„Seltsame Tätowierungen zieren die Leiche eines Äthiopiers. Als Ottavia Salina völlig überraschend zum mächtigsten Mann des Kirchenstaats, Kardinal Sodano, gerufen wird, ahnt sie nicht, was sie erwartet: Die renommierte Paläographin des Vatikanischen Geheimarchivs wird beauftragt, die geheimnisvollen Kreuze und Buchstaben auf dem Toten zu entschlüsseln.
Gemeinsam mit dem undurchschaubaren Hauptmann Glauser-Röist von der Schweizergarde und Farag Boswell, einem koptischen Archäologen aus Alexandria, macht sich Ottavia Salina auf die Suche nach den Reliquienräubern. Sieben Prüfungen auf Leben und Tod hat das kuriose Detektivtrio zu bestehen, die um Dantes ›Göttliche Komödie‹ und die sieben Todsünden kreisen. Diese sieben Prüfungen führen sie auch in die sieben historischen Hauptstädte des Christentums: nach Rom, Ravenna, Athen, Jerusalem, Konstantinopel, Alexandria und Antiochia.
Ein fesselnder Abenteuerroman um die bestgehüteten Geheimnisse des Christentums.“ (Verlagsinfo)
Kirchliche Verschwörungsthriller, die auf geheime und mysteriöse Bruderschaften zurückgreifen, sind spätestens durch Dan Browns [„Illuminati“ 110 zur hochbegehrten Unterhaltungsliteratur mutiert. Selten haben sich diese Bücher besser verkauft als momentan – ob auch Matilde Asensi ein ähnlich faszinierendes Werk vorlegen konnte wie Dan Brown, bleibt zu überprüfen …
John Holmgren, Gouverneur des Staates New York und Bewerber um das Präsidentenamt, stirbt in den Armen seiner Geliebten Moira Monserrat. Sein bester Freund und Wahlkampforganisator, Tracy Richter, nimmt zuerst an, dass es ein Herzinfarkt war. Doch dann findet man Moira tot auf. Gibt es zwischen den beiden Ereignissen Zusammenhänge? Noch während Tracy, einst als Geheimagent in Kambodscha eingesetzt, über diese Frage nachdenkt, überstürzen sich die Ereignisse. Tracys Weg führt ihn von Washington nach Hongkong und von New York nach Shanghai … Eric Van Lustbader – Schwarzes Herz weiterlesen →
Der kleine Max Berghoff will seiner Freundin Anna, die nur eine Ecke weiter wohnt, kurz etwas zeigen. Doch er kommt nie wieder nach Hause und wird auch nicht gefunden. Als ein Jahr vergangen ist und von Max weiterhin jede Spur fehlt, beschließt sein verzweifelter Vater Till, dass es nur einen Weg gibt, um herauszufinden, was mit Max geschehen ist: Er muss sich in den Hochsicherheitstrakt einer Psychiatrie einweisen lassen, wo der Kindermörder Guido Tramnitz sitzt. Till Berghoff vermutet, dass sein Sohn diesem Mann zum Opfer gefallen ist. Da er mit der Ungewissheit nicht länger leben kann, bittet er seinen Schwager, ihm zu helfen und ihn in den Hochsicherheitstrakt einzuschleusen.
Kurzerhand nimmt Till Berghoff die Identität eines Mannes an, der sich selbst angezündet hat und dabei ums Leben kam. Allerdings ahnt Till nicht, in welche Gefahr er sich dadurch begibt, denn seine neue Identität hat ein böses Geheimnis, das einer der anderen Insassen kennt und es deswegen auf Till abgesehen hat.
Verhängnisvolles Dichtererbe: das Manuskript des Todes?
Nachdem es tagelang geregnet hat, wird im idyllischen Lake District ein uraltes Geheimnis ans Tageslicht gespült: eine Leiche, die auf bizarre Weise tätowiert ist. Ein Mann aus der Südsee – ist er etwa Fletcher Christian, der berühmte Meuterer von der „Bounty“, der seinen Freund, den Dichter William Wordsworth besuchte? Die Wordsworth-Spezialistin Jane Gresham, die aus dem Lake District stammt, kehrt in ihre Heimat zurück, um dem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Doch jemand hat etwas dagegen, dass es gelüftet wird. Schon bald säumen Leichen Jane Greshams Weg …
Ein atemloser Thriller, der dem Leser kaum eine Verschnaufpause gönnt. Ein Katz-und-Maus-Spiel um einen Serienmörder, der ein Computeractionspiel auf die Wirklichkeit übertragen hat und nun Menschen tötet. Kann die Polizeiabteilung für die Bekämpfung von Computerverbrechen den Killer stoppen?
_Handlung_
Das Silicon Valley südlich von San Francisco ist so etwas wie der Software und Dollars gewordene Amerikanische Traum: vom Programmierer zum Multimillionär. Doch neuerdings treibt sich in diesem Paradies des Kapitalismus eine ziemlich tödliche Schlange herum. Ein Hacker mit dem Decknamen Phate (‚fate‘ = Schicksal) bringt mehrere Menschen um, darunter eine bekannte Frauenrechtlerin.
Die ermittelnde Polizeiabteilung für die Bekämpfung von Computerverbrechen findet heraus, dass sich Phate in die Computer seiner Opfer eingeloggt hat und sämtliche persönlichen Daten genauestens ausspähen konnte, ohne dass seine Opfer es merkten. Den dafür nötigen Virus namens Trapdoor (‚Falltür‘) hat Phate selbst programmiert, ein geniales Stück Programmcode, wie sich zeigen wird. Die Polizei steht vor einem Rätsel, aber unter enormem Zeitdruck. Wenn der Hacker in das Polizeinetzwerk ISLEnet eindringt, greift er auch das FBI und andere Sicherheitsbehörden an. Dann gute Nacht, Weltfrieden!
Lieutenant Andy Andersons Polizeiabteilung für die Bekämpfung von Computerverbrechen wählt einen unkonventionellen Weg, um Phate Paroli bieten zu können und ihm endlich bei seiner nächsten Tat zuvorzukommen. Die Polizisten schlagen dem im Knast sitzenden Hacker Wyatt Gillette einen Deal vor: Er bekommt einen Rechner gestellt, wenn er der Polizei hilft, Phate in die Enge zu treiben.
Natürlich hat die Sache einen dicken Haken, der sich noch bitter rächen wird: Gillette sitzt in Haft, weil er angeblich den Sicherheitsschlüssel des Pentagon geknackt hat. Da aber Anderson das Pentagon nicht fragte, ob er Gillette „ausleihen“ darf, bekommt sein Nachfolger – Phate hat Anderson kaltgemacht – mächtigen Ärger aus Washington an den Hals.
Während sich die Behörden gegenseitig an die Kehle gehen, büchst eines Tages Gillette aus und macht sich selbständig. Nun fragt sich Inspektor Bishop natürlich, auf welcher Seite Gillette, der früher den Hacker-Codenamen ‚Valleyman‘ trug, in Wahrheit steht. Und wer steckt hinter diesem mysteriösen Phate-Freund namens Shawn, der anscheinend jede Bewegung der Polizei an Phate weitermeldet?
_Mein Eindruck_
Der Psychologe Deaver beweist in diesem Silicon-Valley-Thriller um Hacker und Serienmorde, wie genau er die ganze Hackerszene kennt: ihre Sprache, ihre Methoden, ihre Verhaltensweisen. Ebenso gründlich recherchiert hat er die Geschichte der Computerindustrie. Phate tötet nur an besonders wichtigen Jubiläumstagen, so etwa an dem Tag, als der frühe Rechner UNIVAC ausgeliefert wurde. Für Leser, die keine Computerfans sind, ist das natürlich nicht so wahnsinnig spannend – für mich aber war es das: Ich bin schon seit 1986 mit Personal-Rechnern zugange – und damals gab es noch nicht mal Microsoft-DOSe bei uns.
Die Spannung der Handlung steht und fällt natürlich mit dem Verhalten der Polizisten und ihres Hackerhelfers Gillette während des spannenden Duells zwischen den beiden Hackern. Das ist recht plausibel konstruiert, nur dachte ich die ganze Zeit, die Bullen können doch nicht so blöd sein und übersehen, dass ‚Shawn‘ ein Maulwurf in ihrem eigenen Team ist. Doch während ich felsenfest überzeugt war, es sei der unfähige Altprogrammierer Miller, war es natürlich jemand ganz anderes. Das zeigt sich aber erst ganz am Schluss, und daher will ich das auf keinen Fall verraten. Einen Schwachpunkt gibt es: Gillettes Motivation, Phate zu jagen, ist nicht ganz glaubwürdig begründet, zumindest nicht der Eifer, mit dem er das tut. Schließlich waren die beiden einst Mitglieder der gleichen Hackergang.
|Die Message?|
Was will uns Deaver mit dieser Story sagen? Ganz einfach: Wir alle, die wir E-Mails verschicken und persönliche Daten auf dem PC speichern, sind total angreifbar. Viren und Würmer sind nur die Publicity-trächtige Spitze des Eisbergs. ‚Trapdoor‘ ist eine – noch fiktive – Späh-Software, wie sie auch Behörden oder das Militär einsetzen könnten. Nicht nur, um Computer auszuspionieren, sondern auch um indirekt Menschen zu töten (eine solche Szene wird sogar im Buch durchgespielt) und rechnergesteuerte Gebäude in die Knie zu zwingen. Im Bosnien- und Kosovo-Krieg tobte – meist unbemerkt von der Öffentlichkeit – ein „Infowar“ in den globalen Netzen (es gibt ja nicht nur das Internet), in dem Terroristen, Rebellengruppen und die Militärs einander bekriegten.
Was kann der einzelne PC-Nutzer tun? Sich so schnell wie möglich mit ordentlicher Antiviren-Software ausstatten und wenn möglich sogar eine Personal Firewall installieren. Regelmäßige Aktualisierungen nicht vergessen!
_Fazit_
Ich habe „Lautloses Duell“ in drei Tagen verschlungen. Es ist für einen Computerkenner leicht verständlich geschrieben. Schwierigere Sachverhalte erklärt der Autor mit Diagrammen, aber die taugen auch nicht als Programmieranleitung, keine Angst.
Ein Glossar erklärt wichtige Fachbegriffe, auch solche, die bekannt erscheinen wie etwa den Begriff „Zivilisten“ – das sind einfach weder Hacker noch Hackerfeinde, sondern „normale“ User.
Natürlich gibt es wieder die Deaver-typischen Überraschungen und plötzlichen Wendungen, wenn man meint, den oder die Täter schon zu kennen. Dies bleibt so bis zu den letzten Seiten, so dass es enorm schwer fällt, das Buch zur Seite zu legen.
|Zur Übersetzung|
Auf Seite 131ff (nicht im Glossar) findet sich der Begriff „Stenanografie“. Damit ist eine Methode gemeint, Daten wie etwa schädlichen Code in Bildern und dergleichen zu verbergen. Meines Wissens sollte dies aber „Steganografie“ heißen.
Auf Seite 169 steht natürlich prompt „RFTM“ statt „RTFM“, welches die klassische Anweisung ist: „Read the fucking manual!“ – „Lies das verdammte Handbuch!“
|Originaltitel: The blue nowhere, 2001
Aus dem US-Englischen übertragen von Gerald Jung|
Als Megan auf dem Handy ihres Mannes Chris ein Foto ihrer Zwillingsschwester Leah entdeckt, vermutet sie sofort eine neue, perfide Bosheit ihrer Schwester. Sie beschließt, Leah nach Jahren des Schweigens zu konfrontieren. Doch das Treffen endet mit einem schrecklichen Streit – und einem Mord. In Panik fasst Megan einen Plan: Wenn niemand weiß, dass Leah tot ist, wird es auch keine Ermittlungen geben – schließlich gleichen die beiden sich aufs Haar. Megan beginnt, ein Doppelleben zu führen. Sie taucht in Leahs luxuriöses Leben ein und sieht so die Chance, ihrer toxischen Ehe zu entfliehen. Doch Leahs Intrigen reichen tief – und auch Chris weiß mehr, als Megan ahnen kann … (Verlagsinfo)
Mein Eindruck:
“Die gute Schwester” ist von Anfang an faszinierend verstörend: Die Leserschaft lernt Megan kennen, erfährt wie sie unter ihrer intriganten Zwillingsschwester Leah litt bzw. leidet und wie ihr tyrannischer Ehemann Chris sie kontrolliert und bedroht. Schnell wird klar, Megan ist die gute Schwester, Leah die Teufelsbrut, die bekommen hat, was sie verdient… Sarah Bonner – Die gute Schwester weiterlesen →
Als die liebevolle Terry Painter der zwölf Jahre jüngeren Alison Simms ihr Gartenhäuschen vermietet, ahnt sie nicht, welchen Ärger sie sich damit einhandelt. Denn Alison lebt nicht nur in schlechter Gesellschaft, sondern ruft in Terry die Dämonin ihrer Vergangenheit wach: Terrys unbarmherzige Mutter. – Das Buch ist ein Drei-Generationen-Roman, der auch als Thriller zu überzeugen weiß, wenn auch erst spät.
_Die Autorin_
Joy Fielding lebt mit ihrer Familie in Toronto, Kanada, und in Palm Beach, Florida, also quasi in der Gegend, in der ihr zehnter Roman „Schlaf nicht, wenn es dunkel wird“ spielt. Mit ihrem Roman „Lauf, Jane, lauf!“ gelang ihr international der Durchbruch.
_Handlung_
Die Krankenschwester Terry Painter lebt ein scheinbar ruhiges Leben in einer kleinen ruhigen Küstengemeinde namens Delray in Florida. Seit ihre Mutter fünf Jahre zuvor gestorben ist und ihr das Haus vererbte, lebt sie allein. Sie hat keine Kinder, keinen Mann, keine Freunde – nur ihren Patienten widmet sie sich mit aller Herzenswärme, die sie aufbringen kann. Eine 87 Jahre alte Dame namens Myra Wylie ist ihr die liebste. Unter anderem auch deshalb, weil Myras fescher Sohn Josh gerade von seiner Frau verlassen wurde und somit ein begehrtes Objekt von Terrys liebeshungrigen Tagträumen ist. Wie gern hätte sie mal ein Date mit ihm!
Hin und wieder fühlt sie sich einsam und verspürt den Wunsch, ihr geräumiges Gartenhäuschen zu vermieten. Alison Simms, die geschiedene junge Frau, die dort nun einzieht, gewinnt Terrys Herz, und zwischen beiden entsteht eine Freundschaft. Terry schenkt ihr sogar das kleine Goldkettchen mit dem Herzen dran, das die Vormieterin Erica Hollander offenbar unterm Bett vergessen hat. Erica hat die letzten zwei Monatsmieten nicht bezahlt, als sie einfach abhaute.
Doch Alison, 28, arbeitet in einer Kunstgalerie und zahlt ihre Miete pünktlich. Doch scheint sie auch eine kleine Diebin zu sein, die in Terrys Hospital schon mal eine Brieftasche mitgehen lässt. Und ob sie und ihre Freundin Denise die neuen Ohranhänger selbst bezahlt haben, bezweifelt Terry auch ein ganz klein wenig. Terry beschleicht der Verdacht, dass Alison ihr etwas verheimlicht. Die anonymen Anrufe, die sie wegen Erica Hollander von einem Unbekannten erhält, beruhigen sie auch nicht gerade.
Immer öfter muss sie an ihre unduldsame, tyrannische Mutter zurückdenken. Immer noch hat sie die Lieblingsnippesfiguren ihrer Mutter im Regal stehen, lauter alberne, streng dreinblickende Kopfvasen: „Du dummes, dummes Mädchen!“ pflege ihre Mutter zu Terry zu sagen. Stets musste sie ihre Sexualität unterdrücken, und an das Intermezzo mit ihrem Klassenkameraden Roger Stillman auf der Rückbank seines Wagens darf sie schon gar nicht denken.
Als bei Alison ein junger Mann namens Lance Palmay auftaucht, der vorgibt, ihr Bruder zu sein, wird Terry stutzig. Sonderlich wie ein Bruder benimmt er sich nicht, sondern nimmt sich bei Alison Intimitäten heraus und macht Terry Avancen. An Thanksgiving bringen die beiden unangemeldet auch Denise und einen zweiten jungen Mann mit, K. C., der angeblich Kenneth Charles heißt. Allmählich fühlt sich Terry in die Enge getrieben, und Josh ist auch nicht gerade die Stütze, auf die Terry gehofft hatte.
In der Silvesternacht nehmen die Ereignisse eine tödliche Wendung.
_Mein Eindruck_
Man sollte den Originaltitel wörtlich nehmen: „Whispers and Lies“, also Geflüster und Lügen, darum geht es, nicht etwa um einen Mordfall, den es aufzuklären gilt. Folglich bestehen die ersten 200 Seiten aus genau diesem: Andeutungen, Vermutungen, zahllosen Lügen und Gerüchten. Terry, die uns ihre Geschichte aus ihrem Blickwinkel erzählt, behält dennoch die Übersicht. Die meiste Zeit bewahrt sie ein erstaunliches Stehvermögen, sowohl körperlich als auch seelisch. Sie neigt nicht schnell zu Verfolgungswahn, doch wer weiß schon, was sie uns in ihrem Bericht alles verschweigt?
|Die jüngere Generation|
Ihre Auseinandersetzung mit der jüngeren Generation und deren Lügen, Vorspiegelungen und üblen Absichten führt Terry bravourös. Denn sie sie hat noch Hoffnung, die Hoffnung, dass der liebe Josh, mit dem sie zu Mittag essen durfte, dermaleinst aus dem Familienurlaub zurückkehren und sie wie ein Ritter in schimmernder Rüstung in Sicherheit bringen werde. Als sich um die Seite 300 auch diese letzte Hoffnung verflüchtigt, zerbricht etwas in Terry Painter. Was dann geschieht, muss man selbst gelesen haben, um es glauben zu können.
Denn möglicherweise – wir haben ja nur ihr Wort im Bericht – stimmt etwas grundsätzlich nicht mit Krankenschwester Terry Painter. Ein Hinweis darauf ist Terrys Gedanke, dass sie ebenso wie die meisten Frauen um die 40 für Männer und fast alle anderen Wesen unsichtbar ist. Dies erinnert mich an die Story „Die Frauen, die Männer nicht sehen“ von Alice Sheldon, einer amerikanischen SF-Autiorin.
|Schatten der Vergangenheit|
Der langsam und unmerklich Spannung aufbauende Thriller erinnert in seinem allmählichen Aufbau aus alltäglichen Begebenheiten ein ganz klein wenig an Robert Zemeckis Film „Schatten der Vergangenheit“, in der die Hauptfigur, gespielt von Michelle Pfeiffer, dem Rätsel ihres eigenen Scheiterns auf die Spur kommt.
Doch dieser Film ist ungleich spannender und subtiler erzählt als Joy Fieldings Roman. Ich war etliche Male versucht, das Buch beiseite zu legen, weil 200 Seiten lang einfach nichts passierte. Erst dann schienen ein paar merkwürdige Details Bedeutung zu erhalten, und ab Seite 300 oder 320 ging dann die Post ab. Danach aber war ich in Versuchung, das Buch nochmals von Anfang an zu lesen, denn ich musste ein paar Hinweise offenbar übersehen haben.
_Unterm Strich_
Die Autorin oder vielmehr der Bericht ihrer Hauptfigur hat mich sauber aufs Kreuz gelegt. Ohne den überraschenden Schluss verraten zu wollen / dürfen, kann ich doch sagen, dass es im Finale noch recht thrillermäßig zugeht. Wer hätte das der ruhigen, liebevollen Krankenschwester zugetraut? Der Autorin gelingt eine doppelbödige Handlung, in der dem Leser oder vielmehr der Leserin, die sich viel besser in Terrys Lage versetzen kann als ein Mann, nie ganz klar wird, was hier eigentlich gespielt wird: Geflüster und Lügen sind die fragile, flüchtige Substanz, aus der die Handlung aufgebaut wird.
Und deshalb können wir als Leser noch bis zum bitteren, äußerst tragischen Schluss glauben, dass alles, was hier geschieht, ein schrecklicher Irrtum – oder eine ausgemachte Lüge – sein muss. Doch die einzige Wahrheit, die übrig bleibt, ist viel schlimmer als alle hier ausgebreiteten Lügen. Beim nächsten Mal werdet ihr eine Krankenschwester mit anderen Augen sehen …
|Die Übersetzung|
Fast durchweg gelungen finde ich Kristian Schulzes sprachlich einwandfreie Übersetzung. Mal von irgendwelchen vereinzelten Druckfehlern abgesehen, hat mich nur eine einzige Sache verwirrt: Lance Palmay, Alisons „Bruderherz“, wird bei seinem ersten Auftritt als „Lance Palmer“ (erinnert ein wenig an „Laura Palmer“ nicht wahr?) vorgestellt. Im Rest des Buches, also ab Seite 153, heißt er durchgehend Lance Palmay, was ich für einen ziemlich unwahrscheinlichen Namen halte – weder richtig spanisch noch englisch.
Privatermittlerin Holly Gibney steckt in einer Lebenskrise, da erhält sie einen Anruf: »Meine Tochter Bonnie ist vor drei Wochen verschwunden, und die Polizei unternimmt nichts.« Ihre Nachforschungen führen Holly zu einer weit zurückreichenden Liste ungelöster Vermisstenfälle. Alle spielen im Umfeld eines inzwischen emeritierten Ernährungswissenschaftlers mit dem Spitznamen »Mr. Meat«. Holly hat schon gegen grausame Gegner bestanden, aber hier begegnet sie dem schlimmsten aller Ungeheuer: dem Menschen in seinem Wahn. (Verlagsinfo)
Mein Eindruck:
Moment … Holly? Holly Gibney? Kennen wir die nicht? Klar, kennen wir die! Und wer alle drei Romane aus Kings „Mr.-Mercedes“-Reihe verschlungen hat, der hat sogar ihre komplette Entwicklung miterleben können. Von der Schüchternen, über die Partnerin, bis hin zur toughen Privatermittlerin. Stephen King sagt selbst, dass sie eigentlich nur eine Randfigur hätte werden und bleiben sollen, aber dann habe sie sein Herz erobert. Und so lässt er die Eigendynamik weiterleben, ganz zur Freude aller Holly-Fans. Er hatte auch eigentlich noch gar keine Story für sie im Kopf, nur eine Szene: Holly erlebt die Beerdigung ihrer Mutter per Zoom-Call. Traurig, aber noch keine Geschichte. Und dann las er eine Schlagzeile in einer Zeitung und schon hatte er seine Antagonisten gefunden.
Die Polizei nennt sie die „Violetten“, denn sie haben eine besondere Gabe: Sie können Mörder mit ihren violetten Augen erkennen. Und sie können mit den Toten sprechen. Weltweit gibt es nur noch etwa zweihundert von ihnen. Doch jetzt hat sich ein maskierter Mörder, den sie nicht erkennen können, zum Ziel gesetzt, alle auszulöschen. Das Medium Natalie Lindstrom unterstützt die Ermittlungen. Das FBI hat die Aufgabe, die letzten Überlebenden Tag und Nacht zu schützen. Ob das gelingt? Natalie gerät in Lebensgefahr.
_Der Autor_
Stephen Woodworth lebt in Kalifornien und schreibt seit Jahren für Magazine und Zeitschriften. 1999 besuchte er die Schriftstellerwerkstatt des Clarion West, in dem gestandene Science-Fiction-Autoren Erfahrungen weitergeben und die Erzeugnisse ihrer Schüler kritisch bewerten. Der Autor bedankt sich ausführlich im Nachwort für diese Schützenhilfe. Woodworth kommt also ursprünglich aus der SF-Ecke, doch mit dieser Schublade würde man seinem Werk Unrecht tun.
„Das Flüstern der Toten / Through violet eyes“ ist sein erster Roman, mit dem er in USA auf Anhieb Erfolg hatte. Der zweite Roman ist bereits in den USA erschienen und soll ebenfalls bei |Heyne| veröffentlicht werden.
_Hintergrund_
Man stelle sich eine Welt vor, die der unseren bis aufs Haar gleicht, nur mit einem winzigen, aber folgenreichen Unterschied: Die Toten existieren nicht irgendwo über den Wolken oder in einem Reich unter der Erde, sondern weiterhin um uns herum, nur eben unsichtbar. Aber, und das ist wichtig, sie verfügen über diverse Fähigkeiten und Eigenschaften, mit denen sie sowohl aufgespürt und kontaktiert werden können, mit denen sie aber auch einen entsprechend vorbelasteten Menschen geistig übernehmen können. Letztere Menschen sind die Violetten.
Die Violetten, so genannt wegen ihrer ungewöhnlichen Augenfarbe, sind Mutanten, die an einer speziellen Schule ausgebildet werden und offiziell in der „Nordamerikanischen Gesellschaft für Jenseitskommunikation“ (NAGJK) organisiert sind. Diese verfügt über eine straffe Führung, die die Dienste ihrer Mitglieder der Gesellschaft anbietet. Einer dieser Dienste besteht in der Ermittlung der Täterschaft bei Todesopfern, z. B. bei Mord …
_Handlung_
FBI-Agent Dan Atwater hat die Aufgabe übernommen, die Violette Natalie Lindstrom zu unterstützen, zu beschützen, aber auch zu überwachen. Mit ihrem kahl geschorenen Kopf sieht die junge Frau fast wie ein Alien aus. Heute trägt sie keine Perücke, aber heute ist ja auch ein besonderer Tag: Sie tritt in einem Gerichtssaal mit einem Mordopfer in Kontakt. Der ganze Vorgang, so eingespielt er auch sein mag, ist Dan unheimlich. Natalie nimmt sozusagen im Zeugenstand Platz, und die Elektroden des „SeelenScanners“ werden an die bezeichneten Kontaktpunkte auf ihrem kahlen Schädel angebracht. Sollte bei der Kontaktaufnahme etwas schief laufen, braucht nur jemand den Panikknopf zu drücken und die Sitzung wird elektrisch abgebrochen.
Angeklagt ist ein mexikanischer Arbeiter. Er soll seine Frau umgebracht haben. Doch Dan hat den Verdacht, dass der Mann etwas anderes vorhat, denn die Beweislage alleine würde bereits für eine Verurteilung reichen. Dann gibt man Natalie das „Kontaktobjekt“. Es muss immer etwas sein, das der Tote, der gerufen werden soll, getragen und berührt hat. Manchmal reicht aber auch schon eine längere Bekanntschaft, besonders unter Violetten, um den Kontakt herzustellen.
Dann passiert es, und es ist am Seelenscanner genau abzulesen. Die Tote übernimmt Natalies Geist und spricht mit ihrem Mund, agiert mit ihrem Leib. Wütend klagt die Frau ihren Mann an und droht, sie werde ihm niemals verzeihen, was er getan hat. Der Mann springt unvermittelt auf und wirft sich „Natalie“ zu Füßen, um Vergebung zu erflehen. Er wird zurückgehalten, während „Natalie“ immer noch unversöhnliche Flüche ausstößt. Jemand drückt den Panikknopf. „Natalie“ bricht in ihrem Sessel zusammen und schlägt die Augen auf, wieder sie selbst. Es ist vorüber.
Puh, stöhnt Dan innerlich. Ob das wohl jedes Mal so intensiv ist? Und ein kleiner Schauder läuft ihm über den Rücken, wenn er daran denkt, was wäre, wenn er selbst mit einem Toten in Kontakt geriete. Er hat nämlich quasi eine Leiche im Keller. Zusammen mit den Agenten Ross und Phillips hat er einmal einen unschuldigen Nachtwächter erschossen, weil sie seinen Schlüsselbund für eine Waffe hielten. Deshalb vermeidet Dan jeden Körperkontakt mit seinem Schützling Natalie, als er sie ins Hotel bringt. So wie man einen Blitzableiter möglichst nicht während eines Gewitters anfasst. Man ahnt bereits, dass Dan in engeren Kontakt mit Natalie treten wird, so oder so …
|Eine bedrohte Spezies|
Was die Öffentlichkeit noch nicht weiß: Violette wie Natalie sind eine bedrohte Spezies. Denn in den letzten Monaten sind bereits über ein halbes Dutzend von ihnen getötet worden. Das jüngste Opfer ist ein kleines Mädchen namens Laurie. Nach einer Warnung war Laurie von der NAGJK-Schule genommen worden, doch der Mörder hat sie trotzdem aufgespürt. Als Natalie Lauries toten Geist kontaktiert, erfährt sie, dass der Mann eine schwarze Maske trug und somit nicht zu identifizieren ist. Aber Laurie hat noch eine weitere Beobachtung gemacht: Da war ein junger Mann an ihrer Schule, der nicht zu den Schülern gehörte. Wer ist er?
Eines ist jedenfalls klar: Natalie und Dan müssen erstens die restlichen Violetten vor der drohenden Gefahr warnen und zweitens herausfinden, ob sich der Mann vielleicht unter ihnen befindet. Denn nicht jeder Violette ist ein Menschenfreund. Es gibt auch ein paar hochnäsige Leute darunter, die sich für etwas Besseres halten.
Als nacheinander zwei Freunde von Natalie trotz scharfer Bewachung bestialisch ermordet werden, ist Dan klar, dass Natalie, für die er immer mehr empfindet, in Lebensgefahr schwebt. Als er merkt, dass er und sie laufend beobachtet werden, schießt er den Fahrer des Wagens beinahe über den Haufen – so wie jenen Nachtwächter. Aber er kann sich beherrschen. Es ist nämlich ein Sensationsreporter. Am nächsten Tag kann Dan sein Konterfei und das von Natalie in dicken Schlagzeilen in der Zeitung lesen. Sein Chef zieht ihn von der Sache ab, bevor Dan noch mehr Schaden am Image des FBI anrichten kann.
Natalie muss sich in die Obhut des Sicherheitsdienstes der NAGJK begeben. Doch die Mordserie geht weiter, und so wird Dan wieder in den Mittelpunkt des Geschehens gerufen. Allmählich wird ihm das raffinierte Vorgehen des Mörders richtig unheimlich. Aber muss es sich nur um einen handeln? Als der Geist des letzten Opfers Natalie besucht, gelingt ihnen der Durchbruch. Aber es müssen noch viele Irrtümer beseitigt werden, bevor sie an den Richtigen geraten. Und der ist ganz und gar nicht das, was er zu sein scheint … Bloß gut, dass es einen Panikknopf gibt.
_Mein Eindruck_
Im Free-TV wird zur Zeit eine Serie namens „Ghost Whisperer“ gezeigt, in der Jennifer Love Hewitt eine medial begabte Frau spielt, die mit den Toten sprechen kann. Ihre Botschaften dienen häufig dazu, die Lebenden, die Hinterbliebenen zu trösten. Doch „Ghost Whisperer“ ist ein Kindergeburtstag im Vergleich zu „Das Flüstern der Toten“. (Wie viel die beiden Werke miteinander zu tun haben – falls überhaupt – hat sich mir noch nicht erschlossen.) Während es in der Mystery-Serie um sentimentalen Trost für die Lebenden geht, stellt das Buch einen immer härter werdenden Thriller erster Güte dar.
Der Thriller gehorcht den für das Genre üblichen Regeln, wie sie seit den Zeiten von Hammett und Chandler gelten. Überraschende Wendungen stellen die sich immer stärker entwickelnde Liebe zwischen dem FBI-Agenten und seinem ängstlichen Liebchen mit dem Psychoknacks gehörig auf die Probe. Doch anders als etwa Sam Spade ist Dan Atwater kein Mann, der über Leichen geht, ohne mit der Wimper zu zucken, sondern ein geschiedener Gatte, der einen unschuldigen Menschen erschossen hat: Er hat Vergangenheit, Tiefe und Verletzlichkeit. Es stellt sich heraus, dass die beiden sehr gut zueinander passen.
Die Schwierigkeiten, die sie immer von Neuem bewältigen, ergeben sich aus den seltsamen Bedingungen, unter denen die Violetten existieren. Das krasseste Erlebnis, das Natalie widerfahren kann, ist die widerwillige Übernahme durch einen fremden Geist. Dieser Tote hat meist keine sonderlich menschenfreundlichen Absichten, und so dürfte sich Natalie fühlen, als würde sie vergewaltigt.
Normalerweise schützen sich die Violetten gegen diese Übernahme durch ein persönliches Mantra, das sie ständig wiederholen, sei es nun das Einmaleins, ein Kinderreim oder der Psalm 23 („Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“ etc). Und im Normalfall ist das Mantra nur dem Violetten selbst bekannt. Doch jemand aus der NAGJK-Schule kennt offenbar alle diese Schutzzauberformeln, setzt sie selbst ein und überwindet so den Widerstand des Geistes. Als Folge glaubt der Körper des Übernommenen, er sei noch vom korrekten Geist „besetzt“ – die Täuschung ist perfekt. Nun kann der Ursurpator mit dem Körper tun und lassen, was er willen. Auf diese Weise kann Natalie, die nie Autofahren gelernt hat, auf einmal einen Sportwagen steuern. Wie wehrt sich ihr noch vorhandener Geist gegen die Übernahme? Das ist einer der Momente, die die Geschichte so spannend machen.
Der arme Dan! Er kann nie hundertprozentig sicher sein, mit wem er es gerade zu tun hat. Einmal hat sich die sonst so verhuschte Natalie mit verführerische Pose auf ihn gestürzt – der Geist eines Toten, eines Mannes, hatte sie übernommen, um sich vor der Einsamkeit und Düsternis des Totenreichs mal eine Auszeit zu gönnen. Kann man ihm nicht verdenken, aber das Gefühl, von einer „männlichen“ Frau verführt zu werden, ist nicht unbedingt das, wonach Dan um Mitternacht der Sinn steht. Von da ab ist er sehr vorsichtig, was Natalies Identität angeht.
Der Autor hat sich die Aufgabe gestellt, ein relativ konventionelles Thrillergrundmodell in eine ziemlich originell erfundene Welt zu stellen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen durchzuspielen. Der Leser kann sich deshalb nicht auf seine Erfahrungen stützen, die er im Thrillerlesen erworben hat, sondern wird ständig mit überraschenden Wendungen konfrontiert. Aber so originell ist der Autor dann auch wieder nicht. Schließlich ist es ein fast übersehener Hinweis in einer völlig unwichtig erscheinenden Akte, die Dan den Heureka-Moment beschert. Das hätte ich auch so erwartet.
Wie dann die Auflösung des Falls vonstatten geht, ist dann doch wieder recht unkonventionell, denn der Held, unser braver Agent Dan, gibt unfreiwillig den Löffel ab. Doch in einer Welt der lebenden Toten ist auch sein Tod erst ein Anfang. Der „Anfang einer wunderbaren Freundschaft“, um noch einmal Bogart zu bemühen.
_Unterm Strich_
Mir hat das Lesen von „Das Flüstern der Toten“ viel Spaß und einige Aha-Momente bereitet. Trotz der Action-Einlage und des dramatischen Finales fehlen auch nicht der emotionale Tiefgang oder jene philosophischen Einblicke, für die der Autor lediglich das Stichwort liefert, die sich der Leser aber selbst erarbeiten muss. Der Autor hält sich weise zurück mit seinen Werturteilen, und nur in seltensten Fällen erlaubt er sich, durch seine Figuren eine Wertung abzugeben. Als einer der vielen Verdächtigen einmal den Wunsch äußert, die „völlige Kontrolle“ über das Violetten-Programm zu erhalten, kommt dieses Wort Dan Atwater vor wie ein „Pesthauch“.
Da das Buch hauptsächlich aus witzigen, intelligenten, mitunter dramatischen Dialogen besteht, lässt es sich sehr leicht lesen, ohne dabei an Tiefe zu verlieren. Anders als bei Bogarts Philip Marlowe wird dabei nicht auf One-liner abgestellt, die im Gedächtnis hängen bleiben, sondern es findet ein echter Austausch von Meinungen und Emotionen statt. In einem Drehbuch sähe dies sicherlich etwas anders aus.
Woodworth kombiniert das Thrillergenre, adaptiert es aber für seine Zwecke, wie es etwa sein Mentor Greg Bear (s. o.) in „Stimmen“ (Dead lines) und „Jäger“ (Vitals) getan hat, um damit sowohl eine spannende Handlung als auch interessante und anrührende Aussagen über die Natur des Todes und die Beziehung der Lebenden zu den Toten zu formulieren.
(Was ist zum Beispiel die verbrannte und zerbrochene E-Gitarre von Jimi Hendrix wert? Sieht erstmal nach Schrott aus, aber für ihre jetzige Besitzerin, eine Violette, ist sie ein Kontaktobjekt, über das sie theoretisch mit Hendrix kommunizieren könnte. Anders als mit Ludwig van oder Mozart lässt sich jedoch Jimi nicht herbei, die Welt der Lebenden noch einmal zu besuchen. Da kommt mir „Purple Haze“ in den Sinn: „Excuse me while I kiss the sky – is this tomorrow or just the end of time?“.)
Wer mit klassischem Thriller und moderner Mystery im Doppelpack etwas anfangen kann, ist bei Flüstern der Toten“ genau richtig.
|Originaltitel: Through violet eyes, 2004
384 Seiten
Aus dem US-Englischen von Helmut Gerstfelder|
http://www.heyne.de
Als ausgerechnet dem einbeinigen Privatdetektiv Cormoran Strike ein abgetrenntes Frauenbein zugeschickt wird, ahnt dieser, dass jemand, mit dem er einst aneinandergeriet, Rache nehmen will. Leider gibt es mindestens drei Kandidaten, die sämtlich untergetaucht sind … – Der dritte Strike-Roman schildert primär das Aufwärmen kalter Spuren, was wortreich mit den Beziehungsproblemen der Mit-Detektivin Robin verwoben wird. Da Autorin Joanne K. Rowling – sie steckt hinter dem männlichen Autoren-Pseudonym – schreiben kann und über trockenen Witz verfügt, wird die Überlänge dieses Romans nur selten zum Problem. Robert Galbraith – Die Ernte des Bösen (Cormoran Strike 3) weiterlesen →
In Zimmer 217 ist etwas aufgewacht. Etwas Böses. Brady Hartsfield, verantwortlich für das Mercedes-Killer-Massaker mit vielen Toten liegt seit fünf Jahren in einer Klinik für Neurotraumatologie im Wachkoma. Seinen Ärzten zufolge wird er sich nie erholen. Doch hinter all dem Sabbern und In-die-Gegend-Starren ist Brady bei Bewusstsein – und er besitzt tödliche neue Kräfte, mit denen er unvorstellbares Unheil anrichten kann, ohne sein Krankenzimmer je zu verlassen. Ex-Detective Bill Hodges, den wir aus Mr. Mercedes und Finderlohn kennen, kann die Selbstmordepidemie in der Stadt schließlich mit Brady in Verbindung bringen, aber da ist es schon zu spät. (Verlagsinfo)
Mein Eindruck:
Nachdem ich MR MERCEDES aka Brady Hartsfield im zweiten Teil der Trilogie vermisst habe, er aber ein plausibles Alibi in Form eines Krankenhausaufenthalts hatte, freuts mich umso mehr, dass Stephen King ihn wieder mit Leben erfüllt. Und das offenbar, ohne dass es jemand im Krankenhaus merkt und mit mehr, als es eigentlich erklärbar wäre.
„Plötzliche Stille“ ist ein sorgfältig aufgebauter und stimmungsvoller Krimi, in dessen Mittelpunkt eher die beteiligten Menschen stehen als irgendwelche brutale Action. Es geht um zwei verschwundene Frauen und ein bedrohtes kleines Mädchen – und natürlich um die Umstände, wie es zu dieser Situation kommen konnte.
Die Autorin
Die polnischstämmige Autorin Danuta Reah alias Carla Banks (Pseudonym) lebt mit ihrem Mann Ken, einem Maler, seit vielen Jahren in der englischen Stadt Sheffield, lehrt an der Universität Englisch und leitet Workshops für angehende Schriftsteller. Mit ihrem Krimidebüt Letzter Halt begeisterte sie in ganz England Leser, Buchhändler und Kritiker so sehr, dass ihr Name mittlerweile in einem Atemzug mit Minette Walters, Ruth Rendell oder Val McDermid genannt wird.
Romane
Plötzliche Stille
Nachtengel
Letzter Halt
Bilder vom Tod
The Last Room
Als Carls Banks:
Strangers
The Forest of Souls
Handlung
Zwei junge Frauen und ein kleines Mädchen sind verschwunden – alle im Park. Die nordenglische Industriestadt Sheffield verfügt über mehrere schöne Parks, die meisten durchflossen von Flüsschen und Bächen, an denen verfallene Wassermühlen einst Schmieden und Handwerksbetriebe antrieben. Dies ist das alte Herzland der industriellen Revolution des 18. Jahrhunderts.
Doch im Jahre 2000 floriert in Sheffield eine andere Art von Industrie: der Drogenhandel. Diese Szene bildet nicht den Mittelpunkt des Geschehens, sondern seinen unsichtbaren Hintergrund. Vor dieser Leinwand entfalten sich mehrere Dramen. Meist steht eine Frau im Zentrum der Handlungsstränge, einmal auch ein Kind.
An den Wochentagen liegt der große Park, in dem Suzanne Milner ihre Joggingrunden dreht, verlassen da. Die Stille unter den schattigen Bäumen ist ihr manchmal unheimlich. Auch die sechsjährige Lucy, die Tochter von Suzannes Nachbarin Jane, spielt gerne im Park. Die stillgelegte Mühle Shepherd Wheel hat es ihr besonders angetan – sie hat dort einen Spielkameraden: Tamby. Er beschützt sie vor dem unheimlichen Ashman. Tamby sagt ihr immer, sie solle so still wie eine Maus sein. Denn wenn die Monster sich zeigen, muss man sich verstecken.
Noch sind die Monster im Park.
Natürlich geht Lucy nie allein in den Park. Sie hat immer ein Kindermädchen dabei. Das war bis vor wenigen Wochen die hübsche Sophie. Doch seit diese verschwunden ist, wird Lucy von der 17-jährigen Emma begleitet. Leider verschwindet Emma immer wieder, um Leute zu besuchen.
Als Lucy am gleichen Tag, als Suzanne einen jungen Mann aus Shepherd Wheel herauskommen sieht, verschwindet, löst dies bei Suzanne und Jane Panik aus. Sie sucht Lucy, findet aber nur die tote Emma: am Grunde des Kanals der Wassermühle. Lucy wird am Abend völlig unversehrt gefunden.
Inspektor Steve McCarthy, ein recht strenger und geschäftsmäßiger Typ, der nach oben kommen will, hält die Befürchtungen der beiden alleinstehenden Frauen Jane und Suzanne zunächst für übertrieben. Bald darauf stößt man per Zufall auf die Leiche von Sophie Dutton, Emmas Vorgängerin. McCarthy überdenkt sein vorschnelles Urteil.
Für Lucy steht bald fest: Die Monster sind in der Nachbarschaft.
Die Kindermädchen Emma und Sophie hatten in einem Studentenhaus neben Janes und Suzannes beiden Reihenhäuschen gewohnt. Im Studentenhaus findet die Polizei auf dem Dachboden ein große Tüte voll Ecstacy – was geht hier eigentlich wirklich vor?, fragt sich Inspektor McCarthy. Bei der Suche nach Verbindungen zwischen den beiden Frauen und dem jungen Mann, den Suzanne Milner gesehen zu haben glaubt, stellt sich heraus, dass alle drei miteinander verwandt waren. Und Ashley Reid, der junge Mann, ist Teil eines Rehabilitierungsprojekts, an dem Suzanne psycholinguistische Forschungen anstellt.
Als Inspektor McCarthy von der völlig verängstigten und mit einem schweren Schuldkomplex belasteten Suzanne herausbekommt, dass sie von Ashley Tonbandaufnahmen hatte – sie sind verschwunden -, verdächtigt er sie der Behinderung seiner Arbeit. Die arme Suzanne, die dringend psychologische Hilfe benötigt, ist dadurch am Boden zerstört. Etwas kopflos ermittelt sie auf eigene Faust.
Die Lage spitzt sich zu, als sie Ashley Reid für eine Nacht bei sich aufnimmt, dort ein Brand ausbricht und Ashley anscheinend darin umkommt. Wenig später werden Lucy und Suzannes kleiner Sohn Michael von einem Unbekannten entführt. Die kleine Lucy hat sich getäuscht: Tamby scheint nicht ihr Freund zu sein.
Die Monster sind in Lucys Haus …
Mein Eindruck
Auf den letzten 50 Seiten war es mir unmöglich, das Buch aus der Hand zu legen – so spannend ist das Finale geschildert. Wir betrachten das Geschehen mit den unschuldigen Augen der kleinen Lucy, die versucht, sehr tapfer zu sein und ihren Entführer zu überlisten. Währenddessen hetzt Steve McCarthy zu Janes Haus, um Lucy zu beschützen – zu spät. Und Suzanne hat sich aufgemacht, um die Wahrheit über Ashley Reid herauszufinden, nicht ahnend, wozu er fähig ist …
Mit sehr viel Orts- und Menschenkenntnis baut die polnischstämmige Autorin aus Sheffield (dem Buch ist ein polnischer Grabspruch vorangestellt) die Bühne für das spannende Geschehen auf. Suzanne mag ja nicht die sympathischste Frauenfigur der Literaturgeschichte sein, könnte aber unter den Top Ten der mitleiderregendsten landen. Dennoch ist gerade sie es, die die Geschehnisse um die ermordeten Frauen in Gang setzt und im Finale für einen Höhepunkt sorgt. Sie gewinnt zudem Steve McCarthys Herz, von dem man nie erwartet hätte, dass er dazu in der Lage sei.
Ein Familiendrama
Die Drogengeschichte ist der Aufhänger für ein Familiendrama, dessen Ende sich seit Jahrzehnten angebahnt hat und das nun zu einem blutigen Abschluss kommt. Es ist das Drama der Familie Reid, und Auslöser ist der skrupellose ‚Don Juan‘ Phillip Reid, der seine Kinder und seine Frau sitzen ließ, nun aber an Jane Fieldings Seite unvermutet wieder auftaucht.
Inspektor McCarthy und seine Kollegen brauchen den größeren Teil des Buches, um diese komplizierte Geschichte aufzudröseln (das kann für den Leser ebenfalls recht anstrengend sein: Er muss sich viele Namen merken). Ihr Schock sitzt umso tiefer, als sie entdecken, dass der Verursacher des Dramas die ganze Zeit, unter falschem Namen, direkt vor ihrer Nase saß.
Drogen und Familiendrama sind die Ursache für das Verhalten der Kinder in der Familie Reid: Emma, Sophie, Ashley und Simon (der die Drogen herstellte, die Emma und Ashley verkauften) gerieten in ernsthafte Gefahr, echte Drogenkriminelle zu werden. Suzanne ist ahnungslose Zeugin dieses Vorgangs und wird so ebenso ein Opfer wie das letzte – und unschuldigste – Mitglied der Reids: Lucy.
Die Sünden der Väter
Etwas distanzierter betrachtet ist dies die biblische Geschichte von den „Sünden der Väter“, die bis ins xte Glied vererbt werden. Die Autorin erzählt uns sehr glaubhaft, dass sich diese Geschichte noch heute Tag für Tag ereignet. Das Alltägliche nimmt bei ihr bedrohlichen Charakter an, die Spannung zwischen dem, was tatsächlich passiert, und dem, was sich die Figuren lediglich einbilden oder erträumen, ist ständig vorhanden, denn der Unterschied ist verwischt.
Das Vertraute ist verhängnisvoll, Sicherheit gibt es daher nirgendwo. Denn die Familien und Ehen, die Reah schildert, sind samt und sonders zerbrochen und unvollständig. Für Kinder kein Schutz. Die Folge: stille, leere Spielplätze (O-Titel: „silent playgrounds“).
Gewisse Schwächen
Etwas erstaunt bemerkte ich, dass sich die Autorin bei ihrer Sheffield-Beschreibung einmal wiederholt. Angesichts des sorgfältigen Lektorats durch Verlag und Freunde ist dies recht merkwürdig. Auch im Mittelteil konnte ich über einige längere Beschreibungen, die dem Aufbau einer Stimmung dienen, hinweglesen.
Die Polizeiarbeit beschreibt Reah nicht sonderlich eingehend. Obwohl die Verhöre sehr genau geschildert werden, kommt doch die Vermittlung von gerichtsmedizinischen Fakten stets ohne Erklärungen aus – in diesem Aspekt ist Reah weit von Cornwell und Reichs entfernt, die uns mit unappetitlichen Fakten über verwesende Leichen informieren. Ich denke, darauf kann man getrost verzichten.
Auf das menschliche Miteinander, auf das US-Autoren so viel Wert legen, verzichtet Reah weitgehend. Sie konzentriert sich auf Steve McCarthy und seine Reaktion auf das mysteriöse Geschehen und auf die Begegnung mit der rätselhaften Suzanne Milner.
Unterm Strich
Danuta Reah versteht es, mit hoher Sachkenntnis sowohl menschliche Figuren glaubwürdig zu gestalten, als auch ein spannendes Geschehen zu inszenieren, das eine gesellschaftlich relevante Aussage beinhaltet. Das Buch ist gut zu lesen, am Schluss kann man es nicht aus der Hand legen.
An einem gewöhnlichen Herbsttag wird die Stadt Chester’s Hill, Maine, auf unerklärliche Weise durch ein unsichtbares Kraftfeld vom Rest der Welt abgeriegelt. Klingt nach den Simpsons und Marlen Haushofer, ist aber echt: Flugzeuge zerschellen daran, einem Gärtner wird beim Herabsausen der Kuppel die Hand abgehauen, Familien werden auseinandergerissen, Autos explodieren beim Aufprall.
All dies ist nicht sonderlich lustig, doch alle rätseln, was diese Wand ist, woher sie kommt und ob sie bald wieder verschwindet. Ein Entrinnen ist unmöglich, deshalb gehen bald die Vorräte zur Neige. Der bestialische Kampf ums Überleben in dieser unerwünschten Arena tobt zunehmend stärker. Wird es Überlebende geben? Stephen King – Die Arena / Under the Dome weiterlesen →
Das vergrabene und heimlich geborgene Erbe eines ermordeten Schriftstellers setzt Jahrzehnte nach dessen Tod eine Kettenreaktion sich steigernder Gewalt in Gang, als der Täter feststellen muss, dass sein Schatz entdeckt wurde … – Das zweite Buch der Hodges-Trilogie ist erneut ein Krimi, der betont ‚normale‘ Menschen in eine brutale Krise = Bewährungsprobe stürzt: nicht so intensiv wie der Vorgängerband aber erneut beachtlich in der Darstellung eines quasi ‚logisch‘ ablaufenden Verhängnisses.Stephen King – Finderlohn (Bill Hodges 2) weiterlesen →
Ein New Yorker Bestsellerautor will den Verlag wechseln und stellt seinem auserkorenen Verleger eine knifflige Bedingung. Sie führt dazu, dass ein anderer, völlig unschuldiger Autor dieses Verlags ins Visier zweier Killer gerät, die der Verleger anheuert. Wie weit ist er aus Profitgier zu gehen bereit?
_Die Autorin_
Martha Grimes zählt seit der Erfindung ihres Serienhelden Inspektor Jury zu den erfolgreichsten Krimiautorinnen der Nachkriegszeit. Sie wurde in Pittsburgh, Pennsylvania, geboren und studierte an der |University of Maryland|. Lange Zeit unterrichtete sie kreatives Schreiben an der |Johns Hopkins University|. Sie lebt heute abwechselnd in Washington, D.C., und Santa Fé, New Mexico.
_Handlung_
Die Story liest sich wie die Abfolge einer Kettenreaktion, die im Hexenkessel von Manhattan in Gang gesetzt wird …
Alles beginnt mit Paul Giverney, der ebenso wie die Autorin aus Pittsburgh stammt und ebenso wie sie einen Bestseller nach dem anderen raushaut. Krimis, versteht sich. Nach seinem letzten Buch „Don’t go there“ will er den Verlag wechseln, weg von |Queeg & Hyde|, rüber zu |Mackenzie & Haack|. Nun ist „Mack & Haack“*, wie andere Verlage, die sich für was Besseres halten, den Laden nennen, nicht gerade für hochstehende Literatur bekannt, aber Bobby Mackenzie hat den einzigen Lektor in ganz Manhattan, der seine Arbeit noch ernst nimmt und wirklich etwas taugt: Tom Kidd. Hat Paul Giverney plötzlich Ambitionen zu etwas Höherem?
Als Paul anruft, ist Bobby natürlich nicht abgeneigt, ihn zu übernehmen. Für einen saftigen Vorschuss auf Pauls nächstes Buch, versteht sich. Nur eine Bedingung bereitet ihm Bauchschmerzen: Ein anderer Autor soll dafür Bobbys Haus verlassen, Ned Isaly, einer der preisgekrönten Lieblinge von Lektor Tom Kidd. Aber wer würde die Gans, die goldene Eier legt, von der Tür weisen? Bobby sagt okay.
Dummerweise steht Isaly gerade kurz davor, sein neuestes Manuskript bei Mackenzie-Haack abzuliefern und soll noch ein weiteres schreiben. Man kann so einen Mann nicht einfach feuern. Also erinnert Bobby seinen Cheflektor Clive Esterhaus daran, dass man doch noch gute Beziehungen zu Danny, dem Unterweltboss, pflege, da man dessen Biografie ja veröffentlicht habe. Sicher sei Danny für einen Tipp gut, wie man Ned Isaly klarmachen könnte, das Schreiben bleiben zu lassen – oder wenigstens woanders zu schreiben.
Doch Clive ist ein Dünnbrettbohrer, der nur auf die eigene Karriere bedacht ist. Also lässt er sich von Danny über den Tisch ziehen und dazu breitschlagen, zwei von Dannys freiberuflich tätigen „Unternehmern“ anzuheuern, sprich: zwei Auftragskiller. Ihr Auftrag: Isaly kaltmachen.
Karl und Candy, so die Namen der zwei ehrenwerten Freiberufler, sind keine von der schnellen Truppe. Sie besorgen sich erst einmal die jeweiligen Bücher von Paul Giverney und Ned Isaly. Sie haben herausbekommen, wer hinter den Auftraggebern steckt und was Paul will. Zunächst betätigen sie sich als Literaturkritiker und vergleichen erst einmal die beiden Autoren, wie sich das ihrer Meinung nach gehört. Karl war immerhin auf der Uni, wenn auch ohne Abschluss. Dann erst geht es – vielleicht – zur Sache.
_Mein Eindruck_
Der Roman soll eine schwarze Krimikomödie sein, und das klappt ja auch ganz gut. Die Situation in Pittsburgh eskaliert zum Siedepunkt, als sämtliche Killer, Aufpasser, Beschützer, Beschatter und sonstige Abgesandte sich um den nichts ahnenden Isaly scharen und sich dabei gegenseitig in die Quere kommen. Das ist der durchaus ironische Höhepunkt des Romans, und es lohnt sich, darauf hinzulesen. Etwas Groteskeres wird man selten in einem zeitgenössischen Krimi finden.
|Krimi als moralische Anstalt|
Aber das Buch will weitaus mehr. Denn es versteht sich offenbar frei nach Schiller auch als „moralische Anstalt“, wenn Paul Giverny – dessen Name ständig mit dem Designer Givenchy verwechselt wird – die New Yorker Verlagswelt provoziert, um herauszufinden, wie weit Verleger gehen würden, um einen Erfolgsautor wie ihn zu bekommen. Was wird der Profitgier geopfert? Doch hier tritt kein Jehoschua von Nazareth auf, um die Geldwechsler aus dem Tempel Jehovas zu vertreiben. Es stellt sich auch kein Säulenheiliger an die Speaker’s Corner im Londoner Hyde Park, um wider die gierigen Herren – und Frauen – Verleger im fernen Neu-York zu wettern. Es geht ganz einfach darum, ein Feuerchen anzuzünden und zuzusehen, was passiert.
|Arroganz und Heuchelei?|
Doch ist es nicht ein wenig überheblich, selbst so viel Geld zu scheffeln, und dann die Herrschaften, die einem selbiges Geld geben, moralisch zu tadeln? Ganz zu schweigen von jenem unschuldigen Opfer namens Ted Isaly. Doch die Autorin hat auch diesen Aspekt gründlich bedacht. Sie lässt Giverny seinerseits einen Schutzengel gegen die Geister, die er rief (die zwei Killer), engagieren. Und am Ende vom Lied, wenn klar ist, ob die Killer Karl und Candy zu den Guten oder den Bösen gehören, lässt sie die beiden mal ein Wörtchen oder zwei mit Giverny reden. Dabei könnte die Luft bleihaltig werden.
|Killer sind die besten Kritiker|
Überhaupt: Der ganze Roman wäre aufgrund dieses konstruierten Plots nur halb so unterhaltsam, wenn es dieses dynamische Duo nicht gäbe. Die beiden sind einfach köstlich. Ihre praktische Yankee-Logik in Kombination mit angelerntem Uni-Wissen ist unbezahlbar. Ihre Wirkung verdanken sie dem dialektischen Prozess, den sie in fast jedem Streitgespräch ausführen: These, Antithese, Synthese – oder auch keine Synthese. Dann bleibt es dem Leser überlassen, sich seinen Reim darauf zu machen. Als ungelernte Kritiker sind die beiden jedenfalls unschlagbar. Und wenn alle Argumente nicht mehr fruchten, kann ma ja mit der Bleispritze ein wenig nachhelfen.
|Ein Mann der Unschuld|
Es gibt noch ein Menge weiterer Gegensatzpaare, vor allem unter den Schriftstellern. Ned Isaly ist das Gegenteil von Paul Giverny und einer weiteren Erfolgsautorin, die sich auf Genreliteratur spezialisiert hat. Sie alle definieren sich über ihre Arbeit, ganz besonders Ned, der praktisch seine Arbeit, sein neues Buch lebt. Als er überfahren wird, gibt er die Schuld nicht einer realen Person, sondern einer seiner Erfindungen. Realität und Fiktion gehen ineinander über.
In den Textpassagen Isalys entpuppt sich die Autorin als Könnerin, die nicht nur Krimis schreiben kann, sondern auch einen poetischen, hochliterarischen Text abliefern könnte – wenn sich irgendjemand in der Verlagsszene nur dafür interessieren würde, nachdem sie über zwei Dutzend Krimis abgeliefert hat! Paul Giverny ist ihr Alter Ego, mit ihm macht sie sich über die Verlagsszene her, als wäre sie der Prophet Jeremiah, Hesekiel, Habakuk oder wer auch immer, um ihr die Leviten zu lesen.
|Befriedigender Schluss|
Doch eine Krimikomödie plus ein |morality play| plus ein Mann reiner Unschuld ist noch nicht genug, um einen zufrieden stellenden Roman entstehen zu lassen. Der ganze Plot könnte bis in alle Ewigkeit weiter um sich kreisen und nichts ergeben. Doch auch dieser Gefahr ist die Autorin entgegengetreten. Wie es sich für einen dialektischen Prozess gehört, machen alle Beteiligten eine Weiterentwicklung durch. Den meisten hilft Selbsterkenntnis, sofern sie dazu in der Lage sind. Die Bewährungsprobe liegt hinter ihnen, Hindernisse wurden aus dem Weg geräumt, neue Horizonte sichtbar. Und daher kann sich am Schluss auch der Leser zurücklehnen, mit dem Gefühl, dass die ganze Sache doch noch einen Sinn gehabt hat. Und mit der „Sache“ ist nicht nur der Inhalt des Buches gemeint, sondern auch die Lektüre an sich.
|Wahrheit aus Kindermund|
Den schönsten Kommentar auf das ganze Treiben liefert indirekt wohl Givernys kleine Tochter Hannah. Sie schreibt, da jeder in New York schreibt, mit acht Jahren schon an ihrem ersten großen Roman. Er besteht aus einem Satz und handelt von einem Ritter und einem Drachen. Ihr Paps gibt ihr ein paar Ratschläge, und so wächst der Roman. Jedes Kapitel besteht jetzt aus einem Satz. So weit so gut. Aber am Schluss wird der Drache nicht mehr erschlagen, sondern „nur“ gebändigt. Wenn es noch eines deutlicheren Symbols bedurft hätte, um die Handlung zu kommentieren und die Aussage zusammenzufassen, so wäre dem Leser wohl kaum zu helfen.
|Zum Originaltitel|
Im Original heißt das Buch „Foul Matter“, genau wie der Roman, den Giverny am Schluss zu schreiben beginnen wird. Dies ist ein Fachausdruck aus der angelsächsischen Verlagsbranche: |“So nannten sie in den Verlagen all die in Reglosigkeit erstarrten, unredigierten Originalmanuskripte, bevor sie mit blauen oder roten Bleistiften vollgekritzelt, lektoriert, überarbeitet, zu Tode zerpflückt worden waren. Dies war der erste Blick auf das Buch, das Manuskript, dem man das Mark auszusaugen, das Blut abzuzapfen, das Leben auszuschwemmen trachtete, und das Buch dabei zu Berühmtheit oder Bedeutungslosigkeit zurechtstutzte, wobei es nicht darauf ankam, welches von beidem.“| (Seite 413)
|Die Übersetzung|
Es ist der Übersetzerin Cornelia C. Walter hoch anzurechnen, dass sie all die zahllosen Fachausdrücke und Anglizismen korrekt und stilvoll ins Deutsche übertragen hat. Auch vor Umgangssprache schreckt sie keineswegs zurück, denn derer befleißigen sich die meisten Figuren. Nur auf Seite 27 scheint sie mir etwas durcheinander gebracht zu haben. Wenn man etwas „verklickert“, denn ist damit wohl ein Sprechakt gemeint. Wenn man aber eine „Kiste Macallan“[-Whisky] verkaufen will, so nennt man dies nicht „verklickern“, sondern „verticken“.
_Unterm Strich_
Wie schon diese Fachausdrücke der Branche deutlich machen, sollte der Leser ein gerüttelt Maß an Kenntnissen über die Verlagsbranche und den Herstellungsprozess eines Buches mitbringen. Da ich seit über 25 Jahren selbst schreibe, andere Bücher rezensiere und mit Schriftstellern zusammenkomme, weiß ich darüber halbwegs gut Bescheid. Doch ich setze diese Kenntnisse nicht ohne weiteres bei anderen Lesern voraus.
Und deshalb habe ich mich an vielen Stellen gefragt, wer sich wohl für diese Szenen und Vorgänge interessieren würde. Warum sollte es so wichtig sein, in ein bestimmtes Szenelokal (das Äquivalent zum siebten Himmel) eingelassen zu werden (das Äquivalent zum Ritterschlag, wie ihn Giverny noch nicht erhalten hat)? Und wen interessiert das überhaupt? Weil ich diesbezüglich meine Zweifel habe, dürfte der Roman nur ein eingeschränktes Publikum finden.
Obwohl ihm ein großes zu wünschen wäre, besonders unter süchtigen Krimilesern. Sie erfahren nämlich, wie solche Bücher gemacht werden, von wem, wozu, unter welchen Bedingungen. Sie lernen unterschiedliche Gattungen von Schriftstellern, Verlegern und Lektoren kennen. Da sie der Markt sind, könnten sie auch etwas bewegen. Das ist wohl letzten Endes die Hoffnung der Autorin: Dass ihr Buch nicht nur als Krimi, Komödie und Moralpredigt funktioniert, sondern auch als Appell zur Besserung des mittlerweile korrupten Buchmarktes. Zumindest was New York City angeht.
Homepage der Autorin: http://www.marthagrimes.com/
*: Anspielung offenbar auf den Ausdruck „hack writer“. Das hat nichts mit Hackern zu tun, sondern bezeichnet einen Zeilenschinder, Groschenromanschreiber.
Ein Serienkiller fordert einen Cop im Ruhestand heraus; statt sich von ihm manipulieren zu lassen, geht der alte Mann zur Gegenattacke über und beschwört damit ungewollt eine Katastrophe herauf … – Ohne übernatürliche Elemente beschreibt Autor King ein Duell, in dem lange indirekt gefochten wird, bis sich die Gegner nach einem spannenden Wettlauf doch gegenüberstehen: kein Meisterwerk, sondern ‚nur‘ ein routiniert vorangetriebener, lesenswerter Thriller.Stephen King – Mr. Mercedes (Bill Hodges 1) weiterlesen →
Ein junger Mann wird in der Londoner U-Bahn brutal zusammengeschlagen, wird bewusstlos und fällt ins Wachkoma. In der Parallelwelt versucht er zu erkunden, was mit ihm geschehen ist und wie er seine neue Existenzform zu bewerten hat. Am Schluss steht die Erkenntnis: „Du wachst auf, du stirbst.“
_Der Autor_
Der 1970 geborene, britische Autor Alex Garland lieferte mit seinem Aussteiger-Roman „Der Strand“ die Vorlage zu dem erfolgreichen DiCaprio-Film „The Beach“. Doch wesentlich stilvoller sind die verwobenen Erzählungen in dem Nachfolgeroman „Manila “ („Tesseract“). Garland lebt in London, wo sonst.
_Handlung_
Als Carl, ein junger ehrgeiziger Büroangestellter mit der letzten U-Bahn nach Hause fährt, wo seine Freundin Catherine auf ihn wartet, wird er Zeuge, wie vier Rowdies eine junge Frau belästigen. Er versucht, ihr zu Hilfe zu kommen, wird aber daraufhin brutal zusammengeschlagen.
Er erwacht erst nach einigen Tagen tiefer Bewusstlosigkeit im Krankenhaus. Dem Polizisten kann er kaum antworten, denn sein Kiefer ist gebrochen. Etwas später darf er nach Hause zurückkehren, und dabei macht er eine schockierende Entdeckung. Seine Umgebung verändert sich ohne sein Zutun. Die Welt, die ihn umgibt, beginnt, ihm frend zu werden und er hat das Gefühl, sich in einer Traumlandschaft zu bewegen. Traum und Wirklichkeit sind ununterscheidbar geworden.
Da taucht ein Taxifahrer auf, der ihn zurück ins Krankenhaus fährt und ihm ein bestimmtes Bett zeigt. Darauf liegt ein schlafender Mann: Carl selbst. „Dies ist der Koma-Trakt“, sagt der Pfleger. Und wie kommt nun der im Wachkoma liegende Carl zurück in das, was wir als Wirklichkeit anerkennen? Es ist ein langer Weg voller Mühen. Wird das Ziel die Anstrengung lohnen?
_Grafiken_
Die jedem der sehr kurzen Kapitel vorgeschalteten Schwarzweiß-Grafiken sehen ein wenig aus wie Holzschnitte, doch dürfte die Technik eine andere sein. Ich bin dafür kein Experte. Der Künstler heißt Nicholas Garland, offenbar ein Verwandter des Autors. Tipp: Man kann durch schnelles Blättern das Buch auch als Daumenkino benutzen.
_Mein Eindruck_
Der Kurzroman mutet wie eine Phantasie von Philip K. Dick an. Für diesen Altmeister wäre sie allerdings lediglich eine Fingerübung gewesen. Garland beschränkt sich auf Erfahrungen seiner Hauptfiguren, die wir auch nachvollziehen können. Carl schwebt nicht zum Mars oder sonstwohin, sondern bleibt brav in London. Seine geistige Reise führt ihn – wie könnte es anders sein? – zurück in die früheste Kindheit, wo er seinen Eltern begegnet. Aber auch in der Rückbesinnung auf das, was er an jenem Unglücksabend im Büro tat, findet er Hinweise darauf, wie er seine „geistige Gesundheit“ zurückerlangen kann.
Doch der Autor zeigt, dass die Rückkehr keineswegs einfach ist. Das Erinnerungsvermögen des Menschen funktioniert eben nicht linear, sondern assoziativ, und so mag es nicht verwundern, wenn Carls Gedächtnis nur Fragmente von Sätzen aus den Bürodokumenten zusammenkratzt. Drei chinesische Figuren dienen als Haltepunkte – sie teilen den Gesamttext kontrapunktisch in mehrere Segmente auf. Was aber am meisten beunruhigt, ist Carls Erkenntnis: „Du wachst auf, du stirbst.“
Dieser Satz wirft ein Schlaglicht darauf, dass auch das Dasein im Koma eine legitime Existenzform sein kann. Es ist ein Parallel-Leben, nur eben in einer anderen Dimension der Wahrnehmung und Erinnerung. Zahllose Menschen in Krankenhäusern rund um den Globus teilen diese Erfahrung. Auch Douglas Coupland wusste darüber zu schreiben: in „Girlfriend in a Coma“.
Der Durchbruch ins „Wachsein“ ist daher für Carl & Co. keineswegs schmerzlos, sondern wie ein Geburtsvorgang der Austritt ins Ungewisse. Carl überlässt es dem Leser seines Berichts zu erraten, was er als erstes sieht.
_Unterm Strich_
Dies könnte das Vorspiel zu Danny Boyles Horror-Zukunfts-Vision „28 Days“ sein. Die männliche Hauptfigur liegt im Koma und erwacht in einer auf schreckliche Weise veränderten Welt. Doch „Koma“ schildert nicht das Ende, sondern den Anfang dieses Eintritts in eine Parallelwelt. Das Koma als legitime Existenzform hätte sicher auch Philip K. Dicks gebrochenen Helden gefallen.
Hier sind Traum und Wirklichkeit ebenso ununterscheidbar wie die eigene Identität unerkennbar. Die anderen Leute, denen Carl begegnet, scheinen ihn alle zu kennen, doch ist Carl wirklich der, für den sie ihn halten? Seltsame Sprünge geschehen in seiner Zeitwahrnehmung, als sei sein Leben ein Film aus geschnittenen Szenen. Wurde sein Gedächtnis editiert? Carl hat in einem Büro an Dokumenten gearbeitet, die sich mit anderen Staaten wie etwa Columbien befassen. War er ein Regierungsagent? Wurde er überwacht und bei Gefahr „aus dem Verkehr gezogen“?
Uns bleiben nur Spekulationen darüber, was Garland andeuten möchte. Doch es ist festzuhalten, dass die Lektüre anregend ist, denn Carl ist keineswegs blöd. Auch die Grafiken von Nicholas Garland tragen viel zum speziellen Reiz dieses Kurzromans bei (allerdings 160 Seiten statt der bei Amazon angegebenen 120).
Sebastian Fitzek gilt einer der talentiertesten und vielleicht auch „wahnsinnigsten“ Autoren unseres Landes. Seine Psychothriller sind hart und legen ein derartiges Tempo vor, das uns so manches Mal schweißgebadet und atemlos auf dem Sofa zurücklässt.
Schon in „Der Augensammler“ beschrieb der in Berlin geborene Autor das Grauen, das ein Vater empfinden kann, wenn seine Frau ermordet und sein Sohn entführt wurde. Alexander Zorbach wurde gezwungen, sich auf die Spiele dieses Monsters einzulassen – ihm blieben nur 45 Stunden Zeit seinen Sohn zu finden. Bei Versagen wäre dies das Todesurteil für den Jungen. Als Trophäe entnimmt der Killer seinen Opfern das linke Auge.
Wer den Titel „Der Augensammler“ gelesen hat, wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch zu dem zweiten Teil „Der Augenjäger“ greifen. Auch in dieser Handlung spielen das blinde Medium Alina Gregoriev und der ehemalige Polizist und jetziger Reporter Alexander Zorbach die Hauptrollen. Mit dem Unterschied, dass das Grauen und Entsetzen viel persönlicher für sie werden. Sebastian Fitzek – Der Augenjäger. Thriller weiterlesen →
In der Region um Washington, D.C., bricht eine Seuche unter der schwarzen Bevölkerung aus. Der Erreger dieser schrecklichen Malaria, die zum Gehirnschlag führt, ist jedoch genmanipuliert. Handelt es sich also um eine Biowaffe? Doch wer hat sie entwickelt? Die Regierung, das Militär, Terroristen, Saddam? – Obwohl der Roman bereits 1998 erschien, wirkt er heute geradezu prophetisch. Und er ist außerdem spannend zu lesen, wofür ich daher lediglich drei Tage brauchte.
Die 1948 geborene Amerikanerin Nancy Kress gehört zur ersten Garde der wichtigen Science-Fiction-Autoren. Nachdem sie zunächst (ab 1981) mit drei ungewöhnlich konstruierten Fantasyromanen debütiert hatte, errang sie 1988 mit dem Science-Fiction-Roman „Fremdes Licht“ erste Auszeichnungen. Darin erforschen Aliens die Aggressivität der menschlichen Spezies anhand der Auseinandersetzungen zwischen zwei Menschengruppen in einer Versuchsanordnung. In „Schädelrose“ erforschte sie die Konsequenzen einer AIDS-ähnlichen Krankheit, die Erinnerungen dezimiert. Ein neuartiges Experiment soll Abhilfe schaffen, allerdings um einen hohen Preis. Ihr bestes Werk bislang ist jedoch die Trilogie „Bettler in Spanien“, „Bettler und Sucher“ und „Bettlers Ritt“. Darin treten genetisch veränderte junge Menschen, die fortan keinen Schlaf benötigen, gegen den Rest der Menschheit an. Die Autorin erörtert die ethische Verpflichtung, die solch eine genetisch bedingte Überlegenheit mit sich bringt, eingebettet in eine spannende Handlung. Die Romane „In grellem Licht“, „Verico Target“ und dessen Fortsetzung „Moskito“ stellen ebenfalls das gesellschaftskritische Engagement der Autorin unter Beweis. Obwohl diese Romane als kriminalistische Thriller aufgebaut sind, hebt Kress damit doch erfolgreich warnend die Hand und sagt uns: „Geht hier besser nicht entlang.“ In dieser Haltung, diesem Anliegen trifft sie sich mit einem der besten britischen Science-Fiction-Autoren, John Brunner. Dessen Öko-Horrorvision „Schafe blicken auf“ vermag auch heute noch, 30 Jahre nach der Veröffentlichung, heftig zu berühren.
Doch nun zum vorliegenden Roman: Eines Tages bekommt Robert Cavanaugh, ein uns bereits aus „Verico Target“ bekannter Special Agent des FBI, den besorgten Anruf einer Krankenschwester: Ob er sich wohl mal darum kümmern könnte, warum in letzter Zeit so viele Schwarze mit Gehirnschlag eingeliefert würden? Ob das nicht etwas zu besagen habe? Da Cavanaugh in seinem neuen Büro in Maryland Süd, wo sehr viele Schwarze leben, sowieso nichts Wichtigeres zu tun hat, kümmert er sich darum – und sticht in ein Wespennest. Schon nach wenigen Tagen sind bereits mehrere Dutzend Menschen an völlig überraschend aufgetretenem Gehirnschlag gestorben oder liegen mit schwerer Hirnschädigung im Koma. Es handelt sich ausnahmslos um Farbige oder Inder aus einer bestimmten Gegend. Doch erst als ein farbiger Präsidentschaftskandidat, der Senator von Pennsylvania, an einem Gehirnschlag stirbt, kümmert sich auch die Medizin intensiv um die Aufklärung der Ursache des Phänomens. Im eilends einberufenen Krisenstab sitzt auch Robert Cavanaugh.
Die Fakten sind folgende: Nach 50 Jahren ist wieder einmal die Malaria in den USA ausgebrochen. Als wäre diese Nachricht nicht Schrecken erregend genug, finden die Seuchenspezialisten heraus, dass der Malariaerreger genmanipuliert ist: Er greift ausschließlich Träger der so genannten Sichelzellenanlage an, die ihren Träger eigentlich vor Malaria schützen soll. Der Erreger zerstört solche roten Blutkörperchen, die eine Sichelform aufweisen und das entsprechende Gen haben, von innen heraus und verursacht gezielt im Gehirn eine Blutung: Der Tod schlägt aus heiterem Himmel zu, so etwa mitten auf der Autobahn.
Dass eine derart raffinierte Tötungsmethode auf eine natürliche Mutation zurückzuführen sein soll, geht auch der Seuchenspezialistin Melanie Anderson vom Seuchenzentrum in Atlanta nicht in den Kopf. Die farbige Wissenschaftlerin sieht nicht nur sich selbst, sondern ihre Brüder und Schwestern (sie war mal bei den Black Panthers) bedroht. Für sie ist der Ausbruch der Epidemie, die von der Anopheles-Mücke übertragen wird, ein Biowaffenkrieg, der von der Regierung gesteuert wird. Mögliches Ziel: der Völkermord an einem Teil der schwarzen Bevölkerung, eventuell auch in Afrika. Leider hat sie dafür keinerlei Beweise. Robert Cavanaugh greift jedoch den Hinweis auf. Dummerweise bekommen die Medien Wind von der Geschichte, und schon bald überschlagen sich die Ereignisse: Die Politik des FBI verlangt, dass die kompetentesten Leute, wie etwa Cavanaugh, die unnützesten Jobs erledigen müssen, aber die unnützesten Leute an die große Glocke gehängt werden. Die FBI-Führung demonstriert ihre Besorgnis, hat aber selbst nach Wochen nur einen einzigen unschuldigen Verdächtigen vorzuweisen. Die Aussagen gegen den Wissenschaftler Donohue sind fingiert. Brisantes Detail: Er ist selbst zu einem Teil ein Schwarzer – warum sollte er seine Brüder umbringen wollen?!
Cavanaugh darf inzwischen sämtliche rassistischen Radikalengruppen Marylands abgrasen. Nach wenigen Wochen sind bereits über hundert Menschen gestorben, und eine neue Malaria-Ausbreitungswelle steht bevor. Da kommt Robert Cavanaugh ein aufgeweckter (schwarzer) Schuljunge zu Hilfe, der ein ernsthaftes Faible für die kleinen Plagegeister hat: Moskitos sind Earl Lesters Steckenpferd. Die Spur führt zu einem nahe gelegenen Militärstützpunkt – und zur CIA, die dort ein Geheimlabor unterhält.
Wie immer hat Nancy Kress auch diesmal ihre Story klug ausgedacht und spannend inszeniert, so dass ihr Roman es mit den Könnern des Thrillergenres durchaus aufnehmen kann – Leuten wie Jeffery Deaver etwa. Mit diesem teilt sie sich auch die Vorliebe für wissenschaftliche Detailarbeit. Ein Indiz führt zum nächsten, bis ein Puzzle entstanden ist, dessen Bild bzw. Schlussfolgerung unausweichlich ist. Und dennoch warten auch in dieser Phase noch Überraschungen auf die Helden.
Unter all dieser Jagd nach wissenschaftlichen und anderen Indizien könnte der Human Interest verloren gehen, so befürchtet man. Doch eine Reihe von kurzen Kapiteln, die als „Interim“ betiteln sind, schildert schlaglichtartig Aspekte und wichtige Ereignisse aus dem Leben der von der Malaria Betroffenen. (So etwa den Gehirnschlag des Fahrers eines Touristenbusses mitten auf der Autobahn, was natürlich zu einer Katstrophe führt.) Auch dies ist ein Kniff, dessen sich John Brunner in seinen großen Romanen bedient hat, besonders in „Morgenwelt“ („Stand on Zanzibar“, 1968).
Die Story ist besonders zu Beginn sehr spannend erzählt, geradezu filmreife Szenen folgen in raschem Tempo aufeinander. Doch dann gerät die Handlung in ruhigeres Fahrwasser, und menschliche Aspekte der Ermittler Cavanaugh und Anderson treten in den Vordergrund. Weil sie aber allen Widrigkeiten trotzen, denen sie begegnen, ist ihnen letzten Endes ein Erfolg gegönnt, und der Leser ist überrascht, wie die Lösung dieses Puzzles lautet.
Die Aktualität des Romans ist durchaus gegeben. Das Buch erschien in den USA 1998, also lange vor dem für die USA so schrecklichen Jahr 2001, aber bei uns rund vier Wochen nach dem 11. September. Zuerst ereigneten sich die vier Anschläge in New York City und Washington, D.C., dann, kurz darauf, tauchten die Anthrax-Briefe auf und töteten weitere Menschen. Anthrax ist eine Biowaffe wie die im Roman erfundene genmanipulierte Malaria.
Nun braucht man nur Zwei und Zwei zusammenzuzählen: Würden ausländische Terroristen mit Sympathisanten in den USA (wie Al-Qaida oder IRA) auf amerikanischem Boden eine solche Biowaffe entwickeln, könnten sie jederzeit zuschlagen – etwa um zahlreiche Schwarze zu treffen und so üble Rassenunruhen auslösen.
Kress zeigt auf, dass es genügt, einen bestimmten Prozentsatz der Bevölkerung zu töten, um eine Regierung zu stürzen. Nicht nur in den USA, sondern auch in England oder in einem Land Afrikas. Dass dies keine leere Behauptung ist, dürften die Geschehnisse in mehreren Staaten Zentral- (Kongo, Ruanda) und Westafrikas (Liberia) belegen. Die AIDS-Epidemie führt bereits jetzt dazu, dass die Regierungsstreitkräfte kaum noch in der Lage sind, ihre Sollstärke zu halten. Gefährdet ist besonders Botswana.
Nancy Kress ist ein spannender und kompetent geschriebener Wissenschafts-Thriller gelungen. Allerdings ist sie weit entfernt von Autoren wie Tom Clancy oder Michael Crichton, die auf Schockeffekte setzen und zudem einen Alleskönner als Helden präsentieren (z.B. Jack Ryan). Bei ihr sind Idealisten am Werk, die Gutes tun wollen, aber von den Umständen daran gehindert werden. Dass die von einer Biowaffe verursachte Seuche ihre Horroreffekte hat, ist nicht zu leugnen. Aber diese Szenen werden nicht ausgeschlachtet, um Sensationsgier zu befriedigen. Im Mittelpunkt steht die Puzzlearbeit von Kriminalisten und Epidemiologen. Das ist der Grund, warum sich der Roman nur eingeschränkt für Leser ohne Vorstellung von wissenschaftlicher Arbeitsweise eignet. Aber ein wenig Anspruch darf schon sein. Dass ihr Roman so prophetisch wirkt, hat die Autorin wohl selbst nicht geahnt.
Seit Sebastian Fitzeks Debütroman „Die Therapie“ bin ich süchtig nach seinen Büchern. Kaum ist ein neues Werk erschienen, muss ich es lesen oder hören. Umso größer war meine Freude, als ich gesehen habe, dass er uns in diesem Herbst mit gleich zwei Werken beglückt – einem neuen „Fitzek“ und einem Buch, das er unter dem Namen Max Rhode verfasst hat. Aufgrund der Kürze des Rhode-Buches habe ich zuerst danach gegriffen, was sich im Nachhinein als sehr sinnvoll herausgestellt hat, denn „Das Joshua-Profil“ erzählt sozusagen die Geschichte weiter …
Buch mit Profil
Im Joshua-Profil nämlich lernen wir Max Rhode (Fitzeks Pseudonym) im „echten“ Leben kennen. Rhode ist selbst Schriftsteller, der großen Erfolg mit seinem Erstling hatte, der „Blutschule“. Im „Joshua-Profil“ hat Rhode die Pflegetochter Jola und die Frau Kim, doch die Ehe steht vor dem Aus, denn seine Frau hat seit längerem eine Affäre, und zwischen den beiden herrscht ziemlich Funkstille. Als Rhode seine Tochter eines Tages abholt, lenkt ihn ein merkwürdiger Anruf ab. Ein schwerkranker Mann ruft ihn ins Krankenhaus, weil er ihm vor seinem Tode etwas Wichtiges mitteilen möchte. Rhode folgt diesem Anruf und lässt seine Tochter derweil alleine im Auto sitzen – doch dann wird sie entführt.