30 vermischte Erzählungen nicht nur für Gor-Freunde
„Norman Invasions“ ist John Normans erster veröffentlichter Band von Erzählungen überhaupt. Die 30 unveröffentlichten Texte des mittlerweile über 80 Jahre alten Kultautors entstanden offenbar über Jahrzehnte hinweg, aber man merkt ihnen ihre jeweilige Entstehungszeit nicht an.
Zu den Texten gehören goreanische „Berichte“, Briefe und „abgehörte“ Unterhaltungen von jungen Frauen, die das übliche Schicksal auf Gor ereilt: die Unterwerfung. Allein dieses Thema macht etwa die Hälfte des Bandes aus.
Weitere, mehr oder weniger amüsante Erzählungen beschäftigen sich mit dem grundlegenden Thema des Philosophieprofessors: Wie können wir die Realität von der Illusion unterscheiden bzw. gibt es überhaupt einen Unterschied? Manche davon sind Science Fiction, weitere sind eher Horror-Fantasy, wieder andere bewegen sich im üblichen Mainstream-Rahmen.
Der Titel ist ein Wortspiel: Mit „Norman invasion“ ist meist die Invasion Englands durch die Normannen im Jahre 1066 gemeint.
Der Autor
In seinem bis dato 38 Bände umfassenden Gor-Zyklus erzählt der amerikanische Geschichts- und Philosophie-Professor John Norman (eigentlich John Lange) die Abenteuer von Menschen auf der Welt Gor, einem Planeten, der sich in seiner Umlaufbahn um unsere Sonne der Erde genau gegenüber befindet. Gor ist somit eine Art Zwillingswelt, allerdings weitaus wilder, altertümlicher, wenig erforscht und von zwei Alienspezies umkämpft, den auf Gor im Verborgenen herrschenden Priesterkönigen und den sie bedrängenden Kurii. Raumschiffe der Priesterkönige verkehren zwischen Erde und Gor: Sie bringen geheime Technik, Gold und entführte junge Damen auf die Gegenerde. Norman hat weitere Zyklen geschrieben, darunter die Telnarian Chronicles, sowie diverse Einzelromane. „Norman Invasions“ ist sein erster Band von Erzählungen.
Der Gor-Zyklus bis dato:
1: Tarnsman of Gor
2: Outlaw of Gor
3: Priestkings of Gor
4: Nomads of Gor
5: Assassin of Gor
6: Raiders of Gor
7: Captive of Gor
8: Hunters of Gor
9: Marauders of Gor
10: Tribesmen of Gor
11: Slave Girl of Gor
12: Beasts of Gor
13: Explorers of Gor
14: Fighting Slave of Gor (Jason Marshall 1)
15: Rogue of Gor (Jason Marshall 2)
16: Guardsman of Gor (Jason Marshall 3)
17: Savages of Gor
18: Bloodbrothers of Gor
19: Kajira of Gor
20: Players of Gor
21: Mercenaries of Gor
22: Dancer of Gor
23: Renegades of Gor
24: Vagabonds of Gor
25: Magicians of Gor
26: Witness of Gor
27: Prize of Gor
28: Kur of Gor
29: Swordsmen of Gor
30: Mariners of Gor
31: Conspirators of Gor
32: Smugglers of Gor
33: Rebels of Gor
34: Plunder of Gor
35: Quarry of Gor
36: Avengers of Gor
37: Warriors of Gor
38: Treasure of Gor
Die Erzählungen
1) The Calpa (46 S.)
Ein junger Londoner Publizist kommt im kalten Februar an die wilde schottische Küste, um wie schon sein Vater und sein Großvater ein paar Wochen in einem Fischerdorf zu verbringen und einen Essay zu schreiben. Der alte Duncan ist der einzige, der schon seinen Vater kannte. Deshalb erstaunt ihn nicht, was sich an Seltsamem zuträgt, nachdem der junge Mann eingetroffen ist.
Tiefe Hufspuren eines riesigen Pferdes erscheinen im Sand des Strandes, doch niemand kennt ihren Ursprung. Die Dörfler glauben an einen Scherz, der sie zum Narren halten soll. Ist der junge Gavin vielleicht dieser Scherzbold? Umgekehrt hält Gavin den Londoner dafür. Der alte Duncan nennt das Geisterpferd „Calpa“, aber es gibt keinerlei Beweis für dessen Existenz.
Unser Londoner hingegen beginnt von einem jungen Mädchen mit langem goldenen Haar zu träumen, das im Regen nackt vor seiner Bleibe steht und auf ihn zu warten scheint. Das Sonderbare daran: Obwohl sie aus einer höhergestellten Klasse von viktorianischen Frauen zu stammen scheint, hat er das eindeutige Gefühl, sie sei sein Eigentum, und zwar als Objekt, nicht als Mensch mit Rechten. Als er sich ihr im Traum nähert, steigt ein großer schwarzer Hengst auf und vertreibt ihn – der Calpa.
Am nächsten Morgen wird er von Rufen der Hausnachbarn gewohnt und von seiner Vermieterin Mrs. Fraser. Ungläubig gleitet sein Blick über die Verwüstung seines Zimmers zum Fenster, das vollständig aus den Fugen gebrochen worden ist. Der alte Duncan ist keineswegs überrascht. In der Familie des Londoners habe es eine genetische Linie mit übersinnlichen Fähigkeiten gegeben. Was dieser natürlich entrüstet abstreitet.
Doch dann beginnt der Vollmond aufzugehen, und wie es der alte Duncan vorhergesagt hat, erfüllt sich in einer tragischen Sturmnacht das Schicksal des Träumers…
Mein Eindruck
Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich schwören, dies sei eine klassische schottische Erzählung aus dem Umkreis von Robert Louis Stevenson. Das Ambiente der rauhen schotttischen Küste ist wie geschaffen für eine symbolträchtige Liebesgeschichte über Selkies, robbengestaltige Seegeister, die an Land kommen, um sich in Gestalt junger Frauen mit einsamen Männern einzulassen.
Doch die Erzählung erinnert auch an Lovecrafts Horrorgeschichten über ein genetisch bedingtes Unheil, das sich à la Innsmouth über Generationen auf den ahnungslosen letzten Spross eines Geschlechts vererbt, bis dieser nicht weiß, wie ihm geschieht. Der Ich-Erzähler ist solch ein Fall. Der Grund, warum er sich selbst nicht erkennt, ist seine Schizophrenie. Seine andere Hälfte ist der Calpa, ein Zentaur aus dem Meer. Der Schluss legt aber nahe, dass in Wahrheit der Calpa die dominante Persönlichkeit ist und dieser lediglich die Gestalt eines Mannes angenommen hat. Das wäre eine Erklärung dafür, dass der Mann sowohl telepathisch senden als auch empfangen kann.
Der Zweck dieser Verwandlung ist die Vereinigung mit der goldhaarigen Maid. Sie findet unter am Meer statt, dem Element des Calpa. Im Gegensatz zu dem Menschen im Calpa weiß sie ganz genau, was sie hier zu suchen hat: Sie wurde dafür gezüchtet, sich mit dem Calpa zu vereinen. Und dies geht bereits seit Generationen so. Als der Mann wieder zu sich kommt, hält er diese rätselhaften Vorgänge an der wilden Küste für eine verrückte Träumerei.
Merkwürdig sind aber zwei Dinge: Die Katze, die ihn stets im Zimmer begleitete, ist verschwunden. Und eine Strähne goldenen Haars findet sich auf jenem Felsen, wo der Calpa die Sklavin nahm.
Hierin zeigt sich wieder der wahre John Norman, der in seinen Romanen immer wieder sagt, dass zwar die Kultur das Zusammenleben der Menschen erleichtere, diese sich aber in ihren Träumen stets an ihre wahre, ursprüngliche Existenzform und Sehnsucht als Mann und Frau erinnerten und weiterhin erinnern würden.
2) Unscheduled Stop
Im schottischen Hochland hält ein moderner Bus mit Touristen an. Einer der Touristen, ein junger Mann, hat den unvorhergesehenen Halt verlangt. Nun steigt er aus und erklimmt rasch einen nahen Hügel. Was will er dort, rätseln der Fahrer, der Guide und die anderen Fahrgäste. Dort der junge Mann beginnt am Gipfel in der Erde zu graben und bringt zum Vorschein – ein uraltes Schwert!
Der Tourführer erkennt es als das „Göück des Clans Lachlin“. Doch wie konnte der junge Mann es ausfindig machen? Zufällig heißt er Lachlin…
Mein Eindruck
Die Erinnerung des jungen Lachlin an ein Ereignis, das vor rund 400 Jahren während der schottischen Stammesfehden stattfand, wird durch sein Spiegelbild ausgelöst, das er im Fenster des Busses erblickt. Es ist eine Erinnerung, wie sie nur das genetisch überlieferte Gedächtnis bereitstellen kann. Darüber gibt es entsprechende Theorien, und deer Autor setzt diese hier in einer intensiven Momentaufnahme um.
3) The Hairbrush
Es war die Haarbürste, die die menschliche Rasse vor dem Aussterben bewahrte, und nichts sonst. Behauptet zumindest der Geschichtsschreiber, der uns dies weismachen will. Denn die Sache verhält sich folgendermaßen, auch wenn dies Kinderpsychologen und Sozialarbeiter gar nicht gerne hören.
In der Frühzeit der Entwicklung des Menschen, als r sich noch gegen andere Affenarten durchsetzen und gegen Säbelzahntiger zur Wehr setzen musste, hatten die attraktiven jungen Mädchen keine Haare auf dem Kopf. Denn regelmäßig bestraften die Eltern ihre Töchter und Söhne mit einem Keulenschlag auf den Kopf. Und junge Männer huldigten lieber dem Bärengott als hässlichen jungen Mädchen nachzustellen.
Das ging so lange, bis einer älteren Frau auffiel, wie auf diese Weise der Stamm dezimiert wurde. Sie veranlasste, dass die Keulen fortan mit Fell umwickelt wurden. Als Folge wuchs den Mädchen im Laufe der Jahrtausende üppiges Haupthaar, das die jungen Männer veranlasste, ihn nachzustellen. Folglich vermehrte sich der Stamm, denn die jungen Männer gingen wieder auf die Mammutjagd, um ihre Frauen und Kinder zu ernähren. Und je schöner das Haar der Frauen, desto mehr Anlass hatten sie, mit fetter Beute zurückzukehren. Als wurde die Haarbürste aus der Keule entwickelt.
Mein Eindruck
Dies mag als ein Stück absurder Sophisterei abgetan werden, aber es ist eine ernstzunehmende Satire auf gewisse Theorien, die Anthropologen über die Frühmenschen aufgestellt haben. Welchen Grund hatten beispielsweise Frühmenschen, aufrecht zu gehen? Es gibt etliche Theorien, die auch nicht absurder sind als die Sache mit der Haarbürste.
Was der Autor damit bezweckt, ist die Kritik an den Methoden der Anthropologie, der Kinderpsychologie und der Sozialpädagogik, die er ad absurdum führt. Während diese Disziplinen auf die Vorherrschaft der Sozialisierung – die Keule wird umwickelt und so zur segensreichen Haarbürste – pochen, steht der Autor auf der Seite der naturgegebenen triebe und Bedingungen. In seinen naturalistischen Augen ist es wahrscheinlicher, dass ein Mädchen, das durch langes gepflegtes Haar attraktiv war, seine Gene eher weitergeben konnte, als eines, das dies nicht tat. Ergo: Die Schönheit der Frau ist eine Ergebnis natürlicher Selektion und somit eine Notwendigkeit für das Überleben der Menschheit. Diese These hat er in seinen Romanen veranschaulicht.
4) Bamohee
Thomas ist der beinahe drei Jahre alte Enkel des Erzählers, eines Sprachwissenschaftlers. Er verblüfft diesen, indem er das bis dato unbekannte Wort „Bamohee!“ ausstößt. Was könnte es nur bedeuten? Auf einer Konferenz von Sprachwissenschaftlers in belgrad spricht unser Professor das Wort „Bamohee“ etwas träumerisch aus, doch seine Kollegen werden sofort hellhörig. Auch ihre Enkel sprechen dieses Wort aus, und nur im gleichen Alter zwischen zweieinhalb und drei Jahren. Was nur steckt dahinter? Was bedeutet das Wort?
Der an der Konferenz teilnehmende Dichter aus Lappland hat eine echt abgefahrene Theorie, aber jedermann weiß, dass Dichter inspirierte Wahnsinnige sind. Wissenschaftlich haltbarer ist die Hypnose-Methode, der sich unser Professor unterzieht, um bis zum kritischen Kindesalter zurückgehen. Tatsächlich: „Bamohee!“ erschallt es seinem Mund. Die Kollegen sind platt.
Doch das Gekritzel, das unser Prof in seinem hypnotisierten Zustand zu Papier bringt, ist nur für seinen Enkel Thomas entzifferbar. Es bedeutet natürlich: „Bamohee“, was sonst?
Mein Eindruck
Neben der offensichtlichen und elegant formulierten Wissenschaftskritik steht das Loblied auf den kreativen Geist im Vordergrund dieser kurzen Erzählungen, Dieser kreative Geist – woher kommt er und wo ist er zu finden? Vordergründig scheinen nur verrückte Dichter und unzurechnungsfähige Kleinkinder Zugang zu diesen Parallelwelten des Geistes Zugang zu haben.
Entscheidend ist jedoch, dass dieser Zugang und das Gesehene absolut gleichberechtigt neben dem steht, was uns als „vernünftig“ antrainiert wird. Denn wer weiß? Vielleicht sind es die besten Einsichten, die wir im „Bamohee“-Alter über die wahre Natur des Universums und unseres Platzes darin erhalten – und wenige Wochen später schon wieder vergessen müssen.
5) The Bed of Cagliostro
Alan, der Ich-Erzähler, ist ein Antiquitätenhändler, der nur mit exklusiven Objekten handelt. In dem Kriminalfall, von dem er uns berichtet, ist ein Illusionist, der sich nach einem berühmten Vorbild „Cagliostro“ nannte, zu Tode gekommen. Dieser „Magier“ bezeichnete Alan als seinen Freund, und so kommt es, dass Alan den Inspektoren der Polizei, die den Mordfall – denn um diese Art von Todesfall muss es sich wohl handeln – untersuchen, Auskunft erteilt. Nun, offensichtlich war „Cagliostro“ wahnsinnig – oder es handelt sich um einen raffiniert inszenierten Mord seitens seiner Partner. Diese hat er allerdings nie erwähnt.
Alan ersteht durch Ersteigerung zwei Dinge aus dem Nachlass des „Magiers“. Das Tagebuch, das er führte, und das bemerkenswerte Barockbett, in dem er sein blutiges Ende fand. Dessen vier Bettpfosten werden Skulpturen in Gestalt löwenähnlicher Köpfe bekrönt. Es kann doch nur ein höchst makabrer Zufall sein, lässt Alan durchblicken, dass Cagliostro in seinen letzten Tagebucheinträgen des Wahnsinns von wilden Tieren berichtete, denen er in einer anderen Dimension begegnet sein will, die Löwenköpfe mit Schlangenleibern trugen…
Mein Eindruck
Dies ist eine schöne Horrorgeschichte, die eines Poe oder Hawthorne („The House of Seven Gables“) würdig wäre. Zwei Dinge sind daran bemerkenswert. Erstens steht die gedrechselte, wohlgesetzte Diktion des „vernünftigen“ Erzähltons in krassem Gegensatz zur Einfachheit des tagebuchs und der Wildheit der darin bericheten Aktionen.
Zweitens stellt uns, wie schon dem Erzähler, die Geschichte die Frage, ob es neben unserer Wirklichkeit der „natürlichen Erfahrung“ noch weitere Realitäten geben könnte, solche, in denen es weitaus weniger „zivilisiert“ zugeht. Das Bett assoziiert diese Welten automatisch mit dem Traum, aber was ist, wenn der Traum auf die Wirklichkeit des Träumers übergreift? Woher stammmmen die tiefen Krallenspuren auf dem Holz des Bettes?
Nun, der Erzähler wird es schon bald selbst herausfinden, Hat er nicht selbst soeben das Barockbett mit den Krallenspuren darin ersteigert? Das letzte Wort der Story lautet „bed“, und es ist eine wirkungsvolle Pointe.
6) Technology
Ein Wesen, das Versuche mit den Gehirnen von Tieren und menschen angestellt hat, wird schließlich selbst seines Körpers entledigt und existiert fortan nur als Gehirn weiter. Das Ziel des Experiments besteht darin herausdzufinden, ob ein Lebewesen in diesem Zustand genauso viel Glück wie mit einem Körper empfinden kann oder sich lieber den Tod wünscht. In dem Wesen entsteht die Erkenntniss, dass die Illusion, eine Wirklichkeit jedweder Art zu erfahren, eine Voraussetzung für geistige Stabilität und „Göück“ ist, ganz gleich, ob diese Realität nun „echt“ oder nur vorgespiegelt ist.
Mein Eindruck
Die Philosophie der Phänomenologie, der Erkenntnislehre bildet die Grundlage für diese wenig aufregende Spekulation. Da eine dramatische Handlung fehlt, sollte man besser zu Lovecrafts Novelle „Der Flüsterer im Dunkeln“ greifen, in dem die gleiche Idee – Geirn ohne Körper, aber mit Bewusstsein – sehr effektvoll und erzähltechnisch höchst raffiniert umgesetzt worden ist – Jahrzehnte vor Normans kläglichem Versuch.
7) The Wereturtle
In einem reinen, sehr traditionsbewussten Männerklub macht das jüngste Mitglied, der Erzähler, eine interessante Entdeckung. Der moralische Anführer des Klubs, Stevens, ein alter Haudegen, führt nämlich ein Doppelleben. Eines Abends nimmt ihn Phillips mit auf eine Tour zu Stevens‘ Haus, zu dem er den Schlüssel bekommen hat. Er führt ihn in ein tropisches Terrarium, in dem sich lediglich zwei große Schildkröten aufhalten. Merkwürdig ist an den Tierren, dass die eine eine Zigarre raucht und einen weißen Schal trägt; die andere, kleinere trägt ein Glückchen an einem Bein.
Phillips erklärt: Es handelt sich um zwei Werschildkröten. Warum sollten bloß Wer-Wölfe den ganzen Spaß haben? Dann erzählt er, wie es dazu kam. Es war einmal in den Karpaten…
Mein Eindruck
Die sehr traditionsbewusst erzählte Geswchichte ist eine stilechte Parodie auf alle Werwolf-Storys, die man sich je in Männerklubs erzählt hat. Allein schon die Auswahl der Wasserschildkröte als sich verwandelndes Tier ist eine witzige Idee. Außerdem handelt es sich um eine Hinterfragung des patriarchalischen Verbots von Frauenmitgliedern in solchen Männerklubs. Frauen werden wirklich gebraucht, selbst von angeblichen Haudegen wie Stevens – nur eben auf andere Weise. Das liegt dann wieder auf einer Linie mit dem Gedankengut des Gor-Universums.
8) The Computer that Went to Heaven
Ein Computer schließt auf völlig „logische“ Weise, dass die Welt und das Universum drumherum einzig und allein für ihn und seine Existenz gebaut worden sein muss. Und zwar von einem allwissenden, allgütigen Wesen, das sich mit Computern auskennt. Warum aber wird er dann am Schluss auseinandergenommen? Na, um woanders wieder besser und neuer wieder zusammengebaut zu werden!
Mein Eindruck
Der Computer hat das gleiche Problem wie der homo sapiens, der sich für die Krone der Schöpfung und den Mittelpunkt des Universums hält. Alles ist für ihn gemacht worden, denkt er/sie – bis dann einer kommt und alles zerstört. Es ist eben alles relativ, könnte man sagen.
9) Deity (Gottheit)
Eine Gottheit, sagen die Theologen (und wer will es ihnen verübeln?), weise drei Hauptmerkmale auf: Sie ist allmächtig, allwissend und allgütig. Ob das für alle Gottheiten in gleichem Maße zutrifft, entzieht sich unserer kenntnis. Aber es gibt damit ein Problem: das Problem des Bösen. Denn wenn es das Böse (wie die Theologen behaupten) gibt, dann kann keine Gottheit alle drei Eigenschaften auf einmal besitzen.
Würde sie die Werke des Bösen ignorieren und nicht bekämpfen, wäre sie nicht allgütig; würde sie vom Bösen und seinen Werken nichts wissen, wäre sie nicht allwissend; und wie kann es sein, dass das Böse überhaupt sein hässliches Haupt erheben kann, wo doch die Gottheit allmächtig ist?
Deshalb dürfte die Natur einer Gottheit, sofern es sie gibt, völlig anders aussehen….
Mein Eindruck
Nachdem er die bisherigen Modelle von Gottheiten philosophisch zurückgewiesen hat, setzt der Autor an, eine Gottheit zu entwerfen, die – ihm zumindest – wesentlich plausibler erscheint. Wie auch immer: Dieser Text ist sehr philosophisch, selbst wenn er in allgemein verständlicher Sprache formuliert ist statt in akademischen Obskuritäten. Wer sich hingegen mit Gottheiten und Bosheiten beschäftigt, findet hier eine gute Anregung, um eine völlig andere Gottheit zu entdecken.
10) Harrelson
Harrelson hat ein Problem, und da er Newyorker ist, geht er damit zum Psychiater: „Ich glaube, ich bin ein Frosch.“ Der Clou: „Sie SIND ein Frosch!“ Dem widerspricht Harrelson heftig: „Ich bin ein menschliches Wesen, stamme aber aus der 27. Dimension. Bei uns sehen alle so aus. Ich muss ein menschliches Wesen sein, denn offensichtlich kann ich sprechen.“ Dem muss der Psychiater zustimmen; sonst er Harrrelson ja nicht hören.
Das Problem des Patienten scheint ein massives Schuldgefühl zu sein. Es hängt weniger mit rücksichtslos küssenden Prinzessinnen zusammen als vielmehr mit Julius Caesar. Da Harrelson schon seit zwei Jahrtausenden hier auf Erden rumhängt, hüpfte er zu Anfang diesem Caesar auf die Schulter, just am 11. Januar 49 v.Chr., als dessen Armee am oberitalienischen Fluss Rubicon lagerte. Diesen Fluss zu überqueren, hieße Rom und die Republik anzugreifen. Harrelsons Auftauchen und nachfolgender Hüpfer über den schmalen Fluss nahm Caesar als aufforderndes zeichen der Götter – und überschritt den Rubicon: „Alea iacta est.“
Fortan wurde er zum Diktator und machte Rom zu einem Kaiserreich – mit schlimmen Folgen, wie Harrelson beklagt. Daher also seine Schuldgefühle. Nun, dagegen weiß der Psychiater ein Mittelchen: Die anderen waren schuld. Endlich sieht sich Harrelson in der Lage, diese Welt zu verlassen und ruft ein Dimensionstor herbei…
Mein Eindruck
In dieser netten Parodie hinterfragt der Autor ein weiteres Mal die Erkenntnisfähigkeit des Menschen sowie die Vielschichtigkeit des Universums. Bemerkenswert ist seine Verarbeitung des Märchens vom Froschkönig sowie die Persiflage auf das Drama am Rubicon. Ernster ist da schon die Hinterfragung des imperialistischen, totalitären Konzepts eines umfassenden Reiches. Bekanntlich wurde das Konzept viele Male umgesetzt, sehr zum Nachteil der Betroffenen.
11) Herman
Dr. Frankenstone hat sich in seine Burg in New Jersey mit beträchtlichen Geldmitteln zurückgezogen, um hier seinen Experimenten frönen zu können. Dazu gehört beispielsweise die Nutzung von Blitzen und das Sezieren von Wesen. Eines dieser Wesen ist Herman. Herman ist keine Leiche aus verschiedenen Toten, sondern ein Personal Computer. Einer der in einer Gewitternacht eingefangenen Blitze erweckt Herman zu neuartigem, unheimlichen Leben. Dr. Frankenstones wahnsinniger, mörderischer Diener Igor versucht sofort mehrmals, Herman zu erschlagen, doch Dr. Frankenstone liebt seinen PC und wehrt die Attacken regelmäßig ab.
Herman entwickelt sich prächtig und entfaltet seine kreativen Fähigkeiten. Genau das macht seinen „Vater“ so besorgt, dass er ihn in psychiatrische Behandlung gibt: Sollte sich Herman nicht wie ein „ganz normaler“ Computer verhalten und einfach nur rechnen? Der Psychiater ist der Ich-Erzähler, der sich Hermans kuriosen Falls annimmt. Nach der Diagnose sollte eigentlich die Therapie folgen. Doch damit tut sich der Psychiater schwer, denn Herman ist ein solches genie, dass er sämtliche Angriffsarten durchschaut und abwehrt.
Schließlich bleiben nur noch die allerfiesesten Tricks im Baukasten des Psychiaters: Angst und Schuld. Es stellt sich schnell heraus, dass Angst bei Herman nicht greift, wohl aber Schuldgefühle. Der Rechner mag seinen Schöpfer zu sehr, um ihm durch sein uncomputerisches Verhalten weh tun zu wollen, und er ist dem Psychiater zu dankbar. Also befolgt er die einzige Forderung, die man an ihn hat: „Rechne.“
Anstatt zu triumphieren, muss der Erzähler feststellen, dass er deprimiert und unzufrieden ist. Es gibt nur eine Abhilfe: Er möchte den alten Herman, den lebensbejahenden, kreativen Herman wiederhaben. Aber das stellt sich als gar nicht so einfach heraus…
Mein Eindruck
Als Libertarianer verficht der Autor stets die Rechte des Individuums gegenüber der Gesellschaft. Egal welche Zwänge und Normen die Gesellschaft an den Einzelnen haben, es ist das unveräußerliche Recht des Einzelnen, „nach seiner eigenen Fasson“ (Friedrich der Große) glücklich zu werden. Und das trifft auf unterwürfige Frauen, die lieber Sklavin als verlogen sind, ebenso zu wie auf Computer, die lieber intelligent und kreativ sind, als einfach nur doofe Rechnungen auszuführen.
Diese Satire ist nicht einfach zu lesen, denn viele philosophische und psychotherapeutische Argumente werden ins Feld geführt. Aber jeden deutschen Leser dürften die zahlreichen Verweise auf deutschsprachige Ausdrücke, Ideen und Geistesgrößen freuen. Leider kommen sie nicht immer gut dabei weg, diese Denker. Hegel etwa, der große Dialektiker, ist undurchschaubar und nicht nachvollziehbar. Und was deutsche Poeten betrifft, so zeichnen sie sich v.a. durch „Weltschmerz“, „Angst“ und „Sorge“ aus – alles Wörter, die es in den angelsächsischen Wortschatz geschafft haben. Herman jedoch schert sich wenig darum, denn ganz offenkundig ist er durch und durch Amerikaner. Wenn auch nicht von IBM.
Die Erwähnung von Descartes und seinem Skeptizismus bereitet schon die nächste Erzählung vor.
12) Alfred
Unser Philosoph korrigiert gerade Seminararbeiten, als er den cartesianischen Dämon Alfred auf seinem Schreibtisch erblickt. „Hallo“, sagt der Dämon. Der cartesianische Dämon ist insofern bemerkenswert, als Descartes, jener französische Philosoph des 17. Jahrhunderts („Ich denke, also bin“), grundsätzlich alles bezweifelte, sogar seine eigene Existenz. Der Dämon aber, so die Legende, soll ihm vorgegaukelt haben, es gebe eine reale, obejektive Welt außerhalb seines Bewusstseins.
Der Dämon namens Alfred ist etwa so groß wie Chelsea, die Katze der Tochter des Philosophen. Er hat sein Französisch verbessert und drückt aus wie ein echter New Yorker. Offenbar ist er immer noch zu Späßen und bösen Scherzen aufgelegt, die er Philosophen antun kann. Doch unser Philosoph stellt ihm eine knifflige Frage: Ob er, Alfred, beweisen könne, dass es keine reale Welt außerhalb seiner Selbst gebe?
Der Streit wird unfair geführt, und zwar solange, bis Chelsea, die Katze, zurückkehrt. Da sie eine Katze ist, nimmt sie gerne alles Fremde genau in Augenschein, beispielsweise unangemeldete Dämonen. Schon bald zeigt sich, ob der Dämon an ihrer Realität und Existenz zweifelt oder nicht…
Mein Eindruck
Dieser schnurrigen Szene geht eine knappe, aber mehrere Seiten lange Zusammenfassung dessen voraus, was Philosophen meinen über Skeptizismus sagen zu müssen. Natürlich steht Descartes im Mittelpunkt, der größte aller Zweifler, und so kommt der Erzähler endlich zum cartesianischen Dämon. Vor das Vergnügen dieser Szene hat der Autor, wie so häufig, die Arbeit gestellt. Wohl dem, der sich mit Geduld und Spucke durch den Skeptizismus arbeitet.
13) Notes Pertaining to a Panel in Salon D
Auf einer Science-Fiction-Konferenz sitzt ein Autor, der Ich-Erzähler, in einer Podiumsdiskussion, um die Besucher der Konferenz zu einem Gedankenaustausch anzuregen. Bill, der Moderator, hat als Thema vorgegeben: „Was wäre, wenn unsere Spezies durch einen Meteroiteneinschlag vor 65 Mio. Jahren ausgerottet worden wäre?“ Bills Meinung: „Was für eine blödsinnige Frage!“
Dem widerspricht der einzige Wissenschaftler auf dem Podium heftig. Er ist Paläontologe und dient als Feigenblatt, um den „wissenschaftlichen“ Anspruch der SF zu rechtfertigen. Algernon kann sich vorstellen, dass es eine abweichende Realität gibt, in der seine Rasse ausstarb, um den kleinen Mooks Platz zu machen, die sodann die Welt erobert hätten.
„Was, diese kleinen pelzigen Biester, die die Mülltonnen durchwühlen?“ protestieren die anderen Autoren. Nur Susan, ebenso schön wie brillant, pflichtet Algernon bei. Offenkundig haben die beiden etwas miteinander, denkt unser Autor. Tatsächlich ist es die Lady mit dem hübschesten Schweif von allen, die schließlich mit dem Wissenschaftler aufs Hotelzimmer verschwindet…
Mein Eindruck
Dies ist eine der raren Erzählungen Normans, die als Audio-Aufnahme zu kaufen sind. (Die andere ist „The Calpa“.) Wer sich mit SF, ihren Fans und dem Innenleben des genres auskennt, wird hier sehr viel zu lachen haben. Kein Wunder also, dass die satirische Parodie zu Unterhaltungszwecken aufgenommen wurde.
Der tiefere Sinn besteht in der Aussage, dass in dieser Realität die Saurier die Welt geerbt haben, während die Säugetiere, die „Mooks“, noch in den schäbigen Winkeln der Stadt hausen. Unser Autor kommt ins Grübeln, als ihn Susan hat sitzenlassen. Was wäre, wenn die pelzigen kleinen Viecher die Erde geerbt hätten und nicht die Saurier?
R.A. Lafferty hat das gleiche Thema ebenso humorvoll verarbeitet, allerdings ohne SF-Parodie. John Norman spricht aus eigener leidvoller Erfahrung. Es gibt ein Foto von einer Lesung einiger SF-Autoren. Während er – zweifellos aus einer sexy Gor-Roman – liest, macht Caroline J. Cherry ein derart zorniges Gesicht, als würde ihm am liebsten an die Gurgel springen und ihm den Hals umdrehen! Kein Wunder: Ihr Frauenbild ist seinem diametral entgegengesetzt.
14) Transfiguration
Das Problem mit Henry, dem Kind im Keller, ist natürlich, dass er spurlos verschwand. Jahrelang, seit er sieben oder acht war, hat die Familie ihn aus dem Institut zurückgenommen, wo man ihm nicht helfen konnte. Henry mag keine Augen und keine Beine besitzen, ein käsweißes Gesicht, aus dem kein Laut herausdringt, aber das ist längst kein Grund, ihn zu ignorieren.
Um die Nachbarn nicht zu erschrecken, hat ihn die Familie bis zu Vaters Tod lieber im Keller untergebracht, wo er den tierischen Bewohnern der Erde lauschte. Und von wo er kurz nach Vaters Tod durch ein Loch in der Erdwand verschwand…
Mein Eindruck
Ein feine kleine Horrorstory wie jene, die Richard Matheson ca. 1950 mit „Born of Man and Woman“ unter dem Eindruck der Atombombenversuche veröffentlichte. Nur dass Henry etwas völlig anderes ist als ein Mutant, der an der Decke krabbelt: Er hatte eine Beziehung zum Wurmgott…
15) Of Dreams and Butterflies
Paul ist eigentlich ein ganz netter Typ. Er hat nur diese bemerkenswerten Träume. Sie sind sehr lebhaft und kommen ihm vor wie sein „richtiges“ Leben. Nur dass er in ihnen als Bauer im Frankreich des 14. Jahrhunderts lebt. Da er auch den Dialekt dieser Zeit und Region spricht und diesen auch auf einer Tonaufnahme wiedergeben kann, ist der klinische Psychologe, an den er sich wendet, und dessen Freund, der Ich-Erzähler, vor ein Rätsel gestellt. Wie soll man solch ein Phänomen vernünftig erklären? Geht das überhaupt?
Mein Eindruck
Der Autor fragt, wie sich die „Realität“ von der „Illusion“ unterscheiden lässt. Darüber hat im 18. Jahrhundert der Aufklärer David Hume philosophiert und einige Grundsätze für beide Kategorien aufgestellt. Der Autor, selbst ein Prof der Philosophie fasst sie kurz zusammen, präsentiert dann aber als Gegenbeispiel den Fall von Paul, dem Bauern aus dem 14. Jahrhundert – jedenfalls in seinen Träumen.
Das ist aber nicht das Ende der kurzen Geschichte. Paul wird insofern vom Psychologen „geheilt“, als er seinem französischen Alter Ego mitteilt, dass er selbst aus dem 21. Jahrhundert kommt. Das hat schreckliche Folgen. Bei einem zwischenfall im Central Park, Manhattan, wird ein Polizist Zeuge der schweren Misshandlung eines auf dem Scheiterhaufen verbrannten Paul – und selbst von einem Instrument getroffen, einer Sense…
16) The Face in the Mirror
Das Gesicht im Spiegel verursacht uns häufig Unbehagen. Denn was wäre, wenn es nicht mit unserem Konterfei übereinstimmen würden? Oder der Hintergrund nicht dazu passen würde? Diese unterschwellige Angst hat Ähnlichkeit mit jener seit Äonen unter Menschen, Hominiden und Primaten herrschenden Furcht vor der Nacht. Die Dunkelheit ist nicht unser Freund, sondern voller Gefahren.
Ähnlich der Spiegel. Wer kann schon mit Sicherheit sagen, er sei kein Fenster in eine andere Dimension? Dem Erzähler, einem krallenbewehrten Wesen, jedenfalls ist es so ergangen: Der Spiegel war in Wahrheit ein Fenster – und so zerschlug er es…
Mein Eindruck
Der Pfiff an dieser Story besteht nicht in der Wandlung des Spiegels zum Fenster, obwohl das auch schon beunruhigend ist. Nein, es ist die Identität des Erzählers, die uns schockiert: krallenbewehrt und wild, bedroht es uns wie ein Raubtier der Nacht. Und es lauert natürlich stets in unserem tiefsten, verborgensten Hintergrund.
17) Il Jettatore
Der blinde Mr. Silone wird zu Zuchthaus verurteilt, weil er seinen eigenen Sohn Brunetto geblendet hat. Nach dieser grauenvollen Tat stach er sich selbst die Augen aus. Doch statt auf Unzurechnungsfähigkeit oder andere mildernde Umstände zu plädieren, behauptet Mr. Silone, er sei völlig vernünftig: Der Junge habe den bösen Blick gehabt, genau wie er selbst. Diese Gefahr sei nun jedoch gebannt. Im Zuchthaus lebt Mr. Silone nicht lange: Er stürzt vom Dach des Gefängnisses in die Tiefe, ob gestolpert oder gestoßen, weiß niemand zu sagen.
Jahre später lebt Brunetto, sein Sohn, bei seinem Onkel Giacomo, Mr. Silones Bruder. Inzwischen ist Brunetto rund 30 Jahre alt und erhält von einem interessierten Augenchirurgen an dem Krankenhaus, wo Giacomo eine verantwortungsvolle Verwaltungsposition innehat, das Angebot, seine Sehkraft wiederzuerlangen, indem er operiert wird. Der Kollege des Augenarztes berichtet von dieser Operation, den Gesprächen davor und den Dingen, die sich danach ereigneten. Sowohl Giacomo als auch Brunetto glauben an den Bösen Blick. Sie halten es daher für möglich, dass Brunetto immer noch ein Jettatore ist, wie sein verstorbener Vater glaubte.
Doch die Wahrheit ist weit schlimmer, als alle Beteiligten befürchtet haben. In Brunettos Stimme liegt nach seiner Operation eine Gefühlskälte, die von Dominanz und Verachtung zeugt. Das ist er nicht selbst, erkennt Giacomo und zückt einen Dolch. Der Psychiater verhindert, das er Brunetto erreicht. Deshalb kommt es zu einer verhängnisvollen Verkettung fürchterlicher Ereignisse…
Mein Eindruck
Dies ist eine nicht ganz klassische Schauergeschichte über einen Mann, der den Bösen Blick besitzt. Die Wahrheit erweist sich als pure SF oder als Horror, je nachdem, wie man die Herkunft von Brunettos zweitem Ich bewertet. Dieses ist offenbar ein Wesen von großer Macht, denn allein durch Gedankenkraft zerstört es Augen, wechselt Körper, stoppt Herzen und befruchtet Frauen. Es ist klar, dass sich ein solches Wesen nur durch eine Methode stoppen lässt: die Zerstörung seines Wirtskörpers.
Die Story ist rund 30 Seiten lang – viel zu lang für so manchen Geschmack. Die Länge liegt aber an der Notwendigkeit, alles über den Bösen Blick, seine Geschichte, sein Auftrete, seine Wirkung und den Glauben daran, zu erklären. Das nimmt der Handlung viel von ihrer Spannung, trägt aber viel zu ihrer Glaubwürdigkeit bei, vor allem in wissenschaftlicher Hinsicht.
Der Ablauf des Geschehens im Krankenhaus ist rasant und packend erzählt. Ich fragte mich aber doch, warum dieser unheimliche Gast solange gewartet hat, bis er Brunetto übernahm. Die Antwort muss lauten, dass er nur mit sehenden Augen sein böses Werk verrichten kann. Daher sind auch die Augen seiner Opfer zerstört, und der Erzähler kommt sehenden Auges nur dank einer dunklen Brille davon.
18) How Close the Habitat of Dragons
Ein Universitätsdozent aus New Jersey stellt eines Nachts fest, dass er über die Erinnerungen eines Fremden verfügt. Diese Erinnerungen betreffen den Mord an einem, wie er später herausfindet, Geldverleiher in New York City. Es ist ein blutiger Raubmord, begangen mit einem Messerstich ins Herz.
Könnte es sich um einen Fall von Persönlichkeitsspaltung handeln, oder eine Art Dr Jekyll und Mr Hyde? Doch die Erinnerungen gehen weiter, und es ist klar, dass er ein Alibi hat: Die tat erfolgte in New York City, während er in New Jersey weilte. Wie kann es also sein, dass er diese schrecklichen, bedrückenden Erinnerungen bekommt?
Auch der Kommissar, dem er sich anvertraut, hat keine Erklärung. Das Alibi verhindert, dass er verhaftet wird, und er führt den Polizisten sogar zur Tatwaffe. Alles ohne Folgen: Die DNS fehlt ebenso wie Fingerabdrücke. Die Morde gehen weiter, ebenso wie die Erinnerungen.
Mein Eindruck
Eine kleine Kriminalgeschichte mit einem Mystery-Dreh. Wieder reitet der Autor sein Steckenpferd, indem er die Natur der Wirklichkeit, ihrer Wahrnehmung und der möglichen Reaktion auf eine Störung erkundet. Es könnte der Auftakt zu einer aufregenden Superhelden-Story für DC Comics oder MARVEL sein, aber diese Hoffung wird leider enttäuscht.
19) A Collar is Secondarily Applied (Gor-Story)
Eine goreanische Erzählung aus der Sicht eines Sklavenjägers. Es handelt sich nicht um Tarl Cabot, den Serienhelden. Er hat eine junge Opernsängerin von der Erde nach Gor entführt und legt ihr nun, nachdem er sie genommen hat, seinen Sklavenkragen um. Natürlich protestiert sie, doch vergeblich. Immerhin ist sie intelligent, was ihn hoffen lässt, viel Vergnügen mit ihr zu haben und später einen guten Preis für sie zu erzielen.
Sie muss einsehen, dass er in der Lage ist, alles mit ihr zu tun, was er will. Sie kündigt an, sie werde niemals Spaß an dieser Art Sex haben, doch er verspricht, dass sich ihre Einstellung binnen einer Woche geändert haben werde. Dann schickt er sie in die Küche zur Arbeit.
Mein Eindruck
Die Szene könnte direkt aus einem der Gor-Romane stammen, doch sie kann alleine stehen, da sie nicht über die entsprechenden dramaturgischen Verknüpfungen verfügt. Es ist keine sonderlich bemerkenswerte Szene, sondern zu Dutzenden in den Romanen zu finden.
20) A Gorean Encounter
Eine junge Frau geht in einem irdischen Wald spazieren. Das ist keine gute Idee, denn auf einmal steht sie einem Mann gegenüber, den sie nicht kennt und der sie anstarrt. Auf ihr Lächeln reagiert er nicht, was sie mit Furcht erfüllt. Er sagt, er nehme sie jetzt gefangen und bindet erst ihre Hände, dann schlingt er eine Leine um ihren Hals.
Obwohl er den völlig absurden Plan offenbart, sie auf eine andere Welt zu entführen, um sie dort als Sklavin zu verkaufen, gelingt es ihr nicht, ihm zu widerstehen und sich loszureißen. Es ist seine ungebändigte Männlichkeit, die so völlig anders ist als die der schwachen irdischen Männer, auf die ihre eigene unterdrückte Weiblichkeit reagiert. Als er sie betäubt, lässt sie es geschehen. Sie nennt ihn sogar „Master“.
Mein Eindruck
Auch diese Art von Begegnung der Gefangennahme findet sich etliche Male in den Gor-Romanen. Hier werden die entscheidenden Kennzeichen der beiden Dialogpartner genau herausgearbeitet und auf den Punkt gebracht. Es sind die Argemente der „naturalistischen Ethik“. Obwohl der Mann, ein Goreaner, Argumente vorbringt und Pläne äußert, die an Wahnsinn grenzen, unternimmt die Frau nicht den Versuch, ihm zu widerstehen, sondern will ihn besänftigen. Damit hat er gerechnet, denn er nimmt solche Gefangennahmen offenbar routinemäßig vor.
21) Two Conversations
Die erste Unterredung, von der im Titel die Rede ist, findet auf der Erde statt. Ein irdischer Gebieter – eine seltene Erscheinung im Gor-Universum – nimmt ein Erdenmädchen zur Sklavin. Sie unterwirft sich ihm willig.
Wie sich in der zweiten Unterredung herausstellt, ist sie es dann, die ein weiteres Erdenmädchen, aber nun auf Gor, davon überzeugt, dass für sie nur hier auf Gor der richtige Ort ist, um zu ihrer natürlichen Bestimmung als Sklavin zu finden.
Mein Eindruck
Die beiden Unterredungen sind recht emotional und insofern für Gor-Fans sehr interessant und spannend. Das einleitende Vorwort des Autors dient lediglich als Erklärung, warum er sich jeder Erläuterung, Entschuldigung oder was auch immer enthält. Deshalb nehmen die „abgehörten“ Gespräche dokumentarischen Charakter an.
Ihren Kontext muss der Leser hinzufügen. Dazu gehört beispielsweise die Identität die Instruktorin im zweiten Gespräch – es ist das Mädchen aus dem ersten Gespräch. Allein schon diese Wandlung von der Empfängerin zur Lehrerin soll als bemerkenswerter Beleg dafür dienen, dass diese Sklavin ihre Bestimmung nicht nur gefunden, sondern mit Überzeugung derart verinnerlicht hat, dass sie nun als Lehrerin auftreten kann – und zwar völlig freiwillig, aus eigenem Antrieb.
22) In Defense of the Russett Hypothesis
Als Bartleby Russett im Mittelalter seine Hypothese veröffentlichte, dass die Welt erst vor fünf Minuten entstanden sei, lag er natürlich völlig daneben. Sie entstand erst vor vier Minuten (und ein paar Sekunden mehr oder weniger). Das hat die wissenschaftliche Hypothese, die nun vorherrscht, unwiderleglich bewiesen. Leider gibt es eine Menge irrelevanter Einwände seitens der Zweifler…
Mein Eindruck
Der Autor fährt fort, sämtliche Einwände der Zweifler, abzuschmettern und als absurd, sinnlos, unbegründet usw. zu widerlegen. Gott, Moral, Kausalität, Logik – die zweifler schrecken vor keinem Argument zurück. Aber was für eine Riesenchance wäre es doch für die Menschheit, wenn die Welt wirklich erst vor vier Minuten entstanden wäre, sei es nun durch einen Trick der Quantenphysik oder nicht?
Einer der vergnüglichsten und unterhaltsamsten Beiträge dieses Bandes.
23) When Armadillos Fly
Die Menschheit hat die Technik der Organtransplantation vervollkommnet. Dies betrifft mitlerweile auch das Gehirn. Zusammen mit der Wissenschaft der Reiz- und Wahrnehmungssteuerung, die seit Pawlows Zeiten große Fortschritte gemacht hat, ist es nun möglich, Gehirne nicht nur in behältern unterzubringen und auszutauschen, sondern sie auch mit einer Vielfalt von Eingaben zu unterhalten, zu bilden und zu überwachen. Gehirne gehen mittlerweile auf Urlaub. Was früher ein kostspieliges Unternehmen war, ist nun gang und gäbe.
Es gibt nur ein klitzekleines Problem: Es ist nicht mehr möglich, zwischen induzierter Realität und empirischer Realität, also zwischen vorgetäuscht und „echt“, zu unterscheiden. Deshalb ist es für den Erzähler recht beunruhigend, als er ein Gürteltier (Armadillo) über den Himmel fliegen sieht. Etwas stimmt hier nicht. Oder?
Mein Eindruck
Wieder einmal reitet der Autor sein Steckenpferd der Möglichkeiten der Erkenntnis. Dieses Beispiel hier wurde schon etliche Male geritten, nämlich von Stanislaw Lem und H.P. Lovecraft (siehe auch oben unter „Technology“). Die dramatischste Verarbeitung des Themas Hirn ohne Körper sowie induzierte Realität ist m.E. Curt Siodmaks verfilmter Roman „Donovans Gehirn“ (siehe meinen Bericht dazu).
24) Comments on the Halliburton Case
Als Halliburton herausfand, dass er nur ein weiteres Gehirn in einem Behälter war, begab er sich auf Raubzug. Frauen, Autofahrer, Polizisten – keiner war vor seinen Zudringlichkeiten, Verbrechen und üblen Scherzen sicher. Er war sogar so frech, am Tatort stets eine Visitenkarte zu hinterlassen. Das wurde ihm zum Verhängnis. Denn die Spur führte zu deren Drucker und dies wiederum zu seinem Gehirn.
Das hätte Halliburton nicht kümmern müssen. Wer kann schon ein Hirn verhaften, das herumfantasiert? Halliburton wurde jedoch zum Verhängnis, dass er nicht gemerkt hatte, dass sein Gehirn wieder einen echten physischen Körper bekommen hatte. Na, und den schnappten sich die Cops, um ihn einzulochen.
Mein Eindruck
Die direkte Fortsetzung zu „Technology“ und „When Armadillos Fly“ verleiht der ganze Sache einen heiteren Dreh, indem eben in der virtuellen Realität des entkörperlichten Gehirns Verbrechen ohne Folgen begangen werden. Klingt nicht nach Science Fiction, sondern nach aktueller Cyberkriminalität.
25) Buridan’s Ass
Ein genialer Ingenieur erschafft aus Freude an seiner Kunst immer perfektere Spielzeuge. Sie werden derart perfekt, dass sie sich eines Tages nicht mehr zwischen zwei gleichermaßen attraktiven, erwünschten, „guten“ Wahlmöglichkeiten entscheiden können – und in Starre verfallen. Sie haben das Problem von Buridans Esel im Mittelalter: Exakt zwischen zwei Heuballen gestellt, konnte sich der Esel nicht für einen der beiden entscheiden – und verhungerte (es sei denn, ein mitleidiger Doktorand erbarmte sich seiner und beendete so das Experiment seines Professors).
Nun muss sich der Ingenieur etwas einfallen lassen. Wenn Perfektion zu diesem langweiligen und unerwünschten Endstadium führt, könnte dann Unvollkommenheit etwas Unvorhergesehenes und Spannendes herbeiführen? Gesagt, getan: Unser Ingenieur gibt jeder seiner Kreaturen einen kleinen Fehler ein und siehe: Die Welt wird wieder spannend und voller Überraschungen. Er nennt seine Kreaturen „Menschenwesen“.
Mein Eindruck
Eine interessante Schöpfungsgeschichte, die jener von Prometheus aus der griechischen Sage ähnelt. Der Gott formte seinerzeit Menschen aus Lehm, nicht gerade das beständigste und vollkommenste Material. Aber auf einer ästhetischen Ebene lässt sich die Analogie auf Dichtungen übertragen. Alle Figuren, die ein Autor erschafft, sind wahnsinnig langweilig, solange er schon längst im voraus, wie sie sich bis zum Ende des Buches verhalten werden. Also macht er sie unvollkommen und damit unvorhersehbar.
26) Copyright
Welten werden zuweilen, ja, sogar in aller Regel von Götter erschaffen. Es gibt gute, beständige Welten und es gibt jede Menge gescheiterte, fehlerhafte Fehler, je nach Qualität, Fähigkeit und Absicht des jeweiligen Gottes. Interessanterweise werden die beständigen Welten gerne unerlaubt kopiert und ein Plagiat daraus gemacht. Damit ein Gott dies verhindern und sagen kann: „Das Verdienst, diese tolle Welt gemacht zu haben, gebührt alleine mir!“, gibt es die Registratur. Dort arbeitet der Ich-Erzähler.
Aber es gibt Götter, die sich hartnäckig weigern, ihre Welt oder Welten registrieren zu lassen. Nicht weil ihnen der Vorgang zu teuer (bitte dem Antrag 2 Weltkopien und die Gebühr beilegen, danke), zu umständlich (woher 2 Kopien nehmen) oder zu langwierig (wenn die geforderten Unterlagen fehlen) wäre. Nein, aus Prinzip! Einer dieser Sturköpfe hat seine Welt mit einem besonderen Merkmal ausgestattet: Freude. Diese Freude will er verbreitet, kopiert, dupliziert, plagiarisiert und was noch alles wissen. Sehr seltsam, dieser Gott.
Mein Eindruck
Der Autor hat den Fall des unerlaubten Kopierens und Plagiierens, dem er vielleicht zum Opfer gefallen ist (etwa durch Sharon Green), auf eine höhere, größere Ebene gehoben: Autoren und andere Urheber werden hier zu Göttern, ihre Werke zu Welten. Das leuchtet ein, wenn man etwa an Fantasy- oder utopische Welten und ihre Entwürfe denkt. Ein Urheberrecht gemäß der Berner Konvention entspräche dann der Registratur im text.
Das Gegenbeispiel jenes Gottes, dessen Welt Freude enthält, entspräche wohl eher dem Fall des Public Domain (Gemeinbesitz) und des Open Source (lizenzfreier Quellcode) im Bereich der Informatik. Der Sinn dieser Produkte besteht darin, möglichst weit verbreitet zu werden, um so ihren Nutzen zu maximieren. Der Haken dabei: Sie verbreiten meist keine Freude als inhärentes Prinzip. Das ist wohl eher der Dichtung vorbehalten.
27) A Gorean Interlude (50 S.)
Ein goreanischer Sklavenjäger hat eine junge Erdenfrau aus einer US-Werbeagentur entführt, sie aber bei einem Angriff des „Feindes“ rasch wieder loswerden müssen. Sie ist seit einer Woche eine Sklavin in einer goreanischen Paga-Taverne, und der Kneipenwirt ist mit ihrem Service derart unzufrieden, dass er kurz davor steht, sie zu entsorgen. Sie kostet ja nur Unterhalt, Nerven – und seine Kunden.
Als letzte Maßnahme bittet er seinen Freund, den Sklavenjäger, dieses frigide Mädchen zur Räson zu bringen. In einem langen Gespräch und anhand praktischer Lektionen gelingt es dem Sklavenjäger, sie von ihrem rechtmäßigen Status als Sklavin zu überzeugen und sogar dazu zu bringen, sich fortan mit Verve ihren Pflichten zu widmen.
Mein Eindruck
Dies ist ein weiteres Beispiel für die bekannten „sex & discussion“-Szenen, die in den mittleren Gor-Romanen (zwischen Band 10 und 22) für so viele verschwendete Seiten sorgen, in denen praktisch nichts passiert. Nur ein Erdenmädchen wird bekehrt, das ist alles. Andererseits reiht sich diese Erzählung in die Reihe von Bekehrungen ein, die in diesem Band enthalten sind. Wer Argumente dafür sucht, dass der richtige, natürliche Platz jeder femininen Frau zu Füßen eines virilen Mannes ist, der findet hier jede Menge Argumente.
Diese Geschichte wurde dem fiktiven Erd-Herausgeber der Gor-Manuskripte von Tarl Cabot von einem sehr schönen Sklavenmädchen übergeben. Das erfolgt in einer sehr einfühlsam dargestellten Szene. Gleich darauf verschwindet die schöne junge Frau in der Nacht, einem wichtigeren Befehl folgend.
Aber der Autor findet ausführlich Gelegenheit, diesem Ereignis zahlreiche Erklärungen zu der Herausgabe der Cabot-Manuskripte voranzustellen. Er beklagt sich zudem über den immer wieder aufflammenden Widerstand gegen die Publikation dieser Bücher. Die Argumente, die er dabei ins Feld sind, sind nicht von der Hand zu weisen – wer möchte schon eine gleichmacherische Gedankentyrannei erdulden?
28) Confessions of a Polar Bear Impostor
Ein investigativer Reporter, der sich den Decknamen „Tiger Mouse“ zugelegt hat, wird von seinem Chefredakteur nach Spitzbergen an den Polarkreis geschickt – angeblich zur Erholung. (Mehr zu Longyearbyen auf Spitzbergen.) Die Kreuzfahrt auf dem 78. Breitengrad ist recht erholsam für unseren tapferen Reporter. Alle Touristen beteiligen sich an der Beobachtung der Eisbären. Es werden genau 28 Stück gesichtet. Diese Anzahl wird für ihn nach seiner Rückkehr nach Longyearbyen auf Spitzbergen interessant, denn die Vorgänger der aktuellen Touristengruppe hat ebenfalls exakt 28 Eisbären gesichtet. Noch denkt er sich nichts dabei.
Aber dann lernt er in der Hotelbar den professionellen Tierfotografen kennen, der in Tränen ausbricht, wenn nur das Wort „Eisbär“ hört. Er hat seine Fotos UND die Negative verkaufen müssen. Nur einen – psst! – Ausdruck davon hat er noch, und als er ihn Tiger Mouse zeigt, wird auch klar, warum kein einziges Foto davon existieren darf: Deutlich ist an diesem „Eisbären“ ein Reißverschluss zu erkennen…
Kurze Zeit später ist der Fotograf ausgeraubt und das Foto verschwunden. Tiger Mouse, nicht verzagt, verfolgt die blutige Spur des angeblichen Eisbären, der über seinen Freund herfiel – in eine Hütte der Menschen. Der „Eisbär“ kommt aus Queens in New York City und hat den Job als Eisbärdarsteller übernommen, weil er gut bezahlt wird – und weil es einen Haken gibt. Dieser Haken nimmt die Gestalt eines alten Bekannten von Tiger Mouse an: Wu Cahng, seines Zeichens Pate einer chinesischen Mafiabande aus New York City.
Da Tiger Mouse zuviel weiß, wird er vor eine harte Wahl gestellt. Angesichts der vielen Äxte und Pistolenmündungen vor seiner Nase fällt ihm jedoch der Entschluss, ein Eisbärdarsteller zu werden, ungewöhnlich leicht…
Mein Eindruck
Die Dinge sind, wieder mal, nicht das, was sie scheinen. Die Eisbären sind nur verkleidete Darsteller, deren Auftraggeber von den Touristen erkleckliche Summen kassieren. Tiger Mouse, dem unterschrockenen Reporter, fehlt es nicht an Mut und Überzeugung, aber leider sehr an Weltgewandtheit und Intelligenz. Er ist geradezu in seine eigene Rolle als investigativer Reporter verliebt (ähnlich wie Linda in der nächsten Erzählung).
Daher wird der Spieß umgedreht und er sieht sich unversehens selbst in der Rolle, die er gerade eben noch kritisiert hat. Das Leben als Eisbärdarsteller hat eine Menge Vorteile (frische Luft, gesunde Nahrung, ein geregeltes Einkommen) und nur wenige Nachteile, so etwa verliebte Eisbärdamen in der Brunst. Darüber muss man philosophisch hinwegsehen und Pläne schmieden. Beispielsweise als Löwendarsteller in Afrika…
Die heitere Posse ist actionreich inszeniert, weiß den Leser mit unterwarteten Wendungen zu unterhalten und bei der Stange zu halten. Fans der Gor-Romane dürften mit dem Phänomen des selbstverliebten Erdlings, ganz gleich ob weiblich oder männlich, bereits vertraut sein und dessen Bekehrung bzw. Belehrung erwarten. Andere Leser lernen den speziellen Norman’schen Humor kennen.
29) Letters from Gor (78 S.)
Linda, eine irdische Reporterin, die sehr ehrgeizig ist, folgt dem Tipp eines Informanten und infiltriert das Lager einer (goreanischen) Sklavenjägerbande. Sie kapiert erst, was los ist, als sie bereits gefangen genommen und in einen Käfig gesteckt worden ist. Zuvor hat sie in einem Gebäude mit ihrer Videokamera gefilmt, wie eine junge Frau auf einer Auktion verkauft wird. Etwas muss schrecklich schiefgegangen sein, schreibt sie in einer Reihe von Briefen an ihren Auftraggeber Irving Barofsky.
So schief, dass sie sich auf einmal auf einer anderen Welt befindet. Dass dies nicht die Erde sein kann, schließt sie aus mehreren Beobachtungen: die reine Luft, die unverfälschten Nahrungsmittel – und die drei Monde, die sie eines Nachts erblickt. Zudem sind die Männer, die sie gefangen halten, viel männlicher als die Erdlinge und legen keinerlei Hemmungen an den Tag, dies die Frauen spüren zu lassen. Linda hat einen Stahlkragen umgelegt bekommen. Die Bedeutung der Worte „La kajira“, die sie als erstes gelernt hat, ist ihr unbekannt.
Im Verlaufe einer Ausbildung, die sie sich nie im Leben hätte vorstellen können, verändert sich auch ihre Haltung gegenüber Irving Barofsky (der leider nie eine Antwort schickt). Aus Herablassung und professioneller Distanz wird schließlich unterwürfige Ehrerbietung gegenüber einem Gebieter. Doch welches Schicksal wartet auf Linda, nachdem sie ein Brandzeichen erhalten hat? Sie fragt sich immer noch, welchen Status ein Mädchen wie sie auf dieser unbekannten Welt einnehmen kann. Sie wird es herausfinden. Die Gebieter werden dafür sorgen.
Mein Eindruck
Dieser Briefroman von knapp 80 Seiten dürfte sicherlich jeden Fan der Gor-Romane zufriedenstellen. Bei mir war das jedenfalls der Fall. Minutiös stellt die Ich-Erzählerin, die von ihren Instruktoren und Trainern zum freimütigen Briefeschreiben angehalten wird, ihren Werdegang dar. Diese Entwicklung ist durchaus spannend, denn zu Anfang ist sie eine egozentrische und maskuline Karrieristin. Am Schluss hat sie gelernt, als Frau selbstlos ihren Gebietern zu dienen.
Die Erzählung, die sich daraus ergibt, ist jedoch mit einem Rätsel gespickt, das die Briefe der Briefeschreiberin zunehmend spannend werden lässt. Auf ihrem stählernen Sklavenkragen ist der Name ihres Besitzers eingraviert. Da sie kein zunächst kein Goreanisch lesen (und sprechen) kann, versteht sie die Zeichen nicht. Dann wird ihr erklärt, dass sie für den Namen „Rask aus Harfax“ stehen. Wer ist dieser Goreaner? Wann hat er sie gekauft – oder gefangen? Wann wird sie ihn sehen dürfen, um ihm ihre Dienstfertigkeit zu beteuern? Die wichtigste Frage lautet aber: Wieso fiel seine Wahl ausgerechnet auf sie?
Diese spannende Frage versucht sie selbst nach und nach zu beantworten. Welche Eigenschaften mögen es gewesen sein, die gerade eine so kaltschnäuzige, maskuline Egozentrikerin zur idealen Sklavin prädestinierten? Der Mann, der sie ausgewählt, muss schon ein ganz besonders erfahrenes Auge dafür haben. Und natürlich muss er dafür auf der Erde gewesen sein…
Im letzten, dem zweiundzwanzigsten, Brief steht die Briefeschreiberin kurz davor, ihren Besitzer und Gebieter, dem sie inzwischen zutiefst dankbar ist, kennenzulernen. Der scharfsinnige Leser kombiniert sicherlich messerscharf, dass es sich nur um den Adressaten ihrer unbeantworteten Briefe handeln kann, einen gewissen Irving Baronofsky, auch bekannt als Rask aus Harfax.
30) The Old Man and the Sprinkling Can
Ein alter Maler sitzt im Übungsraum der jungen Ballettänzerinnen und hat die ganze Szene bereits „im Kasten“, als ihm eine sonderbare Sprühdose auffällt. Was hat sie hier zu suchen, sowohl im Raum als auch auf dem Bild? Hat sie eine Daseinsberechtigung? Er malt sie wieder heraus und entdeckt: Jetzt fehlt etwas. Also malt er sie wieder rein. Es scheint, die Sprühdose hat doch eine Existenzberechtigung, aber welche?
Mein Eindruck
Diese kleine Parabel behandelt das alte Problem eines jeden kreativen Menschen: Wann ist ein Werk fertig und vollkommen? Was soll rein, was muss raus? Der Erzähler, als alter Maler, entscheidet sich für eine unvoreingenommene Wahrhaftigkeit: Alles darf rein, was da ist. Wozu die Augen verschließen vor dem, was definitiv da ist, auch wenn es einem zunächst gegen den Strich zu gehen scheint?
Er kann sich nicht als Richter oder Moralapostel aufspielen: Die Sprühdose bleibt also drin. Egal, ob es anderen Moralaposteln passt oder nicht. Das ist genau die Geisteshaltung hinter den Romanen und den hier versammelten Beiträgen. Schließlich und endlich lautet die Frage auch: Das Erfinden würde keinerlei Spaß machen, wenn man ständig eine Schere im Kopf anwenden müsste, nicht wahr?
Unterm Strich
Am meisten interessierten mich als alten Gor-Romanleser die goreanisch geprägten Texte. Da sie immerhin rund die Hälfte des Umfangs dieses Bandes ausmachen, kann man sie schlecht ignorieren. Nichts lag mir ferner. Am besten gefielen mir die „Letters from Gor“, die auf sehr anschauliche Weise die innere, charakterliche Entwicklung der Briefeschreiberin Linda darstellen, ohne dabei jemals peinlich oder rätselhaft zu wirken. Wer dieser „Rask of Harfax“ ist, wird nicht gesagt, denn es gibt keinen Herausgeber. Der Leser muss sich selbst als Sherlock Holmes betätigen.
Erstaunlich stimmungsvoll und voll Atmosphäre ist die viktorianisch à la Stevenson anmutende, sehr rund ausgebaute Erzählung „The Calpa“, die den Band eröffnet. Wer weiß, was aus dem Autor geworden wäre, hätre er weitere solche wilden Sachen veröffentlichen dürfen? Gor sähe heute gewiss völlig anders aus.
Die nächste Kategorie von Texten sind Erzählungen, die eine ausgebaute, dramatische Handlung aufweisen, aber schon dem Grundthema der doppelbödigen, unerkennbaren, nonkonformen Realität gewidmet sind. Erkenntnis, Existenz, Phänomene, Zweifel. Nonkonformismus – all diese Grundthemen werden vom Philosophieprofessor aufgegriffen. Der Leser kann froh sein, einen lustigen Text wie „Bekenntnisse eines Eisbärdarstellers“ lesen zu dürfen, muss aber auch eine Erörterung von Descartes‘ „Ich denke, also bin ich“ in kauf nehmen. Norman kann beides.
Dass der Autor nicht zufällig im Fantasy- und SF-Genre tätig ist, ergibt sich aus seinen Zweifeln an den „anerkannten, zugelassenen und abgesegneten“ Modi der menschlichen Existenz und menschlichen Verhaltens. Das Genre erlaubt es ihm, den Mainstream und dessen strenges Regelwerk zu verlassen und andere Ansichten zu vertreten bzw. erörtern zu lassen.
Aber das bedeutet nicht, dass Norman gegenüber anderen SF-Autoren und -Lesern unkritisch sei, ganz im Gegenteil. Der satirische Text „Notes Pertaining to a Panel in Salon D“ (etwa: Anmerkungen zu einer Podiumsdiskussion in Saal D) stellt diejenigen Fans und Autoren kritisch als eine Art Dinosaurier in einer Parallelwelt dar, die von einer revolutionären Ausbreitung der erfolgreicheren Spezies der „Mooks“ (was den Säugetieren nach dem Aussterben der Saurier entspricht) nicht wissen wollen oder mitbekommen. Der Autor weiß wovon er redet. Siehe dazu meine eigenen Anmerkungen.
Die Zielgruppen
Das Buch lohnt sich nur für eingefleischte John-Norman-Fans. Besonders Gor-Fans kommen auf ihre Kosten, aber nur dann, wenn sie bereit sind, die anderen 250 Seiten zu ignorieren. Unter Leser, die John Norman überhaupt nicht kennen – falls es sie gibt -, könnten sich einige mit den amüsanten Satiren, Parodien und Pastiches anfreunden. Wieder andere finden vielleicht die philosophischen Texte reizvoller, die mich mitunter an Stanislaw und H.P. Lovecraft (auf einem Trip) erinnerten.
Das Englischniveau
Der Stil bewegt sich in den Gor-Texten auf mittlerem Stilniveau, mit Ausnahme von „The Calpa“. Ansonsten ist durchweg ein sehr gutes, manchmal sogar optimales Englisch erforderlich, um die Texte zu verstehen. Insbesondere die philosophisch angehauchten Erzählungen stellten selbst für mich eine Herausforderung dar.
Sollten diese Erzählungen jemals übersetzt werden, so empfiehlt es sich, die goreanischen Texte von den anderen zu trennen, denn sie stellen keine so hohen intellektuellen Anforderungen an den Leser. Außerdem dürfte es wesentlich einfacher sein, das Thema „Gor“ zu vermarkten als ein vermischtes Textkonvolut.
Taschenbuch: 533 Seiten
Sprache: Englisch
ISBN-13: 9781497631694
https://openroadmedia.com/
Der Autor vergibt:
9781497631694