Spinrad, Norman – Transformation, Die

Eigentlich hat es den Künstleragenten Texas Jimmy Balaban nur in die tiefste Provinz verschlagen, weil er mit seiner neuesten Eroberung auf der Flucht vor dem Privatdetektiv seiner Noch-Ehefrau ist. Während der abgrundtief schlechten Talentshow des ortsansässigen Hotels bemerkt er den Komiker Ralf, der nicht nur durch einen sicheren Auftritt und gutes Timing aus der Masse hervorsticht – Ralf behauptet, er stamme aus der Zukunft, nur habe ihm sein Manager versprochen, ihn im Jahre 1969 in Woodstock aus der Zeitmaschine treten zu lassen.

Balaban nimt den seltsamen Kauz unter Vertrag, der sich bald zum Star mausert und mit „Ralfs Welt“ eine eigene TV-Show zur besten Sendezeit bekommt. Der Science-Fiction-Autor Dexter Lampkin lässt sich überreden, Texte für die Show zu schreiben. Er entwickelt die Details der düsteren Zukunft, aus der Ralf zu stammen behauptet.

Lampkin hat vor Jahren mit dem Roman „Die Transformation“ sein idealistisches Hauptwerk geschrieben, in welchem die Menschen Signale von einer unwesentlich weiter entwickelten extraterrestrischen Spezies empfangen, die ihre Probleme mit der Umweltzerstörung, Atomkraft und Gentechnik nicht in den Griff bekommen hat. Es scheint ein allgemeines Phänomen zu sein, dass Zivilisationen in einem gewissen Entwicklungsstadium sich selbst durch die eigene Unvernunft zerstören. Einige Wissenschaftler fassen da den Plan, der Menschheit dieses Schicksal zu ersparen und entwerfen eine falsche Aliengottheit, die der Allgemeinheit den Weg in die lichte Zukunft weisen soll. Der Roman war ein Verkaufsflop, aber Lampkin ist der Glaube geblieben, Science-Fiction könne die Welt verändern.

Zweite wichtige Person in der Kreativzone der Show ist Amanda Robin, eine New-Age-Anhängerin, die in Ralf eine Manifestation des Zeitgeistes sieht. Beide, Lampkin und Robin, meinen mit „Ralfs Welt“ Einfluss auf die Menschen nehmen zu können. Ralf selbst wirkt fast wie eine leere Leinwand, auf die sie ihre Vorstellungen projizieren können: Ralf ist ebenso sehr Abgesandter einer kaputten Zukunft, der die Menschheit auf den richtigen Weg führen will, wie auch Avatar des Zeitgeistes, ein neuer Messias, der x-te Versuch nach Prometheus, Jesus Christus und JFK – oder vielleicht auch nur ein durchgedrehter Provinzkomiker.

Richtig klar wird dies nie. Eine Zeitlang funktioniert die Sendung gut, erfüllt Ralf die unterschiedlichen in ihn gesetzten Erwartungen – bis er immer mehr über seine Rolle hinauswächst.

Spinrad hat mit „He walked among us“, so der Originaltitel, ein sehr ambitioniertes Werk verfasst, das weit mehr als andere Bücher, die dieses Etikett aufgeklebt bekommen haben, die Bezeichnung „Roman des neuen Jahrtausends“ verdient. Es ist ein großer Rundumschlag, den Stand der modernen Zivilisation betreffend. Die ökologischen und wirtschaftlichen Probleme sind ja schon oft thematisiert worden, Spinrad geht allerdings noch weiter, indem er hinterfragt, was für den Einzelnen überhaupt Realität ist.

Deshalb ist „Die Transformation“ auch wieder ein Medienroman – und ähnlich wie Spinrads letztes Werk dieser Art, „Bilder um 11“, ist er bei allen brillant gestalteten Szenen doch etwas anstrengend. Voraussetzung für das Lesen ist der Glaube, eine solche Einpersonensendung wie „Ralfs Welt“ könne wirklich eine größere Menge von Menschen bewegen. Spinrad packt eine Menge kluger und auch streitbarer Ideen in seinen sehr umfangreichen Roman, den man gern hier und da etwas kürzen dürfte. Gerade in der Phase, bevor sich Ralfs Wandel vom Komiker aus der Zukunft zu einer ernsthafteren und undurchschaubareren Person ganz vollzieht, ist „Die Transformation“ ziemlich zäh. Man kann Spinrad auch eine gewisse Selbstverliebtheit in seinem Roman nicht absprechen. Neben dem Gehalt an Ideen fällt überdies wieder einmal Spinrads Fähigkeit auf, glaubhafte und auch sehr unterschiedliche Charaktere zu schaffen.

Ein zweites großes Thema sind die Science-Fiction und ihr Fandom. Hier ist Spinrad richtiggehend gallig: Lampkin erträgt Cons, wie die meisten Autoren, nur in einer Mischung aus Bekifft- und Betrunkensein. Die meisten Fans sind zwar überdurchschnittlich intelligent, fallen aber sonst durch unglaubliche Körperfülle, eng beieinanderstehende Augen, seltsame Aufmachung und pure soziale Inkompetenz auf. Auf den Conventions kann ein Autor sich kaum vor Groupies retten. Andererseits glaubt auch ein Dexter Lampkin an die Macht der Literatur, glaubt er, mit seinen Büchern, mit Science-Fiction die Menschen nicht nur zum Nachdenken sondern auch zum Handeln zu bringen.

Das Buch ist nichts für Zartbesaitete: Gerade in der Nebenhandlung um Lotter Lotti, die von Crack abhängig wird und am Tiefpunkt ihrer Existenz im Gewirr der New Yorker U-Bahn-Tunnel eine Begegnung der dritten Art mit Ratten hat, geht es sowohl im Inhalt als auch im Stil äußerst heftig zur Sache.

Wer sich auf die Reise in „Ralfs Welt“ einlässt, kann etliche faszinierende Stunden mit Spinrads Roman verbringen. Man muß sich jedoch einige Erholungspausen gönnen; der Wiedereinstieg wird einem durch die etwas redundante Art des Erzählens, bei der etliche Einzelheiten an späterer Stelle noch einmal wiederholt werden, erleichtert. Und man sollte auch als Fan das Fandom nicht nur mit größtem Ernst betrachten können.

Übrigens ist „Die Transformation“ eine Originalausgabe – bis jetzt hat sich kein amerikanischer Verlag für das Manuskript finden lassen. In englischer Sprache wurde der Roman dann zwar 2003 veröffentlicht, aber auch nur im eBook-Format. Sehr lobenswert, dass der |Heyne|-Verlag sich nicht scheut, auch kontroverse und schwierige Romane zu veröffentlichen, denen aber wohl leider (wie Lampkins „Transformation“) ein breites Publikum versagt bleiben wird; bislang gab es auch, wie bei vielen Werken Spinrads, keine weiteren Auflagen des Romans.

_Andreas Hirn_ © 2002
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ veröffentlicht.|

Spinrad, Norman – tropische Millennium, Das

Nach dem Fortschreiten der globalen Erwärmung herrschen in der Mitte des 21. Jahrhunderts katastrophale Zustände auf der Erde. In Libyen gelingt es Monique Calhoun, für das |Brot & Spiele|-Syndikat, dessen Angestellte und Bürger-Aktionär sie ist, ein weitaus besseres Geschäft mit (vordergründigen) Bewässerungsanlagen abzuschließen, als zu erwarten war. |B&S| schickt sie daraufhin nach Paris, wo sie für die diesjährige UNACOCS den VIP-Service betreuen soll. Diese UN-Konferenz beschäftigt sich mit dem Problem der globalen Erwärmung und den Möglichkeiten, das Klima wieder an das gewohnte Maß anzupassen.

Doch auch hier gibt es zwei Seiten; denn zwar gehören Afrika und Südamerika zu den Verlierern des Klimawandels, und auch die USA haben etwas verloren – Florida und Louisiana nämlich -, doch gibt es auch Gewinner. Paris zum Beispiel hat nun einen ganzjährigen Bilderbuchsommer, und auch den Nordeuropäischen Staaten und Sibirien kommt inzwischen eine ganz andere Bedeutung zu. Eine Bedeutung, die die Gewinner des Klimawandels nicht so einfach wieder hergeben wollen.

So entwickelt sich ein anscheinend undurchschaubares Intrigenspiel um die Möglichkeit eines Venuseffekts, der vielleicht von einem eventuell vorhandenen perfekten Klimamodell vorausgesagt werden könnte …

Mit dem „tropischen Millennium“ (naja, über die Qualität eines deutschen Titels kann man trefflich streiten …) beweist Norman Spinrad wieder einmal, dass er zum Besten gehört, was die internationale SF-Szene zu bieten hat. Dieses Gedankenspiel einer möglichen Zukunftsvariante ist hochinteressant, politisch brisant und teilweise mit einem bösem Sarkasmus behangen, wie ihn wohl nur Spinrad so meisterhaft beherrscht.

Gerade dieser Zynismus ist es, der diesen Roman höchst lesenswert macht. Hier gibt es nirgendwo ein Gut und Böse, kein Schwarz und Weiß. Alles versinkt in einem übergreifenden Grau. Die Syndikate sind internationale Konzerne, Aktiengesellschaften gleich, die je nach Satzung ihre Mitarbeiter zu sogenannten „Bürger-Aktionären“ und somit zu Anteilseignern machen. Soweit ist das ja nichts unbedingt Neues – doch die Syndikate haben es in sich. So gibt es zum Beispiel ein |Böse Buben|-Syndikat, das angeblich aus der Mafia und ähnlichen Vereinigungen heraus entstanden sein soll. Zu Anfang in Libyen plant man dann auch gleich, die angeblichen Bewässerungspläne der Wüste zum Hasch- und Marihuana-Anbau zu nutzen, ganz so, wie man dies von einer solchen Vereinigung erwarten sollte. Ebenso auch die Auftragsmorde. Doch hier trügt der Schein, verwischt das Schwarz zu Grau (dies genauer auszuführen würde bedeuten, einiges vom Lesespaß des Romans vorwegzunehmen).

Auch auf der anderen Seite, bei den Syndikaten, die die Erderwärmung bekämpfen wollen, ist nicht alles eitel Sonnenschein. Die vermeintlich Guten wandeln sich zu den Bösen – oder vielleicht doch wieder zu den Guten?!? Das allumfassende Grau schlägt auch hier wieder zu. Dabei lässt Spinrad den Leser niemals längere Zeit in dem Gefühl, er wüsste nun, wer denn hier die „Guten“ sind und wer die „Bösen“. Geschickt hält er selbst seine Protagonisten in dieser Grauzone gefangen und entwickelt um sie eine furiose Handlung um Moral und Ethik – und der unterschiedlichen Sichtweisen hierzu.

„Das tropische Millennium“ ist dabei auch ein hochgradig politischer Roman, ohne wirklich Politiker als Charaktere zu schildern oder sie gar als Hauptpersonen anzubieten. Unwillkürlich fühlt sich der Leser an die reale Politik erinnert, wenn er bei dem einen Syndikat mal mit dem einen Aspekt sympathisiert und beim anderen halt mit dem anderen, ohne dass eines der Syndikate wirklich eine allumfassend vertretenswerte Stellung bezöge.

Dies alles verpackt Spinrad ein einen höchst interessanten und atemberaubend spannenden Roman – ohne dass er großartig irgendwelche Action-Elemente einsetzen müsste. Der Autor interessiert sich rein für die gesellschaftlichen Aspekte seiner Handlung – und reißt den Leser damit wesentlich mehr mit, als dies mit einer actionlastigen Handlung überhaupt möglich gewesen wäre. Es ist jedenfalls verdammt schwierig, diesen Roman aus der Hand zu legen, bevor man ihn beendet hat. Und wenn auf dem Klappentext die |San Diego Tribune| mit „Ein Roman, wie er aktueller nicht sein kann. Lesen Sie ihn, bevor der Meeresspiegel ansteigt“ zitiert wird, so habe ich dem eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen. Dieser Roman gehört eindeutig in das Bücherregal eines jeden Lesers anspruchsvoller SF! Und derjenige, der sich sonst mit gesellschaftspolitischen Schilderungen nicht so anfreunden kann, sollte zumindest einmal einen Blick in „Das tropische Millennium“ werfen.

Fazit: Ein weiteres Meisterwerk Norman Spinrads. Dieser sarkastisch-zynische Blick auf eine Gesellschaft, die innerhalb des nächsten halben Jahrhunderts zu einem Grau-in-Grau mutiert ist, sollte in keinem Bücherregal fehlen. Zumal man sich die Frage stellt, wie weit die jetzige Gesellschaft von dieser Schilderung noch entfernt ist…

_Winfried Brand_
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Kerr, Philip – zweite Engel, Der

Ein tödliches, sich global verbreitendes Virus hat die Menschheit in zwei Gruppen gespalten. Infizierte, die mit stark verkürzter Lebensdauer in heruntergekommenen Vorstadtghettos ein von Gewalt und Willkür geprägtes Leben fristen, und Nichtinfizierte, mit Privilegien ausgestattet und von den Aussätzigen weitestgehend isoliert in Luxus schwelgend. Da mit Hilfe eines Blutaustausches Infizierte geheilt werden könnten, ist die einzig wirklich zählende Währung Blut. Daran haben jedoch die elitären Bonzen kein Interesse und horten stattdessen ihr selbst gespendetes oder auch zusätzlich erworbenes Blut in gigantischen Depots.

Dallas, ein Computer- und Sicherheitsexperte, entwickelt komplexe und trickreiche Verteidigungsanlagen, um diese Blutbanken zu schützen. Als klar wird, dass seine Tochter an einer schweren genetischen Erbkrankheit leidet, die nur mit kontinuierlichen Bluttransfusionen gemildert werden kann, erklärt ihn sein Arbeitgeber zum Sicherheitsrisiko. Er würde für die Behandlung seiner Tochter mit der Zeit mehr Blut konsumieren als er sich leisten kann. Die Firma setzt den Killer Rimmer auf ihn an. In einer gnadenlosen Jagd gelingt es Dallas zunächst zu entkommen, doch Rimmer tötet seine Familie. Dallas schwört Rache und schmiedet einen Plan, die größte Blutbank auf dem Mond auszurauben. Dazu muss er den Supercomputer Descartes überlisten und, wie Theseus den Minotaurus, einen Roboter in einem finsteren und voll böser Überraschungen steckenden Labyrinth überwinden.

In großen Teilen erfreulich anspruchsvoll liest sich der Roman des Schotten und hebt sich im Niveau wohltuend von denjenigen seiner amerikanischen Kollegen ab, nicht zuletzt durch die zahlreichen Anspielungen auf klassische Philosophie beziehungsweise auf die griechische Mythologie und die Apokalypse. Den Titel „Der zweite Engel“ hat Kerr vermutlich der Johannes-Offenbarung entlehnt:
|“Und der zweite Engel goß aus seine Schale ins Meer; und es wurde zu Blut wie von einem Toten, …“| (Joh. Offb. 16,3; Luther-Fassung von 1984).

Etwas ermüdend können zwar die zahlreichen Anmerkungen wirken, in denen Kerr die wissenschaftlichen Hintergründe zu erklären versucht, doch die fein durchdachte Geschichte mit der richtigen Dosis Spannung, faszinierenden Spekulationen in Richtung Nanotechnik und Quantenphysik, interessanten technischen Spielereien und einem überraschenden Schluss vertreibt die zähen Passagen zuverlässig und schnell. Dabei kann man auch gelassen über manche biologische Unstimmigkeiten hinwegsehen. Die Vermischung zwischen Fiktion und Realität mag zwar hin und wieder zu einer schwer nachvollziehbaren Logik führen, ist aber sehr unterhaltsam.
Eine Stelle, etwa in der Mitte des Buches, als sich der rachedurstige Dallas mit seiner Crew Richtung Mond aufmacht, um die |First National Blood Bank| auszurauben, erscheint sehr schwach. Der Stil verflacht hier merklich, die Dialoge zwischen den Hauptpersonen sind ziemlich banal und die Spannung kommt erst wieder, als sich der Bösewicht Rimmer eindrucksvoll zurückmeldet.
Hin und wieder mag man starke Ähnlichkeiten zu Dicks „Blade Runner“, „Total Recall“ und Gibsons „Neuromancer“ entdecken, doch auch wenn Kerr hier Vorbilder hatte, gelingt es ihm vortrefflich, sie mit seinen eigenen Ideen zu einem runden Gesamtbild zu verflechten. Ein prächtiges Buch, das in jeder guten SF-Sammlung einen Platz verdient hat:
„Seid guten Blutes“.

_Jim Melzig_
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Nachtrag: „Der zweite Engel“ erscheint derzeit zusammen mit „Game Over“ in einem Band bei |Wunderlich| zum Einzelbuchpreis. Zugreifen!

Algernon Blackwood – Besuch von Drüben. Gruselgeschichten

Inhalt:

Eine Sammlung acht klassischer Gruselgeschichten, die zum Besten gehören, was das Genre zu bieten hat:

Der Horcher (The Listener, 1907), S. 7-43: Der arme Schriftsteller bezieht eine ungewöhnlich billige Wohnung. Allerdings muss er die feststellen, dass der tragisch aus dem Leben geschiedene Vormieter sein Domizil noch nicht verlassen hat.

Die Spuk-Insel (A Haunted Island, 1899), S. 44-64: Auf eine Insel in der Wildnis Kanadas zieht sich ein Student zurück, um fern aller Ablenkung zu lernen. Dies missglückt, weil ihm geisterhafte Indianer auflauern.

Besuch von Drüben (Keeping His Promise, 1906), S. 65-82: Nach vielen Jahren treffen die Freunde Marriott und Field sich wieder. Erst spät erinnert Marriott sich ihres alten Schwurs: Wer zuerst stirbt, kommt den Überlebenden besuchen.

Gestohlenes Leben (With Intent to Steal, 1906), S. 83-110: Der große Abenteurer Shorthouse erfährt von einer Scheune, in der es umgeht. Für den neugierigen Geisterjäger und seinen Gefährten beginnt eine Nacht, an die sie noch lange denken werden – falls sie überleben.

Kein Zimmer mehr frei (The Occupant of the Room, 1909), S. 111-121: Minturn ist froh, in dem überfüllten Schweizer Hotel noch ein Zimmer zu bekommen. Die Vormieterin ist vor ein paar Tagen auf einer Bergwanderung verloren gegangen, doch in der Nacht zeigt sich, dass sie dem müden Reisenden näher ist als diesem lieb sein kann.

Ein gewisser Smith (Smith: An Episode in a Lodginghouse, 1906), S. 122-141: Es ist aufregend, ein Haus zu bewohnen, in dem ein Hexenmeister seine magischen Künste betreibt; das gilt ganz besonders dann, wenn dieser mächtigere Geister heraufbeschwört, als er unter Kontrolle zu halten vermag.

Seltsame Abenteuer eines Privatsekretärs in New York (The Strange Adventures of a Private Secretary in New York, 1906), S. 142-181: Der wackere Shorthouse (s. o.) soll für seinen Brotherrn einen Erpresser austricksen. Dieser lebt in einem überaus einsam gelegenen Haus und lauert bereits darauf, seinem Gast den Aufenthalt unvergesslich zu gestalten.

Griff nach der Seele (A Psychical Invasion, 1908), S. 182-246: Ein übereifriger Schriftsteller versucht, seinen geistigen Horizont mit Hilfe von Drogen zu erweitern; tatsächlich öffnet er die Pforte zu einer Dimension böser Geister, von denen ihm einer nun im Nacken sitzt. Dr. John Silence, der berühmte Psychologe und Fachmann für das Okkulte, nimmt sich des Falles an.

Wo Geister richtig zur Sache gehen

Diesen „Besuch von drüben“ laden wir uns gern ein, wenn die Nächte wieder länger werden und zum Lesen einladen. Hier spukt es noch richtig, weil für den Verfasser nie der Wunsch, sich bei der Literaturkritik, die handgreiflich auftretende Gespenster nicht sonderlich schätzt, lieb Kind zu machen, im Vordergrund stand. Stattdessen wollte Algernon Blackwood sein Publikum unterhalten, ohne es gleichzeitig als Schar dummer Tröpfe abzuqualifizieren, denen es nur einen möglichst großen Schrecken einzujagen gilt.

Blackwoods Erzählungen sind deshalb spannend und unterhaltsam, denn ihr Verfasser war kein versponnener, weltabgeschieden hausender, sondern ein neugieriger, weit gereister Mann, der fest mit beiden Beinen im Leben stand. In gewisser Weise spiegelt „Besuch von Drüben“ sogar Blackwoods Biografie wider. Unglücklichen Familienverhältnissen entfliehend, reiste der junge Algernon nach Kanada („Die Spuk-Insel“, seine erste und schon meisterhafte Geistergeschichte überhaupt!) und ging später in die Vereinigten Staaten („Seltsame Abenteuer eines Privatsekretärs in New York“), wo er sich u. a. als Farmer, Hotelier, Journalist und Schauspieler versuchte. 1899 kehrte er nach England zurück, unternahm aber auch später ausgedehnte Europareisen („Kein Zimmer mehr frei“). Die daraus resultierenden Erfahrungen flossen in sein Werk ein: Jedem Leser ist sogleich klar, dass Blackwoods kanadische Wildnis oder seine Alpendörfer keine Hirngespinste sind.

Ist da noch etwas?

Diese Ortskenntnisse werden ergänzt durch ein immenses Wissen des Okkulten und Übersinnlichen, für das sich Blackwood seit seiner Kindheit brennend interessierte. Im Jahre 1900 trat er dem „Hermetic Order of the Golden Dawn“ bei, was seine mystischen Kenntnisse enorm erweiterte; „Ein gewisser Smith“ zeigt einen Magier bei der Arbeit, die dem Verfasser zumindest theoretisch vertraut war.

Hinzu tritt schließlich die Faszination über die neue, noch höchst umstrittene Wissenschaft der Psychologie. Blackwood glaubte an eine Welt des Okkulten, die bevölkert wird von bösen oder besser: der menschlichen Moral nicht unterworfenen, fremdartigen Geistwesen auf der einen und den klassischen Gespenstern auf der anderen Seite – Manifestationen im Leben wie im Tode kraftvoller, von starken Emotionen getriebener Seelen oder auch nur den Gefühlen selbst, die sich durchaus selbstständig machen und blindwütige („Gestohlenes Leben“) oder ziellose („Kein Zimmer mehr frei“), aber nicht wirklich intelligente Phantome formen können.

Alle diese Wesen leben normalerweise in ihrer eigenen Sphäre. Dort können sie zufällig gestört oder angelockt („Griff nach der Seele“), aber auch gezielt gerufen werden („Besuch von Drüben“, „Ein gewisser Smith“). Das theoretische Fundament, wie es hier skizziert wurde, lässt Blackwood in „Griff nach der Seele“ stellvertretend Dr. John Silence, „Physican Extraordinary“ – eine Mischung aus Sigmund Freud oder C. G. Jung und Sherlock Holmes – erläutern. Blackwoods Konzept ist auch deshalb zu interessant, weil es schon deutlich die Grenzen der klassischen viktorianischen Schauerliteratur sprengt, die das Gespenstsein primär als Strafe für diverse Verfehlungen wertete, derer sich der Geist im Leben strafbar gemacht hatte.

Geister klassisch und modern

Der frühe Blackwood ist noch nicht gänzlich frei von dieser Haltung: Der unglückliche Blount in „Der Horcher“ hat sich seinem schrecklichen, ohne jedes eigene Verschulden erlittenen Schicksal durch Selbstmord entzogen. Weil er so Gott, der aus unerfindlichen Gründen ein natürliches aber qualvolles Ende für ihn vorgesehen hatte, ins Handwerk pfuschte, muss er seine nun doppelt elende Existenz im Tode fortsetzen: ein wahrlich alttestamentarische Weltsicht, die im Kontext freilich nicht zwangsläufig befürwortet, sondern von Blackwood, dem Okkultisten, der wahrlich kein Bilderbuch-Christ war, auch angeprangert wird.

Ein wenig aus dem Rahmen fällt die Story „Seltsame Abenteuer eines Privatsekretärs in New York“. Hier lässt Blackwood das Grauen nicht schleichend auftreten, sondern entwirft – dem amerikanischen Schauplatz wohl angemessen – eine aktionsbetonte, teilweise witzig überzogene Grusel-Groteske im Stile Edgar Allan Poes. Zur Abwechslung wird nichts erklärt, sondern einfach nur geschildert. Dem Leser bleibt es dieses Mal selbst überlassen, sich einen Reim auf die Erlebnisse des unerschrockenen Jim Shorthouse zu machen.

Leider wird bei dieser Gelegenheit einer der weniger angenehmen Wesenszüge Blackwoods offenbar: Die Figur des Juden Marx trägt unverkennbar antisemitische Züge. Sollte dies keine ‚Zugabe‘ des Übersetzers sein, hätte der Verfasser der latenten, alltäglichen Judenfeindlichkeit der britischen Gesellschaft ein Denkmal gesetzt, so wie wenige Jahre später Hollywood Amerikas Indianer in aller vermeintlichen Unschuld als blutrünstige Wilde und Bilderbuch-Bösewichte zu missbrauchen begann. Unerfreulich bleiben die für die Geschichte völlig unnötigen und daher noch deutlicher ins Auge stechenden Unterstellungen aber allemal.

Autor

1869 wurde Algernon Blackwood in Shooter’s Hill in der Grafschaft Kent (heute ein Teil Londons) geboren. Seine Eltern gehörten einer strengen calvinistischen Splittergruppe an, doch Algernon betrachtete die ‚etablierten‘ Religion skeptisch. Er verließ sein behütetes aber gefühlskaltes Elternhaus, sobald er volljährig war, und emigrierte nach Kanada. Später ging er in die Vereinigten Staaten und versuchte sich u. a. als Farmer, Hotelier, Journalist und Schauspieler. Die während dieser Lehr- und Wanderzeit gewonnenen Erfahrungen, die er später auf ausgedehnten Europareisen vertiefte, flossen in Blackwoods schriftstellerische Arbeit ein, mit der er 1899, dem Jahr seiner Rückkehr nach England, begann.

In rascher Folge veröffentlichte Blackwood mehrere Sammlungen mit Kurzgeschichten, die sich mit dem Okkulten und Übersinnlichen beschäftigten. Auch hier konnte er auf persönliche Kenntnisse zurückgreifen. Schon als 17-jähriger hatte Blackwood in Kent die Sagen und Mythen seiner Heimat studiert und sich mit den Lehren der klassischen Okkultisten und Kabbalisten vertraut gemacht. Im Jahre 1900 trat Blackwood dem berühmten „Hermetic Order of the Golden Dawn“ bei.

Natur- und Elementargeister, verschüttete Erinnerungen, Wiedergeburt: Dies sollten die Themen sein, auf die Blackwood in seinen Geschichten immer wieder zurückkam. Sie belegen außerdem sein Interesse an der neuen, noch höchst umstrittenen und daher umso faszinierenderen Wissenschaft der Psychoanalyse.

Die Hypothese, dass Geister – sollte es sie denn geben – nicht einfach ‚sind‘, sondern Ausgeburten der menschlichen Psyche sein könnten, floss rasch in die Arbeiten zeitgenössischer Schriftsteller eine. Blackwood gehörte zu den Pionieren, die einen psychologischen Blick auf die Welt des Okkulten warfen. Besonders deutlich manifestierte sich dies in der Figur des „Physican Extraordinary“ Dr. John Silence (1908), der sich am Vorbild Sigmund Freud orientierte, aber mit dem okkulten Wissen seines Schöpfers ausgestattet war.

Algernon Blackwood starb hoch betagt und als Schriftsteller halb vergessen 1951. Im letzten Jahrzehnt seines Lebens war (der 1949 geadelte) alte Mann jedoch als Radiosprecher und Hörspielautor noch einmal ungemein populär geworden. Blackwood hinterließ etwa 200 Kurzgeschichten und 14 Romane, dazu Schau- und Hörspiele, Gedichte und Liedtexte.

Die Algernon-Blackwood-Sammlungen des Suhrkamp-Verlags:

(1969) Das leere Haus (TB 30 u. 1664/Phantastische Bibliothek 12 u. 339)
(1970) Besuch von Drüben (TB 411 u. 2701/Phantastische Bibliothek 10 u. 331)
(1973) Der Griff aus dem Dunkel (TB 518/Phantastische Bibliothek 28)
(1982) Der Tanz in den Tod (TB 848 u. 2792/Phantastische Bibliothek 83 u. 355)
(1989) Die gefiederte Seele (TB 1620/Phantastische Bibliothek 229)
(1993) Rächendes Feuer (TB 2227/Phantastische Bibliothek 301)

Taschenbuch: 247 Seiten
Originalausgabe
Übersetzung: Friedrich Polakovics
http://www.suhrkamp.de

Der Autor vergibt: (5.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (8 Stimmen, Durchschnitt: 1,63 von 5)

Bandini, Ditte / Bandini, Giovanni – Drachenbuch, Das

Drachenerzählungen finden wir in allen Kulturen der Erde, und sie geben nach wie vor den Märchenforschern und Mythenkundlern Rätsel auf, die nicht eindeutig geklärt sind. In der christlichen Kultur vor allem mit dem Teufel gleichgesetzt, sieht es mit dem Drachen in anderen Kulturen – vor allem in China – ganz anders aus. C. G. Jung sah den Drachen als das Unbewusste und intuitiv Weibliche. Diesem Gesichtspunkt schließen sich viele an, indem sie dem Drachen das Dunkle zurechnen und die zahlreichen Drachentöter, wie den Heiligen Georg oder Siegfried, den Sonnen- und Lichtkräften zuordnen. Seit |Tiamat|, der ältesten Überlieferung einer drachenartigen Urgöttin Babylons, zieht sich die Geschichte der Drachen in verschiedensten Ausprägungen durch die Zeiten bis heute zu uns. Im deutsch-germanischen Sprachschatz ist der Begriff |Drache| dabei gar nicht mal so alt. Wir sprachen vom |Lindwurm|, ein Name, der sich vom althochdeutschen |lint| (= weich, zart, biegsam) und |wurm| (=Wurm, Schlange) ableitet.

Die beiden Autoren des „Drachenbuches“ bieten einen Einblick in die wundersame Welt der Drachen, der sich vor allem an eine jüngere Leserschaft richtet. Für Märchenfreunde, Hobbyritter und Fantasyfans ist es eine wahre Fundgrube.

Natürlich kommt der bekannteste Drachenkämpfer Siegfried auch nicht zu kurz und ist Gegenstand eines eigenen Kapitels. Für Leser in Worms ist dies deswegen interessant, da die verschiedenen Versionen der Sage detailliert dargestellt sind. Hier heißt bekannterweise der Drache |Fafnir|, der den Schatz der Nibelungen hütet. Neben dem Nibelungenlied gibt es mehrere Lieder der älteren |Edda|, den Völsungen, die Thidrekssage, das Lied des Hünen Seyfried, das zwar erst Jahrhunderte später aufgezeichnet wurde, aber in manchen Teilen genauso alt wie die altnordischen Dichtungen ist, sowie das umfangreiche Volksbuch von dem gehörnten Siegfried. Ausgerechnet im Nibelungenlied wird – anders als etwa in Wagners |Ring des Nibelungen| – Siegfrieds Drachenkampf nur am Rande erwähnt.

Neben den Mythen aus allen Kulturbereichen unserer Welt kommen auch die Randgebiete zur Sprache, wie zum Beispiel die Drachenadern, hierzulande eher als „geomantische Leylinien“ bezeichnet, die Dinosaurierforschung, der alchemistische Drache als Symbol des Zustands der unvollkommenen Materie, Drachen in Wappen, Kunst und Literatur. Lohnenswert ist die Aktualität, welche die Autoren in ihrem durchgehend und reichhaltig illustrierten Werk berücksichtigten, wodurch die modernsten Varianten in der Kinderliteratur von Michael Endes „Jim Knopf“, in dessen Gefolge Astrid Lindgrens „Die Brüder Löwenherz“ in den siebziger Jahren eine Flut von Kinderbüchern mit Drachen auslöste, bis hin zu den Drachen in der Fantasy ebenso Beachtung finden. Auch durch Filme wie „Dragonheart“ und die zahlreichen Fantasy-Rollenspiele bewirken Drachen noch heutzutage unverändert eine magische Faszination. Es gibt sie noch und sie sind erneut aus ihrem Teufelsloch, in dem sie so lange sitzen mussten, herausgekommen.

Interview mit Michael Marrak

Michael Marrak, Jahrgang 1965, lebt seit Anfang 2001 in Hildesheim bei Hannover und arbeitet freiberuflich als Schriftsteller und Illustrator. Seine erste Erzählung wurde 1990 veröffentlicht, seither erschienen zahlreiche Erzählungen und Illustrationen in Magazinen und Anthologien. 1997 debütierte er mit seinem ersten Roman „Die Stadt der Klage“. Ende 2000 erschien schließlich der Roman „Lord Gamma“, mit dem er ein Jahr später den Kurd-Laßwitz-Preis und den Deutschen Phantastikpreis für den besten deutschen SF-Roman des Jahres gewann. In „H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens“ erschien 2002 der Roman „Imagon“, der ebenfalls den Kurd-Laßwitz-Preis für den besten Roman erhielt. Bei Bastei-Lübbe wurde „Imagon“ in diesem Jahr als Taschenbuch veröffentlicht.
Das Gespräch wurde Ende Mai geführt. Weitere Informationen zum Autor finden sich im Internet auf http://www.marrak.de.

Buchwurm.info:
In den letzten Jahren gab es zwei sehr erfolgreiche Romane von dir. Im Rückblick auf „Lord Gamma“ und „Imagon“: Hättest du den großen Erfolg der beiden Romane erwartet?

Michael Marrak:
Was „Lord Gamma“ betrifft: Nein. Ich hatte lediglich gehofft, dass sich deutlich mehr Leute für das Buch interessieren würden als die wenigen hundert Stammleser, die ich damals (in meiner Kleinverlagszeit) noch hatte. Die „Lord Gamma“-Originalauflage im Shayol-Verlag betrug gerade mal 300 Exemplare. Davon, dass der Roman zwei Jahre später als Buchtipp des Monats bei Lübbe veröffentlicht werden würde, träumte ich zu dieser Zeit noch nicht einmal. Im Mai 2002 erschien „Lord Gamma“ schließlich in fünfstelliger Auflage als Lübbe-Taschenbuch, und bereits im Startmonat verkauften sich knapp 4000 Exemplare. Erst da dachte ich: Oha, das könnte interessant werden …

Allerdings wehre ich mich gegen den Trugschluss, „Imagon“ und „Lord Gamma“ seien Erfolgsbücher, nur, weil ich für sie einige Preise erhalten habe. Erfolg hat nichts mit einem (zumal undotierten) SF-Literaturpreis zu tun. Erfolg rechnet sich in meiner jetzigen Situation als freier Schriftsteller einzig und allein durch Absatzzahlen und darüber, ob ein Buch für den Verlag rentabel ist oder der Autor schlicht und einfach seine Vorschüsse nicht einspielen kann, weil sich seine Bücher nicht verkaufen.

Das Schlimmste, was mir als Autor bei einem großen Verlag wie Lübbe passieren könnte, wäre, dass ich bei den Buchhaltern den Makel eines Autors bekomme, der seine Garantiesumme nicht wert ist. Seine Vorschüsse einzuspielen ist wichtiger als jeder eventuelle Preisgewinn eines Kurd Laßwitz oder was auch immer. Zumal sich die deutschen SF- und Phantastikpreise definitiv noch nie groß auf die Verkäufe ausgewirkt haben. Also bitte einem Buch nicht sofort einen Erfolgsstempel aufdrücken, nur weil „Literaturpreis“ draufsteht.

Buchwurm.info:
Was dachtest du, als „Lord Gamma“ rechtzeitig zum Kurd-Laßwitz-Preis nicht mehr lieferbar war?

Michael Marrak:
Ich habe mich geärgert. Bei der Preisverleihung in Dresden gab es das Novum, dass ein Phantomroman ausgezeichnet wurde: Die Originalauflage war vergriffen, die Neuauflage noch nicht erschienen. Zwar war damals bereits das Taschenbuch bei Lübbe geplant, aber bis zur Wiederveröffentlichung war es noch fast ein Jahr hin. Ich fürchtete, dass sich bis dahin kaum noch jemand an das Buch erinnern würde. Glücklicherweise war das am Ende nicht der Fall. Das Buch kletterte z. B. bei Amazon.de innerhalb weniger Tage bis auf Verkaufsrang 4. Ich war völlig baff, fand mein Buch plötzlich in Konkurrenz zu Romanen von Henning Mankell, Tom Clancy, Ken Follett und dem Dalai Lama. Das dauerte zwar nur zwei oder drei Wochen, begeisterte mich aber dermaßen, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes zum Ranking-Surfer mutierte …

Buchwurm.info:
„Abydos“ ist der Arbeitstitel deines kommenden Romans. In welche Richtung wird es diesmal gehen, nach den zwei sehr unterschiedlichen Vorgängern? „Lord Gamma“ ist erstklassige Science-Fiction, „Imagon“ eine Mischung aus SF und Wissenschaftsthriller, wobei man ihm eine deutliche Horror-Komponente nicht absprechen kann – Was kommt als Nächstes?

Michael Marrak:
Ein recht umfangreicher, phantastischer Roman, den ich aus dem Stehgreif nur sehr schwer definieren kann. Es ist ein Synergy-Projekt – ein Crossover aus SF, Phantastik, Horror und Wissenschafts-Thriller mit einem deftigen Schuss Religion und altägyptischen Mythen. Ich tue mich mit dem Einordnen des Stoffes ein wenig schwer, doch man könnte ihn vielleicht als eine Mischung aus Ian McDonalds „Necroville“, Farmers „Flusswelt der Zeit“ und einer sehr modernen Version von Dantes „Göttlicher Komödie“ beschreiben – falls irgendjemand Wert auf derartige Vergleiche legt. „Abydos“ ist nicht ganz so hysterisch wie „Lord Gamma“, aber auch nicht mehr so kalt und bedrückend wie „Imagon“. Es wird – schon allein aufgrund des Handlungsumfeldes – ein sehr zynischer Roman mit einer gesunden Portion an schwarzem Humor … und knietief Blut … 😉

Buchwurm.info:
Abydos ist eine heilige Stadt in Ägypten, ihr wichtigstes Gebäude ist der Sethos-Tempel. Laut Legende hatte in Abydos die Auferstehung des Gottes Osiris stattgefunden, dessen Kopf hier begraben wurde. Ist „Abydos“ vielleicht doch nicht nur Arbeitstitel?

Michael Marrak:
Doch, im Grunde schon. Die Stadt wird lediglich hin und wieder unter ihrem alten ägyptischen Namen Abdju erwähnt (Abydos ist der Name, den die Griechen der Stadt gaben – wie auch der Großteil aller uns bekannten ägyptischen Namen und Begriffe erst von den Griechen geprägt wurde). Die antike Tempelstadt Abydos ist die einstige Heimat einer meiner Hauptfiguren und kommt u. a. in einer Rückblende vor, besitzt im Roman jedoch keine tragende Rolle. Der tatsächliche Romantitel erinnert mehr an eines der fünf Bücher Moses …

Buchwurm.info:
Die Erwartungen der Leser (und Redaktionen) bezüglich „Abydos“ sind durch deine bisherige Leistung sicher enorm. Belastet dich diese Erwartungshaltung?

Michael Marrak:
Nein, eigentlich nicht. Ich ziehe, wie es so schön heißt, mein Ding durch. Die einzige Belastung, die enorm ist, ist mein weiterhin schmerzendes Handgelenk. Leider hat die Operation vor anderthalb Jahren nicht die erhoffte Verbesserung gebracht. Aber das ist eine andere Geschichte.

Buchwurm.info:
Ja, davon habe ich gehört. Du musstest die Arbeit an „Abydos“ zeitweise einstellen. Ich wünsche dir alles Gute für die Genesung! War es schwer, nicht schreiben zu können, oder hast du die Pause auch genossen?

Michael Marrak:
Genossen? Ich bin schier verrückt geworden! Die größte Pause gab es jedoch während der Arbeit an „Imagon“. Damals erwischte es mich mitten im Roman. Bei „Abydos“ konnte ich lediglich nicht mit dem Schreiben beginnen, was jedoch nicht weniger quälend war.

Das eigentliche Problem war, dass ich durch die lange Pause von fast einem Jahr irgendwann völlig den Faden verloren hatte und nicht mehr wusste, welches Projekt ich nun als nächstes anfangen bzw. zuende bringen sollte. Zu viel nutzlose Zeit bedeutet zwangsläufig, dass sich zu viele Ideen anstauen. Ich verlor das ursprüngliche Ziel aus den Augen, konnte mich monatelang nicht entscheiden, was ich als nächstes schreiben werde. Für eines der drei in Frage kommenden Romanprojekte fühlte ich mich noch nicht reif und vorbereitet genug, daher beschloss ich, zuerst noch ein Buch dazwischenzuschieben. Ich schrieb schließlich an einem Roman weiter, von dem ich überzeugt war, dass er der richtige sei und Lübbe gefallen werde. Tat er aber nicht, was sehr, sehr ärgerlich war. Stattdessen interessierte mein Lektor sich für ein Projekt, an dem ich nebenher arbeitete, sozusagen for my private satisfaction, ohne das Ziel, dieses Buch Lübbe anzubieten. Und falls doch, dann erst, wenn ich es mir vom Erfolg her leisten konnte, dem Verlag so etwas Abgedrehtes vorzulegen, ohne dafür gekreuzigt zu werden. Ich schrieb diesen Roman für mich, weil ich Spaß daran hatte, keinem Exposé oder Konzept folgen zu müssen, sondern mich von der Entwicklung der Handlung überraschen zu lassen. Und ausgerechnet dafür interessierte sich mein Lektor, weil er nach „Imagon“ gerne noch ein Buch bringen wollte, das eindeutiger in die SF-Reihe passt als das abgelehnte. Nun gut, dachte ich, kein Problem, soll mir recht sein. Also schickte ich ihm die ersten einhundert Seiten … Und was soll ich sagen? Das Ding gefiel ihm!

Ich erwarte von „Abydos“ nicht, dass es ein kommerzieller Erfolg wird, dazu ist der Roman zu schräg und zu … wie soll ich sagen? Grotesk? Absonderlich? Unkonventionell? Abgedreht? Gewisse Leute, die nach wie vor glauben, ich schreibe meine Bücher nur unter Drogen, werden sich durch diesen Roman zweifellos bestätigt fühlen. „Abydos“ ist Wasser auf ihre Mühlen.

Buchwurm.info:
Bei „Imagon“ stammt auch das Titelbild von dir – meiner Meinung nach übrigens sehr gelungen. Wirst du auch dein neues Buch selbst illustrieren?

Michael Marrak:
Das kann ich noch nicht sagen. Eventuell, falls mir etwas Passendes einfällt und gelingen mag. Allerdings habe ich vor einigen Wochen auch ein Wunschtitelbild an den Verlag geschickt, jedoch noch keine Reaktion darauf erhalten. Es ist von einem amerikanischen Illustrator und würde zu „Abydos“ passen wie kaum ein zweites. Mal sehen. Ich bleibe am Ball.

Buchwurm.info:
Was machst du, wenn du gerade mal keinen Bestseller schreibst?

Michael Marrak:
Korrektur: „Imagon“ ist (bisher) kein Bestseller, und ich denke, er wird sich im Gegensatz zu „Lord Gamma“ auch im eher begrenzten Rahmen dessen verkaufen, was von SF normalerweise umgesetzt wird. Ich kann mich natürlich irren und lasse mich gerne überraschen. Aber mal ehrlich: Die einzige „Bestsellerliste“, in die „Lord Gamma“ damals geklettert war, war die von Amazon.de. Für einen als SF ausgewiesenen Roman hat er sich wirklich außerordentlich gut verkauft, was nicht wenige überrascht hat. Ob „Imagon“ einen ähnlich erfolgreichen Weg einschlagen wird, bleibt abzuwarten. Das Lübbe-Taschenbuch ist ja erst seit kurzem erhältlich.

Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Ich bin ein klassischer Elfenbeinturm-Bewohner. Ein Stubenhocker, der sehr viel (und sehr intensiv) Musik hört, leider viel zu wenig Unterhaltungsliteratur liest und seit kurzem wieder als Illustrator arbeitet, um einen Ausgleich zum recht anstrengenden Schreiben zu haben. Falls ich lese (was ich eigentlich jeden Tag tue), dann zumeist der Recherche wegen, also Sachbücher, themenspezifische Internetartikel oder Magazine wie National Geographic (im Abo), PM, Sterne und Weltraum oder Kemet, ein Magazin zur Ägyptologie. Daneben bin ich leidenschaftlicher Filmegucker, und unser DVD-Player ist neben meinem Schreibrechner und der Stereoanlage wohl das am meisten ausgelastete technische Gerät im Haus.

Buchwurm.info:
Noch eine unvermeidliche Frage: Wie sieht dein täglicher Rhythmus aus? Oder hast du keinen?

Michael Marrak:
Ich habe keinen. Ich bin ein Chaot. Ich prügele mich 365 Tage im Jahr mit meinem inneren Schweinehund, finde täglich ebenso viele Ausreden, um mich vor dem Schreiben zu drücken, stehe mal morgens um fünf, mal mittags um zwei oder mal abends um acht auf, arbeite nur dann, wenn ich wirklich einen klaren Kopf habe und mich konzentrieren kann, und dann in der Regel in Exzessen, um anschließend wieder eine Schaffenspause einzulegen … Oder besser gesagt: in ein Schaffensloch zu fallen. Bis zum nächsten Schreibanfall. Dazwischen liegt ebenso viel Hysterie wie Depression, Euphorie, Trägheit und die Tatsache, dass wegen des schmerzenden Handgelenks (Karpaltunnelsyndrom) oft kein geregeltes Arbeiten möglich ist.

Buchwurm.info:
Im Juni soll die Primärarbeit an „Abydos“ beendet sein. Was kommt danach, und warum erscheint der Roman erst im Frühjahr 2005?

Michael Marrak:
Ich denke, nach „Abydos“ werde ich erst mal einen kurzen Jugendroman vollenden, auf den der Thienemann-Verlag bereits geduldig wartet. Die mir angebotene Chance, in diesem Genre Fuß zu fassen, möchte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen. Gleichzeitig werde ich elf oder zwölf meiner Erzählungen für eine Storysammlung, die Anfang/Mitte 2005 im Festa-Verlag erscheinen soll, zusammenstellen und überarbeiten. Bis zum Jahresende möchte ich mit beiden Projekten fertig sein, um mich danach jenem Roman zu widmen, mit dem ich bei Lübbe in die Allgemeine Reihe wechseln werde (das ist kein Wunschdenken, sondern bereits unter Dach und Fach). Ich arbeite sozusagen auf den nächsten Quantensprung hin. Aber das ist alles noch Zukunftsmusik.

Der Grund, warum „Abydos“ erst in einem Jahr erscheint, liegt in der langen Vorlaufzeit des Verlags. Lektorat, Überarbeitung, Satz, Druck der Vorabexemplare für die Verlagsvertreter und die Medien, Werbung, Prospektpräsenz, etc. Das geht alles nicht so ratz-fatz wie in Kleinverlagen, in denen man das Manuskript abgibt und das Buch manchmal schon vier Wochen später gedruckt vorliegt. „Abydos“ ist ja nicht das einzige Buch, das im Mai 2005 bei Lübbe rauskommt. Es geht hier um die Koordination zahlloser Neuerscheinungen, und das meist über Jahre im Voraus.

Buchwurm.info:
Laut Homepage hast du Verträge bis einschließlich 2006. Darunter fallen die beiden (Tarn-)Titel „Abydos“ und „Gaia“. Wie lange braucht es durchschnittlich zur Veröffentlichung eines Romans?

Michael Marrak:
Ich kann bei dieser Frage nur von meiner eigenen Arbeit ausgehen und nicht für andere Autoren sprechen, die weitaus zügiger und beständiger arbeiten können. Ich schreibe wegen der Sache mit der Hand verhältnismäßig langsam, oder besser gesagt: in kleineren Häppchen. Der Vorteil: Ich kann mir für ein Buch mehr Zeit lassen. Der Nachteil: Ich brauche für einen Roman doppelt so lange wie Autoren, die einem geregelten Tagesrhythmus folgen und sechs bis acht Stunden am Tag schreiben können (wie ich sie darum beneide!). Der Vorteil des Nachteils: Ich werde niemals als Vielschreiber verschrieen sein, dessen Qualität auf Kosten der Quantität leidet. Das hat auch was. Ich möchte auch in zehn oder zwanzig Jahren noch zu meinen Büchern stehen können und nicht verschämt sagen müssen: „Das ist scheiße, aber ich hab das damals auch nur runtergehauen …“

Für einen Roman brauche ich in der Regel anderthalb Jahre. Eher zwei, da ich meist nicht allein an einem einzigen Projekt arbeite und in dieser Zeit noch die eine oder andere Erzählung schreibe. Nach Ablieferung des Manuskripts dauert es noch mal neun bis zwölf Monate, bis das Buch erscheint.

Buchwurm.info:
Ist „Gaia“ die momentan künftigste Planung (und worum handelt es sich dabei)?

Michael Marrak:
Was nach „Gaia“ kommt, weiß ich tatsächlich nicht. Und bevor du fragst: Dieser Arbeitstitel ist ebenso irreführend wie „Abydos“, umreißt aber grob das Spielfeld. „Gaia“ wird mehr oder minder ein SF-Roman werden, bei dem der SF-Aspekt jedoch sehr verhalten behandelt wird. Das vermeintlich Phantastische wird in ihm größtenteils auf Realität und tatsächlichen Gegebenheiten basieren. Er wird auf drei Kontinenten spielen, und das sowohl im 13. als auch im 21. Jahrhundert. Mehr möchte ich dazu noch nicht verraten. „Gaia“ wird jedenfalls keinem meiner bisherigen Romane ähneln.

Der Roman wird frühestens Ende 2006 erscheinen, eher noch Anfang 2007, da ich wie erwähnt ein Jugendbuch dazwischenschieben will und zudem im September dieses Jahres für drei Monate nach Wien gehe. Das Kunst-Stipendium habe ich zugunsten von „Abydos“ bereits um ein halbes Jahr verschoben, und in den drei Monaten im Wiener Museumsquartier möchte ich mich mehr der bildhaften Kunst widmen als dem Schreiben.

Buchwurm.info:
Was machst du heute abend?

Michael Marrak:
Ich versuche endlich zu schlafen. Letzte Nacht hat’s nicht geklappt, da ich am Abend zuvor zweieinhalb Liter Cola getrunken hatte. Jetzt bin ich seit über dreißig Stunden wach und pfeife aus dem letzten Loch. Schon blöd, wenn man „light“ und „koffeinfrei“ miteinander verwechselt … Na ja, wahrscheinlich schreibe ich noch einen „Panorama“-Eintrag und guck später noch „Underworld“ als Betthupferl.

Buchwurm.info:
Ich wünsche dir dabei viel Spaß und weiterhin viel Erfolg mit deiner Arbeit! Vielen Dank für das interessante Interview! Ich glaube, nicht nur ich, sondern auch viele andere Leser warten gespannt auf dein nächstes Buch.

Michael Marrak:
Ich habe zu danken. Und was das nächste Buch betrifft: Ich bin am meisten gespannt, wie es endet …

Kurzbibiliographie:

„Die Stadt der Klage“
Roman, Edition Mono, Wien 1997

„Die Stille nach dem Ton“
5 Novellen, Edition Avalon, Berlin 1998

„Lord Gamma“
• Roman, Shayol, Berlin 2000
• Taschenbuchausgabe: Bastei Lübbe TB 24301, Bergisch Gladbach 2002

„Imagon“
• Roman, Festa, Almersbach 2002
• Taschenbuchausgabe: Bastei Lübbe TB 24325, Bergisch Gladbach 2004

„Die Ausgesetzten“
in: „Eine Trillion Euro“, Andreas Eschbach (Hrsg.),
Bastei Lübbe TB 24362, Bergisch Gladbach 2004

Foto: Irena Brauneisen, 2006. Quelle: marrak.de

Robert A. Heinlein – Starship Troopers – Sternenkrieger

„Vorwärts, ihr Affen! Wollt ihr ewig leben?“ Dieses Zitat von Unbekannt, 1918, dürfte mittlerweile unter den Zuschauern des Films „Starship Troopers“ ausreichend in Erinnerung sein. So animiert, stürmten die Gefreiten freudig in die Schlacht, und „Schlacht“ muss man es wirklich nennen, das Gemetzel, das John Rico und seine Mitstreiter unter den „Bugs“, den „Fehlern der Evolution“, anrichten – oder umgekehrt, denn die Arachniden schlagen gnadenlos zurück. Doch nun zum Roman:

Der Autor

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Maturin, Charles Robert – Melmoth der Wanderer

Gegen Ende es 18. Jahrhunderts erblickte in England das Genre der |gothic novel| den Buchmarkt und erfreute sich alsbald großer Beliebtheit. Zwar ging es darum, dem Leser wohlige Schauer über den Rücken laufen zu lassen, doch verdankte die |gothic novel| auch viel dem Gedankengut der Aufklärung und des Rationalismus. Oftmals wurde in den Romanen eine mystifizierte Welt vorgestellt, in der übernatürliche Dinge vor sich gingen, nur um am Ende mit natürlichen und rationalen Ursachen wegerklärt zu werden. Dem heutigen Leser mögen Romane wie Walpoles „The Castle of Otranto“ oder Radcliffes „The Mysteries of Udolpho“ kaum noch Schrecken verursachen. Zu allgemein bekannt sind die Konventionen des gotischen Schauers, als dass verlassene Burgruinen oder mondbeschienene Friedhöfe tatsächlich zum Fürchten wären. Doch dies heißt nicht, dass diese Romane nach 200 Jahren ihren Reiz verloren hätten. So wird auch „Melmoth der Wanderer“ von Charles Robert Maturin keinem Leser schlaflose Nächte bescheren, allerdings ist der Roman gleichzeitig ein besonders gutes Beispiel dafür, dass die |gothic novel| viel mehr bietet als den Schauer von Ruinen und alten Klöstern.

Maturin, 1780 in Dublin geboren, ist dem Liebhaber wohl höchstens durch „Melmoth der Wanderer“ (1820) oder sein Drama „Bertram“ (1816) bekannt, mit dem er noch zu Lebzeiten einen bescheidenen Erfolg erzielte. Sorgenfrei lebte er jedoch nie, meist musste er mit den bescheidenen Geldmitteln, die ihm zur Verfügung standen, genauestens haushalten. Sein erster Roman, den der Hilfsgeistliche Maturin noch ganz in der Tradition Radcliffes 1807 veröffentlichte, blieb weitgehend unbeachtet. Doch ein namhafter Rezensent fand sich dennoch: Der Schotte Walter Scott, der hauptsächlich mit phantastisch durchsetzten historischen Romanen Erfolg hatte („Waverley“ oder „Ivanhoe“ stammen aus seiner Feder). Scott setzte sich in Zukunft für Maturins Werk ein; er plante eine Biographie und eine Ausgabe von Maturins gesammelten Werken. Doch das Schicksal kam dem zuvor: Scotts Verlage gingen pleite und er musste die letzten Jahre seines Lebens buchstäblich um sein Leben schreiben, um die Schulden abzubezahlen. Maturin erging es finanziell kaum besser.

Seinem „Melmoth“ stellt er eine Vorwort voran, in dem er bündig zusammenfasst, was er im Roman auf fast 800 Seiten ausarbeiten wird: |“Gibt es in diesem Momente wol Einen unter uns“|, fragt er den Leser, |“ob wir uns gleich von dem HErrn entfernet haben mögen, nicht achtend Seines Willens und ohneingedenk Seines Worts – giebt es wol Einen unter uns, welcher in eben diesem Augenblicke und um der Eitelkeit menschlicher und irdischer Güter willen hingeben wollte die Hoffnung auf seine ewige Seeligkeit? – Nein, kein einziger ist hier, kein solcher Thor hienieden, und versuchte auch der Leibhaftige selbst, ihn in seine Fallstricke zu locken.“| Auf der Suche nach einer solche Person nämlich ist Melmoth, eine faustische Figur, die über 150 Jahre lang die Welt durchstreift, um Menschen zu versuchen. Melmoth selbst wurde von seinem Wissensdrang („Habe doch ach …“, hört man Goethe im Hintergrund deklamieren) dazu verführt, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen. Ihm wird Erkenntnis zuteil und eine verlängerte Lebensspanne. Doch am Ende der 150 Jahre wird der Teufel Melmoths Seele als Unterpfand einfordern. Außer natürlich, und das ist der entscheidende Unterschied zu Goethes „Faust“, Melmoth fände jemanden, auf den er seinen Kontrakt „übertragen“ könnte.

So zieht er denn durch die Welt, halb Mensch und halb Geist, und wendet sich an Menschen in verzweifelten Notlagen, um sie zu verführen, eine Linderung ihres Leides gegen ihre Seele einzutauschen. Bis auf eine indische Insel verschlägt es ihn, doch nirgends findet sich jemand, dessen Verzweiflung ihn zu solch drastischen Maßnahmen treiben würde. Und so muss Melmoth, nachdem die 150 Jahre abgelaufen sind, seine Seele dem Teufel überantworten und die Strafe für seinen Erkenntnisdrang annehmen.

Dabei ist Melmoth eine sehr widersprüchliche Figur. Er ist hin- und hergerissen zwischen Mitleid mit seinen Opfern und einem beißenden Zynismus gegenüber deren Notlagen. Doch seine Situation verlangt, zuerst an sich zu denken und so stürzt er auch Isidora, die Person, der er wohl die meisten Gefühle entgegenbringt, ins Unglück. Nachdem er sie heimlich geehelicht und geschwängert hat, sterben sie und ihr Kind in den Fängen der Inquisition, die das Kind für einen Satansbraten hält.

„Melmoth der Wanderer“ ist kein einfaches und schon gar kein geradliniges Buch. Es ist aufgebaut wie eine Matrioschka, eine dieser russischen Holzfiguren, in denen sich immer noch eine neue, kleinere Figur versteckt. So verschachtelt Maturin immer neue Erzählungen ineinander, stellt immer neue Schicksale und Verführungsszenen vor, bis der Leser den Überblick über die Erzählstruktur zu verlieren droht. Rahmen- und Binnenerzählungen sind nicht auszumachen, auch hat keine Erzählung wirkliche Priorität vor den anderen. Die verschachtelte Erzählstruktur gemahnt eher an einen überspannten Spleen des Autors, seiner Geschichte freien Lauf zu lassen und die Geschichten untereinander über komplizierte Gemeinsamkeiten zu verbinden. Melmoth, der alle diese Erzählungen als böser Geist heimsucht, bildet den roten Faden, die Verbindung zwischen all den menschlichen Schicksalen, die Maturin in weit ausholenden Handlungsbögen schildert. Und doch ist er es, den am Schluss das bedauernswerteste Schicksal ereilt, können doch alle anderen Charaktere auf ein besseres Dasein im Jenseits vertrauen.

Maturins groß angelegter Roman eignet sich kaum zum Gruseln. Stattdessen wechseln sich handlungs- und spannungsintensive Passagen mit philosophischen und gesellschaftskritischen ab. Besonders Maturins scharfe Religionskritik (auf die Katholiken und die Kalvinisten hat er es insbesondere abgesehen) scheint fast immer durch. Religion, für ihn das bloße Abarbeiten von Riten, stellt er einem natürlichen Glauben gegenüber, der durch ein tiefes Empfinden für Gott geprägt ist und ohne den Pomp katholischer Regeln auskommt. Allein seine deutlichen Ansichten zu Religion und Staatskirche machen „Melmoth der Wanderer“ zu einer lohnenden Lektüre.

Der |area|-Verlag hat eine ganze Reihe bekannter Horrorklassiker neu in preiswerten Hardcovern aufgelegt. Im Verlagsprogramm finden sich nicht nur moderne Autoren wie Clive Barker („Die Bücher des Blutes“) oder Dean Koontz („Nackte Angst“), sondern auch ältere Schriftsteller wie Matthew Gregory Lewis („Der Mönch“) oder eben Maturin. Damit werden diese Texte endlich wieder auf Deutsch verfügbar und für ein breites Publikum zugänglich. Es lohnt sich durchaus, sich durch die erschwinglichen Hardcover von |area| zu lesen. Die Auswahl des Verlags garantiert: Jeder Griff ein Treffer.

Reiner Boller / Julian Lesser – Tarzan und Hollywood

Ein kluger Mann & sein Affenmensch

Tarzan, der Held des Urwalds, wurde gleich zweimal geboren, wie wir nach der Lektüre dieses Buches wissen. Zunächst erfolgte sein literarischer Urschrei, ausgestoßen 1912 in der Oktobernummer des Magazins „The All-Story“. Die Luft dazu verdankte er Edgar Rice Burroughs, einem eher fleißigen als fähigen Schriftsteller, der aber schlau genug war, die Möglichkeiten zu erkennen, die ihm sein Dschungelheld bot – vor allem in finanzieller Hinsicht.

So war Burroughs ganz Ohr, als sich das noch junge Hollywood bei ihm meldete. 1918 war es bereits soweit: Tarzan (alias Elmo Lincoln) tummelte sich in Pappkulissen zwischen grauenhaft schlecht maskierten ‚Affen‘-Darstellern. Das Publikum war begeistert, auch wenn es im Stummfilm nicht Tarzans markantes Röhren hören konnte. Reiner Boller / Julian Lesser – Tarzan und Hollywood weiterlesen

Martin, Jack – Halloween III. Ein Zombie-Roman

Ende Oktober (vermutlich) 1982: Die britische Insel ist um eine Sehenswürdigkeit ärmer. Unbekannten ist es gelungen, die steinzeitliche Kultstätte Stonehenge des Bluestones zu berauben – eine staunenswerte Leistung, weist dieser Stein doch das stolze Gewicht von mehr als neun Tonnen auf! Niemand weiß, wie die Tat gelingen konnte, und die Aufregung ist groß.

Auf der anderen Seite des Erdballs, in einer kleinen Stadt im Norden des US-Staates Kalifornien, ist Dr. Daniel Challis das Schicksal des Bluestones herzlich gleichgültig. Er hat gerade eine schmutzige Scheidung hinter sich, die ihn nicht nur an den Bettelstab, sondern vor allem um das Sorgerecht für die beiden Kinder – die neunjährige Bella und den siebenjährigen Willie – gebracht und allen Lebensmut gekostet hat. Unbemerkt stolpert er daher in ein unheimliches Geschehen, das nichts Geringeres als die Eroberung dieser Welt durch die Mächte der Finsternis zum Ziel hat. Stichtag soll der 31. Oktober sein: Halloween, denn in dieser Nacht dürfen die Toten ihre Gräber und böse Geister die Hölle verlassen und sich unter die Lebenden mischen.

Einer dieser Finsterbolde, vor zwei Jahrtausenden von keltischen Druiden zu seinem dämonischen Dasein verflucht, sucht die Menschheit seither immer wieder heim. Bisher hat er sich allerdings darauf beschränkt, ein unglückliches Opfer zu suchen, dessen Hirn zu übernehmen und den Körper allerlei Übeltaten verrichten zu lassen. Zuletzt war dies im Jahre 1963 gelungen, als besagter Geist in den sechsjährigen Michael Myers aus Haddonfield, Illinois, fuhr und dieser zwei Jahrzehnte messerschwingend und mordend Furcht und Schrecken verbreitete, bis er endlich gestellt und vernichtet werden konnte.

Ein fataler Irrtum, denn das Böse entwich aus Myers Körper – und es hat dazugelernt! In der nächsten Zeit hält es sich mit dem Messer zurück und bereitet seinen nächsten Coup geradezu generalstabsmäßig vor. Dr. Challis, wahrlich ein Pechvogel, wird in dieses Komplott hineingezogen, als er mit ansehen muss, wie einer seiner Patienten grausam erstochen wird; der Killer übergießt sich seelenruhig mit Benzin und sprengt sich samt Auto in die Luft.

Ellen Grimbridge, die Tochter des Ermordeten, bittet Challis um Hilfe. Ihr Vater glaubte in den letzten Wochen seines Lebens, dass eine Invasion aus dem Jenseits unmittelbar bevorstehe. Als Instrumente oder Träger des Bösen dienen offenbar die neuartigen Halloween-Masken der Firma |Silber-Kleeblatt|, die in Santa Mira, einem Nest im Süden des Landes, hergestellt werden. Ellen überredet den Arzt, sie dorthin zu begleiten. Sie kommen in einen Ort, der etwas zu verbergen hat. Die Firma ist eine hermetisch abgeriegelten Festung. Über allem thront der mysteriöse Conal Cochran, und ihm gehorcht man besser, denn sonst könnte einem ein schlimmer Unfall zustoßen … Schlimmer noch: Pünktlich zu Halloween werden die |Silber-Kleeblatt|-Masken aktiviert und ihre Träger in seelenlose Zombies à la Michael Myers verwandelt, die anschließend die Welt ins Chaos stürzen werden …

… wobei die Welt wie so oft nur aus den Vereinigten Staaten von Amerika zu bestehen scheint, obwohl im großen Finale gnädig Erwähnung findet, dass der böse Keltendämon seine Horror-Masken auch ins Ausland verkauft. Aber bevor wir nun beginnen, uns über solche Details aufzuregen, sollten wir einen Blick auf das Gesamtwerk werfen – dies bietet nämlich mehr als genug echte Gründe sich zu ärgern.

Die „Halloween“-Bücher zu den ersten drei Filmen gehören allesamt zum Bodensatz nicht nur der phantastischen Literatur. Des schnell verdienten Dollars wegen ebenso billig heruntergeschrieben wie die ersten beiden Teile der Saga, stellt „Halloween III“ als Film wie als Roman doch ein gewisses Novum in der Geschichte des Horrors dar: Sehr richtig von der Prämisse ausgehend, dass eine weitere Wiederbelebung des unverwüstlichen Michael Myers sogar den langmütigsten (bzw. geistig ärmsten) Gruselfan auf eine vielleicht zu harte Probe stellen würde, planten die Produzenten (deren Namen wir hier gnädig verschweigen wollen, da ihre Vergehen inzwischen verjährt sind) nichts weniger als den radikalen Neuanfang. Michael blieb tatsächlich Toast, auch von seiner Nemesis Dr. Loomis blieben nur die Krümel, und Laurie Strode alias Jamie Lee Curtis hatte zur Abwechslung wohl einmal das neue Drehbuch gelesen, bevor sie den Vertrag unterschrieb.

Also besann man sich auf ein Element, das man in Teil 2 der „Halloween“-Mythologie eingeflochten hatte; es war überhaupt die einzige echte Idee gewesen: Michael Myers wurde demnach von einem 3000 Jahre alten keltischen Geist besessen, dessen einziger Lebensinhalt darin besteht, Tod und Verderben über die Menschenwelt zu bringen. Es steht uns nicht zu, über Sitten und Gebräuche der Höllenvölker zu urteilen; bescheiden sei dennoch angemerkt, dass die oben erwähnte Motivation unter Umständen das Interesse wecken, aber nicht die Faszination der Gruselfreunde lebendig erhalten kann.

Solange Michael Myers das Messer schwang und vor allem den Mund hielt, waren des Dämons Eskapaden leidlich vergnüglich. Doch in der Inkarnation des Conal Cochran wird er leider geradezu geschwätzig und verrät uns sogar, was ihn dazu trieb, a) Stonehenge zu schänden, b) eine Firma beachtlicher wirtschaftlicher Potenz aufzubauen, c) sich eine Roboterarmee zu schaffen und d) die Welt mit 150 Millionen (!) Halloween-Masken zu überschwemmen: |“Ich will Unruhe stiften … Ich liebe tatsächlich einen guten Witz. Die Witzbolde sind die großen Gestalten der Geschichte, und Witze sind unsere eigentliche Stärke. Darin beherrschen wir die Welt. Und wenn wir sie endlich nach unserem eigenen Bild umformen …, dann wird das der größte Witz aller Zeiten sein.“| (S. 181)

Fragt sich nur, wer dann noch bleibt, um darüber zu lachen; der Leser tut es jedenfalls nicht, und der Zuschauer verweigerte sich 1982 ebenfalls: „Halloween III – Season of the Witch“ gehört (verdient) zu den ganz großen Flops der Filmgeschichte. Kein Wunder, dass Michael Myers für den vierten Teil schleunigst wieder zusammengeklebt wurde! (Zu diesem ob seiner ebenso dreisten wie misslungenen Plagiate der erfolgreichen ersten beiden Teile fast vergnüglichen Streifen gibt es übrigens auch einen Roman, zusammengemüllt von einem gewissen Nicholas Garbowsky, doch dieses Mal blieben wir zumindest hierzulande verschont.)

Muss noch eigens erwähnt werden, dass die Zeichnung des „Halloween III“-Personals schlicht verheerend ist? Eine auch nur in Ansätzen differenzierende Charakterisierung gibt es nicht; die Guten sind unsympathisch, die Bösen lächerlich, und über alle zusammen würde man selbst in einem Kasperle-Theater Auftrittsverbot verhängen. Erneut kann die deutsche Übersetzung das unterirdische Niveau mühelos halten, wobei Wolfgang Crass, dem wir auch die Ein“deutsch“ung der ersten beiden Teile verdanken, insofern dazugelernt hat, als er inzwischen seinen Doktortitel verschweigt.

Aber der Untertitel – „Ein Zombie-Roman“ – trifft dieses Mal den Nagel auf den Kopf. Da in der gesamten Geschichte nicht einmal von weitem ein Zombie zu sehen ist, muss man ihn wohl auf den Verfasser beziehen – und auf den Leser, der dieses schräge Machwerk bis zum bitteren Ende durchgehalten hat.

Vinge, Vernor – Eine Tiefe am Himmel

Obwohl der Autor Vernor Vinge (* 10. Oktober 1944) der modernen Space-Opera entscheidende Impulse geben konnte, ist er doch eher unbekannt, zumindest in Deutschland. Unverdient, aber aus einleuchtendem Grund, ist er doch nicht gerade ein Vielschreiber, seine beiden bekanntesten Werke sind „Ein Feuer auf der Tiefe“ (1992) und „Eine Tiefe am Himmel“ (1999), diese beiden leicht merkwürdig betitelten Romane bürgen jedoch für Qualität: Beide gewannen jeweils einen |Hugo Award| und wurden für den |Nebula| nominiert, hierzulande gewann „Eine Tiefe am Himmel“ zudem den renommierten Kurd-Laßwitz-Preis.

Der Mathematiker und Computerwissenschaftler Vinge dozierte bis zum Jahr 2002 an der |San Diego State University|, seitdem konzentriert er sich ganz auf seine schriftstellerische Tätigkeit. Man kann also für die Zukunft viel von ihm erwarten.

Seine Konzeptionen eines möglichen Cyberspace, sowie seine Theorien zu technologischer Singularität (d.h. Fortschritt maschineller Intelligenz zu einem Grad, den der erschaffende Mensch geistig nicht mehr erfassen kann), Nanotechnologie und lernfähigen Netzwerken, bis hin zur künstlichen Intelligenz, aber auch menschlicher Evolution und gesellschaftlicher Entwicklung bis hin zur Transzendenz stellen den Kern seines Werkes dar.

Dabei mischt Vinge bekannte Elemente, zum Beispiel die Newsgroups des Usenet, mit phantastischen Elementen seiner Erzählung und schafft so eine oft lehrreiche Verbindung von Bekanntem mit neuen Konzepten.

_Die Entdeckung neuer Welten und Zivilisationen_

„Eine Tiefe am Himmel“ spielt 20.000 Jahre vor dem Vorgänger „Ein Feuer auf der Tiefe“, den man |nicht| kennen muss, beide Romane sind vollständig unabhängig voneinander lesbar.

Die Menschheit hat noch nicht die notwendigen Voraussetzungen für überlichtschnelles Reisen entwickelt, und so fliegen Raumschiffe und ihre im Kälteschlaf liegenden Besatzungen Jahrhunderte zwischen den Sternen. Zahlreiche menschliche Zivilisationen sind während vieler Jahrtausende entstanden und untergegangen, zurückgefallen in die Barbarei und wieder aufgestiegen zur Raumfahrt. Doch eine Zivilisation ist etwas Besonderes, die Händlerzivilisation der |Dschöng Ho|. Gegründet von einer Händlerin und einem ehemaligen Barbarenprinzen des Mittelalters, dem legendären Pham Nuwen, stellt diese eine Ausnahmeerscheinung dar: Die Flotte der Dschöng Ho, benannt nach einem chinesischen Entdecker, sendet Wissen in einer Art galaktischen Wikipedia aus, überall wo Dschöng-Ho-Schiffe den Weltraum durchkreuzen.

So erreichen Zivilisationen, sobald sie den Funk entwickelt haben, schneller ein raumfahrendes Niveau, raumfahrende Zivilisationen erfahren Nachrichten aus der ganzen Galaxis und gewisse Standardtechnologien werden so weiterverbreitet und bewahrt – gemäß dem Traum Pham Nuwens, dessen Meinung nach eine intergalaktische Zivilisation nur auf lange Frist bestehen kann, wenn sie Hilfe von „außen“ erhält, genauso wie gestrandete Raumfahrer nur mithilfe einer Zivilisation und deren Industrie den Keim der Technik bewahren können.

Bis auf Spuren einer untergegangenen Rasse, und eine in frühen Entwicklungsstadien befindliche, hat die Menschheit aber noch keinen Kontakt mit extraterrestrischer Intelligenz gehabt. So ist es eine Sensation, als man vom fernen „EinAus-Stern“ fremdartige, nichtmenschliche Funksignale empfängt. Ein Familienclan der Dschöng Ho macht sich sofort auf den Flug zum fernen Stern, der schon vorher Beachtung fand, da er regelmäßig für Jahrzehnte hell erstrahlt, um dann für eine fixe Periode zu erlöschen.

Bei der Ankunft erwartet die Dschöng Ho jedoch eine nicht ganz so freudige Überraschung: Eine in Nähe zum EinAus-Stern, zwischenzeitlich in die Barbarei zurückgefallene Zivilisation ist ebenfalls nahezu zeitgleich eingetroffen – auf einem niedrigeren technologischen Stand, aber mit viel mehr Ausrüstung und Personal. Ironischerweise haben die sogenannten „Aufsteiger“ sich das überall im Menschenraum verbreitete Wissen der Dschöng Ho angeeignet, ebenso die menschliche |lingua franca|.

Kommunikation ist somit kein Problem, nur traut man einander kein bisschen: Die Aufsteiger und ihr Anführer Tomas Nau gehören vermutlich, so kann man den bekannten Daten über sie entnehmen, einer faschistisch orientierten Sklavenhaltergesellschaft an. Höchste Vorsicht ist geboten, doch die Aufsteiger haben einen Trumpf in der Hinterhand, mit dem die Dschöng Ho nicht rechnen können …

Der Coup der Aufsteiger gelingt, auch wenn in einer Raumschlacht beide Flotten sich schwersten Schaden zufügen und die überlebenden Dschöng Ho in den Dienst der Aufsteiger gepresst werden müssen. Sie sabotieren die Pläne des „Hülsenmeisters“ Tomas Nau, doch dieser spielt mit ihnen und kann schließlich sogar Nutzen aus den Anschlägen ziehen: Gezielte Fälschung von Tatsachen und Fakten und seine „Geheimwaffe“ machen es möglich.

„Fokus“ ist es, was die Aufsteiger zu einer Sklavenhaltergesellschaft gemacht hat. Eine im Heimatsystem der Aufsteiger wütende Krankheit, Geistesfäule genannt, wurde bezwungen und ihre einzigartigen Möglichkeiten entdeckt: Entsprechend konditionierte Menschen werden auf dem jeweiligen Fachgebiet zu Spezialisten, die ihre ganze Kapazität nur noch auf einen Bereich konzentrieren. Ein normaler Mensch wird zum Spezialisten, ein begabter Mensch oder gar ein Genie wird durch „Fokus“ zu übermenschlichen Leistungen befähigt, bedarf aber der Koordination durch normale Menschen.

So wurde die Gesellschaft der Aufsteiger geboren, die Hülsenmeister wurden Herren und Meister effizienter und stets gehorsamer Sklaven.

Aufsteiger und Dschöng Ho haben sich gegenseitig so schwer geschädigt, dass man auf Hilfe der Spinnenwesen angewiesen ist, die in Kürze erwachen werden: Gemäß den Theorien Pham Nuwens können sie sich ohne die technische Unterstützung einer Zivilisation nicht mehr selbst helfen.

Während überlebende Dschöng Ho in einer Atmosphäre der perfekten Überwachung und nahezu totalen Kontrolle verzweifelt einen Aufstand planen, ist Hülsenmeister Tomas Nau schon am überlegen, wie er die Spinnenwesen täuschen, unterwerfen und seinen Zwecken dienlich machen kann …

_Die Spinnen in ihren Tiefen_

Während sich im Weltraum ein Drama abspielt, erwacht die Spinnheit und macht dank ihres Universalgenies Scherkaner Unterberg gewaltige Fortschritte: Er ist ein Mix aus Armstrong, Oppenheimer, Einstein, Hawking und Hannibal. Als erster Spinn bezwang er das „Dunkel“ und bewegte sich an der Oberfläche der Welt während der „Aus“-Phase der Sonne voran, sabotierte Versorgungsdepots hinter der Front und entschied so einen Krieg.

Die Entdeckung der Kernkraft ermöglicht es zukünftigen Generationen, auch während des Dunkels zu leben und nicht in Winterschlaf verfallen zu müssen, was eine ganze Reihe sozialer und religiöser Probleme auslöst: So kommt es zum Eklat, als Scherkaners zur „Unzeit“ geborene Kinder in seiner populären Radiosendung „Die Kinderstunde der Wissenschaft“ auftreten – diese Kindersendung gibt den Menschen übrigens am meisten Aufschluss über Sprache und Technologie der Spinnen. Kinder während der Ein-Phase des Sterns zu zeugen, ist moralisch nur bei deren Beginn angebracht, damit die Kinder fertig ausgebildet sind und den Kälteschlaf der kommenden Dunkelphase überstehen können. Doch nicht nur Gutes geht mit der Kerntechnik einher: Viele Nationen können Grundlagen erbeuten, aber nicht genug, um ebenfalls Kernreaktoren zu bauen, doch für Atombomben reicht das Wissen bereits aus …

Konflikte zwischen fundamentalistischen Staaten und Unterbergs Nation werden gezielt von den Aufsteigern geschürt. Unterberg ist mittlerweile alt und senil geworden, seine Freunde haben keine Ahnung von der Gefahr, Wissenschaftler und Personen, die außerirdischen Einfluss vermuten, werden für verrückt erklärt …

Derweil tut sich auch bei den Menschen einiges: Tomas Nau würde es wohl nicht glauben, aber sein großes Vorbild, der legendäre Pham Nuwen, ist einer der versklavten Dschöng Ho. Nuwen erkennt den Nutzen des Fokus, würde ihn gerne für seine Zwecke gebrauchen, er hat einige Trümpfe in der Hinterhand, um das perfekte System auszuschalten, die er raffiniert zu nutzen weiß …

_Liebenswerte Spinnen und faszinierende Ideen_

Vinge beweist viel Phantasie – seine Ideen einer kosmischen Zivilisation und sein Held Pham Nuwen konnten mich begeistern. Phams Geschichte ist nur eine von vielen, aber mit Abstand die interessanteste: Als Barbar auf dem mittelalterlichen Planeten Canberra geboren, wurde er Liebhaber der älteren raumreisenden Händlerin Sura Vinh und gründete mit ihr das Handelsimperium der DschöngHo, Familienclans, die von einer gemeinsamen Idee zusammengehalten werden. Diese Ideen werden bestätigt: Ohne die Hilfe einer Zivilisation würden Aufsteiger und Dschöng Ho im EinAus-System nicht überdauern können, geschweige denn jemals wieder starten können.

Aber auch andere Schicksale werden beleuchtet: So das des Anwärters Ezr Vinh; nachdem Nau alle Führungsoffiziere umgebracht hat, ist er der überforderte neue Anführer der zur Kooperation genötigten Dschöng Ho. Seine Freundin Trixia Bonsol ist fokussiert, ihr Talent als Übersetzerin der völlig fremdartigen Spinnensprache unerreicht – Nau wird sie wohl niemals vom „Fokus“ befreien. Die Aufsteigerin Anne Reynolt ist ein besonderer Fall: Sie ist eine der wenigen Personen, die man auf Menschenführung fokussieren konnte. Sie kontrolliert die „Blitzköpfe“ genannten Fokussierten, welche Überwachung und Abwehr von Rebellionen sowie die Automatik der Aufsteigerschiffe koordinieren. Das Besondere, geradezu Zynische an ihrem Schicksal: Sie war eine der erbittertsten Gegnerinnen der Aufsteiger … bis man sie fokussiert hat. Eine weitere tragische Figur ist Qiwi Lisolet, die Tochter der ehemaligen Kommandatin, die von Nau als Geliebte missbraucht wird – sobald sie ahnt, dass er sie über gewisse Fakten der Vergangenheitbelügt und betrügt, wird sie neu „konditioniert“ und einer Gehirnwäsche unterzogen, ihre Erinnerung teilweise gelöscht.

Wenn man „Ein Feuer auf der Tiefe“ und die dort vorgestellten Ideen kennt, weiß man, dass Vinge den Menschen als limitierenden Faktor der Entwicklung ansieht – die Technologie ist ihm weit voraus, der Mensch ist kaum imstande, sie voll auszunützen. „Fokus“ kann das zum Teil beheben – etwas, das auch der geheim eine Revolution planende Pham Nuwen ahnt. „Fokus“ würde seinen Traum einer effizienter operierenden Dschöng Ho ermöglichen, die Welten vor dem Rückfall in die Barbarei rettet, was ihm selbst nur ein einziges Mal gelang, aber zu seinem legendären Ruf beitrug. Aber ist der Preis des „Fokus“ es wirklich wert? Wie wird Nuwen sich entscheiden?

Interessanter als die Probleme der Menschen sind jedoch die Spinnenwesen: Feldwebel Hrunkner Unnerbei, der geniale Scherkaner Unterberg und seine Frau Generalin Viktoria Schmid sowie ihre Familie und die gesamte Spinnenzivilisation wachsen dem Leser ans Herz. Die menschlichen Namen erklärt Vinge auf gerissene Weise: Die wahren kann kein Mensch aussprechen, aber sie entsprechen dem Wesen der Spinnen am ehesten und wurden ihnen von der Übersetzerin Trixia Bonsol verliehen. Diese muss auch für die „Vermenschlichung“ der spinnischen Verhaltensweisen herhalten.

Hier macht es Vinge sich allerdings ziemlich leicht; Spinnen, die sich in ihren Tiefen während des Dunkels durch während dieser Zeit gegrabene Tunnel gegenseitig „vergasen“ und ähnliches, all das erinnert an die Zeit zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg, ebenso die Entdeckung und Nutzung der Atomenergie als Waffe. Der technische Stand und die Entwicklung der Spinnen, Fernsehen und Radio zum Beispiel, sind eine exakte Kopie menschlicher Entwicklungsgeschichte. Religiöse Moralvorstellungen, Terroranschläge, revolutionäre soziale Neuerungen – all das ist ein Spiegel der Menschheit, keine wahrhaft fremdartige Rasse/Zivilisation.

Dies ist auch einer der wesentlichen Kritikpunkte an der „Tiefe“: Faszinierende Analogien bei größerer Fremdartigkeit bot bereits der Vorgänger „Ein Feuer auf der Tiefe“ (wobei hier eine andere „Tiefe“ gemeint ist). Ebenfalls fehlt mir ein wenig der |sense of wonder|, den transzendente Superintelligenzen und überlichtschneller Raumflug sowie Vinges Gliederungen der Galaxis in gewisse Zonen der Entwicklung boten.

Dafür menschelt es wesentlich mehr in der „Tiefe“, auch hat Vinge schriftstellerisch noch einmal deutlich zugelegt, seine Charaktere sind deutlich feiner ausgearbeitet und die Konzepte, die er vorbringt, sind einfacher und werden klarer verständlich, wobei er viel mit Analogien arbeitet, zum Beispiel der Bestätigung von Nuwens Theorien im Fall der gestrandeten Flotte und der der Menschheitsentwicklung analog verlaufenden der Spinnen.

Ob der Nachfolger nun besser oder schlechter ist, ist Geschmackssache. Meine Empfehlung ist, zuerst „Eine Tiefe am Himmel“ zu lesen, da es leichter verständlich ist und chronologisch 20.000 Jahre vor dem zuerst veröffentlichen „Ein Feuer auf der Tiefe“ liegt – zusätzlich gibt die „Tiefe“ dem Charakter Pham Nuwen auf angenehme Weise die Vorgeschichte, die man im „Feuer“ nur in Bruchstücken erfährt. Zudem versteht man die Probleme von Zivilisationen ohne überlichtschnelle Raumfahrt besser, wenn man dieses Buch davor liest.

Wer beide Romane kennt, ist im Urteil gespalten: Handwerklich ist die „Tiefe“ besser, die faszinierenderen Ideen hat meiner Ansicht nach aber das „Feuer“.

Eines ist jedoch sicher: Beide Romane haben ihre |Hugos| zu Recht erhalten, beide haben mich fasziniert und sind eine Empfehlung wert und behandeln zahlreiche hochinteressante Aspekte, bessere und fundiertere Science-Fiction findet man nur selten. Die anspruchsvolle Übersetzung ist Erik Simon wirklich hervorragend gelungen, getrübt nur durch kleinere Fehlerchen des Korrektorats (Buchstabendreher etc.).

Mein Tipp: Zuerst „Eine Tiefe am Himmel“ lesen und bei Gefallen „Ein Feuer auf der Tiefe“ sofort nachschieben!

Mehr über Vernor Vinge und sein Werk:
http://en.wikipedia.org/wiki/Vernor_Vinge

Graham Masterton – Der Ausgestossene

Das geschieht:

John Trenton trauert: Vor einem Monat kam seine junge Gattin bei einem Autounfall ums Leben. Der Antiquitätenhändler bleibt allein zurück im Quaker Lane Cottage, gelegen auf der Halbinsel Granitehead des US Staats Massachusetts und muss psychologisch betreut werden. Er glaubt daher an eine Halluzination, als sich des Nachts etwas zu manifestieren beginnt, das man für den Geist seiner Ehefrau halten könnte. Allerdings stellte Trenton, dass Nachbarn und Freunde ihm dies ein wenig zu eifrig einreden wollen. Eigene Recherchen ergeben Merkwürdiges: Granitehead stand Ende des 17. Jahrhunderts im Brennpunkt der berüchtigten Hexenprozesse von Salem. Esau Haskett, ein ebenso reicher wie undurchsichtiger Reeder und Händler, der dem Satanismus anhing, konnte sich 1692 nach Granitehead in Sicherheit bringen.

Er kam nicht allein: An Bord der „David Dark“ wwar der aztekische Dämon Mictantecutli. Das Schiff erreichte seinen Hafen freilich nicht, sondern versank, und Haskett tilgte alle Spuren seiner Existenz. Seine Nachfahren folgten diesem Beispiel. Trotzdem ist es auf Granitehead seither nie geheuer gewesen. Graham Masterton – Der Ausgestossene weiterlesen

Eric Larson – Der Teufel von Chicago

Im Chicago der 1890er Jahre verwirklicht der Architekt Daniel H. Burnham eine Weltausstellung, deren Glanz und Größe jedes bekannte Maß sprengt. Gleichzeitig wird der ‚Arzt‘ H. H. Holmes als einer der ersten und schlimmsten Serienmörder aktiv … – Mit immensem Rechercheaufwand und in wunderbarer Sprache lässt Eric Larson das späte 19. Jahrhundert auferstehen. Sein Werk kann ohne Einschränkungen empfohlen werden; dies ist ein „Geschichtsbuch“, das auch den Laien nicht abschrecken, sondern fesseln wird!
Eric Larson – Der Teufel von Chicago weiterlesen

Dooling, Richard – Tagebuch der Eleanor Druse, Das

Eleanor Druse ist eine 75-jährige emeritierte Professorin für Esoterische Psychologie und stammt aus Maine. Sie schickt im Jahre 2003 eine Art Tagebuch an den Schriftsteller Stephen King, der ja auch aus Maine stammt, weil sie glaubt, dass der berühmte Phantastikschriftsteller ihrer Erzählung Glauben schenken wird.

So erzählt sie vom Tod einer alten Bekannten, die nach einem missglückten Selbstmordversuch ins alte |Kingdom Hospital| in Lewiston, Maine, eingeliefert wird. Als Eleanor Druse die alte Frau besuchen will, begegnet sie einem merkwürdigen alten Mann, der ihr seltsam bekannt vorkommt. Als sie dann zusammen mit einer Schwester das Krankenzimmer betritt, ist ihre alte Bekannte tot und Ameisen krabbeln aus ihrem Körper.

Eleanor fällt in Ohnmacht und wacht erst Tage später in einer Klinik in Boston wieder auf, wo sie den arroganten Chefarzt Dr. Stegman kennen und hassen lernt. Dieser möchte Eleanor am liebsten gleich operieren, hält ihre Beobachtungen für einen epileptischen Anfall.
Indem Eleanor brav bei einer medikamentösen Therapie mitwirkt, erreicht sie ihre Rückverlegung nach Lewiston, wo sie den rätselhaften Geschehnissen auf den Grund gehen will, was nicht ganz ungefährlich zu sein scheint, denn die Schwester, die sie ins Krankenzimmer der alten Bekannten begleitet hatte, ist inzwischen durch äußerst merkwürdige Umstände ums Leben gekommen …

Stephen Kings neueste Schöpfung ist das Begleitbuch zu einer amerikanischen TV-Serie, in dem der Autor zwar einerseits einige nette Seitenhiebe und Anspielungen eingebaut hat, welches aber andererseits auch phasenweise sehr nervig wirkt und vor allem zu Beginn (in den Sequenzen, die leider ziemlich ausgedehnt in der Bostoner Klinik spielen) den Leser auf eine harte Probe stellt.

So wird die Geisterjagd im alten Kingdom Hospital erst einmal zurückgestellt zugunsten der intensiven Vorstellung zweier Protagonisten, wie sie enervierender kaum sein könnten.

Da ist zum einen der überaus arrogante, völlig von sich selbst überzeugte Chefarzt der Klinik in Boston. Dr. Stegman, seines Zeichens Gott in Weiß, dabei dermaßen überheblich, dass er reihenweise Patienten zu Tode operiert, weil er aus Selbstüberschätzung mehrere Operationen quasi gleichzeitig durchführt, hat schon viele Gehirntote auf dem Gewissen, ist jedoch jedweder Selbstzweifel abhold. Die hier eingeführte Figur ist dermaßen überzogen bösartig und arrogant, dass sie sogar in einem Comic lächerlich wirken würde.

Dabei wird nicht klar, wer eigentlich widerwärtiger ist, der arrogante Chefarzt oder die spleenige Protagonistin, die weitaus mehr als nur einen Sprung in der Schüssel hat. Denn Eleanor Druse ist überzeugte Esoterikerin, spricht regelmäßig in Gebeten und Meditationen mit dem kosmischen Strom, hat sich selbst vom Krebs geheilt und formuliert angesichts einer gehirntoten Mutter von drei Kindern auf der Intensivstation der Krankenschwester gegenüber Sätze wie: |“Wissen Sie, meine Liebe, mit solchen Tragödien können wir nicht alleine fertig werden, die müssen wir in die Hand Gottes legen. Sie glauben doch an Gott, nicht wahr?“| (Seite 100).

Den arroganten Dr. Stegman erkennt sie in ihrer unendlichen religiösen Weisheit schnell als das, was er ist, nämlich: |“… dass der physische Leib dieses Mannes nichts anderes als eine Hülle für einen abgrundtief bösen Geist darstellt“| (Seite 106). Da kann man ja wohl nur von einer „Achse des Bösen“ reden oder doch vielleicht eher von der „Achse der Blöden“? Wie gut, dass die Protagonistin nicht zu Dämonisierungen und Schwarz-Weißer-Weltsicht neigt!

Während Frau Druse noch ihre Chakren sortiert und alles Böse an die Wand betet, begeht Dr. Stegman eine Schurkerei nach der anderen und der verzweifelte Leser fragt sich händeringend, wann die Handlung endlich wieder ins gespenstische Kingdom Hospital zurückkehrt. Erst auf Seite 129 wird der Leser erlöst, und hätte es King nicht geschafft, zu Anfang der Geschichte ein gerüttelt Maß Spannung aufzubauen, der Rezipient hätte das Werk wahrscheinlich längst frustriert in die nächste Flohmarktkiste gedroschen.

Andererseits muss festgestellt werden, dass es King meisterhaft gelingt, die primitive Sichtweise der Welt durch seine Protagonistin darzustellen. Die religiöse Beschränktheit der Weltsicht vieler Menschen in den USA (vor allem im sogenannten „Bible Belt“) ist auch bei uns mittlerweile bekannt und Stephen King selbst hat z. B. in seinen Werken „Carrie“ und „Children of the Corn“ diesen Hintergrund immer wieder in genialer Weise als Nährboden für unendliches Grauen genutzt. So weiß man als Leser nicht, ob man Kings Ausarbeitung bewundern soll, oder der enervierenden Charaktere wegen die Lektüre sofort beenden sollte.

Dass es dem Autor in der zweiten Hälfte der Geschichte gelingt, die Spannungsschraube wieder anzuziehen, spricht ebenso für ihn wie die eine oder andere köstliche Anspielung. So heißt eine der Schwestern im bespukten Kingdom Hospital z. B. Carrie von Trier (wobei „Carrie“ Kings erster verkaufter Roman war, Lars von Trier wiederum jener Regisseur ist, der bereits eine Fernsehserie über ein gruseliges Krankenhaus gedreht hat, in dem übernatürliche Dinge vor sich gehen).

Vollends bizarr wird es dann auf Seite 187, wo folgendes steht: |“Später erfuhr ich, dass Brick und Liz gerade in die Notaufnahme beordert worden waren, wo höchste Alarmstufe herrschte. Ein berühmter Künstler – einer der bedeutendsten Bürger Maines – war beim Joggen auf der Route 7 bei Warrington’s Inn von einem Kleinbus erfasst und schwer verletzt ins Kingdom Hospital eingeliefert worden, wo sich, mochte es nun Zufall oder eine Fügung des Schicksals sein, bereits die Hauptakteure eines bevorstehenden Dramas sammelten wie von einem Magneten angezogene Eisenspäne.“|

Wer von Stephen Kings schwerem Unfall weiß, der wird unschwer erkennen, wer da gerade eingeliefert worden ist. Während diese Stelle einerseits eine makabere Art von Humor darstellt und zeigt, dass die vorliegende Geschichte wohl auch eine Art Traumabewältigung für den Autor darstellt, so sprechen die hier gewählten aufgesetzten und klischeehaften Metaphern ebenfalls für sich. Sie machen das vorliegende Buch ebenfalls eher schwer zugänglich, wobei andererseits der schlechte Stil der Erzählung eine gewisse Authentizität verleiht, so als habe tatsächlich eine alte Dame mit erheblichem Dachschaden den ganzen Unsinn verzapft und dabei sprachlich immer wieder ganz tief in die Klischeekiste gegriffen.

Genau dies macht die Beurteilung des vorliegenden Werkes so schwer: Ist es nun einfach genial oder einfach nur genial daneben? Wie dem auch sei, das unbefriedigende offene Ende lässt befürchten, dass Fortsetzungen geplant sind. Wie auch nicht anders zu erwarten bei einem Roman von Stephen King mit nur 287 Seiten, sind wir doch vom Meister sicherlich ganz andere Seitenzahlen gewöhnt.

_Gunther Barnewald_ © 2004
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ veröffentlicht.|

Interview mit Marc-Alastor E.-E.

Dark Fantasy mit episch breitem Hintergrund stellt eine Ausnahme im Fantasybereich dar, insbesondere in Deutschland. Der Autor Marc-Alastor E.-E. hat mit „Kriecher“ und „Adulator“ im |BLITZ|-Verlag eine Serie namens |GEISTERDRACHE| ins Leben gerufen, die in der Welt |Praegaia| spielt, zu der Marc-Alastor E.-E. bereits seit zwanzig Jahren Kurzgeschichten, Liedtexte und Gedichte schreibt. Seine Romane stellen eine Mischung aus klassischer High-Fantasy und maliziösem Horror dar, in der Einzelschicksale düsterer Helden in einer faszinierenden Urwelt im Vordergrund stehen.

_Michael Birke:_
Marc, du bist nicht nur Autor, sondern auch Mitglied einer geheimen, okkulten Loge, Zeichner, Dichter und warst früher sogar einmal Musiker. Ein vielseitiger und bemerkenswerter Lebenslauf. Könntest du dich selbst ein wenig näher vorstellen? Ist Marc überhaupt die richtige Anrede – dein Künstlername „Marc-Alastor E.-E.“ verleitet geradezu zu dem kürzeren „Marc-Alastor“.

_Marc-Alastor E.-E.:_
Das Pseudonym wurde mir schon früh von Seiten der okkulten Loge als eine Art Ehrentitel verliehen und lautet vollständig Marc-Alastor Elawar-Eosphoros. Wie Du ja schon selbst bemerkt hast, macht sich ein solch langer Name schwierig bei Veröffentlichungen und er klingt für viele auch arg überspannt. Andererseits hat dieser Name viel mit meinem Glauben zu tun und es wäre mir schwer gefallen, ihn nicht zu benutzen, daher auch die Abkürzung der beiden letzten Namen. Gebräuchlich ist im Umgang daher Marc oder Marc-Alastor.

Zu meiner Person: Ich blicke auf 33 bewegte, dunkle Lebensjahre zurück, bin gelernter Lithograph/Multimedia-Designer und lebe sehr zurückgezogen nahe des Teutoburger Walds.

_Michael Birke:_
Welche Quellen bzw. Autoren beeinflussten dein Werk am meisten? Was inspirierte dich zu deinem Antihelden „Kriecher“?

_Marc-Alastor E.-E.:_
Als ich vor über 20 Jahren zu schreiben begann, bewogen mich vor allen Dingen zwei Anliegen zum Schreiben: Ich wollte die Qualität der vorherrschenden Fantasy- und Horrorliteratur heben (was zweifelsohne als durchaus kühner Anspruch angesehen werden kann) und ich trachtete, okkulte Erlebnisse zu verarbeiten, die mir auf der Seele lasteten. Hinzu kam, dass ich durch meine Studien in den umfangreichen, okkulten Bibliotheken der |Ushanas Minne Lodge| viele Einblicke gewann, die mir viele Anregungen für Storys gaben, unter anderem auch für mein Lebenswerk, ein Okkultepos.

Von Autoren halte ich meine Werke eigentlich weniger beeinflusst, da ich während meiner Entwicklung nicht bewusst verglichen habe und konzentriert danach trachtete, das besser zu machen, was mir an den modernen „Kollegen“ missfiel. Aber natürlich schätze ich die Arbeit einiger Autoren, doch dies sind in erster Linie klassische, allen voran Hermann Hesse, aber auch Cervantes, Dickens oder Cline und Hodgson.

Was „Kriecher“ angeht – er war einfach da, als es um die Entdeckung eines Antihelden ging, für die ich ohnehin eine Vorliebe habe. Er hatte also keinen Paten und kein Vorbild, er wurde wie die meisten meiner Charakteren aus meinem Anspruch heraus einfach geboren.
Die Einflüsse der Serie |GEISTERDRACHE| wiederum sind recht unterschiedlich. Am Anfang stand ganz klar der lateinische Versband – das |Liber Incendium Veritas|. Es diente jedoch nur zur Entwicklung der Hauptprotagonisten, zumal sich seinerzeit schon abzeichnete, dass es im Ganzen wenig authentisch war. Inhaltlich sind die Einflüsse zum Teil in der klassischen Heroic und High Fantasy und im modernen Horror zu finden, stilistisch – wenn überhaupt – bei den Klassikern.

_Michael Birke:_
Was bietet deine Fantasywelt, was unterscheidet sie von gängiger deutscher (Das Schwarze Auge: Aventurien) und amerikanischer (AD&D-Multiversum z.B.) Fantasy?

_Marc-Alastor E.-E.:_
Also viel deutsche, epische Fantasy gibt es nicht gerade, und was es gibt, hat mich, wenn ich es denn gelesen habe, nicht gerade überzeugt. Es sind sowohl die abgegriffenen Plots als auch der schluderige Sprachstil, die mich dabei häufig schnell entmutigen. Auf dem amerikanischen Sektor gibt es zwar sehr viel, jedoch vermisse ich auch dort zuweilen den nötigen |suspense|, und die „guten“, geradlinigen Übersetzungen zeigen dann noch, wie es um den Sprachstil bestellt ist. Nur wenige amerikanische Autoren bedienen sich eines wirklich wortgewandten Sprachschatzes. Die Plotlines der Amerikaner sind zumeist sehr episch angelegt, einige folgen sogar Tolkien, indem sie Historien und Stammbäume einbringen, und am Ende leiden die Story selbst und die Spannung, die an erster Stelle stehen sollte. Also mir passiert es nur allzu oft, dass ich die Bücher nach dem ersten Drittel aus der Hand lege und nicht wieder ins Auge fasse. Ich kenne unzählige Leser, die lieber Horror als Fantasy lesen, was aber zumeist in der Erzählweise begründet liegt und weniger im Inhalt. Und wenn wir am Ende über den Erfolg einzelner Serien sprechen würden, bewegten wir uns unweigerlich in die ewige und auch leidige Diskussion des Maßstabs, den niemand genau festzulegen vermag. Allein an Verkaufszahlen zu messen, sagt nämlich nichts über den Erfolg einer Serie aus, da es ganz unterschiedliche Märkte mit ganz unterschiedlichen Ansprüchen gibt.

_Michael Birke:_
Und was genau machst du in deinen Romanen anders?

_Marc-Alastor E.-E.:_
Was nun meine Fantasywelt und den Epos angeht, so versuche ich natürlich seine Stärken dort aufzubauen, wo ich die Schwächen der anderen sehe. Das bedeutet, ich lege sehr viel Wert auf Spannung und ein hohes sprachliches Niveau. Inhaltlich halte ich mich dabei schon an Bekanntes, denn ich mag ja all die Geschichten um Zwerge, Elfen und Drachen, füge dem Ganzen jedoch wissenschaftliche Informationen über Urwelten und Untergangstheorien hinzu, über frühzeitliche Hochzivilisationen und belegte Mythen, und versuche abschließend durch andere Gewichtungen bei der Erzählweise meinen Maßstab zu finden. Ich betone dabei, dass ich nicht behaupte, das einzig wahre Rezept gefunden zu haben, zumal es ein solches auch nicht gibt. Es gibt keinen Stein der Weisen für Fantasyautoren.

Aber es gibt den Anspruch, seinem eigenen hohen Qualitätsbild gerecht zu werden, wenn es auch, und das muß ich an dieser Stelle betonen, zu Konflikten führt. Natürlich würden die Verleger viel lieber leichtere, zugänglichere Kost liefern und ich habe in meiner Vergangenheit oft erlebt, dass gerade von dieser Seite immer wieder der Wunsch geäußert wurde, dass ich es etwas leichter angehen lassen möge. Doch den eigenen Anspruch zu verbiegen, geht nur bedingt, und daher versuche ich mich langsam auf das hinzubewegen, was mir als Endqualität im Kopf herumspukt. BLITZ lässt mir dabei freie Hand, unterstützt mich dabei, und es freut mich sehr, dass man dort erkennt, wohin meine „Reise“ gehen soll. Es gehört ganz eindeutig Mut dazu, auf einem immer schwieriger werdenden Markt ein solches Epos zu präsentieren, aber ich weiß dennoch, dass es sich für alle Leser lohnen wird.

_Michael Birke:_
Das |Liber Incendium Veritas| – inwiefern hat es dich inspiriert? Welche Ideen hast du – außer denen zu Medoreigtulb und M’Zaarox – daraus gewonnen?

_Marc-Alastor E.-E.:_
Außer den Grundzügen der Göttin und des Drachen gibt es keine weiteren Übernahmen, denn erstens war bis noch vor kurzem nur ein Teil davon übersetzt und somit mir überhaupt bekannt geworden, und zweitens erschien mir darüber hinaus nichts auch nur annähernd interessant genug, um daraus neue Ideen schöpfen zu können. Das mag sich möglicherweise noch ändern, wenn ich mich einmal an die Überarbeitung der Übersetzung mache und mich somit auch inhaltlicher mehr damit auseinandersetzen werde, doch im Augenblick habe ich gar keine Zeit, um das ins Auge fassen zu können, und es ist auch nicht von allzu großer Wichtigkeit für den Zyklus. Das |Liber Incendium Veritas| besitzt keinen essenziellen Charakter.

_Michael Birke:_
Die Hauptcharaktere Medoreigtulb und M’Zaarox sind, wie erwähnt, vom |Liber Incendium Veritas| inspiriert worden. Von einem Kampf zwischen den beiden ist nach „Kriecher“ und „Adulator“ aber noch nicht viel zu bemerken – was haben wir von M’Zaarox, seinen Dienern und Helfern in Zukunft zu erwarten? Welche Ideale verkörpern die beiden Gottheiten?

_Marc-Alastor E.-E.:_
Der Kampf zwischen Medoreigtulb und M’Zaarox erstreckt sich über viele Epochen, unterschiedliche Zeit- und Existenzebenen und läuft zumeist im Hintergrund ab oder wird nur fragmentarisch wiedergegeben. Meine Geschichten konzentrieren sich immer auf die Geschicke einzelner, zunächst einmal unbedeutender Charaktere, die jedoch auf irgendeine Weise mit dem Götterdisput in Berührung kommen, was ihnen die Bedeutsamkeit gibt. Das kann nur am Rande geschehen oder durchaus in die Tiefe gehen. Der Leser bekommt auf diese Weise erst langsam ein klareres Bild über die göttlichen Geschehnisse. Außerdem ist Medoreigtulb eher ein aktives und offensives Wesen, während M’Zaarox – ganz Geisterwesen und seiner Rolle als Beschützer entsprechend – eher passiv und defensiv auftritt, sein Wirken und das seines Gefolges ist zumeist kaum wahrnehmbar und erst wenn alles vorüber ist, erkennt man, dass er eine Schlacht für sich entscheiden konnte… Seine Zeit ist aber auch noch nicht gekommen, doch das wird sie…

_Michael Birke:_
Der |Bastei|-Verlag veröffentlichte 1988/89 deine Kurzgeschichten „Eine Spur Mitleid“ und „Schwungrad des Bösen“. Haben diese einen Zusammenhang mit dem von dir selbst als dein Lebenswerk bezeichneten Zyklus „Die Offenbarung eines Dämons“? Um was handelt es sich überhaupt dabei, welchen Platz hat „Kriecher“ in diesem Werk?

_Marc-Alastor E.-E.:_
Also wir müssen hier zwischen den beiden Epen unterscheiden. „Die Offenbarung eines Dämons“ ist ein okkultes Monumentalwerk, das bislang aufgrund seiner Extreme und seines Umfangs keine annehmbare Veröffentlichungsform gefunden hat. Es ist ein komplexer Romanepos, der aus der Sicht eines Dämons geschrieben ist und ausschließlich fundiertes, okkultes Material nutzt.

„Kriecher“ ist Bestandteil des Fantasy-Epos |GEISTERDRACHE|, das jetzt beim |BLITZ|-Verlag erscheint. Beide haben nichts miteinander zu tun. Und die beim |Bastei|-Verlag veröffentlichten Kurzgeschichten gehörten seinerzeit zum |GEISTERDRACHE|-Epos, wurden aber von mir damals auf die Gegenwart umgeschrieben.

_Michael Birke:_
Die am Rande eines Kataklysmus stehende Welt Praegaia ist der Schauplatz deiner Geschichten. Du unterhältst zu deinem Zyklus |GEISTERDRACHE| einige Webseiten, wie www.geisterdrache.de, www.praegaia.de, www.valusia.de. Leser deiner Romane können sich über ein Schlüsselwort einloggen, um im |GEISTERDRACHE|-Archiv zu stöbern, welches Erzählungen, Gedichte, Liedertexte und später die Übersetzung des |Liber Incendium Veritas| enthalten soll. Was brachte dich auf die Idee, diese Inhalte kostenlos im Netz anzubieten?

_Marc-Alastor E.-E.:_
Kurz nachdem sich die von mir mitbegründete Dark-Metal-Band |SPECTRE DRAGON| von mir getrennt hatte, eröffneten eine Bekannte und ich das Spectre-Dragon-Archiv im Netz. Hier sollten alle Kurzgeschichten, Liedertexte und Gedichte um den Zyklus veröffentlicht werden, damit sie nach meiner musikalischen Laufbahn nicht einfach verloren waren.

Das weckte das Interesse des |Schattenwelt|-Verlags und daraus resultierte die erste Auflage von „Kriecher“. Seitdem arbeiten wir an unterschiedlichen Seiten zum Ausbau des Kosmos, der ja nun – nachdem es Schattenwelt nicht mehr gibt – bei |BLITZ| unter dem Label |GEISTERDRACHE| in Serie gegangen ist. Geisterdrache.de ist, wenn man so will, das Spectre-Dragon-Archiv, das allerdings im Augenblick noch in einer Umbauphase steckt, denn wir haben die Inhalte des Archivs hinter ein Passwortportal stellen müssen, da es zu immer mehr Urheberrechtsverstößen gekommen war und es einfach unproduktiv ist, ständig seine Rechte einklagen zu müssen. Wir wollen aber vor dem Portal nicht nur die Bücher präsentieren, an denen gearbeitet wird und die schon veröffentlicht sind, sondern es soll wieder weitere Inhalte geben. So zum Beispiel Hintergrundberichte, Leseproben und Ähnliches. Einiges davon wird noch in diesem, unserem 20. Jubiläumsjahr umgesetzt werden.

_Michael Birke:_
Was unterscheidet diese Webseiten von einander, was werden Praegaia.de und Valusia.de bieten, was nicht bereits in diesem Archiv ist?

_Marc-Alastor E.-E.:_
Auf Praegaia.de wird der Kosmos des Epos präsentiert, Flora, Fauna, Götter, Kalender, Kartenmaterial, Stadtbeschreibungen, halt alles, was dazu gehört. Natürlich ist auch diese Seite noch im Aufbau und wird es wohl auch immer bleiben, denn es gibt unzählige Inhalte, die dort erscheinen werden.

Valusia.de gehört eigentlich nicht direkt dazu. Diese Seite sollte eigentlich meinem neuen Musikprojekt gewidmet sein, doch leider wurde daraus bislang nichts. Vor einem Jahr habe ich noch mit einem talentierten Musiker an den ersten Songs gearbeitet und alles war sehr viel versprechend, doch war er durch private Probleme dann gezwungen, das Musikbiz an den Nagel zu hängen. Seitdem hat sich nichts mehr getan und ich habe auch noch keine anderen musikalischen Möglichkeiten gefunden, was ich natürlich bedauere.

_Michael Birke:_
Du arbeitest bei der Umschlaggestaltung mit dem |Atelier Bonzai| zusammen, die Innenillustrationen des |De Joco Suae Moechae|-Zyklus sind von dem Künstler Aran. Wie kam die sichtbar positiv bemerkbare und scheinbar enge Bindung und Zusammenarbeit zwischen dir und den Künstlern zustande?

_Marc-Alastor E.-E.:_
Aran, Musiker bei der Black-Metal-Ikone |LUNAR AURORA|, kenne ich aus der Zeit, als ich für die Band die CD-Booklets layoutet habe. Daher war mir auch bekannt, dass er sehr gut zeichnen und malen konnte. Ich fragte ihn seinerzeit, ob er Lust hätte, „Kriecher“ zu illustrieren. Hatte er, und wie zu erwarten war, zeigten die Ergebnisse genau das, was mir vorschwebte. Dunkle Zeichnungen, die genau das Flair wiedergaben, welches ich in den Büchern beschreibe. Er hat es phantastisch verstanden, die Inhalte einzufangen und ich freue mich sehr, dass er auch für den dritten Teil wieder die Feder zücken wird.

_Michael Birke:_
Ist Aran ein Mitglied von |Atelier Bonzai|?

_Marc-Alastor E.-E.:_
Nein, Aran ist freischaffend und für mich ein Gefährte, der wie der Rest von |LUNAR AURORA| einfach ein ähnliches Gedankengut besitzt. Man braucht sich nicht sehr viel auszutauschen, weil sich die Ansichten in vielen Punkten gleichen, und so ist auch die künstlerische Zusammenarbeit einfach gewesen. Das Atelier wiederum ist im Prinzip eine Kooperative von Leuten, die sich um |PRAEGAIA| und |GEISTERDRACHE| verdient machen. Und leider im Augenblick unterbesetzt.

_Michael Birke:_
Der dritte Band um Kriecher, „Tetelestai!“, wird auf deiner Webseite mit einem ungewöhnlichen Appetizer als ein „Karmadrama in drei Aufzügen“ angepriesen. Was wird sich verglichen mit „Kriecher“ und „Adulator“ ändern und was ist ein „Karmadrama“ überhaupt?

_Marc-Alastor E.-E.:_
„Tetelestai!“ ist eine eigenartige Mischung aus Bühnenstück und Roman und vereinigt auch die daraus resultierenden Textkonventionen auf sich. Und da es dabei um das endgültige Schicksal Kriechers geht, nannte ich es ein Karmadrama. Während „Kriecher“ ja aus sechs beziehungsweise fünf Nachtschattennovellen zusammengesetzt war und durch die Perspektive eines Erzählers unnahbar und nüchtern erzählt wurde, wird in „Adulator“ – dem Schauerspiel – auf die Ich-Perspektive zurückgegriffen.

Erst am Ende wird klar, dass der Erzähler im Prinzip ein Teil von Kriechers noch menschlicher Seele gewesen ist, der sich absonderte und sein eigenes Wesen von außen betrachtete. Im dritten Teil nun wird die Erzählweise zwischen Erzähler und Kriechers Seelenpart wechseln. Grundidee war dabei, den dunklen Mörder aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten.

Als objektiver Erzähler erscheint Kriecher dunkel, morbide und bösartig (Kriecher), als Bestandteil seiner Selbst (Adulator) erscheint er neutraler, besonnener und erreichbarer, fast schon milde, und im dritten Teil wird sich der Leser entscheiden müssen, denn er erfährt eben von den ganzen Wahrheiten und Lügen, die hinter allem abgelaufen sind.

_Michael Birke:_
Wird der Wechsel der Erzählperspektive zu einem Markenzeichen deiner Zyklen werden?

_Marc-Alastor E.-E.:_
Das kann ich jetzt noch nicht sagen, sicher ist jedoch, dass ich immer für außergewöhnliche Textformate sorgen möchte. Dabei werde ich aber letzten Endes immer zu Gunsten des Textes entscheiden, und wenn jener denn etwas Konventionelles erfordert, dann werde ich mich auch darauf einlassen.

_Michael Birke:_
Kriecher erlebt im Verlauf des Zyklus eine Metamorphose – kannst du dazu etwas mehr verraten? Wird Kriecher in zukünftigen Zyklen eine Rolle spielen?

_Marc-Alastor E.-E.:_
Die augenscheinliche Metamorphose hat mit besagten Sichtweisen zu tun und soll dem Leser im Endeffekt zeigen, dass viele Zustände abhängig sind von der Art und Weise, wie sie für den Einzelnen zu erkennen sind. Wenn wir in Adulator sehen, wie milde der Seelenteil Kriechers quasi über sich selbst richtet und wie neutral tatsächlich die Fragen, die er dabei aufwirft, beantwortet werden müssten, erscheint mit einem Male alles so verkehrt. Es mildert nicht die Vergehen, offenbart aber mit einem Male Motive, die nicht einmal ihm selbst gehörten, sondern denen er nur gefolgt ist.

Ob Kriecher in zukünftigen Zyklen eine Rolle spielen wird, kann ich an dieser Stelle noch nicht verraten, denn es würde das Ende von „Tetelestai!“ vorwegnehmen. Ich kann aber sagen: Durch Kriechers Verbindung zur Göttin ist zumindest bei ihm alles möglich. Zu jeder Zeit.

_Michael Birke:_
Zu Caracalla, dem Prinz der Pestilenz: Er ist offensichtlich der nächste Antiheld nach Kriecher. Ein Epileptiker und Söldner, der mit zahlreichen Seuchen und Krankheiten geschlagen ist, aber nicht stirbt. Ist Caracalla eine Art Anti-Caesar, kannst du schon einige interessante Details über den kommenden Zyklus |DE MORBIS SANGUINIS| preisgeben?

_Marc-Alastor E.-E.:_
Caracalla entstammt ja einigen Kurzgeschichten, in denen zum Teil sowohl seine Vorgeschichte als auch seine Entwicklung dargestellt wurde, zudem hatte er einen kurzen Gastauftritt in „Adulator“.

Aber nein, Caracalla ist kein Anti-Caesar, er ist ein Verfluchter, dadurch ein psychisch angeschlagener Charakter und, wenn man so will, ein Halbgott der Krankheit, der aus diesem Fluch, die Krankheiten zu übertragen, ein grausames Geschäft macht. Er ist eine schillernde Persönlichkeit und in seinen Geschichten wird das Thema philosophisch aufgearbeitet, das uns allen am ehesten das Fürchten lehrt – Krankheit, Schmerz und Siechtum. Seine Vorgeschichte, wie er zum Verfluchten wurde, kann man online im Archiv oder im Winter in der Anthologie „Die Chroniken – Widerparte & Gefolge“ lesen. Sie heißt: „Die letzte Zisterne des Königs Awarkadnondur“.

Sein Zyklus wird aus zwei voneinander unabhängigen Romanen bestehen, die wichtige Bestandteile seiner Entwicklung wiedergeben; so den Versuch, seinen Fluch zu brechen, indem er die Urheberin zu finden trachtet. Dabei spielt auch ein anderer bekannter Charakter eine tragende Rolle – der Drache Nodranthatax. Und schließlich wird es um Caracallas ureigenen Aufstieg im weltlichen Gefüge gehen.

_Michael Birke:_
|Praegaia| ist eine große Welt, eine Weltkarte existiert bereits auf deiner Webseite. Führst du Buch über die Handlungsorte, zeichnest du sie vielleicht auf einer Karte ein, wie behältst du den Überblick? Werden künftige Bücher vielleicht Landkarten der Welt |Praegaia| enthalten?

_Marc-Alastor E.-E.:_
In den Chroniken, die im Winter erscheinen werden, sollen Landkartenausschnitte jeder Erzählung vorangehen. Sie entstammen dem Kartenmaterial, das zum Teil auf Praegaia.de bereits veröffentlicht ist und in den nächsten Monaten noch veröffentlicht werden wird. Heute führe ich natürlich akribisch Buch über die vielen Handlungsstränge und die damit verbundenen Bewegungen der unterschiedlichen Charaktere, die sich ja auch stets weiter entwickeln und bewegen.

Leider war ich nicht immer so umsichtig, und im ersten Jahrzehnt wurde kein Buch geführt, so dass ich heute versuche nachzuvollziehen, wo die Bewegungen stattgefunden haben. Und wir arbeiten zudem für alle Gegenden in der Welt Karten und Beschreibungen aus, aber da wartet noch viel Arbeit auf uns und es wird uns noch viele Jahre dauern, bis wir die meisten Bereiche abgedeckt haben.

_Michael Birke:_
Werden wir von Marc-Alastor in nächster Zeit – oder jemals – mit einem Helden oder einer wichtigen Figur rechnen können, die eher dem Typus „strahlender Held“ entspricht?

_Marc-Alastor E.-E.:_
Das käme darauf an, wie man den definieren würde. Aus dem Bauch heraus würde ich „NEIN!“ sagen, denn ich finde strahlende Helden langweilig und eindimensional. Würde ich einen solchen entwickeln, wäre er bei mir derart überzogen, dass er schon wieder eher eine Verspottung seiner Selbst wäre.

_Michael Birke:_
Der Hintergrund zu |GEISTERDRACHE| geht, wie man auf deiner Webseite nachlesen kann, von einem zyklischen Weltbild aus, also von Untergang und neuer Schöpfung. Praegaia ist eine junge Welt, voller Barbarei und Gefahr, am Rande eines Kataklysmus – und Medoreigtulb trachtet danach, ihr den letzten Schubser zu geben. Planst du tatsächlich den Untergang deiner Welt oder werden wir noch lange Geschichten aus dem vertrauten |Praegaia| lesen dürfen? Oder wird es sich drastisch verändern?

_Marc-Alastor E.-E.:_
|Praegaia| wird sich drastisch verändern, jedoch ist dieser vernichtende Impuls der Göttin eher von schleichendem Charakter, der absolute Untergang steht noch aus. Aus irgendeinem Grund – den ich natürlich noch nicht vorwegnehmen möchte – scheint sie mit einigen Völkern zu spielen, sie gegeneinander aufzuhetzen, während sie andere gleich samt ihrer Kultur vernichtet. Ähnlich verfährt sie mit der Welt und ihrer Landschaft an sich. Es mutet an, als unterziehe sie alles und jeden erst eingehender Studien und Belastungsproben.

|Praegaia| selbst ist wie das uressenzielle Leben; quasi die Urmasse – |materia prima| oder wie bei den Alchemisten |massa confusa| benamt -, die sich zu formen beginnt. Die Schöpfungen und Zerstörungen wirken wie ein Spiel und die Welt scheint nur ein Ergebnis einer Kette von Zufällen und eines Zusatzes von Regeln. Mit etwas besserer Kenntnis über |Praegaia| und einige ihrer Geschichten wird man aber zu erkennen imstande sein, dass meine Welt im Grunde wissenschaftlichen Arbeiten über das deterministische Chaos und die Neuordnung komplexer Zusammenhänge Rechnung trägt, weil alles wie ein Glücksspiel anmutet, indem Gewinne und Verluste zwar gleichermaßen hervorgebracht werden, sich aber die Gewinne als Prinzipe durchsetzen.

Manchmal beginnt man sich dann zu fragen: Ist Medoreigtulb wirklich der Motor und Katalysator des Ganzen oder steht sie einfach nur für den gezähmten Zufall und die universellen Gesetze, nach denen sich die Welt, wie in unzähligen unserer Mythen überliefert, selbst vom Chaos zur Ordnung ausbildet?

Und genau darin fußt auch die Theorie, der ich persönlich zudem sehr zugetan bin, dass es vor unserer bekannten Zivilisation bereits andere gegeben haben muss. Lange vor unserer Zeitrechnung hat es bereits fortschrittliche Hochkulturen gegeben. Zum Einen gibt es viele unabhängig voneinander entwickelten Mythen, die trotzdem darin übereinstimmen, dass es frühe Kulturen gegeben hat, an die heute nicht mehr viel erinnert. So überlieferten beispielsweise die Azteken fünf solcher Hochkulturen in recht detaillierten Beschreibungen, und während die erste vom Wasser verschlungen wurde, was stark an den Untergang von Platos Atlantis erinnert, so wurde auch die fünfte beschrieben, in der wir noch heute leben. Man findet aber auch überall auf der Welt eindrucksvolle Hinweise für mögliche Frühkulturen, die bei genauerer Betrachtung keinen anderen Schluss mehr zulassen, als dass es solche gegeben haben muss und dass es sich auch bei diesen Kulturen um Entwicklungsprozesse und Endstadien gehandelt hat, die sich neu ordneten, aber scheinbar schlichtweg verschwanden. Belege und Zeugnisse finden wir in nahezu allen Kulturerbmassen; sie im Einzelnen hier aufzuführen, würde den Rahmen sprengen. Aber jedem kritischen Denker sei als Denkanstoß der Name Professor Charles H. Hapgood in Verbindung mit der Weltkarte von Admiral Piri Reis gegeben, alles andere fügt sich dann.

Hinzu kommen für mein Gesamtbild dann die ersten wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, dass unser Universum periodisch untergeht und neu entsteht. Paul Steinhardt, Professor der Astronomie an der |Princeton University New Jersey| und Neil Turok von der |University of Cambridge|, der auch ein früherer Mitarbeiter von Stephen Hawking war, gelangten zu einer neuen Sicht mit dem zyklischen Entstehen und Vergehen eines Universums und belegen somit ein Weltbild, das wiederum den Mythen vieler Völker zugrunde liegt.

Daher, um zu deiner Frage zurückzukehren, wird |Praegaia| untergehen, wenn Medoreigtulb alles getan hat, was getan werden musste, doch bis dahin wird noch Zeit vergehen und noch einiges geschehen – und erst dann sind wir in der nächsten Epoche…

_Michael Birke:_
Du hattest in der Vergangenheit einige Probleme mit deinen Verlegern, mit dem |BLITZ|-Verlag sind jedoch bereits zwei weitere Zyklen geplant. Werden diese bereits vorhandenen Stoff aus der |GEISTERDRACHE|-Welt aufarbeiten oder entwickelst du gerade völlig neue Ideen?

_Marc-Alastor E.-E.:_
Der |Schattenwelt|-Verlag löste sich wenige Monate nach Erscheinen der ersten Auflage von „Kriecher“ auf, weil sich die beiden Teilhaber nicht länger grün gewesen sind. Für mich war das tödlich, denn die meisten Verleger wollten keinen angefangenen Zyklus fortführen und hätten lieber etwas Neues gehabt. Kriecher hatte sich jedoch sehr gut verkauft, die Resonanz war groß und jeder wollte den zweiten Teil. Ich gab also alles, um möglichst schnell neue Verträge einzustielen, doch es zog sich alles unglaublich hin.

|BLITZ| verwaltete damals Kriechers Restbestände, denn |BLITZ| hatte auch den Druck und Vertrieb für |Schattenwelt| übernommen und auf diese Weise blieb „Kriecher“ wenigstens lieferbar. Schließlich konnte ich mich mit Joerg Kaegelmann auf einen Vertrag für den zweiten Teil einigen, so dass ich wenigstens diesen gewährleisten konnte. Da war „Kriecher“ jedoch nahezu ausverkauft und wir kamen ins Gespräch über eine Neuveröffentlichung. Als ich ihm den Zyklus als Ganzes und meine Pläne für den Epos vorstellte, gewann für ihn alles ein Gesamtbild und wir machten daraufhin einen Serienvertrag.

Was die geplanten Zyklen angeht, so arbeiten sie natürlich vorhandenes Material auf. Es gab einige Kurzgeschichten zu Caracalla, dem Prinzen der Pestilenz, die sehr gut angekommen sind, so dass ich einen Romanzyklus um ihn schuf. Er wird als nächstes angegangen werden. Mit einem Buch über die Göttin entspreche ich dem Wunsch vieler Leser, die gerade über sie mehr erfahren möchten, und ich kann nur versprechen: Sie werden mehr erfahren, mehr als ihnen lieb sein wird.

Natürlich entwickle ich immer neue Ideen, die können und werden jedoch Eingang in die jeweils laufenden Projekte finden, seien diese nun zu |GEISTERDRACHE| oder einem anderen Romankonzept.

_Michael Birke:_
Wie ist die bisherige Resonanz, besteht die Chance, dass deine Bücher einmal im normalen Buchhandel auftauchen werden oder werden sie weiterhin ausschließlich als limitierte Fassungen angeboten?

_Marc-Alastor E.-E.:_
Bis vor kurzem wurden alle |BLITZ|-Titel auch über den Buchhandel vertrieben, jedoch ist die wirtschaftliche Lage für den Buchhandel genauso schwierig wie für viele andere Wirtschaftszweige.

Selbst große Verlage wie |Heyne| stoßen ihr komplettes Phantastikprogramm ab. Die Entscheidung, sich vom Vertrieb des Buchhandels zu trennen, war ein rein wirtschaftlicher und ist Joerg Kaegelmann sicherlich nicht leicht gefallen, auf der anderen Seite werden die Gewinnspannen der Verlage immer kleiner, die Produktionskosten nicht billiger und der Absatz selten wesentlich größer, so dass die Entscheidung nachvollziehbar ist. Natürlich ist es für einen jungen Autoren immens wichtig, überall erhältlich zu sein, und ich habe lange gehadert, was ich von dieser Entscheidung halten soll.

Aber mir ist im Endeffekt für |GEISTERDRACHE| die Sicherheit, auch weiter dort veröffentlichen zu können, wichtiger, denn es nutzt niemandem etwas, wenn ein Verlag die Tore schließen muss. Und andere Titel von mir werden den Weg in den normalen Buchhandel finden, so dass sich in Zukunft auch eine andere Perspektive für |GEISTERDRACHE| bieten mag. Die exklusive Erstausgabe verbleibt einstweilen bei |BLITZ|.

_Michael Birke:_
Zum Abschluss: Was liest du persönlich zur Zeit, kannst du deinen Lesern einige Bücher anderer Autoren empfehlen?

_Marc-Alastor E.-E.:_
Im Augenblick muss ich mich auf zwei weitere Romanprojekte vorbereiten, so dass ich ausschließlich Sachbücher und Artikel lese. Was ich danach lesen werde, weiß ich noch nicht. Und Buchempfehlungen spreche ich generell ungern aus, weil sie im Grunde für jeden anderen wenig aussagen. Aber ich freue mich über jeden Menschen, der zu einem Buch greift und darin etwas zu finden imstande ist.

Marc-Alastor E.-E. bei Buchwurm.info:

[„Kriecher“ 319
[„Adulator“ 468

Haldeman, Joe – ewige Krieg, Der

Es herrscht Krieg. Aufgrund eines Missverständnisses zwischen den Menschen und den außerirdischen |Tauren| ist ein erbitterter, brutaler Kampf zwischen diesen beiden Rassen ausgebrochen. Geführt wird der Krieg auf hohem technologischem Niveau im Weltraum und auf fremden Planeten – der einfache Soldat Will Mandella ist der Protagonist dieses Romans. Nach einer brutalen Ausbildung befindet er sich auf einem Raumschiff und wird von Gefecht zu Gefecht gebracht. Trotz modernster Ausrüstung und psychischer Konditionierung lässt ihn nur der ausgiebige Konsum von Drogen die Gräuel des Krieges ertragen. Aufgrund der hohen Geschwindigkeiten der Raumschiffe und der damit verbundenen Zeitdilatation vergehen auf der Erde Jahrzehnte und Jahrhunderte, während die Einsätze für die Soldaten von relativ kurzer Dauer sind. Zurück auf der Erde, kann sich Mandella nicht wieder eingliedern. Wichtige Bezugspersonen sind verstorben und die gesellschaftlichen Systeme wirken fremdartig auf ihn. Die Bevölkerung der Erde arbeitet nur noch für den Krieg, der sich verselbständigt hat. Mandella verpflichtet sich erneut und fliegt zum nächsten Kriegsschauplatz dieses ewigen Krieges …

Joe Haldeman wurde 1943 in Oklahoma City geboren und studierte Physik und Astronomie. In den Jahren 1968–1969 kämpfte er als Soldat in Vietnam und wurde schwer verwundet (Auszeichnung |Purple Heart|). Seit 1970 arbeitet Haldeman als Schriftsteller und ist seit 1983 am Massachussets Institute of Technology (MIT) tätig. Er ist verheiratet und lebt heute zeitweise in Florida und in Massachussets.

„Der ewige Krieg“ ist ein Anti-Kriegsroman, wie er schonungsloser kaum sein kann. Das Werk, das sowohl den |Hugo| als auch den |Nebula Award| gewonnen hat, reflektiert Haldemans Kriegserlebnisse in Vietnam. Der Mensch als Werkzeug – brutal instrumentalisiert für einen Krieg, den er nicht verstehen kann. Haldeman benutzt dabei die Mittel der Science-Fiction, um die Sinnlosigkeit des Krieges in aller Härte aufzuzeigen. Kommunikation zwischen Tauren und Menschen ist nicht möglich, Auslöser des Konflikts war ein Missverständnis, auf der Erde vergehen Jahrhunderte und der Krieg dauert an. Es ist eine albtraumhafte Welt und für den Protagonisten gibt es kein Entrinnen aus diesem Hades, wo jeder Tag dein letzter sein kann. Nachdem man überlebt hat, wird man mit einer Welt und Menschen konfrontiert, die man nicht mehr versteht. Eine Integration in diese Systeme ist nicht möglich – die Parallele zu den Vietnamheimkehrern in den USA ist überdeutlich. Der einzig mögliche Ausweg sind die weitere Verpflichtung als Soldat und die Rückkehr in ein hoffnungsloses Inferno. Während der Lektüre des Buches fiebert man förmlich mit dem Protagonisten mit – genau wie er frustriert und resigniert der Leser. Das Thema ist vor den derzeitigen Hintergründen unserer Welt aktueller denn je – immer wieder werden einem die Sinnlosigkeit und vor allem die menschenverachtende Schrecklichkeit eines Krieges vor Augen geführt. Dabei tut Haldeman dies nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern auf eine sehr intelligente Art und Weise. Das Buch ernüchtert und hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack – es ist sicherlich nichts für schwache Nerven. Ein Meisterwerk der Science-Fiction, dss das Thema „Krieg“ in einer nachhaltigen Art und Weise variiert – dazu ist es enorm spannend. Dieser Anti-Kriegsroman ist ein Klassiker – indes jedoch nicht nur für Fans des Genres geeignet, da die Botschaft dieses harten und schonungslosen Werks von 1972 gegenwärtiger und wichtiger ist denn je.

Henry Rider Haggard – König Salomons Diamanten

haggard-salomon-cover-heyne-1985-kleinEnde des 19. Jahrhunderts gerät eine britische Expedition in ein versunkenes Reich, in dem archaische Krieger über die Diamantenminen des sagenhaften Königs Salomon wachen. Die Rückkehr ist schwierig, denn der grausame Herrscher will seine Besucher nicht mehr ziehen lassen … – Einer der ganz großer Klassiker der Abenteuerliteratur mischt Elemente des Reiseromans mit denen der (späteren) Fantasy. Aus heutiger Sicht sicherlich gemächlich, mit ausführlichen Landschaftsbeschreibungen, teils angestaubt, teils unbehaglich chauvinistisch im zeitgenössisch selbstverständlichen Dünkel gegenüber den „schwarzen Wilden“ aber immer noch fesselnd.
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Tolkien, J. R. R. – Hobbit, The

J. R. R. Tolkiens drei Hauptwerke sind so unterschiedlich im Ton, im Stil und in ihrer Beschaffenheit, dass man fast nicht glauben mag, dass sie alle aus der Feder eines Autoren stammen. „The Lord of the Rings“ (dt. „Der Herr der Ringe“) ist ein gigantisches, detailverliebtes Epos. [„The Silmarillion“ 408 (dt. „Das Silmarillion“) ist sowohl Mythos, Epos als auch eine breit angelegte Chronik von Tolkiens imaginärer Welt. „The Hobbit“ (dt. „Der kleine Hobbit“) jedoch, seine erste belletristische Veröffentlichung, ist ein verspieltes und leichtfüßiges Kinderbuch, das auch dem erwachsenen Leser das eine oder andere Lächeln aufs Gesicht zaubern wird. Vergeblich sucht man hier nach dem Faktenreichtum des „Silmarillion“ oder der Handlungsbreite des „Herrn der Ringe“. Stattdessen erzählt Tolkien im „Hobbit“ kurzweilig, gut gelaunt und vor allem mit einem guten Schuss Ironie, der nahelegt, dass der mittlerweile als Genie gefeierte Tolkien seine eigene Geschichte nicht unbedingt bierernst nimmt. Denn der „Hobbit“ soll in erster Linie unterhalten und Spaß machen!

Der Hobbit, das ist Bilbo Baggins, in den besten Jahren, delikatem und reichlichem Essen durchaus zugeneigt und ein Liebhaber guten Tabaks. Abenteuer sind das Letzte, woran er denkt, als Gandalf – seines Zeichens Zauberer – vor seiner Hobbithöhle auftaucht. Gandalf nun, komplett mit spitzem Zaubererhut und dem passenden Stab, sucht für eine Kompanie Zwerge einen vierzehnten Mann und hat sich in den Kopf gesetzt, dass Bilbo die perfekte Wahl wäre. So sieht sich der Arme tags darauf dreizehn hungrigen Zwergen unter der Führung von Thorin gegenüber, die ihn auf eine Reise zum Lonely Mountain mitnehmen wollen, um dem dort ansässigen Drachen Smaug einen ganzen Haufen Gold zu entwenden. Nun hat, wie bereits erwähnt, der sehr respektable Bilbo mit Abenteuern nichts am Hut, doch wäre die Geschichte hier zu Ende, hätte Gandalf es nicht geschafft, Bilbo aus seiner Höhle zu locken. So überstürzt muss er aufbrechen, dass er gar sein Schnupftuch vergisst.

Nun erleben Zwerge, Hobbit und Zauberer allerlei wundersame Abenteuer, bis sie zum Lonely Mountain kommen. So nimmt Bilbo beispielsweise dem geheimnisvollen Gollum einen gewissen Ring ab, der später noch eine prominente Rolle in Tolkiens Schaffen spielen soll. Auf dem Weg nach Rivendell wollen drei hungrige Trolle sie kochen. In den Misty Mountains geraten sie an eine ganze Horde Orks. In Mirkwood müssen sie sich mit Riesenspinnen und scheuen Waldelben rumschlagen. Und schließlich am Lonely Mountain angekommen, gilt es immer noch, einen ziemlich unleidlichen Drachen zu besiegen und einen Krieg zu verhindern, der zwischen Zwergen, Elben und Menschen ob des in greifbare Nähe geratenen Schatzes zu entbrennen droht. Und in all diesen prekären Situationen denkt Bilbo zwar am liebsten an seine gemütliche Hobbithöhle und sein zweites Frühstück; doch alles in allem erweist er sich zumeist als Retter in der Not und durchaus brauchbarer Abenteurer.

Dass „The Hobbit“ als Kinderbuch konzipiert ist, wird ziemlich schnell klar. Ein väterlicher Erzähler nimmt den (jugendlichen) Leser an die Hand, erklärt ihm Hobbits und Zauberer und Mittelerde und hält auch sonst mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Recht amüsant kommentiert er so, was in der Geschichte passiert, spricht den Leser von Zeit zu Zeit auch direkt an. Darüberhinaus ist der Roman in Kapitel eingeteilt, die sich jeweils gemütlich in einer Sitzung lesen lassen und jedes Mal ein abgeschlossenes Abenteuer behandeln. Außerdem ist „The Hobbit“ fast komplett bar aller Hintergrundinformationen, die das „Silmarillion“ und „Lord of the Rings“ zu so reichhaltigen (und schwer verdaulichen) Texten machen. Es wird hier zwar schon auf zukünftige Ereignisse angespielt (die Handlung spielt rund 60 Jahre vor „The Lord of the Rings“) – so begegnet man hier bereits Elrond, Gandalf und auch Sauron wird verschlüsselt erwähnt -, doch im Großen und Ganzen ist der Text viel geradliniger und einfacher als das, was man sonst von Tolkien gewohnt ist. Damit eignet sich „The Hobbit“ auch hervorragend als Einstiegsdroge für jene, die sich Mittelerde langsam und bedächtig nähern wollen.

Die englische Taschenbuchausgabe ist, obwohl preiswert, mit Liebe gestaltet worden. Das elegant schwarze Cover schmücken der Titel in Silber und ein Porträt Smaugs in auffälligem Rot aus der Feder Tolkiens. Und wie es sich gehört, beinhaltet der Roman auch einige Illustrationen, um das Buch für junge Leser ansprechender zu gestalten. Für all jene, die sich in der Geographie Mittelerdes nicht gut auskennen, schmückt die letzte Seite des Romans eine Karte der Route, die Bilbo und die Zwerge genommen haben, sodass man Mirkwood und die Umgebung von Lake Town dort gut nachvollziehen kann.

Zu Recht ist „The Hobbit“ ein Klassiker der modernen Kinderliteratur. Tolkien hat hier mit den Hobbits originäre Kreaturen erschaffen, die Kinder jeden Alters ansprechen dürften. Man erlebt die Geschichte durch Bilbos Augen und mit ihm kann sich der Leser identifizieren. Er ist kein überlebensgroßer Held, sondern ein Persönchen von einem Meter zwanzig, das sein Leben auch gern in der sorglosen Abgeschiedenheit des Auenlandes weitergelebt hätte. Eigentlich vollkommen unneugierig und genügsam, kann er sich doch einer gewissen Begeisterung für die Reise nicht erwehren und dieser Gegensatz des Charakters ist wohl der sympathischste Zug, den Tolkien seinem Bilbo verleihen konnte. Denn ohne es zu wollen, macht das Abenteuer Bilbo zu einem Abenteurer, ohne dass er dadurch ein Held würde. So bleibt er, gerade für Kinder, immer verständlich und begreifbar. Doch auch erwachsene Leser werden sich Bilbos Charme kaum enziehen können!

Hinweis: Unsere Rezension zur deutschen Hörbuchfassung findet ihr [hier. 130

Taylor, Andrew – verriegelte Fenster, Das

Thomas Penmarsh (Spitzname Rumpy), ein Junge von elf Jahren, ist ein unansehnliches Kind und im Umgang mit Menschen hilflos. Zu seinem Glück steht dem sozial Gehemmten sein Cousin Esmond zur Seite, der das genaue Gegenteil von ihm ist: charmant, gut aussehend, eloquent. Die beiden wachsen gemeinsam in Finisterre auf, nachdem zuerst Esmonds kleine Schwester und wenig später auch seine Mutter versterben. Finisterre – das Ende des Landes – ist der Name des Gutes in Nord-Cornwall, in dem die Penmarshs in der Nähe der Küste residieren. Rumpys verwitwete Mutter hat einen Narren an Esmond gefressen und nimmt ihn quasi als zweiten Sohn an, doch das ist kein Grund für Thomas, eifersüchtig zu werden, denn auch er verehrt Esmond und sieht in ihm einen großen Bruder, für den er alles tun würde. Das neue Familienmitglied, das aus ärmlichen Verhältnissen stammt, profitiert wiederum von der besseren finanziellen Situation der Penmarshs.

Die beiden Jungen gehen gemeinsam durch Dick und Dünn, doch als junger Erwachsener will der lebenshungrige und ehrgeizige Esmond der provinziellen Langeweile und Perspektivenlosigkeit entfliehen und zieht nach London, wo er dubiose Geschäftsideen verfolgt. Der Kontakt zu Finisterre bleibt dennoch aufrecht, und Esmonds Machenschaften in der fernen Großstadt zeitigen letztlich auch hier Auswirkungen.

Mehr als zwei Jahrzehnte später hat der mittellose Esmond mit seiner Freundin in Rumpys Haus Quartier genommen und fühlt sich als eigentlicher Hausherr. Nun, als Alice – die bei entfernten Verwandten aufgewachsene Tochter von Thomas – ihren Besuch ankündigt, sieht er seine Machtposition bedroht. Rumpy sitzt zwischen den Stühlen und hat außerdem Angst vor seinem Kind, das ihm fremd ist. Und Esmond ist kein Mensch, der tatenlos zusieht, wie sich die Dinge zu seinem Nachteil entwickeln …

Mit Sicherheit ist „Das verriegelte Fenster“ kein Roman für jene, die ein Faible für rasante Entwicklungen und plakative Spannungsmomente haben. Deshalb mutet es etwas merkwürdig an, dass das Buch im Klappentext als Psychothriller bezeichnet wird und von Taylor als einem Spannungsautor die Rede ist – so richtig „thrillt“ es hier nicht. Über lange Strecken scheint die Geschichte kaum mehr als eine in gemächlichem Tempo erzählte Biographie zu sein, die sich durch ihre Begeisterung für die Figuren und eine genaue Beobachtungsgabe auszeichnet. Erst kurz vor dem Ende kommt dann das Krimi-Element zum Vorschein. Dennoch wird es wegen der guten Schilderung der Charaktere und des Geschehens nie wirklich langweilig. Auch der Wechsel zwischen vergangener und gegenwärtiger Erzählebene sowie die gekonnt subtile Vermittlung des Eindrucks, dass da etwas unter dem oberflächlichen Schein lauert, entschädigen für die fehlende Geschwindigkeit.

Fazit: Empfehlenswert für alle, die sich für das Ausloten psychologischer Untiefen begeistern können.

_MW_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Thomas Thiemeyer – Medusa

Wie kam das Leben auf die Erde, wie die menschliche Kultur ins Dasein? Und sind wir die Ausnahme in den Weiten des Kosmos? Welche Spuren lassen sich zur Beantwortung dieser brennenden Fragen in Geologie, Anthropologie, Weltraumforschung und Geschichte finden? Welche sprunghaften Ungereimtheiten stellen sich dabei den Forschern in den Weg?

Diese Fragen spielen für Dr. Hannah Peters und ihren Assistenten Abdu Kader zunächst noch keine Rolle, während sie in der algerischen Sahara auf der Suche nach Felsbildkunst sind, wozu Ritzungen oder Malereien zählen, die bis zu 13.000 Jahren alt sein können. Mit einer ausgewachsenen Skulptur in abstrakter und unheimlicher Medusengestalt, die zudem noch älter als diese anerkannten Datierungen ist, aus einem unbekannten Material besteht und mehr neue Fragen aufwirft, als ihre Entdeckung zu beantworten scheint, hätten die beiden allerdings nicht gerechnet. Und wie wichtig die eingänglichen Überlegungen dabei tatsächlich sind, wird sich erst noch herausstellen.

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