Anika Krüger – Charlotte & Pauline und die Erpresser

„Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt.
Ein Freund bleibt immer Freund – und wenn die ganze Welt zusammenfällt.
Drum sei auch nie betrübt, wenn dein Schatz dich nicht mehr liebt.
Ein Freund, ein guter Freund, das ist der größte Schatz, den´s gibt.“

Dem Thema Freundschaft hat sich die Braunschweiger Autorin Anika Krüger angenommen, die mit „Charlotte & Pauline und die Erpresser“ ihr erstes Kinderbuch vorgelegt hat. Das Buch richtet sich an junge Leser ab neun Jahren, die sich auf einen kurzweiligen Kinderkrimi freuen dürfen.

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Gretelise Holm – Die Robinson-Morde

Auf einer dänischen Insel geht in einem Seniorenheim offenbar ein ‚Sterbehelfer‘ um. Eine zufällig anwesende Journalistin wird in das Geschehen verwickelt. Während die Polizei im Dunkeln tappt, kommt sie einem alten und ungesühnten Verbrechen auf die Spur, in das die meisten Inselbewohner verwickelt sind … – Skandinavien-Krimi der typischen Sorte, d. h. sorgfältig geplottet und mit mehr als einem Hauch Sozialkritik veredelt; trotz der relativen Ereignislosigkeit unterhaltsam aber kein Meilenstein des Genres.
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Bridges, Bill / Chillot, Rick / Cliffe, Ken / Lee, Mike – Welt der Dunkelheit, Die (Grundregelwerk)

|Jeden Menschen beschleicht zumindest einmal im Leben das Gefühl, irgend etwas stimme nicht mit der Welt und es sei nicht alles so, wie es auf den ersten Blick erscheine.

Man versucht, uns glauben zu machen, die mittelalterlichen Vorstellungen von Monstern und Magie seien nicht mehr als primitiver Aberglaube. Heute ist unser Denken doch viel zu aufgeklärt, als daß wir noch an derlei Unfug glauben könnten – zumindest bilden wir uns das gerne ein. Doch nachts, wenn die Schatten undurchdringlicher werden und der Wind durch die Bäume pfeift, dann schaudern wir und denken an die alten Wahrheiten – die Wahrheiten unserer Ahnen, die allen Grund hatten, die Dunkelheit zu fürchten.

Am besten schließt man die Augen und redet sich ein, dort draußen sei nichts, was sich nicht logisch erklären ließe. Denn wenn wir die Wesen da draußen nicht sehen, dann sehen sie uns vielleicht auch nicht.

Doch nur weil wir so tun, als gäbe es sie nicht, werden diese Wesen nicht verschwinden. Es macht es ihnen nur leichter, sich versteckt zu halten – und Raubtiere ziehen es vor, sich vor ihrer Beute zu verbergen, da sie sie doch nur allzu leicht verschrecken.

Es ist schwierig, an etwas zu glauben, das man nicht sehen kann.
Womöglich ist es ihnen aber auch recht so.

Willkommen in der Welt der Dunkelheit.|
(Auszug aus dem Regelwerk)

_Über die Welt der Dunkelheit_

Die Welt der Dunkelheit (WdD) von |Feder & Schwert| gleicht unserer Welt fast bis aufs Haar. Der Unterschied ist nur: Die Monster und Märchenfiguren wie Geister, Magier, Werwölfe und Vampire gibt es wirklich. Die Menschen glauben nicht an diese Geschöpfe, bzw. wollen nicht an sie glauben. So ergibt sich die Konstellation, dass die Wesen im Hintergrund verborgen bleiben.

Vampire leben unerkannt unter ihrer „Beute“ und Werwölfe machen nicht nur die Wälder unsicher. In der Welt der Dunkelheit kann sich der Spieler aussuchen, was er gerne verkörpern möchte. Er kann sowohl einen normalen Menschen spielen als auch übernatürliche Wesenheiten wie Vampire, Werwölfe oder Magier.

Im hier besprochenen „Die Welt der Dunkelheit – Grundregelwerk“ ist es erst mal vorgesehen, einen Menschen zu erschaffen. Wer ein übernatürliches Wesen spielen will, muss sich die Quellenbücher „Vampire: Requiem“, „Werwolf: Paria“ und „Magus: Erwachen“ zulegen. Allerdings sind diese Quellenbücher ohne das „Die Welt der Dunkelheit – Grundregelwerk“ nutzlos, da die grundlegenden Regeln nur hier stehen und in den anderen Veröffentlichungen die Veränderungen gegenüber den Menschen behandelt werden.

Die Grundstimmung des Spiels ist düster und bedrohlich. Es lauern nicht nur hinter jeder Ecke neue Schrecken, die Monster sind auch noch intelligent. Was bringt es schon, die Polizei auf ein Monster aufmerksam zu machen, wenn diese beim Monster auf der Lohnliste steht?

Die Reize liegen neben der ständigen Paranoia auch darin, dass das Spiel in unserer Welt angesiedelt ist. Die politischen Ereignisse stimmen überein, dieselben Kriege und Katastrophen geschehen. Nur stellt sich dauernd die Frage: Ist das der Gang der Natur oder helfen hinter den Kulissen die Monster nach? Ist der Bürgermeister meiner Stadt vielleicht nur der Handlanger eines mächtigen Vampirs? Oder warum sehe ich meinen merkwürdigen Nachbar immer nur, wenn die Sonne bereits untergegangen ist? Hat er vielleicht ungünstige Arbeitszeiten, oder hat er etwas mit dem Verschwinden meines geliebten Hundes zu tun?

Das Problem ist: Wenn man als Mensch zu viel über diese Wesen erfährt und Nachforschungen anstellt, läuft man Gefahr, sich von der Masse abzuheben und so den Blick der dunklen Wesenheiten auf sich zu richten. Und wenn das passiert ist, werden sie dich jagen! Mit gebleckten Zähnen, messerscharfen Klauen und magischen Kräften. Oder sie finden Gefallen an dir und verwandeln dich zu einem von ihnen …

Die WdD lebt von ihrem delikatem Horror (als Mensch) und der Faszination, selber diesen Horror (als Vampir, Werwolf, Magier) zu verkörpern.

_Aufmachung des Buches_

Der |Feder & Schwert| Verlag hat mal wieder ein topp gestyltes Produkt auf den Rollenspielmarkt geworfen. Von außen fällt es zunächst durch ein sehr edel gestaltetes Hardcover mit schöner Grafik und leicht hervorstehender Schrift ins Blickfeld. Trotzdem ist es ziemlich robust, gut verarbeitet und griffig. Die Gefahr, dass es nach oftmaligem Gebrauch zerfleddert, ist auf ein Geringstes minimiert. Aber auch zwischen den Buchdeckeln lässt die Qualität nicht nach. Wer ein trockenes Tabellenstöbern erwartet, hat sich geschnitten. Mit viel Detailverliebtheit sind Prologe und kleine Geschichten rund um die WdD in die Regeln eingearbeitet. Dies macht das lesen durchaus spannend, und eine interessante Lektüre lässt sich nun mal leichter lernen. So wird dem Einsteiger der Anfang im noch neuen Regelwerk erleichtert.

Auch mit der Grafik kann das „WdD – Grundregelwerk“ punkten. Ob Zeichnungen von Monstern oder mystische Fotomontagen, alles unterstützt die düstere Stimmung perfekt.

Also, in punkto Aufmachung und Qualität dürfte |Feder & Schwert| nur schwer das Wasser zu reichen sein. Super Qualität, so stellt man sich ein Regelwerk vor.

_Regeln_

Die Regeln sind nach dem altbewährten, wenn auch modifizierten |White Wolf|-System aufgebaut. Meistens werden Attribute und Fertigkeiten kombiniert und dann wird mit zehnseitigen Würfeln (W10) gewürfelt. Jeder Würfel der eine Acht oder höher zeigt, ist ein Erfolg. Natürlich gibt es verschiedene Attribute, neun an der Zahl, und jede Menge Fertigkeiten, aber letztlich läuft es meisten auf das Schema „Attribut plus Fertigkeit“ hinaus.

Wem Attribute und Fertigkeiten nichts sagen, hier eine kleine Einführung:

Attribute sind die Eigenschaften eines Charakters, wie z. B. die Körperkraft, die Gabe, andere zu manipulieren oder seine Entschlossenheit. Fertigkeiten hingegen sind die Werte, die in etwa seiner Ausbildung entsprechen, also Computer, Handwerk, Fahren, Kampffertigkeiten oder Umgangsformen.

Attribute haben Ausprägungen von eins (sehr schwach) bis fünf (unübertrefflich), Fertigkeiten von null (nicht gelernt) bis fünf (Koryphäe). Diese beiden werden dann kombiniert und schon haben wir die oben erwähnte Würfelanzahl für unsere Erfolgsprobe. Diese wird dann noch vom Spielleiter modifiziert, d. h. mit Boni oder Mali belegt, ja nach Schwierigkeit und äußeren Einflüssen.

Da das System in den Grundlagen relativ einfach zu erlernen und anzuwenden ist, ist es auch für Neueinsteiger und Anfänger geeignet. Wer noch Fragen bezüglich der Regeln und deren Auslegung hat kann die [Homepage]http://www.feder-und-schwert.com/ von |Feder & Schwert| besuchen. Dort kann man sich direkt mit den Fragen an die Profis wenden.

_Änderungen zum Vorgänger_ (für Spieler der alten |White Wolf|-Regelwerke)

Die Regeln wurden sinnvoll modifiziert. So ist das Kampfsystem einfacher. Zur Ermittlung von Angriff und Schaden ist nur noch ein Wurf erforderlich. Eingeführt wurde auch ein Wert, der sich Verteidigung nennt. Dieser Wert soll die natürlichen Abwehrreflexe im Nahkampf darstellen. Auch die Kampfsportarten und beidhändiges Kämpfen sind jetzt sinnvoller geregelt, indem man sich solche Befähigungen als Vorteile erkaufen muss.

Auch die alte Regel mit Wesen und Verhalten wurde, zum Glück, geändert. Wer jetzt Willenskraft wiedererhalten will, muss entsprechend seiner Tugend oder seines Lasters handeln. Diese Änderung erweitert den Rahmen für stimmungsvolles Rollenspiel beträchtlich. Nach der neuen Regel ist es jetzt nicht mehr möglich, sich mit Nachteilen zuzupflastern und dafür jede Menge Punkte für die Charaktererschaffung zu erhalten. Nachteile gibt es zwar immer noch, doch kommen diesen rein spielerische Aspekte zu, d. h. spiele ich meinen Nachteil gut aus, kann mir der Spielleiter am Ende mehr Erfahrungspunkte geben.

So wird dem „Powergaming“ vorgebeugt, denn wer seine Nachteile so gut ausspielt, dass er dafür zusätzliche Punkte erhalten würde, hat es nicht nötig, sich „hochzupowern“. Dadurch wird das Spielen auch wieder stimmungsvoller, denn der Vampir, der Angst vor Kreuzen hat, eine Phobie vor Kindern, eine gespaltene Persönlichkeit und nur von Nonnen mit silbergrau gefärbten Haaren trinkt, eignet sich nicht dazu, anspruchsvolles Rollenspiel zu betreiben.

Die gröbsten Schwächen der Vorgänger sind behoben. Beim ausgiebigen Studium der Regeln sind mir keine groben Fehler aufgefallen. Alles scheint mir relativ sinnvoll gelöst.

Natürlich wird wahrscheinlich jeder irgendeine Regel unsinnig finden, aber ohne das Diskutieren über Regelinhalte oder deren Auslegung macht das Rollenspiel doch nur halb so viel Spaß!

_Fazit_

Ich muss gestehen, dass ich dem neuen Regelwerk äußerst skeptisch gegenüberstand: Erst hatte ich mir die alten Ausgaben für teuer Geld angeschafft, und jetzt ändern die einfach die Regeln und die Welt im Allgemeinen! Doch ich muss sagen, „Die Welt der Dunkelheit – Grundregelwerk“ hat mich restlos überzeugt. Topp Präsentation, sinnvolle Regeländerungen und jetzt auch endlich der Ansatz, als Mensch zu beginnen, haben mich in der Tat für diese Neuausgabe eingenommen.

Dieses Spiel hat wirklich das Potenzial, ebensolcher Kult zu werden wie sein Vorgänger.

Padura, Leonardo – Labyrinth der Masken (Teniente Mario Conde 3)

|(Verlagstext) Im Bosque de La Habana wird am 6ten August, am Tag der Verklärung Jesu, die Leiche eines Transvestiten gefunden. Als sich herausstellt, dass es sich bei dem Toten um Alexis Arayán, den Sohn eines angesehenen kubanischen Diplomaten, handelt, will sich bei der Polizei keiner die Finger verbrennen. Nur Mario Conde, für sechs Monate zum Erkennungsdienst strafversetzt, ist froh, nicht länger Karteikarten ausfüllen zu müssen, und springt ohne zu zögern ein. Seine Ermittlungen führen ihn zu Marqués, einen exzentrischen und legendären Theaterregisseur, der als Homosexueller geächtet in einem zerfallenden Haus lebt. Kultiviert, intelligent, und mit feiner Ironie begabt, führt dieser Conde in eine verborgene Welt ein und treibt gleichzeitig ein listiges Verwirrspiel.|

Im dritten Roman des Havanna-Quartetts „Labyrinth der Masken“ wird Teniente Mario Conde mit der Untersuchung des Mordfalls an einem jungen Homosexuellen beauftragt, der in Frauenkleidern in einem öffentlichen Park gefunden wurde. Alexis Arayán wurde mit einer roten Seidenschärpe erdrosselt und zwei Peso-Münzen steckten in seinem After. Stammt der Mörder aus dem Homosexuellen-Milieu?
Für Mario Conde ist der Mordfall eine Chance zur Bewährung, denn er ist zum Erkennungsdienst sechs Monate strafversetzt worden. Seine Kollegen beneiden ihn nicht um diesen Fall, denn das Opfer ist der Sohn des angesehenen kubanischen Diplomaten Faustino Arayán. Politische Kontrolle und Druck scheinen deshalb vorprogrammiert zu sein. Und als wäre dieses nicht genug, schnüffelt „ein Bataillon von internen Ermittlern“ im Kommissariat herum. Besonderes Interesse zeigen die Ermittler an Mario Conde.

|“Weißt du eigentlich, wo mir der Kopf steht? Meinst du, es wäre leicht, seine Arbeit zu tun, wenn ein ganzes Bataillon von internen Ermittlern hier in der Zentrale rumschnüffelt? Weißt du, wie viele Fragen mir Tag für Tag gestellt werden? Weißt du, dass bereits zwei unserer Beamten wegen Korruption entlassen worden sind und zwei weitere wegen Nachlässigkeit im Dienst suspendiert werden? Und kannst du dir vielleicht vorstellen, wem all diese Geschichten angelastet werden? Mir natürlich!“|

Die Ermittlungen führen Mario Conde und seinen Kollegen Manolo zu dem Regisseur Alberto Marqués, bei dem Alexis Arayán gewohnt hatte, seit er aus dem elterliche Domizil nach seinem Coming-out verwiesen worden war. Alberto Marqués ist ebenfalls homosexuell und wegen seiner sexuellen Orientierung vor vielen Jahren aus dem Theater verbannt worden. Alberto Marqués ist eine faszinierende Persönlichkeit: ein Mann aus der Welt der Literatur und des Theaters, ein Intellektueller und ein Individualist. Dieses muss sich auch der homophobe Mario Conde eingestehen.
Weil alle Spuren des Mordfalls auf einen Mörder aus dem Homosexuellen-Milieu hindeuten, lässt sich Conde auf Alberto Marqués ein, um mehr über Alexis‘ Bekanntenkreis zu erfahren und dabei möglicherweise den Mörder aufzuspüren. Marqués lädt ihn zu einer Homosexuellen-Party ein und Mario Conde nimmt die Einladung trotz großer Bedenken an. El Conde ist von Alberto Marqués beeindruckt, und als dieser ihm seine persönliche Geschichte erzählt, über den Hinauswurf, das nachfolgende Berufsverbot, den Strafdienst in einer kleinen Bücherei und weshalb er seitdem kein Theaterstück mehr aufgeführt hat, wird aus Condes anfänglich ablehnender Haltung allmählich Sympathie und Verständnis.

|“Wie dem auch sei, dachte (Conde), (Marqués) ist schwul, das jedenfalls ist nicht gelogen. Aber ich mag ihn, auch das ist nicht zu leugnen.“|

Leonardo Padura zeigt in „Labyrinth der Masken“ eine kubanische Gesellschaft, in der jeder eine Maske trägt – aus den unterschiedlichsten Gründen: teils, weil etwas verborgen bleiben soll; teils, weil man eine Rolle spielt, die man spielen möchte oder von der man glaubt, sie spielen zu müssen.
„Labyrinth der Masken“ ist ein packender, eindringlicher und stiller Roman, der mit seiner Kriminalgeschichte Zeitgeschichte einfängt und erklärt. Anders als in den beiden früheren Havanna-Romanen „Ein perfektes Leben“ und „Handel der Gefühle“, tritt hier die Zeitgeschichte stärker in den Vordergrund. Der Krimiplot wird deshalb nur mit dem Wohlwollen des Lesers zu einem befriedigenden Ende geführt. Dieses ist aber kein Makel, denn Leonardo Padura hat mit seiner Figur Teniente Mario Conde einen eindrucksvollen und charismatischen Protagonisten geschaffen, der auf den nicht weniger eindrucksvollen und charismatischen Homosexuellen Alberto Marqués trifft. Padura besitzt einen genauen Blick für Orte, Menschen, Situationen und Geschichte. Es gelingen ihm eindringliche Milieuschilderungen sowohl des homosexuellen Untergrunds als auch des Stadtviertels, in dem Conde aufwuchs und das einem stetigen Wandel unterliegt. Der Autor zeichnet auch Nebenfiguren mit starken Pinselstrichen und erweckt sie zu lebendigen, eigenständigen Persönlichkeiten. Mit ihnen fängt Padura die vielen Facetten des gesellschaftlichen Umbruchs ein – in kleinen, oft nebenbei erzählten Geschichten:

– von dem dünnen Carlos, dessen Ex-Freundin im Exil lebte und ihn jetzt besuchen möchte;
– von dem Roten, der illegal Bier verkauft und dabei agieren muss, als wäre er ein Drogenhändler;
– von dem Geliebten Alexis Arayáns, der sich die Maske abreißt.

Mit seiner starken Figur Mario Conde nimmt uns der Autor mit auf eine Entdeckungsreise in die kubanische Gesellschaft und auf Spuren des großen Umbruchs. Reales Vorbild der Figur Alberto Marqués ist der kubanische Dramatiker Virgilio Piñera, der mit einem Berufsverbot belegt wurde, weil er die Künstlern und Erziehenden abverlangten revolutionären Parameter als ein Ergebnis des „Kultur- und Erziehungskongresses“ von 1971 nicht erfüllte – wegen seiner Homosexualität und seiner gelebten Individualität. Heute ist Homosexualität in der kubanischen Gesellschaft kein politisches Problem mehr. „Es scheint beinahe, als ob sie nie eines gehabt hätten, so als wäre ihre Geschichte vergessen.“ (Leonardo Padura) Trotzdem werden Homosexuelle noch immer als abartig und Homosexualität als widerlich angesehen. An diese jüngere kubanische Vergangenheit möchte Leonardo Padura mit Alberto Marqués erinnern und „diese Erinnerung aus einem menschlichen Blickwinkel bewahren.“
Das „Labyrinth der Masken“ ist ein faszinierender, großartiger Roman, dem man viele, viele Leser wünscht.

_Claus Kerkhoff_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Green, Simon R. – Dunkle Fort, Das. Ein Dämonen-Roman

Simon R. Green kennen manche vielleicht noch von seinem erfolgreichen Roman „Das Regenbogen-Schwert“. Dort fiel der Amerikaner bereits durch seine Mischung aus skurriler Erzählweise und düsterer Fantasy auf und verband damit Elemente von Terry Pratchet bis hin zu den ‚handelsüblichen‘ Fantasy-Autoren dieser Zeit. Green zeichnete sich vor allem dadurch aus, in kürzester Zeit einen simplen und doch sehr spannenden Plot aufzubauen, also quasi sehr schnell auf den Höhepunkt hinzuarbeiten. Wo andere mindestens eine Trilogie brauchen, um eine eigene Welt entstehen zu lassen, legt Green ein ungeheures Erzähltempo vor, das aber sicher auch aus langjähriger Erfahrung mit dieser Materie herrührt, denn direkt nach seinem Studium in Englisch und Literatur widmete sich Green nach einer kurzen Zeit als Buchhändler phantastischen Themen und begann selber Bücher zu schreiben.

Sein aktuelles Werk heißt „Das dunkle Fort“ und wird erneut von einer sehr düsteren Atmosphäre untermalt. Leider jedoch fehlt es der Handlung an etwas Besonderem. Dieses Mal ist Green nämlich einen Schritt zu weit gegangen und hat sich eindeutig zu wenig Zeit gelassen, um der Geschichte eine Entwicklung zu ermöglichen. Detailbeschreibungen bleiben fast vollständig außenvor, was ja nicht dringend schlecht sein muss, hier aber doch sehr negativ auffällt, weil einzelne Szenarien einfach zu abgehackt beschrieben werden. Dabei hätte die Story an sich eine Menge Potenzial gehabt …

_Story:_

Nach den Dämonenkriegen herrschen an der Grenze zwischen Hagreich und Grundland weiterhin Spannungen. Eines Tages wäre es dem Herzog von Grundland beinahe gelungen, den Streit um die benachbarte Region ganz für sich zu entscheiden, woraufhin die Leute aus dem Hagreich ein Grenzfort erbaut haben. Das Ergebnis: Keine Gefechte mehr im Grenzland. Irgendwie hat das Fort die Gegner abgeschreckt, und in der Gegend ist seitdem auch wieder Ruhe eingekehrt. Doch zu lange hat man aus dem Fort nichts mehr gehört. Ranger Duncan MacNeill und seine Truppe gehen der Sache schließlich auf den Grund und wollen herausfinden, was sich genau im Fort abspielt. Die Gruppe findet das Gebäude völlig verlassen vor, und alles deutet auf ein schreckliches Verbrechen hin. Doch mithilfe der Hexe Constance finden sie heraus, dass unter dem Fort etwas Unvorstellbares lauert. Und als auch noch Gesetzlose in das Gebäude eindringen, um einen angeblichen Goldschatz zu bergen, schlagen die Mächte der Finsternis zu, und die Ranger müssen sich aus der Not heraus mit den Verbrechern verbünden. Einer nach dem anderen fällt den Angriffen der untoten Monster und Trolle zum Opfer, bis Duncan sich schließlich selbst dem finstersten aller Dämonen stellen muss …

Wie bereits angedeutet, hat der Plot an sich eine ganze Menge Potenzial: ein verlassenes, mysteriöses Gebäude, Spuren aus vergangenen Kriegen, eine Zweckgemeinschaft, die sich nicht ganz geheuer ist, und natürlich der Kampf gegen fremde Dämonen. All dies hätte sich wunderbar zu einem packenden Fantasy-Roman verarbeiten lassen. Doch Simon Green ist es nur partiell gelungen, die Geschichte auch wirklich fesselnd zu erzählen. Gerade zu Beginn verpasst der Autor es, die Leserschaft an das Buch zu binden und wirkliches Interesse für die Geschichte zu wecken. Man hat bereits ein Drittel des Buches gelesen, ist auch schon einigermaßen mit den Rahmenbedingungen vertraut, vermisst aber weiterhin die Spannung. Das liegt einerseits an Greens schlichter Schreibweise, andererseits aber auch an den abgehackten Beschreibungen, die nun wirklich gar keinen Freiraum für detaillierte Darstellungen lassen. Man weiß zwar, was passiert und warum es passiert, wird aber nicht in die Lage versetzt, die Geschichte selber so richtig mitzuerleben.

Für mich bedeutet das Lesen eines solchen Romans auch immer, ein stückweit selber Teil der Geschichte zu werden, und dieses Gefühl kann mir Green in „Das dunkle Fort“ nur relativ selten und selbst dann nur bedingt geben. Die Art und Weise, wie er an das Unterfangen herangeht, ist dabei aber auch nicht besonders günstig gewählt. Einzelne Gewaltszenen gehen zwar ein bisschen unter die Haut, verblassen aber schließlich auch wieder als Effekte, die das Buch gar nicht braucht. Von der Geschichte um die Gefährten, die sich früh für den einzig wahren Zweck zusammenraufen, will ich jetzt gar nicht erst anfangen …

Green verlässt sich zu sehr auf bekannte Stilelementen, und sobald er eigene Elemente einbringt (siehe Schreibstil), folgt darauf direkt eine Bauchlandung, weil eben Langeweile aufkommt. Die Tatsache also, dass der Autor schnell auf den Punkt kommt, muss eben nicht immer von Vorteil sein, und in diesem Fall ist sie es auch ganz klar nicht. „Das dunkle Fort“ ist daher auch bestenfalls nur ein durchschnittlicher Roman mit einzelnen wenigen Höhepunkten, einer insgesamt aber zu durchschaubaren und selten bewegenden Story. Schade um die Möglichkeiten, die sich hier geboten hätten.

Charlotte Link – Am Ende des Schweigens

Stanbury ist ein kleines Dorf im Westen von Yorkshire, eine romantische Gegend, in der einst die Bronte-Schwestern zuhause waren. In dem Anwesen Stanbury House verbringen jedes Jahr drei deutsche Ehepaare die Ferien, die Männer sind seit Schulzeiten miteinander befreundet. Patricia Roth ist die Eigentümerin des Anwesens, ihr Mann Leon ist Anwalt, die verwöhnten Töchter Diane und Sophie sind zwölf und zehn Jahre alt. Das zweite Paar bilden der Psychologe Tim und seine depressive Frau Evelin. Relativ neu im Kreis ist Jessica, die erst seit einem Jahr mit Alexander verheiratet ist. Obwohl sie ihn erst nach der Scheidung kennen lernte, steht seine fünfzehnjährige Stieftochter Ricarda ihr rigoros ablehnend gegenüber.

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Herles, Wolfgang – Dann wählt mal schön

Fragt man den Mann auf der Straße nach seiner politischen Lageeinschätzung, wird man vermutlich hören: „Der Schröder kann’s nicht, die Merkel wird’s auch nicht packen. Im ganzen System steckt der Wurm drin.“ Wolfgang Herles, ZDF-Journalist für Politik und Kultur, sagt in seinem neuesten Buch „Dann wählt mal schön“ das Gleiche etwas ausführlicher. Das Versagen bei den drückenden Problemen wie der Arbeitslosigkeit liege an fehlendem Mut und bringe die Demokratie insgesamt in die Krise. Unter diesen Umständen bringen Wahlen – oder vorgezogene Neuwahlen – keine Besserung, wie der bitter-ironische Titel aussagt. In acht Kapiteln beschreibt Herles verschiedene Aspekte dieser Lage.

Im ersten Kapitel _Von der Politikverdrossenheit zur Demokratieverdrossenheit_ sieht Herles durch die Unfähigkeit der Parteien und die Gleichgültigkeit der Bürger eine Politikverdrossenheit, welche die Demokratie in Gefahr bringen könne. Populistische Politiker schüren falsche Erwartungen, die die Lage eher noch verschärfen. Zur Erklärung, warum nun gleich die Demokratie bedroht wäre, fällt Herles nichts anderes als das alte Klischee vom bösen Deutschen ein, der die Demokratie zu spät kennen gelernt habe, sie eigentlich immer noch ablehne und sich lieber hinter – gerne auch mal kriegerische – Führer schare. Dass die Briten sich unter unzähligen Leichen ein in der Geschichte einmaliges Kolonialreich zusammengeräubert hatten und Freiheit und Demokratie außerhalb ihrer Insel nur selten vertraten, dass die Franzosen seit 1789 gleich drei autoritäre Führer kürten (Robespierre, Napoleon Bonaparte, Napoleon III.) und dass heute in etlichen osteuropäischen Ländern die alten kommunistischen Parteien höhere Wahlergebnisse haben als die SED-PDS-Linkspartei in den neuen Bundesländern, davon lässt sich Herles seine einmal angewöhnten Vorurteile nicht durcheinander bringen. Seitenweise zitiert er dann aus Uwe Tellkamps heiß diskutiertem Roman (!) „Der Eisvogel“, als handele es sich dabei um ein wissenschaftliches Werk, und unterstellt ohne jeden Beleg, dass viele Deutsche die radikalen Äußerungen des Protagonisten teilten. Im Abschnitt über Extremismus folgt das, was man befürchten durfte: Buchhalterisch protokolliert er etliche Lappalien über die sächsische NPD und verlässt das Thema seines Buches. Linksextremismus und Islamismus kommen dagegen nicht vor, die PDS hält Herles allen Ernstes für „verfassungstreu“ (S. 43).

Der Bevölkerung wirft Herles neben der Anspruchshaltung Gleichgültigkeit und Inkompetenz vor. Doch die von ihm genannten Umweltgruppen, die zum Schutze des Feldhamsters den Ausbau der Infrastruktur verhindern, sind eine kleine Minderheit und haben nur deshalb gelegentlich Erfolg, weil Gerichte ihren Beschwerden aufgrund bestehender Gesetze recht geben. Dagegen haben vier bis fünf Millionen Deutsche 1999 gegen die doppelte Staatsbürgerschaft unterschrieben und damit mehr politischen Verstand bewiesen als die Regierung. Während in den Niederlanden und Großbritannien eingebürgerte Moslems islamkritische Regisseure oder Londoner U-Bahn-Passagiere umbringen, erhalten in Deutschland täglich neugeborene ausländische Kinder per Automatismus einen deutschen Pass. Dass die Deutschen aber heute in der Tat so gleichgültig sind, die Sache so kurz vor der Wahl nicht wieder aufs Tapet zu bringen, wäre einer Erörterung wert (aber dazu müsste einem das Thema schon eingefallen sein).

Das Kernproblem dieses Kapitels ist es, dass zentrale Begriffe wie Demokratie, Populismus und Extremismus nicht definiert werden und Herles nun fröhlich seine Floskeln und Urteile repetieren kann. Immerhin fordert er deutliche inhaltliche Auseinandersetzungen, den Mut zur Freiheit samt ihrer Risiken und bekennt sich zur Marktwirtschaft als integralem Bestandteil der Demokratie (S. 33).

Das zweite Kapitel _Die Reihen fest geschlossen_ (Preisfrage: Woher stammt dieses Zitat?) beschreibt die Machtausübung der Parteien und ist schon lesenswerter. Auch hier gibt es keine Definitionen der Begriffe Demokratie oder Führung, aber zumindest Annäherungen. Wenn die Führungsprinzipien des früheren neuseeländischen Finanzministers Douglas referiert werden, ist das ein Höhepunkt des Buches. Aber sobald es interessant wird, bricht Herles ab. Hier wäre eine Analyse der aufgezählten Grundsätze am Platze gewesen. Auch sonst, wenn Herles konkret wird und Probleme wie die Macht des Bundesrates (S. 56), die Mediendemokratie (S. 60f) oder den „Geschlossenheitskult“ der Parteien (S. 62ff) beim Namen nennt, kratzt er nur an der Oberfläche und huscht zum nächsten Punkt.

Und wieder mal ist das Volk an allem schuld: Wenn solche Politiker, die auf Show statt auf Inhalte setzen, Karriere machen und solche, die Fehler zugeben und zurücktreten, keine zweite Chance erhalten, dann nur, so Herles, weil das Volk es so wünsche, und nicht etwa weil berechnende Parteiführer dies so steuerten. Beweise oder zumindest Anhaltspunkte für diese Behauptungen? Wieder Fehlanzeige. Der Autor selbst erwähnt Friedrich Merz (CDU), Oswald Metzger (Grüne) und Horst Seehofer (CSU), der als „in der Bevölkerung und der Parteibasis verankert“ (S. 71) galt. Alle drei wurden von ihren Parteiführungen kaltgestellt, nachdem sie programmatische Defizite der eigenen Parteien angesprochen hatten. Was könnte also ein einfacher Bürger erreichen, wenn schon die Funktionäre der zweiten Reihe scheitern?

Sehr lesenswert dagegen sind Herles’ Beschreibungen der Techniken und Methoden, mit denen echte Diskussionen unterbunden werden, seien es Totschlagargumente („alternativlos“, „soziale Gerechtigkeit“), die Förderung von Anpassern oder die Zurückhaltung der Parteiführer in Grundsatzfragen. Die Weltfremdheit idealistischer Vorstellungen von „Objektivität“ oder „Gemeinwohl“ wird ebenso wie auch die unrühmliche Rolle der Presse beim Ersticken harter Diskussionen dargestellt. Das hat man selten so deutlich und rücksichtslos gelesen. Die Attacke gegen die Selbstverdummung namens „Politische Korrektheit“ bleibt bei aller Richtigkeit erstaunlich zahm.

Das dritte Kapitel _Die Entwertung der Politik_ behandelt die Entmachtung des vom Volk gewählten Parlamentes. Herles beschreibt den Abfluss der Parlamentsmacht in die sechs Richtungen Regierung, Bürokratie, Medien (und Wahlkampfmarketing), Berater, EU und internationale Wirtschaft. Die vielen Facetten der (Selbst-)Entmachtung des Gesetzgebers wie das Fehlen von Denkfabriken oder die Ein-Themen-Berichterstattung der Medien werden von Herles deutlich benannt, leider geht er auch hier nicht in die Tiefe. Weiter benennt er Probleme des Wahlrechts, so z. B. dass der Bürger am Wahltag nur eine Partei mit ihrer vorgegebenen Bewerberliste und |allen| ihren Programmpunkten wählen kann. Erfrischend ist es, wenn zu den Problemen auch mal Lösungsvorschläge gemacht werden. So liest man, dass sich in England Bewerber um ein Unterhausmandat einer fachlichen Prüfung unterziehen müssen oder der Parteienkritiker Johannes Heinrichs die Ersetzung des Bundestages durch vier Fachparlamente vorgeschlagen hat. Man hätte hier noch das Kumulieren und Panaschieren aus einigen deutschen Kommunalwahlrechten erwähnen können. Dass es aber noch tiefer liegende Konflikte gibt, die nichts mit der politischen Ordnung in Deutschland oder den gegenwärtigen Problemen zu tun haben, reißt der Autor immerhin an: Einerseits heißt Demokratie Mehrheitsentscheidung, andererseits hat die Mehrheit nicht immer Recht. Einerseits wollen wir weniger Bürokratie, andererseits mehr Einzelfallgerechtigkeit. Einerseits braucht das Parlament des Fachwissen der Experten, andererseits sind die Grenzen zwischen beraten und entscheiden fließend.

In den Kapiteln 4 und 5 _Das Elend des Populismus_ bzw. _Kleines Panoptikum der Populisten_ dokumentiert Herles den Populismus der Altparteien. Endlich erfolgen auch Definitionen dieses für das Buch so wichtigen Begriffs. Populismus ist danach die emotionale Propaganda-Nebelkerze. Man macht gute Laune, verkündet Optimismus, redet die Probleme klein und erzählt einfach, was das Publikum (mutmaßlich) hören will. Verdienstvoll ist die Entlarvung eines spezifisch bundesdeutschen Populismus, dem Gerede von der guten, alten Zeit mit Vollbeschäftigung und funktionierenden Sozialversicherungen, die bestimmt bald wiederkomme, man müsse nur etwas Geduld haben. Wenn Herles die Methoden der Politiksimulation seziert, von Job-Gipfeln (erinnert sich noch jemand?) bis zu (Ohn-)Machtworten, ertappt man sich während der Lektüre beim Grinsen und denkt an die Worte des römischen Dichters Juvenal: „Es fällt schwer, keine Satire zu schreiben“. Das Abwürgen von Diskussionen durch moralische Aufheizung von Themen wird am Beispiel Tsunami gut beschrieben, wäre aber einer tiefer gehenden Untersuchung wert gewesen. Im Panoptikum werden der Spaßkanzler, Franz „Heuschrecke“ Müntefering, Bayern-Ede, „Politpopper“ Westerwelle und Bundestaxifahrer Joschka in ihrer jeweiligen Ausprägung von Populismus beschrieben. Eine Sonderstellung hat Angela Merkel inne, die „Vorsitzende der kalten Herzen“ („Die Zeit“); sie ist offenkundig sogar für Populismus zu blass. In diesen aufschlussreichen wie witzigen Porträts kommt Herles seinem Anspruch auf Analyse am nächsten.

Die _Politik im Glashaus_ präsentiert das sechste Kapitel. Es ist zu begrüßen, wenn Politiker das Arbeitsleben kennen und auch werthaltige Arbeit leisten. Von daher sagt Herles völlig zu Recht, dass Nebentätigkeiten von Politkern nicht grundsätzlich verwerflich sein müssen … aber sein können. Es werden einige interessante Fälle von Interessenüberschneidung politischer und geschäftlicher Tätigkeiten |namentlich| genannt (S. 174 ff). Am Fall von Ludger Vollmer (Grüne) und der Bundesdruckerei sieht man, dass es beim Visa-Skandal nicht nur um Schlampereien oder Multikulti-Fanatismus ging, sondern auch gut verdient wurde (S. 175). Die Namen der Parteispendenskandale der letzten Jahre wie Hunzinger, Bimbes oder Elf-Aquitaine zu lesen, ekelt einen nur noch an. Der Abschnitt über Ämterpatronage bleibt etwas dürr; hier wird nur ein Fall besprochen, der leider immer noch nicht ganz geklärt ist.

Schwachpunkte sind die beiden letzten Kapitel _Das Versagen der Gesellschaft_ und _Der Moses-Komplex_. Zunächst gibt es einen Rundumschlag gegen das Bildungssystem, die Wirtschaftselite und die sogenannten Intellektuellen. Wieder mal hechelt Herles durchs Gelände, alles nur kurz anreißend. Peinlich ist hierbei der Abschnitt über die Manager. Gerade aufgrund ihrer Gestaltungsmöglichkeiten bilden die Manager eine sehr heterogene Gruppe. Herles wird hier selber populistisch, indem er ihnen pauschal eine rücksichtslose und kurzsichtige Profitgier unterstellt. Natürlich gibt es solche Fälle, aber dann soll man diese Beispiele beschreiben und keine Klischees verbreiten. Bezeichnenderweise enthalten die Seiten, auf denen die Meinungsäußerungen besonders wüst ins Kraut schießen, die wenigsten Belege und Quellenangaben. Im letzten Kapitel wiederholt der Autor mit dem von ihm entdeckten „Moses-Komplex“ anhand der biblischen Geschichte vom Auszug aus Ägypten noch einmal die Hauptthesen des Buches: Moses (der autoritäre Führer) führt mit Drohungen und Versprechungen die Israeliten (das Volk), die zwischen Anpassung und Murren schwanken, durch die Wüste, während sein Bruder Aaron (der Populist) ihnen erzählt, was sie hören wollen. Abschließend folgen dann doch noch einige konkrete, wenn auch altbekannte Vorschläge, von der strikten Aufgabentrennung zwischen Bund und Ländern bis zur Begrenzung von Amtsdauern. Geradezu rührend ist jedoch der Aufruf an die Wähler, ungültige Wahlzettel abzugeben. Mittlerweile dürfte der Anteil ungültiger Stimmen vom Promillebereich auf fünf Prozent (!) angestiegen sein. Aber die Medien, auch Herles’ Haussender ZDF, liefern uns am Wahlabend weiterhin nur die prozentualen Ergebnisse und lassen die ungültigen Stimmen ganz unter den Tisch fallen. So heißt es dann auf der letzten Seite: „Dann wählt mal schön“, aber es bringt ja eh nichts. Alles Scheiße, euer Wolfi.

_Fazit_: Die derzeitige verrückte Lage zwischen Schröders Kapitulationserklärung im Mai und dem wahrscheinlichen Neuwahltermin im September 2005 hat Wolfgang Herles zum Anlass genommen, ein Buch über die grundsätzlichen strukturellen Probleme der deutschen Politik zu schreiben. Vielleicht haben sich Autor oder Verlag höhere Verkaufszahlen erhofft, wenn das Buch noch vor den Neuwahlen erscheint, jedenfalls scheint vieles unausgereift und mit heißer Nadel gestrickt. Grundsätzlich wäre diesem Buch, das zwar kaum wirklich Neues bringt, aber sein komplexes Thema umfassend beleuchtet, eine zweite, dann aber gründlich überarbeitete Auflage zu wünschen. Wolfgang Herles könnte sich große Verdienste erwerben, wenn er dann
– sich strikt auf sein Thema konzentriert und nicht abschweift,
– seine zentralen Begriffe definiert,
– die Aspekte der verfahrenen Lage nicht nur an der Oberfläche beschreibt, sondern wirklich analysiert,
– mehr erprobte Lösungsbeispiele aus der Vergangenheit oder dem Ausland präsentiert,
– und seine teils irrationalen Meinungsäußerungen entweder belegt oder unterlässt.

Überhaupt sollte Herles seine Abneigung gegen die deutschen Bürger selbstkritisch überdenken. Wenn Patriotismus nur altmodisches Gedöns ist, warum sollte sich dann überhaupt noch jemand für unser Land einsetzen? Wenn das Volk wirklich dumm, habgierig und kurzsichtig ist, warum sollte man dann noch für die Demokratie sein? Und wenn überhaupt alle – Volk, Politik und Wirtschaft – unfähig sind und Reformen unmöglich machen, warum lohnt es sich dann noch, kritische Bücher zu schreiben?

Auf jeden Fall sollten in einer möglichen zweiten Auflage einige sachliche Fehler beseitigt werden:
Franz Schönhuber war vielleicht von Anfang an Mitglied der Republikaner, gegründet wurde die Partei aber von Ekkehard Voigt und Franz Handlos (S. 38).
Dass es in der BRD noch keine Ein-Parteien-Regierung gegeben hat, liegt an Mehrheitsverhältnissen und politischen Entscheidungen, aber keineswegs an Vorgaben des Grundgesetzes oder des Wahlrechts (S. 55).
Fremdsprachen sind nützlich. Wenn man z. B. weiß, dass im Englischen |interest| nicht nur Interesse, sondern auch Zins heißen kann, versteigt man sich nicht zu abenteuerlichen Interpretationen über die Titel britischer Dokumente (S. 178).

Goga, Susanne – Leo Berlin

Historische Krimis haben immer ihren ganz eigenen Reiz. Die Kombination aus Krimihandlung und historischen Hintergründen bereichert den eigentlichen Plot und lässt die Geschichte ganz allgemein vielschichtiger erscheinen. Dies trifft auch auf Susanne Gogas Debütroman „Leo Berlin“ zu.

Angesiedelt ist die Handlung im Berlin der zwanziger Jahre. Wir schreiben das Jahr 1922: Beginnende Inflation, das aufgeheizte politische Klima der Weimarer Republik, tristes Hinterhofleben der Arbeiterklasse im Gegensatz zu eleganten Villen der Oberschicht – eine kontrastreiche und spannende Epoche der Geschichte. Zu dieser Zeit ermittelt Kommissar Leo Wechsler in einem Mordfall. Der Wunderheiler Sartorius, der Patienten aus den besten Kreisen behandelte, wird tot in seiner Wohnung aufgefunden – erschlagen mit einer Buddhafigur aus Jade.

Bei den Ermittlungen stellt sich heraus, dass der Wunderheiler kein unbeschriebenes Blatt war. Er „therapierte“ eine Reihe von Patienten mit Kokain. Ob hier der Grund für den Mord zu suchen ist? Wechslers Nachforschungen führen ihn in die Wohnzimmer der feinen Gesellschaft, doch die Ermittlungen treten eher auf der Stelle.

Als wenig später im Scheunenviertel eine in die Jahre gekommene Prostituierte ermordet wird, wird der Fall Sartorius zunächst einmal beiseite geschoben. Wechsler und seine Kollegen ermitteln in den dunklen Straßen des Viertels und suchen in den Kokainhöhlen und Rotlichtkaschemmen nach Anhaltspunkten. Wieder einmal scheinen alle Spuren ins Nichts zu führen. Ob ein Zusammenhang zwischen den beiden Mordfällen besteht? Eigentlich abwegig, aber Wechsler zweifelt …

„Leo Berlin“ ist ein Roman, den man schon auf den ersten Seiten lieb gewinnt. Mit Leo Wechsler präsentiert Susanne Goga eine Hauptfigur, die gleichermaßen sympathisch wie interessant ist. Wechsler ist achtunddreißig Jahre alt und Witwer, mit zwei Kindern, von denen das älteste acht ist. Wechsler lebt in einem tristen Wohnblock in Moabit, kann die Familie aber mit seinem relativ sicheren Polizistengehalt trotz der wirtschaftlich unsicheren Zeiten ordentlich ernähren. Seit dem Tod seiner Frau lebt seine Schwester Ilse bei ihm, die sich Sorgen macht, dass das Leben vollends an ihr vorbeizieht, während sie Leos Kinder hütet und ihm den Haushalt macht. Private Probleme sind da vorprogrammiert.

Wechsler ist ein vielseitig interessierter Mann. Beruflich ist er für seine Hartnäckigkeit berüchtigt, im Privaten gilt sein Interesse der Kunst. Wechsler wirkt lebensnah und ist eine echte Bereicherung für den Roman. Gogas Bild der Berliner Gesellschaft der zwanziger Jahre wird vor allem durch die privaten Erlebnisse von Leo Wechsler getragen. Sein Leben in Moabit, seine gesamte familiäre Situation ist die Projektionsfläche der historischen, gesellschaftlichen Hintergründe und damit eines der wichtigsten Elemente des Romans.

So wie bei Protagonisten ähnlich angelegter historischer Krimis, wie z. B. der Inspektor-Pitt-Romane von Anne Perry oder der Fandorin-Reihe von Boris Akunin, gehen Figurenskizzierung und zeitlicher, historischer Kontext Hand in Hand. Geschichte zum Mitfühlen sozusagen. Die Figur des Leo ist obendrein interessant genug, um ausbaufähig zu sein, und tatsächlich scheint Susanne Goga bereits einen zweiten Leo-Wechsler-Krimi zu planen. Gut so, denn „Leo Berlin“ macht durchaus Lust auf mehr.

Faszinierend ist nicht nur die Hauptfigur an sich, auch das Wechselspiel zwischen den einzelnen Figuren ist überzeugend. Die familiären Spannungen zwischen Leo und Ilse machen den Roman auf der einen Seite interessant, das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Leo und seinem Kollegen von Malchow auf der anderen. Von Malchow ist ein Gegenpol zu Leo. Während Leo eher aus ärmeren Verhältnissen stammt, ist von Malchow adeliger Herkunft, was zur damaligen Zeit im Polizeidienst offenbar nicht ungewöhnlich war.

Von Malchow trägt seine adelige Herkunft recht aggressiv zur Schau und sorgt damit im Arbeitsalltag für einige Turbulenzen. Sein politisches Denken bestimmt sein Auftreten und immer wieder provoziert er den eher gemäßigten Leo Wechsler mit seinen rechtsnationalen Ansichten. So gibt es auch auf der Arbeit einiges an Zündstoff, und die politische Situation der Weimarer Republik wird sehr gut in die Geschichte einbezogen.

Doch „Leo Berlin“ ist nicht nur eine interessante Studie der zwanziger Jahre, auch die Spannung kommt nicht zu kurz. Dabei ist der Leser den Ermittlern stets einen Schritt voraus. Goga wechselt immer wieder die Perspektive und teilt dem Leser in eingeschobenen Absätzen immer wieder die Gedanken des Täters mit. So kann der Leser schon herausfinden, wer der Täter ist, bevor die Geschichte zur Hälfte erzählt wurde. Doch dieser Umstand entpuppt sich kaum als Spannungskiller.

Goga rückt das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Ermittlern und Täter in den Mittelpunkt. Man weiß als Leser, dass der Täter noch auf einen weiteren Schachzug aus ist, und so werden die Ermittlungen zu einem Lauf gegen die Zeit. Spannend bleibt die Geschichte damit bis zum letzten Moment, zumal Goga es versteht, beide Ebenen der Hauptfigur Leo Wechsler interessant verlaufen zu lassen – die private genauso wie die berufliche. Auch der Täter ist unkalkulierbar genug, um die Spannung aufrecht zu erhalten.

Sprachlich liest sich das Ganze sehr angenehm und unterhaltsam. Gogas Stil ist recht einfach gehalten und lässt sich locker und flott herunterlesen. Eingestreute Dialoge mit Berliner Akzent sorgen für das nötige Lokalkolorit. Sowohl die Figuren als auch die Zeit werden damit für den Leser schön plastisch. „Leo Berlin“ ist ein rundum schön zu lesender Unterhaltungskrimi. Wahre geschichtliche Ereignisse werden mit der Handlung verwoben, was den Roman umso authentischer erscheinen lässt.

Alles in allem, weiß Susanne Goga mit ihrem Debütroman recht ordentlich zu überzeugen. Sie lässt gute Recherchearbeit erkennen und mixt aus Fakten und Fiktion einen schmackhaften, gut bekömmlichen Cocktail aus Krimi und sensibler Zeitstudie. Die Figuren wirken lebendig, die Handlung ist spannend und der Leser kann sich dank der so stimmig in die Handlung eingewobenen Studie der zwanziger Jahre wunderbar in die damalige Zeit versetzen.

Die zwanziger Jahren sind schon ein recht interessantes Jahrzehnt, zumal sie nicht sonderlich oft als Stoff für Romane der jüngeren Literatur herhalten müssen. Leo Wechsler kann es dabei durchaus mit viel gelesenen Kollegen wie Fandorin aufnehmen, denn die Geschichte rund um seine Ermittlungsarbeit und sein Familienleben ist spannend und atmosphärisch dicht erzählt. Schöne, erfrischend abwechslungsreiche Krimikost mit gut skizzierten Figuren, von denen man durchaus noch mehr erfahren möchte. Aber vielleicht werden wir das ja schon in absehbarer Zeit. Wünschenswert wäre es in jedem Fall.

Yamada, Futaro / Segawa, Masaki – Basilisk – Chronik der Koga-Ninja (Band 1)

Japan in der Edo-Periode: Die rivalisierenden Clans der Koga und der Iga haben nach langen Jahren des Kampfes einen Nichtangrifsspakt geschlossen, sind sich aber dennoch nicht wirklich grün. Als eines Tages zwei ihrer Oberhäupter, O-Gen von Iga und Danjo von Koga, aufeinander treffen und im Streit auseinander gehen, heben sie diesen Pakt wieder auf und beschließen, dass die engültige Herrschaft über das Reich in einem Ninja-Kampf ausgefochten werden soll. Die jeweils zehn besten Ninjas jedes Klans sollen sich in einer finalen Schlacht um Leben und Tod gegenüberstehen, darunter auch die beiden Klanführer. Doch diese sind voller Hinterlist und Tücke und bekriegen sich bereits, bevor die eigentliche Kunde an die Klans verkündet wurde. Beide sterben im direkten Duell und das Dokument über die Aufhebung des Nichtangriffspakt gerät in die Hände der Iga. Mit diesem Vorteil will sich dieser Klan bereits vor dem Endkampf seiner Gegner entledigen, doch die Koga riechen bereits Lunte …

Koga-Oberhaupt Gennosuke und seine Geliebte, Oboro aus Iga, wissen von den Geschehnisen noch nichts und planen ihre Hochzeit und den damit verbundenen Friedensplan zwischen den beiden Klans. Als ihnen bewusst wird, dass sich merkwürdige Dinge abspielen, wird ihnen bewusst, dass ihre Liebe auf eine harte Probe gestellt wird …

„Basilisk – Chronik der Koga-Ninja“ basiert auf einer Story von Futaro Yamada, der 1922 in der Präfektur Hyogo geboren wurde und am 28. Juli 2001 verstarb. Yamada debütierte bereits während seines Studiums an der medizinischen Hochschule als Schriftsteller und schrieb vornehmlich Krimis und Horrorgeschichten wie zum Beispiel „Der Dämon im Auge“. Mit seinen verschiedenen Ninja-Chroniken löste er später einen richtigen Boom aus und wurde nicht zuletzt durch seine historischen Romane zum bekannten und populären Volksschriftsteller.

Masaki Segawa feierte sein Debüt 1997 mit „Senma Monogatari“ („Geschichten von den tausend Teufeln“). Anschließend kreierte er seine eigene Serie „Onikiri Jzo“ („Juzo, der Dämonentöter“) und hatte damit zwischen 1998 und 2000 großen Erfolg in seiner Heimat. „Basilisk“ ist nun seine zweite Langserie, jedoch die erste, die auf einer literarischen Vorlage basiert.

_Bewertung:_

Der Einstieg in „Basilisk“ ist gar nicht mal so einfach. In kürzester Zeit werden sehr viele Charaktere vorgestellt, und dabei ist es nicht leicht auseinander zu halten, welche Person nun zu welchem Klan gehört und wer nun wer ist. Erst in der Mitte dieses ersten Bandes ist man mit den Hauptpersonen vertraut und kann zwischen Gut und Böse unterscheiden. Bis dahin hat sich aber auch schon eine Menge getan; wichtige Menschen sind ums Leben gekommen, Intrigen wurden gesponnen und falsche Fährten ausgelegt.

„Basilisk“ ist dabei voller Überraschungen und Wendungen, und nicht alles, was auf den ersten Blick so scheint, ist im Endefekt auch tatsächlich so. Was hiermit gemeint ist, sollte man jedoch besser selber in Erfahrung bringen, ansonsten verrate ich schon zu viel.

Die Geschichte an sich ist sehr spannend dargestellt und vor allem verdammt gut illustriert. Verschiedene Handlungseinheiten verlaufen parallel und eröffnen der Geschichte fortlaufend neue Möglichkeiten, die jedoch erst einmal ungeklärt bleiben. Gut so, denn das hält den Leser die ganze Zeit über bei der Stange und lässt ihn sich nicht nur an den Action-Darstellungen laben …

Die düsteren Zeichnungen bringen die Bösartigkeit der Protagonisten dabei sehr gut zur Geltung, wobei die einzelnen Gesichtszüge eine echte Augenweide sind. Toll sind diesbezüglich besonders die finsteren Iga-Ninja, deren geheimnisvolle Aura ebenfalls sehr gut in Bilder gepackt wurde. Im Mittelpunkt stehen aber ganz klar die Kämpfe, denen dementsprechend auch vom Seitenumfang her ein großer Raum gewährt wird. Aber darum geht es ja schließlich auch bei „Basilisk“, um fesselnde Action, verpackt in eine abwechslungsreiche, zu jeder Seite offene Story. Segawa ist es sehr gut gelungen, die Romanvorlage von Futaro Yamada zu illustrieren, wobei seine Detailverliebtheit sich sowohl bei den Darstellungen der Figuren als auch bei den zunächst schlicht wirkenden Hintergrundzeichnungen zeigt. Der erste Band „Basilisk – Chronik der Koga-Ninja“ ist daher auch zweifelsohne eine echte Empfehlung für Anhänger knallharter Action in Manga-Form. Über die Nachfolgebücher werden wir hier ebenfalls in Bälde berichten. Bis dahin gilt es aber erst einmal, diese Graphic Novel hier zu verdauen!

Delano, Jamie / Ridgway, John / Alcala, Alfredo – Erbsünde (John Constantine – Hellblazer: Original Sins)

„Der Kampf zwischen Himmel und Hölle wird auf der Erde entschieden.“ Mit diesem Slogan möchte Warner Bros. das Publikum in den Horror-Streifen „Constantine“ locken beziehungsweise zum Griff zur DVD-Fassung bewegen. Gar nicht übel. Kampf, Himmel, Hölle – das sind Schlagwörter, die das Adrenalin ankurbeln. Als Grundlage für den Film diente die okkulte Comic-Serie „Hellblazer“. Die Filmfigur hat mit dem zwielichtigen Comic-Helden John Constantine nur wenig gemeinsam.

John Constantine ist Brite und trägt einen schmutzigen Trenchcoat. Er ist Kettenraucher, ein notorischer Einzelgänger und ein Spieler. Arroganz und Sarkasmus zeichnen ihn aus. Unzählige Male spazierte er auf den Pfaden zwischen Himmel und Hölle, tanzte am Rande des Vulkans. Seine Gegenspieler sind manchmal Dämonen, manchmal Erzengel. Öfter hat er es jedoch mit Seinesgleichen zu tun, mit Menschen.

Die Welt von Hellblazer ist wie ein Blick hinter die Kulissen der Wirklichkeit. Seit er in seiner Jugend begann, sich mit Magie zu beschäftigen, wandelt die Hauptfigur John Constantine auf Wegen fernab der normalen Welt. Lust am Risiko und der Wunsch nach Macht haben ihn dazu getrieben, in jungen Jahren die dunkle Kunst der Magie zu erlernen. Inzwischen ist er ein reumütiger Sünder, ein Magier, der am eigenen Leib erfahren hat, was überirdische Macht anrichten kann. Auf seinem Weg ist er einsam geworden. Regelmäßig tauchen die Geister von toten Freunden auf und verfluchen ihn. John versucht sich einzureden, nichts mit ihrem Unglück zu tun zu haben und streitet jede Schuld ab. Inzwischen ist sein einziger zuverlässiger Wegbegleiter ein schlechtes Gewissen.

In Deutschland erscheinen John Constantines Abenteuer im Verlag |Schreiber & Leser|. In der Gesamtausgabe „Erbsünde“ sind die ersten neun Hefte der Hellblazer-Reihe zusammengefasst. Obwohl es sich um eine Reihe von Einzelgeschichten handelt, lassen sich die Episoden einander zuordnen und in Zusammenhang bringen.

Die ersten beiden Hefte drehen sich um Freundschaft, Gier und falsche Entscheidungen. Gary Lester, ein alter Freund von Constantine, taucht plötzlich in der Londoner Wohnung des Magiers auf. Als John ihn findet, ist Gary über und über mit Insekten bedeckt. Ein summender Albtraum, dem der Magier pragmatisch entgegen tritt. Er läuft ins nächste Geschäft und kauft sechs Dosen Insektenspray. Nachdem die zuckenden Tierchen zu Tausenden den Boden von Johns Badezimmer bedecken, will er wissen, was los ist.

Gary ist verzweifelt und braucht dringend Hilfe. Er hat sich mit finsteren Mächten eingelassen. Wie es scheint, zog er bei einem Aufenthalt in Tanger die Aufmerksamkeit des Hungerdämons Mnemoth auf sich. Johns Nachforschungen führen ihn zunächst nach Afrika, dem Ursprung allen Übels, dann nach Amerika. In New York angekommen, erschöpft vom Jetlag und mit Gary im Schlepptau, bittet er den berühmten Voodoo-Meister Papa Midnite um Rat und Hilfe.

Schnell zeigt sich, dass Mnemoth bereits angefangen hat, seine Fühler auszustrecken. Von Lester beschworen, feiert der Dämon in der Metropole seine Ankunft. Einzelpersonen kommen in die Schlagzeilen, weil sie unersättlichen Hunger verspüren und daran zugrunde gehen. Ein Postbeamter stopft wie ein Besessener Essen in sich hinein, ein Juwelier frisst Edelsteine, ein Passant durchbricht das Schaufenster einer Fleischerei. Um das drohende Unheil aufzuhalten, hecken Midnite und Constantine einen teuflischen Plan aus, für den Gary Lester den Preis zu zahlen hat. (1: Hunger, 2: Festessen mit Freunden)

Heft 3 schildert, wie der Dämon Blathoxi versucht, mit einer Armee von dämonischen Juppies Seelen für die Hölle zu gewinnen. Die Geschichte spielt zur Zeit Thatchers und ist eine Parodie auf junge Finanzleute, die rücksichtslos das schnelle Geld machen wollen. (3: Going for it)

Im Mittelpunkt der Hefte 4 bis 9 steht die Auseinandersetzung zwischen der Damnation Army und den Erweckungskreuzrittern. Erstgenannte Gruppe wird von dem Dämonen Nergal angeführt und lebt unter der Erde in der Kanalisation. Letztgenannte ist eine Sekte von christlichen Fanatikern, die im Fernsehen Bibeln verkaufen und Seelenheil versprechen. Nur langsam wird Constantine auf den Zwist zwischen den Gruppen des Himmels und der Hölle aufmerksam. Spätestens, als seine Nichte Gemma entführt wird und er miterleben muss, wie ein kleines Dorf von Geistersoldaten heimgesucht wird, kann er sich der Sache nicht mehr entziehen. (4: Warte auf den Richtigen, 5: Wenn Johnny in die Heimat marschiert, 6: Extreme Vorurteile, 7: Der Geist in der Maschine, 8: Intensivbehandlung, 9: Auf dem Weg zur Hölle)

John Ridgway und Alfredo Alcala zeichnen die Welt von John Constantine recht grob, hauptsächlich mit dunklen Farben. Die Darstellungen entsprechen oft einer halbnahen oder einer nahen Einstellung, was nur wenig Abwechslung bringt. Ein paar mehr Details und Totalen hätten sicherlich nicht geschadet. Vielfältiger kommt die Seitenaufteilung daher. Keine geordneten Panels, sondern zerrissene, gestückelte oder zerbrochene Bilderfolgen durchziehen das Heft.

Die Geschichten von Jamie Delano sind von recht unterschiedlicher Qualität. Die Teile über den Hungerdämon Mnemoth, Papa Midnite, Gemmas Entführung und die Geistersoldaten gehören sicherlich zum Lesenswertesten, was die Hellblazer-Reihe zu bieten hat. Fesseln diese Episoden den Leser von Anfang bis Ende, so sind andere Passagen leider scheußlich langatmig geraten. Man spürt, dass die Macher noch auf der Suche nach dem Stil und der Sprache der neu entstandenen Reihe waren. Ausflüge in Computerwelten und Verweise auf Superhelden wirken aus heutiger Sicht in der Hellblazer-Reihe merkwürdig und beinahe lächerlich. Trotz holpernder Spannung und gelegentlicher Fehltritte war „Erbsünde“ ein solider Start. Inzwischen ist John Constantine angekommen bei den Autoren, den Zeichnern und den Lesern. Der Verlag |DC Vertigo| hat mit „Hellblazer“ eine Horror-Reihe erster Güte geschaffen, die zum Glück bis heute weitergeführt wird.

Trondheim, Lewis – Wie das Leben so spielt (Herrn Hases haarsträubende Abenteuer, Band 10)

Comics aus Fernost sind angesagt. Asterix und Konsorten hingegen gelten als schnarchlangweilig. Das muss verwundern, ganz besonders, wenn Lewis Trondheim zu Stift und Papier greift. Seit Jahren bringt der Zeichner aus Montpellier mit solch witzig-poetischen Figuren wie Herrn Hase, Kaput & Zösky oder Der Fliege Leben in die frankobelgische Comicbude. Im Juni zog Trondheims Herr Hase zum zehnten Mal auf Abenteuer aus.

Lewis Trondheim liebt die Abwechslung. Jedes Mal ein anderer Schauplatz, eine andere Epoche, ein anderes Genre – die Grenzen seiner Serie „Herrn Hases haarsträubende Abenteuer“ sind klar und weit gesteckt. Dabei bleiben die Figuren immer gleich. Die Hauptfigur Herr Hase kommt mit den Wechseln gut zurecht und macht gelassen alles mit. So war der schüchterne Hoppler schon im Wilden Westen, im viktorianischen England und im Skiurlaub unterwegs. Blaue Bohnen, fiese Monster und Schneeballschlachten gibt es dieses Mal allerdings nicht.

Stattdessen veranstalten Herr Hase und seine Freundin Nadia in ihrem Appartement eine Party. Eingeladen sind diverse Pärchen und Singles, für Wein und Salat ist gesorgt, der Spaß kann beginnen. Unter den Gästen ist auch Marion, eine einsame und mollige Endzwanzigerin, die ein Auge auf den introvertierten Serge geworfen hat. Doch leider bahnt sich zwischen den beiden Singles so leicht keine nähere Bekanntschaft an. Serge ist zugeknöpft bis obenhin, Marion hat wegen ihres dicken Hinterns Angst, vom Stuhl aufzustehen. Nicht gerade eine glückliche Ausgangssituation.

Schon als sie auf die Party kam, war Marion nervös. Nicht wegen Serge, sondern wegen ihres slavonischen Tarot-Spiels. Das mollige Mauerblümchen schwört auf esoterischen Hokuspokus und hat in den Karten gelesen, dass einer der Partygäste in naher Zukunft sterben wird. Zum Glück ist Richard da, ein Freund von Herrn Hase und ein notorischer Spaßmacher. Mit ein paar frechen Sprüchen versucht er, die Stimmung wieder zu heben. Die ist allerdings im Eimer, als sich herausstellt, dass etliche Damen in der Runde die Party als günstige Gelegenheit wahrnehmen, sich von ihren jeweiligen Partnern zu trennen. Viktoria gibt dem kindischen Patrick den Laufpass, Céline dem Frauenheld Thierry, Alice dem ängstlichen Vincent. Die Herren sind von der »Sitzenlass«-Party völlig überrumpelt. Besorgt blickt Herr Hase zu Nadia. Ob sie auch mit ihm Schluss macht?

Trondheims Stil kommt leicht und lebendig daher. Von seinen sanften Zeichnungen geht ein kindlicher Charme aus, der das Naturell seiner Figuren und Geschichten wiedergibt. Die Linien sind klar, die Farben kräftig. Jede Seite gliedert sich ordentlich in vier Zeilen mit ein bis vier Panels, ganz so, wie man es von frankobelgischen Alben gewöhnt ist.

Das neue Abenteuer von Herrn Hase bildet einen erfrischenden Gegenpol zu vielen actiongeladenen und sinnleeren Comic-Neuerscheinungen. Der Band besticht durch eine Mischung aus Unterhaltung, Spaß und Tiefsinn. Eine Geschichte über verärgerte Untermieter, düstere Prophezeiungen und das Glück der Liebe. Glaubt sich der Leser zunächst in einer Soap-Opera mit gelegentlichen philosophischen Entgleisungen, so steht er letzten Endes einer einfachen Frage gegenüber: Was ist im Leben eigentlich wichtig?

Sørensen, Per Helge – Intrigenspiel

Intrigenspiel ist der zweite Roman des dänischen IT-Spezialisten und befasst sich, schlicht gesagt, mit dem Manipulationspotenzial, das die neuen Medien bieten. Dementsprechend ist „Intrigenspiel“ nicht allzuweit entfernt von seinem Vorgänger „Mailstorm“, dessen Handlung sich ebenfalls auf der Plattform moderner Medien entfaltet.

_Spektakuläres aus Unspektakulärem:_ Die Grundidee von „Intrigenspiel“ reißt zunächst nicht vom Hocker – grenzüberschreitende Internet-Pornographie. Ehe man aber mit dem großen Gähnen beginnt, sollte man dem Buch unbedingt einen zweiten Blick gönnen, was Sørensen nämlich aus dem Thema herauskitzelt, ist so frisch und unverbraucht wie ein Frühlingsspaziergang:

Ausgangspunkt ist eine Internetseite, die die Vergewaltigung eines Schulmädchens darstellt. Zeitungspraktikantin Camilla Drejer sieht in dem resignierten Schulterzucken von Polizei, Politik und Kinderhilfsorganisationen einen willkommenen Aufhänger für eine Story, die sie in ihrer Karriere voranbringen soll. Der Druck, den sie mit ihrer Recherche auslöst, zwingt Ministerialrat Kristian Nyholm dazu, sich dieses Themas anzunehmen, die Kinderhilfsorganisation „Kinder in der Gesellschaft“ sieht sich gezwungen, Hilfe von außen zu holen, um den Gleichgültigkeits-Vorwürfen der Presse zu begegnen, und PR-Fachmann Morten Kyner bietet diese Hilfe in Form einer Software-Lösung, die die Kinderhilfsorganisation anwenden könnte. Und da wäre dann noch Herman, ein berufs- und beziehungsfrustrierter IT-Berater, der kurz vor der Kampagne auf eine „grenzüberschreitende Pornoseite“ gesurft ist und nun Gefahr läuft, vor die Flinte dieser Kampagne zu laufen und von den Medien geschlachtet zu werden …

_Achterbahnfahrt in Begleitung prall gezeichneter Figuren:_ Die Figuren, die der Leser vorgestellt bekommt, kann man fast atmen hören. Sie leben in ihrem eigenen, dichten Mikrokosmos und der Leser lernt so, die Situation aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln zu betrachten – man fiebert sogar mit manchen von ihnen mit, obwohl ihnen zweifellos das trübe Schicksal zusteht, dass ihnen droht. Dabei sind es genau ihre Schwächen, ihre Neurosen und ihre Entscheidungen, die „Intrigenspiel“ vorantreiben, ihre Schicksale verflechten sich so stark miteinander, dass jede ihrer Handlungen unmittelbare Folgen hat, die sich dominoartig über das gesamte Ensemble ausbreiten.

All das steigert sich in eine Spannungsspirale, die sich bis zum Finale zuspitzt. Man wird von Wendungen durchgeschüttelt und schnuppert vorsichtig an den Fährten, die Sørensen legt – nicht selten führen sie nämlich in die völlig falsche Richtung.

Als Paradebeispiel mag die erste Szene des Buches herhalten, startet sie doch mit scheinbar unspektakulärer Playboy-Optik, nur um einen mit einer fiesen Wendung vors Gesicht zu treten und dabei ganz nebenbei Herman vorzustellen: jene besagte Figur, die man eigentlich verabscheuen müsste, was man aber einfach nicht kann …

Das bleibt aber kein Einzelfall: Beinahe jede Szene von „Intrigenspiel“ ist in einen Spannungsaufbau eingebettet. Selbst ein Blick auf den Arbeitsalltag des Ministerialrates Kristian Nyholm presst den Leser förmlich in seinen Sessel:

|Es war 16:24 Uhr, als Nyholm die Unterlagen Korrektur las. Der Wagen des Ministers wartete mit laufendem Motor in der Tiefgarage, und Nyholm versuchte vergeblich, sich auf die letzten Verbesserungen der Pressemitteilung zu konzentrieren.
|Mit dem neuen Portal des Wissenschaftsministeriums …|
Im Vorzimmer klingelte das Telefon.
|Mit dem neuen Portal des Wissenschaftsministeriums …|
Einen Augenblick später stand Pernille im Türrahmen.
„Sag, dass es auf dem Weg nach unten ist“, bettelte Nyholm, der seine Nase in den Akten vergraben hatte. „Ich muss es nur noch ein letztes Mal lesen.“
„Es ist nicht das Ministersekretariat“, kam es von der Tür. „Es ist Leo Alting.“
|… auf gleicher Augenhöhe …|
Nyholm schüttelte den Kopf.
„Er sagt, dass es wichtig ist. Und dass er bald nach Hause gehen wird.“
|… auf gleicher Augenhöhe …|
„Kannst du ihn nicht zu Espen durchstellen?“
„Er möchte mit dir sprechen.“
|… auf gleicher Augenhöhe mit …|
„Und er ist auf dem Sprung nach Hause.“
Auf dem Telefon sprangen die Ziffern auf 16:25.|

Nur am Rande bemerkt: Sorensen konstruiert keine Spannung um der Spannung willen. Auch obige Szene ist mit dem Rest der Story verknüpft und stellt einen wichtigen Motor dar, der das Geschehen vorantreibt, zu einem Ende, an dem alles wohlkomponiert zusammenläuft.

_Da wäre aber noch …_
Es schlummern auch ein paar Schattenseiten zwischen den Buchdeckeln: Zwar vermeidet Sorensen durch seine indirekte und optische Schreibe lahme Erzählpassagen, dadurch entstehen aber auch Szenen, „gefilmte Handlungen“ sozusagen, die man verschieden auslegen könnte. Die „erklärende Stimme“ eines Erzählers wäre dort schon nötig gewesen.

Aufgrund der hohen Informationsdichte geht auch hin und wieder die Übersichtlichkeit flöten. Gerade all die Minister, Staatssekretäre und Ministerialbeauftragten, mit denen sich Kristian Nyholm herumstreiten muss, reißen den Leser stellenweise aus der Orientierung und man muss in ein früheres Kapitel blättern, um wieder Anschluss zu finden.

Oh, und wer sich die Spannung nicht verderben möchte, sollte sich möglichst vom Klappentext fernhalten …

_Fazit:_ Trotz allem ist „Intrigenspiel“ ein hervorragend geflochtenes Kabinettstückchen, das mit ziemlichem Vorsprung vor seiner Cyber-Thriller-Konkurrenz dahermarschiert.

Sørensens Insiderwissen über Internetsicherheit, über PR und über die Medien ist in jeder Zeile spürbar und tut ein Übriges, um dieses Buch auf eine Ausnahmeposition zu hieven – vor allem, da es so klar und anschaulich dargestellt ist, dass auch jemand ohne den geringsten Background die Story nachvollziehen und genießen kann. Sørensen hat übrigens selbst im dänischen Forschungsministerium gearbeitet und engagiert sich in der Organisation [Digital Rights]http://www.digitalrights.dk für die Sicherheit im Internet.

Freunden intelligent gesponnenen Thriller-Garns sei „Intrigenspiel“ daher ohne Einschränkung ans Herz gelegt. Man möge sich zurücklehnen und voller Häme die gallebitteren Spitzen genießen, die Sørensen auf Meinungsmache verschießt: „Sex mit Kindern ist der Ersatz, den die postreligiöse Gesellschaft für Blasphemie gefunden hat.“ Kein Kommentar.

Burgwächter, Till / Oidium, Jan – Zwischen Aasbüttel und Vaalermoor – Die Wahrheit über Wacken

Bei Bands entscheidet bekanntermaßen einem ungeschriebenen Branchengesetz zufolge das dritte Album über den weiteren Karrierefortgang. Ich hoffe aufrichtig, dass es bei Autoren anders ist.

Um das gleich vorweg zu schicken – „schlecht“ ist die Gemeinschaftsproduktion von Till Burgwächter und Jan Oidium, „Zwischen Aasbüttel und Vaalermoor“ betitelt, keineswegs. Aber gerade wenn man den Burgwächterschen Leistungslevel als Erwartungshorizont ansetzt, erhebt sich das Buch leider nicht über diesen hinaus.

Als Problem empfinde ich persönlich, dass Burgwächter sich viel zu oft in belanglosen und damit langweiligen Schwafeleien oder sogar der einen oder anderen schlicht niveaulosen Beleidigung ergeht. Demgegenüber stehen einige Anspielungen, Wortspiele und nadelstichgenaue Nickligkeiten, die selbst einem Oliver Kalkofe zur Ehre gereichen würden. Gerade wenn man diese Glanzlichter und die Tiefpunkte direkt gegenüberstellt, wird deutlich, dass das Buch nicht mit [„JGTHM“ 26 oder „Schmerztöter“ mithalten kann.

Weder am Autoren-Vorwort noch am „Mein schönstes Ferienerlebnis“-orientierten „Mein erstes Wacken 1997“ gibt es viel auszusetzen, allerdings gibt es bereits hier Passagen, die einfach nicht zünden. Das gilt leider auch für einige Buchstaben von „Wacken von A-Z“. Hier versucht der Autor, dem geneigten Leser anhand konkreter Aspekte Wacken in gewohnt satirischer Weise näher zu bringen – alphabetisch sortiert.

„Ein Lied für Wacken“ ist irreführend betitelt, denn nicht nur einer, sondern ganze sechs Songs wurden mit neuen Texten versehen, etwa MANOWARs ‚Carry On‘, BLIND GUARDIANs ‚A Past and Future Secret‘ oder JBOs ‚Ein guter Tag zum Sterben‘. Dieses ist allerdings leider ebenso wie ‚Panzer Division Steinburrg‘, angelehnt an Zitat „Marduk (Song egal)“, einer der Totalausfälle des Buchs.

Ganz anders die „Sternstunden“, das Wacken-Horoskop. Burgwächter setzt sternzeichentypische Eigenschaften in Bezug zum Wacken-Aufenthalt und rät, so etwa im Fall der Jungfrau, dann auch schon mal vom Besuch ab, wenn die Überlebenschancen gen null tendieren würden.

Ein mittelschweres Déjà-vu widerfuhr mir allerdings bei „Warum Iron Maiden niemals auf dem W:O:A spielen werden“. Hatte nicht auch schon [„Schmerztöter“ 981 etwas in dieser Art, nämlich den Prozess gegen den „anonymen“ Metalgott? Okay, es gibt Unterschiede, aber die Grundstruktur wirkte bedauerlich vertraut. Insgesamt allerdings erreicht diese Satire schon die Grenze des Grotesken, denn auch wenn Burgwächter sich Mühe gibt, alles möglichst surreal darzustellen, liegt der Ablauf des Interviews wohl nicht so ganz außerhalb des Möglichen …

Insgesamt sehr gut gemacht ist auch das Kapitel „Internationale Beziehungen“. Der Autor transportiert das W:O:A in verschiedene Länder dieser Erde und beschreibt den Ablauf. Hier finden sich allerdings auch einige der eingangs erwähnten niveaulosen Beleidigungen. Begriffe wie „Slawenschlampe“ etwa sind nach meinem Verständnis jenseits von Gut und Böse und nicht mehr mit „Satire“ zu entschuldigen. Auch verbrät der Autor hier zu begierig einige breit gefahrene Stereotype, die aufgrund ihrer Übernutzung einfach nicht mehr witzig wirken.

„Auf der Suche nach den Wurzeln …“ beendet das Buch dann schließlich mit einem Nicht-Wacken-Thema, dem Besuch eines Oldie-Festivals nämlich. Ich muss zugeben, dass der gesamte Text bei mir nicht mal ein Schmunzeln hervorrufen konnte. Konzentriert man sich auf das Ende des Textes und unterstellt dem Autor, hier beim Leser eher etwas Nachdenklichkeit provozieren zu wollen, muss man umgekehrt unterstellen, dass die berühmte „Moral von der Geschicht'“, auch schon einen mittelschweren Bart hat und der moralisch erhobene Zeigefinger sich hier möglicherweise in Auge oder Nase des Gegenübers verirrt haben könnte.

Das Buch basiert auf einer Idee Jan Oidiums und wurde von eben jenem mit einigen durchaus witzigen Illustrationen versehen, allerdings finden sich auch einige Bilder, die gemessen am nachweisbaren Talent des Zeichners eher die Bezeichnung „Skizze“ verdienen.

Wie bereits gesagt: „Zwischen Aasbüttel und Vaalermoor“ ist kein schlechtes Buch – es ist nur leider auch nicht Burgwächters bestes. Lesenswert dürfte es sein für Leute, die Burgwächters Stil bedingungslos verehren und Wacken-Maniacs, die die Zeit bis zum nächsten Festival mit einigen satirischen Kommentaren zu ihrem Lieblingsfestival verkürzen wollen. Mir bleibt die Hoffnung, dass Burgwächter beim nächsten Buch wieder eine Leistungssteigerung vorweisen kann wie zwischen „JGTHM“ und „Schmerztöter“, dann allerdings gemessen an „Schmerztöter“ als Ausgangsbasis.

Gaiman, Neil – Coraline – Gefangen hinter dem Spiegel

Coraline, ein kleines Mädchen, zieht mit ihren Eltern in ein altes Haus, das nur zur Hälfte bewohnt ist. Die Tür, die auf die andere Seite des Hauses führt, ist zugemauert. Weil ihre Eltern ständig arbeiten, wird der kleinen Coraline langweilig und sie erkundet ihre Umgebung. Die anderen Bewohner des Hauses erweisen sich als liebenswürdig schrullig.

Im Erdgeschoss wohnen zwei ältere Schauspielerinnen und ihre Hunde, und unter dem Dach wohnt ein alter Herr, der erzählt, er trainiere einen Mäusezirkus. Als es dann am nächsten Tag regnet und Coraline nicht nach draußen kann, um ihre Erkundungstour zu beenden, widmet sie sich der zugemauerten Tür. Doch wie sich erweist, ist die Tür auf einmal gar nicht mehr zugemauert und die Neugier treibt die Kleine auf die andere Seite. Sie gelangt in eine Wohnung, die der ihren beinahe gleicht! Dort wohnt ihre „andere Mutter“, die anstelle richtiger Augen Knopfaugen hat. Die „andere Mutter“ umgarnt das Mädchen, indem sie ihr ihre Liebe und andere zuckersüße Sachen verspricht. Doch Coraline findet schnell heraus, dass es die „andere Mutter“ nur nach ihrer und der Seele ihrer Eltern dürstet.

Sie entscheidet sich zu kämpfen und der unheimlichen Gefahr die Stirn zu bieten. Ein ungleiches Ringen um die Seelen beginnt …

Gaiman hat es erneut geschafft, ein relativ kurzes Buch von 175 Seiten mit skurrilem Horror voll zu packen.

Die Hauptfigur Coraline ist ein sympathisches und ausgesprochen intelligentes Mädchen, wenn man bedenkt, dass sie wohl noch zur Grundschule geht. Unter diesen Voraussetzungen bereitet es Freude, das Mädchen bei seinem Weg in die andere Welt zu begleiten und zu sehen, wie es sich den Gefahren und Merkwürdigkeiten stellt und mit ihnen zurecht kommt.

Gaiman versteht es vorzüglich, den Leser zu fesseln und ihn in die Welt hinter dem Spiegel zu ziehen. Dieses Motiv, dass hinter der normalen Welt noch eine andere, merkwürdige und beängstigende Welt lauert, ist schon fast klassisch Gaiman. In allen seinen Romanen findet sich dieses Motiv wieder. Sowohl in „Niemalsland“, in „Sternenwanderer“ und bei „American Gods“ taucht das Motiv einer Welt hinter der Welt, für den normalen Menschen nicht sichtbar, auf.

Das Interessante daran ist, dass man als Leser nie weiß, woran man ist. Gaimans Ideen sind innerhalb des Romans so wandelbar, dass eine ganz eigene Dynamik entsteht, durch die er es immer wieder schafft, den Leser zu erschrecken, zu überraschen und zu verstören. Dieser Kontrast, der aus der merkwürdigen Welt und dem Zusammenspiel mit Coraline entsteht, macht den Horror besonders faszinierend.

Mir bleibt es ein Rätsel, wie Gaiman es schafft, in einen so kurzen Roman so viele Skurrilitäten zu packen, ohne dass der Leser die Bindung zur Thematik verliert. Aber irgendwie ergibt alles einen merkwürdigen Sinn innerhalb der Handlung. Auch das macht einen Teil des faszinierenden Horrors bei „Coraline“ aus. Einerseits wünschte ich, dieses Buch hätte sechshundert Seiten gehabt, andererseits liegt diesmal in der Kürze wirklich die Würze.

„Coraline“ ist perfekt dazu geeignet, sich an einem regnerischen Samstag auf die Couch zu legen, das Buch in einem Rutsch gebannt durchzulesen und es dann völlig verstört am Sonntag gleich noch einmal zu lesen. Also: Wer auf skurrilen Horror in feinster Märchenqualität steht oder denkt, ihn könnte nichts mehr erschrecken, trifft mit „Coraline“ die richtige Wahl.

Neil Gaiman, geboren 1960 in England, erlangte zuerst Bekanntheit durch seine Comic-Serie „Der Sandmann“, eher er auf das Schreiben von Romanen umsattelte. Neben einem Buch zusammen mit Terry Pratchett („Ein gutes Omen“), schrieb er eine Biographie über seinen Freund Douglas Adams („Keine Panik“), den Kultautor von „Per Anhalter durch die Galaxis“. Doch auch mit seinen eigenen Romanen wie „Niemalsland“, „Sternenwanderer“ und „American Gods“ wusste Gaiman die Leserschaft zu überzeugen.

Buchwurminfos IV/2005

Bei der _Rechtschreibreform_ kann von einer einheitlichen Schreibweise nicht mehr die Rede sein. Nunmehr gibt es drei verschiedene Schreibweisen: die der einstigen Rechtschreibkommission, die vom Rat der deutschen Rechtschreibung beabsichtigte Reform der Reformschreibung sowie die herkömmliche Rechtschreibung. Dennoch wurde dieses Chaos zum 1. August gesetzlich verbindlich gemacht, wie die Kultusministerkonferenz beschlossen hat. Der Vorstoß der CDU-regierten Länder, den Einführungstermin um ein Jahr zu verschieben, fand keine Zustimmung. Aus Rücksicht auf die Positionen des Rates für deutsche Rechtschreibung gilt für strittige Teile (vor allem Worttrennung und Interpunktion) eine „Toleranzklausel“. Am 31. Juli endete damit zunächst nur die Übergangsfrist für die Laut-Buchstaben-Zuordnung, die Schreibung mit Bindestrich sowie die Groß- und Kleinschreibung. Nach den Vorstellungen des Rates für deutsche Rechtschreibung soll in erster Linie der Sprachgebrauch die Richtschnur für die Formulierung von Schreibregeln sein. Der Zusammenschreibung wird gegenüber Getrenntschreibungen der Vorzug gegeben. Ende Oktober werden die Änderungsvorschläge abschließend erörtert und Ende November soll ein Beschluss fallen. Erst danach wird sich die Kulturkonferenz mit dem Gesamtpaket befassen. Die Forschungsgruppe Deutsche Sprache (FDS) hat mit den Stimmen des Verlegers Michael Klett und des Sprachwissenschaftlers Theodor Ickler (PEN-Vertreter im Rechtschreibrat) ihre grundsätzliche Ablehnung der Reform nochmals unterstrichen. Verlage, die sich an die neue Rechtschreibung halten wollen, müssen, obwohl die jetzigen Änderungen nur einen minimalen Teil des Wortschatzes betreffen, dennoch alle Titel durchsehen und an den entsprechenden Stellen ändern. Aus wirtschaftlicher Sicht ein Riesenaufwand und auch volkswirtschaftlich betrachtet ein Desaster. Eigentlich wird die neue Rechtschreibung nur bei Kinder- und Schulbüchern beachtet werden. Fast jeder sonstige Verlag überlässt es weiterhin jedem Autor, wie dieser schreiben will. Widersinniges und Unstimmiges wird also nicht zum Maßstab für literarischen Ausdruck werden. Die Verleger sehen überhaupt keinen Handlungsbedarf, solange alles weiterhin unsicher und strittig ist. Die 23. Auflage des „Duden“ war nach Inkrafttreten der Reform nach dem 1. August das einzige Wörterbuch, das dem verbindlich geltenden Stand der neuen Rechtschreibung entspricht, aber schon warf Bertelsmann zum 1. August mit dem „Wahrig“ ein Wörterbuch zu einem „Kampfpreis“ auf den Markt, das schon wieder etwas mehr von der Reform 2004 berücksichtigt hat. Im „Wahrig“ macht man es jetzt auch ganz taktisch klug, indem man neben der neuen auch die alte Rechtschreibung aufführt. Seit Jahren sind der „Duden“ und „Bertelsmann“ in harter Konkurrenz, mussten schon gedruckte Auflagen wegen Änderungen gleich einstampfen, verramschen ihre Titel oder verschenken sie an Schulen.

Selbst der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, sieht jetzt eine künftige „Zwei-Klassen-Schreibung“, da die neuen Gesetze nur für Schulen und Behörden verbindlich sind und ansonsten jeder Autor schreiben kann, wie er will.

Und es besteht noch anderweitig Verunsicherung, z. B. bei den Lehrern, die Deutsch für Ausländer unterrichten. Das Ausland versteht nicht, wieso die Deutschen sich nicht darauf einigen können, wie sie ihre Worte schreiben. Das Goethe-Institut geht deswegen einen wiederum ganz eigenen Weg und hält sich an die zuerst geplante Originalfassung der Reform, bis endgültige Klarheit über die strittigen Punkte herrscht. „Das kann man so oder so schreiben“ sei für Fremdsprachen-Lehrer zu schwierig. Die neue Gesetzeslage ist längst nicht das Ende eines langjährigen Kampfes zwischen unversöhnlicher Willkür auf der einen und Widerstand auf der anderen Seite. In NRW hat Jürgen Rüttgers nach dem Wechsel der Landesregierung sein Wahlversprechen wahr gemacht: „Die CDU wird nach einem Wahlsieg bei der Landtagswahl im Mai 2005 dafür sorgen, dass man zu den bewährten Regeln zurückkehrt“ und auch Bayern ist dem gefolgt. Zwei Länder sind zwei Wochen vor Eintritt der gesetzlichen Regelung ausgestiegen. Die Glaubwürdigkeit in der Politik lässt sich bereits an einem Wort der Rechtschreibreform festmachen. Diese hat versucht, den Unterschied zwischen „viel versprechend“ und „vielversprechend“ aufzuheben, indem es nur noch die getrennte Schreibweise zulassen wollte. Wenn man sich das ganze Geschehen anschaut, bleibt dieser Unterschied der beiden Begrifflichkeiten aber sehr offensichtlich.

Es wird viel darüber geklagt, wie viel Geld Wörterbuch- und Schulbuchverlage verloren haben durch all die jahrelangen Änderungen. Interessant ist da aber eine These, die in der „Jungen Freiheit“ vom 29. Juli aufgestellt wurde. Dort wird aufgezeigt, dass die Rechtschreibreform für Schulbuchverlage ein Milliardengeschäft war, finanziert durch die Steuerzahler. Nach Angaben des VdS Bildungsmedien, mächtigster Verband der Schulbuchverlage, schaffte die öffentliche Hand zwischen den Jahren 1996 und 2004 Schulbücher in reformierter Rechtschreibung im Wert von etwa zwei Milliarden Euro an. Eltern gaben allein im Jahr 2003 rund 200 Millionen Euro für Lernmittel aus. Gewisse Verbände haben eine Menge Geld eingesetzt, um der Reform zum Durchbruch zu verhelfen. So investierten die Schulbuchverlage rund eine halbe Million Mark, um den Volksentscheid in Schleswig Holstein im September 1998 zu beeinflussen, der aber für die Reformer dennoch verloren ging. „Zahlreiche Beamte in den Kultusministerien sind als Schulbuchverfasser privatgeschäftlich mit Verlagen verbunden“, erklärt der bekannteste Kritiker der Rechtschreibreform, der Erlanger Germanist Theodor Ickler. Im internen Bericht des Verbandes VdS Bildungsmedien für 2000 – das Jahr, in dem die „Frankfurter Allgemeine“ das Abenteuer Rechtschreibung beendete – heißt es: „Wir haben also nicht allein auf die Kultusminister, sondern auch auf alle Ministerpräsidenten der Länder massiv eingewirkt und diese in die Öffentlichkeit gezwungen mit klaren und unmissverständlichen Erklärungen zu einer Reformumsetzung“. Die „Junge Freiheit“ geht deswegen so weit, der Staatsanwaltschaft zu empfehlen, aufgrund offenkundiger Verdachtsmomente zu untersuchen, inwieweit bei der Durchsetzung der Rechtschreibreform auch Korruption eine Rolle spielt. Die Aufdeckung eines Bestechungsskandals wäre der Todesstoß für die Reform, würde aber auch aufgrund der Beteiligung von Regierungsbeamten eine Krise auslösen.

Am gefährlichsten für die _Preisbindung_ wird es immer, wenn ein neuer _Harry Potter_ erscheint und in Deutschland, wo diese gesetzlich festgesetzt ist, muss man immer sehr sorgsam nach den „schwarzen Schafen“ Ausschau halten. Anders in England, wo eine Preisbindung nicht existiert. Dort lag der Preis bei Vorbestellungen teilweise bei der Hälfte des empfohlenen Verkaufpreises von 16,99 Pfund und damit eigentlich beim Bezugspreis. 2003 hatte dort die Branche am ersten „Potter“-Verkaufstag elf Millionen Pfund an Nachlässen gegeben. Insgesamt wurde an jenem Tag ein Umsatz von 17,5 Millionen Pfund erzielt – mit 1,7 Millionen Exemplaren. Und bei der Premiere des 6. Bandes boomte es wie eh und je: In den ersten 24 Stunden wurden weltweit rund elf Millionen Exemplare verkauft. Zwei Millionen davon in Großbritannien, 6,9 Millionen in Amerika. In vielen Städten wird das Erscheinen eines neuen Harry Potters längst wie ein Ereignis von nationaler Bedeutung begangen. Auch in Deutschland war die Medienresonanz noch einmal höher als beim fünften Band vor zwei Jahren. So schnell auch gigantischer Umsatz gemacht wird, bleibt das Paradox, dass mit Potter nicht auch entsprechend verdient wird. Der Reinerlös ist mager, die Preise purzelten in den Keller und erreichten bisher ungeahnte Tiefen. In britischen Supermarktketten ging er für 7,25 Euro weg – also weit unter dem Einkaufspreis. Der empfohlene VK in Deutschland liegt bei 26,30 Euro, im Schnitt wird er aber für 19,90 Euro angeboten, am billigsten war er bei Mail-Order Kaiser für 14,99 Euro.

Die legalen „_Billig-Bibliotheken_“ laufen gut und gehen weiter. Die Lizenz für die „SZ“-Bibliothek ist ausgelaufen, aber der Süddeutsche Verlag konnte elf Millionen Bücher damit verkaufen. Die Restbestände wurden vom Barsortiment LIBRI erworben, das diese noch „weit über das Weihnachtsgeschäft“ hinaus an Buchhandlungen liefern wird. Auch Weltbild hatte mit seiner „Bild“-Bestseller-Bibliothek wie auch der Zeit-Verlag die Gewinnziele weit übertreffen können. „Die Zeit“ startet mit dem Partner Brockhaus zur Buchmesse eine zwanzigbändige wöchentliche Buchreihe zum Thema Welt- und Kulturgeschichte. Die „SZ“ plant ein Projekt Kinder- und Jugendbibliothek – Zielgruppe Sechs- bis Sechzehnjährige – ab September nach bewährtem Muster der „SZ-Bibliothek“ mit fünfzig Bänden, die jeweils 4,90 Euro kosten. Auch „Die Zeit“ wird im Frühjahr 2006 mit einer 15-bändigen Vorlesereihe mit Titeln, die als besondere Schätze der Kinderliteratur gelten, für Kinder von fünf bis zehn Jahren starten. Der Reinerlös aller verkauften Bücher fließt an die Stiftung Lesen, zur Förderung des Vorlesens. Sowohl „Bild“, „Weltbild“ und „FAZ“ bringen Comic-Bibliotheken. Die FAZ-Reihe „Klassiker der Comic-Literatur“ dürfte auch richtig lohnenswert werden bei einem Preis von 4,90 Euro pro Band. Es beginnt mit „Superman“ von 1938 und führt über „Spiderman“, „Batman“, „Prinz Eisenherz“, „Hägar“, „Peanuts“ und natürlich auch „Disney“.

Da das _Hörbuch_ mit unveränderten Zuwachsraten in Folge Geschichte schreibt, sind nun auch die letzten großen Belletristikverlage Diogenes und Holtzbrinck ins Hörbuch-Geschäft eingestiegen. Mittlerweile gibt es rund 400 Hörbuchverlage in Deutschland. Jetzt erwartet die Branche einen Lizenzwettbewerb, den es bislang so noch nicht gab. Von der Hörbuch-Edition der Frauenzeitschrift „Brigitte“ über Aktionen beim Discounter ALDI bis hin zum Focus-Magazin, das ein neues Download-Portal plant, ist das Hörbuch endgültig aus seiner Nischen-Position herausgetreten, mit allen Konsequenzen, die ein entwickelter Markt mit sich bringt. Es wird Verschiebungen geben, bei denen einige Labels auf der Strecke bleiben. Und „Random House Audio“ vertieft die Zusammenarbeit mit „Gruner + Jahr“. Nach der „Brigitte“-Audio-Edition „Starke Stimmen“ folgt nun eine zwölfteilige Hörbuchserie mit der Zeitschrift „Eltern“. Mit der Brigitte-Zusammenarbeit konnten eine Million Einzelexemplare verkauft werden.

_Amazon_ hat eine neue Sparte entdeckt: Verleihen statt verkaufen. Für 9,99 Euro werden drei DVDs im Monat verschickt, ohne zusätzliche Versandkosten, Leihfristen und Säumnisgebühren. Die Kunden müssen nur die geliehene DVD im versankostenfreien Umschlag zurückschicken, um umgehend den nächsten verfügbaren Film von der Ausleihliste zu erhalten. Es gibt darüber hinaus sogar verschiedene Tarifmodelle: Für 13,99 Euro kann man vier DVDs monatlich ausleihen (zwei davon gleichzeitig) und für 18,99 Euro sechs DVDS (drei Titel gleichzeitig). Das ist ein Testlauf dafür, ob man künftig auch Hörbücher und Bücher in die Vermietung einbeziehen wird.

_Suhrkamp_ bringt die im angeschlossenen _Deutschen Klassiker Verlag_ erschienenen Editionen deutscher Literatur ins Taschenbuch. Im Oktober erscheinen die ersten Bände, darunter Goethes Faust, „Sämtliche Erzählungen“ von Kleist und Grimmelshausens „Simplicissimus“ – jeweils Text und Kommentar. Die meisten der herstellerisch hochwertigen Bände sollen ca. 18 Euro kosten und in einer Auflage von 5000 Exemplaren erscheinen. Von den 200 Hardcoverbänden, die in 40 Editionen erschienen sind, will man 90 Titel im Taschenbuchformat in den Handel bringen. Ab Frühjahr 2007 sollen in der _Suhrkamp Studienbibliothek_ grundlegende philosophische Texte nebst Kommentar von Aristoteles bis Habermas erscheinen. Offensichtlich hat sich nach den Unruhen im Verlagshaus (wir berichteten intensiv) sehr viel geändert. Das sieht man deutlich am aktuellen Suhrkamp-Taschenbuchverlagsprogramm und der Werbung dafür, die im Gegensatz zur Tradition richtiges Marketing umfasst. Die Zeiten, wo die Vermarktung von Hermann Hesse ausreichte, scheint vorbei. Angefangen hat das vor einem Jahr mit der Neugestaltung der erfolgreichen Taschenbuchreihe mit dem Kürzel st. Die Titelzahl wird reduziert und die traditionell starke Backlist verkleinert.

Der Fachverlag _Max Niemeyer_ hat seine Eigenständigkeit verloren und wurde an _Thomson Learning_, die Bildungssparte des amerikanischen Fachinformationskonzerns _Thomson Corporation_, verkauft. Die Zustimmung durch das Bundeskartellamt muss aber noch erfolgen. Niemeyer fungiert künftig als Imprint der _K. G. Saur_ Verlagsgesellschaft, die bereits Ende 2000 von Thomson eingekauft wurde. Niemeyer gehört zu den führenden Geisteswissenschaftsverlagen Deutschlands. Das anspruchsvolle Profil soll erhalten und ausgeweitet werden. Die Arbeitsplätze der gegenwärtigen Mitarbeiter wurden von Thomson nun erst einmal für ein Jahr garantiert.

Die _Wissenschaftliche Buchgesellschaft_ in Darmstadt hat den Verlag _Philip von Zabern_ (Fachverlag für Klassische Archäologie, Kunst und Kulturgeschichte) übernommen. Zur Verlagsgruppe der WBG gehören bisher die Verlage Primus, Konrad Theiss sowie die Versandbuchhandlung Conlibro.

Anthroposophen brauche mitunter etwas länger für neue Technik, dafür umso berichtenswerter ist, dass nun auch der _Pforteverlag_ online ist und auf Besucher wartet. Die Seiten werden in den nächsten Wochen noch laufend ergänzt, doch lohnt sich jetzt schon auf alle Fälle ein Blick ins Angebot: http://www.pforteverlag.com.

_Indizierungen_ erreichen derzeit einen neuen Höhepunkt. Die neueste dahingehende Welle betrifft die deutschsprachige Hiphop- und Rap-Szene, deren sexualisierte Texte als jugendgefährdend beurteilt werden. Man kann sich darüber mühsam streiten, sicherlich geht manches an die Würde der Frau und überzeichnet ein menschenverachtendes Bild. Nun werden Sendeverbote in den Rundfunkanstalten gefordert, was bis zum immer wieder vorkommenden Wort „ficken“ reicht. Also Zustände wie in Amerika. Im ganzen Medienrummel schwingt auch die durchaus berechtigte Angst vor Rechts wieder hoch. Selbst einem Linksbündnis wird rechte Gesinnung mediengerecht unterstellt. Und damit das klar zum Ausdruck kommt, gelten nunmehr auch wieder die „Böhsen Onkelz“, die sich wiederholt von rechtem Gedankengut distanziert hatten, als Verbreiter rechter Propaganda. Auf ihrem Abschlusskonzert auf dem Lausitzring hatten sie vor über 100.000 Zuschauern noch einmal Songs ihres ersten Albums gespielt. Das Landeskriminalamt Brandenburg hat sofort gegen die Band Anzeige erstattet.

Nachdem es im letzten Jahr während der Frankfurter Buchmesse zu großem Unbehagen führte, dass die _Verleihung des Friedenspreises_ nach jahrelanger Ausstrahlung durch die ARD von diesen kurzfristig abgesetzt wurde, führte der Protest dagegen zum Erfolg. Ab diesem Jahr wird die Verleihung aus der Frankfurter Paulskirche nun wieder jährlich abwechselnd vom ZDF und der ARD übertragen. Die diesjährige Verleihung wird am 23. Oktober um 11 Uhr live vom ZDF ausgestrahlt.

|Das Börsenblatt, das die hauptsächliche Quelle für diese Essayreihe darstellt, ist selbstverständlich auch im Internet zu finden, mit ausgewählten Artikeln der Printausgabe, täglicher Presseschau, TV-Tipps und vielem mehr: http://www.boersenblatt.net/. |

Baxter, Stephen – Sternenkinder (Kinder des Schicksals 2)

Stephen Baxter (* 1957) wird heute oft als der moderne Asimov oder Heinlein gefeiert, bekannt wurde er für seine ideenreichen Science-Fiction-Romane, in denen er mit seinem fundierten naturwissenschaftlichen Hintergrundwissen glänzen kann. Er studierte in Cambridge Mathematik, ist Doktor der Ingenieurswissenschaften und lehrte einige Jahre Mathematik, Physik und Informatik, bevor er 1991 seinen ersten Roman „Das Floß“ (The Raft) veröffentlichte. Baxter arbeitet seit 1995 hauptberuflich als Autor und wurde seitdem mit zahlreichen renommierten SciFi-Preisen wie dem |Philip K. Dick Award| und dem deutschen Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet. Er ist außerdem Vize-Präsident der |British Science Fiction Association| (BSFA).

„Sternenkinder“ (Exultant) ist der zweite Band der Serie „Kinder des Schicksals“, die mit dem Band [Der Orden 1040 begann. Spielte dieser Roman noch in Vergangenheit und Gegenwart, ein eigentümlicher Mix aus Science-Fiction und historischem Roman, springt Baxter mit „Sternenkinder“ um rund 25.000 Jahre in die Zukunft – und in das „Xeelee“-Universum, in denen seine ersten Romane spielten. Kamen Fans von Science-Fiction und Action im Vorgänger erst spät oder gar nicht auf ihre Kosten, ist „Sternenkinder“ eine reinrassige, allerdings tief schürfende Space-Opera und beginnt mit einer Raumschlacht – aber Baxter wäre nicht Baxter, wenn er sich darauf beschränken würde. Die Ursprünge der mysteriösen Xeelee und des Universums selbst nimmt er in „Sternenkinder“ unter die Lupe.

|Heldentum ist antidoktrinell|

Bereits 20.000 Jahre währt die dritte Expansion der Menschheit. Man hat nicht nur die Besatzung der Erde durch die außerirdischen Qax überstanden, sondern nach dem Sieg über die Rasse der „Silbergeister“ im Oriongürtel keinem wirklichen Gegner mehr gegenübergestanden und zahllose Alien-Zivilisationen assimiliert und ausgerottet.

Sogar die Xeelee, den seit mittlerweile mehr als dreitausend Jahren bekämpften Erbfeind der Menschheit, hat man durch schiere Masse in den galaktischen Kern zurückgedrängt.

Doch nun stockt die Expansion der Menschheit. Ein Zermürbungskrieg tobt im galaktischen Zentrum, bei dem die Xeelee technologische Vorteile besitzen – ihre Raumschiffe sind in jeder Beziehung irdischen überlegen. Das tödliche Patt, welches das Blatt aller Voraussicht nach langsam, aber sicher zugunsten der Xeelee wendet, besteht nun schon seit drei Jahrtausenden. Denn beide Seiten können auf das so genannte Überlicht-Vorherwissen zurückgreifen. Überlichtschnelle Raumschiffe sind zugleich quasi Zeitmaschinen. So können die Überlebenden einer fatalen Schlacht in der Zukunft eine Nachricht in die Vergangenheit senden – und die Schlacht wird nie oder unter anderen Voraussetzungen stattfinden.

In einer solchen Situation ist es die Pflicht eines Piloten, eine Nachrichtenbake in die Vergangenheit zu senden und kämpfend unterzugehen. Doch der Pilot Pirius, ein Kindersoldaten-Veteran, der immerhin schon sagenhafte fünf Einsätze überlebt hat, stellt sich dem Gefecht mit einem überlegenen Nachtjäger der Xeelee, pfeift auf die militärische Doktrin und lockt ihn in eine Falle. Nicht nur überleben er und seine Crew, er schafft es sogar, einen Nachtjäger der Xeelee zu kapern! Doch bei der Rückkehr zu seiner Basis, um von der verlorenen Schlacht zu berichten, macht man ihm und seinem jüngeren Ich den Prozess … denn offenkundig hat Pirius sowohl gegen Befehle als auch die Doktrin verstoßen. Beide werden bestraft. Der ältere Pirius Blau wird zu einem Strafbataillon der Bodentruppen nahe der Xeelee-Front versetzt, der jüngere Pirius Rot wird milder bestraft für eine Tat, die in einer nun nicht mehr existenten Zeitlinie von ihm begangen worden wäre.

Er wird seinem Verteidiger, Kommissar Nilis, zugeteilt. Dieser hat ihn sich zur besonderen Verwendung ausgeliehen: Die Taktiken, die Pirius im Kampf gegen den Nachtjäger angewandt hat, und der erbeutete Nachtjäger selbst stellen für Nilis den Schlüssel zum Sieg über die Xeelee dar. Für Pirius Rot ist dies ein ungeheuerlicher Schock, denn den Sieg sah er bisher nur als etwas an, das in weiter Zukunft kommenden Generationen vorbehalten ist. In der verknöcherten und erstarrten menschlichen Gesellschaft ist Nilis einer der wenigen Träumer und Freidenker, die sich gegen gegen uralte Doktrinen erfolgreich auflehnen und nach neuen Wegen suchen.

Er zwingt Pirius Rot, über sich selbst hinauszuwachsen, Führungsqualitäten zu entwickeln, die ihm sein gesamtes kurzes Kindersoldatenleben lang (der jüngere Pirius ist 17, der ältere auch nur 19 Jahre alt) eingebläute Konditionierung und Doktrin zu hinterfragen, kreativ zu denken. Pirius Rot ist auch einer der wenigen im galaktischen Kern aufgewachsenen Kindersoldaten, der die Erde und das Leben auf ihr mit eigenen Augen sehen wird. Doch alleine damit ist es nicht getan: Von niederster bis höchster Ebene steht ihnen eine Jahrtausende lang gewachsene Stagnation in Politik, Militär, Forschung, Bürokratie und auf allen anderen nur denkbaren Gebieten im Weg.

|Ein kurzes Leben brennt hell|

Man würde dem Buch Unrecht tun, wenn man es auf die Probleme der menschlichen Gesellschaft und den Krieg reduzierte. Stephen Baxter hat zahllose Ideen und Konzepte in diesen Roman gepackt, so dass Abwechslung garantiert ist.

Zu Beginn wird oft zwischen Pirius Rot und Pirius Blau hin und her geblendet. Während Pirius Rot erkennt, wie luxuriös die Menschen auf der Erde verglichen mit den in Tanks gezüchteten Kindersoldaten im galaktischen Zentrum leben, die nur den Krieg gegen die Xeelee kennen, erfährt Pirius Blau, dass es noch eine Existenzstufe unter seiner gibt: Auf dem Planetoiden des Infanterie-Strafbataillons sieht er, wie viel weniger die zum „Graben und Sterben“ ausgebildeten Infanteristen vom Leben haben.

Nebenher wird die Entstehung des Quasi-Stillstands menschlicher Entwicklung und der Druz-Doktrin erklärt: Die Qax haben nach einem Aufstand von „Wigners Freunden“, einer Sekte, deren Glaube auf Erkenntnisse des Physikers Eugene Paul Wigner zurückgeht, bewusst alle historischen Bauten der Menschheit, inklusive der Städte und weiter Teile der Natur, vernichtet. Sogar die Nahrungsmittelherstellung wurde auf Nanobot-Technologien der Qax umgestellt. Die Vergangenheit der Menschheit scheint somit weitgehend ausgelöscht.

In dieser Zeit gelang es Hama Druz, seine legendären Doktrinen zu formulieren, die der Menschheit den Sieg und eine beispielose Expansion über die ganze Galaxis ermöglichten. In ihnen zählen das |Jetzt| und das Allgemeinwohl, nicht was war oder sein wird, Opferbereitschaft und strikte Befolgung von Befehlen. Die ganze Menschheit wurde auf Krieg und Überlebenskampf ausgerichtet.

Nach dem verlustreichen Sieg über die Qax und als letzter großer Hürde über die „Silbergeister“ im Oriongürtel konnte nichts den Aufstieg der Menschheit stoppen, man rottete gnadenlos alle Alien-Zivilisationen aus oder assimilierte sie mitsamt ihrer Technologien. Hier stellt Baxter einen Bezug zu seinem Roman „Der Orden“ her. Denn die radikalen Methoden der Assimilation und Auslöschung ähneln stark dem Verhalten sich bekämpfender Schwarmgesellschaften. Im gleichen Maß gingen der Menschheit aber Individualität und Kreativität verloren: Man verliert in Jahrhunderten mehr Menschen als jemals auf der Erde insgesamt gelebt haben, aber der Fortschritt, den man früher in Jahrzehnten erzielte, ist mittlerweile in ähnlichem Maß verlangsamt. Auch gibt es eklatante Technologieunterschiede zwischen den menschlichen Siedlungsgebieten, auf der Erde und im Zentrum herrscht Hochtechnologie, auf entlegenen, technologisch rückständigen Schlachtfeldern früherer Zeiten bilden sich immer öfter Koaleszenzen, Schwarmgesellschaften, heraus, die der Druz-Doktrin einer reinen, geeinten Menschheit widersprechen und erbarmungslos bekämpft werden.

Interessant sind die geduldeten Ausnahmen, die es laut Doktrin nicht geben dürfte: Das hochspezialisierte Archiv der Menschheit im Olympus Mons auf dem Mars wird von einer menschlichen Koaleszenz bevölkert – für solche Zwecke eignen sie sich einfach hervorragend, wie man dem entsetzten Pirius versichert. Dass man für die Entwicklung der Waffe gegen die Xeelee allerdings auch auf die hyperphysikalischen Fähigkeiten nachgezüchteter Silbergeister setzt, die in einer Kolonie auf dem Pluto leben, setzt dem Ganzen die Krone auf. Im weiteren Projektverlauf wird man zur Bedienung derselben gar einen Silbergeist-Ingenieur benötigen, die nach eigenen Angaben nur Kopien der ausgerotteten Geister sind, von Menschen geschaffen … Pirius bleibt dennoch misstrauisch.

Religion ist auch ein Aspekt der menschlichen Gesellschaft, den es laut der Druz-Doktrin nicht geben sollte. Doch die Kindersoldaten finden Trost in einer, wie man im Verlaufe des Buchs herausfinden wird, an quantenphysikalische Beobachtungen („Jeder bestimmte Zustand wird durch einen Beobachter bestimmt“) angelehnten Philosophie, die sich gerade in einer Gesellschaft, in der ständig Besucher und Nachrichten aus der Zukunft zurückkehren und Zeitlinien sich laufend verändern, blühen kann: „Wigners Freunde“ glauben an „die letzte Beobachterin“, die am Ende aller Zeiten steht und die Macht besitzt, sämtliche Ereignisse negativer Natur auszumerzen. Durch gute Taten hoffen die Wignerianer, der Menschheit die Gunst der letzten Beobachterin zu verschaffen, die sie dann von allem Leid erlösen wird. Der äußerst antidoktrinell und inoffiziell angenommene Name ihres ebenfalls wie Pirius Blau strafversetzten Anführers „Diese Bürde Wird Vergehen“ ist insofern Programm.

Gegen Ende des Buches geht Baxter auf die Entstehungsgeschichte der Xeelee ein. Hier liefert er auch Erklärungen, warum es – nach menschlichem Empfinden – über Jahrtausende keinerlei Kommunikation außer Waffengewalt gab, und warum man in diesen Jahrtausenden keinen einzigen Xeelee gefangen nehmen konnte. Er eröffnet zudem eine weitere Dimension des Konflikts, denn während die Menschheit die ganze Galaxis überrannte, standen auch die Xeelee in einem erfolgreichen Krieg – der von dem Spinner Peter in „Der Orden“ angesprochene Konflikt zwischer „normaler“ und dunkler Materie wird hier wieder aufgegriffen als Konflikt zwischen absolut fremdartigem baryonischem und supersymmetrischem Leben. Witzig hierbei für Leser des ersten Bandes: Der Verschwörungstheoretiker Peter hatte teilweise vollkommen Recht! Eine Kommunikation zwischen solch exotischen Lebensformen ist naturgemäß mehr als schwierig. Man bedenke, wie der Kontakt zu den in dieser Hinsicht wesentlich menschenähnlicheren Silbergeistern verlief …

_Fazit_

Selten habe ich einen Autoren mit so vielen Ideen gleichzeitig jonglieren sehen wie Baxter in diesem Buch. Dabei vergisst er aber nicht die Unterhaltung; der eigentlichen Haupthandlung zu folgen, ist sehr einfach: Nach und nach wird ein aus drei Teilen bestehendes Waffensystem entwickelt und trotz aller Hürden zum Einsatz gegen den xeeleeschen Hauptradianten Chandra, das schwarze Loch im Zentrum der Galaxis, gebracht. Für Baxter geradezu untypisch viel Action, die er vorzüglich mit dem Rest des Romans verbunden und inszeniert hat.

Baxters Theorien haben jedoch einige Haken: So wirft die Kommission für ökonomische Kriegsführung Nilis und Pirius vor, wie sie sich anmaßen könnten, ihre Idee für einzigartig und erfolgversprechend zu halten. Schließlich befasst man sich seit Jahrtausenden mit aberwitzigen Ideen von Spinnern, die letzten Endes die Menschheit wertvolle Ressourcen kosten könnten. Warum sollten also gerade sie gefunden haben, was bisher in Jahrtausenden nicht gelang?

Eine haarsträubende Argumentation, aber mit einem Funken Wahrheit: In einer unheimlich kurzen Zeitspanne erreichen Nilis, Pirius und Co. mehr als die gesamte Menschheit in Jahrtausenden. Ich kann mir ebenfalls nicht vorstellen, dass sich in einer riesigen Galaxis nicht irgendwann und irgendwo eine bahnbrechende Idee durchsetzt. Gerade weil die Menschheit zwar geeint im Krieg gegen die Xeelee ist unter der das Allgemeinwohl über das des Einzelnen stellenden Druz-Doktrin, aber überall sich hinterwäldlerische Koaleszenzen und andere menschliche Subspezies ausbreiten, kann ich mir eine solche Innovationsarmut nicht vorstellen. Zumal der Schwarm – im Großen wie im Kleinen – von Baxter als einzige gesellschaftliche Form menschlicher Evolution propagiert wird, sieht man vielleicht von „Wigners Freunden“ und der alles beherrschenden Druz-Doktrin ab.

Kurz kommt leider auch der Konflikt zwischen Pirius Rot und Pirius Blau. Rot hat seine Freundin Torec noch, während Torec Blau in einer nun nicht mehr existenten Zeitlinie den Tod im Kampf fand. Da Rot und Blau den Großteil des Romans an zwei verschiedenen Orten tätig sind und eher die Unterschiede zwischen dem Leben auf der Erde und dem Zentrum der Galaxis dokumentieren, bleibt wenig Raum für die Problematiken einer an und für sich spannende Begegnung mit einem älteren Zeitzwilling. Recht platt und enttäuschend ist auch die Rolle von Luru Parz, deren mysteriöse und vorerst unbekannte Herkunft, ihre ebenso unbekannten Motive und ihre Bedeutung für den Roman letzlich demystifiziert werden, was sie auf eine Rolle als stets stechenden Joker für Nilis reduziert, wenn alle anderen Überzeugungsmittel versagt haben.

Ohne Baxters fabelhafte Fähigkeit, schwierige Konzepte der Quantenphysik, Thermodynamik sowie die bei Überlichtflügen auftretenden zeitlichen Phänomene verdaulich und nachvollziehbar zu erklären, würde dieses Buch nicht funktionieren. Dennoch ist es keine leichte Lektüre; entgegen der oft aufgestellten Behauptung, man könne es auch ohne seinen Vorgänger „Der Orden“ lesen, rate ich davon ab. Denn gerade die Gedanken zur Druz-Doktrin und der evolutionären Entwicklung der Menschheit setzen auf der Einführung in diese Thematik im ersten Band der Serie auf. Zumal die zusammenhanglos erscheinenden Verschwörungstheorien Peters in „Der Orden“ hinsichtlich der dunklen Materie und eines Krieges im galaktischen Zentrum sich in „Sternenkinder“ ironischerweise als Volltreffer entpuppen.

Übersetzer Peter Robert hat ebenfalls ganze Arbeit geleistet. Besonders gut gefielen mir seine für unbedarfte Teutonen direkt in den Romantext geschriebenen Ergänzungen, wie man Baxters englische Rassebezeichnungen wie Qax („Khäcks“) oder Xeelee („Sili“) auszusprechen hat. Das würde ich mir auch von anderen SciFi-Übersetzern wünschen.

Herausragend an diesem Buch sind Baxters gewaltige Vorstellungskraft und seine Fähigkeit, komplexe Konzepte und Ideen verständlich an den Leser zu vermitteln. Daher sehe ich gerne über einige Ungereimtheiten wie die nicht wirklich überzeugende absolute Stagnation und die kontrastierend extrem rasant erfolgende Entwicklung und Integration dreier vollständig neuer Technologien hinweg.

The Baxterium – Die offizielle Homepage des Autors:
http://www.cix.co.uk/~sjbradshaw/baxterium/baxterium.html

Nichol, James W. – Ausgesetzt

Als Autor von Theaterstücken hat James W. Nichol sich in Kanada einen Namen gemacht, und schon für seinen ersten Roman „Ausgesetzt“ wurde er zum „Crime Writer of Canada“ im Jahre 2004 ernannt. Bei „Ausgesetzt“ handelt es sich um einen Psychothriller, allerdings nicht im herkömmlichen Sinne …

_Auf den Spuren der Vergangenheit_

Walker Devereaux wurde im Alter von drei Jahren am Straßenrand ausgesetzt. Nur schemenhaft kann er sich noch an seine Mutter und ihre letzten Worte erinnern, mit 19 nun möchte er endlich seine wahren Eltern finden. Aufgewachsen ist Walker im Heim und bei verschiedenen Pflegeeltern, und obwohl er in seiner jetzigen Familie glücklich ist, wird der Wunsch nach dem Wissen über seine eigene Kindheit immer größer. So hebt er schließlich sein gesamtes Erspartes vom Konto ab und macht sich alleine auf den Weg nach Toronto, um dort ausgerüstet mit nur zwei Erinnerungsstücken an seine Mutter die Suche nach der Wahrheit beginnen zu lassen. Doch Walkers Anhaltspunkte sind spärlich, er besitzt nur ein Foto von zwei jungen Mädchen und einen Brief, dessen Inhalt kaum Informationen über Walkers Mutter preiszugeben scheint.

In Toronto angekommen, macht Walker sich zunächst auf Wohnungssuche. Doch schnell braucht er auch einen Job und landet schließlich bei einer Taxifirma, für die er des Nachts fahren soll – auch ohne Taxischein. Dabei lernt er die behinderte Krista kennen und entwickelt ganz allmählich Gefühle für sie. Krista ist ihm bei seinen Nachforschungen eine große Stütze; selbst als ein Unbekannter Kristas Auto in Brand gesteckt und Walkers Beweisstücke gestohlen hat, hält sie fest zu ihrem neuen Freund. Doch die Gefahr wird immer größer. Bei seiner Suche stößt Walker auf Geheimnisse, die seine eigene Familie gerne weiterhin in Vergessenheit wüsste.

Parallel lernen wir einen Jungen namens Bobby kennen, der von seinen Eltern auf eine Militärschule geschickt wird und dort entdecken muss, dass ihn andere Jungen sehr reizen. Doch diese Neigungen führen zu Gewaltausbrüchen, sodass er einen Mitschüler schwer verletzt und der Schule verwiesen wird. Zu Hause bei seinen Eltern dauert es schließlich nicht lange, bis Bobby einen Nachbarsjungen brutal ermordet …

_Parallele Welten_

In zwei Handlungssträngen erzählt uns James W. Nichol die Geschichte von Walker und Bobby, ohne dem Leser zu früh zu verraten, wie beide Lebensläufe miteinander zusammenhängen. Zunächst widmet Nichol sich dabei der Vorstellung Walkers und der beginnenden Suche nach seiner eigenen Herkunft. Er präsentiert uns neben Walker auch eine weitere Hauptfigur dieses Romans, nämlich Krista, die den nächtlichen Taxifunk betreut. Erst später erzählt eine Rückblende aus Bobbys Leben und seiner Schulzeit. Jedoch dauert es einige Zeit, bis der Leser erfährt, welch abartige Neigungen
Bobby entwickelt.

Beim Lesen und Zurechtfinden in diesem Buch ist erhöhte Aufmerksamkeit gefordet, da Bobbys Geschichte nicht durchweg chronologisch erzählt wird, sondern häufiger in den Zeiten hin und her springt. Dabei begegnen uns zahlreiche Figuren, deren Namen man sich meist gut einprägen sollte, um der weiteren Erzählung folgen zu können. Als reiner Unterhaltungsroman ist „Ausgesetzt“ daher eher weniger geeignet.

Dennoch versteht es James W. Nichol, seine Leser bei Laune zu halten und an das Buch zu fesseln. Nur häppchenweise erzählt er uns Bobbys Geschichte, sodass wir lange brauchen, um die Verbindungen zwischen Bobby und Walker zu erahnen. Auch streut Nichol zwischendurch einige Überraschungsmomente ein und schafft es, seine Leser erfolgreich an der Nase herumzuführen. Stets an den entscheidenden Stellen wechselt Nichol die Perspektive und widmet sich dem jeweils anderen Handlungsstrang, sodass man immer verleitet ist weiterzublättern, um die Geheimnisse um Walker Devereaux aufzudecken.

Die Spannungsmomente in diesem Buch sind dabei allerdings rar gesäht, auch blutige Szenen, wie sie in Thrillern sonst häufig zu finden sind, bleiben abzählbar. Nur die geschickte Weiterentwicklung zweier Biografien ist es folglich, die zum Weiterlesen und vor allem zum Mitraten animiert. Dabei schafft es der Autor überzeugend, seine Figuren vorzustellen, und verleiht ihnen im Verlauf des Romans immer mehr Kontur. Speziell Krista, die durch ihre verkrüppelte Hüfte viele Einschränkungen im alltäglichen Leben hinnehmen muss, erscheint uns als starke Persönlichkeit, die nicht so schnell den Kopf in den Sand steckt. Trotz ihrer Sorgen um Walker steht sie ihm stets tatkräftig zur Seite und begleitet ihn auf seinem Weg in die Vergangenheit. Selbst die aufkeimende Liebe zwischen Walker und Krista fügt sich stimmig in das Gesamtkonzept des Buches ein. Die Struktur der Erzählung gefällt insgesamt sehr gut und wirkt gut durchdacht, auch wenn die zahlreichen Zeitsprünge manchmal verwirrend sind und dafür sorgen, dass man zwischendurch einige Male zurückblättern muss, um Passagen ein zweites Mal zu lesen.

_Ein etwas anderer Thriller_

Auf dem Klappentext wird „Ausgesetzt“ als Psychothriller bezeichnet, doch handelt es sich nicht um einen gewöhnlichen Thriller voller blutiger Szenen, in dem in einer rasanten Hetzjagd ein Psychopath verfolgt wird. In „Ausgesetzt“ kennt der Leser den Mörder lange Zeit nicht und weiß nicht, welche Gefahr Walker droht, wer das Auto in Brand gesteckt und die Briefe gestohlen hat. Spannung wird hier nur sehr subtil erzeugt und entsteht dadurch, dass der Leser die düsteren Geheimnisse um Walkers Familie noch nicht erahnen kann.

Zugute halten muss man Nichol, dass er stets bemüht ist, seinen Leser die handelnden Charaktere und die Szenerie bildlich vor Augen zu führen. Der Autor beschreibt dabei sämtliche Situationen so detailreich, dass man sich darin wiederfindet, und auch die Figuren wirken authentisch.

Am Ende erwartet den Leser ein temporeiches Finale, das leider nicht durchweg überzeugen kann. Wenn sich alle eingestreuten Informationen zu einem Gesamtbild zusammenfügen, wirken einige Details konstruiert und mindern den Gesamteindruck des Buches ein wenig. Zudem lässt die Glaubwürdigkeit der Geschichte stark nach, die glücklichen Zufälle häufen sich am Schluss zu sehr.

_Lesenswert mit kleinen Einschränkungen_

James W. Nichols Debütwerk zeichnet sich durch eine geschickt erzählte Geschichte in zwei Handlungssträngen aus, die dem Leser wichtige Informationen nur häppchenweise präsentiert, sodass man stets zum Weiterlesen aufgefordert wird. Die Charaktere sind glaubwürdig gezeichnet, auch wenn sie größtenteils nicht allzu eingehend beleuchtet werden; mehr Wert legt Nichol auf die Beschreibung der Situationen. Der Plot wirkt ausgeklügelt, erfordert allerdings durch die zahlreichen Zeitsprünge viel Aufmerksamkeit, sodass „Ausgesetzt“ eher nicht zur reinen Unterhaltung gelesen werden sollte. Trotz fehlender psychologischer Tiefe und kleiner Abstriche in Bezug auf das Buchende gefällt „Ausgesetzt“ insgesamt sehr gut.

Varesi, Valerio – Nebelfluss, Der. Commissario Soneri sucht eine Leiche

Der italienische Krimi ist ja seit jeher berüchtigt, unter anderem auch, weil er sich durch eine Kompromisslosigkeit und manchmal auch eine Brutalität der Hauptfiguren auszeichnet, wie man sie auf diese authentische Art und Weise nur selten geboten kommt. Doch der italienische Krimi steht auch für eine Menge Eigensinn und folglich auch ganz eigenwillige Charaktere, so wie es beim hier rezensierten Roman „Der Nebelfluss“ von Valerio Varesi der Fall ist, dem ersten Roman dieses Autors.

Varesi wurde 1959 in Turin geboren und widmete sich sehr bald dem Thema Journalismus. Mit einer Arbeit über Kierkegaard promovierte er und schaffte es schließlich in die Redaktion der „Repubblica“. „Der Nebelfluss“ ist der Beginn seiner Schriftstellerkarriere und brachte ihm die Nominierung für einen der wichtigsten italienischen Literaturpreis, den Premio Strega, ein.

_Story:_

Wieder einmal Hochwasser am Po, wie so oft im Herbst. Doch dieses Mal steht der Fluss so hoch wie selten zuvor, weshalb die Dörfer in der näheren Umgebung evakuiert werden müssen. Nur die alten erfahrenen Schifffahrer widersetzen sich den Anweisungen des Präfekten und sehen nicht ein, ihren Stütztpunkt, den Circulo Nautico, zu verlassen.

Eines Abends werden sie dabei Zeugen einer eigenartigen Begebenheit. Das Schiff des fast achtzigjährigen Anteo Tonna läuft trotz der schweren Bedingungen mitten in der Nacht aus. Und obwohl das Licht in der Führerkabine noch an ist, kann man weit und breit keine Menschenseele auf dem Schiff sehen. Auch die unkonventionelle Art, mit der das Schiff ausläuft, will gar nicht zum erfahrenen Kapitän passen und gibt den Anwesenden im Circulo Nautico Rätsel auf. Nach einer dramatischen Fahrt kommt das Schiff schließlich an einer Sandbank zum Stillstand, und obwohl die Carabinieri keinen Mann mehr an Bord finden, ist es fast unmöglich, dass das Schiff ohne Steuermann sicher unter die Brücken und durch die sonstigen Hindernisse hindurch navigieren konnte.

Einen Tag später wird in einem nahe gelegenen Ort eine Leich entdeckt. Ein Mann ist aus dem Fenster gestürzt, und die Polizei vermutet zunächst einen Selbstmord. Die Spuren am Tatort lassen jedoch darauf schließen, dass der Verstorbene ermordet wurde. Kurze Zeit später stellt sich heraus, dass es sich hierbei um den Bruder des verschwundenen Schiffsmannes Tonna handelt …

Commissario Soneri steht vor einem Rätsel. In welchem Zusammenhang steht das Verschwinden des einen Bruders mit dem Tod des anderen? Und welche Chance besteht, dass Anteo Tonna nach seinem Verschwinden überhaupt noch unter den Lebenden weilt?

Soneri geht der Sache auf den Grund, stößt dabei aber auf eine Mauer des Schweigens. Die alten Männer, die sich in der Gegend herumtreiben, stören sich an der Schnüffelei des Commissarios, wollen ihm bei seinen Ermittlungen nicht weiterhelfen. Erst als dieser herausfindet, dass es sich beim Tatmotiv um eine Geschichte aus längst vergessener Zeit handeln könnte und das politische Treiben der Nachkriegszeit manchen der Herrschaften immer noch durch den Kopf schwirrt, beginnt er durch die konfusen Vorgänge durchzublicken. Infolgedessen taucht Soneri in die Welt von versteckten Faschisten, fanatischen Alt-Kommunisten und Menschenschmugglern ein und beginnt, die Puzzlestücke für das große Rätsel Stück für Stück zusammenzusetzen.

_Bewertung:_

Valerio Varesi kennt sich gut aus in der Pogegend, denn er erzählt die Geschichte mit sehr viel Liebe zum Detail und listet dabei eine ganze Reihen von Fakten auf, ohne dass die Geschichte ihren Erzählcharakter verlieren würde. So gelingt es ihm auch spielend, dem Roman von Beginn an die nötige Authentizität zu verleihen, und es dauert maximal zehn Seiten, da glaubt man selbst schon, der Fluss bzw. das Hochwasser würden im eigenen Keller hausen. Sehr gelungen!

Von der recht kühlen Atmosphäre mal abgesehen, hat Varesi aber auch eine kluge und spannende Handlung konstruiert, in die immer wieder neue Details einfließen können, welche wiederum für stetig neue Wendungen sorgen. So baut Varesi die einzelnen Teile der Geschichte stückweise auf und rollt den Strang in aufeinanderfolgenden Episoden auf. Das hat aber leider auch den Nachteil, dass ,diverse wichtige Einzelheiten erst recht spät im Roman auftauchen und so einige zuvor geschilderte Themen unwichtig erscheinen lassen.

Trotzdem weicht Varesi nie von der eigentlichen Handlung ab und legt so auch ein relativ flottes Erzähltempo vor. Simpel geschrieben, aber effektiv und kurz ausgeschmückt – dieser Devise hat Varesi sich angenommen und liegt damit zweifelsohne auf Erfolgskurs, die Spannungskurve gibt ihm dabei schließlich recht.

Was mir persönlich sehr gut gefällt, sind die einzelnen Schwenks in die Vergangenheit mit ihrem Bezug zur Gegenwart. Der Autor erzählt quasi zwei Geschichten und erklärt die vergangene mit der gegenwärtigen und umgekehrt. Hier hätte man die Angelegenheit inhaltlich lediglich noch etwas besser ausschmücken sollen, denn auch im Hinblick auf die Vergangenheit wünscht man sich als Leser des Öfteren detailliertere Einzelheiten zur politischen Lage Italiens in der Nachkriegszeit. Aber gut, Varesis Aufgabe ist es nicht, zu informieren, sondern zu unterhalten, und diesbezüglich hat der Schriftsteller und Redakteur einen fabelhaften Job hingelegt, nicht zuletzt aufgrund des authentischen Transfers und der perfekt eingefangenen, eigenwilligen italienischen Gemüter (speziell die etwas zickige Freundin des Commissarios, aber auch der Hauptcharakter und seine alten Gegenspieler).

Krimifans kommen also auf ihre Kosten und finden in „Der Nebelfluss“ exzellente und kurzweilige Unterhaltung für zwischendurch, Italien-Begeisterte hingegen sollten in dieser Geschichte ein weiteres literarisches Muss entdecken.

Leonie Swann – Glennkill. Ein Schafskrimi

Schaf beobachtet. Schaf kombiniert.

Der Fall George Glenn

George ist tot. Der wunderliche Schäfer aus dem irischen Glennkill liegt eines Tages mit einem Spaten in der Brust auf der Weide. Die Ermittlungen beginnen, und damit beginnt auch ein ganz normaler Krimi.

Sollte man meinen. Ist aber nicht so. Denn in „Glennkill“ spielt eine ganze Schafherde die Hauptrolle. Und die können wahrhaft mehr als nur blöken. Allen voran Miss Maple, das klügste Schaf von Glennkill und vielleicht sogar der ganzen Welt, die sich mit Schafsverstand des Kriminalfalls annimmt.

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Baxter, Stephen – Orden, Der (Kinder des Schicksals 1)

Der Engländer Stephen Baxter (* 1957) ist bekannt für seine naturwissenschaftlich fundierten Science-Fiction-Romane. Er studierte in Cambridge Mathematik und ist Doktor der Ingenieurswissenschaften. Er lehrte einige Jahre Mathematik, Physik und Informatik, bevor er 1991 seinen ersten Roman „Das Floß“ (The Raft) veröffentlichte. Seit 1995 arbeitet Baxter hauptberuflich als Autor und wurde seitdem mit zahlreichen renommierten SciFi-Preisen wie dem |Philip K. Dick Award| und unter anderem auch den deutschen Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet.

Was Baxter von vielen anderen Autoren „harter“ Science-Fiction unterscheidet, ist seine Fähigkeit, schwierige Fragen, Sachverhalte sowie physikalische Gegebenheiten und Theorien unterhaltsam und für Laien nachvollziehbar zu verpacken.

Dabei ist Baxter kein Technomane, der sich auf die rein technologische Weiterentwicklung der Menschheit versteift. [Evolution 282 ist – wie in seinem gleichnamigen Roman – bei ihm ebenfalls ein Thema, und dabei hört er keinesfalls bei der menschlichen Evolution auf.

|Schwestern sind wichtiger als Töchter|

Der Roman „Der Orden“ (Original: „Coalescent“) stellt den Auftakt der Serie „Kinder des Schicksals“ dar, die in dem älteren „Xeelee“-Universum Baxters angesiedelt ist. Er bereitet den Boden für das Verständnis der Folgebände wie „Sternenkinder“, die in einer weit entfernten Zukunft angesiedelt sind und vom jahrtausendelangen Zermürbungskrieg der Menscheit mit den Xeelee handeln. Ganz im Gegensatz dazu spielt dieser Roman in unserer Gegenwart – und in der römischen Vergangenheit Britanniens!

Der Computerexperte George Poole kehrt nach dem Tod seines Vaters zur Haushaltsauflösung in sein Geburtshaus nach Manchester zurück. Dabei entdeckt er ein merkwürdiges Foto, das ihn im Alter von ungefähr drei Jahren zeigt – und ein unbekanntes Mädchen, das zur Familie zu gehören scheint. Seine ältere Schwester Gina kann es nicht sein. Wer ist die Unbekannte?

George stellt Nachforschungen an, unterstützt von seinem Jugendfreund Peter, einem ehemaligen Polizisten, der seine Vorliebe für Technik und alte Science-Fiction-Romane der 60er Jahre teilt, seinen abstrusen Theorien über außerirdische Intelligenzen, die er mit gleichgesinnten „Slantern“ im Internet entwickelt hat, allerdings skeptisch gegenübersteht.

Schließlich findet George die Spur seiner Schwester Rosa, die als Kind aufgrund sozialer Nöte der Familie von einem römischen Marienorden adoptiert wurde. Was George noch nicht weiß: Er steht genauso wie seine Schwester Rosa in einer Verwandschaftsbeziehung zu diesem Orden, der auf seine Urahnin Regina zurückgeht, die im dunklen Zeitalter des Niedergangs römischer Kultur in Britannien lebte und den Orden entscheidend prägte. Einen Orden, der sich abgeschottet in den römischen Katakomben jahrhundertelang entwickelte, zu etwas, das sowohl George als auch insbesondere Peter mit Entsetzen und Unverständnis erfüllt: einer Art menschlichen Schwarms.

|Unwissenheit ist Stärke|

Wer bei Science-Fiction den Blick Richtung Himmel und Zukunft wendet, wird bei diesem Roman eine herbe Bruchlandung erleiden, denn seine Erwartungshaltung wird gewiss nicht erfüllt werden.

„Der Orden“ handelt in der Gegenwart, in der George den Geheimnissen einer düsteren Vergangenheit auf die Spur kommt. Weite Teile der Geschichte spielen im historischen Britannien der Römerzeit und stellen einen lupenrein recherchierten historischen Roman dar, in dem Georges Vorfahrin Regina eine tragende Rolle spielt. Immer wieder wechselt Baxter zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Dabei dürften sich viele Leser fragen: Warum? Auf was will er hinaus?

Leider ist dieser tote Punkt in der Mitte des Buches ein echter Stolperstein, der auch nicht dadurch kompensiert werden kann, dass der historische Teil des Romans sehr gut und unterhaltsam geschrieben ist – Zusammenhang und Spannungsbogen fehlen hier, erst am Ende des Romans löst sich alles in Wohlgefallen auf.

Regina, auf die der ominöse Orden zurückgeht, ist die Tochter eines römischen Gutsherren in Britannien. Aber leider wird sie in schlechten Zeiten geboren: Der Vater der Familie stirbt, ihre Mutter lässt sie im Stich. Mit ihrem Onkel Aetius, einem alten Soldaten, erlebt sie den Niedergang römischer Zivilisation in Britannien. Nach dessen Tod lebt sie unter Barbaren, auch ihre Tochter Brica wächst in primitiven Verhältnissen auf.

Regina wird gar zur Geliebten von König Artorius, der mitsamt seinen Zauberer Myrddin (hier: ein Experte für die Herstellung von Eisen und Eisenwaffen) eher als historische Person denn mythische Figur dargestellt wird. Beide haben einen Traum: eine andauernde Zivilisation zu schaffen. Doch, ganz im Sinne römischer und italienischer Tradition, steht bei Regina die Familie im Mittelpunkt ihres Handelns.

Während der erfolgreiche Kriegsherr Artorius schließlich doch scheitert bei seinen Feldzügen und seine Ordnung und Zivilisation dem Niedergang anheim fällt, schafft die mittlerweile nach Rom zurückgekehrte Regina, ohne es selbst ganz zu verstehen, ein hierarchieloses, ewiges, sich selbsterhaltendes Gebilde: einen menschlichen Schwarm.

|Hör auf deine Schwestern|

Die durch Leid und Niedergang der von ihr geliebten Kultur und Zivilisation tief getroffene Regina hat instinktiv begriffen, wie sie die ihr heilige Familie bewahren kann. Auch wenn ihre Angehörigen in der Krypta inmitten der Katakomben Roms sie nicht verstehen – sie hört noch auf dem Sterbebett den Satz „Ich verstehe dich nicht, meine Liebe“ – wird ihre Gesellschaft ohne Regeln und ohne einen „ehrgeizigen Idioten“, eine Autorität wie Artorius, funktionieren.

Die Grundlagen der Schwarmgesellschaft, die sich entwickeln wird, sind einfach: Schwestern sind wichtiger als Töchter. Unwissenheit ist Stärke. Hör auf deine Schwestern.

Die einzige Regel, die Regina ihren Angehörigen auferlegt hat, und die prinzipiell überflüssig ist, ist ihr Heiligtum: Ihre drei römischen Hausgötter oder Laren, die verehrten |matres|. Analog zu den drei Holzfiguren soll es reale Mütter geben. Diese Mütter sollen immer drei oder das mehrfache von drei zählen, und nur sie dürfen Töchter gebären – alle anderen sind Schwestern, eine große Familie. Eine Familie, die so genetisch enger verwandt ist, als es sonst üblich oder möglich wäre, würden sie alle Kinder zeugen mit fremden Vätern. Sie geben ihre Gene weiter, indem sie ihrer Mutter helfen, ihre Schwestern auszutragen.

Die Stärke aus der Unwissenheit ist die Bedingung, dass der Orden nicht von einzelnen Personen abhängt, sondern sich selbst erhält. Jedes Glied dieses Schwarms hat eine spezialisierte Aufgabe, kann aber jederzeit durch ein anderes ersetzt werden. Man muss nicht wissen, warum man etwas tut; etwas, das Lucia erfahren wird.

Lucia stellt ein Mädchen dar, das zur Brüterin des Ordens werden soll, zu einer Mutter. Sie will aber gar nicht, ihr ist die Konformität zuwider, sie will etwas ganz Anderes. Auch für George und Peter ist das spezialisierte Leben als Gebärmaschine des Ordens sowie der zahllosen Mädchen des Ordens, die quasi zu geschlechtslosen Neutren mutieren, eine Horrorvision.

Der letzte Leitsatz ist, man soll auf seine Schwestern hören. Keine hat dabei eine Vormachtstellung, sondern eine Aufgabe im Schwarm, ist ersetzbar. Auch wenn sie nicht mehr wissen sollten warum, arbeitet die Familie des Ordens oder Schwarms zusammen.

Sie knüpfen engere Bande als bei Menschen üblich. Der durch die Enge in der Krypta entstandene Geruch wird wichtig, wie bei Ameisen – Pheromone übertragen Eindrücke zu den anderen Mitbewohnern, fremde Personen wie George werden beim Betreten der Krypta vom Gestank überwältigt und bemerken verstört, wie alle sie ohne ein Wort als Fremdkörper betrachten und anstarren. Neben der intensiven Wahrnehmungen von emotionalen Befindlichkeiten, verändern sich die Bewohner von Reginas Orden auch körperlich: Schon alleine die Dauer einer Schwangerschaft ist bei den Müttern wesentlich kürzer als bei normalen Menschen.

|Koaleszenz, Emergenz und Eusozialität|

Der ganze historische Teil des Romans dient somit der sanften Einführung in fremdartige Konzepte und erklärt, wie sie möglicherweise entstehen könnten. Die Prinzipien der Eusozialität und Emergenz, auf denen eine Koaleszenz, also ein menschlicher Schwarm, beruht, werden so beispielhaft und nachvollziehbar anhand von Reginas Leben unterhaltsam nahe gebracht.

Leider wird dies dem Leser erst gegen Ende des Romans klar, bis dahin mag der geneigte SciFi-Leser sich fragen, warum ein historischer Roman, wenngleich ein gut recherchierter und geschriebener, unter der Bezeichnung Science-Fiction vermarktet wird.

Die Gegenwartsebene schildert die Reaktion von George und Peter auf diesen menschlichen Schwarm. Am Beispiel Lucias, die zu einem Leben als „Brüterin“ verdammt wird, wird uns die Unmenschlichkeit dieses Konstrukts bewusst. Aber Baxter ist hier nicht einseitig moralisierend, er zählt auch Vorzüge auf, von Nähe und Geborgenheit, intensiver Zugehörigkeit und selbstloser Aufopferung, die eine menschliche Familie gewöhnlicher Prägung niemals erreichen könnte.

_Fazit_

Man kann geteilter Meinung sein, ob es klug war von Baxter, den Leser so lange im Dunkeln tappen zu lassen, besonders pure SciFi-Fans könnten von dem historischen Teil des Romans sehr gelangweilt sein. Wer hingegen historischen Romanen etwas abgewinnen kann, wird besser unterhalten. Letzten Endes ist auch die dem Roman zugrunde liegende Idee recht dünn und zudem nicht neu: Menschliche Ameisenhaufen sind in der Science-Fiction-Literatur mindestens so zahlreich wie die zahllosen menschlichen Schwarmgesellschaften der Zukunft, die Baxter uns in einem kurzen Ausblick gegen Ende des Romans in die Zukunft seines Universums schildert.

Er legt hier die Grundlage für den Folgeband „Sternenkinder“, in dem die hier beschriebenen Problematiken und Gesellschaftsformen in der Zukunft für handfeste Probleme sorgen werden.

Seit nahezu dreitausend Jahren liegt die Menschheit im Krieg mit den Xeelee, die sowohl technologisch als auch physiologisch und strategisch im Vorteil sind. Dieser Zermürbungskrieg muss zwangsweise verloren gehen, uralte Doktrinen hemmen Individualität und Kreativität, überall bilden sich Menschenschwärme in abgelegenen und vergessenen, auf sich allein gestellten Ecken der Galaxis, die von Presskommandos ausgelöscht und die Überlebenden als Kämpfer im Krieg gegen die Xeelee verheizt werden, in einer Art Mottentaktik: Die Menschen-Motten stürzen in Massen auf die Kerze, in der Hoffnung, das Licht zu ersticken …

Womit die martialische Doktrin des legendären Hama Druz „Ein junges Licht brennt hell“, einen makabaren Beigeschmack erhält.

Wenn man den „Orden“ gelesen hat, werden Zusammenhänge und Problematiken in „Sternenkinder“ begreiflicher. So kann man sich fragen, ob die Menschheit in ihrer Gesamtheit nicht als Schwarm handelt und außerirdische Rassen wie andere Schwärme bekämpft, so wie man es mit Sub-Schwärmen innerhalb der eigenen, durch Doktrinen eingeengten Gesellschaft seit Jahrtausenden tut. Denn an Individualität und Eigeninitiative fehlt es den unzähligen Menschen in ihrem riesigen, galaxienüberspannenden Menschheitsschwarm, der zwar keine extreme Form darstellt, aber durch Doktrinen in ähnliche Bahnen gedrängt wird wie der kleine Ur-Schwarm des Marienordens in „Der Orden“.

Der „Kinder des Schicksals“ genannte Zyklus zeigt auf unterhaltsame Weise Möglichkeiten der menschlichen Evolution auf. Auch wenn der „Orden“ auf einer recht simplen Idee fußt und weitgehend ein historischer Roman mit anfangs scheinbarer Zusammenhanglosigkeit zur Gegenwart und zur Science-Fiction im Allgemeinen ist, kann er, wenn man eine gewisse Durststrecke überwunden hat, faszinieren. Vor allem ermöglicht die Lektüre den vollen Genuss des Folgebands „Sternenkinder“, der sowohl klassisch-konventionelle Wünsche von Science-Fiction-Lesern befriedigt als auch eine ganze Ecke fantastischer und spannender ist.

The Baxterium – Die offizielle Homepage des Autors:
http://www.cix.co.uk/~sjbradshaw/baxterium/baxterium.html