Archiv der Kategorie: Horror & Unheimliches

Tripp, Ben – Infektion

_Das geschieht:_

Forest Peak ist eine kleine Stadt im US-Staat Kalifornien. Eine Autostunde von Los Angeles entfernt in einem waldreichen Landstrich gelegen, dient sie zivilisationsmüden Städtern als beliebtes Ausflugsziel. Die Bürger haben sich auf die Touristen eingestellt und leben nicht schlecht vom Fremdenverkehr. Um jene Besucher, die sich nicht benehmen können, kümmert sich Sheriff Danielle „Danny“ Adelman, eine im Irak-Krieg verwundete und dekorierte Ex-Soldatin, die wenig Federlesens mit Gesetzesbrechern und Unruhestiftern macht.

Privat leidet Danny unter Albträumen vom Krieg sowie den Eskapaden ihrer jüngeren Schwester Kelly, die sie nach dem Tod der Eltern eher schlecht als recht zu erziehen versucht. Gerade hat ihr Kelly den geliebten Ford Mustang geklaut und ist aus Forest Peak verschwunden. Um ihren Verbleib kann sich Danny nicht kümmern, weil gerade jetzt die Zivilisation zusammenbricht: Weltweit geraten 9 von 10 Menschen erst in Panik und laufen Amok, um anschließend tot umzufallen. Wenig später erwachen sie zu neuem Scheinleben und fallen über ihre lebenden, offensichtlich immunen Mitbürger her, um sie zu fressen und ebenfalls in Zombies zu verwandeln.

Forest Peak verwandelt sich in die Hölle, da es nicht lang dauert, bis aus Los Angeles ein Millionenheer von Zombies in alle Richtungen ausschwärmt. Danny und ihre kleine Polizeistation werden überrannt, denn die hungrigen Toten sind zwar nicht intelligent aber mächtig in der Überzahl. Mit einigen Leidensgefährten schart Danny die wenigen Überlebenden um sich. Man durchbricht die Reihen der Zombies und flüchtet aus Forest Peak. Eine ziellose Flucht durch die Mojave-Wüste beginnt. Man sucht nach einem Ort, an dem man sich verstecken oder besser: verbarrikadieren kann. Doch innerhalb der kleinen Gruppe herrscht Uneinigkeit. Das schwächt den Zusammenhalt und beeinträchtigt die Aufmerksamkeit, was zombieseits nicht unbemerkt bleibt …

|Das Leben steckt voller untoter Überraschungen|

Am Anfang stand – Frustration. Ben Tripp outet sich auf seiner Website als Mitglied einer ganz besonderen Zombie-Armee: Sie ist in Hollywood stationiert, wo ihre Soldaten Projekte für Film und Fernsehen entwickeln, die niemals verwirklicht werden. Mehr als zehn Jahre hat Tripp im Laufrad dieser Industrie verbracht. Zwar wurde er für seine Arbeit bezahlt, aber die Bestätigung in Gestalt seines im Vor- und Abspann lesbaren Namens eines tatsächlich gedrehten Films blieb aus.

Das Seitenvolumen des hier vorgestellten Buches sowie des Verfassers Aussage, dies sei nur der erste Teil der Gesamtgeschichte, weisen darauf hin, dass „Infektion“ ursprünglich die Drehbuch-Grundlage für eine Fernsehserie darstellte. Immer wieder bot Tripp sein weit gediehenes Werk an, doch sämtliche Produzenten winkten ab: Niemand wolle Zombies im Fernsehen sehen – schon gar nicht in der von Tripp favorisierten aber von der Zensur verabscheuten, sich an den Romero-Wüstlingen orientierenden, Blut und Eingeweide verspritzenden Variante.

Also beschloss der schließlich resignierende Tripp, die Ergebnisse einer jahrelangen Arbeit nicht ad acta zu legen, sondern in einen Roman einzubringen. Dieses Mal hatte er mehr Glück. Er verkaufte die Buchrechte für „Rise Again“ im Oktober 2010 – im gleichen Monat ging der US-Fernsehsender AMC mit der ersten Folge der Serie „The Walking Dead“ auf Sendung, was Tripp die Freude über seinen Erfolg arg vergällte, obwohl er sich inzwischen bemüht, die ironische Seite der Ereignisse zu würdigen.

|Kommt uns das nicht sehr bekannt vor?|

Das Wissen um die TV-Herkunft beantwortet eine Frage, die sich der Leser recht bald stellt: Warum dehnt Autor Tripp eine längst bekannte Geschichte quasi ins Unendliche aus? Sie sollte ursprünglich vermutlich 13 TV-Folgen abdecken, weshalb sich der Verfasser viel Zeit nimmt, in fernsehüblichen Details – und Klischees – zu schwelgen. Man kann als erfahrener (und viel geprüfter) Zuschauer mit ziemlicher Sicherheit nachvollziehen, wo welche Episode enden sollte.

Zahlreiche Figuren werden eingeführt und mit ausführlichen Biografien ausgestattet, die gleichzeitig Zündstoff für dramatische Zwischenmenscheleien bieten; mit solchem Seifenoper-Schaum können routiniert und kostengünstig viele Sendeminuten gefüllt und gestreckt werden, während die (teuer zu schminkenden) Zombies im Off ihr Unwesen treiben. Hinzu kommen in der zweiten Hälfte unserer Geschichte fiese Macho-Söldner, die sich auf dem hollywoodtypischen Usurpatoren-Trip – rauben statt helfen, flüchten statt Zombies killen sowie den attraktiven unter den überlebenden Frauen nachstellen – befinden.

Forest Peak bildet nur den Startpunkt für eine Geschichte, die in der Frühzeit des US-Fernsehens noch als Wagentreck in den Wilden Westen erzählt worden wäre. Statt der Zombies hätten Indianer brave Siedler-Pioniere belauert, doch ansonsten gäbe es wenige Unterschiede. Der Weg ist auch bei Tripp das Ziel: Sheriff Dannys annähernd die US-Bevölkerungsstatistik widerspiegelnde Gruppe kämpft sich durch eine karge und menschenfeindliche Landschaft.

Mit der TV-Dramaturgie für die Buch-Inkarnation zu brechen oder sie wenigstens zu verdichten, stand offensichtlich nicht auf Tripps Agenda. Zwar geht scheinbar hoch und heftig her – auf ein Budget muss der Verfasser nicht Rücksicht nehmen -, doch zumindest die Langmut derjenigen Leser, die das fünfte, elfte oder 112te Gefecht mit hungrigen Zombies nicht mehr unbedingt unterhaltsam finden, erschöpft sich allmählich. Bis sich in dieser Hinsicht endlich Neues ereignet, füllt Tripp viele Seiten mit jenen |Post-Doomsday|-Gemeinheiten, die sich die Menschen voraussichtlich antun werden.

|Das alte Problem: Zombies sind öde|

Anders als der Vampir oder der Werwolf ist der Zombie ein Monster aus der Unterschicht des Grauens. Er hat höchstens eine einzige verborgene Tiefe, die in der Frage mündet, ob er irgendwann seine Intelligenz wiederfindet. Ansonsten ist er ein tumber, hässlicher Zeitgenosse, der nur aufgrund seiner Überzahl gefährlich wird. Wohliges Grauen durch verwesende Hässlichkeit und blutspritzende Bissigkeit kann er vor allem im Film verbreiten. Im Buch sollen entsprechende zwar Beschreibungen und Attacken für saftigen Splatter sorgen, was aber ohne Bebilderung weniger nachdrücklich bleibt.

Emotionale Turbulenzen und daraus hervorgehende Konflikte bleiben den Lebenden vorbehalten. Sie basieren auf der Prämisse, dass der Mensch auch in der Not nur im Einzelfall dazulernt. Also beharren einst privilegierte Zeitgenossen auf vergangene Vorrechte, bringen geistig überforderte Einzelgänger mit unbedachten Aktionen die Gesamtgruppe in Gefahr, geraten Kinder & junge Hunde vor scharfe Zombie-Gebisse. (Klischee Nr. 3 wird hier nur humorvoll zitiert; so etwas traut sich in dieser zynisch gewordenen Gegenwart selbst ein TV-Minenarbeiter nicht mehr.)

|Menschen sind nur bedingt interessanter|

Auch in „The Walking Dead“ wird ausgiebig gestritten. Während man im Fernsehen die Kombattanten wiederum sehen kann, hört man im Buch vor allem Papier rascheln. Die Figurenzeichnung bleibt ausnahmslos bekannten Klischees verhaftet. Sheriff Danny ist die auf die Spitze getriebene Inkarnation sämtlicher (moderner) Trivial-Helden: weiblich, kampfstark, trotzdem hübsch, seelisch angeknackst (Irak-Krieg-Trauma!) und stets in vorderster Front aktiv, auch wenn sie zwischenzeitlich in eigentlich tödliche Explosionen gerät, beschossen wird und einige Finger verliert.

Um diese recht stereotype Figur aufzuwerten, dichtet Tripp Danny eine tragische Familiengeschichte an. Die kleine Schwester tritt zwar nur zu Beginn und im Schlusskapitel auf, spukt aber auf den dazwischenliegenden 600 Seiten durch Rückblenden allzeit präsent durch die Handlung; u. a. verleitet sie Danny zu diversen Eskapaden, die der einführenden Charakterisierung völlig widersprechen.

Zu allem Überfluss aber keineswegs unerwartet gestaltet Tripp mit Kelleys Hilfe den finalen Cliffhanger, mit dem er auf die Fortsetzung seines Zombie-Epos‘ neugierig machen möchte: Die keiner Logik gehorchende Übertriebenheit deutet nicht nur an, dass mit dieser Szene die erste Serienstaffel geendet hätte.

_Lesefutter kann eine Lektüre-Mahlzeit ersetzen_

Ist „Infektion“, dieser überlange, bar jedes originellen Einfalls Szene an Szene flanschende Trivial-Horror, also langweilige Zeitvergeudung? Auf keinen Fall, denn gerade diejenigen Genre-Werke, die in erster Linie unterhalten wollen, benötigen feste Handlungs- und Figurenkonstanten, die nur behutsam variiert werden dürfen. Sie decken damit den größten gemeinsamen Zuschauer- oder Lesergeschmack ab, was ein Hauptgrund dafür ist, dass unter zeitgemäß schicken äußeren Schalen immer wieder alte Muster deutlich werden.

Es trifft zu, dass Tripp mindestens die Geschichten der ersten vier Romero-Zombie-Filme in seinen Hirn-Mixer wirft und das Gebräu mit Anleihen aus der „Resident-Evil“-Mythologie würzt; er ist ganz gewiss kein Literat. Aber er versteht sein Handwerk und |kann| schreiben, d. h. hängt nicht einfach Worte hintereinander, sondern hat ein Gefühl für Sprache, vermag nicht nur Action darzustellen, sondern auch Stimmungen zu gestalten. (In diesem Zusammenhang sollte und muss der Übersetzer lobend erwähnt werden, der einen im Deutschen angenehmen Lesefluss gewährleistet.)

„Infektion“ ist kein Phantastik-Festmahl, sondern Fast-Food-Horror. Wenn die Zutaten stimmen und die Zubereitung klappt, schmeckt solches Lesefutter freilich vorzüglich. Vor allem einem jüngeren Publikum, dass die Tricks (noch) nicht kennt, mit denen Tripp arbeitet, wird sich zu Recht amüsieren, aber auch dieser alte Leser-Haudegen, der die Manipulationen und ‚Anleihen‘ sehr genau erkennt, kann und will seinen Spaß an diesem Spektakel nicht verhehlen: Mr. Tripp, Rise Again!

_Autor_

Ben Tripp schrieb Drehbücher für Hollywood, die allerdings niemals verfilmt wurden, woraufhin Tripp zumindest das Zombie-Epos „Rise Again“ zum Roman umarbeitete und veröffentlichte.

Sein beruflicher Werdegang begann bei einem anderen Giganten der US- Unterhaltungsindustrie. Für Disneys Themen- und Vergnügungsparks gestaltete Tripp mehr als zwei Jahrzehnte und weltweit aufwändige Attraktionen wie die Kilimanjaro Safari in Disney’s „Animal Kingdom“.

Mit seiner Familie lebt Ben Tripp in Los Angeles.

|Taschenbuch: 623 Seiten
Originaltitel: Rise Again (New York : Gallery Books 2010)
Übersetzung: Bernhard Kempen
ISBN-13: 978-3-453-52891-8

Als eBook: November 2011 (Wilhelm Heyne Verlag)
ISBN: 978-3-641-07077-9|
[Autorenhomepage]http://riseagainthenovel.com/about-author-ben-tripp.htm
[www.randomhouse.de/heyne]http://www.randomhouse.de/heyne

Andreas Gruber, Matthias Falke, Olaf Kemmler, Markus K. Korb, Michael Knoke, Nina Horvath – Die Schattenuhr, Die – Die bizarre Welt des Edgar Allan Poe

Es hieße, Eulen nach Athen zu tragen, den Schriftsteller Edgar Allan Poe vorzustellen, der wie kein anderer die Kriminalliteratur und die Phantastik bis hinein in unsere Tage geprägt hat. Zweifellos ist es eine enorme Herausforderung für jeden Autor und Herausgeber, sich dem Anspruch dieses großen Namens zu stellen. Die junge österreichische Herausgeberin und Autorin Nina Horvath hat diesen Schritt gewagt und eine Anthologie deutschsprachiger Autoren vorgelegt, die sich ausdrücklich in der Tradition des Altmeisters sieht.

Das 230 Seiten umfassende Hardcover aus dem BLITZ-Verlag besticht bereits durch seine äußere Gestaltung. Die Coverillustration von Zdzislaw Beksinski harmoniert perfekt mit Farbe und Schriften des Umschlags und der ebenfalls sehr ansprechenden Innenillustration von Mark Freier.

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Richard Dalby (Hg.) – Eiskalte Weihnachten. Kleine Morde zum Fest der Liebe

27 phantastische Geschichten, wie sie vor dem Siegeszug von Radio & Fernsehen gern an langweiligen Weihnachtsabenden erzählt wurden; zu klassischen Autoren des 19. und frühen 20. Jahrhunderts gesellen sich moderne Zeitgenossen, die diese alte Tradition stimmungsvoll aufleben lassen: Hier wird aus Leibeskräften gespukt und gemordet, denn diese Geister u. a. Kreaturen sind vor allem übellaunig!
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Alan Dean Foster – Das Ding aus einer anderen Welt

Ein außerirdischer Gestaltwandler infiltriert eine isolierte Antarktis-Station. Er kann die Gestalt seiner Opfer fast perfekt annehmen, sodass niemand weiß, ob sein Gegenüber noch Mensch oder schon ein „Ding“ ist … – Daraus entwickelt sich die übliche Story aus verhängnisvoll falschen Verdachtsmomenten und Verfolgungsjagden, die hier jedoch angemessen simpel, spannend und temporeich erzählt wird: ein lesenswürdiges Buch zu einem klassischen B-Movie.
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H. Russell Wakefield – Der Triumph des Todes und andere Gespenstergeschichten

wakefield-triumph-cover-klein13 Erzählungen erinnern an das Werk eines heute vergessenen Autors, dem wir einige großartige Gruselgeschichten verdanken. Wakefields Gespenster sind klassisch böse oder bizarr, und sie bescheren ihren Opfern ein Unbehagen, dass mindestens ebenso groß ist wie das Vergnügen des Lesers: Diese Sammlung gehört in jede Sammlung klassischer Spuk-Storys!
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Nevill, Adam – Im tiefen Wald

_Das geschieht:_

Hutch, Phil, Dom und Luke, vier Engländer in den Dreißigern, wollen auf einer herbstlichen Waldwanderung in Schweden ihre Freundschaft aufleben lassen. Das Wiedersehen steht allerdings unter keinem guten Stern, denn Phil und Dom sind schlecht in Form und Dom verletzt sich schon am ersten Tag das Knie. Streit bricht aus, der durch private Sorgen geschürt wird. Um die Rückkehr in die Zivilisation zu beschleunigen, beschließt man eine Abkürzung zu nehmen, die jedoch durch einen unzugänglichen Urwald führt. Prompt verlaufen sich die Gefährten.

Selbstverständlich gibt es in dieser Wildnis kein Handynetz. Niemand wird das Quartett vermissen, bis es zu spät ist, zumal sich herausstellt, dass man an einen unheimlichen Ort geraten ist: In einer baufälligen Hütte stoßen die Freunde auf gruselige Relikte. Sie gehen auf einen Kult zurück, der eine böse Waldkreatur verehrt und gefürchtet hat. In einer wenig später entdeckten ‚Kirche‘ liegen die Gebeine tierischer und menschlicher Opfer.

Während die Anhänger des Kultes inzwischen ausgestorben sind, treibt die Kreatur weiterhin ihr Unwesen. In einer Nacht schnappt sie sich den ersten Wanderer, dessen verstümmelte Leiche die Freunde hoch in einen Baum gezerrt finden: Das Wesen erklärt die Menschenjagd für eröffnet. Es spielt mit der Gruppe, die ohne Orientierung und voller Panik durch den Urwald irrt, und greift nach Belieben an.

Als der letzte Überlebende am Ende seiner Kräfte aus dem Wald taumelt, ist seine Odyssee längst nicht vorüber. Wie es aussieht, ist der seltsame Kult noch nicht gänzlich untergegangen. Weiterhin werden der Kreatur Opfer dargeboten, und dazu greift man gern auf den unerwarteten ‚Gast‘ zurück …

|Ein Buch wie eine (Mörder-) Muschel|

Inhaltlich klassisch aber formal ganz auf der Höhe einer wirtschaftlich schwierigen Gegenwart präsentiert Adam Nevill gleich zwei Horror-Romane zum Preis eines einzigen Buches! Was ein (vermutlich etwas flauer) Scherz ist, hebt die Besonderheit dieses Werkes jedoch hervor: „Im tiefen Wald“ zerfällt in zwei voneinander getrennte Handlungsabschnitte, die thematisch eher schlecht als recht zusammenhalten. Allerdings leidet der Unterhaltungswert nur kurz, als Strang 1 endet und mit Strang 2 der Spannung erst neu errichtet werden muss. Wieso Nevill diese Entscheidung traf, bleibt ungeklärt. Das Geschehen hätte die Zweiteilung keineswegs erfordert, eine Verschmelzung wäre möglich gewesen.

So erzählt Nevill zunächst die Geschichte eines Wanderausflugs mit katastrophalen Folgen. Vier Freunde werden nicht nur verfolgt, in Todesangst versetzt und zum Großteil umgebracht, sondern auch psychisch durch die Mangel gedreht. Die wilde Hetzjagd endet nur scheinbar halbwegs glücklich mit dem Entrinnen eines Überlebenden, der nunmehr in die Hände durchgedrehter Mörder, Satanisten und Odin-Anhänger fällt.

Wer meint, dass Nevill bereits alle Tiefen menschlichen Leidens ausgelotet hatte, wird mit diesem zweiten Teil der Geschichte eines Besseren (oder Schlechteren?) belehrt. Der böse Geist des Waldes bleibt erst einmal außen vor und überlässt das Feld denen, die sehr viel nachdrücklicher als jeder Spuk Schmerz und Angst verbreiten können: den Menschen.

|Der Mensch und das Monster|

„Im tiefen Wald“ erinnert durch die Zweiteilung der Handlung an eine Muschel, deren Schalen den eigentlichen Inhalt schützen. In der Tat macht die schier unendliche Kette von Qualen, die Nevill sich mit eindrucksvoller Intensität ausdachte, keineswegs die selbstzweckhafte Bedeutung dieser Geschichte aus. Der berüchtigte „Gore-Bauer“ – falls er denn liest bzw. des Lesens mächtig ist – mag sich an den drastischen Effekten delektieren. Sie sind dennoch nur Ausdruck und Folge eines Prozesses, der Nevill wesentlich stärker interessiert: Was geschieht mit dem Durchschnittsmenschen in einer Krisensituation, die keinerlei Flucht gestattet, sondern die Konfrontation mit der Gefahr erzwingt?

Unter dieser Prämisse verwandeln sich die beiden Teilgeschichten in Planspiele. Abschnitt 1 beschäftigt sich mit der Gruppe, die in Not gerät. Nevill konzentriert sich auf die Dynamik zwischen vier Freunden, die begreifen müssen, dass sie einander nie wirklich gekannt haben. Folgerichtig erweisen sich die freundschaftlichen Bande als brüchig. Sie werden geprüft und brechen, werden andererseits aber im Angesicht des Grauens neu geschmiedet und erreichen jene Festigkeit, die zuvor nur Behauptung war.

|Der Mensch ist das Monster|

Mit Abschnitt 2 wechselt die Perspektive. Nevill gibt dem Schrecken Gesichter und Namen. Mit Loki, Fenris und Surtr, die ihn mit einer uralten Schamanin dem Waldgott opfern wollen, kann der letzte Wanderer reden und diskutieren. Die Ironie liegt darin, dass er sie ebenso wenig erreicht wie das Ding im Wald: Kommunikation ist nicht der Schlüssel zur Verständigung.

Der ‚Reifeprozess‘ setzt sich fort. Stück für Stück muss der Überlebende elementare oder anerzogene Gefühle wie Rücksicht und Mitleid ablegen. Was in der Horror-Literatur und mehr noch im Film gern als blitzartige Mutation zur Kampfmaschine dargestellt und durchaus zelebriert wird, zeichnet Nevill als langsame und schmerzhafte Abfolge von Erkenntnissen, an dessen Ende der buchstäblich nackte, auf seine Gegner nicht mehr einredende, sondern tötende Urmensch steht.

|Rückkehr zum bewährten Horror|

Die psychologischen Aspekte der Handlung werden von Nevill klug und wirkungsvoll mit Elementen des klassischen Horrors unterfüttert. „Im tiefen Wald“ kann auf Wunsch als reine Gruselgeschichte gelesen werden. Der Verfasser kennt seinen Job, er ist beispielsweise ungemein erfindungsreich in der Gestaltung unheimlicher Landschaften und Orte. Fäulnis und Feuchtigkeit, Verfall und Degeneration fasst Nevill variantenreich in scheinbar einfache Worte, die jedoch das Kino im Kopf des Lesers zuverlässig in Gang setzen und Bilder verursachen, die dem Schrecken einen Rahmen geben. Die einsame, halb verfallene Hütte im Wald wirkt dabei bedrückender als die optisch zweifellos großartige Kulisse der alten, entweihten Kirche und der mit Opferknochen gefüllten Krypta: Die Andeutung ist dem Effekt-Overkill wieder einmal vorzuziehen.

Dies bestätigt der zweite Romanteil, der zwar hochgradig gestörte und erschreckende Menschenfiguren präsentiert, die jedoch ihr Wirken wortreich erklären und sich damit selbst entmystifizieren. Was allerdings in Nevills Absicht liegt, der Loki, Fenris und Surtr als verblendete Fanatiker und letztlich Kriminelle bloßstellt, die sich auf eine Sache eingelassen haben, der sie nicht gewachsen sind und die sie keineswegs kontrollieren. Wirklich einschüchternd gerät ihm dagegen die Figur der namenlosen Schamanin, die kaum ein Wort sagt, alt und schwach ist aber tatsächlich die Fäden in der Hand hält.

|Notiz an das Leserhirn …|

Was letztlich im Wald umgeht, lässt Nevill ungeklärt. Die Kreatur offenbart sich nur körperlich, weshalb sie ihre Rätselhaftigkeit behält. Keineswegs steht fest, dass sie ein lebendiges Relikt der nordischen Mythologie ist; diese Bedeutung wird von Loki & Co. auf sie projiziert. Faktisch ist es sowieso gleichgültig. Der Überlebende ist die Hauptfigur dieser Geschichte; er bestreitet sie lückenlos über die gesamte Buchstrecke. Sein Leidens- und Überlebensweg sorgt für die notwendige Erdung, er ist die Identifikationsfigur des Lesers. Als solche führt er durch einen konzeptionell nicht durchweg überzeugenden aber wahrlich höllisch spannenden Horror-Roman!

Mit „Im tiefen Wald“ hat Adam Nevill dem (deutschen) Horror-Buchmarkt, der unter dem Ansturm windelweicher Als-ob-Vampire u. a. Jammergestalten ächzt, eine bitter nötige Frischblut-Zufuhr verpasst. Brachialer Grusel mit psychologischem Subtext aber ohne jene blutrünstigen Übertreibungen, die den Splatter leicht in Spott umschlagen lassen: ‚Literarisch‘ ist das nicht, aber es funktioniert vorzüglich und sorgt dafür, dass der Verfassername nicht auf jene schwarze Liste gerät, die der erfahrene Leser für die Meyers, MacAlisters, Davidsons u. a. Nulpen & Zeitverschwender des Genres reserviert, sondern in dessen Hirn mit einem „Neues-Buch-ebenfalls-lesen“-Link markiert wird.

_Autor_

Adam L. G. Nevill wurde 1969 im englischen Birmingham geboren. Er wuchs dort sowie auf der Insel Neuseeland auf, später studierte er an der schottischen Universität von St. Andrews. Nach seinem Abschluss schlug Nevill die Laufbahn eines Schriftstellers ein. Es schlossen sich 15 Jahre entsprechender Versuche und ein Leben am Rande des Existenzminimums an, in denen sich Nevill u. a. mehrere Jahre als Pförtner und Nachtwärter in West-London durchschlug; die hier gesammelten Erfahrungen flossen 2010 in den Roman „Apartment 16“ ein.

Seinen ersten Phantastik-Roman, eine Gespenstergeschichte in der Tradition des englischen Großmeisters M. R. James, veröffentlichte Nevill bereits 2004: „Banquet for the Damned“ wurde 2005 von der „British Fantasy Society“ als bester Roman des Jahres nominiert.

Hauptberuflich ist Adam Nevill Herausgeber für erotische Literatur. Nachdem er in dieser Position bis Juni 2009 für „Virgin Books“ tätig war (und selbst neun Romane für Imprints wie „Black Lace“ und „Nexus“ schrieb), wechselte er nach Einstellung dieser Reihen zu „Xcite Books“.

|Paperback: 480 Seiten
Originaltitel: The Ritual (London : Pan 2011)
Übersetzung: Ronald Gutberlet
ISBN-13: 978-3-453-52882-6|
[www.adamlgnevill.com]http://www.adamlgnevill.com
[www.randomhouse.de/heyne ]http://www.randomhouse.de/heyne

Festa, Frank (Hg.) – Omen 3 – Das Horror-Journal

_Geduld zahlt sich (manchmal) aus_

Was lange währt, wird endlich gut, und was RICHTIG lange währt, wird manchmal sogar besser: Fünf Jahre liegen zwischen der zweiten und dritten „Omen“-Ausgabe, was durchaus ein Rekord sein könnte. „Omen 3“ ist damit auch trotziger Ausdruck einer Hartnäckigkeit, die dem Herausgeber durch ökonomisch schwere Zeiten geholfen hat. In den vergangenen Jahren war das Festa-Schiff in stürmisches Wetter geraten, das im Verlagsprogramm manchen angekündigten Titel spurlos versinken ließ. Herausgeber Frank Festa fasst die Problematik in seinem Vorwort zu „Omen 3“ knapp aber schlüssig in diese Worte: |“Aber so ist das Leben, genau so. Der Horror.“|

Die dritte „Omen“-Ausgabe blieb stets im Programm. Dass sie schließlich veröffentlicht wurde, darf man wie gesagt als Geste berechtigten, auch persönlichen Triumphes sowie – hoffentlich – als Indiz für eine Konsolidierung des Festa-Verlags werten, ohne dessen Bücher der deutsche Grusel-Fan fast gänzlich in einem von zahnlosen Vampir-Lovern bevölkerten Trash-Sumpf gefangen säße: eine schreckliche Vorstellung!

Inhaltlich blieb es bei der bewährten „Omen“-Mischung aus Kurzgeschichten und Artikeln, wobei primär im Verlagshaus Festa beheimatete oder dort kurz vor dem Einzug stehende Schriftsteller zu Wort kommen; eine legitime Selektion, da diese Mieter einerseits ihr Handwerk verstehen, während der Leser andererseits gern Näheres über sie bzw. ihre Werke wissen möchte.

Zudem beschäftigt sich der mit Abstand beste Beitrag dieses Bandes mit einem Non-Festa-Autoren (ein Zustand, der sich hoffentlich irgendwann ändern wird): Der Künstler und lebenslange Freund John Mayer erinnert (sich) in „Die dunkle Muse von Karl Edward Wagner“ an das tragische Schicksal dieses Horror- und Fantasy-Autoren, der den ungewöhnlichen |Sword-&-Sorcery|-Barbaren Kane schuf. Sein Text ist ebenso informativ wie ergreifend, da Mayer, der selbst auf ein schwieriges Leben zurückblickt, immerhin ansatzweise begreiflich machen kann, wieso ein talentierter Mensch wie Wagner sich selbst zugrunderichtete.

|Diverse Oden an Mr. Lumley|

„Omen 3“ ist seitens des Herausgebers ansonsten dem britischen Schriftsteller Brian Lumley gewidmet. Es gibt ein (inzwischen tüchtig angejahrtes) Interview mit ihm, dessen „Necroscope“-Saga wohl den zentralen Stützpfeiler des Festa-Verlagsprogramms bildet. Lumley gibt Auskunft über die Genese dieser vielbändigen Erfolgsserie und seine zahlreichen weiteren Werke. Herausgeber Festa erinnert sich in „Something about Brian“ an seine persönliche Verbindung mit Lumley, der ihm längst ein Freund geworden ist.

Ein weiterer Freund, der aus der Schweiz stammende Komiker Helmi Sigg, legt die Fan-Story „Silberne Ketten – Aus dem Leben von Brian L.“ vor, die möglicherweise tatsächlich komisch ist – der Rezensent ist zwar anderer Ansicht, beansprucht in dieser Hinsicht aber keine Urteilshoheit -, aber immerhin kompetent geschrieben Lumleys reales Leben mit der „Necroscope“-Reihe verknüpft und ungeahnte Parallelen enthüllt.

Der so Geehrte trägt drei frühe und vor allem unbekannte Storys bei. Während „Die Vorlesung“ auf einen Schlussgag hinausläuft, dessen Bart mindestens ebenso lang wie die Geschichte der modernen Phantastik ist, stellen „Die Muschel aus Zypern“ und „Die Tiefseemuschel“ zwei spannende Gruselgeschichten dar, die sich aufeinander beziehen und in „Omen 3“ wie die Schalen einer echten Muschel als erster und letzter Beitrag die übrigen Interviews, Berichte und Storys umschließen: eine hübsche Idee, die gut funktioniert.

|Deutsche Phantastik einst|

Wenn man die übrigen Erzählungen Revue passieren lässt, wirkt „Omen 3“ wie ein Nachtrag zur (leider) eingestellten Festa-Reihe „Die bizarre Bibliothek“. Vor allem Karl Hans Strobls (1877-1946) recht ausführliche Erzählung „Der betrogene Tod“ aus dem Jahre 1924 erinnert an die große Tradition der deutschen Phantastik, die durch den auch kulturellen Nazi-Terror einen Schlag erhielt, von dem sie sich nie wirklich erholte bzw. zu der sie den Anschluss nach 1945 nicht mehr fand. „Der betrogene Tod“ bietet nicht nur eine gruselige Geschichte, sondern auch ein Feuerwerk selten gewordener oder ausgestorbener Wörter und Formulierungen. Was sich anfangs mühsam liest, entfaltet schnell einen eigenen Zauber: Diese Geschichte wirkt heute noch mehr als 1924 wie eine Überlieferung aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges!

Was diese deutsche Phantastik auszeichnet, erläutert Strobls‘ Zeitgenosse Anton Altrichter (1882-1954) in einem Nachwort, das Frank Festa dessen Erzählung anschließt. Dieser Beitrag ist doppelt interessant: als Information und als historisches Dokument, wobei heute diese beiden Ebenen nicht voneinander zu trennen sind bzw. getrennt werden dürfen. Leider fehlt ein moderner Blick auf Strobl und Altrichter, die beide ihr Leben und Wirken ab 1933 eng mit dem Nationalsozialismus verknüpften. Altrichters Beitrag lässt entsprechendes „völkisches“ Gedankengut durchscheinen, und auch Strobl mischt bereits „Blut-&-Boden“-Elemente in seine Version der Vergangenheit.

Thematisch breiter geht Jakob Elias Poritzky (1876-1935) – der eigentlich Isak Porycki hieß – in seinem Beitrag „Fantasten“ auf zeitgenössische deutsche und europäische Autoren ein. Er weiß die eigentümliche Mischung aus Verfremdung, Halluzination und schwüler – schnell schwülstiger – Erotik deutlich zu machen, die Autoren wie Hanns Heinz Ewers, Karl Heinz Strobl, Alfred Kubin und andere kennzeichnen. Zudem legt Poritzky die Wurzeln solcher „bizarren Phantastik“ offen und folgt ihnen bis ins Mittelalter. Leider fehlt auch hier eine aktuelle Bewertung dieses Beitrags. So bleibt Poritzkys „Fantasten“ vor allem eine – interessant zu lesende – literaturhistorische Kuriosität.

|Deutscher Horror heute|

Hatte uns Frank Festa in den früheren „Omen“-Ausgaben vor dem deutschen Grusel des 21. Jahrhunderts bewahrt, mogelt er dieses Mal (versuchsweise?) zwei (glücklicherweise) kurze Storys aus diesem unseren Lande ein. Uwe Vöhls „Nyctalus“ und Christian Endres‘ „Instinktiv“ spiegeln ein bekanntes Dilemma wider: Handwerklich durchaus kompetent geschrieben, präsentiert der eine Autor ein tausendfach erzähltes (und in zweitausend Horrorfilmen verwurstetes) „Post-Doomsday“-Garn ohne Überraschungen und mit einem tragisch gemeinten aber kalt lassenden Schlussakkord. Der andere richtet den Blick in die in die Vergangenheit und produziert eine weitere jener Lovecraft-&-Poe-Pastiches, die vor allem in sich selbst ruhen, einer deutschen Phantastik aber keine neuen Impulse bringen.

|Was haben wir noch? – Storys|

In seinen Story-Sammlungen lässt Frank Festa gern Versuchsballons steigen. Dieses Mal lernen wir mit zwei Kurzgeschichten den in Großbritannien bereits bekannten, ausschließlich unter Pseudonym arbeitenden „John B. Ford“ (*1963) kennen. Auch er stützt sich schwer auf surreale Großmeister des Genres; Thomas Owen (1910-2002), Walter de la Mare (1873-1956) oder Jean Ray (1887-1964) kommen einem in den Sinn. Herausgeber Festa vergleicht ihn mit Thomas Ligotti, doch auch diese Fußstapfen sind definitiv zu groß. Tatsächlich bieten „Die Illusion des Lebens“ und noch mehr „Der Feind in uns“ leidlich groteske Stimmungsbilder, die in eine Handlung eingebettet werden, die sich sehr oder allzu bekannter Horror-Motive bedient.

„Der Wurm von Vendren“ ist eine weitere Geschichte, die Brian McNaughton (1935-2004) in einer an Clark Ashton Smith angelehnten „Weird-Fantasy“-Welt ansiedelt, wobei McNaughton die exotische Dekadenz des Vorbilds zugunsten eines trockenen, rabenschwarzen Humors in den Hintergrund rückt. Während McNaughton mit „Ringard und Dendra“ – einer u. a. in Festas Anthologie „Necrophobia II – Die graue Madonna“ aufgenommenen Story – eher witzlos blieb, erfüllt „Der Wurm von Vendren“ die Intentionen seines Verfassers deutlich besser.

|Was haben wir noch? – Interviews|

Seit einiger Zeit orientiert sich Frank Festa teilweise neu. Zu den klassischen Verlags-Standbeinen wie Lovecraft, Lumley oder F. Paul Wilson kommen verstärkt Autoren, die den Horror entweder hemmungslos bizarr (Carlton Mellick III) oder gnadenlos blutig (Brett McBean) servieren; oft gelingt ihnen sogar beides.

In den Startlöchern steht bei Festa Edward Lee, der in den USA seit Jahren mit morbid sexuellen, exzessiv gewalttätigen Horror-Thrillern für Furore sorgt. Was den Leser erwartet, fasst Frank Festa in „Einige Gedanken zu Edward Lee“ zusammen; er dürfte recht heftig über uns kommen …

Wie man die junge US-Generation mit religiösem Gedankengut vertraut macht, erläutert uns der Theologe und Horror-Schriftsteller Kim Paffenroth. So lässt sich beispielsweise das Phänomen der Auferstehung durch den Ausbruch einer globalen Zombie-Epidemie begreiflich machen. Paffenroth scheint dies ernst zu meinen. Seine beiden im Festa-Verlag erschienenen Romane lassen sich glücklicherweise auch unter Vernachlässigung solchen Subtextes gut lesen.

Schließlich gibt noch Laurell K. Hamilton Auskunft über ihren Werdegang und ihre Erfolgsserie um die Totenlenkerin & Vampir-Henkerin Anita Blake, mit der die Autorin nachdrücklich beweist, dass sexuelle Drastik dem Genre immer noch besser bekommt als die genitalfreie Minne jener Edwards & Bellas, die den Horror immer schlimmer in Verruf bringen.

|Unterm Strich|

Abgeschlossen wird „Omen 3“ durch ein Verzeichnis der bis Oktober 2011 (tatsächlich) erschienenen Festa-Titel – eine beeindruckende Liste, die verdeutlicht, welche Akzente ein ‚Kleinverlag‘ zu setzen vermag, der nicht mit dem Mainstream schwimmt, sondern nach neuen Namen und neuen Entwicklungen sucht.

Der Leser wünscht sich ein „Horror-Journal“ wie das „Omen“ öfter, der Realist muss anerkennen, dass der Markt für solche Werke begrenzt ist. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt: Wenn das Festa-Programm schon keinen vierten Band der „Necrophobia“-Reihe mehr beinhaltet, wird es – und sei es wieder erst in Jahren – vielleicht ein „Omen 4“ geben.

Paperback: 255 Seiten
Übersetzung: Alexander Amberg, Andreas Diesel
Cover: F. Fiedler
ISBN-13: 978-3-935822-74-9
[www.festa-verlag.de]http://www.festa-verlag.de

_Das |Omen|-Journal bei |Buchwurm.info|:_
[„Omen 2“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1525

Waters, Sarah – Besucher, Der

Wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs: In einem ländlichen Teil Englands liegt das herrschaftliche Anwesen Hundreds Hall der Familie Ayres. Als Kind war der Arzt Dr. Faraday hier schon mal zu Besuch, seine Mutter arbeitete dort als Kindermädchen. Eines Tages wird er als Vertretung des Hausarztes nach Hundreds gerufen. Das Anwesen fasziniert ihn noch wie damals, doch das Haus ist vom Verfall bedroht, die Familie offenbar verarmt.

Die Ayres leben seit Jahren sehr zurückgezogen. Die verwitwete Mrs. Ayres ist eine liebenswerte ältere Dame. Ihre unverheiratete Tochter Caroline ist eine recht burschikose, wenig attraktive Frau, die aber herzlich und lebensfroh wirkt. Sohn Roderick, der die Leitung der Landwirtschaft übernommen hat, ist seit dem Krieg sehr launisch und wortkarg. Das liegt vor allem an seiner Beinverletzung, die ihn hinken lässt. Dr. Faraday besucht die Familie von nun an regelmäßig und behandelt Rodericks Leiden mit einer neuartigen Therapie.

Eines Tages vertraut ihm Roderick seltsame Ereignisse im Haus an. Gegenstände sollen sich von alleine bewegt haben, unerklärliche Flecken erscheinen an den Wänden. Dr. Faraday schreibt es seinen überspannten Nerven zu. Eines Nachts brechen mehrere Feuer in Rodericks Zimmer aus, deren Ursprung unklar ist. Roderick kommt zu seinem eigenen Schutz in eine Pflegeanstalt. Doch die seltsamen Vorgänge auf Hundreds reißen nicht ab. Bald hören auch Mrs. Ayres, Caroline und das Dienstmädchen Betty die Geräusche …

_Etwas geht um auf Hundreds Hall … _

Sarah Waters ist bekannt für Romane, die das viktorianische England wieder zu Leben erwecken und Atmosphäre mit intrigenreicher Handlung verbinden. „Der Besucher“ spielt zwar in der Nachkriegszeit, steht aber ganz in der Tradition der viktorianischen Schauerromane. Das herrschaftliche Anwesen, immer noch imposant aber bereits im Verfall begriffen sowie seine Bewohner sind ein großartiger Spiegel einer niedergehenden Gesellschaftsschicht. Familie Ayres hält noch am Glanz vergangener Tage fest, als Hundreds regelmäßig der Schauplatz für glamouröse Feiern war. Vor allem Mrs. Ayres ist eine liebenswerte Dame, die allerdings noch in der Zeit der Jahrhundertwende zu leben scheint. Hundreds Hall und seine Bewohner stehen im krassen Gegensatz zum raschen Wandel der Umgebung, der immer weiter fortschreitenden Industrialisierung. Kam Leuten wie ihnen vor Jahrzehnten noch Ehrfurcht und Bewunderung entgegen für ihren gesellschaftlichen Rang und ihr Anwesen, so gelten sie heute im Dorf eher als antiquiert und leicht verschroben. Die beinah klaustrophobische Atmosphäre auf Hundreds nimmt nicht nur Dr. Faraday für sich ein, sondern auch den Leser. Einerseits erscheint das Anwesen faszinierend und strahlt noch etwas vom Glanz alter Tage aus, andererseits ereignen sich dort zunehmend unerklärliche bis unheimliche Vorfälle und es scheint, dass der Herrensitz seiner Familie mehr und mehr Unglück bringt.

|Reizvolle Charaktere|

Besonders gelungen ist an dem Roman die ausgefeilte Darstellung der Charaktere und ihrer Beziehungen untereinander. Die Grundkonstellationen laden zu gewissen Klischees ein – auf die die Autorin aber erfrischenderweise verzichtet. So ist Dr. Faraday kein schmucker junger Mann, kein eleganter Intellektueller, sondern ein Mann Anfang vierzig, der sich mit seiner etwas abgetragenen Kleidung und dem allmählich lichter werdenden Haar nicht besonders attraktiv findet und der als einfacher Landarzt wenig Geld verdient. Es wäre naheliegend gewesen, zwischen ihm und der jungen Caroline schnell eine Romanze einzubauen. Doch stattdessen ist Caroline eher unattraktiv und obwohl sie ein sympathisches Wesen hat, ist das Verhältnis zwischen Dr. Faraday und ihr für sehr lange Zeit nicht durch den geringsten Flirt geprägt. Überhaupt geht die Annäherung zwischen Dr. Faraday und den Ayres nur sehr langsam voran, was die Geschichte so authentisch macht. Er kommt zwar über Wochen regelmäßig zu Besuch, aber als dann eine Abendgesellschaft stattfindet, wird er nur auf Carolines spontane Initiative hin eingeladen, Mrs. Ayres hatte ihn offenbar noch nicht auf eine Stufe mit ihren anderen Bekannten gestellt.

|Ein Schmöker für Geduldige|

Dieses langsame Fortschreiten der Handlung, die ausführlichen Beschreibungen der Räumlichkeiten, das zähflüssige Näherkommen zwischen Dr. Faraday und den Ayres machen einerseits den Reiz des Romans aus – stellen den Leser aber auch auf kleine Geduldsprobe. Viele Seiten passiert nicht viel und man muss es mögen, einfach langsam in diese Atmosphäre einzutauchen und die Charaktere näher kennen zu lernen. Das kann vor allem stören, wenn man auf die Geistererscheinungen wartet, die im Klappentext angekündigt werden. Bis das Klopfen und andere unerklärliche Geschehnisse einen breiten Raum ein der Handlung einnehmen, vergeht eine lange Zeit. Es gibt auch am Ende keine eindeutige Erklärung – zwar eine Andeutung, bei der sich der Leser den Rest zusammenreimen kann, aber es ist genauso möglich, alle Erscheinungen auf rationale Art zu erklären. Darin liegt ohne Frage ein Reiz, wer sich aber speziell auf ein Gruselwerk im Stil von Shirley Jacksons „Spuk von Hill Haus“ gefreut hat, kann leicht enttäuscht werden.

_Als Fazit_ bleibt ein insgesamt sehr gelungener Roman, der in Englands Nachkriegszeit spielt und phasenweise an die Tradition viktorianischer Schauerromane erinnert. Die Charaktere sind gelungen, die Handlung entwickelt nach und nach eine Sogwirkung dank der dichten Atmosphäre. Allerdings muss der Leser Geduld aufbringen, denn die Handlung entwickelt sich nur sehr langsam, die angekündigten unheimlichen Vorgänge kommen auch erst spät ins Spiel und sind etwas weniger dominant, als die Beschreibung vermuten lässt.

_Die Autorin_ Sarah Waters wurde 1966 in Wales geboren. Sie studierte englische Literatur und schrieb ihre Dissertation über Homosexualität in der Literatur, was ihr häufig als Inspiration für ihre Werke dient. Mittlerweile erhielt sie zahlreiche Preise – z. B. den British Book Award Author of the Year, den Crime Writers‘ Association Ellis Peters Historical Dagger, den Sunday Times Young Writer of the Year Award – und war für den Booker Prize nominiert. Weitere Zu ihren Werken zählen „Die Muschelöffnerin“, „Die Frauen von London“ und „Selinas Geister“. Das vorliegende Buch wurde unter dem Titel „Fingersmith“ verfilmt.

|Gebunden: 576 Seiten
Originaltitel: The Little Stranger
ISBN-13: 978-3431038309|
[www.luebbe.de]http://www.luebbe.de

_Sarah Waters bei |Buchwurm.info|:_
[„Solange du lügst“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5153

Briggs, Patricia – Siegel der Nacht (Mercy Thompson 06)

_|Mercy Thompson|-Serie:_

Band 1: [„Ruf des Mondes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4490
Band 2: [„Bann des Blutes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5091
Band 3: Spur der Nacht
Band 4: [„Zeit der Jäger“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6250
Band 5: [„Zeichen des Silbers“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6976
Band 6: _Siegel der Nacht_

„Siegel der Nacht“ ist der sechste Band von Patricia Briggs‘ „Mercy Thompson“-Serie und beginnt mit einer echten Veränderung für die Hauptfigur. Mercy, eine Automechanikerin und gleichzeitig Walkerin, also eine Person, die sich in ein Tier verwandeln kann, heiratet ihren Nachbarn Adam. Der ist der Alpha des ortsansässigen Werwolfrudels. Gemeinsam haben die beiden Gestaltwandler schon eine Menge Ärger und Abenteuer erlebt.

_In ihren Flitterwochen_ soll sich das nicht ändern. In einem luxuriösen Wohnmobil fahren die beiden an das Ufer des Columbia Rivers, wo sie die Natur und sich selbst genießen. Doch die Probleme lassen nicht lange auf sich warten. Eines Abends finden die beiden bei der Jagd ein Boot mit einem verletzten Mann auf dem Fluss. Sein einer Fuß fehlt. Es sieht so aus, als ob er abgebissen wurde, nur von wem? Der Columbia River ist nicht dafür bekannt, Ungeheuer zu beherbergen.

Oder etwa doch? Neuerdings scheint ein Flussteufel darin zu wohnen, ein magisches Monster, das nur schwer zu besiegen ist. Nun liegt es an Mercy und Adam, das Monster zu erlegen und den Fluss, auf dem in letzter Zeit eine Menge Menschen verschwunden sind, wieder sicher zu machen. Hilfe bekommen die beiden von den ortsansässigen Indianern sowie von Kojote, der indianischen Gottheit der Kojoten. Er erscheint Mercy und gibt ihr Tipps, wie sie den Flussteufel besiegen soll. Doch das ist nicht das Einzige, was er ihr erzählt. Auch zu ihrer Herkunft hat er einiges zu sagen …

_Mit „Siegel der Nacht“_ hat Patricia Briggs das bislang beste „Mercy Thompson“-Buch geschrieben. Sowohl Hintergrund der Geschichte als auch Handlung sind sehr gelungen. Hinzu kommt, dass man als Leser einige Neuigkeiten über Hauptperson Mercy erfährt. Die Automechanikerin, die sich in einen Kojoten verwandeln kann, ist so oder so eine sympathische Protagonistin. Humorvoll, aber nie albern, nie überkandidelt, erzählt sie aus der ersten Person von ihrem Leben, in dem es immer rund geht. In „Siegel der Nacht“ geht es aber häufig ausschließlich um sie. Geheimnisse aus ihrer Vergangenheit werden gelüftet, was in den Vorgängerbänden so in dieser Form noch nicht passiert ist. Dabei stehen vor allem ihre indianischen Gene im Vordergrund, die sie von ihrem Vater hat, den sie aber nie kennengelernt hat, da er bei einem Autounfall gestorben ist.

Indianisch ist auch der Hintergrund der Geschichte. Die Flitterwochen nahe des Columbia River führen dazu, dass Mercy und Adam mit indianischer Kultur in Kontakt kommen und sich schließlich intensiv damit befassen müssen, als es gegen den Flussteufel geht. Gut recherchiert und ansprechend geschrieben vermittelt Briggs ihren Lesern interessantes Wissen über die verschiedenen Stämme. Dabei macht sie aber nie den Fehler, zu ausufernd zu werden. Im Gegenteil hält sie ihre Beschreibungen knackig kurz, so dass keine Spannung durch Längen in der Geschichte verloren geht.

Die Handlung ist fesselnd und hat einen gewissen Gruselfaktor. Dass sie dieses Mal nicht an Mercys Wohnort spielt, tut der Geschichte gut. Es gibt Neues zu entdecken, neue Personen kennenzulernen. Es ist dabei sehr erholsam, dass die Autorin die Anzahl neuer Personen überschaubar hält. Die eigentliche Geschichte ist sauber und geradlinig konstruiert. Briggs konzentriert sich hauptsächlich auf diesen einzelnen Handlungsstrang und verwirrt den Leser nicht durch Nebenschauplätze. Im Mittelpunkt steht das Töten des Flussteufels, das mit entsprechender Spannung verbunden ist.

Geschrieben ist die Geschichte, wie gehabt, in einem unaufgeregten, beinahe sachlichen Tonfall, der Mercys Naturell entspricht. Erzählt wird aus der Ich-Perspektive von Mercy, die dem Leser auch Einblicke in ihre Gefühlswelt gewährt. Da sie mittlerweile mit Adam verheiratet ist, sind diese häufig romantischer Natur. Die Autorin verzichtet aber auf frauenromanähnliche Passagen und beschreibt diese Stellen stattdessen sehr erwachsen und so, dass sie zu der sowieso sehr nüchternen Mercy passen.

_“Siegel der Nacht“ ist_, wie bereits gesagt, der wohl beste „Mercy Thompson“-Roman bislang – dank des interessanten Hintergrunds, neuer Informationen zur Hauptperson und der spannenden Handlung.

|Taschenbuch, 398 Seiten
Originaltitel: River Marked
Deutsch von Vanessa Lamatsch
ISBN-13: 978-3453528314|
[www.heyne.de]http://www.heyne.de
[www.patriciabriggs.com]http://www.patriciabriggs.com

_Weitere Bücher von Patricia Briggs bei |buchwurm.info|:_
[„Drachenzauber“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3933
[„Rabenzauber“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4943
[„Schatten des Wolfes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5926
[„Spiel der Wölfe“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6851

(H. P. Lovecraft)/August Derleth – Das Tor des Verderbens

derleth-tor-cover-neu-kleinEin unglücklicher Erbe gerät in den Bann eines nur scheinbar verstorbenen Hexenmeisters, der die Rückkehr bösartiger Kreaturen auf die Erde vorbereitet … – Drei zum ‚Roman‘ eher verleimte als sich fortsetzende Erzählungen bieten die fade Imitation der echten Lovecraft-Erzählungen; der Schrecken speist sich hier aus der Unbeholfenheit der grob auf die Spitze getriebenen Spukereien. (H. P. Lovecraft)/August Derleth – Das Tor des Verderbens weiterlesen

King, Stephen – Wahn

_Das geschieht:_

Ein schwerer Arbeitsunfall kostete den erfolgreichen Bauunternehmen Edgar Freemantle nicht nur den rechten Arm, sondern auch seine Ehe. Geistig und körperlich angeschlagen siedelt der verbitterte Mann auf Anraten seines Arztes in den Sonnenstaat Florida um. Dort zieht er sich auf die vor der Westküste gelegene Insel Duma Key zurück. In einem einsam gelegenen Haus findet Freemantle allmählich wieder zu sich, wobei ihm das Aufleben eines lange brach gelegenen Talents hilft: Er beginnt, zu zeichnen und zu malen.

Die Ergebnisse seiner Kunst sorgen zwar für Begeisterung aber auch für Kopfschütteln, denn von den Bildern geht etwas spürbar Dunkles aus. In der Tat wird Freemantle von Visionen geplagt. Sie bescheren ihm klare Bilder bedrohlicher Ereignisse, die seine Familienangehörigen betreffen. Wenig später beginnen die Geister vor langer Zeit umgekommener Inselbewohner, umzugehen.

Freemantle spürt, dass seine neue Kunstfertigkeit ebenso wie die Visionen von Duma Key ausgehen. Mit seinem neuen Freund, dem Ex-Anwalt Jerome Wireman, beginnt er die Geschichte des Eilands zu recherchieren. Wie sich herausstellt, kam es hier schon im frühen 20. Jahrhundert zu mysteriösen und tragischen Ereignissen. Elizabeth Eastlake, die letzte ihres einst einflussreichen Geschlechts und Eigentümerin der Insel, weiß mehr, doch der Verstand der alten Frau ist von der Alzheimerschen Krankheit zerrüttet.

Viel zu spät setzt Freemantle die fragmentarischen Hinweise zusammen, die ein absurdes Bild ergeben. So nehmen die Ereignisse jenen Lauf, den eine uralte und finstere Macht sorgfältig geplant hat: Zombie-Piraten steuern Duma Key mit schwerer Fracht an: Unheil und Tod …

|Geschichte eines verletzten Menschen|

Der alternde Meister des Horrors, der die 1980er und 90er Jahre mit seinen Werken prägte, zeigt unerwartet scharfe Zähne: Stephen King findet im vierten Jahrzehnt seiner Karriere nicht nur zur alten Form zurück, sondern schlägt behutsam neue Wege ein. Das Ergebnis ist eine gelungene Kombination alten Tugenden mit frischem Wind, der den Leser in der Regel zuverlässig über diverse Längen – deren Existenz nicht verschwiegen werden soll – trägt.

„Wahn“ – den zwar begründbaren aber dennoch unglücklichen deutschen Titel beachten wir am besten nicht weiter – ist einerseits eine Geistergeschichte der klassischen Art, die dem ungeduldigen Genrefreund möglicherweise zu ‚zahm‘ und zu langsam vorkommen mag. Wer freilich nicht nur Rumpel-Pumpel-Spuk, sondern einfach ein gutes Garn liebt, wird „Wahn“ zu schätzen wissen. Ganz langsam, fast unmerklich schleichen sich die übernatürlichen Elemente in die Handlung ein. Das Erstaunliche ist, dass wir sie nicht vermissen: King erzählt uns eine Geschichte, die auch ohne Geistertrubel interessiert.

Seit ihn im Sommer 1999 ein betrunkener Autofahrer beinahe ins Grab brachte, kommt King in seinen Werken immer wieder auf den Unfall zurück, der sein Leben nachhaltig aus dem Gleichgewicht brachte und ihn zu Alkohol und Rauschgift greifen ließ. Er weiß, wie sich ein Mann wie Edgar Freemantle fühlt. Seit jeher verfügt King über die Gabe, Gedanken und Gefühle in einfache aber überzeugende Worte zu fassen und seine Figuren in Menschen zu verwandeln. Das gelingt ihm auch dieses Mal, und das macht es fesselnd, Freemantles quälenden und quälend langsamen Prozess der Heilung zu verfolgen.

In dieser Phase der Geschichte spielt die Malerei eine große Rolle. Freemantle wird zum Genie der Kunst, und zwischen Genie und Wahnsinn, so sagt ein Sprichwort, liegt nur ein Schritt. Der Wahn materialisiert sich hier als unverhoffte Begleiterscheinung der schweren Verletzungen, die Freemantle bei seinem Unfall erlitt. King hat recherchiert und lässt Informationen über Menschen einfließen, die ein ähnliches Schicksal erlitten und anschließend doppelt erstaunliche, zuvor nie gezeigte schöpferische Fähigkeiten entwickelten.

|Schwache Menschen mit starkem Willen|

Figuren mit entsprechendem Hintergrund tauchen nicht zum ersten Mal in einem Stephen-King-Roman auf. In „The Dead Zone“ (1979, dt. „Dead Zone – Das Attentat“) wurde ein Mann zum Hellseher, der traurige Held in „Firestarter“ (1980, dt. „Feuerkind“) konnte den Menschen seinen Willen aufzwingen, in „Dreamcatcher“ (2001, dt. „Duddits“) lag der Schlüssel zur Rettung der Welt vor bösen Aliens in den Händen eines geistig Behinderten.

Noch keiner Kingschen Figur tat es gut, über solche Fähigkeiten zu verfügen. Stets zahlen sie einen hohen Preis dafür; sie verlieren ihre Familien, ihre Freunde, und manchmal sterben sie sogar. Die Gabe wirkt in der Regel wie von einer höheren Macht verliehen; sie führt den früheren Jedermann auf eine Mission voller Gefahren und Schrecken. Edgar Freemantle ist keine Ausnahme. Bald wird ihm klar, dass ihm sein künstlerisches Talent womöglich ‚von außen‘ eingegeben wird und eine zwiespältige ‚Schenkung‘ des Geistes von Duma Key ist, der damit eigene Ziele verfolgt.

|Wenn die Kunst zur Wahrheit wird|

Bis es soweit ist, wiegt sich Freemantle in falscher Sicherheit. Die Kunst, das ist eine weitere Lektion, die King uns lehrt, besitzt ihre eigenen Regeln. Sie kann zur Besessenheit werden aber gleichzeitig den Zugang zu Sphären öffnen, deren Existenz der Mensch zwar erahnt, die er in der Regel jedoch nicht beschreiben geschweige denn bereisen kann. Der Künstler wird Stellvertreter und Übersetzer. Meisterhaft beschreibt King nicht die Technik der Kunst, sondern ihre Wirkung, dargestellt am Beispiel eines Menschen, der nicht einmal über das Vokabular verfügt, seine Arbeit ‚wissenschaftlich‘ zu erläutern. Freemantle ringt mit den Worten; lieber malt er und macht sich auf diese Weise verständlich.

Dieser Prozess ist faszinierend, und King vermag ihn begreiflich zu machen. Irgendwann ist Freemantle gesund, er versöhnt sich mit der Familie, wird berühmt. Die Geschichte könnte jetzt happy enden. Stattdessen zieht King die Grusel-Schraube an. Freemantle hat in der Tat eine Tür aufgestoßen – oder wurde sie für ihn geöffnet? Die Geister von Duma Key schlüpfen aus dem Zwischenreich, in dem sie bisher ausharren mussten.

Ihre ‚Gegner‘ wirken denkbar schwach: Auch dies ist typisch für King. Ein verkrüppelter Maler, ein Anwalt mit einer Kugel im Schädel und eine uralte, senile Frau bilden das Trio, dem sich die Gespenster offenbaren. Es wirkt deshalb umso sympathischer, zumal sich der Leser selbstverständlich fragt, wie es ausgerechnet diesen gehandicapten Personen gelingen soll, dem Grauen ein Ende zu bereiten.

|Das letzte Drittel: Horror ohne Maske|

Mit viel Routine und unter Montage bekannter Versatzstücke beginnt King nun zu schreiben, wofür er bekannt wurde: eine phantastische, zunehmend gruselige Geschichte. Das Verblüffende ist die Bereitwilligkeit, mit der wir ihm dabei auf den Leim gehen. In welche Richtung der Spuk gehen wird, ist recht bald bekannt. Das mindert das Lektürevergnügen aber keineswegs. Der alte Fuchs weiß, in welche Richtung er seine Hühnerschar treiben muss, um sie möglichst effektiv in Angst und Schrecken zu versetzen.

Wie üblich ist die Kulisse für die Handlung von entscheidender Bedeutung. Längst ist King nicht mehr auf den US-Staat Maine als Ort für seine Geschichten angewiesen. Er hat gelernt, jeden Ort dieser Welt so zu präparieren, dass sich das bekannte Gefühl steigender Unsicherheit einstellt.

Duma Key ist ein Ort, an dem es umgeht. Auf den ersten Blick ist das nicht zu erkennen; nicht einmal auf den zweiten. So muss es sein, denn sonst könnte die Falle später nicht so perfekt zuschnappen. Erneut bewegt sich King nicht auf neuen Pfaden. Schauplatz und Plot von „Wahn“ erinnern vage an „Bag of Bones“ (1998, dt. „Sara“), während sich King das Element der verwunschenen Künstlerkolonie von seinem Kollegen, Freund und gelegentlichem Mit-Autoren Peter Straub („The Hellfire Club“; 1996, dt. „Reise in die Nacht“) ‚ausborgt‘. Geschenkt, denn diese Medizin wirkt auch als x-ter Aufguss!

|Taschenbuch: 912 Seiten
Originaltitel: Duma Key (New York : Scibner 2008)
Übersetzung: Wulf Bergner
ISBN-13: 978-3-453-43343-4
Als eBook: September 2008 (Wilhelm Heyne Verlag)
ISBN-13: 978-3-89480-440-4|
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|Als Hörbuch-Download: März 2008 (gelesen von David Nathan)
ISBN-13: 978-3-8371-7493-9|
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Über 40 weitere Rezensionen zu Büchern und Hörbüchern von Stephen King findet ihr in [unserer Datenbank]http://buchwurm.info/book .

Bennett, Robert Jackson – Mr. Shivers

_Inhalt_

Für Michael Conelly ist seit dem Tod seiner Tochter nichts mehr, wie es einmal war. Diese wurde brutal ermordet und in all der Trauer hat Michael Conelly nur einen Wunsch: Rache! Besessen von diesem Wunsch verlässt er seine Frau und irrt als Landstreicher durchs Land, um den Mörder, den alle nur Mr. Shivers nennen, zu finden und zu töten. Während seiner Tour durchs Land lernt er immer mehr Menschen kennen, die ebenfalls Rache an Mr. Shivers üben wollen, denn der Mord an Conellys Tochter ist nicht der Einzige.
Aber können die Männer ihn tatsächlich finden und es mit dem Serienkiller aufnehmen?

_Eindruck_

„Mr. Shivers“ ist das Erstlingswerk von Robert Jackson Bennett. Der Schreibstil ist flüssig, direkt und schonungslos, so sollte ein Thriller geschrieben sein. Perfekt. Obwohl der Inhalt selbst mich nicht ganz von sich überzeugen konnte, so konnte es der Autor auf jeden Fall. Seine Ideen wurden gut umgesetzt und die Thrillerelemente sind sehr gut verpackt. Da kann man noch Großes erwarten.

Die Geschichte bleibt bis zum Schluss spannungsgeladen, allerdings gibt es auch hier Höhen und Tiefen. Einige Sachen waren vorhersehbar, andere haben mich dagegen absolut überrascht. Unverständlich ist jedoch für mich, dass dieser Roman allen Stephen-King-Lesern empfohlen wird. Sicherlich, „Mr. Shivers“ ist ein Thriller, aber die gewisse Portion Horror, die man bei King erwarten darf, wird dem Leser hier nicht geboten. Da wäre eine Empfehlung in Richtung Dan Wells passender gewesen, da man so nicht in die Irre geführt wird und etwas anderes erwartet.

Die Gefühlswelt von Michael Conelly, der hier als Progragonist durch die Geschichte führt, ist erschreckend und nachvollziehbar zugleich. Seine Rache- und Mordgelüste gegenüber Mr. Shivers werden authentisch dargestellt und ich habe als Leserin ein gutes Bild darüber bekommen, was passieren kann, wenn man einen Menschen zu sehr hasst.

Besonders gelungen ist das Cover und die Buchgestaltung. Die verschiedenen Grüntöne und die verlassene Landschaft passen perfekt zur düsteren Stimmung. Gleichzeitig ist die Straße ein gutes Bild für den langen Weg, den Michael Conelly hier zu gehen hat. Das Taschenbuch hat den „Rough Cut“-Look erhalten, den der Verlag besonders gerne bei seinen Thrillern anbringt (siehe auch die Serienkiller-Reihe von Dan Wells). Die durchgezackten Seitenränder kann man mögen, muss man aber nicht. Ich für meinen Teil mag diese sehr gerne.

_Fazit:_

Robert Jackson Bennett hat mit „Mr. Shivers“ einen soliden Debutroman geschrieben, der für ein paar entspannte Lesestunden gesorgt hat, aber nicht lange in Erinnerung bleibt. Der Autor ist jedoch so talentiert und ideenreich, dass ich auf viele weitere Bücher von ihm gespannt bin.

|Taschenbuch: 400 Seiten
Originaltitel: Mr. Shivers
Ins Deutsche übertragen von Andreas Decker
ISBN 978-3492267533|
[www.piper-verlag.de]http://www.piper-verlag.de

_Sabrina Reithmacher_

Bell, Alden – Nach dem Ende

_Das geschieht:_

Temple ist etwa 16 Jahre alt; genau weiß sie es nicht, denn ein Familienleben hat sie nie kennengelernt. Vor einem Vierteljahrhundert kamen die Toten aus ihren Gräbern zurück. Das anschwellende Heer nie schlafender, stets hungriger Zombies hat weltweit die Zivilisation zusammenbrechen lassen.

Auch die USA gibt es nicht mehr. Festungsgleich gesicherte Lager sind über den nordamerikanischen Kontinent verstreut und bieten den wachsamen Lebenden einen nie wirklich sicheren Unterschlupf. Die Hoffnung auf eine Rückkehr zur Normalität schwindet, denn die Zombies haben gelernt, nicht nur Menschen, sondern auch Tiere zu jagen. Selbst untote Kannibalen gibt es inzwischen, sodass ein Aushungern der lebenden Leichen unmöglich ist.

Durch diese postapokalyptische Welt zieht Temple. Sie kennt keine Welt ohne Zombies und weiß sich auch gegen marodierende Plünderer zur Wehr zu setzen. Temples aktuelles Problem heißt Moses Todd, dessen Bruder Abraham sie töten musste, als der sie vergewaltigen wollte. Moses will Rache und jagt Temple, die inzwischen nicht mehr allein reist: Unterwegs hat sie den geistig zurückgebliebenen Maury aufgelesen, den sie zu seinen Verwandten nach Texas bringen will.

Die Fahrt wird zur Odyssee. Temple lernt Menschen und Mutanten kennen, die sich auf unterschiedliche Weise mit der Belagerung durch die Untoten arrangiert haben. Trotz der Zombies rührt sich Leben in den Ruinen. Temple fühlt sich trotzdem nirgendwo heimisch, denn sie kann und will sich nicht unterordnen. Also zieht sie weiter durch eine Nation, die den Untoten gehört und von der Natur zurückerobert wird. Ihrer Fährte folgt unerbittlich Moses Todd. Mehrfach kreuzen sich ihre Wege, bis sie sich eines Tages im letzten Duell gegenüberstehen …

|Alles zurück auf Start|

Die Zombies sind gekommen und haben die USA, wie man sie kannte, vernichtet. Womöglich muss man ihnen dankbar sein, haben sie doch Schluss gemacht mit einer Nation, die ihren Traum und ihr Selbstverständnis als |God’s Own Country| längst verloren hatte.

So sieht es jedenfalls Alden Bell alias Joshua Gaylord, dem deshalb der Einfall kam, die Zombies loszulassen, um die USA zurück dorthin zu führen, wo ihr Aufstieg begann. Nun herrscht Tabula rasa, es ist wieder möglich, eine neue Welt zu errichten! „Go West, Young Man!“, hieß es einst, aber jetzt sind die Voraussetzungen noch besser: Wackere US-Amerikaner mit Pionierblut in den Adern können praktisch in jede Richtung gehen und den Neubeginn versuchen.

Obwohl die Untoten weiterhin in dreistelliger Millionenzahl durch die Landschaft schlurfen, haben sich in der Tat bereits die Keimzellen eines neuen Amerika gebildet. Die Lethargie einer überzivilisierten Volksgemeinschaft wurde abgeschüttelt, wobei natürlich hilfreich war, dass die Zombies die meisten Bürger der ‚alten‘ USA abschlachteten – ein zu verschmerzender Verlust, was Bell lieber nicht ausspricht, denn es überlebten die Harten & Starken, die in die Hände spuckten und nicht einen Kampf fortsetzten, der nicht zu gewinnen ist, sondern den Wiederaufbau in Angriff nehmen.

|Die Zombies sind halt da|

Nach einem Vierteljahrhundert des Schreckens, beginnt sich das Gleichgewicht der Welt einzupendeln. Die frenetischen Versuche der US-Regierung, die Zombies mit militärischen Mitteln zu vernichten, sind fehlgeschlagen. Die Überlebenden dieser und die Angehörigen einer neuen Generation haben eine funktionierende Alternative gefunden: Sie verbarrikadieren sich in Dörfern und Stadtteilen, richten sich ein und drängen die Untoten dann allmählich zurück, wobei sie die ’sicheren‘ Regionen ausweiten. Irgendwann werden die dabei entstehenden Refugien zusammenwachsen, und noch später werden die Menschen zu einer neuen Nation zusammenfinden, die hoffentlich die Lehren aus der Apokalypse nicht vergessen und eine neuerliche Degeneration vermeiden wird.

Die Zombies sind in diesem Tableau mehr ein Ärger- als ein Hindernis: Zwar haben sie den Untergang gebracht, aber inzwischen weiß man mit ihnen umzugehen und sie sich vom Leib zu halten. Temple bewegt sich aufmerksam aber nicht ängstlich zwischen ihnen und bereist den Südwesten der USA, ohne sich beißen zu lassen.

Diese Wertung von „Nach dem Ende“ als im Kern recht konservative Lektüre mag den Leser verblüffen. Doch der Rezensent folgt darin dem Verfasser, der in einem Interview ausführlich seine Gedanken zu dieser Geschichte dargelegt hat. Bell nutzt demnach das Horror-Genre, um eine Leserschicht zu finden, die ‚richtiger‘ Literatur oft skeptisch gegenübersteht. Entstanden ist ein Roman, der zwischen trivialer aber spannender Unterhaltung und Mainstream hin und her schwankt.

|Die Kunst im Horror-Mantel|

‚Hohe‘ Literatur arbeitet gern mit Symbolen. „Nach dem Ende“ ist förmlich überladen mit Szenen, die nicht direkt, sondern durch die Entschlüsselung ihres Hintersinns wirken sollen. Dies beginnt schon mit dem sicherlich bedeutungsschwangeren Originaltitel: „Die Schnitter sind die Engel“. Bei nüchterner Betrachtung erzeugen diese Kunstgriffe freilich eher Stirnrunzeln oder Heiterkeit. Schwer lässt Bell Namen wie William Faulkner oder Corman McCarthy fallen, die ihn inspiriert haben, Realismus und Mystizismus zu verquicken, um daraus eine künstlerische Wirklichkeit zu formen.

Deshalb jagen sich Temple und Moses Todd, obwohl sie realiter die einzigen Menschen sind, die einander verstehen. Zwischenzeitlich wirft sie das Schicksal in Situationen, in denen sie sich nicht an die Gurgeln gehen, sondern nur reden können. Dies führt stets zu schwermütigen Disputen über Regeln und Ehre, die vor allem wegen der einfachen aber schönen Worte geführt zu scheinen werden. Ein tiefer Sinn verbirgt sich jedenfalls nicht hinter ihnen.

Dazu passt eine betont einfache, lakonische Sprache, die sich nach dem Willen des Verfassers zudem jenen Regeln entzieht, denen sich Schriftsteller im Druck in der Regel unterwerfen müssen. Wie der verehrte McCarthy setzt auch Bell keine Anführungsstriche. Wörtliche Rede geht im normalen Textfluss unter. Der Sinn bleibt unklar; soll der auf diese Weise ‚entschlackte‘ Text die vom Ballast der Vergangenheit befreite Gegenwart verdeutlichen? Eine Intensivierung des Geschehens will sich allerdings beim Leser dadurch nicht einstellen. Ob es daran liegt, dass Bell kein McCarthy oder gar Faulkner ist?

|Auch metaphorische Zombies beißen|

Am besten funktioniert „Nach dem Ende“ als simple Horror-Story. Bell hat die trivialliterarischen und filmischen Vorbilder durchaus verstanden. Stephen King und Peter Straub erweist er seinen Respekt. Die Schilderungen einer in der Katastrophe untergegangenen Hochkultur sind eindrucksvoll. Schutt und Fäulnis, aber auch die Schönheit einer sich regenerierenden Natur stellt Bell – in der deutschen Romanfassung gut unterstützt durch seinen Übersetzer – erschreckend und faszinierend dar.

Temple ist eine gelungene Figur – das Pendant zum unsteten Cowboy des Wilden Westens, für den immer hinter dem Horizont das Gras ein wenig grüner war als unter seinen Füßen. Sie will und kann sich nicht in die neu entstehenden Gemeinschaften – die ihrerseits stark den Forts und Kleinstädten des 19. Jahrhunderts ähneln – einfügen, sondern reist durch die von Bell präsentierte Gegenwart, die ihr Respekt einflößt aber keine Angst einjagt. Sie hat sich arrangiert und weiß sich ihrer Haut zu wehren. Folgerichtig werden nicht die Untoten ihr Verhängnis, sondern ihr Drang zu suchen und ihre Unfähigkeit zu finden.

Die Zombies sind Bell vor allem Mittel zum Zweck. Sie taugen dafür, denn auch Bells Untote sind geistlose, instinktgesteuerte Menschenfresser. Eine innere Tragik besitzen sie nicht, weshalb sie primär hässlich und latent gefährlich sind. Bell inszeniert sie als traurige Wiedergänger einer versunkenen Ära, deren Handlungen und Gesten sie noch immer sinnlos imitieren.

|Der Horror setzt sich durch|

Mehrfach greift Bell auf Klischees zurück, denen er nicht wie vorgesehen neues oder echtes Leben einflößen kann. Die in den erstarrten und sinnlosen Ritualen einer vornehmen Vor-Zombie-Ära gefangene Südstaaten-Familie Grierson, die den zum Untoten gewordenen Vater im Keller hält und dies als „Krankheit“ tarnt, ist in so vielen Gruselgeschichten und Filmen zum Einsatz gekommen, dass diese Szenerie längst jeden ihr innewohnenden Schrecken verloren hat.

Gänzlich aus dem literarischen Rahmen fällt die Hillbilly-Sippe, die Zombie-Hirne auspresst, um sich den Sud in die Venen zu spritzen. Die so ‚Behandelten‘ mutieren zu Mischwesen, die sogar noch scheußlicher als die ’normalen‘ Untoten sind, aber ihren Verstand behalten haben, den sie freilich nur einsetzen, um ein „sauberes“ Amerika zu gründen. Auch diese Szenen sind reiner Horror – plakativ und sogar komisch. Womöglich sollen sie es sein, um die steinzeitfundamentalistischen Gruppen der US-Gegenwart ins Lächerliche zu ziehen.

Das Finale ist dramatisch und selbstverständlich traurig. Ihm folgt noch eine letzte metaphysische Reise an die Niagara-Fälle, die einmal mehr nur den Literaten erschüttert, während der hartgesottene Horrorfreund – keineswegs grundlos – nach dem Warum fragt. Doch trotz dieser Einschränkungen liest sich „Nach dem Ende“ unterhaltsam, zumal Bell seine Geschichte nicht in die Länge zieht, die auf jeden Fall spannend ist und hoch über Dummfug à la „Stolz und Vorurteil und Zombies“ schwebt.

|Autor|

„Alden Bell“ ist das Pseudonym von Joshua Alden Gaylord, geboren in Anaheim im US-Staat Kalifornien, aufgewachsen in verschiedenen Vororten von Los Angeles und heute ansässig in New York. Gaylord studierte Englische Literatur und kreatives Schreiben an der „University of California“ in Berkeley. Seinen Abschluss machte er 2000 an der „New York University“. Seitdem lehrt er Englisch an einer High School. Seit 2002 ist er zudem außerordentlicher Professor an der „New School“, einer Hochschule in New York City.

Als Schriftsteller trat Gaylord erstmals 2009 in Erscheinung. Unter seinem Geburtsnamen veröffentlichte er den Roman „Hummingbirds“, der in einer Mädchenschule spielt. Auf Anraten seines Verlegers, der fürchtete, Gaylord-Leser könnten mit dem Horror-Szenario des Folgewerks überfordert sein, legte er sich für „The Reapers Are the Angels“ (dt. „Nach dem Ende“) sein Pseudonym zu („Bell“ ist ein historisches Gemeinschafts-Pseudonym der Brontë-Schwestern, das Gaylord adaptierte.)

|Taschenbuch: 317 Seiten
Originaltitel: The Reapers Are the Angels (New York : Henry Holt & Co. 2010)
Übersetzung: Friedrich Mader
ISBN-13: 978-3-453-52833-8

Als eBook: August 2011 (Wilhelm Heyne Verlag)
ISBN-13: 978-3-641-05722-0|
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Kim Harrison – Blutdämon (Rachel Morgan 09)

Rachel Morgan:

Band 1: „Blutspur“
Band 2: „Blutspiel“
Band 3: „Blutjagd“
Band 4: „Blutpakt“
Band 5: „Blutlied“
Band 6: „Blutnacht“
Band 7: „Blutkind“
Band 8: „Bluteid“
Band 9: Blutdämon

Rachel Morgan und kein Ende in Sicht. Mit „Blutdämon“ veröffentlicht Kim Harrison bereits den neunten Band ihrer Serie um die chaotische Erdhexe und auch dieses Mal hat die Autorin nicht mit Seiten gegeizt. Über 700 hat die Geschichte, die Rachel einmal quer durch Amerika führt.

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Scheck / Hauser (Hg.) – Als ich tot war (Dunkle Phantastik der britischen Dekadenzzeit – Band 2)

_Die Furie des Verschwindens: dekadente Phantastik mit Biss _

„Furcht und Leidenschaft, Verfall und Tod: Das sind die großen Themen der britischen Dekadenzphantastik. In 30 makabren geschichten – die meisten davon deutsche Erstveröffentlichungen – gewinnt das dunkle Erbe der Dekadenz faszinierende Gestalt.“ (Verlagsinfo)

Das vorliegende Buch ist derZzweite von zwei Bänden, in denen sich bekannte Autoren wie Jerome K. Jerome („Drei Mann in einem Boot“), Max Beerbohm, M. P. Shiel („Huguenins Frau“) und Arthur Machen („Der große Gott Pan“) wiederentdecken lassen.

_Die Herausgeber _

Frank Rainer Scheck, geboren 1948, Studium der Germanistik, Philosophie und Theaterwissenschaften. Seit 1976 Lektor in einem deutschen Verlag, seit 1993 freier Schriftsteller. Veröffentlichung mehrerer Sachbücher, langjährige Beschäftigung mit der Literatur des Phantastischen; diverse Publikationen, zuletzt die Anthologie (mit Erik Hauser) „Berührungen der Nacht“ (Leipzig 2002).

Erik Hauser, geboren 1962, Studium der Anglistik, Germanistik sowie der Vergleichenden und Allg. Literaturwissenschaft. Magister und Staatsexamen. 1997 Promotion mit einer Dissertation über den „Traum in der phantastischen Literatur“ (Passau 2005). Gymnasiallehrer in Mannheim und Lehrbeauftragter an der Uni Heidelberg.

_Die Erzählungen (Band 2)_

_1) Robert Hichens: Die Rückkehr der Seele_

Ronald Rainwood stammt aus einer verarmten Familie in Cumberland, die auf ein reiches Erbe hoffte, sobald die Großmutter stirbt. Auf ihren baldigen Tod hoffend besucht er sie über die Sommermonate, als er 16 oder 17 Jahre ist. Inzwischen hat er an der Schule einen Hang zur Grausamkeit gegenüber Schwächeren entwickelt, insbesondere gegenüber Tieren.

Dieser Zug zeigt sich schon nach seinem Einzug im neuen Domizil. Die schneeweiße Katze, Omas Schoßtier, lässt sich anfangs noch schnurrend von ihm streicheln, doch schon bald ändert sich ihr Verhalten, als ahnte sie instinktiv seinen Hass auf sie. Doch er darf sie auf keinen Fall töten, um die Großmutter nicht auf falsche Gedanken zu bringen oder gar zu schockieren. Doch noch am gleichen Tag, an dem er die Katze killt, entschläft auch die Großmutter. Das Erbe ist ansehnlich: ein komplettes Anwesen.

Als er 33 Jahre ist, fühlt er eine zunehmend lähmende Sinnentleertheit in seinem Leben. Deshalb trifft ihn der Anblick der quicklebendigen Debütantin Margot wie ein Hoffnungsstrahl und er lässt sich ihr sofort zum Tanz vorstellen. Selbstverständlich trägt sie wie alle Debütantinnen Weiß, Zeichen ihrer seelischen und körperlichen Unschuld. Ein Jahr lang sind sie verlobt, bevor er sie heiratet und mit ihr sechs Monate in den Flitterwochen verbringt.

Es gehört sich, dass sie auf seinem Stammsitz in Cumberland einzieht und ihnen beiden ein Heim daraus macht. Sie findet es merkwürdig, dass ihr der Anblick dieses Gemäuers eigenartig vertraut ist, obwohl sie noch nie hier war. Sie verbringt zunehmend Zeit allein und liebt besonders das Zimmer, in dem seine Großmutter starb. Allmählich schaut auch sie ihren Gatten mit anderen Augen an, diesen himmelblauen Augen. Und als ihren animalischen, biegsamen Gang bemerkt, beginnt er sie zu fürchten. Noch sonderbarer mutet ihn ihre Fähigkeit an, im Dunkeln zu sehen.

Er führt Tagebuch und vertraut diesem seine wachsende Furcht an. Die Furcht weckt seine uralte Grausamkeit, seine Herrschsucht. Kann er sie zügeln, wie er hofft? Als ob es noch eines Hinweises bedurft hätte, dass seine geliebte Margot besessen ist, verbreitet sich Professor Black anlässlich eines Nachbarbesuchs über die Seelenwanderung und Reinkarnation Verstorbener. Grob gesagt, würden Frauen als Katzen und umgekehrt wiedergeboren, Männer als Hunde und umgekehrt. Da fällt es Ronald wie Schuppen von den Augen und er betrachtet Margot mit anderen Augen.

Doch sie ist nicht mehr die furchtsame Frau, die seine Gegenwart scheut, sondern wirkt vielmehr entschlossen. Nun bekommt er es erst recht mit der Angst zu tun. Ihr kleinster Versöhnungsversuch, ihr liebliches Lächeln versetzt ihn Panik. Denn was führt sie im Schilde und wozu ist sie fähig?

|Mein Eindruck|

Wie Shiels Erzählung „Huguenins Weib“ geht es hier um das antike Konzept der Seelenwanderung oder Metempsychose. Das Besondere dabei ist der Umstand, dass es kein Vorfahr ist, der Wiedergeburt erlebt, sondern eine Katze. Der richtige Dreh zu einer Rachegeschichte wird dadurch erzeugt, dass es die Katze ist, die der Ich-Erzähler ermordet hat (er sagt nie, auf welche Weise), die wiedergeboren wird und nun auf ihn reagiert, als wäre sie seine Gestalt gewordene Nemesis.

Durchweg ist die breit ausgewalzte Geschichte durch Farbkodierung zusammengehalten. Das weiße Haar der Großmutter findet sich im schneeweißen Fell ihrer Katze wieder, sodass man fast von einer Identität sprechen kann. Tatsächlich hätte nicht viel gefehlt, und Ronald hätte seiner Oma auf dem Weg ins Grab ein wenig nachgeholfen. Der Katzenmord ist also nur ein verschlüsselter Verwandtenmord.

Es verwundert nicht, dass die wiedergeborene Katze ebenfalls ganz in Weiß auftritt, nämlich als obligatorisch weiß gewandete Debütantin Margot. Ronald begegnet ihr zuerst mit Entsetzen, aus keinem ersichtlichen Grund. Dann nennt er sich einen Narren und tanzt mit ihr. Er bezeichnet sie mehrfach als ein Kind, um ihre Unschuld zu betonen. Von Sex ist daher nie die Rede. Stets trägt sie das unschuldige Weiß, wenn sie ihm als Katze erscheint: Er hat die Unschuld gemordet. Folglich hat er nun Angst vor den Folgen seiner Tat.

Das alles ist recht folgerichtig und als griechische Tragödie inszeniert. Doch die zahlreichen Vorausverweise stören die Wucht der Ereignisse und Erkenntnisse. Stets ist der Leser schon vorbereitet, was an Schrecken als nächstes kommt. Vielleicht war dies seinerzeit ein Trick von Fortsetzungsschreibern – und dies ist jetzt die erstmals zusammengestellte Version aller Folgen. (Sie erschien 1895 im „Pall Mall Magazine“ unter dem Titel „A Reincarnation“.) Wie auch immer: So ist schnell die Luft raus, und ich konnte die 60 Seiten nur in Etappen bewältigen, zumal das folgerichtige Ende schon lange vorher abzusehen ist.

_2) R. Murray Gilchrist: Der Basilisk (The Stone Dragon)_

Der Ich-Erzähler begehrt und verehrt die Lady Marina schon seit Wochen vergeblich, doch wenn sie auch seine Anbetung ihrer schier göttlichen Gestalt und Seele anerkennt, so könne sie sie doch nicht erwidern. Sie habe vor langer Zeit einen Blick ins Auge des Basilisken getan, sagt sie, und seitdem sei ihr Herz von Stein.

Doch eines Morgens versetzt sie ihn in Entzücken, als sie ankündigt, sie habe einen Weg gefunden, sein Verlangen, das nun auch das ihre sei, zu erwidern. Dazu müsse sie jedoch dem Basilisken ein Opfer darbringen. Zusammen reiten sie in jenen Sumpf, der wie eine Wildnis am Rande ihrer weitläufigen Ländereien liegt, steigt ab und führt ihn zu einer verborgenen Insel, auf der ein Tempel emporragt.

Sie verbindet ihrem Begleiter die Augen und warnt ihn, sich zu bewegen, bevor sie ihn rufe. Er hört, wie sie die Stufen zu der verschlossenen Tür zum Tempel emporsteigt und anklopft. Ein Schrei dringt heraus, der ihm durch Mark und Bein fährt. Es vergehen Stunden, bis sie zurückkehrt und ihm die Augenbinde abnimmt. Es sei vollbracht, ihr Opfer dargebracht, sagt sie heiter, bevor sie ihn umarmt und küsst. Glückseligkeit!

Nun steht der Verlobung nichts mehr im Wege, eine Feier samt Festessen und Tanz findet in ihrem Hause statt. Allerdings erscheinen ihm die Gestalten, die seiner Braut gratulieren, eher wie Titania und Oberon sowie etliche Trolle. Die erste gemeinsame Nacht vergeht wie ein Traum aus Sinnlichkeit und Liebe. Doch das Erwachen ist grausam. Denn auch von ihm verlangt der Basilisk ein Opfer …

|Mein Eindruck|

Dies ist eindeutig eine Geschichte über Sexualität. Weil der Autor homosexuell war, ist diese angedeutete Sexualität eine verbotene. Zwischen sehnsüchtiger Liebe und der Erfüllung des Verlangens steht jedoch der Basilisk als Symbol des Schreckens und als Ungeheuer, dem ein Opfer zu bringen ist.

In der Geschichte sieht der Ich-Erzähler im dunklen Spiegel seiner Liebsten tatsächlich eine Chimäre aus Hahnenkopf und Schlangenleib, aber auch einen schönen Mann – den Dämonengott. Hat sie sich diesem Geliebten hingeben müssen, wie einst die Tempeljungfrauen des alten Griechenland?

Wie sich zeigt, ist dieses Opfer ausreichend für eine Nacht, doch der Morgen bringt bereits das Ende – für beide. Die Frage ist jedoch, woher diese Art Erbsünde der Lady Marina rührt. Was hat sie eigentlich verbrochen, dass sie den Basilisk gesehen hat? Wir erfahren nur Andeutungen, die mit Geheimlehren wie der Kabbala und der Astrologie zu tun haben.

Dieser unzulängliche Hinweis ist der einzige Makel an dieser wunderbaren Geschichte. Denn anzudeuten, dass Lady Marina nicht mehr rein = jungfräulich sei, kam bei den Viktorianern einem Schandmal gleich (erst recht, sollte es sich um Kindesmissbrauch handeln!). Und wer sie dennoch begehrt, bekommt es mit dem Basilisken zu tun, der sich unterschiedlich deuten lässt, so etwa als verbotenes Wissen (Kabbala usw.), verbotene Sexualität und Künste – ihr „flammend rotes Haar“ kennzeichnet Marina als eine Art Hexe – genau wie die Frau in der folgenden Erzählung …

_3) R. Murray Gilchrist: Die Hexe (Witch-in-grain)_

Der Ich-Erzähler ist Herr eines Gutes, doch gehört sein verzweifeltes Herz der schönen Michal. Doch die steckt ihre Nase lieber in philosophische und andere Bücher. Eines Tages erblickt er sie im Hain der fünf Eiben und sieht, wie ein bunter Vogel aus ihrem Brusttuch emporflattert, nicht ohne dort eine Wunde zu hinterlassen. Sie erwacht aus ihrem Sinnen und beklagt sich bei ihm, er habe sie von der Vollendung eines Traumes abgehalten.

Während beide ins Herrenhaus gehen, passieren sie eine merkwürdige Szene. Des Ritters Mannen haben eine Hexe namens Mutter Benmusk gepackt. Michael soll sie mit einem Messer schneiden, befiehlt der Ritter. Doch Michal weigert sich unter Tränen. Daraufhin stecken die Männer die alte Hexe in den nahen Tümpel, von wo sie eine Fluchkanonade loslässt, Erst nach Stunden des Beinahe-Ertrinkens gibt sie erschöpft auf. Beim Grab von König Baldus werde der Ritter um Mitternacht die Wahrheit finden.

Der Mond schwebt über einen kupferfarbenen Wolkenhimmel, als sich der Ritter auf den Weg macht. Doch aus Richtung des Grabes entweichen Scharen von Wieseln, Hasen und Kleingetier durchs Gebüsch. Was hat sie verjagt. Als unser Ritter auf den Grabhügel schaut, erblickt er dort Michal, in Flammen gehüllt. „Und seine Gestalt näherte sich und bedeckte sie mit seiner Schwärze.“

|Mein Eindruck|

Dreimal darf man raten, wer mit IHM gemeint ist. Auf jeden Fall kommt es überraschend, dass die so philosophisch veranlagte Michal nicht mit Gott, dessen Kirchenvertreter sie verhöhnt, im Bunde steht, sondern mit der Satanischen Majestät. Und dass es in dieser Geschichte nicht nur eine Hexe geben soll, sondern gleich zwei.

Die Epoche der Handlung wird nie direkt genannt, aber wenn philosophische Bücher aus Frankreich in Latein abgefasst sind (wie schon im ersten Satz erwähnt), dann handelt es sich wohl um das Mittelalter. Bischöfe sieht man in der Zeit nach Heinrich VIII in England ebenfalls nicht allzu oft (die Klöster wurden zerstört). Und Hexenfolter fand sicherlich nicht zu Zeiten der Aufklärung statt.

In der Charakterisierung der begehrten Frau ähnelt „Die Hexe“ stark „Der Basilisk“: Beide verfügen über geheimes, esoterisches, verbotenes Wissen und locken den liebenden Mann in unbekannte Gefahren. In „Die Hexe“ ist es die Gefahr ewiger Verdammnis.

_4) Ronald Firbank: Eine Tragödie in Grün_

Lady Blueharnis ist angeödet von ihrem Leben, denn ihr Mann, ein hoher Beamter im Außenministerium zu London, ist selten daheim. Müßig streift sie durch die edel ausstaffierten Gemächer, bis sie in die Bibliothek gelangt. Dort fällt ihr suchender Blick auf einen schmalen Band, der in Pergament gebunden ist – wie ungewöhnlich. Sie kann ihrer Neugier nicht widerstehen und nimmt das Büchlein heraus. Es trägt den Titel „Zaubersprüche und Beschwörungen“. Sie beginnt zu lesen und zu träumen …

In London schaut Lord Blueharnis, ihr Mann, verwundert aus dem hohen Fenster seines Amtszimmers auf den St. James Park. Ein Windstoß beugt die Bäume, den grünen Regenschirm einer seit Stunden dasitzenden Parkbesucherin und verwirbelt die sonderbar geformten Wolken.

Wieder einmal beginnt er, an seinen Memoiren zu schreiben. Als er Zweiter Gesandter in Spanien war, fuhr er neben einer geheimnisvollen, schönen Frau auf dem Zug von Sevilla nach Madrid. Als er seinem Schlummer erwachte, hörte sie auf dem gang singen und Gitarre spielen, von der Sonne angestrahlt wie die Jungfrau Maria. Eindeutig eine Kaiserin … Hier bricht sein Eintrag ab, denn das Gebäude stürzt ein.

Zu Ostern sind es sechs Monate, die Lady Blueharnis bereits um ihren verblichenen Gatten trauert. Trauern muss, denn sie hat das Trauern so satt. Es ist anstrengend und man darf nie schöne grüne Kleider tragen. Sie träumt von Negligees, während die Kutsche sie am eingestürzten Haus von Lady Grimaldi vorüberfährt. Noch einer ihrer Opfer, ha! Von ihrem Gatten hat sie lediglich die Memoiren und eine Krawattennadel geerbt. Sie freut sich bereits auf die Einweihung des neuen Außenministeriums, zu der sie ausdrücklich eingeladen worden ist …

|Mein Eindruck|

Der maliziöse Ton der Erzählung liegt auf einer Ebene mit dem von Oscar Wilde in seinen Theaterstücken: pointiert, schadenfroh, bissig – und vor allem entlarvend. Der als Bohémien und Exzentriker bekannt gewordene Autor schildert die englische Upper Class, die sich selbst überflüssig geworden ist.

Nun erhält die gelangweilte, unerfüllte Lady unverhofft große Macht. Sie setzt sie sogleich dazu ein, ihren Gatten zu töten und acht Frauen, darunter zwei weitere Angehörige ihrer Familie. Die Neigung, sich selbst und Ihresgleichen in den Abgrund zu treiben, wird offensichtlich. Der Mann schwelgt unterdessen in Nichtigkeiten und Nostalgie, während sich die Welt draußen unter einem harschen Wind verändert. Es ist eine Welt im Endstadium.

_5) Lady Dilke: Der Schrein des Todes_

Ein fünfzehnjähriges Mädchen wünscht sich, die Geheimnisse des Lebens zu kennen, denn sie will es klüger anfangen als ihre Freundinnen. Als sie eine Hexe, die in der Stadt zu Besuch ist, danach fragt, rät ihr diese boshaft: „Nimm den Tod zum Gemahl, der wird dir diese Geheimnisse enthüllen.“

Doch wo den Tod finden? Lange sucht sie nach der gewünschten Gestalt, nur um schließlich in der Kathedrale eine bemerkenswerte Gestalt zu entdecken: den Tod als Gentleman. Fortan gilt ihr Ansinnen, mit ihm vermählt zu werden, als Zeichen von Irrsinn, doch der Priester rät zum Gegenteil: Auf diese Weise könnte sie sogar davon geheilt werden.

So kommt es, dass sie, gehüllt in einen Brautschleier, zu einem festgesetzten Zeitpunkt von ihren Anverwandten und Freunden zur Krypta mit den Grabmälern der Vorfahren geleitet wird. Dort begegnet sie in der Tat ihrem neuen Gemahl, doch das Buch, das er ihr zeigt, vermag sie nicht zu lesen – die Zeichen hüpfen ständig hin und her. Verzweifelt will sie umkehren, doch dafür ist es zu spät: Die Toten steigen aus ihren Gräbern …

|Mein Eindruck|

Lady Dilke, benannt nach ihrem zweiten Gatten, war eine ausgezeichnete, angesehene Kunstkritikerin und Schriftstellerin. Sie heiratete zuerst den viel älteren Prof. Pattison und begab sich in die gleiche Lage wie ihre Heldin in der Erzählung. Bei Pattison fand sie tatsächlich Wissen, aber auch emotionale Kälte, die schließlich zur Scheidung führte. Bei Lord Dilke geriet sie jedoch vom Regen in die Traufe: Er betrog sie, wurde deshalb angeklagt, doch sie stand zu ihm, was ihr Ansehen noch vergrößerte.

Die Erzählung kommt ohne jeden Namen aus und erhält so den Tonfall einer Legende, wie sie sich fast überall in einem katholischen Land hätte zutragen können, etwa in Spanien, Italien oder Frankreich – beliebte Urlaubsziele der Upper Class. So gewinnt die Story einen exotischen, wenn auch schaurigen Beigeschmack, der die Übermittlung der moralischen Lehre unterhaltsam machte.

_6) Barry Pain: Sklavin des Mondes (The Moon Slave)_

Die junge Lady Viola tanzt für ihr Leben gerne und bedauert die Männer, die zwar technisch einwandfrei tanzen können, doch denen die Leidenschaft abgeht, die sie selbst erfüllt. Um der Konvention zu genügen, verlobt sie sich mit Lord Hugo, einem mittelprächtigen Mann, doch in dessen Schloss entdeckt sie etwas Aufregendes: ein Labyrinth.

Wie angezogen gelangt sie in die Mitte des Irrgartens, wo eine freie sandige Fläche geradezu dazu einlädt, im Mondlicht dem Tanz zu frönen. Gesagt getan. Sie fleht den Mond an, sein Licht als Musik herabströmen zu lassen, sie wolle dafür seine Sklavin sein. Tatsächlich erklingen alsbald Sarabanden und Capriccios, um sie zu begleiten.

Fortan verspürt sie Monat für Monat den Drang, in der Vollmondnacht im Znetrum des Labyrinths zu tanzen. Schon bald wird ihr das anfängliche Vergnügen zur Last, die sie erschöpft zurücklässt, doch dem Drang ist zu gehorchen. In der Nacht vor ihrer Hochzeit mit Hugo soll eine Mondfinsternis stattfinden. Doch statt einer leeren Fläche findet Viola einen Besucher vor, der ihr seine höllenheiße Hand reicht …

|Mein Eindruck|

Die moralische Botschaft ist eindeutig: Zügellosigkeit wird mit dem Tod bestraft; wenn schon nicht mit dem leiblichen, so doch zumindest mit dem gesellschaftlichen. Ausschweifung ist sündig und folglich holt den Sünder der Teufel. Dem Autor gelingt es jedoch, diese moralinsauren Botschaften in einer stimmungsvollen Schilderung zu verbergen. Die Pointe folgt erst im letzten Wort des Textes.

_7) Vernon Lee: Der Gekreuzigte (Marsyas of Flanders, 1890)_

Die Geschichte liest sich wie ein kunsthistorischer Krimi. Es geht um die Figur des Gekreuzigten am Kreuz der Kirche von Dunes, einem Dorf in der nordfranzösischen Grafschaft Artois. Das aktuell zu sehende Kreuz sei „une substitution“, wie der Kaplan sagt. Wo aber ist dann das echte Kreuz, um das es seinerzeit so viel Aufhebens gab?

„Seinerzeit“, das war die fromme Zeit nach den ersten Kreuzzügen, also zwischen 1195 und 1299. Im Jahr 1185 wurde die Figur des Gekreuzigten nach einem Sturm an der Küste von Dunes angeschwemmt. Sie war so schön, dass man sie schon bald mit einem Fest der Kreuzerhöhung der Gemeinde zeigte. Doch schon bald zerbrach das Kreuz, an dem sie hing, in drei Teile. War es nicht richtig geweiht worden?

Doch auch das zweite, sorgfältig geweihte und überdies noch genau bewachte Kreuz zerbrach. Noch dazu berichtet der Wächter, die Figur habe sich auf dem Kreuz gekrümmt und bewegt, als litte sie Schmerzen. Dies erzeugte einen Wunderglauben, der wiederum Pilgerscharen anlockte, die Geld in die leeren Kassen der Kirche spülten.

Doch dieser Pilgerstrom versiegte. Die Kunsthistorikerin sucht in den Papieren, die 1790 beim Sturm auf den Bischofssitz von den Revolutionsgarden erbeutet wurden. Sie muss tief graben, um auf einen Prozess im Jahr 1299 zu stoßen, bei dem der Wachmann einige erstaunliche Aussagen machte. Er war der Hexerei und des Teufelsbundes angeklagt. Er berichtet von Lichtphänomenen, Geheul, Flöten und Pfeifen – allesamt in und um die Kirche herum, jeweils vor einem aufziehenden Sturm.

Endlich bekommt die Kunstbeflissene die echte Figur zu sehen, irgendwo ganz hinten im Gerümpel einer Kirche. Da erkennt sie, ebenso wie ihr geistlicher Führer, dass es sich gar nicht um eine Jesusfigur handelt, sondern vielmehr um eine von Marsyas, jenem von Apoll gequälten und schließlich gehäuteten Satyr, der behauptet hatte, er spiele besser Flöte als der Gott …

|Mein Eindruck|

Das Jahrhundert zwischen 1195 und 1299 lag bekanntlich vor der Renaissance, als die Antike in Westeuropa wiederentdeckt wurde. Deshalb konnten die Zeitgenossen den Satyr gar nicht als solchen erkennen, sondern hielten ihn, weil gekreuzigt, für Jesus. Der Aberglaube verklärte die Krümmungen der Figur zu Wundern, wohingegen es nach heutiger – mystischer – Ansicht um Abwehrbewegungen des heidnischen Satyrs gegen das christliche Kreuz handelte: Marsyas wurde sozusagen erneut gefoltert.

Aber warum ist dann die Figur nochmals durchbohrt worden? Die Antwort ist einfach: Marsyas verkörpert als Satyr das zügellose, schamlose und somit unchristliche Begehren nach Fleischeslust. Darum die Pfählung à la Dracula.

Als wäre das nicht schon ironisch genug, erfindet die Autorin auch noch einen Kirchenprozess wegen Hexerei und Teufelsglaube. Einer Verbrennung auf dem Scheiterhaufen kann der verhörte, zehn Jahre lang im Kerker gehaltene Wachmann gerade noch entgegen, ebenso sein Abt. Die erwähnten Flöten und Schalmeien sind natürlich die Musikinstrumente eines Satyrs; sie waren ja der Zankapfel zwischen Marsyas und Apoll.

Auch dies ist wieder höchst ironisch, wirft es doch ein vielsagendes Licht auf die Gläubigen jener Zeit. Doch ist der Umgang der Gegenwart des Jahres 1890 so viel besser als die des Jahres 1299, scheint die kunstsinnige Autorin zu fragen. Vernon Lee alias Viola Paget war Expertin für italienische Kunst des 18. Jahrhunderts und wurde von G.B. Shaw, H. G. Wells und Henry James als intelligenter und verteufelt kritischer Geist (fast) gelobt.

_8) Vernon Lee: Die gnadenreiche Madonna (The Virgin of the Seven Daggers, 1889_

In Granada betet Don Juan zur Madonna der sieben Dolche um Vergebung seiner zahlreichen Sünden und Liebesdingen wie auch Morddingen. Die prächtig geschmückte Madonna in ihrer prächtig geschmückten Kirche nickt huldvoll. Frischen Mutes begibt sich Don Juan mit einem neuen verwegenen Plan zu Baruch, dem Juden. Nichts anderes als einen sagenhaften Goldschatz gilt es zu heben – und eine tote Prinzessin zu küssen.

Die beiden Nekromanten begeben sich nächtens zum Turm der Zypressen unweit der Alhambra und vollziehen ihr unheiliges Ritual. Als Dämonen und anderes Gelichter auftauchen, fleht der verängstigte Baruch den Grafen von Miramor an, von seinem unchristlichen Tun abzulassen, doch der Don denkt gar nicht daran.

Sobald der Hahn, der noch nie gekräht hat, in die brodelnde Kräter- und Knochensuppe geworfen ist, öffnet sich das magisch verschlossene Portal zur Grabkammer von König Yahya von Cordoba. Flugs ersticht Don Juan den Juden, um aller Schulden ledig zu werden, wirft ihn in den Abgrund und durchschreitet kühn das Portal.

Die Passage ist tief und unheimlich, von Fledermäusen durchflogen und von mahnenden Stimmen der verflossenen Geliebten erfüllt. Doch Don Juan drängt vorwärts, den Degen in der Hand, denn es gilt, eine tote Infantin zu wecken. Er tritt in eine schlafende Welt ein, die jedes irdische Paradies in den Schatten stellt, doch der Wächter nicht achtend schreitet er voran, bis er zum Diwan gelangt, darauf die Prinzessin ruht. Eine Duenna und ein Eunuch wachen über sie, doch auch sie weist der Graf in die Schranken.

Die namenlose Prinzessin ist selbstredend nicht nur unsagbar schön, sondern auch kostbar gekleidet und geschmückt. Sie lässt die Duenna übersetzen, die wiederum dem Eunuchen Bescheid gibt. Dieser hebt sein Szepter und fragt den Don, ob die Infantin schöner sei als Juans Ex-Geliebte Catalina. Er stutzt, dass sie von Catalina weiß, sagt aber ja. Und sei sie schöner als Viola? Aber ja. Und schöner als die fünf anderen Geliebten, um deretwillen Juan unaussprechliche Sünden begangen hat? Aber ja doch! Und sogar schöner als die Madonna der sieben Dolche?

Da bleibt Juan erst die Spucke weg, dann sagt er bestimmt: „Nein!“ Die Strafe für diese Beleidigung Ihrer Hoheit folgt auf dem Fuße: Juan wird enthauptet. Doch er erwacht irgendwo auf halbem Weg in die Stadt. Seltsamerweise bemerkt ihn keiner, und so folgt er einer seltsamen Blutspur, die zum Hospital führt. Eine Menschenmenge hat sich vor dessen Portal versammelt. Juan schlängelt sich hindurch, um den Patienten zu sehen, der so blutet. Bestürzt erblickt er seinen eigenen Körper, mit dem Kopf daneben..

Doch Don Juan, dem Gespenst, steht noch ein weiteres wunderliches Abenteuer bevor …

|Mein Eindruck|

Der größte Liebhaber seiner Zeit (um 1600) wird also vor eine Art Gericht gestellt, vor dem er Farbe bekennen muss. Er muss à la Paris ein Urteil über Schönheit abgeben, das ihn allerdings seinen Kopf und seine Seele kosten kann. Den Kopf verliert er zwar, doch nicht seine Seele, denn die ist ihm lieb und teuer. Dies gelingt ihm, weil er der titelgebenden Madonna die Treue hält. Dies ist also auch ein religiöses Urteil, dem er sich unterwirft. Als Belohnung von der ewig Huldvollen wird der große Sünder in den Himmel erhoben …

Der Text ist lang und voller schwülstig wirkender Beschreibungen von preziösen Dingen, so etwa des Kleides und des Schmucks der Prinzessin. Halb so viel Beschreibung, und aus dieser Erzählung wäre eine knackige Nekromantenstory geworden. So aber muss sich der Leser durch aufeinandergestapelte Adjektive wühlen, unter denen die Sätze schier zusammenbrechen – die berüchtigte „purple prose“, die schon James Joyce in „Ulysses“ (1922) parodierte. Keine leichte Lektüre, aber eine ziemlich ungewöhnliche.

_9) Vernon Lee: Die Puppe (The Doll, 1900)_

Die Ich-Erzählerin ist eine verheiratete Engländerin, die sich mit alter italienischer Kunst auskennt (genau wie die Autorin) und die umbrische Landschaft ring um Foligno liebt. Während sie auf die Ankunft einer Freundin wartet, lernt sie in dieser Marktstadt den Antiquar Oreste kennt, der viele Geschichten über die alte Zeit weiß. Er empfiehlt ihr, das Angebot eines alten chinesischen Teeservices zu begutachten. In einem Palazzo.

Dieser Stadtpalast beherbergt jedoch nur noch eine uralte Haushälterin. Am nächsten Tag führt sie die Besucherin durch die Räume. Dabei fällt deren Blick auf eine dasitzende wunderschöne Frau. Doch nein, es ist eine lebensgroße Puppe. Das Haar ist zwar gemalt und im Hinterkopf ist ein Loch im Pappmaché, doch die gefalteten Hände sind in Seidenhandschuhe gehüllt. Jemand hat sie geliebt. Es ist das Abbild der ersten, geliebten Frau des Großvaters des jetzigen Grafen.

Sie starb schon nach zwei Jahren, die sie verheiratet waren, doch er vergaß sie nicht, sondern ließ diese Puppe anfertigen, die er jahrelang besuchte, um mit ihr zu sprechen. Nach seinem Tod wurde sie sehr vernachlässigt. Unsere Engländerin fühlt sich sehr angerührt, denn auch mit ihrer eigenen Ehe steht es nicht zum Besten. Am Tag vor ihrer Abreise bittet sie den Antiquar, die Puppe zu besorgen. So ungewöhnlich die Bitte auch ist, so würde der jetzige Graf doch seine eigene Großmutter verkaufen, bekäme er dafür nur ein wenig Geld.

Hinterm Haus des Antiquars erstreckt sich ein Garten, der in einen Weinberg übergeht. Hier errichten Oreste und seine Freundin einen kleinen Scheiterhaufen und bereiten der Gräfin eine würdige Feuerbestattung – um sie von ihrer Pein zu erlösen, wie er lobend sagt.

|Mein Eindruck|

Diese kleine, aber feine Geschichte schildert, wie das richtige Stück Kunst den Betrachter selbst nach langer Zeit noch anrühren kann. Besonders in dem Fall, dass eine Art Seelenverwandtschaft besteht, wie bei der Engländerin. Diese ist offenbar unglücklich in ihrer konventionellen Ehe, fern von ihrem Mann, und fühlt sich verlassen und einsam. Erst recht, wenn ihre Freundin ausbleibt.

Sehr schön hat die Autorin die gebirgige Umgebung in ihrer Schönheit zu beschreiben gewusst und legt einen intensiven Sinn für die alte Kultur von Foligno an den Tag. Es waren diese beiden Fähigkeiten, die Vernon Lee einen bleibenden Ruf einbrachten.

_10) Arthur Machen: Ein Idealist (1897)_

Mr Symonds geht von seinem Büro, wo er den ganzen Tag mit Kollegen gearbeitet, nach Hause. Von der Fleet Street begibt er sich jedoch nicht schnurstracks hinaus in seinen schäbigen Vorort, sondern er schlendert durch die engen Gassen weitab der Hauptstraßen. Er ärgert sich über die banalen, dummen Späße und Witze seiner Kollegen, betrachtet lieber die Wolken und Dämonen. Und er schaut anderen Leuten ins Zimmer. Daheim angekommen, setzt er sich nach dem Essen an seine Lieblingsbeschäftigung: das Ausstaffieren einer Puppe. Die stellt er dann ans Fenster. Passanten können nicht umhin, deren seltsamen Schatten zu sehen …

|Mein Eindruck|

Eine Geschichte ohne Handlung, eine Skizze im Grunde, und doch von eigenem Reiz. Der „Idealist“ lebt in seiner eigenen Welt und er nimmt die Welt um ihn nicht wie die gewöhnlichen Spießer in seinem Büro wahr, ganz im Gegenteil: Die Welt birgt ein Geheimnis. Er sucht und findet es überall. Doch er selbst hat auch ein Geheimnis, und das macht ihn so rätselhaft. Worin mag es bestehen?

_11) Arthur Machen: Der Club, den es nicht gibt (1890)_

Austin und Phillips sind zwei elegant gekleidete Stutzer, die einander fast wie ein Ei dem anderen gleichen. Klar, dass sie erst einmal einen heben gehen, einen Chianti am Piccadilly Circus. Als sie aufbrechen wollen, geht ein Platzregen nieder, vor dem sie Schutz suchen, zufällig unter einem großen Torbogen.

Als sie sich umsehen, merken sie, dass das Tor zu einem imposanten Haus führt, in dem ein Klub untergebracht ist, in dem Phillips‘ Freund Wylliams Mitglied ist. Und da kommt er auch schon heraus. Sie bitten ihn, ihnen Einlass zu gewähren. Er ist unter der Bedingung einverstanden, dass sie keiner Menschenseele von diesem Klub erzählen. Gebongt, na klar!

Drinnen treffen sie jede Menge Bekannte im Klub, den es nicht gibt, doch sie haben ihr Wort gegeben, so zu tun, als würden niemanden wiedererkennen. Alle scheinen auf etwas zu warten. Endlich erscheint eine führende Persönlichkeit, die alle begrüßt und ein großes Buch aufschlägt. Das Ritual sei allen bekannt: Wer die schwarze Seite aufschlage, sei diesmal fällig.

Alle folgen dem Ritual, und wen es trifft, ist der untröstliche John d’Aubyn, ein Spross aus altem Adel. Er werde verschwinden, gibt Wylliams Auskunft. Aber doch nicht wirklich und für immer, oder, vergewissert sich Phillips besorgt. Natürlich nicht. Aber es vergehen nur drei Monate, bis die Zeitung ebendieses Verschwinden d’Aubyns melden. Er wurde zuletzt an jenem 16. August gesehen, als sie im Klub waren.

Sie stellen Wylliams zur Rede. Der weiß von nichts, hat ein Alibi, war woanders und überhaupt: Was soll diese Frage? Der Klub ist unauffindbar. Da war also nie was. Aber warum sind die beiden Freunde dann so niedergeschlagen?

|Mein Eindruck|

Die Furie des Verschwindens macht sich, wie in der nachfolgenden Erzählung, zunehmend in der modernen Gesellschaft breit. Vornehmlich unter jungen Männern, denn sie sind erstens tonangebend, zweitens haben sie (noch) keine Kinder, für die sie sorgen müssen. Das Ritual der schwarzen Seite, das dem Zufall tödliche Folgen einräumt, erinnert an Rituale aus Internaten (Hogwarts beispielsweise).

Doch ihm eignet schon ein Hauch des Absurden, wie es im Surrealismus und bei Lewis Carroll gepflegt wird. Das Absurde ist eine Folge der Anonymisierung und des Gottesverlusts: Da ist, wie Yeats sagte, kein Zentrum mehr, das den Einzelnen oder die Gemeinschaft hält („the center cannot hold“). Die Endzeit hat begonnen.

_12) Arthur Machen: Die Tür öffnet sich … (1931)_

Der Journalist, der uns berichtet, hat ja schon einige merkwürdige Geschichten erlebt, Sachen, die leider nicht für jede Zeitung geeignet sind. Dazu gehören etwa seltsamen Schatzfunde oder die Geschichte des Secretan Jones, dem „Seelsorger von Canonbury“. Der Geistliche Jones, der mit Leserbriefen und Diskussionsrunden über das künftige Verkehrswesen Londons, schon im Jahr 1905 von sich Reden gemacht hat, ist eines Tages spurlos verschwunden. Und kehrte sechs Wochen später wieder zurück, als wäre nichts gewesen.

Klar, dass unser Chronist der Sache auf den Grund gehen will. Mühselig erarbeitet er sich das Vertrauen des alten Herrn, was ihm besonders nach seiner Offenbarung, er stamme ebenfalls aus dem walisischen Grenzgebiet, gelingt. (Was auch auf den Autor zutraf.) Nun geht Secretan Jones mehr aus sich heraus. Er habe ja schon einige Dinge verlegt, sich aber nicht mehr an den Ablageplatz der Dinge erinnert. Aber sein eigenes Verschwinden ist ihm völlig unerklärlich.

Er erinnert sich noch, dass er einmal, als ihn ein Gedankengang besonders beschäftigte und aufwühlte, zur hinteren Gartentür gegangen sei. Doch die lässt sich so schwer öffnen, dass er sie normalerweise nie aufmacht. Dahinter liegt ein Weg, der alle Häuser in dieser Reihe miteinander verbindet. Bei jener Gelegenheit habe er spielende Kinder gesehen. Als er in sein Zimmer zurückkehrte, waren sechs Wochen unmerklich vergangen …

|Mein Eindruck|

Die Furie des Verschwindens hat wieder einmal zugeschlagen, wie schon in der vorhergehenden Erzählung über den „Klub, den es nie gab“. Entweder gilt dieser intersubjektive Erklärungsansatz – oder die ganze Sache ist rein subjektiv und auf einen geistigen Zusammenbruch von Secretan Jones zurückzuführen. Dies vermutet zunächst auch unser Chronist, und Jones kann nicht umhin, diese Möglichkeit einzuräumen. Denn einmal sah er sich irgendwo im Londoner Stadtteil Islington und wusste nicht, wie er dorthin geraten war.

Von Alzheimer hatte man selbst anno 1931 noch nichts gehört, aber Zivilisationskrankheiten wie Krebs, Depressionen und dergleichen gab es bereits zur Genüge. Doch dies alles scheint wenig hinreichend, um das große Rätsel zu erklären, das Mysterium und Inkommensurable an sich, welches in Arthur Machens Denken und Werk eine zentrale Rolle spielt. Und so verwundert es nicht, dass auch Jones, wie schon die Klubmitglieder, eines Tages spurlos verschwindet.

Der Autor gibt auf diese Weise seiner eingangs geäußerten Sorge Ausdruck, dass es heutzutage niemanden mehr kümmert, wenn ein Mensch ums Leben kommt oder auf Nimmerwiedersehen untertaucht. Er führt dies aber nicht auf die Anonymität der Existenz des Einzelnen zurück, sondern greift auf das Mysterium zurück – eine Art Leerstelle, in der wir alle unsere Existenzberechtigung aufgeben.

_13) Matthew Phipps Shiel: Huguenins Weib_

Ein Freund, der seit Jahren auf der griechischen Insel Delos, lebt, ruft unseren Chronisten im Juni 1899 um Hilfe. Dieser bricht sofort von London aus in die Ägäis auf. Huguenin lebt seit dem Tod seiner Frau Andromeda alleine in seinem Anwesen auf dem Gipfel eines Hügels. Er sieht abgemagert und verwirrt aus, findet der Besucher. Andromeda war eine begnadete Malerin und verehrte die altgriechischen Götter, allen voran Apollon, dem Delos heilig war, weil er hier geboren wurde. Doch es gibt eine Prophezeiung, wonach Samos und Delos dereinst dem Erdboden gleichgemacht würden.

Ein roter Faden, den Andromeda wie weiland Ariadne einst verlegte, verbindet die wichtigsten Kämmern des Anwesens. Dies ist auch der Weg zu einem der schrecklichsten Anblicke, die der Chronist je gesehen hat: ein Gemälde der Verstorbenen von einem Monster. Indem er dem roten Faden bis ans Ende folgt, gelangt der Besucher zum Gefängnis dieser Bestie. Sofort kehrt er um.

Als sich am 13. August 1899 das historische Erdbeben ereignet, das Delos und Samos minutenlang erschüttert, kommt das Monster frei …

|Mein Eindruck|

Das pikante Detail, das beide Phänomene vereint, ist der Umstand, dass das Grab von Andromeda, das Huguenin anlegen ließ, leer ist! Dies lässt den (nicht ganz logischen) Schluss zu, dass sich die Seele der Maler in der Bestie niedergelassen hat. Die altgriechische Idee der Seelenwanderung (Metempsyche) ist eines der vorherrschenden Themen in der Erzählung. Und so muss es während des Bebens ein Ende mit Schrecken für Huguenin und die Bestie / seine Frau geben …

Wie schon in „Vaila“ nimmt es mit einem weltmüden und abgeschieden lebenden Mann ein schlimmes Ende. Auch das ist ein Motiv, das Shiel von Poes „Der Fall des Hauses Usher“ übernommen hat. Diesmal findet der „Fall“ jedoch nicht im kalten Norden, sondern im sonnendurchglühten Süden statt, noch dazu durchwoben vom Glauben an die alten Götter.

Ich fasse dies als Abrechnung mit der neuheidnischen Begeisterung des esoterischen Fin-de-siècle auf, ganz besonders aber an „Madame“ Helena Petrovna Blavatsky (1831-91) und ihrem Kreis von theosophischen Scharlatanen, der ab ca. 1875 viele okkultistische Ideen in die höheren Gesellschaftsschichten der USA, Europas und Vorderasiens trug. (Mehr dazu in der Wikipedia.) Sie wurde mehrfach des Betrugs bezichtigt und überführt. Sie kam beispielsweise auf die Idee von Wurzelrassen, die dann im weiteren zur Ideologie einer arischen Herrenrasse und „minderwertigen“ Sklavenrassen ausgebaut wurde.

Das Monster ist selbstverständlich lediglich eine Metapher. Die Chimäre mit dem Medusenhaupt kann alles Mögliche verkörpern, manifestiert aber vor allem die Seelenwanderung. Unterschwellig wirkt hier der Lamia-Mythos von der Liebhaberin, die sich mit ihrem Geliebten (oder einem geraubten Kind) nicht paart, sondern ihn tötet und verschlingt. (Mehrfach zitiert der Autor den Dichter John Keats und dessen Lamia-Gedicht.) Die Zeustochter Lamia (siehe Wikipedia) wird auch Mutter der Sibyllen betrachtet, die wiederum Apolls Seherinnen waren, die auf Delos ihr zentrales Heiligtum hatten – es passt also alles zusammen.

Übersetzt in poetische Bedeutung sagt der Autor also, dass die Chimäre des alten Götterglaubens die Moderne zu verschlingen droht. Die Moderne ist in Huguenin, dem weltmüden Eremiten, sowie im Chronisten verkörpert. Letzterer entkommt dem Inferno des Erdbebens mit viel Glück, um von Huguenins Ende zu berichten.

_14) Matthew Phipps Shiel: Vaila (1896)_

Der Ich-Erzähler folgt nach zwölf Jahren der Trennung seinem Studienfreund Haco Harfager, der ihn auf seinen Familiensitz eingeladen hat. Diesen Familiensitz liegt auf Vaila, einer der Shetland-Inseln nordöstlich von Schottland. In einem Fischerboot nähert sich der Erzähler der sturmumtosten und meerumschäumten Insel und erinnert sich, dass Haco schon immer ein gespaltenes Verhältnis zu seiner Familie hatte: Sie wurde im 14. Jahrhundert durch einen Brudermord gegründet. Entgegen der Anweisung des Mörders und Brauträubers, dessen Baumeister umkam, wurde der Familiensitz nicht am vorgesehenen Ort errichtet, sondern dort, wo ihn angeblich der Ermordete haben wollte: in einer Felsenbucht auf Vaila.

Bei der Annäherung bemerkt der Besucher die außerordentliche Lage des kreisrunden Gebäudes: Es liegt auf einer kahlen Felsplatte zwischen einem brausenden Wasserfall und dem anbrandenden Meer. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Nachdem er eine Steinbrücke überquert hat, erhält er Einlass von einem skelettartigen Diener namens Aith. Dann erst trifft er Haco. Dieser hat sich verändert und ist noch schwerhöriger geworden als zuvor. Er verständigt sich mit seinem Freund, indem er auf eine Schiefertafel schreibt. Das Gebäude vibriert unter dem äußeren Lärm. Fast ganz aus Metall, schwingt es an den schweren Ketten, die es auf der Felsplatte vor dem Abrutschen ins Meer bewahren.

Sie bestatten Hacos Mutter in der Familiengruft, in der es vor Wasserratten wimmelt. Tatsächlich ist der Sarg an den Füßen offen, so dass die Ratten sich an den Toten gütlich tun können. Wenn sie sich zum Kopf vorarbeiten, berühren sie drei Schnüre, an denen Klingeln hängen. Sie lässt sich die Zeit messen. Aber es gibt noch einen größeren Zeitmesser: Eine Kugel, aus der seit dem Jahr 1389 Bleikügelchen in ein Becken mit Regenwasser fallen – jede Minute eines. Und exakt 500 Jahre später, also 1889, werden die letzten drei fallen, prophezeit die Familienlegende. Von den Harfagers sind nur noch Haco und seine Schwester Swertha am Leben.

Worauf Haco wirklich wartet, ist jedoch der einmal in 20 Jahre auftauchende große Sturm, der Hurrikan, der alle Strukturen und Befestigungen des runden Metallgebäudes auf den Prüfstand stellt. Und als dieser Sturm eintrifft, nähern sich nicht nur der äußere Ort dem Chaos, sondern auch der Verstand der vier Menschen, die darin gefangen sind, der Zerreißprobe …

|Mein Eindruck|

Die meisterlich aufgebaute und stilistisch exzellente Erzählung steigert sich in einem Crescendo der Gefühle und Gewalten zu ihrem furiosen Höhepunkt. Ähnlich wie in Poes „House of Usher“ begibt sich der Besucher in eine bizarre Welt, in der eine seltsame Familie lebt. Wie bei Roderick Usher und seiner (toten?) Schwester Madeleine ist auch hier eine Überempfindlichkeit der Sinne festzustellen, wie sie laut Poe bei überalterten, dekadenten Sippen zu finden sei: das Gehör. So ist Haco Harfager in der Lage, trotz des irren äußeren Lärms aus Wasserfall und Brandung das feine Klingeln am Sarg seiner Mutter zu vernehmen, das die nagenden Ratten verursachen. Dennoch muss er sich schreibend mit seinem Freund verständigen.

Noch bizarrer als die Außenwelt und die Bewohner des Hauses ist das Gebäude selbst, das geradezu einen Preis für den teuflischsten Entwurf verdient (man denke an seine Erbauungsgeschichte). Aufgehängt an den Ketten, ist es wie ein Kreis in der Mitte von einer massiven Metallsäule gestützt. Als die Ketten unter der Wucht des Sturms brechen und das Dach weggerissen wird, beginnt sich der Kreisel zu drehen, schneller und immer schneller. Dieses Bild steht für die Vergänglichkeit des auf einen Brudermord aufgebauten Familiengebäudes. Wie im „Haus Ascher“ muss auch dieses Haus fallen – und im Wasser, aus dem wir alle kommen, versinken, genau wie bei Poe.

Der Autor hat seine Meistererzählung, die schon Lovecraft lobte, mit zahlreichen Zitaten aus der Geschichte der Physiologie gespicht, wenn es um die Verfeinerung der Sinne geht, und aus der Bibel, wenn apokalyptische Analogien gefragt sind, so etwa aus der „Offenbarung“, aus den Propheten und den Büchern Mose. Daran lässt sich die beeindruckende Bildungsfülle und Gelehrtheit des Autors ablesen, der Mathematik lehrte und Medizin studierte, bevor er sich der Literatur zuwandte.

_15) Matthew Phipps Shiel: Tulsa_

Der namenlose Ich-Erzähler erwacht in einem Sarkophag in der Gruft von Maharajas. Er ist ein kleiner Junge, doch der für die Gruft zuständige Priester erklärt ihn zur Reinkarnation des vorhergehenden Maharajas von Lavona. Er wird eindringlich vor roten Schlangen und Feuer gewarnt, denn diese wären seinen Vorfahren zum Verhängnis geworden.

Der Junge studiert die alten Schriften und stößt dabei auf seinen ersten Vorfahren, einem Mann namens Oban. Der habe einen schrecklichen Frevel begangen, indem er eine heilige Jungfrau aus dem Tempel geraubt und geheiratet habe. Auch er wurde ein Opfer von Feuer und Schlangen. Der lesende Maharaja schwört drei heilige Gelübde. Doch wie vorauszusehen, bricht er alle drei nacheinander.

Noch mit sechzig Jahren mischt sich der sehr zurückgezogen lebende Herrscher in das Leben seiner Untertanen ein, als er eine junge Witwe, die ihrem verstorbenen Gatten auf den Scheiterhaufen folgen, in letzter Sekunde vor dem Feuer rettet. Liegt es am Opium und Haschisch, das er regelmäßig konsumiert, oder verwandelt sich die gerettete Tulsa selbst zusehends in eine jener roten Schlangen, die seine Vorfahren getötet haben?

|Mein Eindruck|

Für den Fluch, der auf dem Geschlecht der Maharajas von Lavona liegt, gibt es keinerlei Grund. Dies entspricht dem Vorbild des Hiob, der ebenfalls völlig unverschuldet in größtes Unglück gestürzt wird, weil es Jahwe so gefällt. Andererseits könnte man argumentieren, dass Oban mit der Heirat einer heiligen Tempeljungfrau eine Art Ursünde begangen hat, die fortan an seine Nachfahren vererbt wird, ohne dass eine Art Erlösung von diesem Fluch auch nur im entferntesten möglich wäre.

Selbst ein Rückzug in die tiefsten Gewölbe eines Tempels, wo der Ich-Erzähler seine letzten Chronik-Zeilen verfasst, bewahrt ihn nicht vor Schlangen und Feuer … Bis zur nächsten Wiedergeburt mit schlechtem Karma.

Neben einer sehr altertümlichen Diktion zeichnet sich die Erzählung durch eine Fülle von religiösen Bezügen aus Hinduismus, Buddhismus und anderen Religionen aus. Auf die Religionen des Westens wird despektierlich herabgesehen, war die indische Hochkultur schon längst mit den Veden fertig, als die jüdischen Apostel noch ihre Evangelien verfassten. Offensichtlich beschäftigte sich der hochgebildete Autor intensiv mit dem Thema Seelenwanderung, Karma und Reinkarnation auseinander.

_Anhänge_

Die zwei Anhänge liefern willkommene Informationen zu den Übersetzern und editorische Notizen zu den Quellen der in den zwei Bänden abgedruckten Texte. Diese zwei Anhänge ergänzen die manchmal umfangreichen Biografien zu den einzelnen Autoren und den ausgewählten Beiträgen.

_Unterm Strich_

Die Themen dieser Erzählungen sind sicherlich nicht jedermanns Geschmack, aber es gibt ja immer mehr Liebhaber des Gothic-Stils, die damit etwas anfangen können. Die Todessehnsucht, die verwischte Grenze zwischen Leben und Tod und schließlich wiedergeborene Tote – sie alle bevölkern als Metaphern, Symbole und sogar Allegorien diese Erzählungen.

Der zweite Band enthält konventionellere Erzählungen, in dem Sinne, als die Themen der Wiedergeburt, der Erbsünde und vor allem des Verschwindens uns heute vertrauter sind als jene barock verbrämten Schicksale von Mondsüchtigen und Frauenhassern, die im ersten Band zu finden sind.

Herausragend sind für mich nicht etwa Hichens‘ langweilige und langwierige Novelle, die den Band eröffnet, sondern vielmehr die Beiträge von Shiel, Gilchrist und Vernon Lee (alias Viola Paget). Über Shiel habe ich an anderer Stelle berichtet („Huguenins Weib“ im Klett-Cotta-Verlag). Firbank fällt mit seiner malizösen „Tragödie in Grün“ aus dem Rahmen. Es ist, als würde sich Oscar Wilde zu Wort melden. Ähnlich ironisch ist Lady Dilkes Beitrag, doch birgt ihr Beitrag harsche Kritik aus Frauensicht.

Von dem (auch hier) vielgerühmten Arthur Machen gefiel mir lediglich seine dritte, recht ausführliche, aber umso wirkungsvollere Erzählung „Die Tür öffnet sich …“. Auch sie lässt die Furie des Verschwindens los, wie sie so häufig in dieser Zeit und diesen Erzählungen auftaucht (und wenn es mal nichts Namenloses ist, dann sicherlich Satan höchstpersönlich, der einen Verdammten holt, so etwa die „Sklavin des Mondes“).

Doch die Verarbeitung in Gestalt einer Zeitversetzung – in unserer Welt vergehen sechs Wochen, in Jones‘ Welt nur ein Moment – mutet fast wie eine Idee aus der Science-Fiction an. Das ist wirklich faszinierend. Die Realität, seit Darwin, Marx und Feuerbach eh schon durchlässig, ist nun endgültig kein sicheres Zuhause mehr.

|Die Edition|

Als Sammlerausgabe ist dieses Buch jedoch eine herausragende editorische Leistung. Sie zeigt sich nicht nur in den sorgfältigen, fehlerlosen Übersetzungen, sondern auch in der umfangreichen Einleitung und den kenntnisreichen Vorstellungen der einzelnen Autoren, die mitunter mit aktuellen Details aufzuwarten wissen, so etwa zum Enoch Soames Day am 3. Juni 1997. Auf diese Weise erübrigt sich ein Stichwortverzeichnis für den Doppelband. Der Band liefert zumindest das Quellenverzeichnis im Sinne einer primärliterarischen Bibliografie nach.

|Hardcover: 320 Seiten
Aus dem Englischen von Frank R. Scheck und anderen
ISBN-13: 9783898402729|
[www.blitz-verlag.de]http://www.blitz-verlag.de

_Frank Rainer Scheck bei |Buchwurm.info|:_
[„Berührungen der Nacht“ Englische Geistergeschichten in der Tradition von M. R. James]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5606
[„Als ich tot war (Dunkle Phantastik der britischen Dekadenzzeit – Band 1)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7180

Anderson, Kevin David/Stall, Sam – Nacht der lebenden Trekkies, Die

_Das geschieht:_

Nachdem er in Afghanistan mit seinen Männern in einen Hinterhalt geriet, ist Ex-Soldat Jim Pike mit den Nerven am Ende. Längst ist er aus dem Militärdienst ausgeschieden; nie wieder will er Verantwortung übernehmen und hat deshalb als Mädchen für alles im Botany Bay Hotel in Houston, US-Staat Texas, angeheuert, wo er wie erhofft eine ruhige Kugel schieben kann.

Aktuell geht es im Hotel freilich turbulenter als sonst zu. Es wurde für den „Golf-Con“, eine „Star-Trek“-Convention, gemietet. 3000 Wochenendgäste werden erwartet, von denen die meisten in den Kostümen und Masken ihrer Lieblings-TV-Serie/n auftauchen werden.

Während die ersten Gäste eintreffen, braut sich nicht weit entfernt Unheil zusammen: In einer geheimen Militärbasis kommen außerirdische, ungemein aggressive Parasiten frei, die Menschen befallen, töten und in Zombies verwandeln, die dem Willen einer Kollektiv-Intelligenz unterworfen sind. Ihr Primärziel ist die Schaffung neuer Wirtskörper und damit die Ausbreitung der Kreatur, die sich im infizierten Körper durch die Ausbildung eines dritten Auges bemerkbar macht. Die Untoten ‚vermehren‘ sich bzw. übertragen den Parasiten, indem sie ihre Opfer beißen.

Schnell wird Houston von Zombies überrannt. Auch im Botany Bay Hotel merkt man, dass etwas Ungewöhnliches vorgeht. Da die Besucher einer Convention sich schon normalerweise merkwürdig verhalten, dauert es eine Weile, bis sich der Verdacht zur Gewissheit verdichtet. Bald treiben Zombies auf den Gängen und in den Zimmern ihr Unwesen. Pike muss alte Soldatentugenden wiederbeleben, zumal irgendwo in dem riesigen Hotel seine jüngere Schwester Rayna steckt. Zusammen mit einigen Gefährten und bewaffnet mit klingonischen und vulkanischen Hieb- und Stichwaffen nimmt Pike den Kampf gegen die Untoten entschlossen auf …

_Der Untote als ultimativer Eindringling_

Gibt es eigentlich langweiligere Ungeheuer als Zombies? In der klassischen Romero-Version sind sie langsam und dumm, aber selbst besser zu Fuß bleiben sie hässlich, gefräßig und stur. Vor allem in der reinen Masse werden sie gefährlich, während man sie einzeln durch das gezielte Zertrümmern des Schädels ausschalten kann.

Damit sind die beiden Eckpfeiler des typischen Menschen-gegen-Zombie-Dramas definiert. Sie stehen eng zusammen, denn im Grunde dreht es sich darum, dass Partei II – die Zombies – Partei I – die Menschen – fressen will, was Partei I zu verhindern und Partei II zu dezimieren versucht. Dabei kommen Waffen jeder Art und Größe ins Spiel und zum Einsatz, was den ohnehin hohen Ekel-Faktor noch einmal nach oben treibt.

Hauptsächlich sind Zombies attraktiv, weil sie tot sind. Je nachdem, wie lange dies der Fall ist oder wie arg sie vor ihrer Wiederkehr verletzt wurden, sehen sie hübsch hässlich aus: verwesende Mumien, denen in der Regel Körperteile fehlen. Als wandelndes Memento Mori erinnert der Zombie den Menschen daran, wie es ihm nach dem Tod ergehen wird. Normalerweise schützt ein möglichst tiefes Grab vor der unmittelbaren Erkenntnis. Diese Grenze überschreitet der Untote, der sich um die Wahrung persönlicher Distanz nicht schert.

|Zombie-Dienst nach Vorschrift|

Darin erschöpft sich freilich das Potenzial der Untoten. Wer wüsste dies besser als George A. Romero, der ihnen in (bisher) sechs Filmen ein Denkmal gesetzt und ihre Untiefen ausgelotet hat? Daher steht fest, dass er spätestens in „Dawn of the Dead“ und damit bereits im zweiten Teil dieses Sextetts alles Relevante zum Thema gesagt hatte; hinzu kam nur noch die angedeutete, aber nie wirklich ausgeführte intellektuelle Wiedergeburt der Zombies.

Stattdessen torkeln, stöhnen und beißen sie sich bis auf den heutigen Tag tumb durch alle Medien der modernen Unterhaltung. Aktuell sind sie wieder ganz groß da. Ihre natürlich vorgegebenen Limitierungen – Leichen sind einfach nicht lebhaft – konnten sie nicht überwinden. Vor genau diesem Dilemma stehen auch Kevin D. Anderson und Sam Stall, die nunmehr Zombies durch Texas toben lassen. Ihnen kamen exakt zwei Einfälle, um dem daraus resultierenden Gemetzel ein wenig Würze zu verleihen.

So sind diese Zombies außerirdischer Natur. Ihre Hirne werden von einem Kollektiv-Parasiten telepathisch zusammengeschaltet, was die Untoten als Schwarm funktionieren lässt. Nach außen wird dies – wenig logisch – durch ein drittes Auge symbolisiert, das den Zombies aus der Schulter oder dem Schädel wächst. Originell ist das nicht, und die Umsetzung erregt zusätzliches Stirnrunzeln, da sich die kollektive Intelligenz mal raffiniert und dann wieder stockdämlich verhält.

|Untot aber im Kostüm|

Idee Nr. 2 besteht darin, die Welt der Zombies mit den unendlichen Weiten des „Star-Trek“-Franchises in Kontakt zu bringen. Nicht einmal auf den ersten Blick mutet diese Vereinigung originell an. Was haben Trekkies und Zombies miteinander zu tun? Überhaupt nichts, was zu beweisen Anderson & Stall sicherlich unfreiwillig gelingt.

Faktisch spielt „Star Trek“ ohnehin keine Rolle – kaum verwunderlich, da das mächtige Franchise, dem nicht Originalität, sondern ausschließlich eine ausgeglichene Bilanz am Herzen liegt, eine konsequente Paarung sicherlich nicht geduldet hätte. Folgerichtig ist der „Golf-Con“ in Houston eine Veranstaltung ohne Beteiligung von „Star-Trek“-Darstellern. Die „Panels“ mit entsprechenden Auftritten sind jedoch das Salz in der Convention-Suppe. Dort darf selbst der Statist, der in der „klassischen“ Folge Nr. XY für zwei Sekunden die dritte Leiche links neben Captain Kirk mimte, auf eine Einladung als Ehrengast hoffen.

|Was nicht passt, wird nicht passend gemacht|

Somit geht es um ganz normale Zeitgenossen, die sich gern kostümieren und dabei von Zombies überfallen werden. Durchaus kenntnisreich wirken zwar die Blicke hinter die Kulissen einer Convention. Für Anderson & Stall (sowie ihre Verlage in den USA und in Deutschland) scheint jedoch die „Star Trek“/Zombie-Kombination DIE Sensation zu sein. Sie negieren, dass die Zombies so wie hier beschrieben auch den Jahreskongress einer Versicherungsgesellschaft sprengen könnten.

Die Handlung hat jedenfalls mit dem „Star-Trek“-Ambiente kaum jemals zu tun und bedarf seiner auch gar nicht: Menschen und Untote jagen einander auf die weiter oben beschriebene Weise durch ein Hotel. Dass sie „Star-Trek“-Kostüme tragen, ist zumindest den Zombies herzlich gleichgültig, und Splatter wird nicht faszinierender, weil die Opfer die Fantasie-Uniformen bekannter Fantasie-Figuren tragen. Nicht einmal der Titel ergibt einen (witzigen) Sinn: Anders als „Die Nacht der lebenden Toten“ bedeutet „Die Nacht der lebenden Trekkies“ überhaupt nichts. „Die Nacht der untoten Trekkies“ wäre einleuchtender gewesen. (Oder gelten Trekkies per se als lebende Tote?)

|Die üblichen Verdächtigen|

Ebenso aufgesetzt ist die „Star-Trek“-Affinität der Figuren. Unter den Kostümen und Masken kommen simple Archetypen zum Vorschein: der gebrochene aber in der Krise zu sich zurückfindende Held (Pike), die schöne (und leichtbekleidete) Frau an seiner Seite (Lea), die kleine Schwester als Objekt einer gefährlichen Rettung (Rayna), der schmucke aber schurkische Feigling/Verräter (Matt), der vom Fußabtreter zum Helden mutierende Nerd (Gary) sowie eine lange Kette weiterer bekannter Klischee-Gestalten.

Jim Pike, der gleich zwei „Star-Trek“-Helden (James T. Kirk und Christopher Pike) verkörpert, soll dem simplen Hit-&-Run-Geschehen Tiefe verleihen, indem er die bunte Convention-Welt der grau(sam)en Realität – hier symbolisiert durch das Reizwort „Afghanistan“, das zumindest den US-Leser nicht kaltlässt – gegenüberstellt. Auf dem Weg zurück zu Verantwortung und Heldentum zitiert Pike hin und wieder Grundwahrheiten aus Gene Roddenberrys hinterlassenem Schatz bedeutungsarmer Binsenweisheiten: Lerne mit „Star Trek“ für das Leben, soll dies wohl suggerieren.

Um „Die Nacht der lebenden Trekkies“ zutreffend charakterisieren zu können, muss man das hohle Werbe-Getöse (|“Die ultimative Star-Trek-Parodie“|) ignorieren sowie die Handlung von ihrer Maske trennen. Es bleibt ein ganz normaler, überraschungsarmer aber – immer dies ist eine Überraschung – routiniert geschriebener Horror-Roman.

_Autoren_

Um die Frage zu beantworten, ob Sam Stall ein „Autor“ ist, müsste dieser Titel präziser definiert werden. Er schreibt jene Bücher, die auf den Sonderverkaufs- und Ramschtischen im Eingangsbereich moderner Buch-Supermärkte ausliegen. Man liest sie eigentlich nicht, da sich ihr Informationsgehalt in engen Grenzen hält, sondern kauft sie als hoffentlich witziges (und kostengünstiges) Verlegenheitsgeschenk für Kollegen, die man kaum kennt, oder Verwandte, die man nicht mag. Von dieser Einweg-Literatur (über Hunde, Katzen, weise Schimpfworte, verhasste Idole oder die Cafeteria-Kultur des US-Staates Indiana) produziert Stall mehrere Titel jährlich.

Kevin David Anderson schreibt seit 2003 phantastische, gern ‚lustige‘ Kurzgeschichten, die in diversen Magazinen sowie online erschienen sind. „Night of the Living Trekkies“ ist sein erster Roman.

|Taschenbuch: 301 Seiten
Originaltitel: Night of the Living Trekkies (Philadelphia : Quirk Books 2010)
Übersetzung: Ronald M. Hahn
ISBN-13: 978-3-453-52855-0

Als eBook: ISBN-13: 978-3-641-06522-5|
[www.samstall.com]http://www.samstall.com
[www.kevindavidanderson.com]http://www.kevindavidanderson.com
[www.randomhouse.de/heyne]http://www.randomhouse.de/heyne

_“Star Trek“ bei |Buchwurm.info|:_
[„Sternendämmerung“ (Star Trek) 673
[„Sternennacht“ (Star Trek) 688
[„Star Trek Voyager – Das offizielle Logbuch“ 826
[„Star Trek V – Am Rande des Universums“ 1169
[„Jenseits von Star Trek“ 1643
[„40 Jahre STAR TREK – Dies sind die Abenteuer …“ 3025
[„Star Trek Deep Space Nine: Neuer Ärger mit den Tribbles“ 4171
[„Star Trek Voyager: Endspiel 4441
[„Star Trek – Vanguard 1: Der Vorbote“ 4867
[„Star Trek – Titan 1: Eine neue Ära“ 5483
[„Star Trek – Next Generation: Tod im Winter“ 6051
[„Star Trek – Next Generation: Widerstand“ 6141
[„Star Trek – Next Generation: Quintessenz“ 6199
[„Star Trek: Deep Space Nine – Sektion 31 – Der Abgrund“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6378
[„Star Trek: Götter der Nacht“ (Destiny 1)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6622

Joe Schreiber – Star Wars: Der Todeskreuzer

Es gibt ja nichts, was es nicht gibt. Da ein Horror-Roman im „Star Wars“-Universum lange zu den Dingen zählte, die es bis dato wirklich noch nicht gab, wurde im Ersterscheinungsjahr 2009 darob eine recht umfangreiche Internet-Werbekampagne gestartet. Allerdings war davon hierzulande dann nicht mehr so viel zu sehen und |Blanvalet| veröffentlichte die deutsche Fassung Joe Schreibers „Death Troopers“ eher unspektakulär im August 2010, als der künstlich erzeugte Hype aus den USA bereits deutlich abgeflacht war. „Der Todeskreuzer“, wie er hierzulande heißt, gehört zu den so genannten „Expanded Universe“ (kurz UE) Storys von George Lucas epochaler Sternenkrieger-Saga. Das heißt, er hat der eigentlichen Kerngeschichte nichts elementar beizutragen, sondern benutzt hauptsächlich die Kulisse und Figuren – in diesem Fall dürfen zwei sehr bekannte Schmuggler am Grauen teilhaben: Han Solo und Chewbacca.

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Robert Jackson Bennett: Mr. Shivers

In den 1930er Jahren verfolgt eine Gruppe verzweifelter Landstreicher einen Serienkiller; Hunger, Unwetter und das korrupte Gesetz erschweren die Jagd auf „Mr. Shivers“, der womöglich dämonischer Herkunft ist … – Vor historischem Hintergrund zeichnet der Autor das Bild einer US-Nation im Untergang, in das sich übernatürliche Elemente unheilvoll harmonisch einfügen. Land und Leute werden einprägsam geschildert; die Intensität eines Joe Lansdale oder Jack Ketchum geht Robert J. Bennett freilich (noch) ab.
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Malfi, Ronald – Snow – Die Kälte

_Das geschieht:_

Anwalt Todd Curry wollte seinen Sohn, Kate Jansen ihren Verlobten, Fred und Nan Wilkinson wollten ihre Tochter besuchen. Sie müssen nach Des Moines im US-Staat Iowa, doch alle stranden sie am Heiligen Abend auf dem Flughafen von Chicago: Heftige Schneefälle und Stürme haben den Flugverkehr lahmgelegt.

Die Entfernung zwischen Chicago und Des Moines beträgt nur 500 km. Das Quartett – vom Pech zusammengewürfelt – beschließt, die Fahrt trotz der damit verbundenen Gefahren mit dem Automobil zu wagen. Weit kommt man nicht; Curry gerät irrtümlich vom Highway ab, und als er auf einer Nebenstraße beinahe einen einsamen Wanderer überfährt, landet der Wagen in einer Schneewehe und wird so stark beschädigt, dass an eine Weiterfahrt nicht zu denken ist.

Glücklicherweise ereignete sich der Unfall nahe der kleinen Ortschaft Woodson. Zu Fuß erreicht man dieses Ziel, doch nicht Hilfe, sondern der Tod wartet auf die Neuankömmlinge: Seltsame Wesen materialisieren sich aus Schneewirbeln. Sie dringen halbstofflich in die Körper ihrer menschlichen Opfer ein, die sie anschließend ihrem Willen unterwerfen. Die dabei entstandenen Mischwesen sind kannibalische Mörder, die sich zwar töten lassen, wobei der Eindringling jedoch unbeschadet in sein Zwischenreich zurückkehrt.

Nur wenige Einwohner haben überlebt. Die Verkäuferin Shawna Dupree kann die unfreiwilligen und entsetzten Gäste zunächst retten und sie über die Situation in Kenntnis setzen. Von außen wird keine Rettung kommen. Die Kreaturen und das Wetter haben Woodson isoliert. Man ist gegen die schussfeste Übermacht auf sich allein gestellt. Bald finden die Wesen die kleine Gruppe, die trotz verzweifelter Gegenwehr reduziert wird. Allerdings entdecken die Menschen im Gegenzug, dass die Kreaturen nicht gänzlich unverwundbar sind …

_Guter, alter, nie altmodischer Horror_

In letzter Zeit kann der Freund des ‚richtigen‘ Horrors das Gefühl der Verzweiflung erschreckend leicht heraufbeschwören. Es genügt der Gang in eine beliebige Buchhandlung und der Blick in die mit „Phantastik“ überschriebenen Fächer: Dort drängen sich jene aktuell erfolgreichen Machwerke, in denen sich glutvolle Vampire oder Engel oder ihre einkaufsfetischistisch veranlagten weiblichen Gegenstücke tummeln und treiben, was vorzugsweise Jungmädchen für sexy oder schick halten. Die immer gleichen Geschichtchen vermehren sich wie die Karnickel bzw. setzen unzählige Klone in die Welt, wo diese wiederum endlose Serien austreiben.

Darüber hinaus wird dümmlicher Sex-&-Splatter-Trash für permanentpubertierende Leserkreise feilgeboten: Eindimensionale Monster schlagen breite Blutschneisen durch machtlose Menschenmengen, bis ihnen leichthirnige aber schwer bewaffnete Einzelgänger Einhalt gebieten.

Mit Erleichterung reagiert der Leser, der solche Platt- und Plumpheiten verabscheut und sich lieber traditioneller grault, auf die Entdeckung eines Romans, dessen denglischer Titel eigentlich keine nahrhafte Genrekost signalisiert. Umso erfreulicher ist die Entdeckung, dass hier ein Autor ganz altmodisch einen Job erledigt, der ganz einfach lautet: Unterhalte dein Publikum, ohne es für dumm zu verkaufen!

|“Simpel“ ist kein Schimpfwort|

Wobei dieses Publikum wie gesagt eben nicht nur aus b(lut)rünstigen Jugendlichen besteht, sondern auch Leser einschließt, die mit einer echten Story überrascht werden möchten. Dieser rote Faden kann ruhig dünn sein; hier bringt schlechtes Wetter eine kleine Gruppe in eine isolierte Stadt, die von Ungeheuern belauert wird. Die sich daraus ergebenden Ereignisse wurden in tausend Filmen und zehntausend Romanen durchgespielt. Auch „Snow“ bietet weder Neues noch Originelles, kann aber mit der bestmöglichen Alternative dienen: Ronald Malfi weiß, wie man an der Spannungsschraube dreht!

Als fachkundiger Horror-Handwerker orientiert er sich grob am Großmeister des US-Kleinstadt-Horrors: „Snow“ erinnert an ein Werk von Stephen King (speziell an „Under the Dome“, dt. „Die Arena“). Freilich kopiert Malfi sein Vorbild hauptsächlich in der sorgfältig entwickelten und getimten Dramaturgie des Schreckens: Dieser setzt langsam und unmerklich ein und bietet zunächst nur Bruchstücke eines Gesamtbildes, das der Verfasser uns nicht schwatzhaft erklärt, sondern das er im Geschichtsfluss entstehen lässt.

Wir wissen nie mehr als die Unglücksraben, die es nach Woodson verschlägt. Informationen erhalten wir wie sie, indem wir die Straßen des Städtchens ‚beobachten‘, den Schilderungen der wenigen Überlebenden ‚zuhören‘ oder gemeinsam mit unseren Helden Nachforschungen anstellen.

|Jedermann & Jedefrau in der Krise|

Es sind keine Supermänner oder -frauen, die in Woodson um ihr Leben kämpfen. Sie mutieren auch nicht zu solchen, nachdem sie im Feuer (bzw. hier im kalten Schnee) geprüft und gestählt wurden: Solche Quantensprünge überlässt Malfi den weniger inspirierten Autoren. Seine Figuren sind Getriebene, Entwurzelte, Verlierer, denen es jetzt zu allem Überfluss auch noch ans Leder geht. Angst und Überlebenswillen setzen zwar kurzfristig Kräfte und Kampfgeist frei, doch mangelndes Wissen führt oft dazu, dass der Schuss buchstäblich nach hinten losgeht. Fehltritte und -schüsse führen zu neuen, verhängnisvollen Ereignissen.

Dass die Handlung dennoch voranschreiten kann und ein allmähliches Sammeln von Wissen damit einhergeht, fordert ganz realistisch Opfer. Malfi treibt das Element der Unsicherheit auf die Spitze: Wir wissen nicht, was geschehen, und wir wissen nicht, wen es als Nächsten erwischen wird! Auch aufwändig eingeführte Hauptfiguren sind davor keineswegs gefeit.

Die Krise bringt zudem nicht zwangsläufig das Positive zum Vorschein: Woodson ist ein Mikrokosmos des allzu Menschlichen. Mit offenen Armen werden die Flüchtigen nie empfangen. Wer seine kleine Nische vor den Monstern gefunden hat, will Sicherheit, Wärme und Nahrung nicht teilen. Kleine Geister wittern ihre große Chance und wachsen als Diktatoren oder religiöse Fanatiker unheilvoll über sich selbst hinaus.

|Was im Schnee umgeht|

Die daraus resultierenden Konflikte ermöglichen es Malfi, sparsam mit den Auftritten seiner Ungeheuer umzugehen. Gern sind die Menschen mit sich selbst beschäftigt. Manchmal ist der Leser sogar froh, dass die Kreaturen sich wieder bemerkbar machen: Sie bringen von außen Bewegung in die Handlung!

Dies ist ihr Primär-Job, und deshalb ist es gar nicht nötig, ihre Herkunft detailliert zu klären. Sind es Naturgeister? Unwillkommene Gäste aus einer fremden Dimension? Außerirdische? Wichtig ist: Es sind Jäger, sie sind teuflisch schlau, und ihnen ist mit Waffengewalt nicht beizukommen. Erforderlich sind Gewalt und Köpfchen, wobei beide Elemente sich die Waage halten: Schließlich ist „Snow“ kein Psycho-Thriller und will es auch nie sein.

Malfis Monster erfüllen ihre Aufgabe gut: Sie sind groß, es gibt sie in den Versionen bizarr bis hässlich, und ihr Verhalten sorgt jederzeit für Schrecken. Die Möglichkeit der Kommunikation ist im Romankonzept nicht vorgesehen. Ungeheuer sind und bleiben Ungeheuer. Man spricht nicht mit ihnen, man kämpft mit ihnen und rottet sie aus.

|Mit Volldampf in die Zielgerade|

„Snow“ gäbe die Grundlage für keinen guten aber einen unterhaltsamen Film ab. Ungeachtet der Frage, ob Malfi bei der Niederschrift schon mit einem Auge gen Hollywood schielte, sind entsprechende Stilmittel deutlich erkennbar. Die Handlung bietet sowohl regelmäßige Action-Einschübe als auch Pausen, in denen nicht nur die Figuren (= Darsteller) verschnaufen können. In solchen Momenten der Ruhe gibt es Rückblenden. Die Figuren erinnern sich an ihre Vergangenheit oder erzählen einander davon. Wirklich notwendig ist es nicht. Anders als der schon genannte Stephen King verfügt Malfi zudem nicht über das Talent, Klischees zu entstauben und Figuren in Menschen zu verwandeln. Sie bleiben Monsterfutter.

Die Verfolgungsjagden und Duelle mit den Kreaturen oder mit durchgedrehten Zeitgenossen steigern sich in ihrer Intensität. Wie ein Film steuert die Handlung klar auf einen finalen Höhepunkt zu. Alle relevanten bzw. noch lebenden Figuren werden zum letzten Gefecht antreten. Die Menschen sind hoffnungslos in der Unterzahl. Noch einmal wird aus Leibeskräften gestorben. Aber siehe: Wer lange genug die Zähne zusammengebissen und ein wenig Glück hat, wird mit einem Ende belohnt, das zwar nicht happy ist – wir leben schließlich im zynischen 21. Jahrhundert -, aber die üblichen Verhältnisse immerhin monsterfrei wiederherstellt. Ein bisschen Zuckerguss gibt’s noch dazu: Wer bisher sein Kind vernachlässigt oder dem falschen Mann hinterhergerannt ist, wird zukünftig alles besser machen.

Das ist wie gesagt alles keine Kunst, sondern Handwerk. Ronald Malfi beherrscht es so gut, dass man von ihm hierzulande hoffentlich noch mehr lesen wird – ein Gefühl der Erwartung, das der Horrorfreund im Wust des Trash-Grusels fast schon verloren wähnte. (Vielleicht stimmt der deutsche Verlag die Veröffentlichung des nächsten Malfi-Titels ein wenig besser auf die Jahreszeit ab …)

_Autor_

Ronald Damien Malfi wurde am 28. April 1977 als ältestes von vier Kindern in New York City, Stadtteil Brooklyn, geboren. Er studierte Englisch an der Towson University nahe Baltimore in Maryland. Seinen Abschluss machte Malfi 1999. Ebenfalls ab 1999 spielte er Gitarre und sang in der Alternative-Rock-Band „Nellie Blide“, die bis 2002 bestand.

Noch in den 1990er Jahren erschienen zahlreiche Kurzgeschichte und Novellen. Er beschränkte sich keineswegs auf Phantastisches, sondern mischte genreübergreifend Horror mit Thriller, triviale mit ‚hoher‘ Literatur. (Die dafür getischlerte Schublade nennt sich „Art House Horror“)

Seit 2000 schreibt Malfi auch und vor allem Romane. Seine Figuren sind meist Menschen, die den Halt oder gar ihre Identität verloren haben. Die daraus resultierende Unsicherheit schilderte Malfi meisterhaft in seinem Roman „Shamrock Alley“ (2009), der auf Erlebnissen seines Vaters, eines Undercover-Agenten, basierte, der eine Straßengang infiltrierte. Für „Shamrock Alley“ wurde Malfi 2010 mit einem „Independent Publisher Book Award“ für den besten Spannungs-Roman des Jahres ausgezeichnet.

|Taschenbuch: 384 Seiten
Originaltitel: Snow (New York : Leisure 2010)
Übersetzung: Jürgen Langowski
ISBN-13: 978-3-453-52852-9

Als eBook: Juli 2011
ISBN-13: 978-3-641-06076-3|
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[www.randomhouse.de/heyne]http://www.randomhouse.de/heyne

Scheck, Frank R. / Hauser, Erik (Hrsg.) – Als ich tot war (Dunkle Phantastik der britischen Dekadenzzeit – Band 1)

_Makaber bis bizarr – dekadent eben_

„Furcht und Leidenschaft, Verfall und Tod: Das sind die großen Themen der britischen Dekadenzphantastik. In 30 makabren geschichten – die meisten davon deutsche Erstveröffentlichungen – gewinnt das dunkle Erbe der Dekadenz faszinierende Gestalt.“ (Verlagsinfo)

Das vorliegende Buch ist der erste von zwei Bänden, in denen sich bekannte Autoren wie Jerome K. Jerome („Drei Mann in einem Boot“), Max Beerbohm, M. P. Shiel („Huguenins Frau“) und Arthur Machen („Der große Gott Pan“) wiederentdecken lassen.

_Die Herausgeber _

Frank Rainer Scheck, geboren 1948, Studium der Germanistik, Philosophie und Theaterwissenschaften. Seit 1976 Lektor in einem deutschen Verlag, seit 1993 freier Schriftsteller. Veröffentlichung mehrerer Sachbücher, langjährige Beschäftigung mit der Literatur des Phantastischen; diverse Publikationen, zuletzt die Anthologie (mit Erik Hauser) „Berührungen der Nacht“ (Leipzig 2002).

Erik Hauser, geboren 1962, Studium der Anglistik, Germanistik sowie der Vergleichenden und Allg. Literaturwissenschaft. Magister und Staatsexamen. 1997 Promotion mit einer Dissertation über den „Traum in der phantastischen Literatur“ (Passau 2005). Gymnasiallehrer in Mannheim und Lehrbeauftragter an der Uni Heidelberg.

_Das Vorwort_

Der Herausgeber Scheck betont zunächst die Alleinstellung der vorliegenden Anthologie: Es handle sich um die erste ihrer Art nicht nur im deutsch-, sondern auch im englischsprachigen Raum. Das ist erstaunlich, hat es doch schon etliche Gothic-Tales-Anthologien gegeben, so etwa von Joyce Carol Oates („Zombie“) und Patrick McGrath („Spider“). Deshalb findet es Scheck nötig, seinen Begriff der Dekadenten Phantastik vom Gothic-Begriff abzugrenzen.

Für ihn und v. a. für Hauser erstreckt sich diese Dekadenz von 1937 bis zum Ersten Weltkrieg, erst in Frankreich, dann – in der Nachfolge Poes – auch im viktorianischen Großbritannien, jedoch nur sehr rudimentär in Deutschland. Mit Exponenten wie Oscar Wildes „Bildnis des Dorian Gray“, dem Werk Baudelaires, Poes, M.P. Shiels, Verlaines und anderen ist es in der Tat schwer, eine Abgrenzung zu finden. Hauser erhöht diese noch, indem er die französischen Symbolisten wie Baudelaire und Verlaine hinzurechnet, die Ästhetizisten wie Theophile Gautier und sogar Teile des Naturalismus.

Aber da es sich um eine Anthologie BRITISCHER Erzähler handelt, fällt es dem Uneingeweihten schwer, Namen wie M.P. Shiel, O’Sullivan usw. zuzuordnen. Nur Arthur Machen („Der große Gott Pan“) und Jerome K. Jerome („Drei Mann in einem Boot“) dürften allgemein bekannt sein. Scheck teilt sie alle summarisch der britischen Dekadenz zu.

Kein Wunder also, das sich am Schluss Scheck rechtfertigen muss, dass er nicht zehn oder 20 weitere Geschichten ausgewählt hat und es bei exakt 30 Erzählungen bewenden lassen musste. Natürlich ließ er alle Romane und Novellen außen vor und nahm vor allem Kurzgeschichten auf.

Damit die Verwirrung nicht zu groß wird, ist jedem der Autoren eine mehrseitige Kurzbiografie vorangestellt, die ihn oder sie ausgezeichnet charakterisiert.

_Die Einleitung (Erik Hauser)_

Während Scheck die makroökonomischen und kulturhistorischen Hintergründe der Dekadenz auszeichnet, ist es Hausers Aufgabe, die psychologischen Entstehungsbereiche aufzuspüren. Leider, so gibt er zu, gebe es immer noch keine hinreichende Erklärung, wie aus ökonomischen Veränderungen wie der Industriellen Revolution ein Metapherngeflecht in Geistergeschichten und anderen Phantastika entstehen könne.

Ein Erklärungsansatz könne sein, dass sich das anonymisierte Individuum, das vom industriellen Kapitalismus zu einem namenlosen Humankapital reduziert worden ist – in London lebten anno 1911 rund 4,5 Mio. Menschen -, wie ein Gespenst vorgekommen sein muss: wurzellos, unschuldig verurteilt, im Bemühen, dass man sich seiner erinnere.

Diese Bedingungen mussten ihre Auswirkungen auf die Kultur und Geistesgeschichte haben. Die Untersuchung dieser Voraussetzungen führt zu einem Überblick über die Ausformungen und die Akteure der englischen Dekadenz, insbesondere auf literarischer Ebene. Am Schluss wird die Frage gestellt, ob die Dekadenz überhaupt schon vorüber ist oder immer noch anhält – denn den Hochadel gibt es ja schließlich auf der Insel immer noch.

_Die Erzählungen _

_1) Vincent O’Sullivan: Als ich tot war_

Ein junger Mann stirbt und merkt es nicht. Deshalb verblüfft es ihn zunächst, dass sich die Bediensteten so merkwürdig wie Trauernde aufführen. Keiner reagiert auf seine Berührungen. Als am nächsten Tag seine unausstehliche Schwester eintrifft, versucht er ihr ein Messer in den Hals zu stoßen. Zwecklos. Sie läuft nur zeternd davon, die Leiche blute. Am dritten findet der Trauerzug im Schneetreiben statt und er schaut traurig und mutterseelenallein zu. Erst da ruft er Gott an, sich immer noch weigernd, tot zu sein …

|Mein Eindruck|

„Dekadent“ ist hier die Ablehnung des Glaubens an die Götzen der Neuzeit, an die Wissenschaft und die Medizin – und an Gott sowieso. Dieser Atheismus wird jedoch durch den Verlust der Körperlichkeit Lügen gestraft. Am Schluss sehnt sich der Entstofflichte nach der Geborgenheit im Jenseitigen, im Metaphysischen, im „lieben Gott“. Zu spät.

_2) Vincent O’Sullivan: Madame Jahn_

Georges Herbout, ein Pariser Müßiggänger, hat sich in seinem Schlafzimmer erhängt, und so spricht der ganze Faubourg darüber. Doch keiner ahnt, was ihn in den Tod getrieben haben mag, wo er doch gerade das Erbe seiner wohlhabenden Tante, der Madame Jahn, angetreten hatte. Der Erzähler verrät uns den Grund.

Georges führt ein aufwendiges Flaneurdasein, wobei das Gros der Zuwendungen seiner Tante für eine kleine goldblonde Tänzerin draufgeht. Eines Tages teilt ihm der geistliche Beistand seiner Tante auf der Straße mit, Georges werde der Alleinerbe sein, angesichts seiner täglichen Besuche. Diese Neuigkeit spornt den Tunichtgut erst recht an, dem Ableben seiner Tante ein wenig nachzuhelfen: ein Messer ins Herz und fertig. Er denkt sogar daran, es so aussehen zu lassen, dass der Mord auf das Konto des Hausmädchens und seines Geliebten gehe.

Doch schon am ersten Tag nach der Beerdigung der Tante, als sich Georges gerade über das Verjubeln seines neu gewonnenen Reichtums Gedanken macht, tritt ein junges Mädchen in das sorgfältig abgeschlossene Zimmer, geht zu der Schublade, aus der die Tante stets das Geld für Georges holte und setzt sich an den Tisch, um Georges anzustarren. In Panik flieht der Mörder vor diesem Geist. Doch er muss noch sechs weitere nächtliche Erscheinungen überstehen. Wir wissen, dass er das nicht überlebt …

|Mein Eindruck|

Was hier wie eine der üblichen Räuberpistolen klingt, entbehrt nicht einer neuen Motivation: Geldmangel, schon klar, aber nicht aufgrund gescheiterter Investitionen eines Kapitalisten, sondern wegen der hohen Kosten des Müßiggangs. Das ist neu. Der gute Georges muss nicht nur die Tänzerin aushalten, damit sie ihm ihre Gunst gewährt, sondern auch noch beim Pferderennen wetten, um die Mätresse zu bezahlen.

Als blutiger Anfänger hat er auch dort kein Glück, und schon bald sieht er mit Missvergnügen, wie sich die Tänzerin einem anderen Burschen zuwendet – einem Deutschen, ausgerechnet! Die Demütigung ist umso größer, als es ja gerade die Deutschen waren, die der Grande Nation im Krieg von 1870/71 die größte militärische Niederlage der Neuzeit beibrachten.

_3) Vincent O’Sullivan: Willenskraft_

Der Ich-Erzähler verfolgt seine Frau mit solch glühendem Hass, dass ihre Lebenskraft zusehends schwindet. Ihr einziges Verbrechen: blendende Schönheit. Als sie endlich im Sterben liegt, spricht sie zu ihm. Warum er ihr stummes Flehen um Gnade nie erhört habe? Er antwortet nicht. Sie werde ihm jetzt seinen Willen tun, doch solle er sich nicht in Sicherheit wiegen: Noch aus dem Grab werde sie ihm die Seelenruhe rauben, denn sie habe sich mit den Mächten des Todes verbündet. Er lässt sie neben einer verfallenen Abtei begraben und begibt sich auf Weltreisen.

Nach seiner Rückkehr beginnen die Albträume, sobald er die Gräber neben der alten Abtei auch nur anschaut. Schließlich krabbelt in einer Neumondnacht ein riesiger Käfer auf seinen Esstisch. Seine zwei roten Augen hypnotisieren den Betrachter. Verzweifelt versucht sich der Erzähler bei seiner toten Frau freizukaufen: Geschmeide, Preziosen und allerlei Wertvolles und Seltenes wirft er in ihre Gruft. Es ist nie genug. Schließlich wird er neben ihr begraben. Kaum ist das Grab zugedeckt, hören die Trauergäste zwei Stimmen. Sie könne ihm nie vergeben, denn dies stehe außerhalb ihrer Macht. Als man die Gruft entsetzt öffnet, bietet sich den Totengräbern ein verwunderliches Bild des Grauens …

|Mein Eindruck|

Schönheit als Verbrechen – darauf konnten bloß die Viktorianer kommen (und die Puritaner machten es ihnen in den USA vor). Dies ist keine morbide Romantik mehr, in der schöne Frauen die „Krankheit zum Tode“ in sich tragen (Tuberkulose war eine Volkskrankheit), dies ist eine Verfolgung der Schönheit. Kein Wunder also, dass der grundlos hassende Mann am Schluss die gerechte Strafe von den Mächten des Todes erhält.

Die Story ist straff erzählt und berührt den Leser. Der Schluss liefert eine passende Pointe.

_4) Arthur Quiller-Couch: Das Spiegelkabinett_

Reggie Travers hasst Gervase bis aufs Blut, und zwar so sehr, dass er ihm aus dessen Klub folgt, um ihn auf offener Straße niederzuschießen. Sein früherer Studienkollege Gervase hat es zu etwas gebracht und ihm schließlich auch noch die geliebte Elaine ausgespannt. Reggie hingegen ist zerlumpt und völlig abgebrannt. Doch sein Plan wird vereitelt, als zwei Polizisten ihn stellen und durchsuchen wollen. Da taucht Gervase auf und kauft ihn quasi frei. Er führt ihn zu einem bestimmten Haus im Norden des Londoner Stadtzentrums.

In diesem Haus fanden früher Kartenspiele statt, solange bis der ständige Verlierer, ein Graf C., daraus einen Spiegelsaal bauen ließ. So, das hoffte er wohl, konnte ihn seine Mitspieler ihn nicht mehr betrügen. Der Saal steht schon seit Langem leer und es riecht nach Ratten. Gervase wischt den Staub ab, setzt sich an den Spiegeltisch und legt seine eigene Pistole darauf. Zeit sich zu unterhalten. Wird Reggie aber jemals seine Elaine wiederbekommen?

|Mein Eindruck|

Das Leben ist ein Glücksspiel, und man muss schon ein verdammt guter Spieler wie Gervase sein, um den Sieg davonzutragen. So lautet wohl die Moral von der Geschicht. Leider bringt der Autor diese Story nicht besonders gut auf den Punkt, sondern verliert sich gern in Nebensächlichkeiten und kopiert dabei noch Poes Story „William Wilson“. Nicht gerade ein erinnernswerter Beitrag zu dieser Auswahl.

_5) Bernard Capes: Der Wasserfall_

Der einsame Bergwanderer verliert den rechten Weg irgendwo im Berner Oberland. Einzig der blasse Aiguille Verte weist ihm im Mondschein den Weg. So gelangt der Wanderer in ein einsam gelegenes Bergdorf namens Bel-Oiseau (schöner Vogel). Da fällt ihm ein schwachsinniger Bursche direkt vor die Füße. Es ist Camille, Sohn von Madame Barbière, die den müden Wanderer gnädig aufnimmt, denn es gibt sonst keine Herberge in dem Weiler.

So kommt es, dass er von Madame erfährt, wie Camille vor acht Jahren seinen Verstand verlor und mondsüchtig wurde. Es gibt an einem der Wasserfälle der Umgebung eine ganz besondere Stelle in einer kleinen Höhle. Und wenn das Licht des Vollmondes in einem ganz bestimmten Winkel in den Hintergrund dieser Höhle fällt, entsteht ein besonderer Effekt: ein überirdischer Glanz. Dieser Anblick raubte Camille den Verstand.

Neugierig geworden sucht der Wanderer ebenfalls nach dieser Erscheinung und wird auch mit Camilles Hilfe tatsächlich fündig. Allerdings muss er noch ein paar Tage warten, bis der Mond wieder voll ist und der Bach genügend Wasser führt. Wird er bald ebenfalls des Wunders ansichtig werden – und wahnsinnig werden?

|Mein Eindruck|

Das Göttliche direkt zu sehen, ist den Menschen verboten. Numinose Anblicke können daher nur vom Abglanz des Wunders der höheren Welt erhascht werden. So auch hier. Nur unter ganz bestimmten Bedingungen lässt sich das Wunder erblicken, und auch nur von dem, der dafür Opfer darbringt und in Demut kommt.

Das Wunder zu sehen, ist jedoch mit Gefahren verbunden – sonst verlöre es ja seinen Wert. Die größte Gefahr ist für unseren Wanderer und Ich-Erzähler nicht körperlicher Natur, sondern geistiger. Wird es ihm wie einst Camille ergehen?

Diese Story wurde sicher nicht von einem Katholiken geschrieben, sondern von einem mystischen Pantheisten, der das Göttliche in der Natur ringsum zu finden hofft. Doch was er in seiner Vision auf dem Monde zu sehen bekommt, offenbart das Grauen … Es ist einer der sympathischeren Beiträge der Auswahl.

_6) Richard Garnett: Der satanische Papst_

Der Teufel versucht im 10. Jahrhundert die Seele des Theologiestudenten Gerbert in Cordoba. Gerbert gibt seine Seele nicht her, ist aber einverstanden, nach 40 Jahren dem Teufel einen Wunsch zu erfüllen. Gebongt! Gerbert wird umgehend zum Abt von Bobbio in Italien berufen, steigt über die Ränge Bischof und Erbischof zum Kardinal auf, um dann am 2. April 999 zum Papst „gekrönt“ zu werden. Als Silverster II. führt er die arabischen Zahlenzeichen ein und verbessert die Uhr, neben einigen Reformen. Allgemein erwirbt sich das mehrsprachige und philosophisch und alchimistisch bewanderte Kirchenhaupt den Ruf eines Schwarzmagiers.

Pünktlich nach 40 Jahren erscheint Luzifer wieder in Gerberts Gemächern. Er erwartet, leichtes Spiel zu haben. Gerbert lässt sich darauf, dem Widersacher zwölf Stunden lang seine Gestalt zu leihen. Für diese Zeit sieht Satan aus wie der Hl. Vater selbst. Kaum hat sich Gerbert zurückgezogen, als bereits sieben Kardinale hereinstürmen, die Dolche gezückt. Sie wollen Gerbert umbringen. In einer Menschengestalt bewältigt muss der arme Teufel erdulden, dass sie ihn untersuchen – so entdecken sie den Huf am linken Bein!

Verblüfft, erschüttert und ehrfürchtig stecken die Kardinäle Seine höllische Majestät (oder doch Heiligkeit?) erst einmal in den Kerker. Doch es dauert nicht lange, bis Anno, der Erste der sieben auftaucht, um Luzifer ein Angebot zu machen. Er entfernt auch freundlich Knebel und Fesseln. Kaum hat Anno ausgeredet, als auch schon Benno mit Essen und Angeboten naht. Anno lauscht unterm Tisch. Und so weiter, bis alle sieben ihr Sprüchlein aufgesagt haben. Dann sind allerdings die zwölf Stunden um, und der Höllenfürst kann in seine ursprüngliche Gestalt zurückkehren …

|Mein Eindruck|

Diese kleine Story ist der humoristische Höhepunkt dieses ersten Bandes der Anthologie. Der Autor ist ein ungewöhnlich hoch gebildeter Schriftsteller – er schrieb 177 Artikel für das „Dictionary of National Biography“ – und war für mehrere Jahrzehnte der Leiter des Lesesaals im British Museum (ab 1875). Als Anglikaner fiel es ihm leicht, die katholischen „Papisten“ zu kritisieren. Ende des 19. Jahrhunderts ließ sich der Papst sogar für unfehlbar erklären. Seine Story schildert eine römische Kirche, deren Verkommenheit sogar Satan überfordert.

Bemerkenswert ist bei dieser faustischen Angelegenheit, mit welcher Sachkenntnis die Voraussetzungen für einen Seelenkauf dargelegt werden. So darf bekanntlich kein GUTER freiwillig die Hölle betreten, denn dann hätte Satan seinen Daseinszweck verfehlt und müsste stante pede abdanken. Ironisch fand ich auch, dass ein angeblicher „Schwarzmagier“ – was wir heute einen Wissenschaftler nennen würden – den Widersacher auszutricksen weiß.

_7) H.B. Marriott Watson: In den Sümpfen_

Der Ich-Erzähler begibt sich in die nebelerfüllten Sümpfe, um dort seine Geliebte wiederzusehen, die hier lebt. Unheimliches Quaken und Krächzen in Ried und Binsen verunsichern unseren Helden der Liebe, doch schließlich kommt sie zu ihm in seine Arme, und er kost sie. Sie erwartet, dass er sie in sein Reich bringen werde, doch da erhebt sich eine hagere Gestalt, die er zunächst für einen großen Frosch gehalten hat, und weist mit dürrem Finger anklagend auf seine Geliebte. Es ist ein Mensch!

Der hagere, bleiche ungepflegte Wicht mit den laangen feuchten Haaren sagt, SIE habe ihn verdorben, denn einst war er ihr Geliebter, so wie jetzt der neue Galan. Das Paar lässt den Schreihals hinter sich, um per Pferd ins Reich zu gelangen. Da dreht sie sich um, und der Galan hört einen Schrei, ein Plumpsen und Gluckern . Seine Geliebte steht lachend über dem trüben Morast, als sei dort etwas versunken. Er wendet sich mit Grausen, begleitet von ihrem spöttischen Gelächter …

|Mein Eindruck|

Die vollständig als Allegorie angelegte Erzählung kommt ohne Namen und anderes Beiwerk aus, als handle es sich um ein Gemälde von Edward Burnett-Jones („Die Lady von Shalott“) oder Franz von Stuck („Die Sünde“), das sich selbst erklärt. Tatsächlich ist es sehr einfach, diese Allegorie zu deuten.

Der Galan kommt aus der akzeptierten Gesellschaft, seine Liebschaft (man denke an den „Jedermann“) keineswegs, sondern aus dem „Sündenpfuhl“ (ihre eigenen Worte!) der untersten Schichten. Sie ist eine Prostituierte ohne jede Ehre. Was noch mehr ist: Sie freut, wenn sie die Männer, die ihr verfallen, verderben und schließlich entsorgen kann.

Sie ist „Die Sünde“ oder „Lilith“, die dämonische Verderberin, die dem sittlich aufrechten Mann den Garaus bereiten wird. Zumindest was seine gesellschaftliche Stellung betrifft. Insofern handelt es sich um eine höchst sexistische Geschichte, die hoffentlich nur der Unterhaltung dienen soll.

_8) Ella d’Arcy: Die Villa Lucienne_

In den blühenden und duftenden Hügeln der Seealpen über Nizza liegt die titelgebende Villa Lucienne. Hinter der lichtvollen Villa Soleil durch dichtes Gebüsch verborgen, kauert das verfallende Gemäuer inmitten eines wuchernden Gartens. Nur der Gärtner Laurent begrüßt die weibliche Gesellschaft, die sich hierher auf den Weg gemacht hat, um ein Haus für die Sommerfrische zu mieten: Madame de M., ihre Tochter Cecile und deren Tochter Renee sowie die Erzählerin, Madame Coetlegon.

Der Gärtner lässt die Gesellschaft hinein, doch der Jagdhund zieht es vor, draußen zu warten. Er ahnt wohl, dass mit dem Haus, das zuletzt von der verstorbenen Mrs. Gray bewohnt wurde, etwas nicht stimmt. Der Salon ist voller Staub und völlig ungepflegt, behangen mit bizarren Bildern. Plötzlich überkommt die Erzählerin bei Laurents Anblick ein Gefühl der Kälte und Angst. Er weigert sich rundweg, die Damen einen Blick in den nahen Pavillon werfen zu lassen. Diese Schroffheit löst eine Panik aus, und alle hasten hinaus.

Doch da ist etwas, das nur von dem Kind Renee gesehen wurde. Etwas Totes, das sie alle anstarrte. Bis es aufstand …

|Mein Eindruck|

Eine der stimmungsvollsten Gespenstergeschichten, die ich kenne! Die hochgebildete Autorin schafft es, durch zahllose kleine Details ein klares Bild der Umgebung der Erzählerin zu evozieren und so bereits einen leichten Schauder des Grusels zu erzeugen. Erst das Licht der Cote d’Azur und der Villa Soleil, dann die totale Finsternis der Villa Lucienne, schließlich das Grauen darin – das sich in seiner ganzen Tragweite erst im Nachhinein erschließt. Finsterer Verdacht: Laurent könnte die Hausherrin umgebracht und unterm Pavillon vergraben haben – und seitdem geht das Gespenst um …

_9) Eric Count Stenbock: Die andere Seite_

In einem von der Welt abgeschiedenen Bergdorf ist der junge Gabriel ein Sonderling, der von den Gleichaltrigen gehänselt wird. Nur das Mädchen Carmeille liebt ihn, und vielleicht noch seine Mutter Yvonne. Er dient als Ministrant in der grauen Kirche des Abbé.

Nachdem er fasziniert den Erzählungen der alten Oma über einen Hexensabbat gelauscht hat, stößt er auf den von ihr erwähnten Bach, der Diesseits und höllisches Jenseits scheidet. Indem er ihn überschreitet, entdeckt er eine wunderschöne blaue Blume und eine wundervolle Frau, die sich Lilith nennt. Doch jenseits dieser Wunder lauern die Wölfe – wolfsköpfige Männer und mannsköpfige Wölfe – sowie deren furchtbar aussehender Hüter.

Zunehmend entzündet sich die Fantasie des Jungen an diesen Dingen, bis er vergessen hat, welche Worte er bei der Liturgie des Abbé sprechen muss. Er fällt mitten im Gottesdienst in Ohnmacht. Doch er träumt von der blauen Blume und der schönen Frau, bis er schließlich erneut den Bach überquert – und einer der Wölfe wird …

|Mein Eindruck|

An einem unbedeutenden Schauplatz kommt es zur ewigen Schlacht zwischen den Mächten des Bösen, verkörpert im Wolfshüter und seinen Anhängern, und den Guten, verkörpert in den Christen. Dazwischen steht die unentschiedene Frau Lilith, die den Jungen durch ihre Schönheit zu verführen scheint. (Lilith war in der Bibel die erste Frau Adams; er verstieß sie und nahm Eva zum Weib.) Hier wird angedeutet, dass Gabriel, der mit dem Namen eines Erzengels ausgestattet ist, in die Pubertät kommt und „unreine Gedanken“ hat.

Der Text bleibt stets ganz nah dran am Erleben des Jungen, was ich wirklich faszinierend fand. Allerdings übertreibt es der Autor, ein typischer Dekadenzler, mit seinen Beschreibungen der verführerischen, jedoch gänzlich erträumten Frau. Das Tempo der Erzählung ist sehr hoch, und alles geht rasch vonstatten, sodass ich ebenso wie der Held Mühe hatte, zwischen Traum, Vision und Wirklichkeit zu unterscheiden. Das ist natürlich vom Autor gewollt.

_10) Eric Count Stenbock: Viol d’Amor_

Eine englische Dichterin, die Ich-Erzählerin, lernt in Freiburg im Breisgau den Musiker da Ripoli kennen. Der Witwer aus altem Florentiner Adel hat fünf Kinder, drei Söhne und zwei Töchter. Die Dichterin freundet sich mit Anastasia, dem ältesten Kind, an, die ihr nach ihrer Weiterreise Briefe schreibt. Guido, der mit wunderbarer Stimme in der Kirche sang, ist das jüngste und schwächste Kind.

Da Ripoli musiziert nicht nur, sondern baut auch seine Instrumente selbst. Diesmal versucht er sich an einer Viol d’Amor, einem Mittelding aus Viola und Violoncello. Die drei Söhne haben in einer alten alchimistischen Schrift gelesen, dass ihr Ton am süßesten sei, wenn sie auf Saiten gespielt werde, die aus der Haut eines geliebten Menschen gefertigt seien. Andrea und Giovanni lassen sich unter Aufsicht Anastasias diese Haut entnehmen und die Wunde verarzten. Nicht so Guido: Er geht zu einem „jüdischen Quacksalber“ und wird krank.

Als Guido darniederliegt und Anastasia, um ihn zu trösten, die Viol d’Amor mit einer schönen etruskischen Melodie spielt, tritt ein Schatten ins Zimmer …

|Mein Eindruck|

Offenbar begehen die drei Söhne durch das Hautherausschneiden eine Art Frevel, der den Grundgedanken der Liebe ad absurdum führt. Und dieser Frevel wird am Jüngsten gesühnt. Da hilft die schönste Melodie nichts. Der Vater zerstört sein schönes Instrument, das angeblich Unglück gebracht hat.

Der Ton und das Ambiente verführen nicht nur die Ich-Erzählerin dazu, sich wie im italienischen Mittelalter der Renaissance zu fühlen, sondern auch der Leser kommt nicht umhin, in Nostalgie zu schwelgen. Der Autor assoziiert Leonardo da Vinci und Tizian, sogar Gabriel Dante Rossetti und dessen Präraffaeliten – der Kunstfreund weiß Bescheid.

_11) Eric Count Stenbock: Ein moderner Sankt Venantius_

Prinzessin Faustina ist von der Zirkusvorstellung gelangweilt. Ohne Blutvergießen hat sie keinen Spaß daran. Sie schlägt ihrem Galan vor, es wie bei den Christenhinrichtungen im Kolosseum zu machen und einen Jungen den Löwen vorzuwerfen. Welche teuflisch gute Idee! Mit der Erlaubnis der Prinzessin bietet der Galan dem Zirkusdirektor 10.000 Francs dafür, dass der Junge Venantius in den Käfig der Löwen geht. Für 40.000 Francs ist der empörte und entsetzte Zirkusdirektor einverstanden. Der Junge wird in den Löwenkäfig geschickt.

Doch Venantius ist kein gewöhnlicher Junge. Unter den Jungs des Zirkus ist er der Allerfrömmste, der Sanftmütigste, denn alles, was er in seiner Freizeit tut, ist Beten. Als er den Käfig betritt, zerfleischen ihn die Löwen nicht, sondern legen sich neben ihn und bewachen ihn gegen jeden Versuch, ihm zu nahe zu kommen.

Wie langweilig – derart zahme Viecher! Die Prinzessin ist empört. Ihr Galan muss etwas unternehmen. Doch schon bald gibt es wirklich Blutvergießen …

|Mein Eindruck|

Venantius von Camertino lebte im 3. christlichen Jahrhundert und wurde unter Kaiser Decius gefoltert und getötet. In Camertino steht die ihm geweihte Kirche bis heute. „Venantius“ bedeutet lediglich „aus Venedig stammend“. – Der Junge in der Erzählung wird tatsächlich durch sein Opfer und seinen Tod zu einem Heiligen. Durch dieses Beispiel wird der Galan der Prinzessin bekehrt und wendet sich mit Grausen von diesem weiblichen Ungeheuer. Schon bald segnet auch er das Zeitliche.

Warum wurde diese christliche Heiligen-Legende ins 19. Jahrhundert verlegt und dann in diesen Band aufgenommen, fragte ich mich. Der Grund ist der Aspekt der Dekadenz, der diesmal in der moralischen Skrupellosigkeit, der Vergnügungssucht der Prinzessin zeigt. Dass der Galan bekehrt wird, lässt den Schluss zu, dass es in den Augen des selbst ziemlich seltsamen Autors für Dekadenz eine Heilung gibt: den Glauben.

_12) Charlotte Mew: Eine Weiße Nacht (1903)_

Der englische Ich-Erzähler Cameron treibt sich im Frühjahr 1876 gerade in Madrid herum, als er von seiner Schwester Ella die Bitte erhält, sie und ihren Mann zu einem reizvollen Ort seiner Wahl zu führen, um Ellas Hochzeitsreise einen besonderen Reiz zu verleihen. Gesagt, getan. Mit dem Maultier geht’s ins wüstenhafte Landesinnere und ins hinterletzte Dorf, bis zu endlich zu einem düsteren Konvent gelangen, der die durch orientalisches Aussehen beeindruckt.

Ohne groß um Erlaubnis zu fragen, betreten sie erst die Kirche und bewundern dann den Kreuzgang, denn hier lebten offensichtlich mal Mönche oder Nonnen. Als sie die Düsternis der Kirche wieder verlassen wollen, finden sie die Ausgangstür verschlossen. Auf ihr Rufen kommt niemand – gefangen! Schon bald sind alle Streichhölzer aufgebraucht.

Doch dann, so um Mitternacht, öffnet sich die Tür erneut, doch nur um eine seltsame Prozession einzulassen. 50 bis 60 Mönche treten ein und singen ein unheimliches Lied, dass immer wieder von einer weiblichen Dissonanz gestört wird. Allen voran gehen drei Mönche, zwei mit Kerzenhaltern, zwischen ihnen einer mit einem Kreuz.

Dahinter folgt eine ganz in Weiß gehüllte Frau, die offenbar in Trance ist. Sie wird von den Mönchen zum Altar geleitet, doch zu welchem Zweck, fragt sich der heimlich beobachtende Cameron. Auch Ella und ihr Mann King haben sich ins Chorgestühl zurückgezogen, denn die Prozession ist allen unheimlich. Die Prozession stoppt vor dem Altar. Dort offenbart sie ihren eigentlichen Zweck: eine Totenmesse.

Die zum Bestimmte ist keine andere als die Nonne, die nun Augen und Mund verschlossen bekommen. Doch Cameron sieht ganz genau und erstaunt, wie sie lächelt. Sie sieht sich als Ancilla Domini, als Magd des Herrn. Und als solche wird sie, nach zwei Stunden unablässiger Gebete und Gesänge der zahlreichen Mönche, in der Kapelle in ein Grab gelegt, das einen Ehrenplatz innehat: Es liegt genau in der Mitte.

Ellas Mann will mit dem Revolver Einhalt gebieten, doch Cameron hindert ihn daran, denn es könnte sonst zu einem schrecklichen Zwischenfall kommen. Ella ist bereits völlig mit den Nerven fertig, und sobald die Mönche die Kirche verlassen haben, machen sich die zwei Männer ohne sie an die Aufgabe, die Begrabene zu suchen. Doch sie finden die Grabplatte erst bei Sonnenaufgang, und selbst dann vermögen sie sie nicht zu heben.

Ella hat nichts Eiligeres zu tun, als sich beim britischen Konsul zu beschweren. Doch der weise Mann schüttelt nur den Kopf. „In diesem Land gibt es noch viel schrecklichere Dinge, die hinter dem Vorhang der Kirche getan werden, und sie alle sind vollständig meinem Zugriff entzogen.“ Binnen Stundenfrist verlassen die drei Briten das Land, wie vom Konsul geraten. Doch Ella findet nie wieder ruhigen Schlaf.

|Mein Eindruck|

Die Autorin war die Geliebte der Autorin Ella d’Arcy, weshalb der Name der weiblichen Figur in dieser Geschichte kein Zufall ist. Aufgrund dieses Kontextes lässt sich die Erzählung auf zwei Ebenen deuten: auf der biografischen und auf der gesellschaftlichen. Biografisch gesehen begräbt sich die Autorin aus Liebe zur verlorenen Ella selbst. Gesellschaftlich gesehen lässt sich die Nonne stellvertretend für alle Frauen unter dem Joch des Patriarchats begraben. So kann der Herausgeber die Erzählung auf eine Stufe mit Frances Gilmans berühmter Geschichte „Die gelbe Tapete“ (dt. bei Reclam) stellen. Das finde ich übertrieben.

Davon ganz abgesehen fordert die Geschichte dem Leser eine Menge Geduld ab, denn vertraute Banalitäten wie singende und psalmodierende Mönche werden bis ins kleinste Detail des Phänomens und seiner Wahrnehmung und Empfindung geschildert. Für den Zeitgenossen der Autorin waren es allerdings keine Banalitäten. Da es keine nennenswerte Anzahl von Katholiken in England gab, konnten die hier geschilderten Rituale nur exotisch und bizarr, also „grotesk“ oder „gothic“ wirken. Ich jedoch fand sie eigentlich nur langweilig.

_13) Jerome K. Jerome: Silhouetten_

Jerome, der Ich-Erzähler, wuchs als Sohn eines Minenbesitzes in Wales auf. In einer Art Rundgang schildert er erst die Landschaft der wilden Meeresküste, dann die von Kohlestaub überzogene Landschaft der Bergwerke. Dort, im Black Country, ist alles schwarz überzogen, und sogar der Regen fällt schwarz vom rußigen Himmel.

Selbstverständlich leben hier Menschen. In seiner kursorischen Art streift der kindliche Erzähler die Entdeckung einer männlichen Leiche, die 40 Jahre unter einem Küstenfelsen vergraben lag, und den Angriff einer aufgebrachten Menge auf seinen Vater, weil dieser angeblich einen Verbrecher beherbergt und schützt. Nun ist es am Leser, eins und eins zusammenzuzählen.

|Mein Eindruck|

Die Landschaftsbeschreibungen sind wunderschön, denn sie tränken die Küstengegend mit Mythen und Legenden, sodass sie zum Leben erwacht. Das Meer erinnert an die nordische Göttin Ran in ihrer Unberechenbarkeit. Und wie es Ran bzw. Beelzebub will, spielt ihr Sturm mit den Strandfelsen, als wären es Murmeln.

Ganz im Gegensatz zu diesem mythischen Ton steht die zweite Hälfte der Erzählung, in der die Konfrontation des Vaters mit dem Mob geschildert wird. Welcher Zusammenhang zwischen erstem und zweitem Teil besteht, muss der Leser selbst entscheiden. Eine rationale Erklärung gibt es nicht. Aber das Geschehen endet auf einer friedlichen Note.

_14) Max Beerbohm: A.V. Laider_

Der namenlose Ich-Erzähler kommt nach einem Jahr erneut wegen einer Grippe in diese Pension am Meer, um sich zu erholen. An der Briefwand entdeckt er jenen Brief, den er vor einem Jahr an A.V. Laider geschrieben hatte, seinen damaligen Leidensgenossen. Mit Laider hatte er eine angeregte Diskussion über den Stellenwert von Vernunft und Glauben geführt. Dabei gab Laider zu, wie der Erzähler an die Chiromantie zu glauben. Dieser Glaube habe jedoch nicht verhindern können, dass er zum mehrfachen Mörder geworden sei.

Wie das, will unser Chronist – einigermaßen bestürzt – wissen. Nun, hebt Laider an, er habe seinen Onkel Col. Elbourn in Hampshire besucht, wo er auf dessen Landsitz einige Tage mit dessen netter Familie habe verbringen können. Am letzten Abend erwähnte der Colonel, dass Laider aus der Hand lesen könne. Ein großes Aufhebens wurde darum gemacht, sodass es ihm nur mit Mühe gelang, alles abzustreiten.

Das gelang ihm jedoch auf der Zugfahrt am nächsten Morgen nicht mehr. Doch als er allen nacheinander aus der Hand las, stieß er auf eine merkwürdige Gemeinsamkeit: Alle würden binnen Kurzem eines gewaltsamen Todes sterben. Genau wie er es schon seit einem Jahr für sich selbst befürchtet habe. Und so kam es auch. Er erwachte in einem Krankenhausbett, und als der Colonel ihn besuchte, erfuhr er von dem schrecklichen Zugunglück, bei dem die Damen und Mr. Blake umgekommen seien.

Nun, ein Jahr später, merkt unser Chronist, dass sein Brief an A. V. Laider verschwunden ist. Ergo muss Laider anwesend sein. Er findet ihn auf einem Strandspaziergang. Doch erst nach einer Vereinbarung über die Bedingungen einer möglichen Konversation findet sich Laider bereit, mit ihm zu sprechen: Er habe alles von A bis Z erfunden. Aber dafür gebe es einen guten Grund …

|Mein Eindruck|

In der Diskussion über die Macht von Glaube und Vernunft, wie sie laut Erzähler in der Zeitung geführt wird, schlägt der Autor also eine dritte Möglichkeit vor. Zwar ist Laider, wenn er an Grippe leidet, ein willensschwacher Mann, aber auch keine Marionette. Vielmehr hat er sich einen psychischen Mechanismus erworben, der auf das Erfinden von guten Lügen hinausläuft.

Auf diese Weise bestärkt er den Frager, also unseren Chronisten, in seinem Glauben und sammelt Sympathiepunkte. Zugleich kann er ihm Lebenserfahrung vorspiegeln, die sich so oder so auslegen lässt. Alles eine Frage der Perspektive und der jeweiligen Notwendigkeit. Ohne jemals einen eigenen Standpunkt einnehmen und verteidigen zu müssen, mogelt sich Laider also so durch. Ob hier der Autor ein Symptom seiner Zeit anprangert, ist schwer zu beurteilen. Denn mit Laider mogelt er sich so durch.

_15) Max Beerbohm: Enoch Soames_

Der Ich-Erzähler Max Beerbohm lernt eines Tages in London den fahlen Mann Enoch Soames kennen, einen bis dato recht unbekannten Dichter und Erzähler. Er ist so unbekannt, dass ihn kaum jemand kennt, aber aus irgendeinem Grund hat Max Mitgefühl mit Soames. Vielleicht ist er ja ein verkanntes Genie? An Selbstbewusstsein mangelt es Soames jedenfalls nicht. Doch seine Gedichte erschließen sich dem Leser nicht auf Anhieb, nur eine Szene in dem Gedicht „Nokturne“ spricht Max an: Der Teufel tritt darin auf. Soames, so weiß Max, betrachtet sich als „katholischen Satanisten“.

Vier Jahre vergehen, bis das Jahr 1997 erreicht ist. Soames ist immer noch ein unbekannter Dichter, wohingegen Max als Theaterkritiker von sich reden macht. Per Zufall stößt er auf ihn wieder am Soho Square in der Londoner Innenstadt, und zwar im kleinen „Restaurant zum 20. Jahrhundert“, dem Vingtième. Wacker schlägt Soames durch die Erfolglosigkeit, nur gestützt auf eine kleine Rente seiner Tante von 300 Pfund pro Jahr. Aber er ist weiterhin überzeugt, dass man in hundert Jahren seinen Namen kennen wird!

Das tritt der „mephistophelische“ dritte Gast an ihren Tisch und stellt sich als der Teufel vor, ein hagerer, recht vorlauter Typ, der Beerbohms Unmut erregt. Satan schlägt Soames einen Handel vor: eine Zeitreise von exakt hundert Jahren in den Lesesaal des British Museum, zwischen 14:10 und 19:00 Uhr, wenn der Lesesaal schließt. Danach würde Soames wieder im Vingtième auftauchen und zwei Stunden später abgeholt werden – zum bescheidenen Zuhause des Teufels.

Topp, der Handel gilt, obwohl Max protestiert. Schwupps ist Enoch in das Jahr 1997 verschwunden, und zwar zum frühen Nachmittag des 3. Juni …

|Mein Eindruck|

Genau an diesem Nachmittag sammelten sich etliche Enoch-Soames-Fans im Lesesaal des British Museum, wenn man dem Herausgeber glauben darf. Sie hatten genau jene graugelbe Uniform an, die Beerbohm – nicht Soames – beschrieb, sobald der Zeitreisende wieder zurück ist, und trugen eine ganz bestimmte Nummer. Soames aber hat den Katalogeintrag von sich abgeschrieben. Darin wird er als „fyktyve Fygur“ von Max Beerbohm bezeichnet …

Tatsächlich macht sich der hinterlistige Autor einen Spaß daraus, die Ebenen von primärer und sekundärer Fiktion zu verwischen und so den Leser zu foppen. Existiert Soames in Beerbohms Bericht wirklich, so wie etwa Sherlock Holmes? Oder ist er nur eine erfundene Figur? Natürlich Letzteres. Aber dabei hat sich der Chronist fiktionalisiert, was auch wieder ein Spaß ist – und ein indirekter Kommentar auf Conan Doyle, dessen „fyktyver Fygur“ Sherlock Holmes ein längeres Leben beschieden war als ihrem Schöpfer. Was doch einiges über die Kunst aussagt.

_Unterm Strich_

Die Themen dieser Erzählungen sind sicherlich nicht jedermanns Geschmack, aber es gibt ja immer mehr Liebhaber des Gothic-Stils, die damit etwas anfangen können. Die Todessehnsucht, die verwischte Grenze zwischen Leben und Tod und schließlich Wesen aus dem Jenseits (vulgo Gespenster genannt) – sie alle bevölkern als Metaphern, Symbole und sogar Allegorien diese Erzählungen.

Die meisten Geschichten in dieser ersten Auswahl (es gibt ja noch einen zweiten Band) haben mir ganz gut gefallen, ein paar sind sogar herausragend, so etwa „Die Villa Lucienne“, die den Leser sehr stimmungsvoll das Gruseln lehrt, und „Willenskraft“. „Der satanische Papst“ ist hingegen eine lustige Groteske, die gut unterhält.

Etliche Erzählungen sind jedoch mit ihrer eigenen Beschreibung beschäftigt, dass herzlich wenig zu passieren scheint, so die Geschichten von Max Beerbohm (sehr stilvoll und verschmitzt) und „Der Wasserfall“. Die Geschichten von Steenbock ragen darunter hervor, so etwa die vielfach abgedruckte Werwolf-Story „Die andere Seite“, die aber mit christlichen Themen überfrachtet ist.

Von „Modernität“ im heutigen Sinne (also nach 1922) kann man nur sehr eingeschränkt sprechen, weshalb sich diese Geschichten vor allem für Sammler zu eignen scheinen, die sich ein Interesse an diesen altertümlichen Denk- und Empfindungsweisen erhalten haben, beispielsweise durch eine Liebhaberei für Sherlock Holmes und dessen Zeit. Gleichzeitig müssten sie aber auch E. A. Poe, A. Machen und A. Blackwood mögen, was ja nicht immer der Fall ist.

Als Sammlerausgabe ist dieses Buch jedoch eine herausragende editorische Leistung. Sie zeigt sich nicht nur in den sorgfältigen, fehlerlosen Übersetzungen, sondern auch in der umfangreichen Einleitung und den kenntnisreichen Vorstellungen der einzelnen Autoren, die mitunter mit aktuellen Details aufzuwarten wissen, so etwa zum Enoch Soames Day am 3. Juni 1997. Auf diese Weise erübrigen sich eine Bibliografie und ein Stichwortverzeichnis für den Doppelband.

Fazit: vier von fünf Sternen.

|Hardcover: 320 Seiten
Aus dem Englischen von Frank R. Scheck und anderen
ISBN-13: 978-3898402712|
[www.blitz-verlag.de]http://www.blitz-verlag.de

_Frank Rainer Scheck bei |Buchwurm.info|:_
[„Berührungen der Nacht“ Englische Geistergeschichten in der Tradition von M. R. James]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5606