziehen, den jene, die dort wohnen oder arbeiten, nicht verlassen können.

Apartment 16 bildet nichtsdestotrotz das Zentrum des durch Hesse entfesselten und teilweise gebändigten Grauens. Hier hat er die „Vortex“ erforscht und in seinen Gemälden zu begreifen versucht. So gelang es ihm, seine alte Wohnung in ein Portal zu verwandeln, das ihm und seinen Nachtmahren den Weg in die Realität öffnet.

|Gefährliches Wissen: die nächste Generation|

Altes Unrecht zieht neues Unglück nach sich; dazwischen liegt eine Erkenntnisphase, die durch Recherchen geprägt ist: Auch Adam Nevill orientiert sich an diesem bewährten Handlungsgerüst, aber der Autor kennt jenen Ausweg, der „Variation“ heißt. Dieses Mal ist der Weg in die Hölle mit ungewöhnlichen Gemälden gepflastert. Auch diese Idee ist keineswegs originär; u. a. hat sich H. P. Lovecraft 1927 ihrer in „Pickman’s Model“ (dt. „Pickmans Modell“) sehr eindrucksvoll bedient.

Als eines seiner größten Vorbilder nennt Nevill indes nicht Lovecraft, sondern Montague Rhodes James (1862-1936), den Meister der englischen „ghost story“. In der Tat sind die Parallelen augenfällig. In erster Linie betrifft dies den Ingrimm, mit dem die Bewohner des Jenseits‘ die Menschen verfolgen. Unwissenheit schützt bei James keineswegs vor Strafe. Auch Hesse beendet seinen Rachefeldzug nicht, nachdem er alle bestraft hat, die ihn einst in den Mahlstrom der „Vortex“ warfen. Das Böse benötigt irgendwann keine Begründung mehr; es existiert für sich und aus sich heraus.

Aus Seth macht Hesse einen Gefolgsmann, aus Apryl ein Opfer. Kapitelweise springt Nevill von einer Figur zur anderen. Lange bleiben die beiden Handlungsstränge isoliert. Erst im Finale laufen sie zusammen. Bis es soweit ist, verwandelt sich Seths Leben in einen Leidensweg, während Apryl parallel dazu die Mechanismen entschlüsselt, die Hesse die Existenz nach dem Tod ermöglichen.

|Fluch mit Fragen|

Dieser Mittelteil ist Nevill zu lang geraten. Viele interessante aber für die Handlung wenig relevante Episoden unterbrechen vor allem Apryls Weg zur Erkenntnis, während Seth ein wenig zu oft zwischen grotesken „Vortex“-Kreaturen umherirrt und sich graust. Zudem fehlt eine schlüssige Begründung, wieso Hesses Wirken sich auf Apartment 16 beschränkt, wenn seine Macht sich doch bis auf Londons Straßen hinaus erstreckt.

Gelungen sind Nevills Charakterisierungen von Personen, die von der Gefangenschaft, zu der Hesses Spuk sie verdammt hat, zunehmend in den Wahnsinn getrieben wurden. Natürlich ist Barrington House darüber hinaus besonders stark von verlorenen Seelen befallen: Hesses Opfer, die er schon früher erwischen konnte. Vergangenheit, „Vortex“-Realität und Gegenwart beginnen sich vor allem für Seth immer stärker zu vermischen, bis sie miteinander verschmelzen – ein Prozess, den Nevill anschaulich gruselig zu beschreiben weiß.

Das Finale ist vorgegeben: Die Pforten der „Vortex“-Hölle werden sich öffnen und Hesse endlich ausspucken. Auch hier vermag der Autor dem Geschehen einige unerwartete Wendungen einzuflechten. Dass dem Bösen von Apartment 16 nicht wirklich ein Ende bereitet werden kann, dürfte keine Überraschung sein. Sehr modern bleibt auch ein Happy End aus. Faktisch wird sich der Mikro-Kosmos von Barrington House neu bilden. Die „Vortex“ wird um einige Unglücksraben reicher sein und neue Opfer fordern. So ist es logisch, so hat es schon M. R. James gern gehalten und ist gut damit gefahren. Auch Adam Nevill ist – mit kleineren Abstrichen – jene gleichzeitig klassische und zeitgemäße |ghost story| gelungen, an der Susan Hill seit vielen Jahren scheitert.

_Autor_

Adam L. G. Nevill wurde 1969 im englischen Birmingham geboren. Er wuchs dort sowie auf der Insel Neuseeland auf, später studierte er an der schottischen Universität von St. Andrews. Nach seinem Abschluss schlug Nevill die Laufbahn eines Schriftstellers ein. Es schlossen sich 15 Jahre entsprechender Versuche und ein Leben am Rande des Existenzminimums an, in denen sich Nevill u. a. mehrere Jahre als Pförtner und Nachtwärter in West-London durchschlug; die hier gesammelten Erfahrungen flossen 2010 in den Roman „Apartment 16“ ein.

Seinen ersten Phantastik-Roman, eine Gespenstergeschichte in der Tradition des englischen Großmeisters M. R. James, veröffentlichte Nevill bereits 2004: „Banquet for the Damned“ wurde 2005 von der „British Fantasy Society“ als bester Roman des Jahres nominiert.

Hauptberuflich ist Adam Nevill Herausgeber für erotische Literatur. Nachdem er in dieser Position bis Juni 2009 für „Virgin Books“ tätig war (und selbst neun Romane für Imprints wie „Black Lace“ und „Nexus“ schrieb), wechselte er nach Einstellung dieser Reihen zu „Xcite Books“.

|Paperback mit Klappenbroschur: 494 Seiten
Originaltitel: Apartment 16 (London: Pan 2011)
Übersetzung: Ronald Gutberlet
ISBN-13: 978-3-453-52876-5|

|eBook (epub): Mai 2012 (Wilhelm Heyne Verlag)
733 KB
ISBN-13: 978-3-641-07511-8|
http://www.adamlgnevill.com
http://www.randomhouse.de/heyne

_Adam Nevill bei |Buchwurm.info|:_
[„Im tiefen Wald“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7551

Michel Parry (Hg.) – Acht Teufelseier

Parry Teufelseier Cover kleinSowohl die Freunde der klassischen, fein gesponnenen Geistergeschichte als auch die Fans des eher grellen Horrors der „Pulp“-Ära werden in dieser Sammlung bedacht; Herausgeber Parry präsentiert acht Storys über meist schwarze Magie, die in der Regel grausig auf den Verursacher zurückschlägt: Den Leser erwarten keine Meisterwerke aber vor allem in deutscher Übersetzung meist seltene, oft gelungene Genrestücke. Michel Parry (Hg.) – Acht Teufelseier weiterlesen

Kilborn, Jack – Hotel, Das

_Das geschieht:_

Sehr weit außerhalb bzw. tief in den Hügeln des US-Staates Virginia steht das Hotel Rushmore Inn. Es ist ein Familienbetrieb der ganz besonderen Art, deren Betreiber sich möglichst selten im hellen Tageslicht blicken lassen, denn der Stammbaum der Roosevelts weist allzu viele verdächtig miteinander verflochtene Seitentriebe auf. Ein illegales Lager uralter Medikamente im Keller des Hotels sorgt für die zusätzliche Trübung des familiären Gen-Pools. Die Konsequenzen sind den meisten Mitgliedern der Sippe buchstäblich in die zerfressenen Gesichter geschrieben. Innerhalb der Roosevelt-Schädel herrscht darüber hinaus kollektive Leere dort, wo Begriffe wie „Gesetz“ und „Moral“ verankert sein sollten.

Auch degeneriertes Hinterwäldler-Gesindel will leben. Wer sich im Rushmore Inn eincheckt, wird es lebend nicht mehr verlassen, denn der Roosevelt-Clan benötigt regelmäßige Blutauffrischungen. Weibliche ‚Gäste‘ sperrt man zur Erzeugung halbwegs menschenähnlichen Nachwuchses im Keller ein. Aktuell vergreift man sich an den Pillburys: Großmutter Florence, Tochter Letti und Enkelin Kelly. Außerdem angelockt wurden Deborah Novacheck, die nach einer doppelten Beinamputation auf Prothesen angewiesen, deshalb in Sachen Flucht gehandicapt aber durchaus gebärfähig ist, und der Journalist Mal Deiter.

Noch wie üblich schnappt die Falle zu. Dann allerdings bekommen die Roosevelts Schwierigkeiten. Die Pillburys sind sämtlich überaus sportlich – Oma war zudem in Vietnam -, und Deborah wollte gerade an einem weiteren „Ironwoman“-Triathlon teilnehmen. Außerdem nähern sich die Leidensgefährten Felix und Cameron dem Hotel: Hier verschwand im Vorjahr Maria, Freundin bzw. Schwester der beiden Männer, die dort weitersuchen, wo die Polizei kapituliert hat.

In den tiefen Kellergewölben des Rushmore Inn bricht ein Kampf auf Leben & Tod aus, der sich bald auf sämtliche Räume des alten Hauses ausweitet. Hier wird Pardon weder erwartet noch gegeben, was auf beiden Seiten den Leichenpegel steigen lässt …

|Bestie Mensch als Spiegelbild|

Das Verhältnis der US-Amerikaner zu ihren ‚Hinterwäldlern‘ ist ebenso zwiespältig wie interessant. Gemeint sind jene Bevölkerungsschichten, die nicht nur vom etablierten, konsumorientierten „American Way of Life“ abgekoppelt sind, sondern ihren Außenseiterstatus scheinbar zelebrieren, indem sie sich als Gruppen isolieren und unter sich bleiben. Die Geografie eines Kontinents, der mehr als genug Winkel bietet, liefert ihnen die nötige Abgeschiedenheit.

Nun kommen seitens der ’normalen‘ US-Bürger Unwissen, Vorurteile und Schadenfreude dazu, und fertig ist der „Redneck“: schmutzig, dumm, brutal, un- und inzüchtig, chronisch kriminell, versoffen, mehr Tier als Mensch. Als „Backwood“- Bösewicht hat er sich vor allem im Unterhaltungsfilm einen festen Platz neben den klassischen Horror-Gestalten erobert. John Boorman formulierte 1972 in „Deliverance“ (dt. „Beim Sterben ist jeder der Erste“/“Flußfahrt“) die noch heute gültige Definition. Tobe Hooper erweiterte sie 1974 mit „The Texas Chain Saw Massacre“ (dt. „Blutgericht in Texas“/“Kettensägenmassaker“) um die Horror-Elemente Wahnsinn, Blutgier und Kannibalismus. Die Faszination am kaputten Redneck ist zu einem Gutteil Voyeurismus: Die ‚guten‘ Amerikaner blicken aus sicherer Entfernung und deshalb angeekelt, aber auch besorgt auf ihr Spiegelbild (herunter), verkörpert es doch, was der brave US-Bürger zu werden befürchtet, wenn er beim Ringen um den „Amerikanischen Traum“ nicht mithalten kann. Auf der anderen Seite ist da auch Neid: Hinterwäldler verstellen sich nicht. Konflikte werden unmittelbar ausgetragen, Bedürfnisse befriedigt. In gewisser Weise sind sie frei; Gesetze, Regeln oder Zwänge gelten für Rednecks nicht. Sie leben aus, was sonst streng kontrolliert wird.

|Vorbereitungen auf den Kampf|

Mit „Afraid“ (2008; dt. „Angst“), seinem ersten in Deutschland veröffentlichten Horror-Roman, ging Kilborn ab der ersten Seite in die Vollen – und hatte sein Pulver lange (sehr lange) vor dem Finale verschossen. „Das Hotel“ entstand zwei Jahre später und zeigt einen Verfasser, der als Erzähler dazugelernt hat. Einem turbulenten und verheißungsvollen Auftakt folgt eine ruhige Passage, in die Kilborn zwar immer wieder kurze Szenen einschneidet, die uns daran erinnern sollen, dass wir hier eine Gruselgeschichte lesen, aber ansonsten seine Figuren einführt und vorstellt.

Diese unterscheiden angenehm vom üblichen Backwood-Horror-Kanonenfutter, das entweder heulend dem blutigen Ende entgegen bibbert oder – noch klischeehafter – zum Kampf-Koloss mutiert und die Schurken reihenweise niederstreckt. Zwar scheint genau das auch in „Das Hotel“ zu geschehen. Der Unterschied ist klein aber gravierend: Kilborn macht sich die Mühe, glaubhaft zu erklären, wieso das Backwood-Pack einerseits übermenschlich stark aber andererseits verletzlich ist, während die Opfer entweder Leistungssportlerinnen oder aus anderen Gründen körperlich gut beieinander sind. Auf diese Weise ist das Kräfteverhältnis einigermaßen ausgewogen. Kilborn gelingen zudem Figuren, um die wir bangen, weil er unser Interesse an ihnen wecken konnte. Eine Heldin ohne Beine ist keine Erscheinung, der wir in einem Hotel voller Mutanten besonders ausgeprägte Überlebenschancen einräumen würden. Aber gerade ihre Behinderung bzw. die daraus resultierenden Fähigkeiten machen aus Deborah Novacheck eine ernstzunehmende Gegnerin: Kilborn, der ansonsten eine aus tausend Filmen und Romanen bis zum Überdruss bekannte Geschichte erzählt, hat begriffen, wie er für das nötige Quäntchen Abwechslung sorgen kann. Hier ist es der Faktor Überraschung: Nachdem die Roosevelts vier Jahrzehnte verschleppt und gemordet haben, hat sich ihrerseits Routine eingestellt. Sie verlassen sich auf ihre Kraft und das Überraschungsmoment und sind daran gewöhnt zu obsiegen. Zu spät bemerken sie, dass sie sich dieses Mal übernommen haben, als sie gleich sieben entschlossenen ‚Opfern‘ gegenüberstehen.

|Vorhang auf zum üblichen Gemetzel|

Im letzten Drittel geht es dann zu jener Sache, auf die der Hardcore-Horrorfan schon längst wartet: Das Schleichen durch dunkle Kellerräume und Geheimgänge weicht der offenen Konfrontation. Gefangene werden nunmehr auf beiden Seiten nicht mehr gemacht. Dem evolutionären Status der Roosevelts entsprechend bleiben Schusswaffen fast völlig außen vor. Die Urzeit kehrt zurück – mit Messern, Steinen, spitzen Knochen und blanken Fäusten gehen die Kontrahenten aufeinander los. Blut und andere Körperflüssigkeiten spritzen ausgiebig, auch die damit verbundenen Körperschäden werden von Kilborn gewissenhaft und detailfroh geschildert; er weiß, was er seine Kundschaft schuldig ist. Allerdings findet er im Eifer des blutigen Gefechts das manchmal notwendige Bremspedal nicht mehr und produziert Übertreibungen, die den Horror ins Lächerliche umschlagen lassen: Schon als die Schlacht in voller Stärke tobt, lassen die männlichen Roosevelts ständig die Hosen fallen, wenn ihnen eine Gegnerin gegenübersteht. Oma Pillbury erweist sich als Meisterin der asiatischen Kampfkunst, die sogar Chuck Norris in den Schatten stellt. Und während um sie herum ihre Söhne fallen, inszeniert Mutanten-Übermutter Eleanor eine aufwändige Hinrichtung.

Schade, denn solche Schlamperei ruiniert beinahe die bizarren Absurditäten, mit denen Kilborn seine Schlachtplatte zu würzen weiß. So ist das Rushmore Inn dem Wahnsinn der Hausherrin entsprechend in seinem Inneren ein Schrein für die Präsidenten der USA. In jedem Gästezimmer wird ein anderes US-Staatsoberhaupt gewürdigt. (Die Roosevelt-Hinterwäldler sind übrigens durchaus in der Lage, im Internet nach weiteren Exponaten zu fahnden!) Retter Cameron ist sogar noch verrückter als die Roosevelts. Ein Berglöwe greift hungrig ins Geschehen ein.

|Das Ende ist niemals endgültig|

Vom Klischee beinahe zur Tradition gereift ist der Backwood-Horror-Epilog: Während die endlich erschienene Polizei den Tatort aufräumt, schleicht sich im Hintergrund mindestens ein überlebender Mutanten-Lump in die Freiheit, um neues Unheil zu stiften. Im Film öffnet dies das Hintertürchen zu einer Fortsetzung, im Roman gilt ein solches Ende als bittere Ironie. Kilborn findet allerdings einen Dreh, diesen Epilog tatsächlich logisch zu gestalten.

Damit schließt ein Roman, dessen kopierter Plot und grobe Effekte durch eine handwerklich solide Umsetzung, interessante Figuren und einige gelungene Überraschungen erstaunlich gut aufgefangen und getragen wird. Deshalb schenke man bloß der Werbung keinerlei Glauben, die sowohl in den USA als auch hierzulande plump auf der Kotzen-vor-Ekel-gleich-Heidenspaß-Schiene fährt. Der Werbe-Legende nach war dem eigentlich schon gefundenen US-Verlag der „Hotel“-Stoff viel zu heiß, weshalb der Autor seinen Roman im (digitalen) Selbstverlag herausbrachte. Allerdings ist dies der generelle Veröffentlichungsweg, den Kilborn eingeschlagen hat, weshalb diese Mär womöglich auf ihn selbst zurückgeht.

In Deutschland geht die Werbung nicht so dreist aber dafür ideenarm vor: „Der Sensationserfolg aus den USA – Jack Kilborn gibt dem Horror ein neues Gesicht!“. Das eine ist eine unbelegte Behauptung, das andere Unfug: Jack Kilborn ist nur ein Glied in einer langen Kette von Autoren, die wie Richard Laymon, Bryan Smith, Tim Curran usw. auf den direkten, quasi körperlichen Horror setzen. „Neu“ sind sie in ihrem massiven Auftreten höchstens in den deutschen Buchläden, wo sie allmählich ähnlich lästig werden wie die windelweichen Als-ob-Vampire der „Twilight“-Ära.

_Verfasser_

Jack Kilborn wurde 1970 als Joseph Andrew Konrath in Skokie, einem Vorort von Chicago, US-Staat-Illinois, geboren. Nach dem College schrieb er zwölf Jahre nie veröffentlichte Romane. Erst mit „Whiskey Sour“, dem ersten Band einer Krimi-Serie um Jacqueline „Jack“ Daniels vom Chicago Police Department, fand er 2004 einen Verleger. Konrath ist für sein ausgeprägtes Talent der Selbstvermarktung bekannt. Gemeinsam mit der Autoin Julia Spencer-Fleming pries er 2006 im Rahmen eines Mailings 7000 US-amerikanischen Bibliothekaren seine Werke an. Konrath ist ein Pionier als eBook-Autor. Exklusiv für das Amazon-Kindle veröffentlicht er immer wieder Kurzgeschichten und Romane. Am College of DuPage in Glen Ellyn, Illinois, lehrt er kreatives Schreiben.

Während er unter seinem Geburtsnamen weiterhin Kriminalgeschichten veröffentlicht, wählte Konrath 2008 für sein Debüt als Horror-Autor das Pseudonym „Jack Kilborn“. In schneller Folge schrieb er – oft mit Co-Autoren – weitere Gruselromane und Kurzgeschichten. 2011 kam „Joe Kimball“ als Verfasser einer Serie jugendorientierter SF-Romane hinzu. J. A. Konrath lebt und arbeitet in Schaumburg, ebenfalls einer Vorstadt von Chicago.

|Taschenbuch: 382 Seiten
Originaltitel: Endurance (Schaumburg/Illinois : Joe Konrath 2010)
Übersetzung: Wally Anker
ISBN-13: 978-3-453-52883-3|

|Als eBook: Januar 2012 (Heyne Verlag)
578 KB
ISBN-13: 978-3-641-07196-7|

Home


http://www.randomhouse.de/heyne

_Jack Kilborn bei |Buchwum.info|:_
[„Angst“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6899

Baker, Adam – Wandlung, Die

_Das geschieht:_

Franz-Josef-Land ist ein Insel-Archipel in der arktischen Barentssee. Bis zum Nordpol ist die Entfernung deutlich geringer als zu jeder Stadt irgendwo auf dieser Erde. An diesem öden Ort und sogar noch einen Kilometer vor der Küste steht in der eisigen See „Kaskar Rampert“, eine gigantische Erdöl-Förderstation, die gleichzeitig Raffinerie ist.

Als das Öl noch aus dem Meeresboden gepumpt wurde, arbeiteten hier tausend Menschen rund um die Uhr für den Konzern „Con Amalgan“. Doch der Quelle ist versiegt, und „Kaskar Rampert“ steht vor der Stilllegung. Noch 15 Männer und Frauen verlieren sich in den Gängen und Räumen der Station; sie halten die Anlage in Ordnung und warten darauf, endlich abgeholt zu werden.

So weit jenseits der Zivilisation werden Neuigkeiten nur indirekt zur Kenntnis genommen. Die Rumpfbesatzung begreift deshalb nicht wirklich, was es tatsächlich bedeutet, als sie die Nachricht einer global wütenden Pandemie erreicht: Überall mutieren Menschen zu mörderischen Bestien. Da die Infektion sich rasant ausbreitet, brechen Gesetz und Ordnung zusammen.

Angesichts dieser Katastrophe denkt niemand an die Pechvögel auf „Kaskar Rampert“. Dort begreift man, dass man sich selbst helfen muss. Die Notlage ist dem Zusammenhalt keineswegs zuträglich. Eine über Franz-Josef-Land abstürzende Raumstation bringt zudem die Seuche auch auf die Station. Zwischen den Infizierten und den Gesunden brechen erbitterte Kämpfe aus. Gleichzeitig streiten die noch nicht Erkrankten um die wenigen Ressourcen.

Als ein riesiges Kreuzfahrtschiff angetrieben wird, scheint sich die Lage zum Besseren zu wenden. Doch hier warten nicht nur Nahrungsmittel und dringend benötigte Medikamente: Passagiere und Besatzung sind grässlich mutiert und hungrig an Bord geblieben und empfangen die Besucher mit offenen Armen und Mäulern …

|Ein Unglück kommt selten allein|

Ein Romandebüt gleicht einer Wundertüte: Der Inhalt kann überraschen oder ärgern. Dabei gibt jeder neue Autor sich Mühe, hat womöglich Jahre in seinem Erstling investiert, ihn mit Herzblut geschrieben und dabei alles hineingepackt, was ihm zum Thema eingefallen ist.

„Die Wandlung“ ist definitiv ein solcher Roman. Er birst geradezu vor Action und schlägt dabei immer neue Handlungshaken, die im Grunde eigene Nebengeschichten sind. Faktisch begeht Autor Adam Baker damit einem typischen Anfängerfehler: Er begräbt seine Story unter einem Overkill immerhin spannungsreicher Szenen, bis aus einem Roman eine Sammlung mitunter mühsam verbundener Episoden geworden ist, die als Grundlage für eine TV-Serienstaffel taugt. Was soll beispielsweise Nikkis ausführlich geschilderte Bootsfahrt gen Europa, die plötzlich wieder am Ausgangspunkt endet? Hier sieht es aus, als wolle uns Baker neugierig machen und einen Blick auf das verheerte Festland werfen lassen, dem er sich – man zieht es keinen Augenblick in Zweifel – in einem Fortsetzungsroman widmen wird.

Hinzu kommt ein gewisser Gottkomplex des Verfassers, der als Schöpfer seiner Geschichte über deren Entstehung und Verlauf gebietet. Was in der Bibel recht planmäßig wirkt, wird bei Baker allerdings zu einer Kette reichlich unwahrscheinlicher Zufälle: Eine Raumstation stürzt ab, ein Riesenschiff treibt vorbei, unter der Insel-Oberfläche tut sich plötzlich eine ganze Höhlenwelt auf.

Dabei böte allein die gewaltige Förderplattform „Kaskar Rampart“ mehr als genug Schauplätze für Katastrophen und Intrigen. In der Tat breitet Baker eine breite Palette entsprechender Ereignisse vor seinen Lesern aus, die sich später an Bord der zum Geister- bzw. Zombieschiff gewordenen „Hyperion“ und in den Grusel-Gewölben unter der Insel leicht variiert bzw. ins Absurde gesteigert wiederholen. Faktisch zerfällt „Die Wandlung“ in drei Teile, die Baker in Großkapitel einteilt; ein viertes Kapitel beschreibt das große Finale, das jedoch als Höhepunkt mit dem Vorgeschehen nicht mithalten kann.

|Die Maus in der Falle|

Wie verhalten sich Menschen unter Druck? Die Antwort auf diese Frage ist mindestens so spannend wie die Umstände, die zur Krise führen. Baker schlägt sich in beiden Punkten gut. Obwohl oder gerade weil er kein begnadeter Figurenzeichner ist, gelingen ihm Protagonisten, deren Schicksale den Leser kümmern. Bakers Trick ist es, die Charakterisierungen nicht zu übertreiben. Viele Autoren schinden gern Seiten mit ellenlangen Rückblenden in frühere Leben, die selten wirklich interessieren. Baker kann entsprechende Anwandlungen nicht vollständig unterdrücken, hält sich aber zurück.

Hilfreich ist dabei die nicht allzu intensive Fixierung auf Jane Blanc, die zunächst als Hauptfigur eingeführt wird und dies durchaus bleibt, ohne dabei allzu dominant zu sein. An ihre Seite rücken weitere Figuren, denen Baker genug Raum bietet, eigene Persönlichkeiten zu entwickeln. Natürlich schlagen dabei einschlägige Klischees durch, selbst wenn der Autor sich sichtlich um die Vermeidung einer Schwarz/Weiß-Zeichnung bemüht. Da „Die Wandlung“ pure Genre-Unterhaltung ist, wird dies kein gravierender Kritikpunkt.

Die Verbindung zwischen Figur und Leser ist Baker auch deshalb wichtig, weil er sich in der Handlungsführung sehr modern gibt: Der Bodycount ist außerordentlich hoch, und niemand ist vor einem bösen Ende sicher. In dieser Hinsicht erinnert „Die Wandlung“ an moderne TV-Serien wie „The Walking Dead“, in denen Sicherheit ebenfalls zum Fremdwort geworden ist.

|Apokalypse in der Eiswüste|

Vor allem in den letzten Jahren lassen (Dreh-)Buchautoren Zombies über die gesamte Erde ausschwärmen. Die Arktis blieb bisher ausgespart; ökonomische Verfasser stehen wohl sehr richtig auf dem Standpunkt, dass eine elementare Bedrohung pro Geschichte genügt, während ein Zuviel an lebenskritischen Umständen die Spannung aushebelt.

In unserem Fall ist die Umwelt mindestens ebenso lebensfeindlich wie die Seuchen-Zombies, die dort ihr Unwesen treiben. Baker versteht es, diese Drangsale gleichgewichtig zu beschreiben. Da „Die Wandlung“ viele gefahrenreiche, gruselige, tragische Ereignisse aneinanderreiht, verinnerlicht der Leser ein Konzept, das ihn sonst vielleicht stören würde. Schließlich hat er sich nicht nur daran gewöhnt, dass immer wieder neue Schrecken über die schmelzende Schar der „Kaskar-Rampart“-Besatzung hereinbrechen – er erwartet sie!

Enttäuscht wird er nicht. Baker hat sich (marginal) Neues einfallen lassen. Die von der Seuche Hingerafften benehmen sich zwar wie Zombies, sind aber keine: In den Körpern sprießen Metallstränge und andere metallene Zusätze, weshalb die Opfer sich allmählich in Menschmaschinen verwandeln. Über die genaue Ursache schweigt Baker sich aus; auch dies wird er zweifellos in einer Fortsetzung aufgreifen. Unter dieser Prämisse relativiert sich auch das Problem eines Finales, das nicht als solches wirkt, weil es tatsächlich keines ist, sondern nur Auftakt für weitere Abenteuer, die den wenigen Überlebenden der „Kaskar Rampart“ bevorstehen.

|Die Story steht über dem Spektakel|

Obwohl es hart zur Sache geht und reihenweise Schädel gespalten, Körper zerstückelt oder Leichen gefressen werden, beschränkt sich Baker nie auf die möglichst detailfreudige Zurschaustellung solcher Gräuel. Sie sind Teil der Geschichte, statt die Geschichte zu ersetzen. Die Suche nach einer Fluchtmöglichkeit ist als roter Faden stets präsent. Entsprechende Möglichkeiten werden ausgelotet, die Infizierten sind nur Teil der dabei auftauchenden Probleme. Für diese Entscheidung ist der Leser dem Verfasser sehr dankbar: Nichts ist langweiliger als eine endlose Folge von Metzeleien, die sich in ihrer natürlichen Limitierung – wie viele Möglichkeiten gibt es, einen Körper zu pürieren? – letztlich kontraproduktiv ins Lächerliche verkehren.

Baker ist weder raffiniert noch originell, aber er weiß, wie er seine Geschichte zu erzählen hat. Sie ist zwar bei nüchterner Betrachtung deutlich zu lang geraten, weil der Verfasser sich nicht bändigen konnte. Auf der anderen Seite sprudelte die Quelle gern schräger Einfälle so reichhaltig, dass daraus ein triviales, möglicherweise ausgeartetes, aber inhaltlich jederzeit unterhaltsames Garn entstanden ist, das einen angenehmen Kontrast zu den Action-Dümmlichkeiten eines James Rollins oder Matthew Reilly bietet. Abgerundet wird dieses Vergnügen durch die Tatsache, dass Baker schreiben kann (bzw. dies durch eine gelungene Übersetzung bewahrt bleibt). Deshalb sorgt der Gedanke an die nun schon mehrfach erwähnte Fortsetzung nicht für augenverdrehenden Verdruss, sondern für Erwartung.

_Autor_

Adam Baker, geboren 1969 als Sohn eines Priesters in der englischen Grafschaft Gloucestershire, studierte Theologie und Philosophie in London. Der Kirche blieb er zwar verbunden, dies jedoch als Sterbebegleiter und Totengräber, denn wie es sich für einen späteren Erfolgsautor gehört, wurde Bakers Lebenslauf im ‚richtigen‘ Leben bunt und obskur. Deshalb arbeitete er unter anderem als Koch in einem Schnellimbiss in New York und wartete Spielautomaten in einem Casino in Atlantic City.

Aktuell ist Baker als Filmvorführer in einem Kino tätig. Sein Debüt als Schriftsteller gelang ihm 2011 mit dem Horror-Katastrophen-Thriller „Outpost“ (dt. „Die Wandlung“), dem er 2012 das Söldner-Abenteuer „Juggernaut“ folgen ließ.

|Taschenbuch: 509 Seiten
Originaltitel: Outpost (London : Hodder & Stoughton 2011)
Übersetzung: Caspar Holtz
ISBN-13: 978-3-442-37772-5|
[Autorenhomepage]http://darkoutpost.blogspot.de
[Verlagshomepage]http://www.randomhouse.de/blanvalet

Michel Parry (Hg.) – Lautlos schleicht das Grauen. Gruselgeschichten

Parry Michel Lautlos Cover kleinHerausgeber Parry sammelt sieben klassische und moderne Kurzgeschichten, die von Teufelspakten und Flüchen sowie von Exorzismen und anderen Versuchen, das Böse auszutreiben, erzählen; diese enden für die Betroffenen meist übel aber für den Leser unterhaltsam, wobei ein zusätzlicher Reiz durch die Konfrontation von altem Aberglauben mit moderner Gegenwart entsteht. Michel Parry (Hg.) – Lautlos schleicht das Grauen. Gruselgeschichten weiterlesen

Leather, Stephen – Höllennacht

_Das geschieht:_

Jack Nightingale war Mitglied einer Elite-Einsatztruppe der Polizei, bis er in einem Anfall von Selbstjustiz einen besonders üblen Strolch richtete. Er musste seinen Abschied nehmen und schlägt sich nun als Privatdetektiv in London durch. Das Geschäft läuft genretypisch schlecht, weshalb Nightingale zwar misstrauisch aber auch erfreut ist, als sich ein Anwalt bei ihm meldet: Sein Vater habe ihm Gosling Manor, einen Landsitz in der Grafschaft Surrey, hinterlassen.

In der Tat war der nach einem selbst abgefeuerten Schrotschuss in den Schädel verstorbene Ainsley Gosling Nightingales leiblicher aber miserabler Vater. Dass er adoptiert war, wusste der Detektiv bisher nicht. Dafür hatte Gosling Sorge getragen, wie er in einer Videoaufnahme gesteht, denn für Geld und Macht habe er nicht seine, sondern die Seele seines Sohnes an einen Teufel verkauft. Drei Jahrzehnte konnte Gosling schwelgen, doch im Alter begann ihn die Reue zu plagen. Der Teufel gedenkt allerdings nicht, von dem Geschäft zurückzutreten. An seinem 33. Geburtstag werde er ihn holen, warnt Gosling Jack vor. Bis dahin sind es nur noch drei Wochen.

Der rational denkende Nightingale hält seinen Vater für verrückt. Allerdings stellt er bei der Besichtigung von Gosling Manor fest, dass Gosling ein Satanist gewesen sein muss. Im Keller des Anwesens lagern sowohl verbotene Bücher als auch hässliche Artefakte, die darauf hindeuten, dass auf Gosling Manor manche Teufelsbeschwörung stattfand.

Je weiter sich sein Geburtstag nähert, desto stärker beunruhigen Nightingale seltsame Vor- und ‚Zufälle‘. Mehrfach weisen ihn wie hypnotisiert wirkende Zeitgenossen auf die bevorstehende Höllenfahrt hin. Schlimmer ist jedoch eine Kette von Todesfällen, die Jacks ohnehin kleinen Freundeskreis stetig schrumpfen lässt. Der Detektiv beginnt sich zu fragen, ob an der Sache mit dem Seelenverkauf doch etwas dran ist, denn in diesem Fall gälte es allmählich Gegenmaßnahmen zu treffen …

|Noch ein „Urban-Fantasy“-Detektiv|

Oh ja, es dauert, bis Jack Nightingale endlich dämmert, was jeder Leser längst weiß. Das Publikum wird sogar ein wenig ungeduldig, weil Autor Leather seine Geschichte sichtlich zieht; schließlich ist er ein Profi, der jährlich mindestens zwei volumenstarke Romane auf den Buchmarkt wirft! Da geht Länge allemal vor Handlungsdichte.

Außerdem denkt Leather an die Zukunft. Auf seiner bemerkenswerten, weil über Leben und Werk nicht nur ungewöhnlich ausführlich Auskunft gebenden, sondern auch sehr aktuellen Website macht der Autor keinen Hehl daraus, dass er „Höllennacht“ wie die meisten seiner Werke mit dem Start einer lukrativen Serie im Hinterkopf kreierte. Dieser Plan ist aufgegangen; Leather produziert seit 2010 mindestens einen „Jack Nighingale“-Roman pro Jahr, wie er nicht nur angekündigt, sondern bisher auch durchgehalten hat.

Die Weichen für einen Erfolg standen günstig, weil Leather zu den Autoren gehört, die gezielt für einen möglichst großen Markt schreiben. Seine Geschichten sind stromlinienförmig, eingängig und flott; sie bieten, was die Leser in ihrer Mehrheit erwarten. Dies bekommen sie, mehr aber nicht: routinierte Unterhaltung, die nicht grundlos vor dem geistigen Auge Bilder flimmern lässt – Leather arbeitet auch für das Fernsehen.

|Die Kraft des gut Bekannten|

Das über Autor und Werk Gesagte sollte man übrigens neutral gestimmt zur Kenntnis nehmen: Auch für den schnellen Konsum gedachte Unterhaltung darf gern spannend sein. Dass Leather sich zeitsparend an die Konventionen & Klischees des Genres hält, ist kein Grund, sich den Lektürespaß verderben zu lassen. Nimmt die Handlung erst einmal Fahrt auf, lässt man sich gern in ihren Bann ziehen, auch wenn die dabei eingesetzten Tricks oft allzu deutlich als solche zu erkennen sind.

Leather weiß, wie man die Begegnung zwischen Detektiv und Teufel wirkungsvoll inszeniert. Der eine ist quasi die Verkörperung der professionellen Ratio, während der andere tief im menschlichen Unterbewusstsein wurzelt und dort für Unbehagen sorgt. Im 21. Jahrhundert ist der Glaube an ‚echte‘ Teufel, die in der Hölle hocken und bei Ausflügen in die Menschenwelt nach Seelen fischen, unter einer Schicht aus ‚wissenschaftlich‘ begründeter Sicherheit begraben. Darunter lauern weiter Aberglauben und alte Ängste, die nicht nur Stephen Leather, sondern ganzen Legionen von Schriftstellern und Drehbuchautoren ihr Auskommen sichern.

|Unglaube schützt vor Teufelsspuk nicht|

Die reizvolle Kombination von Detektiv und Geisterwelt geht nicht auf Leather zurück. Auch hier greift er routiniert auf, was sich – Stichwort „Harry Dresden“ – an anderer Stelle auf dem Buchmarkt bewährt hat. Leather setzt dabei früher ein; vor der Konfrontation mit den Bewohnern des Jenseits‘ steht bei ihm das Ringen um die Akzeptanz ihrer Realität. Jack Nightingale muss vom Saulus zum Paulus werden. Leather zögert die Konfrontation zwischen Jack und dem (übrigens weiblichen) Dämon, der den Schuldschein über seine Seele in den Klauen hält, so weit wie möglich hinaus. „Höllennacht“ ist trotz des martialischen deutschen Titels vor allem die Geschichte einer Spurensuche.

Ein gewisses Problem stellt Leathers Figurenzeichnung dar. Jack Nightingale bleibt flach. Ständig stolpert er über übel zugerichtete Leichen, aber Schrecken und Trauer bleiben reine Behauptungen und werden geschwind abgeschüttelt. Auch der Griff in die Profilkiste bringt nur Beliebiges zutage: Aufgrund deprimierender Erfahrungen, die aus seinen Jahren als Unterhändler und Scharfschütze resultieren, ist Nightingale zum religiös Ungläubigen sowie zum Zyniker geworden, der für das Böse in der Welt allein die Menschen verantwortlich macht.

Als wenig erfolgreicher Detektiv – ein Zustand, der für diesen Berufsstand längst eher Vorschrift als Klischee ist – hat sich Nightingale eine Nische etwas abseits des kollektivgesellschaftlichen Erfolgsstrebens eingerichtet, bis ihn – auch dies folgt dem üblichen Schema – ein unerhörtes Geschehen aus dem Alltagstrott reißt. Nightingale besinnt sich in der Krise alter Berufstugenden, die ihm auch im Umgang mit höllischen Dämonen nützlich werden, denn Leather postuliert ein Universum, in dem sogar die ewige Verdammnis zur Verhandlungssache wird.

|Dämon zu sein ist die Hölle!|

Zum kantenfreien Tenor passt ein simples Höllenbild. Da gibt es Satan selbst, der in der höllischen Hierarchie so weit oben thront, dass er sich in die Geschicke der Menschen nicht einmischt. Er überlässt dies seinen 66 Höllenfürsten, die wiederum über 666 Legionen gebieten, in denen jeweils 666 Soldaten-Teufel dienen. Dieses Konzept macht es möglich, dass sich Mensch und Dämon fast auf Augenhöhe begegnen.

Bis dies geschieht, reiht Leather seltsame Ereignisse episodisch aneinander. Hier könnte er eindeutig raffen, denn die Story tritt auf der Stelle bzw. ergeht sich in Wiederholungen. Von höllischer Allmacht ist wenig zu spüren, als im Finale tatsächlich eine Teufelin erscheint, um Nightingales Seele zu kassieren. Theaterdonner und große Worte erzeugen nur das Abbild einer gnadenlosen Gegnerin, die sich kurz darauf auf einen Deal mit dem Menschlein einlässt: Die Teufelsfrau hat sich an einer anderen Baustelle hereinlegen lassen, weshalb die Höllen-Kollegen sich nun über sie lustig machen und ihr der Chef womöglich seine Gunst entzieht.

Solche jede Raffinesse vermeidenden Einfälle verraten wohl am besten, mit welcher Art von Phantastik wir es hier zu tun haben. Auf diesen kurvenlosen, gut geschmierten Schienen dürfte die „Jack Nightingale“-Serie problemfrei von Station zu Station rollen. Die nächste Haltestelle steht bereits fest: Schließlich hat Jack herausgefunden, dass er eine Schwester hat, deren Seele der Senior einem anderen Teufel verkauft hat. Die muss er nun finden und ebenfalls retten, was unter dem Titel „Midnight“ in England bereits 2011 geschah und sicherlich auch in Deutschland nachgeholt wird, falls dieses erste Abenteuer hierzulande genug Leser findet.

_Autor_

Bevor Stephen Leather, geboren 1956 im britischen Manchester, Schriftsteller wurde, arbeitete er als Journalist und schrieb für Zeitungen im In- und Ausland. Ende der 1980er Jahre verlegte sich Leather auf das Schreiben actionbetonter, das Schwergewicht auf Unterhaltung legender Thriller, die u. a. in den USA, in Irland sowie im Fernen Osten spielten – Länder und Regionen, die Leather nicht nur ausgiebig bereiste, sondern in denen er sich zeitweise ansiedelte, um seine Geschichten in ein möglichst real wirkendes Umfeld einzubetten.

Zu seinen Erfolgen zählt die 2004 gestartete Serie um den Special-Air-Service-Trooper und Undercover-Agenten Dan ‚Spider‘ Shepherd. Verfilmt wurden die Leather-Thriller „The Stretch“ und „The Bombmaker“. 2010 startete Leather die Serie um den Privatdetektiv Jack Nightingale, der sich mit diversen Kreaturen der Hölle u. a. übernatürlichen Unerfreulichkeiten auseinandersetzen muss. Leather schrieb außerdem direkt für das Fernsehen und hier für Infotainment-Serien wie „The Knock“, „London’s Burning“ oder „Murder in Mind“.

|Taschenbuch: 446 Seiten
Originaltitel: Nightfall (London: Hodder & Stoughton 2010)
Übersetzung: Barbara Ostrop
Deutsche Erstausgabe: November 2011 (Blanvalet Verlag/TB Nr. 37814)
ISBN-13: 978-3-442-37814-2
eBook ISBN-13: 978-3-641-06153-1|
http://www.stephenleather.com
http://www.randomhouse.de/blanvalet

Christopher Evans (Hg.) – Die Angst hat tausend Namen

evans-angst-hat-tausend-namen-cover-kleinDen ‚echten‘ Monstern & Gespenstern steht subtiler und wesentlich erschreckender jenes Grauen gegenüber, das im eigenen Hirn wurzelt, denn ihm kann man nicht entkommen. Herausgeber Evans, ein Psychologe, präsentiert sieben Geschichten von Menschen, die sich buchstäblich selbst verrückt machen oder deren Angstvorstellungen real werden: spannend und unter der genannten Prämisse doppelt unheimlich.
Christopher Evans (Hg.) – Die Angst hat tausend Namen weiterlesen

Tim Curran – Zerfleischt

Die Menschen mutieren zu tierhaften Kreaturen, deren Handeln von Instinkten gesteuert wird; nur wenige bleiben verschont, während die Zivilisation in Brutalität und Kannibalismus verendet … – Am Beispiel einer US-Kleinstadt exerziert der Autor diesen Prozess durch; der Horror bleibt vordergründig, ist auf den Schock getrimmt und neutralisiert sich selbst, weil die entsprechenden Effekte sich bald wiederholen: routinierter Tabubruch-Grusel für zartbesaitete Fans des ‚harten‘ Horrors und Schlachtplatte für die „Boah – hammergeil!“-Fraktion.
Tim Curran – Zerfleischt weiterlesen

Straub, Peter – Okkult

_Das geschieht:_

Schriftsteller Lee Harwell gehört zu den erfolgreichen Mitgliedern seiner Zunft. Aktuell kreisen seine Gedanken um die eigene Vergangenheit, die womöglich den Stoff für ein neues Buch hergibt: Mitte der 1960er Jahre gehörte Harwell durch seine Freundin locker zu einer Gruppe, die in Madison, einer kleinen Stadt im US-Staat Wisconsin, in einen nie geklärten Kriminalfall verwickelt waren.

Während Lee „Eel“ Truax – besagte Freundin -, Donald „Dilly“ Olson, Jason „Boats“ Boatman, Howard „Hootie“ Bly, Meredith Bright, Keith Hayward und Brett Milstrap den Verführungskünsten des selbsternannten Gurus Spencer Mallon erlagen, glaubte Harwell diesem nie ein Wort; er selbst nahm deshalb nicht an jener ‚bewusstseinserweiternden‘ Geisterbeschwörung teil, die Mallon in einer Oktobernacht des Jahres 1966 auf einer abgelegene Wiese inszenierte. Am nächsten Morgen war Hayward in Stücke gerissen, Mallon und seine Jünger hatten sich in alle Winde zerstreut.

Was sie in dieser Nacht erlebten, beschäftigt die Überlebenden seit Jahrzehnten, denn es prägte oder zerstörte ihre Leben. Hootie Bly ist seitdem geisteskrank, Meredith Bright ihrer Gefühle beraubt, Lee Truax erblindet. Sie hat später Harwell geheiratet, konnte ihm aber nie erzählen, was damals geschah. Jetzt ist sie es, die Harwell mit ihren Leidensgefährten zusammenführt. Heimlich hat Lee den Kontakt stets aufrechterhalten. Ihr Mann soll die Ereignisse von 1966 rekonstruieren.

Harwell macht sich an die Arbeit. Mühsam aber immer deutlicher enthüllt sich ihm eine unglaubliche Wahrheit: Durch einen Zufall gelang es Spencer Mason, jene schützende Membran zu durchdringen, die das umgibt, was „Realität“ genannt wird. Jenseits dieser Grenze existieren Mächte, die dem Menschen bestenfalls gleichgültig gegenüberstehen. Oft sind sie jedoch feindlich gesonnen und lauern auf Dummköpfe wie Mason, die ihnen ohne echte Ahnung von ihrem Tun eine Tür öffnen. Dies geschah 1966, und was dabei auf diese Welt gerufen wurde, nistet noch heute in denen, die ihm damals ausgesetzt waren …

|Kein Grusel von der Stange|

Peter Straub ist ein Autor, der es seinem Publikum nicht leicht macht. Weil er zwei Bücher mit Stephen King geschrieben hat, neigen die Anhänger eines eher handfesten Horrors dazu, auch aus seiner Feder vor allem spannende Geschichten über Geister und Monster zu erwarten. Die liefert er durchaus, aber manchmal erinnert sich Straub daran, dass er einst als ‚richtiger‘ Literat ins Schriftstellerleben startete. Dann geht er in sich, reflektiert über die Phantastik und entwickelt handwerklichen Ehrgeiz.

Das Ergebnis sind Romane wie dieser: sehr interessant, aber anstrengend zu lesen und unterm Strich nicht annähernd so gehaltvoll, wie ihr Verfasser dies geplant haben mag. Man könnte „Okkult“ vorsichtig und zur Ehrenrettung seines Verfassers als Fingerübung bezeichnen, wiese dieses Buch in seiner deutschen Version nicht den stolzen Umfang von 560 Seiten auf.

Im nüchternen Rückblick bleibt erstaunlich wenig Ereignissubstanz im Gedächtnis des Lesers haften. Dies liegt unter anderem daran, dass Straub sich des „Rashomon“-Prinzips bedient und seine Story aus mehreren Blickwinkeln betrachtet bzw. mehrfach – fünfmal, um genau zu sein – erzählt. Darüber hinaus zersplittert er das Geschehen zusätzlich in Fragmente; er springt in der Handlungszeit vor und zurück, arbeitet mit eingeschobenen Mini-Storys, die der Leser entschlüsseln soll, und bleibt auch sonst gern kryptisch.

|Die Rätsel einer Nacht|

Stringenter Horror sieht jedenfalls anders aus. Gelungene Phantastik allerdings auch. Zwar wird deutlich, worauf Straub hinauswill, doch er schafft es nicht, das Gerüst zu verbergen, das er stützend um seine Idee errichtet hat. Immer wieder schimmert es durch und zeigt uns Straub, der nicht nur erzählt, sondern auch ein ehrgeiziges Handwerk verrichtet, was wir aber nicht wissen und vor allem nicht bemerken wollen.

„Okkult“ ist darüber hinaus allzu angestrengt mehrschichtig und hintergründig geraten. Straub ist verliebt in Einfälle, die zur Handlung kaum oder gar nicht beitragen, seine Geschichte mit wenig interessanten bzw. sympathischen Figuren besetzt und vor allem viel zu lang geraten.

Trotzdem macht es einen Heidenspaß, diesen Roman zu lesen: Wo steht geschrieben, dass Lektüre nicht Ansprüche stellen darf? Selbst das allzu offensichtliche Spiel mit literarischen Formen und erzählerischen Chiffren kann einen eigenen Reiz entfalten. „Okkult“ ist trotz des Umfangs ein Buch, das man aufmerksam lesen muss. Straub spickt diese Geschichte mit Hinweisen und Schlüsseln, die der Leser parat haben sollte, wenn er an jene Stellen gelangt, die nur aufgrund ihrer Kenntnis einen Sinn ergeben. In diesem Spiel bleibt Straub, auch wenn er nicht auf der Höhe seiner Möglichkeiten arbeitet, ein Meister.

|Die Realität der Phantastik|

Zudem versteht es Straub, die Ereignisse der mysteriösen Oktobernacht mit einer Bildgewalt zu vermitteln, die sich nicht aus der minutiösen Schilderung von Details, sondern gerade aufgrund der fragmentarischen Überlieferung speist: In dieser Nacht geschah tatsächlich Unfassbares in einem Sinn, der sich nur annähernd in Worte fassen lässt. Straub versucht, der ‚jenseitigen‘ Welt ihre Fremdheit zu bewahren. Das klingt seltsam, wird aber verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie simpel das Grauen gemeinhin daherkommt. Dämonen, Vampire, Ungeheuer: Sie sehen irgendwie gruselig aus, wirken aber nicht wirklich fremd und benehmen sich auch nicht so; ihre Ziele sind simpel. Wenn sie foltern & killen, gewinnen sie beim besten Willen nicht an Charisma.

Oft aber selten mit Erfolg haben Phantasten sich an einem Grauen versucht, das höchstens ansatzweise vom menschlichen Geist erfasst werden kann. William Hope Hodgson (1877-1918) gelang dies mit „The House on the Borderland“ (1908; dt. [„Das Haus an der Grenze“),]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=416 Algernon Blackwood (1869-1951) war in dieser Hinsicht vor allem in seinen längeren Erzählungen erfolgreich. Später war es Howard Phillips Lovecraft (1890-1937), der einen kosmischen Schrecken beschwor, der in der Konfrontation dem Erzähler immer wieder buchstäblich die Sprache verschlug.

Dass Peter Straub auf Lovecrafts Spuren wandelt, ist mehr als eine Vermutung. Schon einmal hat er sich auf ihn berufen. „Mr. X“ (dt. „Mister X“/“Schattenbrüder“) markierte 1999 den ehrgeizigen Versuch, Lovecrafts „Cthulhu“-Mythos in einer Gegenwart zu etablieren, die mehr als nur Kulisse für eine tentakelreiche Spukstory war.

|Zeitgeschichte ohne echte Wurzeln|

Mit „Okkult“ versucht Straub viel, wobei ihm nicht alles gelingt. So erzählt er im Interview von der Faszination, mit der er in seinen Studentenjahren die schier allgegenwärtigen Gurus und Sektenführer der 1960er Jahre beobachtete. Mit selbst gestrickten Weisheiten und angelesenen, nach eigenem Gusto interpretierten (oder verbogenen) ‚Wahrheiten‘ gelang es ihnen, Männer und Frauen in ihren Bann zu ziehen, die es besser hätten wissen und die Manipulationen und blanken Lügen hätten durchschauen müssen. Spencer Mallon, von dem immer wieder die Rede ist, taucht als Figur in „Okkult“ freilich niemals auf. Im Spiegel seiner Anhänger und Feinde bleibt er schemenhaft. Deshalb wird die Faszination, die angeblich von Mallon ausging, nicht nachvollziehbar.

Faktisch besitzt die gesamte Handlungsebene des Jahres 1966 nur eine von Straub behauptete Bedeutsamkeit. Die „Swinging Sixties“ bleiben blass, die angebliche Umbruchphase ist für die Handlung belanglos. Im Zentrum steht die Geisterbeschwörung. Sie könnte zu jedem anderen Zeitpunkt geschehen. Dass sie gelingt und gleichzeitig fehlschlägt, weil Mallon ein ‚Zauberer‘ ist, dem dies eine Mal ein Trick ohne doppelten Boden gelingt, ist eine Ironie, die nicht zünden will.

|Kühles Drama mit gesetzten Beteiligten|

Mit Straubs Figuren wird der Leser nie warm. Dies liegt nicht nur daran, dass sie in der Tat nicht sympathisch sind und dies womöglich gar nicht sein sollen. Zudem baut Straub – nicht unbedingt notwendig – eine zweite, die Handlung dem Leser zusätzlich entfremdende Ebene ein: Lee Harwell ist Sammler und Chronist der Ereignisse. Er plant ein neues Buch. Das nicht von Straub, sondern angeblich von Harwell geschriebene „Okkult“ stellt so etwas wie sein Notizbuch dar. Erst später besinnt er sich auf seine Rolle als Protagonist in einer Geschichte, in der er sich lange nur als passiver Zeitzeuge betrachtete.

In dieser zweiten Hälfte gewinnt „Okkult“ Profil und Schwung, aus literarischem Ehrgeiz geht eine echte Geschichte hervor. Damit gibt Straub freilich seinen ursprünglichen Anspruch notgedrungen auf. Die Auflösung kann schließlich wieder einmal mit dem Rätsel nicht mithalten. Straubs Konzept einer mehrdimensionalen Realität wird erneut in eindrucksvolle Bilder gekleidet, was an der Banalität der Botschaft wenig ändert. An diesem Problem ist allerdings nicht nur Straub gescheitert.

Im letzten Drittel dominiert der Inhalt die Form. Alle losen Fäden werden zum finalen Knoten geschürzt, sogar Tempo kommt in die Handlung. Am Ende ist da zwar die Erkenntnis, dass Straub mit einer Kanone auf Spatzen geschossen hat. Doch er hat das Risiko unternommen, die Phantastik gegen ihren Strich zu bürsten. Das ist ihm mit „Okkult“ nur bedingt aber doch allemal unterhaltsamer gelungen als die x-te Invasion randalierender Zombies oder liebeskranker Vampire.

|Anmerkung: Facetten der Wahrheit|

„Rashomon“ (dt. „Rashomon – Das Lustwäldchen“) ist ein vom japanischen Regisseur Akira Kurosawa inszenierter Filmklassiker aus dem Jahre 1950. Die Vergewaltigung einer Frau und der Mord an ihrem Mann werden im Verlauf einer Gerichtsverhandlung rekonstruiert. Dabei erzählen die in den Fall verwickelten Personen und ein Zeuge jeweils ihre Versionen der Ereignisse, die als Film im Film wiedergegeben werden und erhebliche Widersprüche aufweisen. Was hat sich tatsächlich ereignet?

Über die spannende Handlung hinaus beschäftigt Kurosawa – der auch am Drehbuch mitschrieb – die Frage nach dem Wesen der Wahrheit, die es womöglich gar nicht gibt, weil ein Geschehen stets durch die individuelle Sicht der Beteiligten gefiltert wird; diese haben zudem oft ein Interesse daran, die objektive Wahrheit zu ihren Gunst zu verdrehen. Das Problem oder vielleicht besser: die Tatsache einer selektiven Wahrnehmung bestimmt auch Lee Harwells Suche.

_Autor_

Peter Francis Straub wurde am 2. März 1943 in Milwaukee im US-Staat Wisconsin geboren. Der Schulzeit folgte ein Studium der Anglistik an der „University of Wisconsin“, das Straub an der „Columbia University“ fortsetzte und abschloss. Er heiratete, arbeitete als Englischlehrer, begann Gedichte zu schreiben. 1969 ging Straub nach Dublin in Irland, wo er einerseits an seiner Doktorarbeit schrieb und sich andererseits als ‚ernsthafter‘ Schriftsteller versuchte. Während die Dissertation misslang, etablierte sich Straub als Dichter. Geldnot veranlasste ihn 1972 zur Niederschrift eines ersten Romans („Marriages“; dt. „Die fremde Frau“), den er (mit Recht) als „nicht gut“ bezeichnet.

1979 kehrte Straub in die USA zurück. Zunächst in Westport, Connecticut, ansässig, zog er mit der inzwischen gegründeten die Familie nach New York. Ein Verleger riet Straub, es mit Unterhaltungsliteratur zu versuchen. Straub schrieb „Ghost Story“ (1979; dt. „Geisterstunde“), seine Interpretation einer klassischen Rache aus dem Reich der Toten. Der Erfolg dieses Buches (das auch verfilmt wurde), brachte Straub den Durchbruch. Mit „Shadowland“ (1980; dt. „Schattenland“) und „Floating Dragon“ (1983; dt. „Der Hauch des Drachens“) festigte er seinen Ruf – und erregte die Aufmerksamkeit von Stephen King, mit dem er sich bald anfreundete. Die beiden Schriftsteller verfassten 1984 gemeinsam den Bestseller „The Talisman“ (dt. „Der Talisman“), dem sie 2001 mit „Black House“ (dt. „Das schwarze Haus“) eine ebenso erfolgreiche Fortsetzung folgen ließen.

|Taschenbuch: 559 Seiten
Originaltitel: A Dark Matter (New York : Doubleday 2010)
Übersetzung: Ursula Gnade
ISBN-13: 978-3-453-43590-2|
[Autorenhomepage]http://www.peterstraub.net
[Verlagshomepage]http://www.randomhouse.de/heyne

_Peter Straub auf |Buchwurm.info|:_
[„Haus der blinden Fenster“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1003
[„Hellfire Club – Reise in die Nacht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1110
[„Esswood House“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1603
[„In the Night Room“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2568
[„Schattenstimmen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3090

Ilona Andrews – Ruf der Toten (Stadt der Finsternis 5)

Stadt der Finsternis:

Band 1: „Die Nacht der Magie“
Band 2: „Die dunkle Flut“
Band 3: „Duell der Schatten“
Band 4: „Magisches Blut“
Band 5: „Ruf der Toten“
Band 6: „Magic Gifts“ (noch ohne dt. Titel)
Band 7: „Gunmetal Magic“ (August 2012, noch ohne dt. Titel)

Die Beziehung zwischen der Söldnerin Kate Daniels und Curran, dem Herren der Gestaltwandler, war noch nie besonders einfach. Doch seit die beiden offiziell zusammen sind und in der Festung der Gestaltwandler leben, geht es für Kate drunter und drüber. In Band 5 von „Stadt der Finsternis“, „Ruf der Toten“, muss sie sogar eine ganze Großstadt vor dem Untergang bewahren.

Ilona Andrews – Ruf der Toten (Stadt der Finsternis 5) weiterlesen

Nate Southard – Red Sky

Nach einem blutig schiefgelaufenen Banküberfall flüchten die Räuber in die Wüste von New Mexico und dort in eine nur scheinbar verlassene Fabrikanlage, in deren Mauern es nach Einbruch der Dämmerung mutantisch umgeht, während von außen Soldaten in Schutzanzügen anrücken … – Die Story kennen wir aus unzähligen B-Movies, doch die Umsetzung ist erstaunlich solide: Action-Horror der niemals feinen aber kurzweiligen, spannenden Art.
Nate Southard – Red Sky weiterlesen

Carsten Stroud – Niceville (Niceville-Trilogie 1)

Das düstere Geheimnis einer kleinen Stadt führt zu einer verhängnisvollen Verquickung von Spuk und Schwerkriminalität … – Mystery-Thriller im Stil von Stephen King und Lee Child; Realität und Spuk werden nüchtern aber atmosphärisch dargeboten, der Plot ist verzwickt und beeindruckt durch unerwartete Verknüpfungen, das Tempo ist jederzeit hoch, die Figurenzeichnung stimmig, und über schwarzen Humor verfügt der Verfasser auch: Das Ergebnis ist eine zwar (noch) sinnarm um sich selbst kreisende Geschichte, die jedoch zunehmend in ihren Bann zieht und ausgezeichnet unterhält.
Carsten Stroud – Niceville (Niceville-Trilogie 1) weiterlesen

Susan Hill – Die Frau in Schwarz

Ein junger Anwalt gerät durch Zufall in einen Geisterspuk, der eine Tragödie konserviert, die vor vielen Jahren stattfand. Allzu hartnäckig bemüht er sich, die Wahrheit hinter dem Spuk zu entdecken und erregt dadurch die Aufmerksamkeit des Gespenstes … – Versuch einer Wiederbelebung der klassischen englischen „ghost story“, wie sie bis zum II. Weltkrieg dominierte; diverse Passagen sind sehr stimmungsvoll geraten, aber die Story selbst ist plotschwach und wird zu stark ausgewalzt: allzu offensichtlich nur eine Kopie echter Grusel-Meister.
Susan Hill – Die Frau in Schwarz weiterlesen

Sutton, David A. (Hg.) – Solo für einen Kannibalen

_Das geschieht:_

1971 schrieben neun Autoren exklusiv für diese Anthologie Horrorgeschichten, die ausdrücklich in der Gegenwart angesiedelt sind:

– Robin Smyth: Der unrühmliche Aufstieg des Katzenfleischhändlers |(The Inglorious Rise of the Catsmeat Man)|: Das Geschäft läuft gut, bis Mama sich in die Hauptzutat verliebt.

– David Compton: Satansbrut |(Goat)|: Mit gutem Grund hasst jeder den alten Goat, doch leider steht er mit dem Teufel im Bund, was Rache gefährlich werden lässt.

– E. C. Tubb: Der letzte Hexensabbat |(The Winner)|: Die Rekonstruktion eines klassischen Sabbats gelingt, wie der Auftritt eines höllischen Überraschungsgastes demonstriert.

– Kenneth Bulmer: Grabschmaus |(Under the Tombstone)|: Auf der Suche nach einem Nervenkitzel gerät eine Gruppe gelangweilten Jungvolks nicht zufällig auf einen Friedhof.

– David A. Riley: Der Eroberer |(The Farmhouse)|: Was der grausig geendete Künstler in dem alten Haus fand, wartet dort immer noch auf unvorsichtige Besucher.

– W. T. Webb: Hirngespinste |(Phantasmagoria)|: Seiner Warnung vor dem Beginn einer Invasion aus der 7. Dimension will niemand Glauben schenken.

– Bryan Fortey: Tivoli-Terror |(Prison)|: Auf dem Gelände eines verlassenen Vergnügungsparks hat eine bizarre, mörderische Parallel-Gesellschaft eingenistet.

– Julia Birley: Die Lauernden |(The People Down Below)|: Beunruhigende Ereignisse werfen die Frage auf, ob die Etage unter der Wohnung tatsächlich leer steht.

– Michael G. Coney: Das Tal des Schicksals |(The Hollow Where)|: Als er sein verpfuschtes Leben gegen seine Wunschexistenz austauschen kann, kommt Farmer Ed zu einer unerfreulichen Erkenntnis.

|Die Vergangenheit der gruseligen Gegenwart|

Seit jeher kämpft die Phantastik mit vielen Vorurteilen. Zu den weniger dramatischen gehört der Vorwurf, sie beschränke sich auf die Beschwörung längst altertümlich gewordener Schrecken. Vampire im schwarzen Umhang, Monster mit Elektroden im Hals, Trolle unter der Brücke: Was hatten diese Schreckgestalten einer abergläubischen Vergangenheit hoch im 20. Jahrhundert, das u. a. durch zwei Weltkriege nie gekannte Schrecken real werden ließ, für eine Existenzberechtigung?

Die Befürworter der Phantastik antworteten diesen Kritikern nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten. Sie standen richtig auf dem Standpunkt, dass der Horror – sei es in seiner rein unterhaltenden Form oder als spielerische Beschäftigung mit dem Grauen der Gegenwart – sehr wohl mit der Zeit gegangen war. Die alten Schreckgespenster hatten ihre Nischen gefunden, und neue, auf sehr moderne Weisen für Grusel sorgende Phantome hatten sich an ihre Seiten gestellt.

„New Writings in Horror and the Supernatural“ lautete recht trocken aber dadurch beinahe akademisch der Titel einer Anthologie, die der noch junge und engagierte David A. Sutton 1971 herausgab. Er hatte eine Reihe aktuell aktiver Autoren angeschrieben und um exklusive Beiträge für eine Sammlung von Gruselgeschichten gebeten, die in der Gegenwart angesiedelt waren.

|Hehres Ziel, harte Realität|

Man sollte allerdings dieses Projekt literarisch nicht gar zu hoch aufhängen. „New Writings …“ erschien als kaum 160-seitiges Taschenbuch und wurde von einem nur mäßig engagierten Verlag im Gesamtprogramm versteckt. Ernüchtern musste auch die Qualität der eingegangenen Storys, die sich in der Regel reiner Horror-Routinen bedienten. Erstaunen konnte dies eigentlich nicht, da auf Suttons Liste einige zeitgenössische Fließband-Autoren standen.

Zu ihnen gehörte Edwin Charles Tubb (1919-2010), der sich im Laufe eines mehr als ein halbes Jahrhundert währenden Vielschreiber-Laufbahn ca. 50 Pseudonyme bediente. Allein seine 1967 begonnene Serie um den raumfahrenden Abenteurer Earl Dumarest umfasst 37 Bände. „Der letzte Hexensabbat“ ist eine unfertig wirkende, wohl aus dem Ärmel des Schreibarms geschüttelte Story, die unerhört aufwändig von den Vorbereitung besagten Sabbats durch junge, bilderstürmerische Filmleute erzählt; mit einem simplen Schlussgag bricht die Story plötzlich ab und lässt den Leser irritiert zurück.

Von der Erzählstruktur gelungener aber inhaltlich hart zwischen Schreibökonomie und Flachsinn manövrierend ist „Grabschmaus“ von Henry Kenneth Bulmer (1921-2005), der sogar noch produktiver als Tubb war und diesen u. a. (als „Alan Burt Akers“) mit einer 53-bändigen Serie um den Seemann Dray Prescott, der auf fremden Planeten aufregende Abenteuer erlebte, in den Schatten stellt. Auch seine Story ist auf ihren Finaleffekt getrimmt, der sich freilich allzu früh ankündigt und höchstens durch den Verzicht auf die üblichen Verdächtigen – Vampire und Ghule – überrascht.

|Neue Zeiten mit losen Sitten|

Schon in diesen beiden Storys fällt ein deutlicher Anstieg der Spannungsfaktoren Gewalt bzw. Ekel und Sex auf. 1971 war (scheinbar) Schluss mit dem schattenhaften Spuk. Das Jenseits manifestierte sich nun handfest und äußerte einst nur verschämt angedeutete Begierden mit nie gekannter Deutlichkeit. Schnell entstanden neue Klischees: Junge Frauen – immer noch „Mädchen“ genannt – kleiden sich aufreizend und sind willig, junge Männer rücksichtslos und ungehobelt, und alle zusammen sind sie geil und potenziell gefährlich: Aus den „Rebellen“ der 1950er Jahre wurden für eine konservative, vorurteilsreiche, erschrockene Gesellschaft die „Chaoten“ der (nicht nur) „Swinging Sixties“. Bryan Forteys „Tivoli-Terror“ erschien 1971. In diesem Jahr kam Stanley Kubricks „Uhrwerk Orange“ in die Kinos, der grandios auf die Spitze trieb, was Fortey höchstens andeutete bzw. als simplen Schauereffekt für seine Story ausbeutete.

Wie eine moderne und sich dabei nicht an angebliche Moralverstöße anbiedernde Geschichte aussehen konnte, zeigte Robin Smyth alias Robbie Smith, der 1971 ein überaus aktiver Autor war und hauptsächlich Hörspiele für das Radio und Drehbücher für das Fernsehen schrieb. „Der unrühmliche Aufstieg des Katzenfleischhändlers“ ist geschmacklos aber witzig; die nicht nur kannibalischen, sondern auch inzestösen Elemente der vollständig gespensterfreien Handlung werden ebenso drastisch wie elegant in ihren Dienst gestellt; ein wenig fühlt man sich sogar an Lord Dunsany und – sicher nicht unbeabsichtigt – seinen kleinen, fiesen Klassiker „Zwei Flaschen Würze“ (1932) erinnert.

Mit dieser Reminiszenz fährt Smith deutlich besser als David A. Riley (*1951), der ein wenig inspiriertes H.-P.-Lovecraft-Pastiche vorlegt. David Guy Compton (*1930) bleibt sehr klassisch; seine „Satansbrut“ könnte auch im Jahre 1871 problemlos funktionieren, da sich der Verfasser klug auf das Wesentliche beschränkt und den menschlichen Faktor des Phänomens Horror betont: Bosheit ist ein besserer Zünder für Gräueltaten als übernatürliches Wirken, das deshalb oft nur begleitend oder die Untat ausführend geschildert wird.

Ebenso gern gesellt sich zum Grauen der Wahnsinn; er sollte jedoch – siehe Robin Smyth – effektvoller ausgereizt werden als in der müden, einmal mehr auf einen finalen Knalleffekt ausgerichteten Story von W. T. Webb. Julia Birley (*1928) macht es besser: Der Absturz in den Wahn ist bei ihr ein langsamer Prozess, der logisch in einen blutigen Höhepunkt mündet.

Aus dem Rahmen dieser Sammlung bzw. diese dadurch ergänzend fällt die Erzählung von Michael G. Coney (1932-2005). Horror wird bei ihm zur Phantastik, Gewalt und plakatives Grauen fallen aus und werden durch Stimmung ersetzt. Das Ergebnis überzeugt und straft den (deutschen) Titel Lügen: Diese Sammlung bietet mehr als das Splatter-Solo eines Kannibalen.

|Deutscher Horror-Fan – dummer Horror-Fan|

„New Writings in Horror and the Supernatural“ erschien 1976 in Deutschland. Ein mögliches Wiedererkennen wurde erschwert, indem der Sammlung u. a. ein denkbar schwachsinniger Titel aufgeprägt wurde: Sicherlich konnte keiner der intellektuell auf Kurzrasenniveau vegetierenden deutschen Grusel-Leser einem Locktitel wie „Solo für einen Kannibalen“ widerstehen! Ein entsprechendes, also mit dem Inhalt überhaupt nicht in Beziehung zu bringendes (aber schön buntes) Titelbild rundete den gewünschten Trash-Eindruck ab.

Da der Pabel-Verlag seine Taschenbücher 1976 auf 146 Seiten normierte, wurden zu schlechter Letzt einige Geschichten der englischen Vorlage, die diese Vorgabe gesprengt hätten, einfach weggelassen. Es fehlen:

– Richard Davis: |The Time of Waiting|
– R. W. Mackelworth: |Mr. Nobody|
– David Rome: |Charley’s Chair|
– Ramsey Campbell: |Broadcast|

Gestrichen wurde selbstverständlich auch David Suttons Einleitung. Profitdenken, Ignoranz und Hochmut haben viele Gesichter. Dank des genannten Verlags lernen wir wieder einige kennen.

_Herausgeber_

In der englischen Horrorliteratur besitzt sein Name einen guten Klang: David A. Sutton, 1944 geboren, aufgewachsen und noch heute lebend in Birmingham, hat ihn weniger als Schriftsteller erworben; sein Werk ist schmal und beschränkt sich auf allerdings vorzügliche Kurzgeschichten, die seit den 1960er Jahren in vielen Anthologien veröffentlicht wurden.

Wesentlich prominenter ist Sutton als energischer Herausgeber des Magazins „Fantasy Tales“ (1977-1991, mit Stephen Jones) und Anthologien geworden, wofür er 1994 mit einem „British Fantasy Society Special Award“ und einem „World Fantasy Award“ (für „Fantasy Tales“) sowie mit inzwischen zwölf „British Fantasy Awards“ ausgezeichnet wurde.

|Taschenbuch: 145 Seiten
Originaltitel: New Writings in Horror and the Supernatural: No. 1 (London : Sphere Books 1971)
Übersetzung: Helmut Pesch|
[www.vpm.de]http://www.vpm.de
[avidasutton.co.uk]http://davidasutton.co.uk

Ketchum, Jack/McKee, Lucky – Beuterausch

_Das geschieht:_

Christopher Cleek ist ein König in seiner Kleinstadtwelt. Als Anwalt zieht er skrupellos die Fäden so, dass er am Ende finanziell stets besser dasteht als seine Klienten. Sein wahres Gesicht in aller Hässlichkeit zeigt Cleek jedoch nur in seinem bedacht abgelegen errichteten Haus. Dort tyrannisiert er seine Familie, die ihm aufs Wort zu gehorchen hat. Gattin Belle hat er längst gebrochen, sodass er nachts problemlos Tochter Peggy vergewaltigen und schwängern kann: Niemand wird reden – auch die fünfjährige Darlene nicht und ganz bestimmt nicht Sohn Brian, der den Sadismus des Vaters längst verinnerlicht hat.

Wenn er sich erholen will, geht Cleek gern auf die Jagd. Der Wald des US-Staates Maine ist riesig und wildreich. Dieses Mal geht dem Anwalt eine ganz besondere Beute ins Netz – eine verwilderte Frau, die letzte eines Stammes von Menschenfressern, der viele Jahre Angst und Schrecken verbreitet hatte, bis er ausgerottet wurde. Die Frau konnte flüchten. Sie ist verletzt und allein, weshalb Cleek sie zu überwältigen vermag.

Er ist fasziniert von dem starken Wesen, das ihn nicht fürchtet. Für Cleek liegt der Reiz darin, diesen Willen zu brechen. Deshalb richtet er im Keller seines Hauses ein Gefängnis ein und beginnt, sein Opfer zu ‚zähmen‘. Dabei bezieht er die Familie ein, die ihm wie üblich zu Willen ist. Die Frau ist trotz ihrer Fesseln jedoch keineswegs hilflos. Sie wartet geduldig auf ihre Chance, die kommt, als Cleek die Kontrolle über die Situation zu entgleiten beginnt. Der pubertierende Brian bedrängt die Gefangene immer offensiver, was Belles lange unterdrückten Widerstandswillen weckt. Als eine Lehrerin auftaucht, die Peggys Zustand erkannt hat, verliert Cleeks jegliche Hemmungen. Er lässt seine Hunde los. Um Vater und Sohn Einhalt zu gebieten sowie die kleine Schwester zu beschützen, wendet sich Peggy an ihre einzige Verbündete: Sie lässt die Frau frei, die umgehend zur mörderischen Tat schreitet und in deren Verhaltenskodex Begriffe wie Vergebung oder Dankbarkeit unbekannt sind …

|Menschenfresser mit Vorgeschichte/n|

1980 ließ Jack Ketchum erstmals die US-amerikanische Version der „Sawny-Bean“-Sippe wüten, die wie ihre schottischen Vorfahren aus dem 15. Jahrhundert als Clan in der Wildnis hauste und sich von unvorsichtigen Reisenden (und später Touristen) ernährte. „Off Season“ (dt. „Beutezeit“) hieß das tugendwächterseits schockiert und zornig zur Kenntnis genommene sowie heftig entschärfte Werk, das selbstverständlich umgehend berühmt & berüchtigt wurde, aber erst zwei Jahrzehnte später in seiner unzensierten Form erscheinen durfte. 1991 legte Ketchum mit „Offspring“ (dt. „Beutegier“) ähnlich drastisch nach.

Im 21. Jahrhundert haben sich die Gemüter einerseits beruhigt, während die Messlatte in Sachen Scheußlichkeit seit 1980 andererseits angehoben wurde. Jack Ketchum gilt inzwischen als anerkannter Meister eines Horrors, der sich nicht in Schnetzel-Splatter erschöpft, sondern Licht in die unerfreulich dunklen Bereiche der menschlichen Seele wirft: So sind ’seine‘ Kannibalen zwar grausam, dies aber nicht aus selbstzweckhaftem Vergnügen, sondern als Folge eines harten, unmittelbaren Lebenskampfes. Demgegenüber zeigen die ‚zivilisierten‘ Menschen moralische Schwächen, was sie, die es besser wissen müssten, vorsätzlich brutal und grausam handeln lässt. Diese gemeinsame, auch in der modernen Gegenwart keineswegs überwundene Gewaltbereitschaft thematisierte Ketchum in vielen anderen Romanen, darunter im deprimierend eindrucksvollen „The Girl Next Door“ (dt. „Evil“), der auf einer wahren Geschichte basiert.

Nachdem diese Seite des einst verteufelten Jack Ketchum anerkannt war, wurde der kultige Geheimtipp allmählich vom Mainstream entdeckt und damit auch geschäftlich interessant. 2006 wurde Hollywood aufmerksam, was binnen kurzer Zeit eine ganze Serie auf Ketchum-Werken basierender Filme nach sich zog. Schon 2009 inszenierte Andrew van der Houten „Beutegier“ und blieb dabei so konsequent, dass zumindest der Nerv der deutschen Zensur empfindlich getroffen wurde, was die üblichen Scherenschläge zur Folge hatte.

|Die Kannibalen von Maine – Version 2.0|

Zur Schar der Ketchum-Bewunderer gehört der Regisseur und Drehbuchautor Edward „Lucky“ McKee. 2005 produzierte er „The Lost“ und lernte dabei den Schriftsteller kennen. Es entwickelte sich nicht nur eine Arbeitsbeziehung, sondern eine Freundschaft. 2009 setzte McKee „Red“ (dt. „Blutrot“) selbst in Szene. Das nächste gemeinsame Projekt wurde eine ‚inoffizielle‘ Fortsetzung der „Off-Season“-Saga. Ketchum und McKee schrieben sie gemeinsam als Drehbuch und als Roman zum Film, der 2011 als „The Woman“ ins Kino kam.

Chronologisch schließt die Handlung lose an die bekannte Vorgeschichte an. Der Kannibalen-Clan, dessen Attacken die ersten beiden Romane beschrieben, ist bis auf eine einzige Überlebende ausgelöscht. „The Woman“ dreht deshalb die bisher typische Konstellation um und lässt nicht einen Menschen unter Menschenfresser, sondern eine Kannibalin unter Barbaren geraten. Überhaupt ist „The Woman“ ein Spiegel der Vorgeschichte: Handlung und Figurenzeichnung erschöpfen sich unter bloßer Verkehrung ihrer Ausprägung in der Nacherzählung banaler Horror-Elemente.

Wohl nicht grundlos hatte Ketchum selbst bisher auf eine Fortsetzung verzichtet, nachdem er aus dem Thema herausgeholt hatte, was interessant und aufregend war. Die erschütternd konventionelle Schauermär „The Woman“ wurde wohl nicht von ihm, sondern von McKee geprägt: Mit einer dem Roman angehängten Kurzgeschichte („Das Vieh“) belegt Ketchum, dass er der Story durchaus noch neue und provozierende Aspekte abgewinnen kann.

|Erschreckend aber nicht schockierend|

Im Vergleich dazu ist die Rezeptur, nach der „The Woman“ zubereitet wurde, allzu offensichtlich. Grundsätzlich werden „Beutezeit“ und „Beutegier“ mit „Evil“ gemischt. Im Keller baumelt zwar dieses Mal kein Aschenputtel, sondern eine wehrhafte Kannibalen-Frau, doch bis sie vom Haken los ist, wird sie kräftig gedemütigt, gefoltert und geschändet. Dies wird mit dem endgültigen Niedergang einer beschädigten Familie verquickt, deren Geschichte sich aufdringlich in den Vordergrund schiebt, bis die Frau aus dem Wald zur Statistin degeneriert. Sie ist ohnehin nur der Katalysator für die Selbstzerfleischung der Cleeks. Das echte Duell zwischen der Frau und Cleek fällt aus, die direkte Konfrontation kommt viel zu kurz.

Dabei geizen die Autoren nicht mit den üblichen „Ab-18“-Grusel- & Nackedeien, mit denen im Kino gern Fließband-Horror aufgepeppt wird. Dass sich höchstens Ekel aber niemals Entsetzen einstellen will, liegt sicherlich auch in der Tatsache begründet, dass selbst die gefesselte Kannibalen-Frau niemals ein hilfloses Opfer ist. Diese Rolle spielt Peggy, die zur Hauptrolle wenig taugt. Zwar behaupten Ketchum & McKee eine unsichtbare Kette zwischen Tochter und Vater, aber diese zerreißt ganz nebenbei und war offenbar nie wirklich wichtig.

Statt sich auf die Cleek-Familie und ihre Gefangene zu konzentrieren, fügt das Autorenduo einen Handlungsstrang um eine empathische Lehrerin ein. Sie hat mit ihren eigenen Sorgen und Nöten in dieser Geschichte nichts verloren. Selbst als zusätzliches Opfer ist sie überflüssig; ein Cleek hätte diese Rolle problemlos übernehmen können. Das Finale ist verworren genug; da bekriegen sich nicht nur Kannibalin und Cleeks, es stoßen auch noch böse Hunde und ein Reserve-Monster hinzu. Wen wundert’s, dass der angeblich so starke, schlaue, mächtige Cleek in einem Halbsatz sang- und klanglos aus der Handlung ausscheidet? Er war seiner ‚Gefangenen‘ nie ein echter Gegner.

Das eigentliche Ende ist ebenfalls weder schockierend noch überraschend, sondern läuft vor allem auf eine Fortsetzung hinaus: Die Kannibalen-Sippe wird neu gegründet. Dafür wird die Wahrscheinlichkeit, die mit der Spannung längst auf dem Boden liegt, noch einmal kräftig mit Füßen getreten. Der Leser kann sich glücklich schätzen, dass Ketchum noch einmal aktiv wird, um dem enttäuschenden Gemeinschafts-Roman mit der schon erwähnten Story eine kräftige Coda anzuschließen. Sie versöhnt wenigstens ansatzweise mit dem glatten Als-ob-Terror der Hauptgeschichte.

_Autor_

Das Pseudonym „Jack Ketchum“ wählte Dallas William Mayr (geb. 1946) nach eigener Auskunft nach dem Vorbild des Wildwest-Outlaws Thomas „Black Jack“ Ketchum, der es Ende des 19. Jahrhunderts sogar zum Anführer einer eigenen Bande – der „Black Jack Ketchum Gang“ brachte, letztlich jedoch gefangen und aufgehängt wurde. Im Vorwort zur deutschen Erstausgabe von „The Girl Next Door“ (dt. „Evil“) weist Stephen King außerdem darauf hin, dass „Jack Ketch“ in England der Spitzname für den Henker war, der Mayr ebenfalls charakterisiert: „Immer klappt die Falltür auf, immer zieht sich die Schlinge zusammen, und auch die Unschuldigen müssen baumeln.“

Der junge Mayr versuchte sich als Schauspieler, Sänger, Lehrer, Literaturagent, Handlungsvertreter usw. – die typische Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Laufbahn à la USA, nur dass Mayr nie wirklich seinen Durchbruch schaffte, da er sich als reichlich sperriger Schriftsteller erwies, der lieber im Taschenbuch-Ghetto verharrte als der Bestsellerszene Mainstream-Zugeständnisse zu machen. Noch heute ist der Autor stolz auf eine Kritik der „Village Voice“, die sein Romandebüt „Off Season“ 1980 als „Gewaltpornografie“ verdammte.

Die Literaturkritik musste Mayr alias Ketchum inzwischen zur Kenntnis nehmen. 1994 gewann seine Story „The Box“ einen „Bram Stoker Award“, was Ketchum 2000 mit „Gone“ wiederholen konnte. Zudem wurde Ketchum mehrfach nominiert. Längst ist auch Hollywood aufmerksam geworden.

|Taschenbuch: 286 Seiten
Originaltitel: The Woman (New York : Leisure Books/Dorchester Publishing 2010)
Übersetzung: Marcel Häußler
ISBN-13: 978-3-453-67615-2
Als eBook: Januar 2012 (Wilhelm Heyne Verlag)
ISBN: 978-3-641-06380-1|
[www.jackketchum.net]http://www.jackketchum.net
[www.randomhouse.de/heyne]http://www.randomhouse.de/heyne

_Jack Ketchum auf |Buchwurm.info|:_
[„Evil“ 2151
[„Beutezeit“ 4272
[„Amokjagd“ 5019
[„Blutrot“ 5488
[„Beutegier“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6045
[„The Lost“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6924
[„Die Schwestern“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6982

Hamilton, Laurell K. – Nacht der Schatten (Anita Blake 12)

Anita Blake (Links zu unseren Rezensionen am Schluss):

01 [„Bittersüße Tode“
02 [„Blutroter Mond“
03 [„Zirkus der Verdammten“
04 [„Gierige Schatten“
05 [„Bleiche Stille
06 [„Tanz der Toten“
07 [„Dunkle Glut“ 5990
08 [„Ruf des Blutes“
09 [„Göttin der Dunkelheit“
10 [„Herrscher der Finsternis“
11 [„Jägerin des Zwielichts“
==>12 _“Nacht der Schatten“_
13 „Incubus Dreams“ (noch ohne dt. Titel)
14 „Micah“ (noch ohne dt. Titel)
15 „Danse Macabre“ (noch ohne dt. Titel)
16 „The Harlequin“ (noch ohne dt. Titel)
17 „Blood Noir“ (noch ohne dt. Titel)
18 „Skin Trade“ (noch ohne dt. Titel)
19 „Flirt“ (noch ohne dt. Titel)
20 „Bullet“ (noch ohne dt. Titel)
21 „Hit List“
22 „Kiss the Dead“ (5. Juni 2012, noch ohne dt. Titel)

Laurell K. Hamiltons „Nacht der Schatten“ knüpft nahtlos an die Handlung von „Jägerin des Zwielichts“ an (die deutschen Titel der Reihe sind wahllos und stehen in keinerlei Zusammenhang zum Inhalt des jeweiligen Buches). Wieder hat sich Bastei Lübbe entschieden, einen der „Anita Blake“-Romane, nämlich „Narcissus in Chains“, in zwei deutschen Bänden herauszubringen. Das schmerzt hauptsächlich die Geldbörse des Lesers. Verständnisprobleme sollte es diesmal allerdings kaum geben, denn mit so einer Nebensächlichkeit wie Handlung gibt sich Hamilton lieber nicht ab.

Anitas Leopard wird von Richards Werwölfen festgehalten und sie ist fest entschlossen, den unschuldigen Gregory auf dem Lupanar zu befreien. Unterstützt wird sie von den Werratten, die ihr netterweise zwei Leibwächter stellen, ihren Leoparden und einem plötzlich aufgetauchten Schwanenkönig, bei dem man sich fragt, warum er überhaupt eingeführt würde. Zumindest trägt er nichts Sinnvolles zur Handlung bei.

Auf dem Lupanar angekommen lassen dann alle Beteiligten im wörtlichen und übertragenen Sinne die Muskeln spielen, bis klargestellt ist, dass Anita ihren Leoparden befreien darf. Der wurde von Richards Vertreter (der ihm heimlich nach dem Posten trachtet) in eine Art Mördergrube geworfen. Kein wirklich angenehmer Platz – es ist dunkel, es stinkt, man befindet sich etliche Meter unter der Erde und als Gesellschaft stehen einem nur alte Knochen von früheren Unseligen zur Verfügung, die in dem Loch ihr Leben aushauchten. Der arme Gregory ist dementsprechend traumatisiert und wird in Anitas Haus erstmal ein bisschen aufgepeppelt. Als Richard die Früchte seines Eingreifens sieht, ist er ordentlich zerknirscht, was dazu führt, dass er sich mit Anita versöhnt. Die Idylle hält aber nur kurz an, da Anita ihm nicht verzeihen kann, ein Gewissen zu haben. Anders ausgedrückt: Er ist ihr nicht kaltblütig genug, und so trennen sich beider Wege im Streit.

Auf den letzten paar Seiten entwickelt Laurell K. Hamilton dann tatsächlich noch so etwas wie eine Handlung, komplett mit Bösewicht, Schießerei und Rettungsaktion für Anita, die sich natürlich todesmutig ins Geschehen geworfen hat. Dieser kurze Actionplot ist allerdings nur lose mit der vorherigen Romanhandlung verknüpft und so steht er ziemlich isoliert am Ende des Buches, lässt aber trotzdem fast wehmütig die Erinnerung an die gute alte „Anita Blake“-Zeit wieder aufkommen, in der die Totenbeschwörerin den Bösewichten regelmäßig Feuer unterm Hintern gemacht an, anstatt mit ihnen ins Bett zu hüpfen.

Denn das ist das größte Problem an “Nacht der Schatten”: Es geht immer nur um das Eine, nämlich um Sex. Um diese schier unerträgliche Konzentration auf Geschlechtliche irgendwie zu legitimieren, tischt Hamilton ihren Lesern immer abstrusere Begründungen dafür auf, warum Anita mit diesem oder jenem Mann nun den Koitus durchführen sollte. Denn um Lust und Liebe geht es hier (fast) nie. Entweder muss Anitas Ardeur gestillt werden oder man muss irgendwelche Magie beschwören. Vielleicht ist es auch gerade nötig, einen Anita hörigen Vampir zu erwecken. Für all das ist es zwingend notwendig, dass sich wie zufällig ausgewählte Männer an Anita reiben. Auf die Dauer driftet “Nacht der Schatten” damit ins Lächerliche ab. Und ins Langweilige sowieso.

Eigentlich ist Anita – wohl bedingt durch all ihren Kontakt zu den bösen Vampiren, Lykantropen und sonstigen Monstern – längst unerträglich geworden. Ihre so erfrischende und schlagfertige Art ist mittlerweile ins Absurde überhöht und wirkt damit nur noch enervierend. Als sie kurz zögert, bevor sie in die Mördergrube steigt, möchte Richard sie abhalten, weil er um ihre Klaustrophobie weiß. Doch Anita lässt sich nicht abhalten, was bei Richard Unverständnis hervorruft: „Du hast mir und jedem anderen hier gezeigt, wie hart zu bist. Du brauchst uns nichts mehr zu beweisen.“ Genau darum geht es allerdings: Anita muss immer die Härteste sein, muss immer alle raushauen, muss immer bis an die Zähne bewaffnet durch die Gegend laufen. Der ursprüngliche sehr sympathische Zug, dass sie für die ihren immer einsteht, immer ihre Haut riskiert, ist mittlerweile nichts weiter als ein Spleen. Es erscheint eher so, als würde sie nach Ausreden suchen, um ihre Armada an Waffen zu gebrauchen, als dass sie sich wirklich Sorgen um ihre Mitmonster machen würde. So macht es jedoch nur noch bedingt Spaß, an ihren Abenteuern teilzuhaben.

Es steht zu hoffen, dass Laurell K. Hamilton es schafft, die Bettgeschichten zurückzuschrauben und sich tatsächlich wieder fesselnde Plots auszudenken. Hilfreich wäre es sicherlich auch, mindestens die Hälfte von Anitas Mannen zu eliminieren – die Liste der (männlichen) Charaktere, die Anita stets und ständig umschwirren und meistens auch aus unterschiedlichen Gründen ihr Bett teilen, wird einfach zu lang und unübersichtlich. Solche willkürlichen Sexgeschichtchen will kein Mensch lesen.

Die Autorin

Laurell K. Hamilton (* 19. Februar 1963 in Heber Springs, Arkansas) ist eine US-amerikanische Autorin von erotischen Fantasy- und Horrorromanen.

Anita-Blake-Serie

Deutsche Ausgaben

Laurell K. Hamilton: Bittersüsse Tode. 3. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2003. ISBN 978-3-404-15053-3. (OT: Guilty Pleasures)
Laurell K. Hamilton: Blutroter Mond. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2005. ISBN 978-3-404-15258-2. (OT: Laughing Corpse)
Laurell K. Hamilton: Zirkus der Verdammten. 2. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2005. ISBN 978-3-404-15371-8. (OT: Circus of the Damned)

Laurell K. Hamilton: Gierige Schatten. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2006. ISBN 978-3-404-15466-1. (OT: The Lunatic Cafe)
Laurell K. Hamilton: Bleiche Stille. 2. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2006. ISBN 978-3-404-15548-4. (OT: Bloody Bones)
Laurell K. Hamilton: Tanz der Toten. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2007. ISBN 978-3-404-15626-9. (OT: The Killing Dance)
Laurell K. Hamilton: Dunkle Glut. 2. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2007. ISBN 978-3-404-15756-3. (OT: Burnt Offerings)
Laurell K. Hamilton: Ruf des Blutes. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2009. ISBN 978-3-404-15972-7. (OT: Blue Moon)
Laurell K. Hamilton: Göttin der Dunkelheit. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2010. ISBN 978-3-404-16410-3. (OT: Obsidian Butterfly 1. Teil)

Laurell K. Hamilton: Herrscher der Finsternis. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2010. ISBN 978-3-404-16442-4. (OT: Obsidian Butterfly 2. Teil)
Laurell K. Hamilton: Jägerin des Zwielichts. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2010. ISBN 3-404-16054-1. (OT: Narcissus in Chains 1. Teil)

Laurell K. Hamilton: Nacht der Schatten. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2011. ISBN 3-404-16588-8. (OT: Narcissus in Chains 2. Teil)
Laurell K. Hamilton: Finsteres Verlangen. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2012. ISBN 978-3-404-16677-0. (OT: Cerulean Sins)
Laurell K. Hamilton: Schwarze Träume. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2013. ISBN 978-3-404-16740-1. (OT: Incubus Dreams 1.Teil)
Laurell K. Hamilton: Blinder Hunger 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2013. ISBN 978-3-404-16806-4. (OT: Incubus Dreams 2.Teil)

Meredith-Gentry-Serie

Laurell K. Hamilton: A Kiss of Shadows. 1. Auflage. Ballantine Books, New York 2000. ISBN 978-0-345-42339-9.
Laurell K. Hamilton: A Caress of Twilight. 1. Auflage. Ballantine Books, New York 2002. ISBN 0-345-43527-3.
Laurell K. Hamilton: Seduced by Moonlight. 1. Auflage. Ballantine Books, New York 2004. ISBN 0-345-44356-X.
Laurell K. Hamilton: A Stroke of Midnight. 1. Auflage. Ballantine Books, New York 2005. ISBN 0-345-44357-8.
Laurell K. Hamilton: Mistral’s Kiss. 1. Auflage. Ballantine Books, New York 2006. ISBN 978-0-345-44358-8.
Laurell K. Hamilton: A Lick of Frost. 1. Auflage. Ballantine Books, New York 2007. ISBN 978-0-345-49590-7.
Laurell K. Hamilton: Swallowing Darkness. 1. Auflage. Ballantine Books, New York 2008. ISBN 978-0-345-49593-8.
Laurell K. Hamilton: Divine Misdemeanors. 1. Auflage. Ballantine Books, New York 2009. ISBN 978-0-345-49596-9.

Andere Werke

Laurell K. Hamilton: Nightseer. 1. Auflage. Penguin Books, New York 1992. ISBN 978-0-451-45143-9.
Laurell K. Hamilton: Nightshade. 1992. ISBN 978-0-671-79566-5. (Aus der Reihe Star Trek: The Next Generation, Band 24)
Laurell K. Hamilton: Death of a Darklord. 4. Auflage. Wizards of the Coast, Renton 2007. ISBN 978-0-7869-4122-3. (Aus der Ravenloft-Serie)
Laurell K. Hamilton: Strange Candy. Berkley Books, New York 2006. ISBN 0-425-21201-7. (Kurzgeschichtensammlung)

|Taschenbuch: 416 Seiten
Originaltitel: Narcissus in Chains (Teil 2)
ISBN-13: 978-3404165889|
[www.luebbe.de]http://www.luebbe.de

Hamilton, Laurell K. – Jägerin des Zwielichts (Anita Blake 11)

Anita Blake (Links zu unseren Rezensionen am Schluss):

01 [„Bittersüße Tode“ 1009
02 [„Blutroter Mond“
03 [„Zirkus der Verdammten“ 2165
04 [„Gierige Schatten“ 4258
05 [„Bleiche Stille 4348
06 [„Tanz der Toten“ 3679
07 [„Dunkle Glut“ 5990
08 [„Ruf des Blutes“
09 [„Göttin der Dunkelheit“
10 [„Herrscher der Finsternis“
11 _“Jägerin des Zwielichts“_
12 „Nacht der Schatten“
13 „Incubus Dreams“ (noch ohne dt. Titel)
14 „Micah“ (noch ohne dt. Titel)
15 „Danse Macabre“ (noch ohne dt. Titel)
16 „The Harlequin“ (noch ohne dt. Titel)
17 „Blood Noir“ (noch ohne dt. Titel)
18 „Skin Trade“ (noch ohne dt. Titel)
19 „Flirt“ (noch ohne dt. Titel)
20 „Bullet“ (noch ohne dt. Titel)
21 „Hit List“
22 „Kiss the Dead“ (5. Juni 2012, noch ohne dt. Titel)

Es war einmal eine Autorin namens Laurell K. Hamilton, die dachte sich ein toughe Heldin in einer Welt voller böser Monster aus. Diese Heldin hieß Anita Blake und ihre Arbeit als Totenbeschwörer und Vampirhenker brachte sie mit allerlei finstren Gestalten zusammen. Doch mochten die Bösewichte auch noch so mächtig sein: Anita Blake hatte immer einen flotten Spruch auf den Lippen und eine geladene Knarre in der Hand. Und auch wenn sie viel einstecken musste, blieb sie am Ende trotzdem immer siegreich.

Bei der Lektüre von „Jägerin des Zwielichts“ muss man sich allerdings fragen, wo Hamilton ihre Anita Blake versteckt hat. Denn was dieser Roman als Plot und Charakterentwicklung präsentiert, hat absolut nichts mehr mit dem zu tun, was die „Anita Blake“-Reihe in ihren Anfängen so beliebt gemacht hat. Alles beginnt damit, dass Anita einen Anruf bekommt, in dem man ihr mitteilt, dass einer ihrer Leoparden in einem S/M Club gefangen gehalten wird. Natürlich macht sich Anita sofort auf, um dem ein Ende zu bereiten, doch bei dem sich entspinnenden Kampf wird sie schwer verwundet – und vermutlich mit Lykantropie infiziert. Bis zum nächsten Vollmond weiß das aber keiner so genau.

Richard, der außer sich ist vor Wut, hält den verantwortlichen Leoparden gefangen und droht ihn zu töten. Das kann Anita, die weiß, dass die Verwundung eine Verkettung unglücklicher Umstände – also ein Unfall – war, natürlich nicht so stehen lassen und rüstet sich, um auf Richards Lupanar ihren Leoparden zurückzugewinnen. Ihr zur Seite stehen nicht nur ihre eigenen Leoparden, sondern auch die mit ihr verbündeten Werratten und die Schwäne (von denen hatte sie eher zufällig bei dem S/M Club-Disaster auch ein paar gerettet). Doch bevor es zum Lupanar geht, ist der Roman auch schon zu Ende – denn ja, dieser dünne Handlungsfaden ist alles, was Laurell K. Hamilton in „Jägerin des Zwielichts“ ihren Lesern auftischt.

Dazwischen gibt es ganz viel Sex, Fast-Sex, Magie-Sex und sonstiges nacktes Rumrollen in Satinlaken, denn Anita, Richard und Jean-Claude haben sich endlich zu einem wirklichen Triumvirat vereinigt. Dabei hat Anita leider Jean-Claudes Inkubus abbekommen: Das heißt, sie kann beim Sex Energie tanken. Nun ist das aber keine wirklich freiwillige Geschichte – etwas, das man macht oder auch nicht. Nein, Anita wird von der Ardeur geplagt – einem wirklich unglaublichen Sextrieb, der stets und ständig über sie hereinbrechen kann. Es stellt sich also als unabdingbar heraus, dass sie immer einen willigen Mann in Reichweite hat, über den sie bei Bedarf herfallen kann. Und so pendelt die Handlung von einem Schlafzimmer zum nächsten, von einem Bett zum nächsten – und auch von einem Mann zum nächsten. Hamiltons mittlerweile ziemlich unübersichtliche Ansammlung von Charakteren ist in „Jägerin des Zwielichts“ fast ausschließlich dazu da, sich mit Anita in den Laken zu wälzen oder zumindest nackt und aufreizend durchs Bild zu stolzieren. Und da es im Universum von Anita Blake offensichtlich noch nicht genügend langhaarige, gut ausgestattete und überirdisch schöne Männer gibt, erfindet Hamilton in der Figur des Micah einfach noch einen dazu. Dieser Micah ist Nimir-Raj eines Leopardenrudels und dadurch mit Anita sozusagen schicksalhaft vereint, was dazu führt, dass sie bei ihrer ersten Begegnung hemmungslosen Sex haben, obwohl sie sich weder kennen noch besonders leiden können. Anstatt sich also auf Anitas Beziehungen zu Richard und Jean-Claude zu konzentrieren – die allein schon genügend Konfliktpotenzial mit sich bringen – eröffnet Hamilton lieber eine neue Front.

Damit muss sie scheitern. Denn mittlerweile ist Anita leider nichts weiter als eine peinliche Karikatur ihrer selbst. Sie, die die „Monster“ immer verabscheut hat, ist nun das größte von allen. Nicht nur, dass sie alle ihre Moralvorstellungen über Bord geworfen hat (bis auf diese seltsame amerikanische Prüderie, die sich trotz der ganzen Männergeschichten hartnäckig hält). Nein, sie hat sich auch von jedem Monster, das ihr je über den Weg gelaufen ist, auf die ein oder andere Weise infizieren lassen: Sie ist Totenbeschwörerin und Vampirhenker, sie ist Jean-Claudes menschlicher Diener und Richards Lupa. Sie hat gleichzeitig ihr eigenes Leopardenrudel und einen ihr hörigen Vampir. Sie ist Teil eines Triumvirats, entwickelt sich zum Lykantropen und hat sich einen Inkubus eingefangen. Kein Wunder, dass der schleichende Wahnsinn an ihr nagt. Dieser Problemwust wird von Hamilton allerdings immer nur weiter aufgehäuft, ohne dass je irgendetwas gelöst würde. Und so fühlt sich nicht nur Anita heillos überfordert. Denn letztendlich passiert in „Jägerin des Zwielichts“ fast nichts: Die Zeit innerhalb des Romans vergeht so langsam, dass die Handlung praktisch zum Stillstand kommt. Stattdessen gibt es Sex oder Diskussionen über Sex: Warum man ihn jetzt haben sollte und mit wem. Anitas Ardeur wird dem Leser groß und breit dargelegt – und zwar wiederholt. Auf den vierhundert Seiten des Romans werden bis zum Erbrechen immer dieselben Probleme und Fragen gewälzt, ohne dass das je irgendwohin führen würde. Das ist ungemein ermüdend und erstickt jegliche Handlung im Keim.

Ein großer Teil des anfänglichen Charmes der Reihe erwuchs aus dem Gegensatz unserer bekannten Realität und der Welt der Monster. Mittlerweile haben sich Hamilton und ihre Protagonistin von der Realität komplett verabschiedet. Der Beginn von „Jägerin des Zwielichst“ ist dafür programmatisch: Anita war mit ihrer besten Freundin Ronnie essen und muss sich nun von dieser ins Gewissen reden lassen, was sie nur aus ihrem Leben gemacht hat. Anita blockt ab: „Ronnie gehörte nicht zu diesem Teil meines Lebens,“ sagt Anita und meint damit den von Monstern bevölkerten Teil. Was sie jedoch nicht realisiert ist, dass es keinen anderen Teil mehr gibt. So wie sie Ronnie am Beginn des Romans abserviert, genauso wird auch die uns bekannte Realität ausradiert. Außer den Monstern und ihren Problemen gibt es nichts mehr in Anitas Leben. Damit agieren Hamiltons Figuren in einer Art Luftblase, die sich nur noch auf sich selbst bezieht. Und das macht einfach keinen Spaß.

Die Autorin

Laurell K. Hamilton (* 19. Februar 1963 in Heber Springs, Arkansas) ist eine US-amerikanische Autorin von erotischen Fantasy- und Horrorromanen.

Anita-Blake-Serie

Deutsche Ausgaben

Laurell K. Hamilton: Bittersüsse Tode. 3. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2003. ISBN 978-3-404-15053-3. (OT: Guilty Pleasures)
Laurell K. Hamilton: Blutroter Mond. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2005. ISBN 978-3-404-15258-2. (OT: Laughing Corpse)
Laurell K. Hamilton: Zirkus der Verdammten. 2. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2005. ISBN 978-3-404-15371-8. (OT: Circus of the Damned)

Laurell K. Hamilton: Gierige Schatten. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2006. ISBN 978-3-404-15466-1. (OT: The Lunatic Cafe)
Laurell K. Hamilton: Bleiche Stille. 2. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2006. ISBN 978-3-404-15548-4. (OT: Bloody Bones)
Laurell K. Hamilton: Tanz der Toten. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2007. ISBN 978-3-404-15626-9. (OT: The Killing Dance)
Laurell K. Hamilton: Dunkle Glut. 2. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2007. ISBN 978-3-404-15756-3. (OT: Burnt Offerings)
Laurell K. Hamilton: Ruf des Blutes. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2009. ISBN 978-3-404-15972-7. (OT: Blue Moon)
Laurell K. Hamilton: Göttin der Dunkelheit. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2010. ISBN 978-3-404-16410-3. (OT: Obsidian Butterfly 1. Teil)

Laurell K. Hamilton: Herrscher der Finsternis. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2010. ISBN 978-3-404-16442-4. (OT: Obsidian Butterfly 2. Teil)
Laurell K. Hamilton: Jägerin des Zwielichts. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2010. ISBN 3-404-16054-1. (OT: Narcissus in Chains 1. Teil)

Laurell K. Hamilton: Nacht der Schatten. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2011. ISBN 3-404-16588-8. (OT: Narcissus in Chains 2. Teil)
Laurell K. Hamilton: Finsteres Verlangen. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2012. ISBN 978-3-404-16677-0. (OT: Cerulean Sins)
Laurell K. Hamilton: Schwarze Träume. 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2013. ISBN 978-3-404-16740-1. (OT: Incubus Dreams 1.Teil)
Laurell K. Hamilton: Blinder Hunger 1. Auflage. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2013. ISBN 978-3-404-16806-4. (OT: Incubus Dreams 2.Teil)

Meredith-Gentry-Serie

Laurell K. Hamilton: A Kiss of Shadows. 1. Auflage. Ballantine Books, New York 2000. ISBN 978-0-345-42339-9.
Laurell K. Hamilton: A Caress of Twilight. 1. Auflage. Ballantine Books, New York 2002. ISBN 0-345-43527-3.
Laurell K. Hamilton: Seduced by Moonlight. 1. Auflage. Ballantine Books, New York 2004. ISBN 0-345-44356-X.
Laurell K. Hamilton: A Stroke of Midnight. 1. Auflage. Ballantine Books, New York 2005. ISBN 0-345-44357-8.
Laurell K. Hamilton: Mistral’s Kiss. 1. Auflage. Ballantine Books, New York 2006. ISBN 978-0-345-44358-8.
Laurell K. Hamilton: A Lick of Frost. 1. Auflage. Ballantine Books, New York 2007. ISBN 978-0-345-49590-7.
Laurell K. Hamilton: Swallowing Darkness. 1. Auflage. Ballantine Books, New York 2008. ISBN 978-0-345-49593-8.
Laurell K. Hamilton: Divine Misdemeanors. 1. Auflage. Ballantine Books, New York 2009. ISBN 978-0-345-49596-9.

Andere Werke

Laurell K. Hamilton: Nightseer. 1. Auflage. Penguin Books, New York 1992. ISBN 978-0-451-45143-9.
Laurell K. Hamilton: Nightshade. 1992. ISBN 978-0-671-79566-5. (Aus der Reihe Star Trek: The Next Generation, Band 24)
Laurell K. Hamilton: Death of a Darklord. 4. Auflage. Wizards of the Coast, Renton 2007. ISBN 978-0-7869-4122-3. (Aus der Ravenloft-Serie)
Laurell K. Hamilton: Strange Candy. Berkley Books, New York 2006. ISBN 0-425-21201-7. (Kurzgeschichtensammlung)

Taschenbuch: 398 Seiten
Originaltitel: Narcissus in Chains (Teil 1)
ISBN-13: 978-3-404-16054-9

http://www.luebbe.de

Lindqvist, John Ajvide – Wolfskinder

_Das geschieht:_

Im Wald findet der gescheiterte Musiker Lennart Cedarström einen lebendig begrabenen Säugling. Er rettet das kleine Mädchen, das seine Aufmerksamkeit erregt, weil es nicht schreit, sondern glockenreine Töne ertönen lässt: Das Kind verfügt über die absolute Stimme.

Cedarström sieht seine Chance zur triumphalen Rückkehr in die Musik. Er beschließt, das Mädchen – dem später der Sohn Jerry den Namen „Theres“ geben wird – quasi zu adoptieren, seine Existenz jedoch den Behörden zu verheimlichen, es von der Außenwelt zu isolieren und zu einer perfekten Sängerin zu dressieren.

Wie üblich beugt sich Cedarströms labile Lebensgefährtin Laila ihm, zumal sie Theres allmählich liebgewinnt. Das ist keineswegs einfach, da dieses Kind kaum Emotionen an den Tag legt und stets wörtlich nimmt, was man ihr sagt. Auf diese Weise können ihre ‚Eltern‘ sie zwar kontrollieren, doch sie ziehen ein gefühlskaltes Wesen heran, das eines Tages ihr Verderben wird.

Anderenorts wächst die junge Teresa heran. Sie ist ein einsames, unglückliches Kind, das von ihren Eltern nicht verstanden und von den Klassenkameraden gemobbt wird. In Theres, die inzwischen bei ihrem ‚Bruder‘ Jerry lebt, meint sie eine verwandte Seele zu erkennen. Auf ihre verquere Art will Theres tatsächlich helfen. Gemäß ihrer Philosophie ist des Todes, wer sie bedroht. Diese Lehre gibt sie an Teresa und eine wachsende Schar junger Mädchen weiter, die ebenfalls Außenseiter sind.

Ihr Gesangstalent gibt Theres die Möglichkeit, möglichst viele ‚Feinde‘ an einem Ort zu versammeln. Ein öffentlicher Bühnenauftritt soll ihr und ihrem ‚Rudel‘ die Möglichkeit geben, es der gleichgültigen Gesellschaft heimzuzahlen …

|Unter trügerisch ruhiger Oberfläche|

Seit jeher werden viele Köpfe über der Frage zerbrochen, wann oder gar ob der Mensch ‚zivilisiert‘ geworden ist. Man kann es angesichts spektakulärer technischer oder wissenschaftlicher Leistungen glauben, und auch das Element der Nächstenhilfe wird erkennbar, wenn sich mit Milchpulver und Aspirin beladene Flugzeuge und Lastwagen dorthin auf den Weg machen, wo sich wieder einmal ein Erdbeben oder eine Flut ausgetobt haben.

Doch die Antwort auf genannte Frage sowie die Definition von Zivilisation gestaltet sich schwieriger, wenn man nicht die Ausnahme, sondern den gesellschaftlichen Normalzustand als Maßstab nimmt. Hier hat der Barbar im Menschen auch im 21. Jahrhundert offensichtlich mehr als eine Nische gefunden. Sein Wirken wird verwaltet, gemaßregelt und verschwiegen, er ist aber präsent und springt hervor, wenn allzu großer Druck die Grenzen seines Territoriums sprengt.

John Ajvide Lindqvist schrieb und veröffentlichte „Wolfskinder“ 2010 und damit ein Jahr vor dem Amoklauf des Anders Behring Breivik, der in Oslo und auf der norwegischen Ferieninsel Utøya 77 Menschen umbrachte. Zwischen Buch und Amoklauf gibt es somit keine direkte Verbindung, und man sollte mögliche Parallelen weder überbewerten noch nachträglich auf das Romangeschehen projizieren. In einem Punkt gibt es allerdings eine echte Überschneidung. Zwar sind seine „Wolfskinder“ nicht politisch motiviert und verblendet, doch sie geraten in einen Teufelskreis, die sie in ihrer eigenen, verzerrten Welt isoliert, wo sie die Signale der Realität zunehmend falsch interpretieren, ihren Zorn und ihrer Frustration aufstauen und schließlich in mörderischer Gewalt explodieren.

|Die Fremden unter uns|

Das Verdrängen und Unterpflügen nicht gesellschaftskonformer Individuen ist ein düsteres Erbe aus uralter Zeit: Wer nicht mit der Meute heulen kann oder will, wird von ihr verschlungen. Die Mehrheit geht schweigend unter. Manchmal lassen die Umstände eine Theres oder eine Teresa (oder einen Breivik) entstehen. Diesem Mechanismus, dem „Drehen der Schraube“, wie Henry James es bereits 1898 bildhaft in Worte fasste, geht Lindqvist auf den Grund. Das Ergebnis ist ein Horror-Roman, gegen dessen realistische Schrecken kein Zombie und kein Vampir ankommen.

Ignoranz, Missbrauch, Mobbing, Eifersucht, Gier, Bosheit, Eigennutz: Grundsätzlich sind es die klassischen sieben Todsünden, die Lindqvist mit deprimierendem Einfallsreichtum modernisiert und abwandelt. Eltern, Lehrer, Polizisten, Politiker, Priester: Sie alle werden in einem Alltag, der wie ein Mahlwerk wirkt, so zerrieben und ausgelaugt, dass sie nicht merken, welches Unheil in ihrer Mitte entsteht, und unterschätzen, welches Unheil sie quasi selbst heranzüchten.

Das klassische Wolfskind wurde angeblich im Säuglingsalter ausgesetzt oder ist auf andere Weise in die Wildnis geraten. Dort wird es von wilden Tieren – im europäischen Kulturkreis meist Wölfen – aufgezogen und nimmt deren Verhalten an. Später wird das Findelkind entdeckt und muss mühsam zum Menschsein erzogen werden, was niemals vollständig gelingt. Wissenschaftlich belegbare Fälle sind rar; sie regen die Fantasie des Menschen an, die ideenreich für ‚Fakten‘ sorgt; Romulus und Remus, die mythischen Gründer Roms, sollen von einer Wölfin aufgezogen worden sein, in der modernen Literatur taucht das „wilde Kind“ als Mowgli oder Tarzan auf.

|Auf beiden Seiten des Spiegels|

Lindqvist konfrontiert uns mit modernen Wolfskindern. Sie wachsen unter Menschen auf und sind doch einsam. Die Gefahr entsteht aus der Negierung durch eine Gesellschaft, die sie ignoriert und ausschließt. Theres, Teresa und ihre Gefährtinnen finden daraufhin zu einer Parallel-Gesellschaft mit eigenen Regeln zusammen. Sie bilden ein „Rudel“ und identifizieren sich dabei in fehlgeleiteter Faszination mit DEM Symbol der wilden, ungebändigten Kreatur: dem Wolf, der gleichzeitig bedingungslose Solidarität zu den Angehörigen seines Rudels beweist.

Teresa steht für die ‚menschliche‘ Seite dieser ‚Auswilderung‘. Lindqvist gelingt die bemerkenswert dichte Darstellung einer alltäglichen Hölle, die von außen als normales Schuldasein durchgeht. Tatsächlich wird Teresa auf erfinderisch boshafte und bösartige Weisen gepeinigt, gemobbt und schließlich in den Wahnsinn getrieben.

Theres repräsentiert das übernatürliche Element dieser Geschichte. Lindqvist thematisiert ihre mysteriöse Herkunft nicht, aber Theres erinnert an die Hauptfigur der Erzählung „Grenze“ (2006 erschienen in der Story-Sammlung „Im Verborgenen“), die erkennt, dass sie kein Mensch ist, sondern zu den höchstens menschenähnlichen „Anderen“ gehört, die in einer Art Parallelwelt existieren.

Lindqvist postuliert zufällige Schnittpunkte zwischen der hiesigen und der anderen Welt. Schon in „So finster die Nacht“ (2004) hatte er sie miteinander konfrontiert und dabei eine generelle Unverträglichkeit mit meist üblen Folgen festgestellt. In „Menschenhafen“ (2008) hatte er das Konzept verfeinert, beschränkte sich aber weiterhin klug auf Andeutungen. Auch „Wolfskinder“ bringt beileibe kein Licht in dieses Rätsel.

|Das Zeigen der Instrumente|

Eine besondere Ironie liegt in der Tatsache, dass die Unmenschlichkeit von Theres zu einem Gutteil andressiert ist: Womöglich wäre selbst aus dem ‚anderen‘ Wechselbalg ein halbwegs angepasstes Menschenkind geworden, hätten seine selbsternannten Eltern es nicht systematisch von der Gesellschaft ferngehalten und in dem Glauben erzogen, alle anderen Menschen trachteten ihm nach dem Leben. Nicht Theres‘ Gefühlskälte aber ihre mangelhafte Anpassungsfähigkeit ist hausgemacht, was ihrem Verhalten eine verhängnisvolle Konsequenz verleiht.

Die Gefahr liegt im Grunde ’nur‘ in einem Hirn, das nach dem Prinzip der Wortwörtlichkeit arbeitet. In der modernen Gesellschaft, die zu einem guten (bzw. schlechten) Teil auf Übertreibung und Lüge aufbaut, muss dies Folgen haben. Der mit allen Wassern gewaschene Musikproduzent Max Hansen nimmt vor allem deshalb ein böses Ende, weil er sich außerstande ist zu begreifen, dass es Menschen wie Theres gibt, die sich durch Schmeicheleien, Unwahrheiten oder Drohungen nicht beeinflussen lassen, sondern entsprechende Versuche geradezu alttestamentarisch, d. h. direkt und blutig ahnden.

|Wasser und Säure|

Womöglich hätten Theres und Teresa einsame, unglückliche Leben geführt, wären sie nicht zusammengekommen. Damit kam zueinander, was keinesfalls zueinander hätte finden dürfen, weil es im Negativsinn zu perfekt passt: Durch Teresa findet Theres aus ihrer Isolation in die Welt hinaus, wo sie weitere ‚Jüngerinnen‘ finden und ‚befreien‘ kann. Durch Theres findet Teresa die Kraft, sie zu unterstützen und dabei eigene Fesseln abzuwerfen.

Dabei liegen sie nie wirklich auf einer Wellenlänge. Theres ist nicht ‚böse‘. Als sie ihr ‚Rudel‘ schult, will sie wirklich helfen. Allerdings hilft sie auf ihre Weise, was zur finalen Katastrophe führt. Teresa ist menschlich und deshalb bewusst böse. Ihre Frustration im realen Leben reagiert sie an noch Schwächeren u. a. als „Troll“ in Internet-Foren ab und ist geht dabei ähnlich planvoll und tückisch vor wie ihre Schulfeindinnen. Das Böse – so Lindqvists Fazit – benötigt keine Unterstützung aus dem Jenseits. Der Mensch erschafft, nährt und verbreitet es selbst perfekt.

Ihre Sogwirkung erhält diese Geschichte daher nicht durch das Wüten übernatürlicher Kreaturen. Nicht einmal die zahlreichen Bluttaten sind wirklich wichtig. „Wolfskinder“ fesselt – und deprimiert – als spannender Trip durch eine reale Hölle. Es gibt keine Rettung, nicht einmal Erlösung, es endet in sinnlosem Elend. Nicht einmal das von den amoklaufenden Mädchen befreite Zoo-Wolfsrudel mag sich ihnen anschließen. Die Freiheit, die Theres meint, funktioniert in der Menschenwelt nicht.

_Autor_

John Ajvide Lindqvist wurde 1968 in Blackeberg, einem Vorort der schwedischen Hauptstadt Stockholm, geboren. Nachdem er schon in jungen Jahren als Straßenmagier für Touristen auftrat, arbeitete er zwölf Jahre als professioneller Zauberer und Comedian.

Sein Debütroman „Låt den rätte komma” (dt. „So finster die Nacht“), eine moderne Vampirgeschichte, erschien 2004. Bereits 2005 folgte „Hanteringen av odöda“ (dt. „So ruhet in Frieden“), ein Roman um Zombies, die in Stockholm für Schrecken sorgen. „Pappersväggar” (2006; dt. „Im Verborgenen“) ist eine Sammlung einschlägiger Gruselgeschichten. Lindqvist schreibt auch Drehbücher für das schwedische Fernsehen. Das prädestinierte ihn dafür, das Script für die erfolgreiche Verfilmung seines Romanerstlings zu verfassen, die 2008 unter der Regie von Tomas Alfredson entstand. Schon 2010 drehte Matt Reeves ein ebenfalls gelungenes US-Remake unter dem Titel „Let Me in“.

Als Buchautor ist Lindqvist in kurzer Zeit über die Grenzen Schwedens hinaus bekannt geworden. Übersetzungen seiner Werke erscheinen in England, Deutschland, Italien, den Niederlanden, Polen und Russland.

|Paperback: 557 Seiten
Originaltitel: Lilla stjärna (Stockholm : Ordfront Förlag 2010)
Übersetzung: Thorsten Alms
ISBN-13: 978-3-7857-6056-7
eBook-Download: Oktober 2011 (Lübbe Verlag)
ISBN-13: 978-3-8387-1036-5|
[johnajvide.com]http://johnajvide.com
[www.luebbe.de]http://www.luebbe.de

_John Ajvide Lindqvist bei |Buchwurm.info|:_
[„So finster die Nacht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5218
[„So ruhet in Frieden“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5364
[„Menschenhafen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5938
[„Im Verborgenen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6512

Haubold, Frank – Kinder der Schattenstadt, Die

_Das Erbe des Bösen_

In einem verlassenen Schacht begegnet der zwölfjährige Fabian zum ersten Mal dem dunklen Vogel, einem geheimnisvollen Wesen aus dem Grenzland zwischen Leben und Tod. Entsetzt ergreift er die Flucht, doch das unheimliche Geschöpf verliert nie seine Spur. Unerbittlich konfrontiert es Fabian mit den Schattenseiten einer Welt, die mehr und mehr aus den Fugen gerät. Erst vierzig Jahre später offenbart ihm der dunkle Vogel sein grausames Geheimnis … (Info des Verlags)

Zur Leseprobe: http://www.frank-haubold.de/docs/leseprobe.pdf

Zum Video auf YouTube: http://www.youtube.com/watch?v=YDaPHrjN-fw&feature=share (Achtung: sehr gruselig!)

_Der Autor_

Eigene Angaben: „Ich bin 56 Jahre alt und schreibe seit rund 20 Jahren überwiegend Kurzgeschichten und Erzählungen. Nach dem Abitur habe ich Informatik an der TU Dresden studiert und nach ein paar Jahren Berufspraxis an der Humboldt Universität zu Berlin promoviert. Ich bin verheiratet und lebe mit meiner Frau in einem Dorf namens Waldsachsen nahe der Stadt Meerane auf halber Strecke zwischen Gera und Chemnitz.“

Über sein erstes Buch: „Mein erstes Buch „Am Ufer der Nacht“ handelt von einem jungen Mann namens Robert, der von unheimlichen Träumen heimgesucht wird. Erst nach und nach findet er heraus, daß sie einem bestimmten Muster folgen und ihn letztlich in die Lage versetzen, sich gemeinsam mit seinen Freunden einer drohenden Katastrophe entgegenzustellen.“ Dies war der Ausgangspunkt für „Die Kinder der Schattenstadt“.

Seinen Erzählband „Die Sternentänzerin“ habe ich rezensiert, und die Berichte finden sich im Netz.

_Handlung_

In den letzten Tagen des 2. Weltkriegs vereiteln ehrbewusste Wehrmachtssoldaten, dass eine Vernichtungswaffe Hitlers zum Einsatz kommt: „Thors Hammer“ soll per Rakete einen tödlichen Kampfstoff über deutschem Boden freisetzen und so Freund wie Feind töten. Das Tunnelsystem, in dem sich die Startanlage befindet, wird durch eine Explosion verschüttet. Doch etwas hat überlebt.

Ende der 60er Jahre tut sich in einer sächsischen Kleinstadt die Talstraßenbande zusammen: Fabian, der lange Henry, Damian Martens und andere suchen Abenteuer, im Wald und anderswo. Im Wald stoßen sie auf einen abgeschlossenen Schacht, in dessen Grund ein unheimliches Licht leuchtet.

Weil sie ihn einen fetten Feigling genannt haben, gibt Damian vor, allein in das Tunnelsystem einsteigen zu wollen. Als der „Dicke“ tagelang der Schule fernbleibt, entschließen sich die anderen, ihn zu suchen und Fabian steigt in den Schacht ein. Im Tunnelsystem trifft er auf einen riesigen Raubvogel und entkommt ihm mit knapper Not. Er ahnt nicht, dass ihn der Vogel vor etwas Schlimmem bewahrt hat. Weil Damian sie in die Irre geführt hat, verprügeln sie ihn, was er ihnen niemals verzeiht. Wenig später stirbt seine Großmutter unter mysteriösen Umständen…

Die Jahre gehen ins Land. Fabian verliebt sich in Lena, doch gerade als er am Ufer eines Waldsees mit ihr schlafen will, stürzt ein Raubvogel herab, um ein Kaninchen zu schlagen. Aus ist’s mit der trauten Zweisamkeit, und ihrer beider Lebenswege trennen sich. Fabian muss für 18 Monate zum Militär. Dort bekommt er es mit Typen wie Gronau zu tun, die Spaß daran haben, Schwule wie Conrad Weissenberg fertigzumachen. Am Tag nach einer Alkoholbeschaffungsaktion an Heiligabend wird Weissenbergs Leiche entdeckt. Selbstmord, heißt es, doch Jahre später wird Fabian eines Besseren belehrt.

Während sich Damian Martens mit Hilfe eines dunklen Wesens, seines „Schattenbruders“ Rico seiner Mutter und seines Stiefvaters entledigt und sich anschließend unrechtmäßig ein Vermögen aneignet, findet Fabian seine Bestimmung im Schreiben von Romanen – eine brotlose Kunst. Als nach der Wiedervereinigung ein westdeutscher Luftfahrtkonzern namens Aerotron, der Damian Martens gehört, auf dem ehemaligen russischen Flugplatz eine Fabrik errichtet, die ungewöhnlich scharf bewacht wird, beginnt sich Fabian für die Vorgänge zu interessieren. Er sieht den langen Henry wieder, der wenig später Fotos vom Inneren der Fabrik macht: Hier wird ein Tarnkappenbomber gefertigt!

Bei einem Klassentreffen entkommen Fabian und Lena um Haaresbreite einem Anschlag, weil sich wiederum ein Raubvogel einmischt. Doch Henry hat nicht soviel Glück: Er wird von Martens‘ Handlangern ermordet und auf einem Schrottplatz „entsorgt“, Martens bereitet indes den entscheidenden Einsatz seines Tarnkappenbombers vor.

Unterdessen erhält Fabian eine aufregende E-Mail aus den USA: Der Bruder des toten Conrad Weissenberg, David, bestreitet kategorisch, dass Conrad Selbstmord begangen habe; ihre Religionsgemeinschaft verbiete dies strengstens. Vielmehr verhalte es sich so, dass sich das Böse immer weiter ausbreite, und nur drei Auserwählte könnten ihm Einhalt gebieten: der Falke, der Träumer und die Löwin. Diese würden von den Hütern beschützt, Geistwesen in Raubvogelgestalt. Jetzt endlich ahnt Fabian, um was es geht: Ist er vielleicht der Träumer aus dieser Legende (oder was immer es ist)?

Wenige Tage später ist auch David Weissenberg tot, genau wie er es vorhergesehen hat. Gemäß seinen Anweisungen speichert Fabian den Mail-Anhang und löscht die Mail. Doch er rätselt, wie er den „Sendboten der Finsternis“ entgegentreten soll, sollte er wirklich einer der drei Auserwählten sein?

_Mein Eindruck_

Vierzehn Jahre hat der Autor an diesem Roman gearbeitet, will man seinen Angaben im Nachwort glauben. Ursprünglich 1997 unter dem Titel „Das Ufer der Nacht“ veröffentlicht, war das Buch ein Episodenroman. Und so mutet uns auch das Buch in seiner heutigen Form an. Immer wieder hat der Autor daran Szenen verändert, musste aber – zu unserem Glück einsehen – dass damit kein Erfolg zu erreichen war. Und so schrieb er wohl ganze Kapitel neu.

Das Endergebnis von 14 Jahren Arbeit kann sich durchaus sehen lassen, ist solide gebaut und erzählt, doch würde man ihm noch ein weiteres Jahrzehnt der Genese wünschen. So wechselt in einem frühen Kapitel eine der Figuren plötzlich ihren Namen von Lothar zu Roman und wieder zu Lothar. Auch die Geographie würde man sich deutlicher wünschen, denn eine Landkarte fehlt. Nur wenn vom „Totenwald“ oder „Hammerholz“ die Rede ist, ahnen wir, dass hier die Nazis ihre Tunnel gebaut – und gesprengt – haben.

|Aufstieg des Bösen|

So etwa wird der Aufstieg des „Dicken“ Damian Martens nur im Ansatz erzählt, sein restlicher Aufstieg zum unumschränkten Herrscher des Bösen in Europa wird lediglich im Spiegel der Begegnungen mit ihm sichtbar. Er ist ein Besessener, und wir müssen wohl annehmen, dass der böse Geist „Riccardo“, der ihn lenkt wie ein zweites Bewusstsein, die Zerstörung der Welt im Sinn hat. Der Bürgerkrieg in Russland und der Krieg im Nahen Osten sind nur ein Anfang, die Schutzkuppel über Europa erweist sich als zweischneidiges Schwert – als Gefängnis nämlich.

|Das Team der Guten|

Der böse Geist, der in Damian gefahren ist, hat jedoch einen Widersacher, einen Hüter, der den Werdegang seiner Schützlinge lenkt und behütet. Seine Gestalt ist die eines Raubvogels, und Fabian begegnet ihm ebenfalls in dem unterirdischen Tunnelsystem. Gut gegen Böse – diese Konstellation tritt uns in jedem besseren Horror-Roman, der nicht auf Splattereffekte aus ist, entgegen.

Merkwürdig ist lediglich, dass Fabian, Lena und Martin, die den Inkarnationen „Falke, Löwin und Träumer“ entsprechen, weder selbst über ihre Rolle reflektieren, noch sich, wie jeder vernünftige Mensch es täte, untereinander darüber unterhalten. Bevor sie sich zum Showdown mit Damian begeben, scheinen daher die Figuren mehr dem Willen ihres Schöpfers zu gehorchen als einem inneren Drang. Wollen sie Europa befreien? Nein. Wollen sie dem Guten zum Sieg verhelfen, dem drohenden Grauen Einhalt gebieten? Auch nicht, denn nun, nachdem sie alles verloren haben, wollen sie lediglich dem Spuk ein Ende bereiten; dem Spuk, den Damians Aerotron AG über sie und ihre Heimat gebracht hat. Dafür sind sie bereit, ihr Leben zu geben. Ein Himmelfahrtskommando also.

|Geschichte und Generation|

Wer nun an Stephen Kings Horror-Klassiker „Es“ denkt, liegt nicht verkehrt. Zwischen Anfang und Ende der Geschichte, zwischen den beiden Generationen liegen vierzig Jahre (wie der Klappentext suggeriert). Es könnte Zufall sein, aber genauso lange hatte auch die Deutsche Demokratische Republik Bestand. Wir haben es also nicht nur mit einem Horror-Roman zu tun, sondern auch mit einem alternativen Geschichtsverlauf.

Thema ist europäische und spezifisch deutsche Geschichte aus dem Blickwinkel der DDR-Bevölkerung, was bei einem Autor aus Ostdeutschland sicherlich nicht verwundert. Damit kennt er sich aus. Genau berichtet er von den Zuständen in der Nationalen Volksarmee, lässt aber das Spitzelwesen der Stasi ziemlich außer Acht. Dass Republikflucht jedoch in Sippenbestrafung resultierte, ist nur ein Aspekt des Stasi-Staats, der erwähnt wird. Damian wächst in Westdeutschland auf – und begeht doch seine erste (?) Mordtat.

|Nazi-Erbe|

Das giftige Erbe der Nazis bildet den Anfang und das Finale des Romans. Damian hat die kampfstoffbeladenen Raketen von „Thors Hammer“ reaktiviert und will die tödliche Waffe endlich auf Europa loslassen. So schließt sich der Kreis. Die symbolische Bedeutung kann dem Leser nicht verborgen bleiben: Das Nazi-Erbe wurde in der DDR offensichtlich nur begraben statt aufgearbeitet.

|Epilog|

Das Finale ist noch nicht der Schluss des Romans. Der Epilog spielt in einer Post-Holocaust-Epoche etliche Jahre danach. Doch die Raketen der Vorzeit sind immer noch aktiv. Und wer weiß, was noch über kommende Generationen kommen kann. Eine Nachfahrin Lena Kronbergs, der „Löwin“, hat keinen wissenschaftlichen Begriff mehr für die „bösen Geister und Dämonen“ der Vergangenheit, die allenthalben im Boden zu finden sind – eine Reflexion der Urszene, die Fabian und Damian in den Nazitunneln erleben.

_Unterm Strich_

Der Roman erzählt den 40 Jahre dauernden Kampf von Menschen, die einst einer Kinderbande in Sachsen angehörten, gegen den Abtrünnigen, den sie zu Beginn, in den sechziger Jahren, verprügelten und aus ihrem Kreis ausstießen. Er rächt sich furchtbar, indem er einen von ihnen nach dem anderen umbringen lässt. Doch sein besessener Racheplan reicht viel weiter: Er hat die Vernichtung des Abendlandes und der Welt mit Hilfe arabischer Terroristen im Sinn. Wissentlich oder nicht, erfüllt er damit den letzten Willen der Nazis aus den letzten Tages des Zweiten Weltkriegs. Es ist kein Zufall, dass sich Damian, der Rächer, mit islamistischen Terroristen und Killern zusammengetan hat.

„Kinder der Schattenstadt“ ist sowohl Horrorroman als auch alternativer Geschichtsverlauf, ein Generationenroman wie auch eine pazifistische Warnung vor dem Holocaust, zu dem die Menschheit in der Lage ist. Der Autor hat auf viel Realismus geachtet, deshalb findet man wenig Mystik darin. Das wiederum macht Fabians Visionen vom Wächter, der ihn warnt, umso auffälliger.

Der Haken ist, dass Fabian diese Ebene verdrängt als sie in sein Leben zu integrieren. Er wird keineswegs ein kauziger Seher, sondern bleibt einer der „Stillen im Lande“, ein Beobachter, wenn auch ein Erzählender. Schön ist, dass er in der Thai-Boxerin Sirien eine liebende Beschützerin findet. So können ihn Damians Schergen nicht erreichen. Aber warum spricht er nicht mit ihr über den Wächter und die Rolle, die ihm dadurch zugewiesen worden ist?

Fabians verhinderte Liebesgeschichte mit Lena Kronberg lässt sich gut an, wird aber spektakulär abgebrochen. Erst kurz vorm Finale gönnt ihnen ihr Schöpfer eine Liebesnacht im Biwak, um vor dem Showdown Abschied zu nehmen. Das ist alles andere als romantisch. Und Lenas Abgang ist alles andere als heroisch, sondern eher banal.

Die Wünsche des Lesers, die Hauptfiguren zu Helden zu stilisieren, werden also alle abgeblockt. Das mag gut für die Glaubwürdigkeit sein, mindert aber den Unterhaltungswert beträchtlich. Die Action im Showdown ist klasse geschildert und führt auch zum verdienten Erfolg, aber man kann sich des Verdachts nicht erwehren, dass sie lediglich dazu dient, dem Ganzen endlich den ersehnten Abschluss zu verleihen.

Noch ein wenig mehr Arbeit, und aus diesem Roman wäre eine homogenere Geschichte geworden, die durch mehr Tiefgang größeren Eindruck hinterlassen würde. Aber nach 14 Jahren musste ja wohl mal Schluss sein.

|Taschenbuch: 320 Seiten
ISBN-13: 978-3898400121|
[www.blitz-verlag.de]http://www.blitz-verlag.de

H. P. Lovecraft – Azathoth. Vermischte Schriften

Wenn er die Geschichten anderer Autoren überarbeitete, prägte H. P. Lovecraft ihnen seinen Stempel auf und erweiterte seinen fremden, erschreckenden, faszinierenden Privat-Kosmos. Außerdem in dieser Sammlung enthalten: frühe Lovecraft-Storys, (postum vollendete) Fragmente und theoretische Schriften, die interessante Einblicke in sein Denken und seine Arbeit ermöglichen: Muss-Lektüre für Phantastik-Freunde.
H. P. Lovecraft – Azathoth. Vermischte Schriften weiterlesen