Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

Ian Rankin – Puppenspiel

Inspektor Rebus ermittelt in einem Frauenmord, verärgert dabei prominente Bürger, wird quasi strafversetzt und mit dem bizarren Rätsel kleiner Modell-Särge konfrontiert, die seit zwei Jahrhunderten an späteren Mordschauplätzen entdeckt werden … – Der 12. Band der Rebus-Serie ist einer der besten. Trotz eines hohen Mystery-Faktors bleibt die Handlung kriminell und der ‚realen‘ Gegenwart verhaftet: ein Lektüre-Genuss.
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Stucke, Angelika – Gute Motive

Ironie und schwarzer Humor, das sind die beiden Stärken, die Angelika Stucke in ihrem Belletristik-Debüt „Gute Motive“ konsequent ausspielt und somit auch als Mittel für ihre teils erschreckenden, teils sehr seltsamen Kurzgeschichten benutzt. Zuvor nur als Autorin von Kurzgeschichten in spanischen Publikationen tätig, liefert Stucke hier ihr erstes deutschsprachiges Buch ab. 13 Kurzgeschichten sind in diesem kleinen Sammelband enthalten, und dreizehnmal wird aus der Ich-Perspektive heraus erzählt, wieso, warum und weshalb die jeweilige betroffene Person sich dazu entschieden hat, ein Gewaltverbrechen zu begehen. Oder anders gesagt, welch gutes Motiv die durchgehend weiblichen Protagonisten hatten, um ihren Plan auch durchzusetzen.

Es ist schon recht eigenartig, wie Stucke hier an ihre Erzählungen herangeht. Es sind teilweise ganz normale Alltagssituationen, aus denen heraus das weibliche Geschlecht dazu angestachelt wird, sein Gegenüber auszulöschen. So darf es einerseits skurril sein, wie beispielsweise in „Der Spanner“: Eine Frau fühlt sich von einem noch unbekannten Menschen belästigt, der sie ständig beobachtet. Als sie herausfindet, dass es sich hier um einen Jugendlichen handelt, beruhigt sie das zunächst ein wenig, doch im nächsten Moment entschließt sie sich, ihn zu vergiften.
Andererseits findet man auch perfekte Krimi-Themen: Bei „Männersache“ will sich eine Frau in mittleren Jahren ihres Ehegatten entledigen. Dafür verzichtet sie sogar auf ihren Liebhaber und tötet diesen. Doch warum sollte sie das tun? Schließlich hat nur ihr Mann ein Motiv für den Mord an dem südländischen Romantiker. Also unterstellt sie ihm den Mord, liefert ihm das erforderliche Motiv und ist von ihm befreit.

Und so bringt Stucke die verschiedensten Alltagsthemen auf den Tisch und spinnt individuell eine bizarre, mordlüsterne Geschichte um sie herum. Bei „Die Mordabsicht“ reicht schon der Verlust des Arbeitsplatzes für ein Motiv, in „Das Alter“ macht einer Frau die Pflegebedürftigkeit ihres Gatten Waldemar zu schaffen. Also denkt sie sich verschiedene Strategien aus, um ihn zu beseitigen und begründet ihre Tat damit, dass seine Hilfsbedürftigkeit ihn ohnehin dahinraffen würde.

Nicht der Gärtner ist der Mörder, sondern die Frau, und in „Gute Motive“ haben es die dunklen Gedanken des angeblich schwächeren Geschlechts wirklich in sich. Manchmal ist es schon fast abartig, mit welcher Selbstverständlichkeit die Damen hier ihre Attentate planen, aber auch mit welchen Gründen sie diese rechtfertigen. Stucke taucht jedes Mal wieder für kurze Zeit in die Gedankenwelt eines Menschen ein, der im Grunde genommen ganz normal ist, quasi wie du und ich, sich gleichzeitig aber auch für die fiesesten Missetaten und die erbärmlichsten ‚Selbsthilfetherapien‘ empfänglich zeigt. Obwohl in den dreizehn Geschichten dieses Buches einige Leitmotive in leicht abgewandelter Form öfter auftauchen, so sind die jeweiligen Schilderungen doch immer wieder erschreckend – meist aber auch genial umgesetzt.

Andererseits hat man am Ende des Buches dann auch wirklich genug von den kranken Plänen dieser Damen. Das Ende steht ja jedes Mal schon fest, und nur der Weg dahin bzw. die Art und Weise, wie die Beteiligten ihre Geschichte erzählen, ändert sich von Mal zu Mal, so dass irgendwann der Punkt kommt, an dem das Thema ausgereizt ist. Glücklicherweise ist man an diesem aber erst angelangt, wenn man das Buch ausgelesen hat. Jedoch muss man schon sehen, dass der Inhalt sich aufgrund des durchgängigen roten Fadens selbst arg limitiert, weshalb man sich vorher schon bewusst machen sollte, worauf man sich hier tatsächlich einlässt. Ist dies geschehen, bringt einem dieser Sammelroman von Angelika Stucke beste, beklemmende Unterhaltung, deren Niveau sich trotz des vergleichsweise schlichten Schreibstils stets an der Obergrenze aufhält.

Kurzweilig, interessant und gleichzeitig beängstigend – das ist „Gute Motive“. Und ich hoffe, dass der grundsätzlich positive Unterton dieser Rezension für die Leserschaft ebenfalls ein gutes Motiv ist, sich einmal näher mit der Autorin und diesem Buch auseinander zu setzen.

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Glenn Meade – Mission Sphinx

Das geschieht:

1939 reist Playboy und Abenteurer Jack Halder, Sohn einer Dame aus der New Yorker Gesellschaft und eines preußischen Großgrundbesitzers, nach Ägypten, um an archäologischen Ausgrabungen teilzunehmen. Begleitet wird er von seinem besten Freund Harry Weaver, dessen Vater als Verwalter für die Familie Halder gearbeitet hat. Im Schatten der Stufenpyramide des Pharaos Djoser lernen sie die Archäologin Rachel Stern kennen und verlieben sich beide in die junge Frau. Die unbeschwerte, gemeinsam verbrachte Zeit endet abrupt, als Hitler seine Truppen in Polen einmarschieren lässt: Der II. Weltkrieg hat begonnen. Die Wege der drei Freunde trennen sich.

Vier Jahre später hat der Krieg seinen Höhepunkt erreicht. Jack Halder ist nach Deutschland zurückgekehrt. Zwar lehnt er das Hitler-Regime ab, aber seit seine Familie einem Luftangriff zum Opfer fiel, hat er den Alliierten Rache geschworen. Er ist zu einem der besten Spione der Abwehr geworden und hat sich auf Unternehmungen im nordafrikanischen Raum spezialisiert.

Rachel Stern musste als Jüdin die volle Grausamkeit des „Dritten Reiches“ erleiden. Daher bleibt ihr kaum eine Wahl, als ihr die Abwehr das ‚Angebot‘ unterbreitet, mit Jack Halder nach Ägypten zu gehen, um dort mit ihm ein hochbrisantes Unternehmen vorzubereiten: In Kairo werden sich im November 1943 US-Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill treffen – für die Nazis eine Gelegenheit, beide Staatsoberhäupter auszuschalten.

Die deutschen Aktivitäten in Ägypten sind nicht unbemerkt geblieben. Im Generalhauptquartier für den Nahen Osten arbeiten Briten und Amerikaner fieberhaft daran, den Anschlag zu verhindern. Lieutenant Colonel Harry Weaver vom Nachrichtendienst der US-Army wird die Leitung über ein Team übertragen, das die Attentäter entlarven soll. In der Wüste, den Labyrinthen alter Städte wie Kairo oder Alexandria und in den Ruinen Sakkaras beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel. Für Jack, Harry Rachel wird die Auseinandersetzung zu einer besonderen Zerreißprobe. Obwohl sie nun Gegner sind, finden sie erneut zueinander – bis sich herausstellt, dass eine/r von ihnen ein Verräter ist …

Vergangenheit und heikle Vergangenheit

Mit einem historischen Thriller, der zur Zeit des „Dritten Reiches“ spielt, lässt sich das Wohlwollen der Literatur-Kritik besonders in Deutschland schwerlich gewinnen. Angesichts der jüngeren Geschichte ist durchaus verständlich, dass es problematisch kann, die Welt zur Zeit des II. Weltkriegs als Abenteuer-Spielplatz für tapfere Helden und finstere Bösewichte zu benutzen. Das gilt erst recht, wenn auch die Prominenz des „Dritten Reiches“ persönlich auftritt. Die Versuchung ist groß, dieser die Züge typischer Hollywood-Schurken aufzuprägen, was der Handlung eines Romans zum Vorteil gereichen, angesichts des realen Grauens, das diese Männer vor gar nicht so langer Zeit entfacht haben, jedoch leicht einen schalen Nachgeschmack hinterlassen kann.

An dieser Stelle soll nicht erörtert werden, ob die unbekümmerte US-amerikanische oder britische Sicht auf dieses heikle Thema generell zu verurteilen oder unkommentiert zu akzeptieren ist; dies muss jede/r selbst für sich entscheiden. In den genannten Ländern (doch nicht nur dort) ist es jedenfalls legitim, das „Dritte Reich“ als Schablone für reine Unterhaltungsgeschichten zu verwenden. Am besten fährt der kritische Leser wohl, wenn er sich vor Augen führt, dass Meades Nordafrika trotz aller aufwendigen Recherchen (die der Autor in einem Nachwort beschreibt) rein fiktiv ist und mit der zeitgenössischen Realität etwa so viel gemeinsam hat wie das Rom Ben Hurs, der Wilde Westen John Waynes oder die Gotham City Batmans. Der spielerische Einsatz operettenhafter Nazi-Schergen negiert in keiner Weise die banale Bösartigkeit ihrer realen Vorbilder. Nur sehr schlichte oder vom Ungeist übertriebener „political correctness“ angekränkelte Gemüter setzen das eine mit dem anderen gleich.

Thriller mit vorab bekanntem Ausgang

Glenn Meade vermeidet die schlimmsten Fangstricke, indem er „Mission Sphinx“ auf einem Nebenschauplatz des II. Weltkriegs ansiedelt. Schriftstellerische Freiheiten kann man ihm vor der farbigen Kulisse des Nahen Ostens leichter verzeihen. Zwar vermag er der Versuchung nicht ganz zu widerstehen und bringt mit General Walter Schellenberg und Admiral Wilhelm Canaris vom deutschen Sicherheitsdienst zwei reale Figuren der Zeitgeschichte ins Spiel, aber er erspart seinen Lesern den in diesem Genre üblichen, von wagnerianischem Theaterdonner und Schwefeldunst begleiteten Auftritt von NS-Größen wie Göring, Himmler oder gar Hitler selbst.

Ansonsten müht sich Meade entschlossen, das große Manko seiner Geschichte zu überspielen: Da er einen gewissen Anspruch auf historische Genauigkeit erhebt, kann er es sich nicht erlauben, die Realität umzuschreiben. Im Klartext: Der Leser weiß, das alliierte Kommando-Unternehmen wird scheitern, denn weder Roosevelt noch Churchill sind 1943 einem Anschlag zum Opfer gefallen. So gilt es, dieses Scheitern an das Ende einer möglichst packenden Handlung zu stellen, um die Spannung zu erhalten, obwohl zumindest das historische Finale vorgegeben ist. Dies gelingt Meade im Großen und Ganzen gut. Dennoch seien einige kritische Anmerkungen gestattet.

Die dramatisch-tragische Geschichte dreier ‚normaler‘ Menschen in der Hölle des Krieges ist schon tausendfach erzählt worden. In dieser Hinsicht kann Meade mit keinen Überraschungen aufwarten. Sind seine drei Helden wider Willen erst einmal in Nordafrika eingetroffen, löst sich der Plot in eine einzige, vielhundertseitige Verfolgungsjagd auf. „Mission Sphinx“ könnte in diesem Teil um einige hundert Seiten gekürzt und die künstlich aufgeblähte Geschichte zu ihren Gunsten gestrafft werden. Die endlose Jagd durch die Wüste ist reiner Selbstzweck; sie wird wenigstens mit Schwung und Einfallsreichtum abgespult.

Kulissen statt Schauplätze

„Mission Sphinx“ spielt in Nordafrika, einem zumal in der Mitte des 20. Jahrhunderts fernen, fremden Land mit einer uralten, reichen Kulturgeschichte. Davon ist in dem Roman leider nur beiläufig die Rede. Kairo, Sakkara, Alexandria sind für Meade nur klangvolle Namen für exotische Orte aus 1001 Nacht und fantastische Kulissen für die aus Europa und Amerika importierten Helden und Bösewichter. Einige Szenen inmitten malerisch untergegangener Pharaonen-Herrlichkeit sind ein Muss für einen Roman, der in Ägypten spielt – dies unabhängig davon, wie logisch das im Gefüge des Handlungsgerüstes tatsächlich ist.

Der einheimischen Bevölkerung bleibt nur eine Statistenrolle. Als Individuen treten höchstens hinterlistige Handlanger der Nazis oder treuherzige Gehilfen der Helden auf, denen der Autor großzügig ihren Augenblick literarischen Ruhms gewährt, wenn sie eine verirrte Kugel trifft, was gleichzeitig den Guten Anlass für rührselige Gefühlsausbrüche bietet, die ihre edle Gesinnung unterstreichen sollen.

Auffällig sind die Verrenkungen, die Autor Meade unternehmen muss, um die Figur des Jack Halder als tragischen Helden aufzubauen. Deutscher Spion und hochrangiger Angehöriger des Sicherheitsdienstes darf er sein, Nazi aber auf keinen Fall. Also wird aus Halder ein „guter Deutscher“, der Hitler hasst und ihm nur dient, weil er als Soldat dazu verpflichtet ist – so sind sie halt, die Deutschen, wie Meade ‚weiß‘. Der Autor erledigt solche Schwarzweiß-Malereien lieber sofort, ehe er es später für das Drehbuch einer (erhofften) Verfilmung sowieso tun muss.

Diese (und andere, hier unerwähnt bleibende) Klischees mindern das Vergnügen an der Lektüre nicht entscheidend, solange man sich über eines im Klaren ist: „Mission Sphinx“ ist gewiss nicht der Fixstern am Literaturhimmel, als den die Kritik dieses Buch (besonders in den USA) der potentiellen Leserschar verkauft, sondern reine Kolportage – ein Unterhaltungs-Produkt, dessen Umfang eine Bedeutsamkeit suggeriert, die ihm indes nicht zukommt, das seinen eigentlichen Zweck aber hervorragend erfüllt.

Autor

Glenn Meade wurde am 21. Juni 1957 in Finglas, einer Vorstadt von Dublin, geboren, in der hauptsächlich Arbeiter lebten. Eigentlich wollte er Pilot werden, was an einer Augenkrankheit scheiterte. So studierte Meade Ingenieurswesen und bildete in New Hampshire Piloten am Flugsimulator aus. Später wurde er Journalist und schrieb u. a. für die „Irish Times“ und den „Irisch Independent“.

Parallel dazu begann Meade zu schreiben. Zunächst verfasste (und produzierte) er zwölf Stücke für das Strand Theatre in Dublin, mit denen die Darsteller auch auf Europa-Tournee gingen. Anfang der 1990er Jahre inspirierte der Fall der Berliner Mauer Meade zu einem ersten Roman. „Brandenburg“ (dt. „Unternehmen Brandenburg“) erschien 1994 und wurde auch außerhalb Großbritanniens ein Bestseller.

Meade verlegt seine Geschichten gern in die Vergangenheit. In diese Kulissen bettet er konventionelle Thriller-Elemente ein, die er mit ausladenden Liebesgeschichten anreichert. Meade-Romane sind lang und reich – an Handlung wie an Klischees. Wohl genau diese Mischung erfreut ein breites Publikum, weshalb Meades Werke in mehr als 20 Sprachen erscheinen.

Mit seiner Familie lebt und arbeitet Glenn Meade in Dublin und in Knoxville, US-Staat-Tennessee.

Taschenbuch: 748 Seiten
Originaltitel: The Sands of Sakkara (London : Hodder & Stoughton 1999)
Übersetzung: Susanne Zilla
http://www.luebbe.de

Der Autor vergibt: (3.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (4 Stimmen, Durchschnitt: 1,50 von 5)

Andreas Eschbach – Der Nobelpreis

Bestsellerautor Andreas Eschbach – so nennen ihn Verlage und Fans gleichermaßen begeistert. Mit „Der Nobelpreis“ liegt der neueste Roman vor, der diesmal keinerlei Elemente aus Herrn Eschbachs Ursprungsgenre, der Science-Fiction enthält, sondern ein hochklassiger Thriller ist.

Über Andreas Eschbach gibt es viel zu sagen, aber vor allem zählt, dass er hervorragende Romane schreibt. Er ist gebürtiger Deutscher, wohnt aber seit einiger Zeit mit seiner Familie in der französischen Bretagne. Für seine Romane erhielt er regelmäßig Auszeichnungen, zuletzt schaffte er es mit seinem Romanerstling „Die Haarteppichknüpfer“ über den Großen Teich – die Amerikaner, sehr zurückhaltend, was die Übersetzung fremdsprachiger Romane angeht, veröffentlichten ihn als edlen Hardcover unter dem Titel „The Carpetmakers“.
Weitere Infos unter http://www.andreaseschbach.de.

Der Nobelpreis

Für Hans-Olof Andersson ist der Nobelpreis eine Institution, für deren Glaubwürdigkeit er alles tun würde. Er schlägt ein enormes Bestechungsgeld aus, als er als Mitglied des Nobelkomitees für Medizin für eine bestimmte Kandidatin stimmen soll (was er allerdings ohnehin beabsichtigt hatte). Der Nobelpreis käuflich? Unvorstellbar! Da greifen die Hintermänner der Bestechung zu einer anderen Maßnahme und entführen des Professors Tochter. Hans-Olof versteht diesen Angriff auf den Nobelpreis als unduldbaren Übergriff und geht zur Polizei. Wie er jedoch feststellen muss, ist ein Polizeibeamter direkt involviert – unmöglich kann er sich den Beamten anvertrauen. Bleibt als letzter Ausweg sein ungeliebter Schwager Gunnar Forsberg, der als Industriespion im Gefängnis sitzt.

Auf Bewährung bringt Olof ihn heraus und überträgt ihm die Suche nach seiner Tochter Christina. Hochprofessionell gelingen Gunnar nächtliche Besuche bei wichtigen Personen der verdächtigten Firma (Wer würde wohl am meisten vom manipulierten Nobelpreis profitieren? Doch wohl die Firma, bei der der Träger arbeitet!) und dort selbst, doch auf unglückliche Weise scheint die Polizei einen Riecher für ihn zu besitzen, so dass ihm oft nur knapp die Flucht gelingt. Über Christina lässt sich allerdings wenig herausfinden. Stattdessen kommt Gunnar einer ganz anderen Geschichte auf die Spur.

Für den Leser

Wie Herr Eschbach immer betont, ist auch dieser Roman wieder ganz anders als seine Vorgänger. Für die Geschichte ist ein wunderschöner erzählerischer Trick unabdinglich: Der Perspektivenwechsel zwischen Hans-Olof und Gunnar. Das kommt völlig überraschend und bewirkt außerdem eine Änderung in der Erzählung selbst und ihrem Stil. Man kann in ihrem Ton Teile der Lebenseinstellung der beiden Erzähler erkennen: Olofs gleichmäßige, etwas phlegmatische Stimme gegen Gunnars sprunghafte, aufmerksame und lebensfreudige. Dabei sind beide Personen sehr selbstüberzeugt und sehen Fehler nur bei Anderen, vor allem Gunnar fällt hier auf. Er macht natürlich alles richtig – bis er fast auf die Nase fällt, glaubt er auch daran.

Andreas Eschbachs Kreativität zeigt sich deutlich in einer Szene, in der Gunnar außergewöhnlich knapp der Polizei entkommt: In einer nächtlichen Arztpraxis ausweglos festsitzend, täuscht er den Beamten den Beischlaf mit einer populären Persönlichkeit vor und gibt sich selbst als Arzt aus. Entscheidendes Element ist für die Abwiegelung des Misstrauens der Männer der hastig versteckte, aber lang genug sichtbare triefende Penis des „Arztes“.

So überraschend eine derartige Beschreibung auch kommt, Herr Eschbach versteht sein Fach: Als Bühnenbildner, Regisseur und Schauspieler im Theater der Fantasie benutzt er alle Mittel, um seine Geschichte in die Vorstellung des Lesers zu transferieren.

Was außerdem macht diesen Roman so gut? Wahrscheinlich spielt auch die Technik eine große Rolle, die Flüssigkeit, der Spannungsaufbau, der sich durch die häufigen Rückschläge Gunnars manifestiert. Und Herr Eschbachs professionelle Recherche, denn wenn man den sachlichen Informationen zum Beispiel über den Nobelpreis glauben kann, offenbart sich zu einem großen Medienereignis dieser Monate ein toller „BILD“-Fehler: Der in Kalifornien hingerichtete Gangster. Ob diese Hinrichtung nun moralisch vertretbar oder abzulehnen ist, wurde an anderen Stellen diskutiert. Hier geht es um den Nobelpreis, für den der Gangster gleich mehrfach nominiert gewesen sein soll. Herr Eschbachs Recherche ergab, dass diese Informationen unter Verschluss bleiben. Darauf ist auch ein wichtiger Handlungspunkt zurückzuführen, ohne den die Geschichte so nicht funktionieren würde. Künstlerische Freiheit von Herrn Eschbach oder mediale Fehlinformation? Leicht lässt sich auf Letzteres Tippen.

Die Geschichte lädt zum Miträtseln ein. So erscheint es doch plausibel, dass der vorbildliche Hans-Olof, der ja für die entsprechende Kandidatin stimmen wollte, durch den gescheiterten Erpressungsversuch dazu gebracht werden sollte, ihr seine Stimme zu verweigern. Aber wäre das sinnvoll? Herr Eschbach spinnt ein feines Netz aus falschen Fährten, die zum Teil extra für den Leser angelegt erscheinen, da sie von den Protagonisten missachtet werden, uns jedoch so deutlich vor Augen liegen. Schließlich kommt aber doch alles ganz anders.

Fazit: Andreas Eschbach sagte sinngemäß, wenn man noch ein Buch in diesem Jahr oder Jahrzehnt lesen wolle, solle man Wolfgang Jeschkes „Cusanus-Spiel“ lesen. Diese Aussage trifft weitaus eher auf den „Nobelpreis“, seinen eigenen neuen Roman zu. Das ist garantiertes Lesevergnügen für jedermann.

Khoury, Raymond – Scriptum

Auf den Spuren eines Dan Brown möchten heutzutage verständlicherweise sehr viele Autoren wandeln, insbesondere wenn es um die sagenhaften Verkaufszahlen von Browns Verschwörungsthrillern geht. So wundert es kaum, dass der Buchmarkt in den letzten Jahren von immer mehr Kirchenthrillern geflutet wird, die allerdings oftmals nicht einmal annähernd auf der Brown’schen Erfolgswelle mitschwimmen können. Denn ein kirchengeschichtlicher Hintergrund – am besten natürlich unter Mitwirkung eines Geheimbundes – sowie ein relativ spartanischer und rasanter Schreibstil alleine reichen noch nicht aus, um beim Leser dasjenige Kribbeln hervorzurufen, das man beim Lesen von „Illuminati“ verspürt.

Auch Raymond Khoury hat sich mit den Tempelrittern und einem dunklen Vatikangeheimnis zwei sehr erfolgreiche Komponenten herausgepickt, die gepaart mit dem verkaufswirksamen Titel samt optisch hervorstechenden Buchcover praktisch einen Bestseller garantieren. Und richtig, „Scriptum“ verkauft sich hervorragend und wird an Weihnachten sicher so manch einen Bibliophilen erfreut haben. Doch eins muss man gleich vorweg feststellen: Dies widerfährt Khoury nicht ganz zu Unrecht, denn sein Buch sticht aus den zahlreichen mittelmäßigen Thrillern erfreulich positiv heraus. Doch beginnen wir zunächst beim Inhalt:

Im New Yorker Metropolitan Museum werden in einer Sonderausstellung Schätze des Vatikans präsentiert, die sich auch die hübsche Archäologin Tess Chaykin, ihre Mutter und ihre Tochter ansehen wollen. Doch dann tauchen plötzlich vier in Tempelrittertracht verkleidete Reiter auf, die einen Wachmann köpfen, die Besuchermenge in Schach halten und sich einige Schätze ergreifen. Tess kann dabei nur knapp einem der bedrohlichen Reiter entgehen, der sich zielsicher einen unscheinbaren Kasten greift und dazu geheimnisvolle lateinische Worte spricht. Nach dem Überfall schnappen die Reiter sich eine prominente Geisel und verschwinden über alle Berge.

Nachdem Tess ihren Schrecken überwunden hat und auch ihre Tochter wohlbehalten in die Arme schließen kann, fragt sie sich bald, warum der eine Reiter zielbewusst den so unbedeutend wirkenden Kasten erbeutet hat, der im Katalog als Rotorchiffrierer mit mehreren Walzen geführt wird. Doch Tess‘ Gefühl sagt ihr gleich, dass dahinter mehr stecken muss. Bald stellt sie eine Verbindung des Überfalls zu den Tempelrittern her und beginnt mit ihren eigenen Nachforschungen.

Dies aber ist FBI Special Agent Sean Reilly ein Dorn im Auge, da er weiß, dass Tess sich durch ihre eigene Ermittlung unbewusst in große Gefahr begibt. Denn nach dem Überfall auf das Metropolitan Museum werden nach und nach die Leichen der Reiter aufgefunden. Irgendjemand verfolgt seine eigenen Ziele und ermordet zielsicher die Museumsräuber. Sogar der Vatikan hat einen Verbündeten in New York, der dafür sorgen will, dass ein gut gehütetes Geheimnis im Verborgenen bleibt. Während Tess ihren Nachforschungen nachgeht und sich allmählich in Reilly verliebt, werden die beiden von den Verfolgern zu den Verfolgten …

Raymond Khoury bedient sich einiger erfolgsversprechender Komponenten für seinen Tempelritterroman, die Garanten für seinen großen Verkaufserfolg sind: In Manier eines Dan Brown lässt er zwei Protagonisten auf den Plan treten, die gut aussehend sind und mutig agieren und sich natürlich im Laufe der Geschichte ineinander verlieben und folglich alle Gefahren gemeinsam durchstehen können. Aber in den Biografien beider Hauptfiguren finden sich dunkle Episoden, die ihr heutiges Leben noch überschatten und dafür sorgen, dass die Liebe zwischen Tess und Sean nur langsam gedeihen kann. Khoury bedient hier sämtliche Klischees und langweilt dadurch an mancher Stelle, doch verlangt inzwischen wohl kaum noch jemand nach realistischen Figuren in aktuellen Spannungsromanen.

Glücklicherweise aber geschieht diese Liebelei zwischen Tess und Sean nur nebenbei und steht nicht im Zentrum der Geschichte. Khoury konzentriert sich vielmehr darauf, seine Tempelrittergeschichte zu entwickeln. In einem rasanten Erzähltempo präsentiert er uns historische Informationen über die Tempelritter und ihre Verbindung zum Vatikan. Hierfür lässt er zwischendurch einige Kapitel in weiter Vergangenheit spielen, wo wir neue Protagonisten kennen lernen, die damals das große Geheimnis des Vatikan gehütet haben.

„Scriptum“ spielt an verschiedenen, teils recht exotischen Schauplätzen, zwischen denen Khoury hin und her blendet, um dadurch immer mehr Spannung aufzubauen. Besonders die erste Buchhälfte fällt dadurch sehr spannend aus. Ab der Hälfte jedoch übertreibt der Autor es ein klein wenig mit seinen Ausführungen. Hier überschlagen sich die Ereignisse dermaßen, dass Spannung und Glaubwürdigkeit darunter zu leiden haben. Die Ereignisse erscheinen nicht mehr so ausgefeilt, sondern eher wie eine bloße Aneinanderreihung von gefährlichen Situationen. Da der Leser sich zudem recht sicher sein kann, dass Tess Chaykin und Sean Reilly diese Gefahren überstehen werden, fehlt dem Leser etwas die Gänsehaut.

Stilistisch hat sich Raymond Khoury stark an Dan Brown orientiert; so zaubert er nicht nur ein Vatikangeheimnis aus dem Ärmel, das an dasjenige aus Sakrileg erinnert, sondern er bedient sich ebenfalls der kurzen Kapitel, die schon bei Brown für ein rasantes Erzähltempo gesorgt haben. Dennoch merkt man, dass die Geschichte bei Khoury bei weitem nicht so raffiniert ausgeklügelt ist wie bei seinem berühmten Kollegen. Dies ist auch ein großes Manko, mit dem „Scriptum“ zu kämpfen hat, denn das wohlgehütete Geheimnis, das Khoury uns so sensationsversprechend präsentiert, wirkt nicht sonderlich innovativ, sodass an dieser Stelle viel aufgebaute Spannung verpufft. Hier hätte ich mir eine größere Sensation gewünscht, die vielleicht noch kein anderer Autor verwendet hat.

So bleibt am Ende festzuhalten, dass Raymond Khoury mit seiner Geschichte sehr wohl zu unterhalten weiß und mit „Scriptum“ einen rasanten und spannenden Roman vorgelegt hat, den man gerne und gebannt liest. Doch leider kann Khoury nicht vollkommen überzeugen; Dan Brown hat die Messlatte mit „Illuminati“ und „Sakrileg“ einfach zu hoch gelegt, sodass Khoury diese Marke nicht erreichen kann. Den Vergleich verliert Khoury durch seine wenig innovative Geschichte, die leider nicht an jedem Punkt überzeugen kann und auch nicht mehr neu wirkt, außerdem übertreibt der Autor es am Ende seines Buches etwas zu sehr. Etwas weniger Action hätte der Glaubwürdigkeit seines Romans gut getan. Insgesamt ist „Scriptum“ somit zwar überaus lesenswert und versüßt die Zeit bis zum nächsten Brown-Thriller gut, ganz oben in einer Liga mit Brown oder Eco kann das vorliegende Buch allerdings nicht mitspielen.

Speemann, Rike – Feuer der Rache

Da denkt man doch als nichts ahnender Leser, dass nur amerikanische Frauen es mit umtriebigen Vampiren zu tun haben. Prominente Beispiele wären da zum einen Anita Blake, die toughe Vampirjägerin, die sich mit Kreuz und Knarre gegen die Avancen des smarten Vampirs Jean-Claude wehrt. Zum anderen könnte man die süße Kellnerin Sookie nennen, die stattdessen den (vermeintlich) einfacheren Weg wählt und seufzend in die starken Arme ihres untoten Lovers sinkt. Doch es gibt Hoffnung für all die deutschen Frauen da draußen, die ans Auswandern gedacht haben, nur weil es im eigenen Land keine feschen Vampire gibt. Rike Speemann macht’s möglich und präsentiert Peter von Borgo (was jetzt noch nicht arg sexy klingt), den Hamburger Vampir, der mit schwarzer Lederjacke und japanischem Motorrad durch Blankenese saust.

Doch von vorn: Eigentlich geht es um Sabine Berner, ihres Zeichens Oberkommissarin beim Hamburger LKA. Im Vorgängerroman „Der Duft des Blutes“ kam ihr zum ersten Mal Vampir Peter zu Hilfe, was ihrer Karriere nicht gerade förderlich war. Wegen Aussetzern und Gedächtnisschwund wurde sie vom Dienst suspendiert, bis sie sich von einem Psychiater begutachten lässt. Dem will sich Sabine natürlich nicht stellen, was soll sie ihm auch erzählen: Dass sie von einem Untoten umworben wird? Und so sitzt Sabine zu Hause und ist deprimiert. Ihr Job ist passé und ihr Ex-Mann geneigt, ihr das Besuchsrecht für die gemeinsame Tochter zu entziehen. Und an allem ist nur dieser Peter von Borgo schuld, der mit Vorliebe überraschend in ihrer Wohnung auftaucht und ihr Liebesschwüre ins Ohr säuselt.

Sabines Leben gewinnt schlagartig an Fahrt, als sie von der verschwundenen Iris erfährt. Ihre Großmutter erbittet sich Sabines Hilfe und diese macht sich auch sofort auf, das seltsame Verschwinden der bisher nicht auffällig gewordenen jungen Frau zu ergründen. Gleichzeitig mühen sich ihre Kollegen bei der Mordkommission mit einer Mordreihe ab, bei der gut betuchte und einflussreiche Hamburger elegant um die Ecke gebracht werden.

Und immer wandelt der geheimnisvolle Vampir am Rande des Geschehens. Was weiß er wirklich und kann Sabine den Beteuerungen seiner Unschuld tatsächlich glauben? Schließlich erweist er sich in vielen Fällen als hilfreich, enthält ihr aber offensichtlich Informationen vor. Peter von Borgo ist nicht loszuwerden. Doch mal ehrlich, wer will schon, dass er aus der Handlung verschwindet?

Hinter dem Pseudonym Rike Speemann versteckt sich die deutsche Erfolgsautorin Ulrike Schweikert, die unter ihrem richtigen Namen mehr das Metier des historisches Romans bearbeitet. Das Historische ist in „Feuer der Rache“ jedoch relativ nebensächlich: Über Peter von Borgos Vergangenheit erfährt der Leser nur wenig. Stattdessen ist der Roman eine Mischung aus Krimi und Vampirroman, mit Schwerpunkt auf der Krimihandlung. In guter Krimitradition hat Rike Speemann bis ins Kleinste recherchiert und macht so besonders den Schauplatz der Handlung, nämlich Hamburg, erfahr- und erlebbar. Auch die kleinen Ausflüge in den Wicca-Glauben schlagen in diese Kerbe, wirken jedoch ein wenig aufgesetzt.

Speemann fährt ein ganzes Arsenal an Figuren auf, schafft es jedoch, deren Innenleben immer überzeugend zu beleuchten. Der inzige, der immer ein Mysterium bleibt, ist Peter von Borgo selbst. Seine Motive entschlüsseln sich erst gegen Ende des Romans, auch wenn ein findiger Leser recht schnell die Richtung der eigentlichen Mordgeschichte erahnen kann. Der Herr von Borgo dagegen bleibt ein Geheimnis, vor allem in seinem unglücklichen Schmachten nach Sabine, die sich sträubt und windet. Alles in allem scheint Peter von Borgo noch viel Potenzial zu besitzen, das in den bereits veröffentlichten zwei Romanen um ihn noch nicht einmal angerissen wurde.

„Feuer der Rache“ ist ein durchdachter und raffinierter Krimi, der durch seine Liebelei mit Vampiren und Hexen aus dem unüberschaubaren Wust an Krimiveröffentlichungen heraussticht. Rike Speemann paart ihren Krimiplot mit sparsam dosierten Horrorelementen und einem guten Schuss erotischem Prickeln. Einigen Lesern mag diese Strategie bekannt vorkommen und tatsächlich ist Speemann längst nicht die Erste, die das Potenzial dieses Genremixes erkannt hat. Doch anstatt von anderen Autoren abzuschreiben, schafft sie es durchaus, ihr eigenes Universum aufzubauen. Man kann nur hoffen, dass es weitere Romane um Sabine und Peter geben wird, in denen das Mystery-Element mehr betont wird und man so mehr über den Vampirismus in Speemanns Romanuniversum erfährt.

„Feuer der Rache“ ist mit seinen fast 400 Seiten ein wunderbarer Schmöker für einen verregneten Winternachmittag oder eine lange Zugfahrt. Speemann erzählt flott und spannend und man mag das Buch kaum aus der Hand legen. Und das ist eigentlich alles Lob, das ein Krimi braucht, oder?

Kerley, Jack – letzte Moment, Der

Jack Kerley wird als der Shootingstar der amerikanischen Krimiszene gefeiert. Bereits mit seinem ersten Roman, dem Thriller „Einer von hundert“, gelang ihm in seiner Heimat der Durchbruch, und auch in Deutschland wurde man schnell auf den Autor aus Newport, Kentucky, aufmerksam. Nun legt der Erfolgsautor nach: In „Der letzte Moment“ widmet er sich seiner Passion für die berüchtigte Manson-Familie und verpackt seine Faszination für Massenmörder in einen unheimlich spannenden, fiktiven Krimi.

_Story:_

Anfang der Siebziger steht der berüchtigte Serienmörder Marsden Hexcamp nach langem Ringen endlich vor Gericht und muss sich für seine Taten verantworten. Vor dem Gerichtssaal wartet eine ständig weinende, junge Dame auf den Urteilsspruch, der – das ist nicht anders zu vermuten – die Todesstrafe mit sich bringen wird. Doch genau diese junge Dame kommt dem Richter zuvor und erschießt zunächst ihren anscheinend Geliebten und danach sich selbst, um den Ermittlern ein letztes Mal ein Schnippchen zu schlagen und die Kunst, die Hexcamp während seiner Lebenszeit zelebrierte, ein letztes Mal in einer gewaltigen Inszenierung zum Leben zu erwecken.

Dreizig Jahre später hat der Fall den ehemaligen Detective Jacob Willow noch immer nicht losgelassen. Willow, der damals bei der Urteilsverkündung ebenfalls anwesend war, die Tragödie aber nicht mehr verhindern konnte, hat sich seither mit dem skurrilen Fall beschäftigt und fleißig Anhaltspunkte finden können, die hinter dem Erbe Hexcamps eine sektenartige Gruppierung vermuten lassen, doch zu fassen bekommen hat Willow von diesem Verbund nie jemanden.

Nun wird aber in einem Motel eine brutal zugerichtete Leiche gefunden, und plötzlich steht der Name Hexcamp wieder im Brennpunkt der Ermittlungen. Die beiden Polizisten Carson Ryder und Harry Nautilus werden auf den Fall angesetzt und wollen so den Ruf, den ihnen gerade die Ehrung zur besten Polizeitruppe der Stadt erbracht hat, bestätigen. Allerdings geraten die Ermittlungen arg ins Stocken: einerseits, weil ein Fernsehteam um die nervige Journalistin Dansbury keine Ruhe geben will und Harry und Carson ständig in Rage bringt, und andererseits, weil der Fall noch weitere Leichen nach sich zieht, deren Tode offensichtlich mit dem Mord im Motel zusammenhängen. Der einzige Aufhänger für die beiden Cops sind einige Fetzen eines Bildes.

Als sie eines Tages mit dem berenteten Jacob Willow in Kontakt treten, entdecken sie die Parallelen zum Fall Hexcamp und rollen die Verbrechen des ‚Altmeisters‘ neu auf. Tatsächlich führt die Spur zu einer Untergrundorganisation, die damals von Hexcamp angeführt wurde, und weiterhin zu einer bizarren Gruppe Menschen, die sich mit dem Nachlass und den Tatwaffen berühmter Massenmörder beschäftigt und diese auch sammelt. Je abscheulicher das Instrument, desto höher der künstlerische Wert und somit auch der Preis – eine grausame Tatsache, mit der sich Carson Ryder auseinandersetzen muss, und die ihn schließlich auch zu einer fanatischen Anhängerin Hexcamps führt, bei der sich der Polizist weitere Infos holen kann.

Dennoch: Die Zusammenhänge wollen dem Team nicht klar werden, und erst als auf Geheiß ihres Chefs die verachtete Mrs. Danbury zum Team stößt, geht es voran. Gemeinsam reisen Ryder und Dansbury nach Paris und bekommen dort einen entscheidenden Tipp und weitere Hintergründe zum Aufstieg von Marsden Hexcamp. Doch erst der Zufall will es, dass Carson der Sache auf die Schliche kommt – doch da ist es schon zu spät …

_Meine Meinung_

Action von Anfang an; Jack Kerley legt sofort richtig los. Die ersten Szenen aus dem Gerichtssaal sind direkt enorm actiongeladen und zerren den Leser auch umgehend in die Geschichte hinein. Doch genauso schnell, wie man Zugang zur Story um Marsden Hexcamp gefunden hat, wird man auch wieder in die erzählte Gegenwart geworfen, in der die beiden Cops Ryder und Nautilus gerade ausgezeichnet werden. Von hier an wird die Geschichte aus der Perspektive Ryders erzählt, hat aber fortan auch einige Startschwierigkeiten.

Eine Leiche wird gefunden, ein Journalistenteam penetriert die Polizei ohne Unterlass und mittendrin steht das stets sehr reizbare Duo Ryder/Nautilus, ohne eine Ahnung von den tatsächlichen Vorgängen. Enttäuschung macht sich breit, bis dann plötzlich Zusammenhänge zum alten Mordfall aufgedeckt werden und das Buch umgehend auch wieder an Farbe gewinnt. Nun sieht sich der Leser dazu veranlasst, beide Geschichten parallel zu verarbeiten, doch sobald man glaubt, sich endlich Klarheit verschafft zu haben, ist Jack Kerley einem auch schon wieder einen Gedankensprung voraus und führt den Leser auf die nächste (falsche) Fährte. Plötzlich steht ein vermisster Anwalt im Raum, eine seltsame Anwaltsfirma wird verhört und verdächtigt, Ryders Bruder, der sich wegen eines Mordes auf Lebenszeit im Gefängnis befindet, kommt als entscheidendes Element in Betracht und immer wieder tauchen neue Personen auf, die mit der Serie in Verbindung gebracht werden bzw. irgendwie mit hineingezogen wurden.

Na also, da haben wir ihn doch, den genialen Thriller mit seinen zahlreichen Wendungen und den vielen Charakteren, die zwar meistens etwas eigenartig sind, im Hinblick auf ihre Ausstrahlung aber stets am Boden des Realistischen verbleiben. Auch wenn die beiden Ermittler prinzipiell in die Rolle der Helden hineingedrängt werden, drohen sie nicht abzuheben und werden nicht schlagartig zu Superhelden, die mit spielerischer Leichtigkeit aus einem kleinen Indiz einen Fall von enormer Tragweite lösen, was der gesamten Story dann auch sehr zugute kommt.

Außerdem verschwendet Kerley im Laufe der Geschichte auch nie seine Erzählzeit damit, irgendwelche persönlichen Dramen in die Story zu integrieren. Die Konzentration gilt einzig und alleine den Ermittlungen und dem mysteriösen Fall um Marsden Hexcamp, den verschwundenen Anwalt und die neue Mordserie, deren Ursprünge mehrere Dekaden weit zurückgehen – alles super in Szene gesetzt und nach anfänglichen Längen mit einem sehr, sehr hohen Erzähltempo vorangebracht.

Am Ende ist dann auch klar, warum Kerley als Shootingstar gefeiert wird. Stilistisch stets bodenständig und in Bezug auf die Handlung immer nahe am Geschehen, ist „Der letzte Moment“ ein wirklich toller Mix aus Krimi und Thriller geworden, dessen besonderer Reiz in der Faszination für das Unmenschliche liegt. Kerleys Vorliebe für das Thema „Massenmörder“ und die daraus resultierenden, detailreichen Beschreibungen der bizarren Mordfälle verhelfen dem Roman schließlich zum international tauglichen Referenzformat und entlocken mir eine uneingeschränkte Empfehlung für diesen aufstrebenden Autor.

Bradby, Tom – Herr des Regens, Der

Tom Bradby scheint ein Autor mit einer Vorliebe für exotische Handlungsorte zu sein. Spielt sein aktueller Roman „Der Gott der Dunkelheit“ in Ägypten, so zieht es die Hauptfigur seines Debütromans „Der Herr des Regens“ nach Shanghai. Und noch eine Vorliebe Tom Bradbys lässt sich mit einem Blick ausmachen: der historische Kontext. Beide Romane verbinden exotische Schauplätze, Krimiplot und ein historisches Setting zu einer fesselnden und vielschichtigen Lektüre.

„Der Herr des Regens“ spielt im Shanghai der 20er Jahre. Über Zeit und Ort erfährt man im Geschichtsunterricht nicht unbedingt viel, so dass es sich empfiehlt, parallel zur Lektüre einmal die historischen Hintergründe von Shanghai nachzuschlagen. Bradby hat seinen Roman in einer äußerst bewegten Epoche der Geschichte der Stadt angesiedelt.

Viele Nationen mischen in der Stadtgeschichte mit. Vor allem die Briten beherrschen das Bild. Shanghai erlangt im Laufe der 20er Jahre Ruhm als Weltmetropole und bedeutender Handelsstandort. Chinesen, Briten, Franzosen und Russen leben in den unterschiedlichen Stadtteilen Tür an Tür. Mit dem Aufkommen des Kommunismus werden die Zeiten unruhiger und „Der Herr des Regens“ spielt genau ein Jahr, nachdem die britischen Truppen Studentenproteste blutig niedergeschlagen haben.

1926 kommt der Protagonist Richard Field in die pulsierende fernöstliche Metropole Shanghai. Er ist jung und unerfahren und flieht vor der beengenden Familie in England und der eigenen Vergangenheit ins ferne China. Hier tritt er seinen Posten im Sonderdezernat der Polizei von Shanghai an, in der Hoffnung, sich in den nächsten Jahren der ehrenvollen Aufgabe polizeilicher Ermittlungsarbeit widmen zu dürfen.

Doch schon bald muss Field einsehen, dass die Realität nicht ganz dem entspricht, was er sich erhofft hat. Shanghai entpuppt sich als Hort der Sünden, Gewalt und Korruption. Sein erster Fall erweist sich gleich als heikel. Eine junge Russin wurde brutal ermordet. Bei den ersten Nachforschungen stößt Field schon bald auf einen Namen, dem er in der nächsten Zeit immer wieder begegnen wird: Lu Huang. Lu Huang ist ein sagenumwobener chinesischer Gangster, der in Shanghai viele Fäden in der Hand hält. Field ahnt noch nicht, worauf er sich einlässt, als er mit den Ermittlungen beginnt, doch schon bald blickt er in die dunklen Abgründe der Stadt und muss erkennen, dass es äußerst gefährlich ist, unbequem zu werden, wenn man nicht weiß, wem man trauen kann …

Tom Bradby ist mit „Der Herr des Regens“ ein interessanter und spannender Roman geglückt. Er skizziert ein lebendiges Bild der 20er Jahre in der Stadt und vermittelt dem Leser dadurch ganz nebenbei den Anreiz, sein geschichtliches Wissen der Zeit zu vertiefen. Die Epoche bietet für sich genommen schon ein spannendes Szenario für einen Kriminalroman. Shanghai eignet sich hierfür im Besonderen. Die Stadt galt als Sinnbild des Abenteurertums der Zeit, als Ort, an dem man reich werden konnte. In Shanghai schien alles zum Greifen nah. Jeder Wunsch konnte erfüllt, jedes Bedürfnis gestillt werden.

Auf den Punkt bringen kann man die Stimmung von Zeit und Ort in einem Satz, den Aldous Huxley im gleichen Jahr ausgesprochen hat, in dem auch der Roman spielt. Huxley hat nach eigener Aussage |“in keiner Stadt je einen solchen Eindruck von einem dichten Morast üppig verflochtenen Lebens“| wie in Shanghai bekommen. Genau diese Stimmung beschwört Tom Bradby in seinem Roman herauf.

In diese Szenerie versetzt er den jungen, idealistischen Polizisten Richard Field, der schon bald erkennen muss, dass polizeiliche Ermittlungsarbeit nicht immer die Suche nach der Wahrheit zum Ziel hat. Field bewegt sich in einem Umfeld, das permanentes Misstrauen verdient, weil man nie weiß, wer mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung steht und wer nicht, und in dem jeder ausgesprochene Satz schon einer zu viel sein könnte. Besonders verzwickt ist Fields Lage auch dadurch, dass er durch seinen Onkel Beziehungen zu den Reichen und Mächtigen der Stadt pflegt. Für einen naiven Frischling wie Field kommt das einem Bad in einem Haifischbecken gleich.

Man spürt als Leser die allgegenwärtige unterschwellige Bedrohung, eine Atmosphäre, die bei aller Exotik immer wieder düster und beklemmend wirkt. In mancher Hinsicht erinnert „Der Herr des Regens“ an opulente und verworrene Krimi-Noir-Geschichten wie [„L.A. Confidential“ 1187 von James Ellroy. Desillusioniert und bedrückend, atmosphärisch dicht und irgendwie undurchdringlich. Wer Kriminalromane von diesem Schlag mag, für den ist auch „Der Herr des Regens“ vortreffliche Lektüre.

„Der Herr des Regens“ ist ein Roman, den man sich bildlich ausgesprochen gut vorstellen kann. Bradby lässt sich zum Einstieg Zeit, Atmosphäre aufzubauen, gibt seinem Protagonisten Field Gelegenheit, in seine neue Rolle hineinzuwachsen und baut die Spannung gemächlich auf, um den Leser dann zum Ende hin nägelkauend weiterlesen zu lassen. Besonders das letzte Viertel ist derart spannungsgeladen, dass man das Buch kaum zur Seite legen mag.

Wahres Kopfkino inszeniert Bradby und so kann man sich problemlos vorstellen, dass auch Hollywood an der Entwicklung der Figur Richard Fields und seinen heldenhaften Anwandlungen zum Ende hin Gefallen haben könnte. Andererseits fällt das Ende der Geschichte in Anbetracht der ansonsten so düsteren und dichten Stimmung des Romans auch ein wenig zu glatt und gefällig aus. Ein bisschen weniger Happyend hätte nicht geschadet und der Geschichte zusätzliche Glaubwürdigkeit verliehen.

Was die Verteilung der Rollen zwischen Gut und Böse angeht, so hätte Bradby sich meiner Meinung nach ruhig noch etwas mehr Mühe geben können, die Fährten ein wenig mehr zu verwischen. Die Andeutungen und Hinweise, die er ausstreut, sind manchmal einfach zu offensichtlich, so dass man als Leser mit etwas Krimierfahrung sicherlich nicht sonderlich überrascht ist, wenn enthüllt wird, wer richtig und wer falsch spielt, wer wirklich verdächtig ist und wer nicht. Und so erscheint zum Ende hin dann auch so mancher „Sinneswandel“ nicht unbedingt bis ins Mark glaubwürdig.

Ähnlich blass bleibt die Enthüllung des Mörders. Die Motive werden kaum deutlich und bleiben einfach zu schwammig und fragwürdig, um den Täter wirklich überzeugend erscheinen zu lassen, und so ist die Auflösung des Krimiplots sicherlich nicht zu den Highlights des Romans zu zählen. Atmosphäre und Spannungsbogen können aber durchaus dagegenhalten, um zumindest teilweise über diese Mängel hinwegzutrösten.

Bradby fährt eine lesenswerte und spannungsgeladene Mischung auf, die einerseits geschichtliche Hintergründe eines interessanten und exotischen Schauplatzes einbezieht und andererseits einen spannenden Plot mit interessanten Figuren entwickelt, der nebenbei gar noch eine verzwickte Liebesgeschichte auffährt. Die Mischung geht in jedem Fall auf, und so ist das Resultat ein unterhaltsamer und spannender Krimi, dem man die eine oder andere kleinere Schwäche aufgrund der dichten Atmosphäre und der Exotik des Schauplatzes gerne mal verzeiht.

Sullivan, Mark T. – Toxic

„Toxic“ hatte eigentlich schon gewonnen, da hatte ich noch nicht einmal die erste Seite des Buches aufgeschlagen. Die positiven Rezensionen, die das Buch überall zuvor bekommen hat und die Auszeichnungen, mit denen sich Autor Mark T. Sullivan schmücken darf, waren vorab bereits ein Garant für einen packenden Thriller. „Der Thriller des Jahres“, so steht es auf dem Cover, genau das soll „Toxic“ sein. Aber man weiß ja, wie so etwas dann meistens endet. Die hohe Erwartungshaltung schlägt in blanke Enttäuschung um, der Sticker auf der Vorderseite stellt sich als schlechter Witz heraus, und selber ärgert man sich erneut darüber, dass man so einfach auf die Ankündigungen aus dem Vorfeld der Veröffentlichung hereingefallen ist.

_Story_

Mary Aboubacar, ein Zimmermädchen in einer kalifornischen Kleinstadt macht beim Antritt ihres alltäglichen Dienstes eine schreckliche Entdeckung. Inmitten eines blank geputzten Schlafzimmers findet sie die Leiche eines Mannes, dessen Erscheinungsbild die afro-amerikanische Bürgerin darauf schließen lässt, dass der Mann an Ebola erkrankt ist. Zum Glück für die dunkelhäutige Dame hat sie sich jedoch in ihrem Urteil geirrt, denn der junge Mann, der brutal ans Bett gefesselt und gefoltert wurde, ist am Biss einer giftigen Schlange gestorben und hatte keine ansteckende Krankheit.

Sergeant Shay Moynihan wird beauftragt, sich um den mysteriösen Fall zu kümmern, ist aber gleichzeitig auch sehr intensiv mit seinem Privatleben beschäftigt. Seine Ex-Frau kritisiert sein mangelndes Verantwortungsgefühl und macht ihn dafür verantwortlich, dass ihr gemeinsamer Sohn Jimmy gegen alle guten Ratschläge rebelliert. Doch Shay bleibt wegen seines pikanten Jobs nichts anderes übrig als die Prioritäten zugunsten der Polizeiarbeit zu verschieben, was zwangsläufig dazu führt, dass sein Sohn und er sich von Tag zu Tag weiter auseinander leben.

Mitten in diese persönliche Misere stößt nun dieser seltsame Mordfall. Nicht nur, dass die ‚Mordwaffe‘ höchst ungewöhnlich ist; auch die Bibelzitate, die der Attentäter am Spiegel seines Opfers hinterlassen hat, geben dem Sergeant Rätsel auf. Die Ermittlungen kommen kaum voran, und während Moynihan einen Schlangenexperten aufsucht, taucht auch schon das zweite, übel zugerichtete Opfer auf. Wohl wissend, dass hier eine ganze Serie von brutalen Sexualmorden ins Rollen kommt, begibt sich Shay daran, den gerissenen Mörder in die Hände zu bekommen, doch der ist ihm wiederum voraus und hat auch schon ein weiteres Opfer in Sicht …

_Meine Meinung_

So, so, das ist also der „beste Thriller des Jahres“. Sind denn sonst keine anderen Bücher mehr erschienen? Oder denke ich einfach zu kompliziert, so dass mich diese leichtfüßige und weitestgehend zu simpel gestrickte Story nicht aus den Socken hauen kann? Nun, die Geschichte ist wirklich nicht der Renner und gerade mal dazu geeignet, als kurze Zwischenmahlzeit zwischen den tatsächlich gewichtigen Hauptgängen serviert zu werden – wenn überhaupt …

Sullivan macht es sich eigentlich ziemlich leicht. Er sucht einfach ein paar mysteriöse wirkende Themenschwerpunkts aus, kombiniert diese halbwegs schlüssig und glaubt, nun den perfekten Thriller erschaffen zu haben. Liest sich ja auch auf dem Backcover toll, wenn da von bizarren Sexualverbrechen, tödlichen Schlangenbissen und einer geheimnisvollen Botschaft des Täters die Rede ist. Doch bei all den Klischees vergisst der Autor offensichtlich, dass einzelne Elemente noch nicht die Bürgschaft für eine mitreißende Story liefern. Und genau das bekommt der Leser dann auch zu spüren. Die Geschichte geht nämlich fortlaufend so schleppend voran, dass man oftmals einfach die Motivation zum Weiterlesen verliert.

Das beste Beispiel sind die ersten hundert Seiten: Dort wird vom familiären Chaos des Sergeants Moynihan erzählt, ohne dass in irgendeiner Weise Tiefgang vorläge. Dann kommt natürlich der erste Mord ins Visier, doch auch der wird so oberflächlich beschrieben, dass man sich bereits hier fragt, wie denn überhaupt Spannung in die Angelegenheit hineinkommen soll. Als Letztes wird dann nach den Motiven gesucht, das allerdings auch so plump, dass man nur mit dem Kopf schütteln kann. Nach dem ersten Viertel ist man schließlich genauso schlau wie vorher, und das kann ja wohl nicht die Intention des Autors sein.

Mit fortlaufender Handlung kann Mark T. Sullivan zumindest an diesem Manko etwas ändern. Es gibt so zur Mitte des Buches hin einen Knackpunkt, von welchem an die Story endlich mal in die Gänge kommt, wobei man aber auch von diesem Zeitpunkt an kaum Versatzstücke eines spannenden Romans findet. Klar, wenn man einmal so weit gekommen ist, will man natürlich auch wissen, was hinter der rätselhaften Mordserie steckt bzw. wer der Mörder ist, aber die dringende Lust, schnellstmöglich Ergebnisse zu bekommen, verspürt man dennoch nicht.
Das Familiendrama hingegen kommt nie so richtig in Fahrt und wirkt letztendlich auch ziemlich aufgesetzt. Wenn Sullivan hierbei bezweckt hat, der Geschichte einen dramatischen Beigeschmack zu verleihen, ist er jedenfalls gescheitert.

Gescheitert ist er insgesamt auch an der hohen Vorgabe, mit welcher der Roman beworben wird. „Toxic“ ist alles andere als Weltklasse. Sowohl die Charaktere als auch die Handlung sind bestenfalls mäßig, und die hohen Erwartungen können innerhalb der Geschichte nie befriedigt werden. Genre-Freunde werden deshalb auch nur dann Freude an diesem Roman gewinnen, wenn sie auf Tiefgang, durchgängige Spannung und Obskures gerne verzichten. Wem hingegen altbekannte Klischees und langweilige Akteure völlig ausreichen, der kann das Buch mal testen. Aber wer gehört schon zu dieser Kategorie …?

Robert Louis Stevenson/Lloyd Osborne – Der Ausschlachter

Stevenson Ausschlachter Cover kleinZwei unerfahrene Freunde kaufen ein Wrack, an dessen Bord sie einen Schatz vermuten. Finstere Konkurrenten, die Südsee-Fremde und andere Schwierigkeiten bescheren ihnen statt eines Vermögens vor allem immer neue Abenteuer … – Der von Autor Stevenson und seinem Stiefsohn verfasste Roman ist ein vergnügliches, Komplikation auf Verwicklung häufendes Abenteuer mit sachter Sozialkritik.
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King, Stephen – Colorado Kid

Das geschieht:

Moose-Lookit ist eine kleine Insel vor der Küste des US-Staates Maine. Die wenigen Bewohner leben vom Sommertourismus, ansonsten bleibt man unter sich. Über die Ereignisse des Insellebens informiert seit einem halben Jahrhundert der „Weekly Islander“, der vom neunzigjährigen Vince Teague und seinem Partner Dave Bowie herausgegeben wird. In diesem Sommer gesellt sich ihnen die 22-jährige Praktikantin Stephanie McCann hinzu. Die junge Frau kommt gut mit den beiden alten Männern klar und zeigt als Journalistin echtes Talent.

Eines Tages hört Stephanie vom „Colorado Kid“. Als sie neugierig nachfragt, erzählen ihr Teague und Bowie vom größten ungelösten Rätsel ihrer langen Laufbahn. 25 Jahre zuvor hatte man am Strand die gut gekleidete Leiche eines unbekannten Mannes gefunden, der offenbar an einem Stück Steakfleisch erstickt war. Er trug keine Papiere bei sich, es gab keine Anzeichen für ein Verbrechen. Die Nachforschungen der Polizei blieben erfolglos, die Leiche ohne Identität, bis mehr als ein Jahr später zufällig Name und Herkunft des Mannes entdeckt wurden: Von seinem Arbeitsplatz im US-Staat Colorado war der Zeichner James Cogan eines Tages plötzlich verschwunden, hatte seine Familie verlassen und war auf unbekannte Weise und in Rekordzeit nach Maine gereist, wo er am Strand von Moose-Lookit gestorben war.

Oder hatte man ihn ermordet? Die Indizien ließen sich in dieser Richtung deuten, aber bestätigen konnten Teague und Bowie diesen Verdacht nie. Ein Vierteljahrhundert später diskutieren sie den Fall Cogan mit Stephanie McCann und ordnen die Fakten neu, um der Kollegin eine wertvolle Lektion über den Journalistenberuf zu erteilen …

Nicht jede Ausgrabung fördert Gutes zutage

Seltsame Ideen sind keine seltene Erscheinung auf dem modernen Buchmarkt, gilt es doch ein Medium lukrativ zu halten, das im digitalen Zeitalter ein wenig altmodisch geworden ist. Immer gern gedrückt wird die Nostalgie-Taste, denn früher war bekanntlich alles besser, auch der Kriminalroman. In unserem Fall soll die Erinnerung an die Pulps der 1940er und 50er Jahre geweckt werden: billig hergestellte, mit grellen Umschlägen versehene Krimireißer voller Sex & Gewalt, die oft von den Großen des Genres in Rekordzeit in die Tasten (damals noch von Schreibmaschinen) gehauen wurden. Nicht selten verbargen sich in diesem Ghetto des Schrillen und Brutalen echte Klassiker, denen die Eile gut bekam, die ihre Verfasser an den Tag legen mussten in einer Zeit, als nur Cents pro Wort gezahlt wurden.

Die Pulp-Tradition wurde 2004 in der US-Reihe „Hard Case Crime“ wiederbelebt. Mehr oder weniger bekannte Autoren schreiben neue Thriller der alten Art, die mit Titelbildern im plakativen Stil versehen und als Taschenbücher preisgünstig auf den Markt geworden werden. Auch Stephen King, der stets bestrebt ist, Marktnischen auszuloten, ließ sich anheuern. Mit „The Colorado Kid“ steuerte er im Oktober 2005 den 13. Band zur Serie bei.

Abergläubische Zeitgenossen könnten darauf hinweisen, dass dieses Experiment aufgrund der Unglückszahl scheitern musste. Das wäre freilich auch die Antwort eines verzweifelten King-Fans, für den der Meister einfach nichts falsch machen kann. Aber er kann, und er hat es hier eindrucksvoll – und glücklicherweise seitenschwach – unter Beweis gestellt.

Vom Rätsel über das Indiz zur Lösung

„Colorado Kid“ wird von King nicht als „hard boiled thriller“ angelegt, sondern ist eher ein philosophischer Exkurs über das Wesen des (journalistisch aufbereiteten) Rätsels. Drei Menschen unterhalten sich über einen Vorfall, der sich vor langer Zeit ereignete und ungeklärt blieb. Wie in einem ‚richtigen‘ Krimi werden Tatort, Indizien und Verdächtige präsentiert. Doch eine Auflösung bleibt aus. Wie so oft im realen Leben gibt es zu wenige Fakten, um das Puzzle zu vervollständigen. Stephanie McCann hat begriffen, was ihre Mentoren sie eigentlich lehren wollten: Ein Rätsel ohne Zugang ergibt keine Geschichte, sondern schafft nur Verdruss und sollte deshalb ungeschrieben bleiben.

Zu Kings Pech trifft Teagues & Bowies Lehrsatz auf auch „Colorado Kid“ voll und ganz zu. Selten ziehen sich knapp 180 großzügig bedruckte Seiten so in die Länge wie hier. Man kann und mag nicht glauben, dass wirklich Stephen King dieses Stückchen Nicht-Unterhaltung zu Papier gebracht hat. Er legt „Colorado Kid“ wie einen seiner epischen Romane an. Zwei Drittel des Buches sind bereits gelesen, und wir befinden uns immer noch in der Einleitung, dem durchaus gelungenen Stimmungsbild einer von der Zeit ein wenig vergessenen Maine-Insel und ihrer angenehm kauzigen Bewohner. Erst dann scheint King einzufallen, dass er ja eine Geschichte zu erzählen hat, nur dass da wie gesagt keine Geschichte ist. Diesen Widerspruch spannend aufzulösen ist ihm gänzlich misslungen.

Aus Figuren werden Menschen

Auf der anderen Seite ist „Colorado Kid“ keineswegs schlecht geschrieben. King, der geborene Geschichtenerzähler, der sich erfolgreich auch jenseits der Phantastik tummelt, hat nach wie vor ein Schreibhändchen für Figuren, die vor dem geistigen Auge Gestalt annehmen. Das ist eine echte Gabe, zumal sich die Handlung in diesem Büchlein auf ein Gespräch zwischen drei Personen beschränkt. Was sich ereignet hat, wird nur erzählt, und das nicht am Stück. Immer wieder unterbrechen Dialoge die Rückblenden ins Jahr 1980, dazu kommen Sprünge, wie sie für eine Unterhaltung typisch sind.

Dennoch ist King die schwierige Aufgabe gelungen, zwischen zwei alten Männern und einer jungen Frau eine besondere, von anzüglichen Untertönen völlig freie Beziehung zu schaffen. Hier diskutieren drei Profis, die sich miteinander wohl fühlen. Als ‚vierte Person‘ tritt Moose-Lookit dazu, die kleine Insel, die auf jene, die für ihr Flair anfällig sind, eine eigenartige Anziehungskraft ausübt. James Cogan musste, Stephanie McCann darf es erfahren, denn im Verlauf der Geschichte schält sich allmählich heraus, dass sie auf Moose-Lockit bleiben und als Journalistin arbeiten wird.

Solche literarischen Kabinettstückchen reichen unterm Strich aber nicht aus. „Colorado Kid“ bleibt eine langweilige, überflüssige Angelegenheit. Der Name Stephen King ist es, der dieses Büchlein verkauft. Dessen Preis ist niedrig aber für das Gebotene trotzdem zu hoch, „Colorado Kid“ weniger eine Weihnachtsüberraschung als ein Windei, das sich nur der King-Komplettist ins Nest legen lassen sollte.

Autor

Eine Biografie des Stephen King kann ich mir an dieser Stelle sparen. Über den Verfasser unzähliger Bestseller der Unterhaltungsliteratur informieren ausführlich und zum Teil vorbildlich viele, viele Websites, zu denen selbstverständlich auch des Meisters eigene (www.stephenking.com) gehört.

Impressum

Originaltitel: The Colorado Kid (New York : Mass Market Paperback 2005)
Übersetzung: Andrea Fischer
Deutsche Erstausgabe: Dezember 2005 (Ullstein Taschenbuchverlag/TB Nr. 26378)
159 S.
ISBN-13: 978-3-548-26378-6
Neuauflage: Mai 2009 (Wilhelm Heyne Verlag/TB Nr. 43396)
176 S.
EUR 7,95
ISBN-13: 978-3-453-43396-0
www.randomhouse.de/heyne
Als e-Book: PeP-Verlag
ISBN-13: 978-3-641-03284-5
EUR 7,95
www.randomhouse.de/pep

Reichs, Kathy – Totgeglaubte leben länger

Was, wenn Jesus nicht am Kreuz gestorben wäre?

Bibelthriller zwischen Fakten und Fiktion haben seit Dan Brown Hochkonjunktur – da wollte Bestsellerautorin Kathy Reichs wohl nicht zurückstehen. Zumindest haben wir es hier mit einer Fachfrau zu tun: Ihre Serienheldin, die Gerichtsmedizinerin Tempe Brennan, hat schließlich ihre Wurzeln in der forensischen Archäologie – ebenso wie die Autorin übrigens.

Diesmal ermittelt Tempe Brennan im Gelobten Land. Wie kommt es dazu? Der jüdische Antiquitätenhändler Avram Ferris ist ermordet worden und liegt auf Tempes Obduktionstisch, während ihr Geliebter Ryan und seine Polizeikollegen bereits ermitteln. Kurz nach der Obduktion spielt ein Fremder Tempe ein Foto zu, welches scheinbar mit Ferris’ Ermordung in Zusammenhang steht: Das Bild zeigt ein korrekt angeordnetes Skelett, daneben Fußabdrücke im Staub und einen Pinsel als behelfsmäßigen Kompass. Tempe geht davon aus, dass das Foto von einer archäologischen Grabung stammt und wendet sich Hilfe suchend an ihren ehemaligen Kollegen, den Archäologen Jake Drum. Der findet heraus, dass das Foto von Grabungen im israelischen Masada stammt und möglicherweise etwas zeigt, das auf dem heiligen Tafelberg nach jüdischer und christlicher Glaubensgeschichte nicht hätte existieren dürfen.

Tempe und Ryan reisen gemeinsam nach Israel. Während Tempe mit Jake eine sensationelle Entdeckung um die Familiengruft Christi macht, lassen ihnen religiöse Fundamentalisten verschiedenster Couleur kaum eine ruhige Minute, die Funde eingehend zu untersuchen.

|Hochspannung mit Schönheitsfehlern|

Der Name Kathy Reichs steht für Hochspannung. Das Thema fasziniert, der zwischen Gegenwart und Vergangenheit angesiedelte Plot ist manchmal ein bisschen wirr, fesselt aber trotzdem bis zur letzten Seite.

Positiv ist anzumerken, dass Kathy Reichs ohne billige Effekte eine spannende und geradlinige Geschichte zu erzählen vermag; mit klassischen Krimizutaten und gar nicht so viel Blutvergießen, wie man es von einem Gerichtsmedizin-Thriller erwarten würde. Die unvermeidbare Liebesgeschichte zwischen Tempe und Ryan ist zugleich ein geschickter Kunstgriff, um unsere Heldin an den gegenwärtigen Ermittlungen ebenso teilhaben zu lassen wie an den Ausgrabungen. Es handelt sich genau genommen auch eher um einen Archäologie-Thriller; wie üblich bei Kathy Reichs fand die Geschichte ihren Ursprung in einem realen Fall: Ihr Freund und Kollege James Tabor untersucht seit 2000 das so genannte Jakobus-Ossuar aus dem ersten Jahrhundert und fragte Reichs, ob sie ihn begleiten und die Geschichte für einen neuen Tempe-Brennan-Fall verwenden wolle. Kathy Reichs war Feuer und Flamme.

Ob nun tatsächlich real oder Verschwörungstheorie – ähnlich wie bei Dan Brown eignet sich die Fiktion hervorragend als Spielplatz, um verschiedene Varianten, wie es durchaus hätte sein können, durchzuspielen. War Jesus tatsächlich kein Einzelkind, war er sogar verheiratet und hatte selbst Kinder? Hat er seine eigene Kreuzigung überlebt und wurde 80 Jahre alt? So ganz hundertprozentig werden wir es nie erfahren, auch wenn es historische Hinweise darauf gibt. Wegen dieser kaum überbrückbaren Kluft zwischen Glauben und Wissen sind solche Bücher wohl so erfolgreich. Von brennender Aktualität sind dagegen die Verweise auf religiöse Fundamentalisten, deren Alleinansprüche auf Wahrheit es immer und in allen Religionen gegeben hat. Die Amerikanerin Kathy Reichs bleibt dabei relativ neutral, bis auf eine Ausnahme. Zitat: „Wütender Mund. Stechender Blick. Der ungestutzte Bart eines islamischen Fundamentalisten.“ (S. 292). Wenn es so einfach wäre, islamische Extremisten auszumachen, hätten die USA mit ihrem „Krieg gegen den Terror“ mehr Erfolg gehabt.

Während der Plot selbst zwar manchmal haarsträubend, aber doch gut recherchiert ist, scheint das Buch jedoch mit heißer Nadel gestrickt worden zu sein. Das ist schade, denn das schmälert manchmal das Lesevergnügen. Wir wollen bei einem Krimi nicht schulmeisterlich werden, doch in Sachen Stil und Satzbau hat Kathy Reichs manchmal den Charme einer gehetzten Wissenschaftlerin, die sich nebenher Notizen macht. Vielleicht ist das ja auch so? Die forensische Archäologin Kathy Reichs hat sicher viel aus ihrem Berufsleben zu erzählen, aber als Bestsellerautorin und Vollbeschäftigte vermutlich auch nicht die Zeit, Bücher am Fließband zu produzieren. Wirklich gut Ding will Weile haben – doch das Buch sollte wohl noch rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft erscheinen.

Was bleibt, ist ein überdurchschnittlich spannender Thriller mit Schönheitsfehlern. An Dan Browns [„Sakrileg“ 1897 jedenfalls, das hier ganz sicher Pate stand und sogar ein paarmal erwähnt wird, reicht Kathy Reichs Roman nicht heran.

Clark, Mary Higgins – Mein ist die Stunde der Nacht

Dr. Jean Sheridan, eine erfolgreiche Historikerin Ende dreißig, kehrt zu ihrem zwanzigjährigen Abschlussjubiläum an der Stonecroft Academy in ihre Heimatstadt zurück. Bei einem groß angelegten Klassentreffen soll sie mit sechs anderen Absolventen für herausragende berufliche Leistungen geehrt werden. Doch das Treffen wird überschattet: Fünf ihrer Schulfreundinnen sind in den letzten Jahren ums Leben gekommen. Für Jean birgt das Treffen noch weitere düstere Erinnerungen: Kurz vor ihrem Abschluss starb ihr damaliger Freund bei einem Autounfall, Jean trug das gemeinsame Kind in aller Heimlichkeit aus und gab es zur Adoption frei. Auch heute noch trauert sie ihrer Tochter, die sie bei sich „Lily“ nennt, und ihrer verlorenen Liebe hinterher. Umso erschreckender sind die Faxmeldungen, die Jean in letzter Zeit erhält. Alle enthalten Drohungen gegen ihre Adoptivtochter. Jean hofft, dass es sich bloß um einen bösen Scherz handelt und versucht, sich auf dem Treffen abzulenken.

Sie ahnt nicht, dass die Todesfälle kein Zufall waren. Einer ihrer ehemaligen Mitschüler ist ein skrupelloser Mörder, der sich nach und nach an allen rächt, die ihn seinerzeit zurückgewiesen haben. Er nennt sich „die Eule“, nach seinem Spitznamen aus der Kindheit. Wie ein Raubvogel schlüpft er nachts in die Rolle des Jägers und überwältigt seine Opfer. Jean Sheridan, ihre Adoptivtochter und Jeans Freundin Laura sind die Letzten auf seiner Liste, an denen er seine Rache vollziehen will. Als Laura schließlich spurlos verschwindet, ahnt Jean, dass einer der ehemaligen Klassenkameraden dahinter steckt und die anderen Frauen ermordet wurden. Aber wer ist der Täter? Im Verdacht stehen vor allem der zynische Bühnenautor Carter Stewart, der schadenfrohe Komiker Robby Brent, der TV-Psychologe Mark Fleischerman, der unterkühlte TV-Manager Gordon Amory und der skrupellose Geschäftsmann Jack Emerson.

Verzweifelt versucht Jean, den Täter zu entlarven, bevor er sein Werk vollendet. Ihr zur Seite stehen Detective Deegan, ein älterer Polizeibeamter, sowie der vorwitzige Schülerzeitungsreporter Jake Perkins. Die Zeit drängt, denn es schwebt nicht nur Laura, sondern auch Jeans Tochter in höchster Gefahr …

*

Wen weder Titel noch Autorin reizen, der wird spätestens durch das Cover auf das Buch aufmerksam: Eine wunderschöne schneeweiße Eule in Großaufnahme, so dass nur mehr ihr Schnabel und ihr linkes Auge zu sehen sind, zieht den Betrachter in den Bann. Der Blick auf den Klappentext ist dann nur noch reine Formalität, denn der Name Mary Higgins Clark steht gewöhnlich für solide, wenn auch nicht außergewöhnliche Thrillerkost. Es sind auch hier wieder einmal bewährte Zutaten, auf die die Autorin zurückgreift und die sie in einen unterhaltsamen, allerdings nicht mehr als durchschnittlichen Roman umsetzt.

|Identifizierung durch Sympathiefiguren|

Wie so oft dreht sich die Handlung um eine junge, sympathische Frau, die ohne eigenes Verschulden in eine gefährliche Lage gerät. Auch Jean Sheridan hebt sich nicht weiter von dem Strickmuster anderer Higgins-Clark-Heldinnen ab. Die Protagonistin macht es dem Leser leicht, sich mit ihr zu identifizieren. Jean ist erfolgreich und ehrgeizig, dabei aber frei von Arroganz, sondern angenehm bodenständig. Obwohl zwanzig Jahre ins Land gegangen sind, trauert sie immer noch um ihre verstorbene Jugendliebe Reed, und die zur Adoption freigegebenen Tochter, die sie bei sich zärtlich „Lily“ nennt. Voller Zärtlichkeit denkt sie an ihre unbekannte Tochter, von der sie nicht einmal weiß, welchen Namen ihr ihre neuen Eltern gegeben haben. Der Roman ist somit nicht nur Thriller, sondern enthält auch einige melodramatische Komponenten und es kommt zumindest so viel Mitgefühl für die Hauptfigur auf, dass man ihr eine versöhnliche Begegnung mit ihrer verlorenen Tochter wünscht.

Die zweite Sympathiefigur ist der väterliche Detective Sam Deegan, zu dem Jean sofort Vertrauen fasst. Deegan ist mehr als ein unermüdlicher Ermittler; er steckt auch darüberhinaus viel persönliches Interesse in die mysteriöse Mordserie; nicht zuletzt deshalb, weil die Todesfälle offenbar in Zusammenhang mit einem ungeklärten Mord stehen, der ihm seit zwanzig Jahren keine Ruhe lässt …

Für Humor sorgt vor allem der junge Schülerzeitungsreporter Jake Perkins, der in seinen hartnäckigen Rechermethoden seinen älteren Kollegen in nichts nachsteht. Mit viel Witz und Genuss durchschaut er die arroganten Teilnehmer des Klassentreffens und bringt mit seinen forschen Fragen so manchen Interviewparter in Verlegenheit. Übertrieben wird dieses freche Auftreten nur am Schluss, als sich Jake selbst angesichts eines Wettlaufs auf Leben und Tod noch detailliert in seinen brisanten Informationen ergehen will.

|Jeder kann die Eule sein|

Um die Spannung zu erhöhen, greift Mary Higgins Clark tief in die Trickkiste: In fast jedem zweiten Kapitel wechselt der personale Erzähler von der Protagonistin Jean Sheridan zum Mörder hinüber, allerdings ohne dabei seine Identität preiszugeben. Der Killer ist nur „die Eule“, sein richtiger Name fällt nie. Dem Leser ist es kaum möglich, den Täter hinter diesem Decknamen vorzeitig zu erraten. Jeder aus dem engeren Kreis ist aus diversen Gründen gleich verdächtig. Weder der Leser noch Jean Sheridan können mit Gewissheit sagen, wem von ihnen zu trauen ist. Die Hinweise auf die Täterschaft sind dünn gesät und so allgemein gehalten, dass sie auf jeden Verdächtigen zutreffen könnten. Nahezu alle von ihnen haben sich im Erwachsenenleben um 180 Grad gewandelt, haben eine schwere Kindheit hinter sich und machen sich durch gewisse Bemerkungen oder Handlungen verdächtig. Leichte Gruselmomente kommen auf, wenn der Mörder sich seine Eulenmaske überzieht und jenen Spruch aufsagt, der ihm damals nach einer Theatervorstellung zu seinem Spitznamen verhalf: „Ich bin die Eule und ich lebe in einem Baum …“

Leider steckt in diesem Punkt auch ein erhebliches Manko des Buches: Die Autorin ist so sehr darauf bedacht, den Leser aufs Glatteis zu führen und den Täter geheim zu halten, dass sie zu betrügerischen Mitteln greift und es mit der Informationsverweigerung auf die Spitze treibt. Selbst als die entführte Laura ihren Peiniger erkennt und der Leser Einblick in ihre Gedanken bekommt, fällt nicht sein wahrer Name; selbst hier, bei sich, nennt ihn Laura nur „die Eule“. Und wenn sie denn mal trotz seines Verbots seinen wahren Namen ausspricht, so erfährt der Leser natürlich nur, dass sie „immer wieder seinen Namen flüsterte“. Das Bemühen der Autorin um Spannung in allen Ehren, aber dass selbst sein Opfer seinen Namen nicht in Gedanken nennt, lässt die Handlung an diesen Stellen zu unrealistisch und konstruiert erscheinen.

Konstruiert sind auch die zahlreichen Scheinbar-Hinweise und falschen Fährten, die allzu offensichtlich dazu dienen, jeden der Verdächtigen mal kurz ins Licht zu rücken. Im Laufe der Handlung fällt bei jedem von ihnen mindestens ein Satz oder ein Gedanke, der ihn mit dem Täter in Verbindung bringt, meist als Cliffhanger formuliert, um dem Leser besonders nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben. Gerade diese Ausgewogenheit der Verdachtsmomente sorgt dafür, dass die Auflösung, wer sich tatsächlich hinter der „Eule“ verbirgt, längst nicht so spektakulär ist wie die eigentliche Mörderjagd selbst. Keiner der in Frage Kommenden drängt sich dem Leser als Täter-Kandidat auf. Allenfalls einen von ihnen wünscht man sich nicht als Mörder, beim Rest spielt es keine große Rolle, ob er sich als Schuldiger entpuppt oder nicht. Zwar ergibt seine Identität letztlich Sinn, alle offenen Fragen werden zufrieden stellend geklärt, aber es fehlt ein letztes Aha-Erlebnis, eine finale Wendung oder Überraschung als abschließende Krönung.

|Leichtverdauliche Thrillerkost|

Unterm Strich bietet der Roman einem versierten Thrillerleser nichts Neues, verlässt sich auf vertraute Strickmuster von netten Charakteren bis hin zum versöhnlichen, beinah schon kitschigen Ende, ohne dabei nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben oder gar für echte Überraschungen zu sorgen. Durch den einfachen, glatten Schreibstil und die geradlinige Handlung ohne größere Abschweifungen lässt sich der Roman in wenigen Tagen verschlingen. Da er keine hohen Anforderungen stellt, ist er sowohl für Gelegenheitsleser als auch als Urlaubslektüre ideal geeignet.

_Fazit:_

Ein unterhaltsamer Thriller mit sympathischer Protagonistin, der bis zum Schluss die Spannung und die Frage nach dem Mörder bewahrt. Leichte Abzüge gibt es für die konstruierte Handlung und das konventionelle Strickmuster, das insbesondere an viele weitere Romane der Autorin erinnert. Als leichte Unterhaltung ein lesenswerter Roman, für versierte Thrillerfans jedoch insgesamt zu unspektakulär, um weiter im Gedächtnis zu bleiben.

Sinkel, Bernhard – dritte Sumpf, Der

_Der Autor_

Bernhard Sinkel wurde am 19. Januar 1940 in Frankfurt am Main geboren. Erstes und Zweites Juristisches Staatsexamen. Von 1970 bis 1972 Leiter des Archivs und der Dokumentation des Magazins |Der Spiegel|.

Seit 1974 Arbeiten als Produzent, Drehbuchautor und Regisseur u. a. von „Lina Braake“ (1974), „Berlinger“ (1975), „Deutschland im Herbst“ (1978) und „Der Kinoerzähler“ (1992), für die er mit zahlreichen internationalen Filmpreisen ausgezeichnet wurde.

_Story_

Raoul Levkowitz ist der CIA noch immer ein Dorn im Auge. Wegen einer geheimen Dopingakte, mit der er einigen in den USA ansässigen Doppelagenten an die Wäsche hätte gehen können, ist CIA-Agent Gallagher ihm schon länger auf der Spur. Ein weiterer Grund für das Interesse des Geheimdienstes: Weil Levkowitz die Dokumente nicht herausgerückt hat und die Geschichte mittlerweile größere Kreise gezogen hat, wurde außerdem das Zeugenschutzprogramm des CIA merklich gefährdet.

Natürlich ist Gallagher auch weiterhin hinter den Daten her und bittet Levkowitz um Vernunft. Deswegen fordert er ihn auch zur Zusammenarbeit auf, die der Berliner Ex-Stasi-Spitzel, dessen besonderes Merkmal ein fotografisches Gedächtnis ist, aber kategorisch ablehnt. Noch dramatischer wird die Situation für die Ermittler, als bekannt wird, dass Levkowitz seit frühester Kindheit mit dem jemenitischen Terroristen Ahmed bin Salim al-Amir befreundet ist, den die USA dringend zur Strecke bringen möchten. Raoul jedoch hält nicht viel von den Machenschaften der verschiedenen Geheimbünde, die ihm ob dieser Bekanntschaft fortan auf den Fersen sind und verweigert jegliche Kooperation.

Die CIA sieht sich dazu gezwungen, andere Mittel zu bemühen, und erpresst Levkowitz, der kurz davor steht einzulenken. Dann jedoch ergibt sich für seine Freundin Dorothy Jensen die Gelegenheit, ein Archäologenteam in die Wüste des Jemen zu fliegen. Auch Raoul soll mit an Bord gehen, wird aber kurz vorher krank und muss passen. Als Dorothys Flugzeug allerdings in der Wüste abstürzt, begibt er sich ebenfalls in den Jemen und sucht verzweifelt seine verschollene Freundin. Levkowitz weiß jedoch nicht, dass die CIA eine erneute Verschwörung gestartet hat, bei der Raoul sie geradewegs zum Terroristenführer al-Amir führen soll …

_Meine Meinung:_

In „Der dritte Sumpf“ setzt Bernhard Sinkel die im letzten Thriller „Bluff“ gestartete Geschichte um seinen Hauptcharakter Raoul Levkowitz fort. Auch in seinem neuesten Werk bezieht sich der Autor dabei auf die Stasi-Vergangenheit seines Schützlings bzw. deren Bedeutung für das Jetzt, wobei die Folgen seiner ehemaligen Bekanntschaften dieses Mal weitaus verheerender sind.

Sinkel lehnt sich dabei sehr weit aus dem Fenster und schießt indirekt besonders gegen die CIA, die mit ihren verschwörerischen Machenschaften selbst vor den grausamsten Erpressungsmethoden nicht zurückschreckt. Lag sein Schwerpunkt im ersten Band noch auf den Zusammenhängen hinsichtlich des CIA-Einflusses in der DDR, spannt er nun das Netz bis hin zur US-amerikanischen Anti-Terrorpolitik im Nahen Osten und hat sich hierfür exemplarisch den Jemen als Zielort herausgesucht. Nun, gut: Dass ausgerechnet dieser Levkowitz auch Kontakte in den arabischen Staat haben soll, ist im Gesamtkontext sicherlich etwas weit hergeholt, aber über so etwas sollte man erst gar nicht nachdenken. Stattdessen sollte man einfach genießen, wie Sinkel mit sehr einfachen Mitteln eine ziemlich komplex arrangierte Story aufbaut, die bis ins letzte Detail fein ausgeklügelt ist und trotz ihrer fiktiven Entwicklung sehr realistisch wirkt. Der Autor bezieht sich sehr stark auf ein mittlerweile alltäglich gewordenes, sehr brisantes Thema und bettet dieses in einen sehr spannenden Thriller ein, der einerseits ziemlich brutal (auf mentaler Ebene), andererseits dadurch aber auch nur authentischer wird.

Natürlich bleiben die politische Meinung und die deutliche Kritik an den Institutionen der Vereinigten Staaten seitens Sinkel nicht außen vor, aber wären diese nicht enthalten, könnte er die Erzählung sicherlich auch nicht mit einer derartigen Überzeugungskraft ausfüllen, wie es schlussendlich der Fall ist. Diese Entschlossenheit zeigt sich letztendlich auch im enorm flotten Erzähltempo: Sinkel lässt kaum Zeit verstreichen, um die Handlung einzuleiten; dazu reicht schon ein minimaler Prolog mit den Ereignissen aus dem vorangegangenen Buch. Danach startet der Autor direkt mitten im Geschehen und kommt auch während der Entwicklung des Plots immer sehr zügig auf den Punkt, was sicherlich ein weiteres Indiz für die recht nervenaufreibende Atmosphäre der Handlung ist.

Gut 250 Seiten reichen schließlich aus, um einen ziemlich gewagten und gerade deshalb auch äußerst lesenswerten Polit-Thriller zu kreieren, der trotz sprachlicher Schlichtheit durchgängig zu fesseln weiß. Für Freunde solcher Materie ist „Der dritte Sumpf“ aus diesem Grund auch nur empfehlenswert – speziell für Leute, die eine Antipathie gegen die Bush-Regierung und ihre zahlreichen Nebenarme haben. Für diese Zielgruppe lohnt sich dann aber auch das komplette, mit „Bluff“ beginnende Paket, auf dem Teile der Handlung aufbauen.

Roberts, Nora – Dunkle Herzen

Die junge, erfolgreiche Bildhauerin Clare Kimball lebt in New York, wo sie gerade wieder eine erfolgreiche Ausstellung präsentiert hat. Seit ihrer Kindheit wird Clare von einem immer wiederkehrenden Albtraum gequält. In diesem düsteren Traum steht sie auf einem nächtlichen Friedhof und beobachtet, wie mit Tierköpfen und Kutten verkleidetete Männer satanische Rituale durchführen. In einem der Männer erkennt sie schließlich ihren geliebter Vater, der in ihrer Teenagerzeit durch einen Fenstersturz ums Leben kam. Sowohl der Albtraum als auch der ungeklärte Tod ihres Vaters lassen ihr keine Ruhe. Clare will Gewissheit haben und beschließt, in ihre Heimatstadt Emmitsboro zurückzukehren.

Emmistboro ist eine verschlafenen Kleinstadt in Maryland ohne spektakuläre Ereignisse, in denen sich alle Bürger untereinander gut kennen. Clares Rückkehr sorgt bei den Einwohnern für großes Interesse. Vor allem für den charmanten Sheriff Cam Rafferty, den sie noch aus ihren Jugendtagen kennt, entwickelt sie rasch Gefühle. Während sie viele ehemalige Freunde und Nachbran herzlich aufnehmen, machen sich einige der Bewohner über ihr Auftauchen Sorgen. Denn was Clare nicht weiß: Hinter der biederen Kleinstadt-Fassade verbirgt sich ein satanischer Zirkel, in den zahlreiche der scheinbar unbescholtenen Bürger verstrickt sind.

Kurze Zeit nach Clares Einzug in ihr Elternhaus geschieht ein grausamer Mord, der die Menschen jäh aus ihrer Idylle reißt. Grabschändungen, geschlachtete Tiere und ein entführtes Mädchen deuten darauf hin, dass Clares Träume der Wirklichkeit entsprechen. Je mehr sie sich an das Gesehene erinnert und je weiter sie in ihren Nachforschungen vordringt, desto gefährlicher wird sie für die Teufelssekte …

Schwarze Messen, brutale Morde und eine Gemeinschaft, die sich dem Bösen verschworen hat – die als Schnulzenautorin verschriene Nora Roberts geizt nicht mit allerleih grausigen Zutaten für ihren Horrococktail, der durchaus zu unterhalten weiß.

Dabei kann von Innovation an kaum einer Stelle des Romans die Rede sein. Die Charaktere sind teilweise klischeehaft und in keiner Weise wirklich spektakulär, jeder Figur ist man so oder so ähnlich schon in anderen Büchern begegnet. Die satanischen Rituale folgen exakt den landläufigen Vorstellungen der Leser und auch überraschende Wendungen sind im Grunde Mangelware. Dass der Roman trotzdem zu fesseln weiß, liegt an der souveränen Zusammenstellung all dieser Komponenten, die dem Leser zwar nichts Neues, aber Altbewährtes auf solide zubereitete Weise präsentieren.

|Altbewährter Schauplatz|

Die verschlafene Kleinstadt wird bekannterweise gerne als Schauplatz für ein Horrorszenario gewählt. Nirgends wirkt das Grauen so effektiv wie in einer scheinbar harmlosen Idylle, deren Friedlichkeit sich als trügerisch erweist. Je beschaulicher der Leser sein eigenes Leben führt, desto mehr wird er sich in diese Lage hineinversetzen und dementsprechend mitfiebern können. Auch Emmitsboro entspricht in jeder Hinsicht den gängigen Kleinstadt-Klischees. Die Menschen kennen sich untereinander gut, alles geht seit Jahrzehnten seinen gewohnten Gang, die Polizei kümmert sich größtensteils um Diebstähle und Ruhestörungen. Besonders prekär wird die Lage dadurch, dass Clare die meisten Bewohner seit ihrer Kindheit kennt und es besonders schmerzhaft ist, auf einmal befürchten zu müssen, dass einige unter ihnen schon damals ihre dunklen Machenschaften trieben und über all die Jahre eine Scheinwelt aufrecht gehalten haben. Das betrifft letztlich und vor allem ihren eigenen Vater. Je mehr Clare über den satanischen Zirkel und seine Anhänger herausfindet, desto offensichtlicher wird die quälende Tatsache, dass auch ihr Vater zumindest zeitweise darin verwickelt war. Für Clare, die immer seine Lieblingstochter war und die immer noch unter seinem frühen Tod leidet, bricht eine Welt zusammen. Doch als sie der Wahrheit zu nahe kommt, steht ihr der größte Kampf noch bevor …

In einem Psychothriller über Satanismus bleiben natürlich auch explizite Gewaltszenen nicht aus. Allerdings ist keine Schilderung so brutal, dass man als Leser Ekelgefühle befürchten müsste. Im Gegenteil existieren sogar Szenen, in denen die Gewalt nur angedeutet wird und hauptsächlich in der Vorstellung der Leser stattfinden muss. Beinahe schon etwas zu bieder geraten sind die Darstellungen der satanischen Rituale, die in keinem Punkt von den althergebrachten Vorstellungen abweichen, die der unbedarfte Leser vor der Lektüre besitzt. Die Jünger tragen schwarze Kutten und verbergen ihre Gesichter hinter Masken, frönen perversen Ausschweifungen, bringen Tier- und Menschenopfer und rufen in lithurgisch inszenierten Huldigungen Satan an. Sicher wären an der Stelle Abwandlungen der Klischees reizvoller gewesen, zumal gerade das Unbekannte und schwer Einschätzbare den Horroreffekt steigert.

|Schablonenartige Charaktere|

Das Hauptaugenmerk liegt natürlich auf Clare Kimball, die auf Anhieb sympathisch erscheint. Clare hat sich trotz ihrer knapp dreißig Jahre ein kindliches Gemüt bewahrt. Gleich zu Beginn erfährt man, dass Clare, wie es für eine Künstlerin typisch ist, stets im kreativen Chaos lebt. Die Haare werden achtlos zusammengebunden, ein ausgeleiertes Shirt erfüllt den Kleidungszweck, eine Großpackung Eis muss als Mittagessen vorhalten. So ergibt sich ein liebenswertes Bild: Auf der einen Seite die intelligente, erfolgreiche und selbstständige Künstlerin, auf der anderen Seite die chaotische und undisziplinierte Lebensart eines Kindes. Mit ihrer unverfälschten Art und ihrem ansteckenden Humor bezaubert sie nicht nur ihre Umwelt, sondern auch ihre Leserschaft. Sowohl Frauen als auch Männer werden diese gelungene Mischung aus Verletzlichkeit und Sensibilität mit Mut und scharfem Verstand zu schätzen wissen.

Sheriff Cam Rafferty präsentiert sich als der ideale Mann für Clare. Genau wie sie schätzt er Ehrlichkeit und Gerechtigkeit, hält nichts von überflüssigen Etiketten, folgt seinem Gefühl und verstößt bereitwillig gegen den guten Ton der Gesellschaft. In jungen Jahren ein wilder Rebell, hat er sich auch als Polizeibeamter seine Polarität bewahrt. Während die einen Bewohner seine Aufrichtigkeit schätzen, ist er vor allem der biederen Gesellschaft ein Dorn im Auge.

Die meisten anderen Bewohner der Stadt erscheinen als bestenfalls einfache und schlimmstenfalls kleinkarierte Bürger mit beschränktem Horizont, von denen ein nicht unerheblicher Teil im Geheimen dem satanischen Zirkel angehört. Es sind typische Kleinstadt-Charaktere, wie man sie schon aus vielen anderen Romanen kennt: der langweilige Oberlehrer; die hübsche, handfeste Kellnerin; die Edelnutte, die vom Ausstieg und der weiten Welt träumt; die geistig zurückgebliebene Pennerin mit dem kindlichen Herzen; die hemdsärmeligen Farmer; die spitzzüngigen Damen der Kaffeeklatschgesellschaft.

Für diese Vorhersehbarkeit der Charaktere gibt es kleine Abzüge. Fast bei jedem neuen Charakter wird der Leser rasch über dessen Eigenschaften informiert, so dass man jede Figur sofort auf die „gute“ oder die „böse“ Seite stellen kann. Dabei fühlt man sich ein wenig bevormundet, als ob es uns der Autor nicht zutraute, ohne explizite Beschreibung den Charakter einzuschätzen. Und zum anderen hätte es die Spannung noch zusätzlich gesteigert, wenn man bei einigen Figuren zunächst im Ungewissen gelassen worden wäre. Stattdessen weiß man bei den meisten Personen sofort, ob Clare ihnen vertrauen darf oder nicht. Vor allem bei Sheriff Rafferty existiert bereits nach der ersten Begegnung mit Clare kein Zweifel mehr, dass sich zwischen beiden eine Beziehung entwickeln wird; erst recht nicht, als man erfährt, dass Clare ihn bereits in ihrer Jugend heimlich umschwärmte. Bei manchen der Satansjünger erfährt der Leser erst spät von ihrem Doppelleben, doch echte Überraschungen bleiben dabei vollends auf der Strecke. Das gilt auch für den Epilog des Romans, der beim Leser nicht den angestrebten Aha-Effekt erzielt, sondern wie eine nachträglich angefügte Pointe wirkt.

Die einzige Ausnahme bildet der rebellische Teenager Ernie, von dem man lange Zeit nicht mit Sicherheit sagen kann, ob er sich unwiderruflich der dunklen Seite verschreibt oder nicht. Davon abgesehen wäre es besonders bei Cam Rafferty der Spannung zuträglich gewesen, wenn man hin und wieder an seiner Solidarität an Claire hätte zweifeln können.

|Flotter Schreibstil|

Das Stilniveau geht zwar über den des Groschenromans hinaus, stellt aber dennoch keinerlei weitere Anforderungen an den Leser. Die klare Sprache und die übersichtlichen Sätze machen es zu einer Leichtigkeit, den mehr als 600 Seiten des Buches mühelos zu folgen. Wegen der weiblichen Hauptfigur und des Images der Autorin als Liebesromanschreiberin zieht das Buch vornehmlich Frauen als Leserinnen an, eignet sich aber grundsätzlich auch für Männer, ebenso wie für Jugendliche. Die Handlung verzichtet auf detaillierte Nebenstränge, so dass keine große Konzentration von Nöten ist. Als Urlaubslektüre oder als unterhaltsamer Zwischendurch-Roman ist das Buch daher definitiv zu empfehlen.

_Unterm Strich:_ Unterhaltsamer und sehr flüssig geschriebener Psychothriller über satanische Morde hinter der biederen Fassade einer Kleinstadt. Der Roman kombiniert altbewährte Zutaten zu einem angenehm lesbaren und über weite Strecken fesselnden Lesevergnügen für alle Freunde der Spannungsliteratur. Leichte Abzüge gibt es für die Vorhersehbarkeit und die klischeehaften Charaktere, denen etwas mehr Innovation nicht geschadet hätte.

_Nora Roberts_ ist eine der meistgelesenen Autorinnen der USA. Seit sie 1981 ihren ersten Roman veröffentlicht hat, sind mehr als hundert Bücher von ihr erschienen. Ihre Domäne sind vor allem romantische Liebesromane und Thriller.

Hayder, Mo – Tokio

Mo Hayder sah als Teenager ein Foto von einem japanischen Soldaten, der einen chinesischen Zivilisten enthauptet. Als sie dieses Bild Jahre später in Tokio wiederentdeckte und ihr selbst japanische Freunde nichts über das Massaker von Nanking berichten konnten, war ihr Interesse an einem Kapitel japanischer Geschichte geweckt, das bis heute von offizieller Seite mit Vorliebe verschwiegen wird. („Tokio“ soll nicht in Japan erscheinen!)

Auch die Protagonistin Grey in Hayders neuem Roman „Tokio“ hat in frühen Jahren ein Foto aus Nanking gesehen und ist, gerade weil ihre Umwelt die Existenz des Fotos wie auch die historischen Kriegshandlungen leugnet, besessen von der Idee, die Wahrheit herauszufinden. Grey, die den größten Teil ihrer Jugend in einer psychiatrischen Klinik verbracht hat, ist besessen davon, ihre Zweifel und die Ungewissheit zur Gewissheit werden zu lassen.

‚Geh und Beweise es‘, hatte ihr eine Zimmergenossin aus der Klinik mit auf den Weg gegeben. Und für Grey, die nach Jahren in der Psychiatrie die eigene Persönlichkeit als kranken Psycho-Freak mit perversen Neigungen wahrnimmt, sind die historischen, totgeschwiegenen Ereignisse inzwischen ebenso wichtig wie die eigene Heilung geworden; erst wenn sie beweisen kann, dass die Gräuel von Nanking nicht ihrer kranken Fantasie entsprungen sind, sieht sie eine Chance, in das Leben zurückzukehren.

Labil und voller psychischer wie physischer Narben reist Grey nach Tokio, um einen chinesischen Wissenschaftler aufzusuchen, der im Besitz eines Filmes sein soll, in dem das Massaker von Nanking dokumentiert ist. Shi Chongming, ein einstmals freigeistiger, inzwischen desillusionierter Intellektueller, arbeitet als Gastprofessor in Tokio. Er ist Opfer und Überlebender der japanischen Kriegshandlungen, die neben dem Film, in dessen Besitz er gelangt ist, auch in seinem Tagebuch aufgezeichnet sind. Diese Niederschrift eines (Kriegs-)Tagebuchs aus Nanking führt den Leser alternierend mit der Handlung der Gegenwart in den Winter 1937, in das von Japanern besetzte Nanking.

Für jeden Wissenschaftler ist es eigentlich eine Ehre, an der Todai-Universität, der berühmtesten Universität Japans, zu forschen und zu lehren; doch Shi Chongming hat neben seiner offiziellen Verpflichtung einen weiteren, sehr persönlichen Grund für seinen Aufenthalt in Japan. Das Auftauchen der ‚verrückten Fremden‘, die die Vergangenheit aufleben lassen will und ihn in ihrer Besessenheit ‚attackiert wie eine Hornisse‘, stürzt den alten Chinesen in eine tiefe Krise.

Gray arbeitet inzwischen aus Geldnot in dem Nachtclub |Some like it hot| als Hostess. Dort lernt sie den mächtigen Yakuza-Chef Fuyuki und dessen brutale, geheimnisvolle, geschlechtlich nicht zu identifizierende Krankenschwester Ogawa kennen. Diese Bekanntschaft öffnet ihr unerwartet die Türen zum abweisenden und widerstrebenden Chinesen Shi Chongming. Plötzlich schlägt dieser Grey einen Deal vor: Er wird auf ihr Anliegen eingehen und ihr den Film zeigen, wenn sie ihm ein Elixier bringt, ein Tonikum, dem Shi Chongming schon lange auf der Spur ist und dessen Geheimnis sich in Fuyukis Besitz befinden soll.

Grey scheint indes dem mysteriös abweisenden Charme Tokios und seiner Nachtclubs zu erliegen. Und auch ihr rätselhafter Mitbewohner Jason, der ihr mit seiner Vorliebe für Scheußlichkeiten seltsam nahe zu stehen scheint, lenkt sie von ihrer ursprünglichen Absicht ab, Shi Chongmings Film um jeden Preis zu sehen. Doch dann geschehen entsetzliche Dinge und Grey begibt sich in größte Gefahr. Dabei ist sie nicht nur außerstande, die Bedrohung, die sich immer enger um sie knüpft, richtig einzuschätzen, Grey kann nicht einmal ahnen, inwieweit die Tragödie ihres eigenen Lebens mit der grausamen Vergangenheit und der brutalen Realität der Gegenwart verwoben ist!

Mit „Tokio“ verlässt Mo Hayder den Londoner Schauplatz, wo ihre beiden Bestseller „Der Vogelmann“ und „Die Behandlung“ um Detective Inspector Jack Caffery angesiedelt waren, und wendet sich einem historischen Ereignis und einer fernöstlichen Kulisse zu. „Tokio“ ist ein atemberaubend dichter Thriller, in dem die Spannung Seite um Seite steigt.

Dabei erzählt Mo Hayder eher geruhsam, mit einer poetischen Trägheit, die sie in einem perfekt abgestimmten Tempo, das sich sachte über Anspielungen, Andeutungen, Vor- und Rückgriffe im Geschehen überaus brutal an Perversionen, Morde und skrupellose Gräuel annähert. Durch diese beeindruckende Ökonomie der Information, mit der Hayder optimal kalkuliert umzugehen weiß, aber auch durch eine traumhaft märchengleiche Kulisse eines nächtlichen Tokios spitzt sich die Spannung in jeder Szene weiter zu.

Mo Hayder, die früher einmal selbst in Tokioter Nachtclubs gearbeitet hat, ist für die Recherche zu „Tokio“ zwanzig Jahre später noch einmal in die Rolle einer Hostess geschlüpft, um dem mysteriösen und brutalen Mordfall an Lucie Blackman, einer in Tokio arbeitenden englischen gaijin (Hostess), nachzuspüren. Es liegt wohl an diesen persönlichen Erfahrungen, dass das traumähnlich gezeichnete Nachtleben Tokios so real wird. Eine Welt voller authentischer Sonderlinge, die alle am Rande der Gesellschaft leben: Mama Strawberry, die Nachtclubbesitzerin, die gern wie Marilyn Monroe aussähe, Ogawa, die sadistische Krankenschwester, oder Jason, der perverse Sonderling – all diese Figuren geben „Tokio“ einen Reiz, der sich aus Sympathie und Unverständnis, Faszination und Abscheu zusammensetzt.

Mo Hayder versteht es meisterhaft, auf dem schmalen Grat zwischen Abscheulichkeit und Faszination, dem Schönen und dem durch und durch Bösen zu wandeln. Sie lotet das Böse aus, lässt sich auf alle menschlichen Schattierungen von schamlos über verdorben bis auf wirklich böse ein – und das mit einer unübersehbaren Schwäche für Freaks. So durchschreitet Mo Hayder Grenzen, bringt uns Figuren und Ereignisse näher, die sonst so brutal und unmenschlich scheinen, dass wir uns eher schaudernd von ihnen abwenden. Schuld und Unwissenheit ziehen sich leitmotivisch durch den Text, eine meines Erachtens sehr konstruktive Kategorisierung, die das Böse nicht oberflächlich zu verurteilen aber zu orten scheint.

„Tokio“ ist ein sehr grausames Buch, das sich in seiner fiktiven Authentizität auf einer teilweise surreal anmutenden, dem Stil entspringenden Schönheit und Poesie trägt. Als Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit der Geschichte ist „Tokio“, das ein breites Publikum erreichen wird, bedeutsam. Als Literatur wie auch als Thriller ist „Tokio“ in seiner naiven Unschuld wie seiner abgrundtief pervers-brutalen Abscheulichkeit einfach umwerfend und Nerven aufreibend bis zum Finale!

© _Anna Veronica Wutschel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.X-Zine.de/ & http://www.krimizeit.de/ veröffentlicht.|

http://www.mohayder.net

Weitere Rezensionen bei |Buchwurm.info|:
[Der Vogelmann 1632
[Die Behandlung 1635

Jonathon King – Tödliche Fluten

Das geschieht:

Anfang der 1920er Jahre versuchten Cyrus Mayes und seine beiden Söhne Steven und Robert Geld beim Bau des ersten Highways durch die Sümpfe der Everglades im Süden des US-Staats Florida zu verdienen. Sie gerieten in eine stickige grüne Hölle, in der brutale Aufseher die Arbeiter wie Sklaven misshandelten. Die Gewalt regierte hier, wo das Gesetz abwesend war. Wer die Flucht versuchte, wurde vom firmeneigenen Lohnkiller John William Jefferson als ‚Deserteur‘ betrachtet, verfolgt und umgebracht, denn niemand sollte wissen, was in den Everglades vor sich ging.

Auch Mayes und seine Söhne wurden offenbar ermordet. Ein Urenkel hat Briefe gefunden, die auf diese Familientragödie hinweisen. Er wünscht Aufklärung und engagiert den Anwalt Billy Manchester, der wiederum seinen Freund, den Privatdetektiv Max Freeman, mit den Ermittlungen beauftragt. Manchester entdeckt, dass die Firma Noren, die einst mit den Straßenbauarbeiten beauftragt war, im PalmCo-Konzern aufgegangen ist, einem der größten Bauunternehmer in Florida. Jonathon King – Tödliche Fluten weiterlesen

Arthur Conan Doyle – Eine Studie in Scharlachrot [Sherlock Holmes]

Im London der frühen 1880er Jahre lernt der Arzt Dr. Watson den „beratenden Detektiv“ Sherlock Holmes kennen. Die beiden Männer werden Freunde, und so ist Watson an Holmes’ Seite, als dieser den Mord an einem reichen Amerikaner aufklärt und eine düstere Geschichte von Fanatismus, Betrug und Mord ans Tageslicht bringt – Erster, schon gelungener Auftritt des legendären Mr. Holmes, wobei die eigentlich spannende Story nicht mit der Figurenzeichnung mithalten kann.
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John D. MacDonald – Alptraum in Pink [Travis McGee 2]

Ermittlungen führen den Gelegenheits-Detektiv Travis McGee nach New York und in die Fänge einer Gaunerbande, die sich in einer ‚Nervenheilanstalt‘ eingerichtet hat und vor allem reiche Kunden behandelt, denen anschließend etwas zustößt … – Selbstverständlich landet McGee in seinem zweiten Abenteuer in jenem Irrenhaus, das er nicht mehr verlassen soll; der flaue Plot zieht sich in die Länge und bleibt dort hängen, wo Autor MacDonald seine Hauptfigur auflisten und kommentieren lässt, was falsch auf der Welt läuft: schwatzhaft und langweilig.
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Clark, Mary Higgins – Nimm dich in acht

Die New Yorker Psychologin Dr. Susan Chandler moderiert eine beliebte Radiosendung. Als aktuelles Thema hat sie sich das Buch „Verschwundene Frauen“ des Psychiaters Dr. Donald Richards ausgesucht, den sie in ihrer Sendung dazu befragt. Auf eigene Faust hat sie den Fall der vermissten Regina Clausen aufgetan, die vor drei Jahren nach einer Kreuzfahrt nicht mehr zurückkehrte. Während der Sendung meldet sich eine anonyme Anruferin, die von einem Verdacht berichtet. Vor zwei Jahren lernte sie auf einer Schiffreise einen Mann kennen, der ihr einen Ring mit der Gravur „Du gehörst mir“ schenkte. Genau so ein Ring befand sich auch in Regina Clausens Gepäck. Susan wittert eine heiße Spur und bittet die Anruferin zu einem Treffen. Doch am nächsten Tag wird die Frau vor ein Auto gestoßen und liegt im Koma.

Es folgen weitere Anschläge auf Personen, die Hinweise zu Regina Clausens Verschwinden liefern können. Während die Polizei im Umfeld der Betroffenen ermittelt, vermutet Susan, dass sie einem Serienkiller auf der Spur ist, der sich seine Opfer unter alleinreisenden Frauen auf Kreuzfahrten sucht. Spätestens nachdem sie Regina Clausens Mutter, die schwerkranke Jane Clausen, kennen lernt, fühlt sie sich verpflichtet, die Wahrheit über das Verschwinden dieser Frau herauszufinden.

Dabei stößt Susan auch in ihrem eigenen Umfeld auf Unstimmigkeiten: Was hat den Autor Don Richards bewogen, ein Buch über diese Fälle zu schreiben? Welches falsche Spiel treibt Jane Clausens Anwalt Douglas Layton mit seiner Klientin? Etwas Entspannung erhofft sich Susan von der Bekanntschaft mit dem reichen und attraktiven Alex Wright, bis sich herausstellt, dass sich auch ihre Schwester Dee für ihn interessiert. Bei ihren Nachforschungen kommt Susan dem Kreuzfahrt-Mörder immer näher, ohne zu ahnen, dass er schon längst seine Jagd auf sie begonnen hat …

Unterhaltsame Dutzendware ist das passende Prädikat, um diesen Thriller einzuordnen. Wie in so vielen anderen ihrer Romane verlässt sich Mary Higgins Clark auf bewährte Zutaten, die zu einem unspektakulären, aber doch über weite Strecken spannenden Katz-und-Maus-Spiel gemixt werden.

_Sympathie für den Hauptcharakter_

Das Schema des Romans ähnelt dem Rest ihrer Werke: Eine junge, sympathische und attraktive Frau wird in einen mysteriösen Mordfall verwickelt und startet auf eigene Faust Ermittlungen, bei denen sie ins Visier des Täters gerät. Von diesem Grundriss weicht die Autorin auch in dieser Geschichte nicht ab. Dr. Susan Chandler präsentiert sich somit als austauschbare Protagonistin, die sich kaum von den Hauptfiguren der anderen Werke abhebt. Sie ist relativ jung, attraktiv und sehr erfolgreich, ohne dabei eingebildet zu sein. Im Gegenteil, Susan stammt aus einer reichen Familie, hält selbst aber nichts von Standesdünkel. Besonders deutlich wird ihr netter Charakter in der direkten Gegenüberstellung mit ihrer Schwester Dee. Dee ist die oberflächlichere der beiden Frauen, die ihren inzwischen tödlich verunglückten Mann seinerzeit Susan ausgespannt hat und auch an Alex, der Susan den Hof macht, verdächtig viel Interesse äußert. In diesem Vergleich ist es nicht schwer, sich solidarisch mit Susan zu zeigen und ihr Glück und Erfolg auf ihrer Mörderjagd zu wünschen, zumal ihre Familiensituation grundsätzlich einige Komplikationen und Probleme beinhaltet. In Susans leserfreundlichem Charakter liegt eine der Stärken des Romans, da man zwangsläufig mit der netten Psychologin mitfiebert. Das Fehlen von auffälligen Ecken und Kanten verhindert zwar, dass sich ihre Figur nachhaltig einprägt, sorgt aber bei der geneigten Durchschnittsleserin für ein hohes Maß an Identifikation.

Die weiteren Personen sind allesamt lebendig genug, um dem Leser einigermaßen klar vor Augen zu stehen, doch auch hier sind markante Figuren Mangelware. Da wäre die nette Jane Clausen, die so dringend den Wunsch verspürt, noch vor ihrem Tod die Wahrheit über das Schicksal ihrer Tochter Regina zu erfahren. Nicht nur Susan, auch der Leser fühlt mit der älteren Dame, die sich nach einem erlösenden Lebensabend sehnt. Da wäre der zurückhaltende Psychiater Don Richards, der durch Susans Sendung in den Fall verwickelt wird und ein starkes persönlichen Interesse an der Aufklärung zu haben scheint und immer wieder seine Mithilfe anbietet. Der zweite Mann, der in Susans Leben tritt, ist der gutaussehende und charmante Alex Wright, der die Gefühle der Psychologin mehr beeinflusst, als ihr lieb ist. Eine wichtige Rolle spielt auch der schmierige Anwalt Douglas Layton, dem Susan nicht über den Weg traut.

_Konstruierte Tätersuche_

Wie in jedem Mary-Higgins-Clark-Roman ist die Autorin bemüht, den Täter so lange wie möglich geheim zu halten und den Verdacht parallel auf mehrere Personen zu schwenken. Für diese Taktik bedient sie sich gerne Cliffhangern, die sie am Ende eines Kapitels einsetzt. Meist fallen diese Cliffhanger in Form von doppeldeutigen Äußerungen einer Figur, die man sowohl als harmlose Bemerkung als auch als Täterschaft deuten kann. Dieses Prinzip verliert leider nach mehrmaliger Anwendung seine Wirkung, weil allzu offensichtlich ist, dass bestimmte Sätze nur fallen, um eine Person in verdächtiges Licht zu setzen. Auch der Rest der Handlung leidet unter auffälligen Konstruktionen, die das gesunde Maß zuweilen übersteigen. Das zeigt sich vor allen an den vielen Zufällen, die in Susan Chandlers Mörderjagd mit hineinspielen. Dabei sticht vor allem heraus, wie leicht es zu sein scheint, Zeugen und Hinweise für den Mörder von Regina Clausen zu finden.

Den Anfang macht die hellseherische Begabung einer Freundin des Beinah-Opfers Carolyn Wells, die sich als anonyme Anruferin in Susans Sendung mit einbringt. Eine kurze Berührung des Rings verrät ihrer Freundin, dass eine tödliche Bedrohung dahinter lauert. Darüberhinaus spielt diese Begabung keine weitere Rolle. Somit bleibt sie billige Effekthascherei, um die Beteiligten für das drohende Unheil zu sensibilisieren. Ein weiterer Griff in die Zufallskiste ist auch die spätere Meldung einer junge Frau, die den Täter damals im Laden beim Ringekauf beobachtet hat. Anschließend kommt noch der Ladenbesitzer selbst ins Spiel, der sich über die Jahre hinweg Aussehen und Namen des Kunden gemerkt hat. Das ist wenig plausibel, wenn man bedenkt, dass die gekauften Ringe weder wert-, noch schmuckvoll sind und der Käufer nur alle paar Monate in den Laden kam. Noch unglaubwürdiger wird es dann, als der Besitzer des Sexshops gegenüber den Kunden als verdächtig einstuft, obwohl er selbst nie etwas mit ihm zu tun hatte. Den Höhepunkt der Konstruktionen erreicht die Handlung aber an der Stelle, an der Susan entdeckt, dass der Mörder bei seinen wechselnden Identitäten stets den gleichen Vornamen an erster oder zweiter Stelle einbaut. Allein die Tatsache, dass der Täter dadurch mutwillig seine Entdeckung riskiert, macht sein Vorgehen unwahrscheinlich und die Entlarvung für den Leser unerfreulich einfach.

Ein weiteres Manko des Romans ist die fast hundertprozentige Gewissheit, dass den Leser am Ende ein mehr oder weniger glücklicher Ausgang erwartet. In keinem der etwa fünfzehn Mary-Higgins-Clark-Romane, die ich bislang gelesen habe, wird auf ein Happyend verzichtet, wenn der Schluss auch nicht zwangsläufig unter dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ steht. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass die Protagonistin bei ihren Ermittlungen selbst ums Leben kommt, ist dementsprechend gering. Umso wichtiger wäre es in dem Fall, die Zwischenhandlung vom üblichen Einheitsbrei abzuheben, wenn schon die Frage, ob der Täter letztlich gefasst wird, nicht mehr aufgeworfen wird. Die ganz große Spannung bleibt somit aus, da man nicht wirklich um den guten Ausgang der Geschichte bangt, sondern sich in der Gewissheit sonnt, dass alles sein gerechtes Ende nimmt.

Nicht weiter tragisch, aber etwas unglücklich ist der deutsche Titel, der viel zu belanglos daherkommt und kaum dafür geschaffen ist, sich dem Leser einzuprägen. „Nimm dich in acht“ ist eine Plattitüde, die auf so ziemlich jeden Psychothriller passt und als Titelwahl ausgesprochen lieblos und nichts sagend daherkommt. Passend ist dagegen der Originaltiel „You belong to me“, der zwar auf den ersten Blick ebenfalls belanglos zu sein scheint, aber wenigstens Bezug auf den Roman nimmt, indem er die Gravur des mörderischen Ringes aufgreift. Eine unveränderte Übersetzung nach „Du gehörst (zu) mir“ ins Deutsche wäre an dieser Stelle angebracht gewesen.

_Lockere Unterhaltung_

Trotz dieser Schwachpunkte bleibt unterm Strich ein solider Thriller, der dank seiner lockeren und flüssigen Sprache zwei bis drei Tage unterhaltsames Lesevergnügen bietet. Der Stil der Autorin gleitet munter dahin, ohne an den Leser besondere Anforderungen zu stellen. Es ist das ideale Buch, das man sich abends im Bett genehmigt, wenn man für anspruchsvollere Lektüre bereits zu müde ist. Es ist das ideale Buch, das man auf eine lange Zugfahrt oder mit ins Wartezimmer nimmt. Es ist das ideale Buch, das man trotz glühender Hitze am Strand aufschlägt. Die Sätze sind weder kompliziert noch übermäßig lang, es fallen keine Fremdwörter. Aufgrund der weiblichen Hauptfigur werden sich vor allem Frauen zur Zielgruppe zählen. Aber auch Jugendliche, die erste Thrillererfahrung sammeln wollen, sind mit diesem Roman gut bedient. Sogar zartbesaitete Leser mit empfindlichen Mägen dürfen sich ruhig an die Lektüre wagen, denn obwohl Mrs. Clark im Thrillermilieu zuhause ist, finden sich hier wie in den meisten anderen Werken nur wenige blutige Szenen.

_Fazit:_ Ein leicht verdaulicher Thriller, der vor allem von seiner sympathischen Protagonistin und dem Rätselraten um den Täter lebt. Der solide Gesamteindruck wird leider durch die übertrieben konstruiert verlaufende Mördersuche und die vielen Zufälle, die der Ermittlerin in die Hände spielen, geschmälert. Dank des einfachen und unkomplizierten Stils bleibt ein relativ spannender Roman ohne blutige oder schockierende Szenen, der sich leicht und locker in wenigen Tagen herunterliest.

_Mary Higgins Clark_, geboren 1929, zählt zu den erfolgreichsten Thrillerautorinnen der Welt. 1975 erschien ihr erster Thriller „Wintersturm“, der zum Bestseller avancierte. Seitdem verfasste sie Dutzende von Krimi- und Thrillerromanen, die regelmäßig die Spitzenplätze der Bestsellerlisten belegen.