Hammersmith, 1892: Warum hält es niemand länger als wenige Wochen in The Spaniards aus, dem geerbten Haus des Lieutenant Roderick Houston? Sämtliche Bewohner berichten von merkwürdigen Geräuschen im Obergeschoss und einer geheimnisvollen Gestalt, die einen Mieter sogar beinahe getötet haben soll. Flaxman Low entscheidet sich zu einem Aufenthalt im vermeintlichen Spukhaus und gerät alsbald selbst in große Gefahr… (Verlagsinfo)
Der Verlag empfiehlt das Hörbuch ab 14 Jahren.
Die Autoren
E. & H. Heron sind ein Autorenpaar. Sein Serienheld Flaxman Low agiert in mehreren Gruselkabinett-Episoden.
Die Sprecher/Die Inszenierung
Die Rollen und ihre Sprecher:
Flaxman Low: Rolf Berg
Butler Wilkes: Bernd Kreibich
Lt. Roderick Houston: Jonas Minthe
Mr. van Nuysen: Jean Paul Baeck
Mrs. van Nuysen: Sabine Trooger
Mr. Filderg: Peter Weis
Sandlieferant: Marc Gruppe
Bauarbeiter: Sascha von Zambelly
Polier: Lutz Mackensy
Die Macher
Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden bei Titania Medien Studio und bei Advertunes statt. Die Illustration trug Ertugrul Edirne bei.
Handlung
Im Londoner Stadtteil Hammersmith geht 1892 ein grausiger Spuk um. Obwohl das schmucke Anwesen „The Spaniards“ im tropischen Stil der Plantagenbesitzer erbaut wurde, hält es keiner der Mieter mehr als ein paar Wochen darin aus. Dem Erben des Hauses, Lt. Roderick Houston, sagt der letzte Mieter, ein Abenteurer namens Fliderg. Ins Gesicht, er solle die verfluchte Bude abreißen lassen. Er habe sogar versucht, sich des Spuks mit seinem Revolver zu entledigen, vergeblich.
Lt. Roderick Houston wendet sich an seinen alten Freund Flaxman Low, von dem er weiß, dass er sich mit übernatürlichen Phänomenen auskennt. Das fragliche Haus sei von seinem Vorfahren Van Nuysen erbaut worden, der es in der Karibik als Plantagenbesitzer zu einem gewissen Reichtum brachte, den er, Houston, geerbt habe, denn Mrs. Nuysen sei seine Tante gewesen. Das Haus sollte jährlich stattliche 200 Pfund Sterling abwerfen, doch der ärgerliche Spuk vereitelt diesen Plan.
Flaxman Low ist bereit, sich das Anwesen mal anzusehen. Sämtliche Stilelemente und Mitbringsel weisen auf die Karibik hin. Den Berichten Houstons zufolge macht sich der Spuk durch dumpfe Schritte und eine leuchtende Blase bemerkbar, die durchs Obergeschoss zu schweben pflege. Merkwürdig, dass der alte und invalide Mr. Van Nuysen seinerzeit einfach spurlos verschwand. Aber erst nachdem er seine verhasste Frau, Houstons Tante, in den Tod getrieben hatte.
Während sie ein Glas Wein genießen, hören Low und Houston im Obergeschoss dumpfe Schritte. Sie eilen hinauf. Sie erspähen die leuchtende Blase genau in dem Schlafzimmer, in dem Low nächtigen soll. Dort verschwindet sie. Nun will Low eine genaue Vermessung des Hauses veranlassen, schließlich liebt er Fakten. Das Haus habe keinen Keller, versichert Houston, sondern bloß eine Betonplatte. Das macht die Vermessung einfacher.
In der dritten Nacht schnarcht Low friedlich im besagten Schlafzimmer, als er spürt, wie sich ein Gewicht auf seine Füße legt. Eine leuchtende Blase schwebt überm Bett, ein Gewicht kriecht über seinen Körper, und eine Eiseskälte lässt ihn erstarren. Ein bläulich leuchtender Schein breitet sich auf seiner Brust aus. Nun wird ihm klar, dass er erstickt werden soll…
Mein Eindruck
Das Haus muss abgerissen werden, so viel ist mal klar. Aber wird der Spuk dann auch im Neubau auftauchen? Um dies zu vermeiden, will Low das ärgerliche Phänomen restlos aufklären und verbannen. Am nächsten Tag verblüfft er Houston damit, dass er Sand liefern lässt, der vor dem Hauseingang und der Schlafzimmertür ausgestreut wird. Der Plagegeist erscheint pünktlich zur Teufelsstunde zwischen drei und vier Uhr morgens und hinterlässt dabei sehr sonderbare Spuren. Das „Ding“ hat nur einen Fuß und benutzt daher zwei Krücken.
Diese Entdeckung veranlasst Low dazu, eingehende Recherchen zu diesem Mr. Van Nuysen anzustellen. Schließlich hat der alte Invalide auch seine damalige Frau erstickt, so wie er es jüngst bei Low versuchte. In der nächsten Nacht müssen sich Low und Houston erneut dem grausamen Geist stellen, dabei machen sie eine erstaunliche Entdeckung. Und nun ist klar, dass die sterblichen Überreste Van Nuysens irgendwo in diesem Gemäuer verborgen sein müssen. Erst das Abrisskommando entdeckt das „corpus delicti“. Doch die Verfrachtung des Gerippe ins Museums eines Krankenhauses beendet den Spuk nicht, wie ein weiteres Todesopfer belegt.
Aussatz
Es ist eine der grausigsten Krankheiten, die das ganze Unheil ausgelöst hat: Lepra, in vielen Regionen als „Aussatz“ bekannt. Der Erreger lässt das Fleisch des Opfers langsam verfallen und verfaulen. Kein Wunder, dass Mrs. Van Nuysen ihren Mann nicht mehr pflegen wollte und für diese Weigerung mit dem Leben bezahlte. Doch aus welchem Grund hält der alte Van Nuysen trotz Lepra an seinem Scheinleben fest?
Es ist die Gier, die Van Nuysen sich ans Scheinleben klammern lässt. Als Plantagenbesitzer auf der Insel Trinidad war er auch durch Habgier gekennzeichnet, und er war zu Lebzeiten wohl stolz darauf, eine stattliche Anzahl von Sklaven zu besitzen, die für ihn auf der Insel die Arbeit verrichteten. Für den Ertrag aus dem Zuckerverkauf konnte er sich ein bequemes Leben aufbauen.
Doch die Sache hatte eine hässliche Kehrseite: Er fing sich in dem Tropenklima die Lepra ein. Wer weiß, wo er sich herumgetrieben hat, vor allem in den einsamen Nächten (seine Frau hatte sich geweigert, ihm nach Trinidad zu folgen). Nun sieht die Krankheit wie die gerechte Strafe Gottes oder einer ähnlichen Instanz für Gier, Stolz und Ausbeutung von Sklaven aus. Dass Van Nuysen später zum Mörder wurde, untermauert diese Betrachtungsweise.
Die Sprecher
Der Geisterjäger wird von Rolf Berg mit einer tiefen, vertrauenerweckenden Stimme gesprochen. Er hält gerne Vorträge, die man durchaus übergehen kann. Sein stimmliches Gegenteil ist der ältliche Butler Wilkins, den Bernd Kreibich so richtig etepetete und betulich darstellt. Dessen Gegenteil wiederum ist Houston und mehr auf der Wellenlänge von Low: ein entschlossener junger Mann, der sich sehr über die entgangenen Mieten und über den lästigen Hausspuk ärgert. Jonas Minthe macht ihn aber durch die Erinnerungen Houstons an Lows Tage als Oxforder Student sympathisch. Alles in allem wird sehr viel zitiert, meist aus Dokumenten, einmal aus der Zeitung.
Nebenfiguren
Die Nebenfiguren verdien durchaus Beachtung. So eröffnet der wackere Mr. Fliderg die Eingangsszene mit einem Pistolenschuss. Peter Weis, sonst immer als Erzähler tätig, stellt Fliderg als mutigen Abenteurer dar, der es immerhin doppelt so lange wie die anderen Mieter in „The Spaniards“ ausgehalten hat. Die beiden Van Nuysen haben nur je einen sehr kurzen Auftritt, ebenso Marc Gruppe als Sandlieferant. Der Bauarbeiter, der angesichts des Gerippes den Schreck seines Lebens erfährt, wird von Sascha von Zambelly gesprochen, und sein Polier, gesprochen vom hörbar unterforderten Lutz von Mackensy, darf die Sache ausbaden.
Geräusche
Eine schier unglaubliche Vielfalt von Geräuschen verwöhnt das Ohr des Zuhörers. Der Eindruck einer real erlebten Szene entsteht in der Regel immer. Eine tickende Standuhr, gluckernder Tee, klappernde Teetassen, knisterndes Kaminfeuer – all diese Samples setzt die Tonregie zur Genüge ein, um einer Szene eine Fülle von realistisch klingenden Geräuschen zu vermitteln. Diesmal kommt das unheimliche Röcheln des Phantoms hinzu, das dem Hörer kalte Schauder den Rücken hinunterjagt.
Die Musik
Von einem Score im klassischen Sinn kann keine Rede mehr sein. Hintergrundmusik dient nur dazu, eine düstere oder angespannte Stimmung zu erzeugen, und zwar nur dort, wo sie gebraucht wird. Hier steigert sich die Spannung sehr dezent von Szene zu Szene, denn die Handlung besteht aus einer Abfolge von sich steigernden Konfrontationen. Der Score klingt nicht in langsamen harmonischen Kadenzen aus, sondern mit einem dramatischen Crescendo, das von einem brüllenden geist abgeschlossen wird. Merke: Der Spuk geht weiter.
Das Booklet
Das Titelmotiv zeigt die Szene, in der Flaxman Low, im Bett liegend, von dem Alp des Quälgeistes heimgesucht wird. Er fasst sich an die Kehle, weil er das Gefühl hat, erstickt zu werden. Das Motiv erinnert an zwei romantische Gemälde mit dem Titel „Der Nachtmahr/Der Albtraum/Der Inkubus“ des Schweizer Malers Johann Heinrich Füssli aus dem Jahr 1781, das so einige romantische Dichter inspiriert haben soll. Der Alp ist in verschiedenen Versionen dargestellt, mal als Zwerg („Der Nachtmahr“), mal als Teufel mit spitzen Spock-Ohren („Der Albtraum“).
Im Booklet sind die zahlreichen Titel des GRUSELKABINETTS bis Herbst 2021 verzeichnet. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf.
Folge 176: Crawford: Das Lächeln des Toten
177: Ludwig Bechstein: Furia Infernalis
178: Benson: Das unheimliche Turmzimmer
179: Heron: Der Fall Medhans Lea – Flaxman Low 3
180: Blackwood: Das unbewohnte Haus
181: R. Conner: Das gefährlichste Spiel der Welt
182: F.G. Loring: Sarahs Grabmal
183: Eric Stenbock: Die andere Seite
184: Bertha Werder: Das Haar der Sklavin
185: Lovecraft: Die Musik des Erich Zann
186: ETA Hoffmann: Der Ghoul
187: Blackwood: Die Weiden
188: Heinrich Seidel: Der Hexenmeister
189: Per McGraup: Heimlich
190: J. u. W. Grimm: Schauermärchen I
Unterm Strich
Der Nachtmahr, der das Anwesen des verschwundenen Plantagenbesitzers heimsucht, hat es wirklich in sich. Als wäre es die realistische Umsetzung von Johann Heinrich Füsslis Gemälden „Der Nachtmahr“ und „Der Albtraum“ – sie sind einander sehr ähnlich – , wird Flaxman Low unsanft aus seinem Schlummer geweckt, als sich eine kriechende Macht seiner bemächtigt und versucht, ihn zu ersticken.
Das ist wohl der gruselige Höhepunkt zur Halbzeit der Handlung, das Finale macht das Grauen perfekt. Doch mit dem Abriss des Hauses ist der Horror nicht gestoppt. Wie der Stachel eines Skorpions wird der Hörer, der sich beruhigt zurücklehnen will, von einer Nachricht kalt erwischt, dass eine Krankenschwester Opfer des untoten Plantagenbesitzers geworden ist.
Hier hat wohl Gottes Gerechtigkeit versagt, der wohl meinte, es reiche, den Plantagen- und Sklavenbesitzers Van Nuysen mit einer grausigen Krankheit für seine Gier und Ausbeutung zu strafen. Dieser Fehler wird durch Flaxmans Low Fehler ergänzt: Er will ja anfangs eine genaue Vermessung des Spukhauses vornehmen lassen. Die kann jedoch nie offscreen stattgefunden haben, sondern hätte er schon zu Anfang jenen verborgenen Raum hinter der Tapetentür gefunden, in der Van Nuysens Gerippe entdeckt wird. Das hätte natürlich die ganze Spannung verdorben…
Das Hörspiel
Die Inszenierung wird diesmal immer wieder von Rezitationen unterbrochen, was ich überhaupt nicht unterhaltsam fand. Zu Anfang ist es Low, der das Vorwort eines Artikels vorträgt, am Schluss zitiert er aus einer Zeitung. Auch Houston hat viel zu berichten, um den Hintergrund zu füllen, nämlich die Lebensgeschichte des mittlerweile so lästigen Schwagers seiner Tante. So kommt es, dass die Action breit verteilt ist, und die Spannung nur durch Anspannung und die Hoffnung auf einen Showdown aufrechterhalten wird. Donnergrollen kündigt dieses Finale endlich an.
Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen.
Die Sprecherriege für diese neue Reihe ist höchst kompetent und renommiert zu nennen, handelt es sich doch um die deutschen Stimmen von Hollywoodstars. Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für spannende Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der Hollywoodstars vermitteln das richtige Kino-Feeling.
CD: ca. 67 Minuten.
ISBN-13: 9783785781944
Der Autor vergibt: