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Edgar Allan Poe – Eleonora (POE #12)

X-Mystery: Die Wahrheit ist dort draußen

„Eleonora“ ist der zwölfte Teil der Edgar-Allan-Poe-Reihe von LübbeAudio, die unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör bringt.

Ulrich Pleitgen hat auch an den ersten Hörbüchern der Serie mitgewirkt:

Edgar Allan Poe – Eleonora (POE #12) weiterlesen

Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – entwendete Brief, Der (POE #11)

_Überlistet: Die Rache des Detektivs_

„Der entwendete Brief“ ist der elfte Teil der Edgar-Allan-Poe-Reihe von |LübbeAudio|, die unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör bringt.

Ulrich Pleitgen hat auch an den ersten acht Hörbüchern der Serie mitgewirkt:

#1: [Die schwarze Katze 755
#2: [Die Grube und das Pendel 744
#3: [Der Untergang des Hauses Usher 761
#4: [Die Maske des Roten Todes 773
#5: [Sturz in den Mahlstrom 860
#6: [Der Goldkäfer 867
#7: [Die Morde in der Rue Morgue 870
#8: [Lebendig begraben 872

Die vier neuen Folgen der POE-Reihe sind:

#9: [Hopp-Frosch 1906
#10: [Das ovale Portrait 1913
#11: Der entwendete Brief
#12: Eleonora

Die nächsten vier Folgen sind:

14. Die längliche Kiste
15. Du hast es getan
16. Das Fass Amontillado
17. Das verräterische Herz

(Folge 13 wird bewusst ausgelassen …)

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Short Story. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten. Seine Literaturtheorie nahm den New Criticism vorweg.

Er stellt meines Erachtens eine Brücke zwischen dem 18. Jahrhundert und den englischen Romantikern (sowie E.T.A. Hoffmann) und einer neuen Rolle von Prosa und Lyrik dar, wobei besonders seine Theorie der Short Story („unity of effect“) immensen Einfluss auf Autoren in Amerika, Großbritannien und Frankreich hatte. Ohne Poe sind Autoren wie Hawthorne, Twain, H.P. Lovecraft, H.G. Wells und Jules Verne, ja sogar Stephen King und Co. schwer vorstellbar. Insofern hat er den Kurs der Literaturentwicklung des Abendlands maßgeblich verändert.

_Die Sprecher_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon mehrere Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren

Iris Berben gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen hierzulande. Ihr Repertoire umfasst Krimis („Rosa Roth“) ebenso wie Komödien und klassische Werke. Für ihre Leistungen wurde sie u. a. mit dem Bambi und mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. In der POE-Serie interpretiert sie die weibliche Hauptrolle Leonie Goron und andere Figuren.

Außerdem wirken Till Hagen als Dr. Templeton sowie eine Reihe anderer Sprecher mit. Till Hagen wurde 1949 in Berlin geboren und erhielt seine Schauspielausbildung an der Max-Reinhardt-Schule. Zeitgleich drehte er seinen ersten Kinofilm, „7 Tage Frist“. Es folgten Engagements an den Stadttheatern Dortmund und Bielefeld. Später studierte er Deutsch und Theaterpädagogik. Als Sprecher beim Deutsche-Welle-Fernsehen und im Hörfunk wurde er genauso bekannt wie als Synchronstimme u. a. von Kevin Spacey.

|Das Titelbild|

Das monochrome Titelbild, das Simon Marsden (www.simonmarsden.co.uk) geschossen hat, zeigt bei „Der entwendete Brief“ ein Treppenhaus. Aber nicht irgendein Treppenhaus in einem Mietsblock, sondern offenbar handelt es sich um eine Art Schloss, wie sich anhand der großen Halle und des fein gedrechselten Holzes des Geländers ablesen lässt. Wer genau hinsieht, wird verblüfft bemerken, dass der Boden des oberen Treppenabsatzes aus Holzbohlen besteht, wie man sie nur in sehr alten Gebäuden finden würde – allein schon wegen der permanenten Feuergefahr. Wieder einmal fällt die geniale Behandlung von Hell und Dunkel auf.

Das Motiv der Rückseite ist immer noch das gleiche wie in der ersten Serie: das von leuchtendem Nebel umwaberte ausgebrannte Gemäuer einer alten Abtei, deren leere Fenster den Betrachter ominös anstarren.

|Das Booklet|

Jede CD enthält ein achtseitiges schwarz gehaltenes Booklet. Neben dem Eingangszitat auf Deutsch und Englisch wird hier auch der gesamte Stab und die Sprecherbesetzung der Rollen aufgeführt. Es gibt einen kleinen Abriss der Vorgeschichte sowie Informationen zur Gothicband |L’ÂME IMMORTELLE|. Die Rückseite der CD fasst die Handlung zusammen und listet die wichtigsten Mitwirkenden auf.

_Vorgeschichte_

Hinweis: Das neu gestaltete Booklet enthält einen kleinen Abriss der Vorgeschichte, so dass der Einstieg leichter fällt.

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile wieder entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon acht Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Albträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe von Albträumen – über „Die Morde in der Rue Morgue“ – nicht verschont.

_Handlung_

Aus dem vorherigen Abenteuer wissen wir nun, dass „Dr. Templeton“ ein Hochstapler ist, der in Wahrheit Francis Baker heißt. Seine Halbschwester ist (war?) Lucy Monaghan. Es gibt eine Andeutung, dass Lucy und Leonie Dinge getan haben, die nicht ganz koscher sind. Wird Poe dahinter kommen? Garantiert!

Leonie und Poe wollen der Polizei diese Hintergründe enthüllen und auf die Toten in dem Landhaus hinweisen. Da geraten sie aber an die Falschen! In der Polizeiwache ist alles völlig verwahrlost, und das hätte sie stutzig machen sollen. Sobald der Name „Dr. Templeton“ gefallen ist, wird Leutnant Creedon gerufen, um sich der beiden anzunehmen. Doch ein echter Schock ist der Auftritt Templetons selbst, der Creedon eindringlich vor dem Wahnsinn seiner Ex-Patienten warnt.

|Der Traum|

In seiner Zelle hat Poe einen sonderbaren Traum. Darin tritt wieder einmal der Pariser Meisterdetektiv Auguste Dupin auf. Poe ist Dupins Freund geworden und befindet sich gerade in dessen Wohnung, als eine wunderschöne Frau eintritt. Die Prinzessin ist inkognito und möchte um keinen Preis ihren Namen verraten, doch der kostbare Ring an ihrem Finger trägt die Farben der Republik und ist ein guter Hinweis darauf, warum sie ihren Besuch geheim halten muss. (Der Zeitpunkt liegt offenbar VOR der Französischen Revolution. Danach gab es plötzlich wesentlich weniger Prinzessinnen …)

Der Grund: Ein wichtiger Brief wurde entwendet, der dem Dieb große Macht über die Prinzessin verleiht, wegen der Enthüllungen, die sie darin macht. Der Dieb ist bekannt: Es ist der Minister D. Zunehmend missbraucht er den Besitz des Briefes, um die Position der Prinzessin zu schwächen und selbst an Einfluss zu gewinnen. Doch es gelingt ihr nicht, den Brief zurückzubekommen: Die Polizei hat die Wohnung des Ministers ebenso durchsucht wie dessen Person – nichts.

Auguste Dupin kennt den Minister persönlich und hat keine angenehmen Erinnerungen an ihn. Dieser ist außerdem Dichter und Mathematiker – eine gefährliche Kombination, wie Dupin findet. Er verspricht der Prinzessin nicht nur Diskretion, sondern auch, den Brief binnen drei Tagen an sie zurückzugeben. Dann setzt er mit Poes Hilfe einen genialen Plan in die Tat um …

Als Poe erwacht, brennt vor dem Polizeirevier ein Heuwagen, und Chaos verbindet sich mit Panik. Im Durcheinander hilft Poes Freund George Appo den beiden Häftlingen, zu entkommen und bestimmte Dokumente mitzunehmen. Er bringt sie zu Sullivan’s Insel, wo er sie in Sicherheit glaubt. Er ahnt nicht, dass die beiden Sullivan’s Insel nur zu gut kennen … (nämlich aus „Der Goldkäfer“).

_Mein Eindruck_

Die Binnenhandlung um den Pariser Meisterdetektiv Auguste Dupin wird von einer der bekanntesten und am besten aufgebauten Erzählungen Poes überhaupt bestritten: „The Purloined Letter“. Dupin ist ja der Wegbereiter für den weitaus berühmteren Kollegen Sherlock Holmes und verfügt über ein ebenso großes deduktives Einfühlungsvermögen wie dieser. Dass er aber auch über durchtriebene Initiative verfügt, belegt das Abenteuer um den „entwendeten Brief“. Ich werde mich hüten, die Pointe zu verraten.

Ist der Traum der verkappte Wunsch Poes, aus seiner misslichen Lage durch eine Vaterfigur befreit zu werden? Nun, wenigstens ein Freund hilft ihm aus seiner Zelle, und dass die liebe Leonie mitkommt, ist Poe sicherlich recht. Iris Berben, die die Leonie spricht, hat mit dieser Rolle wesentlich weniger Arbeit als mit ihrer Rolle als Prinzessin.

Die Story der Prinzessin erfordert eine lange Anlaufzeit, um richtig verstanden zu werden, und erst wenn der Zuhörer – vertreten durch Mr. Poe – kapiert hat, was denn an diesem elenden Brief so Wichtiges dran ist, darf die Action starten. Diese Szene kann man sich durchaus auch als Filmszene vorstellen, und vielleicht schlummern in irgendwelchen Senderarchiven sogar solche Episoden auf der Basis von Poe-Erzählungen. Kinofilme zumindest gäbe es in Hülle und Fülle, meist mit Vincent Price in der Hauptrolle.

_Die Sprecher / Die Inszenierung_

|Mr. Poe alias Jimmy Farrell|

Pleitgen spielt die Hauptfigur, ist also in jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Erstaunen und Neugier darzustellen, wenn sein Poe der Begegnung zwischen Prinzessin und Dupin zuhört. Dieses Poe-Imago des 18. Jahrhunderts ist ziemlich verzagt und unbeholfen im Umgang mit Waffen, geradezu ein Schreibtischhengst par excellence. Man kann nur froh sein, dass Dupins Plans aufgeht, wenn Poe mitwirkt.

|Miss Leonie Goron / Prinzessin|

Iris Berben bietet Pleitgens melancholischem und nachdenklichem Poe einen lebhaften Widerpart mit ihrer Leonie Goron. Und wie der grüblerische Poe sogar selbst merkt, zeichnet sich Leonie durch ungewöhnlichen Scharfsinn und eine kluge Feinfühligkeit aus. Sie hat erheblichen Anteil an Poes Rettung in der Rahmenhandlung von Episode 5 („Mahlstrom“). Spätestens ab „Der Goldkäfer“ wirkt sie wie eine kluge Freundin, die durch ruhige Überlegung und kluge, verständnisvolle Fragen bald zu seiner unverzichtbaren Ratgeberin wird.

|Minister|

Jürgen Thormann ist fast schon ein allgegenwärtiger Synchronsprecher, obwohl er vielen Hörern mit Namen nicht vertraut ist. Er spielt häufig distinguierte ältere Herren, meist von Rang, die ein wenig arrogant wirken. Dies trifft natürlich auf den Minister, der sich für besonders schlau hält, in ganz besonderem Maße zu.

|Auguste Dupin|

Ein ganz besonderes Schmankerl ist die Aufnahme von Manfred Lehmann in den Kreis der Sprecher in dieser Episode. Wie schon in „Die Morde in der Rue Morgue“ bestreitet er die Rolle des Meisterdetektivs Auguste Dupin, und zwar mit seiner Synchronstimme für Gerard Depardieu. Dementsprechend klingt Dupin keineswegs herablassend, sonders vielmehr hintergründig und autoritativ, wenn er dem ahnungslosen Poe, seinem Stichwortgeber, (und gleichzeitig uns) die Zusammenhänge erklärt.

_Musik und Geräusche_

Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt. Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet. Bis auf die Eingangsszene sind aber diesmal alle Szenen in Interieurs eingerichtet, so dass der Sound eine untergeordnete Rolle spielt. Immerhin sind Effekte wie etwa Hall und ein sehr tiefes Bassgrummeln festzustellen, das Gefahr anzeigt.

Die Musik erhält daher eine umso wichtigere Bedeutung: Sie hat die Aufgabe, die emotionale Lage der fünf Hauptfiguren (Poe, Goron, Dupin, Prinzessin, Minister) und ihres jeweiligen Ambientes darzustellen. Diese rein untermalende Aufgabe ist auf den ersten Blick leichter zu bewerkstelligen als die Gestaltung ganzer Szenen, doch wenn es sich um actionarme Szenen wie diesmal handelt, zählt jede Note, jede Tonlage.

Musiker des Ensembles „Musical Halensis“ und des Filmorchesters Berlin sowie die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche – sie alle wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht.

|Der Song|

In der dritten Staffel der Serie hat |Lübbe| den Abschlusssong, den zunächst Heinz Rudolf Kunze beisteuerte, ausgetauscht durch den deutschsprachigen Song „Fünf Jahre“ von der österreichischen Gothicband |L’ÂME IMMORTELLE|. Im Booklet finden sich Angaben zur Sängerin Sonja Kraushofer und Bandleader Thomas Rainer. Der Song ist dem aktuellen Album „Gezeiten“ entnommen, dessen Cover im Booklet abgebildet ist.

Entsprechend der Musikrichtung ist die Instrumentierung heavy, düster, aber zugleich gefühlvoll. Das erinnert an die Werke der inzwischen umstrukturierten Band |EVANESCENCE|.Wenigstens ist aber der Abschlusssong in deutscher Sprache gehalten und somit halbwegs verständlich.

_Unterm Strich_

Während in der Rahmenhandlung reichlich wenig passiert – und obendrein relativ Unplausibles -, wartet die Binnenhandlung mit einer ausgezeichnet umgesetzten literarischen Vorlage auf, die auf einer der besten Detektivstorys Poes beruht. Hier gibt es zwar keine gruselige Action wie in „Die Morde in der Rue Morgue“, aber Poe hat mehrfach solche Plots der „ratiocination“ eingesetzt, um deduktives Denken in erfolgreichem Einsatz zu demonstrieren.

Die neue Staffel weist ein ebenso hohes Qualitätsniveau wie die bisherigen zwei Staffeln auf. Ob die nächste Staffel (s. o.) wirklich wie angekündigt im November kommt, ist noch nicht sicher, wie der Webseite http://www.poe-hoerspiele.de zu entnehmen ist. Ulrich Pleitgen war bis Mitte Oktober mit Dreharbeiten beschäftigt.

|Basierend auf: The purloined letter, ca. 1845
58 Minuten auf 1 CD
Mehr Infos unter: http://www.poe-hoerspiele.de & http://www.luebbeaudio.de |

Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – ovale Portrait, Das (POE #10)

_Poe-Horror: Doktor Frankenstein lässt grüßen!_

„Das ovale Portrait“ ist der zehnte Teil der Edgar-Allan-Poe-Reihe von |LübbeAudio|, die unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör bringt.

Ulrich Pleitgen hat auch an den ersten acht Hörbüchern der Serie mitgewirkt:

#1: [Die schwarze Katze 755
#2: [Die Grube und das Pendel 744
#3: [Der Untergang des Hauses Usher 761
#4: [Die Maske des Roten Todes 773
#5: [Sturz in den Mahlstrom 860
#6: [Der Goldkäfer 867
#7: [Die Morde in der Rue Morgue 870
#8: [Lebendig begraben 872

Die vier neuen Folgen der POE-Reihe sind:

#9: [Hopp-Frosch 1906
#10: Das ovale Portrait
#11: Der entwendete Brief
#12: Eleonora

Die nächsten vier Folgen sind:

14. Die längliche Kiste
15. Du hast es getan
16. Das Fass Amontillado
17. Das verräterische Herz

(Folge 13 wird bewusst ausgelassen …)

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Short Story. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten. Seine Literaturtheorie nahm den New Criticism vorweg.

Er stellt meines Erachtens eine Brücke zwischen dem 18. Jahrhundert und den englischen Romantikern (sowie E.T.A. Hoffmann) und einer neuen Rolle von Prosa und Lyrik dar, wobei besonders seine Theorie der Short Story („unity of effect“) immensen Einfluss auf Autoren in Amerika, Großbritannien und Frankreich hatte. Ohne Poe sind Autoren wie Hawthorne, Twain, H.P. Lovecraft, H.G. Wells und Jules Verne, ja sogar Stephen King und Co. schwer vorstellbar. Insofern hat er den Kurs der Literaturentwicklung des Abendlands maßgeblich verändert.

_Die Sprecher_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon mehrere Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren

Iris Berben gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen hierzulande. Ihr Repertoire umfasst Krimis („Rosa Roth“) ebenso wie Komödien und klassische Werke. Für ihre Leistungen wurde sie u. a. mit dem Bambi und mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. In der POE-Serie interpretiert sie die weibliche Hauptrolle Leonie Goron und andere Figuren.

Außerdem wirken Till Hagen als Dr. Templeton sowie eine Reihe anderer Sprecher mit. Till Hagen wurde 1949 in Berlin geboren und erhielt seine Schauspielausbildung an der Max-Reinhardt-Schule. Zeitgleich drehte er seinen ersten Kinofilm, „7 Tage Frist“. Es folgten Engagements an den Stadttheatern Dortmund und Bielefeld. Später studierte er Deutsch und Theaterpädagogik. Als Sprecher beim Deutsche-Welle-Fernsehen und im Hörfunk wurde er genauso bekannt wie als Synchronstimme u. a. von Kevin Spacey.

|Das Titelbild|

Das monochrome Titelbild, das Simon Marsden (www.simonmarsden.co.uk) geschossen hat, zeigt eine äußerst kunstvolle Anordnung von Objekten in einem Salon. Die linke Hälfte des Bildes wird dominiert von einer ausgestopften Schneeeule, in der rechten Hälfte erblicken wir in einem ovalen Spiegeln ein antikes Zimmer, das auf ein französisches Fenster mit gotischem Spitzgiebel hinausblickt. Alles in allem ein Fest für das Auge eines kenntnisreichen Innenarchitekten. Ein Portrait, wie es im Titel erwähnt wird, ist jedoch weit und breit nicht zu entdecken (oder ich habe meine Lupe vergessen).

Das Motiv der Rückseite ist immer noch das gleiche wie in der ersten Serie: das von leuchtendem Nebel umwaberte ausgebrannte Gemäuer einer alten Abtei, deren leere Fenster den Betrachter ominös anstarren.

|Das Booklet|

Jede CD enthält ein achtseitiges schwarz gehaltenes Booklet. Neben dem Eingangszitat auf Deutsch und Englisch wird hier auch der gesamte Stab und die Sprecherbesetzung der Rollen aufgeführt. Es gibt einen kleinen Abriss der Vorgeschichte sowie Informationen zur Gothicband |L’ÂME IMMORTELLE|.Die Rückseite der CD fasst die Handlung zusammen und listet die wichtigsten Mitwirkenden auf.

_Vorgeschichte_

Hinweis: Das neu gestaltete Booklet enthält einen kleinen Abriss der Vorgeschichte, so dass der Einstieg leichter fällt.

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile wieder entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon acht Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Albträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe von Albträumen – über „Die Morde in der Rue Morgue“ – nicht verschont.

_Handlung_

In New Orleans ist eine Feuersbrunst ausgebrochen, in deren Verlauf Appos Haus niederbrennt. Ob das wohl ein Zufall ist? In einer Hafenschenke bekommt Poe einen Tipp, an wen er sich wenden soll. Auf einer Landzunge trifft er George Appo wieder, Poes Freund. Der schickt ihn in eine Wäscherei, die offenbar ebenfalls zu Appos chinesischem Geheimbund gehört. So kommt es, dass Poe, verborgen in einem Wäschekorb, in Dr. Templetons Domizil Zugang findet. In diesem Landhaus sucht er die entführte Leonie.

Nach seinem Ausbruch aus dem verschlossenen Korb sieht sich Poe in der Wäschekammer im Keller um, muss sich aber sofort vor einem Bediensteten verstecken, der Templeton beim Namen „Deibler“ ruft. Nanu, so hieß doch Poes Wärter in der Nervenheilanstalt! Und da läuft auch die einäugige Katze, die Deibler sucht, herum – genau wie in Poes Traum.

Bei einer ersten Erkundung der verlassenen Halle entdeckt Poe ein Tagebuch und hinter einem Vorhang ein ovales Porträt: Es zeigt unverkennbar Lucy Monaghan, Leonies Schwester, die in Dr. Templetons Landhaus verschwand. Lebt sie noch? Und wo ist Leonie? Dieses Haus scheint einem ehemaligen Sklavenhändler gehört zu haben.

Mit Schlüsselbund und Laterne begibt sich Poe in die unteren Gewölbe des Hauses, wo früher die Sklaven eingesperrt wurden. Sie sind in den blanken Fels eingehauen und mögen Gott weiß was beherbergen. In einer Kette hängt noch ein einsamer menschlicher Armknochen – das verheißt nichts Gutes. Aus einer Zelle befreit er mit Hilfe der Schlüssel Leonie, der zum Glück nichts passiert ist, denn Templeton wollte sie bloß über Lucy Monaghan ausfragen.

Es gibt noch andere Gefangene … einen Alligator im Abwasserkanal … und einen piekfeinen Operationssaal. Offenbar hat der gute Doktor, ein Jünger Viktor Frankensteins, Versuche am Gehirn lebender Menschen vorgenommen. Auf dem OP-Tisch liegt ein toter, aber nicht verwester Körper. Anhand des Drachenrings an der Hand des Mannes erkennt Poe in ihm den verschwundenen Appo, den Bruder seines Freundes.

Da hören die beiden Stimmen von oben. Templeton und Deibler bereiten ihre Abreise in den Norden vor. Dem muss Poe Einhalt gebieten. Er stürzt sich auf Deibler und den teuflischen Doktor …

_Mein Eindruck_

Diese Episode hat in der Binnenhandlung herzlich wenig mit der literarischen Vorlage „The Oval Portrait“ zu tun, aber der Hörer wird dafür mit einer actionreichen Rahmenhandlung entschädigt. Der zuvor immer so verzagt wirkende Mister Poe alias Jimmy Farrell geht nun zum Angriff über und liefert sich mit Dr. Templeton alias Francis Baker ein Degenduell, das einem Douglas Fairbanks („Zorro“) zur Ehre gereicht hätte. Woran liegt es nur, dass er so wütend ist?

Der plausibelste Grund hat zwei schöne Augen und sicherlich zwei ebenso schöne Beine: Leonie Goron. Dass sie im Kerker in Lebensgefahr geraten ist, kann Poe als Gentleman alter Schule natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Außerdem hat Templeton/Baker einiges auf dem Kerbholz, was Poes eigene Familie und Vergangenheit anbelangt. Wer weiß, was da noch alles ans Tageslicht kommen wird. Dass Templeton Menschenversuche unternommen hat, lässt nichts Gutes erwarten.

_Die Sprecher_

|Mr. Poe alias Jimmy Farrell|

Pleitgen spielt die Hauptfigur, ist also in jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen. In dieser Folge spielt die Entdeckung seiner Vergangenheit und Identität eine größere Rolle als irgendwelche Träume. Eine andere Figur kommt daher nicht vor. Aber die stimmliche Darstellung von Poes misslicher Lage in der Sargkammer fordert den Sprecher bis an die Grenzen seiner Ausdrucksmöglichkeiten: Anfängliche Panik wechselt ab mit Beruhigung und anschließendem Denken, nur um um erneut von einer Panikattacke hinweggefegt zu werden.

|Miss Leonie Goron|

Iris Berben bietet Pleitgens melancholischem und nachdenklichem Poe einen lebhaften Widerpart mit ihrer Leonie Goron. Und wie der grüblerische Poe sogar selbst merkt, zeichnet sich Leonie durch ungewöhnlichen Scharfsinn und eine kluge Feinfühligkeit aus. Sie hat erheblichen Anteil an Poes Rettung in der Rahmenhandlung von Episode 5 („Mahlstrom“). Spätestens ab „Der Goldkäfer“ wirkt sie wie eine kluge Freundin, die durch ruhige Überlegung und kluge, verständnisvolle Fragen bald zu seiner unverzichtbaren Ratgeberin wird. Leider sind diese Qualitäten diesmal fast gar nicht gefragt, so dass ihre Figur in dieser Episode unverdient blass erscheint.

|Dr. Templeton / Baker|

Die Figur des Dr. Templeton alias Francis Baker wird im Booklet als „Imago“ bezeichnet, das heißt, dass diese Figur in zahlreichen anderen Gestalten auftreten kann, quasi wie ein Archetyp des Psychologen Carl Gustav Jung. Till Hagens Stimme ist unverkennbar, und viele von uns erkennen sie als die Synchronstimme von Kevin Spacey. Allerdings spricht Till Hagen weniger leise als in den meisten Spacey-Filmen, sondern vielmehr deklamiert er wie Jonathan Pryce in „Fluch der Karibik“, sowohl in „Das ovale Portrait“ als auch in „Hopp-Frosch“ und „Der entwendete Brief“.

_Musik und Geräusche_

Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt. Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet. Bis auf die Eingangsszene sind aber diesmal alle Szenen in Interieurs eingerichtet, so dass der Sound eine untergeordnete Rolle spielt. Immerhin sind Effekte wie etwa Hall – für eine Art inneren Monolog – und ein sehr tiefes Bassgrummeln festzustellen, das Gefahr anzeigt. In der Sargkammer erklingt Poes Stimme verzerrt, als dränge sie aus einer Tonne.

Die Musik erhält daher eine umso wichtigere Bedeutung: Sie hat die Aufgabe, die emotionale Lage der zwei Hauptfiguren und ihres jeweiligen Ambientes darzustellen. Diese rein untermalende Aufgabe ist auf den ersten Blick leichter zu bewerkstelligen als die Gestaltung ganzer Szenen, doch wenn es sich um actionarme Szenen wie diesmal handelt, zählt jede Note, jede Tonlage.

Die serientypische Erkennungsmelodie erklingt in zahlreichen Variationen und wird von unterschiedlichsten Instrumenten angestimmt. Als Templeton erwähnt, er spiele – wie einst Roderick Usher – Geige, erklingt das Poe-Motiv erneut, allerdings gespielt auf einer Kirchenorgel. Und genau so eine Orgel spielte Usher in der entsprechenden Hörspiel-Episode. Danach wird das Motiv auf einer Harfe wiederholt, um die Wirkung romantischer zu gestalten.

Musiker des Ensembles „Musical Halensis“ und des Filmorchesters Berlin sowie die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche – sie alle wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht.

|Der Song|

In der dritten Staffel der Serie hat Lübbe den Abschlusssong, den zunächst Heinz Rudolf Kunze beisteuerte, ausgetauscht durch den deutschsprachigen Song „Fünf Jahre“ von der österreichischen Gothicband „L’Âme Immortelle“. Im Booklet finden sich Angaben zur Sängerin Sonja Kraushofer und Bandleader Thomas Rainer. Der Song ist dem aktuellen Album „Gezeiten“ entnommen, dessen Cover im Booklet abgebildet ist.

Entsprechend der Musikrichtung ist die Instrumentierung heavy, düster, aber zugleich gefühlvoll. Das erinnert an die Werke der inzwischen aufgelösten Band „Evanescence“. Wenigstens ist aber der Abschlusssong in deutscher Sprache gehalten und somit halbwegs verständlich.

_Unterm Strich_

Die erfundene Rahmenhandlung übernimmt wieder einmal die Regie und drängt die Storyvorlage in den Hintergrund. Neue Entdeckungen, neuer Horror, neue Wut – so ließe sich der Plot lakonisch zusammenfassen. Aber der Zuhörer kommt dennoch durch die Actionszenen voll auf seine Kosten. Und Leonie ist mal wieder gerettet.

Die neue Staffel weist ein ebenso hohes Qualitätsniveau wie die bisherigen zwei Staffeln auf. Ob die nächste Staffel (s. o.) wirklich wie angekündigt im November kommt, ist noch nicht sicher, wie der Webseite http://www.poe-hoerspiele.de zu entnehmen ist. Ulrich Pleitgen war bis Mitte Oktober mit Dreharbeiten beschäftigt.

|Basierend auf: The oval portrait, ca. 1845
65 Minuten auf 1 CD|

Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – Hopp-Frosch (POE #9)

_Poe-Horror: Rache ist süß_

„Hopp-Frosch“ ist der neunte Teil der Edgar-Allan-Poe-Reihe von |LübbeAudio|, die unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör bringt.

Ulrich Pleitgen hat auch an den ersten acht Hörbüchern der Serie mitgewirkt:

#1: [Die schwarze Katze 755
#2: [Die Grube und das Pendel 744
#3: [Der Untergang des Hauses Usher 761
#4: [Die Maske des Roten Todes 773
#5: [Sturz in den Mahlstrom 860
#6: [Der Goldkäfer 867
#7: [Die Morde in der Rue Morgue 870
#8: [Lebendig begraben 872

Die vier neuen Folgen der POE-Reihe sind:

#9: Hopp-Frosch
#10: Das ovale Portrait
#11: Der entwendete Brief
#12: Eleonora

Die nächsten vier Folgen sind:

#14. Die längliche Kiste
#15. Du hast es getan
#16. Das Fass Amontillado
#17. Das verräterische Herz

(Folge 13 wird bewusst ausgelassen …)

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Short Story. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten. Seine Literaturtheorie nahm den New Criticism vorweg.

Er stellt meines Erachtens eine Brücke zwischen dem 18. Jahrhundert und den englischen Romantikern (sowie E.T.A. Hoffmann) und einer neuen Rolle von Prosa und Lyrik dar, wobei besonders seine Theorie der Short Story („unity of effect“) immensen Einfluss auf Autoren in Amerika, Großbritannien und Frankreich hatte. Ohne Poe sind Autoren wie Hawthorne, Twain, H.P. Lovecraft, H.G. Wells und Jules Verne, ja sogar Stephen King und Co. schwer vorstellbar. Insofern hat er den Kurs der Literaturentwicklung des Abendlands maßgeblich verändert.

_Die Sprecher_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon mehrere Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren

Iris Berben gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen hierzulande. Ihr Repertoire umfasst Krimis („Rosa Roth“) ebenso wie Komödien und klassische Werke. Für ihre Leistungen wurde sie u. a. mit dem Bambi und mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. In der POE-Serie interpretiert sie die weibliche Hauptrolle Leonie Goron und andere Figuren.

Außerdem wirken Till Hagen als Dr. Templeton sowie eine Reihe anderer Sprecher mit. Till Hagen wurde 1949 in Berlin geboren und erhielt seine Schauspielausbildung an der Max-Reinhardt-Schule. Zeitgleich drehte er seinen ersten Kinofilm, „7 Tage Frist“. Es folgten Engagements an den Stadttheatern Dortmund und Bielefeld. Später studierte er Deutsch und Theaterpädagogik. Als Sprecher beim Deutsche-Welle-Fernsehen und im Hörfunk wurde er genauso bekannt wie als Synchronstimme u. a. von Kevin Spacey.

|Das Titelbild|

Das monochrome Titelbild, das Simon Marsden (www.simonmarsden.co.uk) geschossen hat, zeigt bei „Hopp-Frosch“ eine halb geöffnete, eisenbeschlagene Tür in einer mittelalterlichen Burgmauer. Der Kontrast zwischen Licht und Schatten ist wieder einmal exterm hervorgehoben. Das macht Marsdens spezielle Entwicklungsmethode möglich, die zugleich verfremdend wirkt.

Das Motiv der Rückseite ist immer noch das gleiche wie in der ersten Serie: das von leuchtendem Nebel umwaberte ausgebrannte Gemäuer einer alten Abtei, deren leere Fenster den Betrachter ominös anstarren.

|Das Booklet|

Jede CD enthält ein vierseitiges schwarz gehaltenes Booklet. Neben dem Eingangszitat auf Deutsch und Englisch wird hier auch der gesamte Stab und die Sprecherbesetzung der Rollen aufgeführt. Die Rückseite der CD fasst die Handlung zusammen und listet die wichtigsten Mitwirkenden auf.

_Vorgeschichte_

Hinweis: Das neu gestaltete Booklet enthält einen kleinen Abriss der Vorgeschichte, so dass der Einstieg leichter fällt.

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile wieder entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon sieben Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Albträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe von Albträumen – über „Die Morde in der Rue Morgue“ – nicht verschont.

_Handlung_

Poe ist aus dem Grab entkommen, doch Dr. Templeton hat Leonie entführt und hält sich noch in New Orleans auf. Dorthin schleppt sich auch Poe, allerdings hat er keine Mittel, um sich Nahrung oder Obdach zu besorgen. Vor dem Regen sucht er Schutz in einem Torbogen. Dort stürzt ein Betrunkener hin, den Poe ins Trockene zieht. Er bringt ihn zu dessen Haus, wo der Mann, der sich Appo nennt, spurlos verschwindet.

Am nächsten Morgen suchen Poe drei Schlägertypen und er muss sich in Sicherheit bringen. Doch auf seiner Flucht erhält Poe unverhoffte Hilfe durch den Chinesen, der sich Appo nennt. Erstaunt schaut Poe zu, wie Appo alle drei Widersacher tötet. Er erweist sich auch als sehr geschickt im Umgang mit Messern: Die Ratten in seinem Haus erledigt er stets mit einem gut gezielten Wurf.

Beim anschließenden Essen und Informationsaustausch wird klar, dass Poe verpfiffen wurde und Dr. Templeton ihm die Schläger auf den Hals schickte. Appo kennt den Doktor ebenfalls: Der hatte seinen Bruder, einen Taschendieb, damit beauftragt, eine bestimmte Perle von einem Schiff zu stehlen, das von New Orleans nach New York City segelte (war es Leonie Gorons Schiff?). Appo bringt Poe das Messerwerfen bei, aber er werde nach acht Tagen weiterziehen müssen.

|Der Traum|

Wieder mal hat Poe einen seiner Träume. Darin ist er diesmal ein verkrüppelter Zwerg, Leonie taucht als Zwergenfrau Tripetta auf, und Dr. Templeton ist ein König, der Spaßmacher wie den Zwerg mag, aber keinen Wert auf geistreiche Witze legt. Chauvinistische Blondinenwitze hingegen kommen immer gut an.

Eines Tages beauftragen der König und seine drei Minister den Zwerg, den sie wegen seines Gangs boshaft „Hopp-Frosch“ nennen, mit der Gestaltung eines exotischen Maskenballs. Hopp-Frosch denkt an seine afrikanische Heimat, aus der man ihn als Sklave verschleppt hat. Und da ihm die geliebte Tripetta ihre Hilfe zugesagt hat, denkt er sich einen genialen Plan aus, wie er sich für die erlittenen Demütigungen rächen kann.

Er steckt den König und seine drei Minister in die Kostüme von Orang-Utans und kettet sie aneinander fest, damit die Ballbesucher glauben, sie seien frisch eingefangen worden, würden aber keine Gefahr darstellen. Allerdings sind die Affenfelle mit Teer getränkt und mit Flachs bedeckt. Ein Funke würde genügen, und die Felle mitsamt ihren Trägern in Flammen aufgehen. Aber so verrückt würde doch niemand sein. Oder doch?

Der Maskenball wird jedenfalls ein voller Erfolg …

|Erwachen|

Als erste Tat nach dem Erwachen erlegt Poe eine Ratte mit einem Messerwurf. Es geht offensichtlich aufwärts mit ihm, und nach vier weiteren Tagen des Versteckens begibt er sich auf die Jagd nach Dr. Templeton, ausgestattet mit einem Ring als Erkennungszeichen für Appo und seinen Bruder.

_Mein Eindruck_

„Hopp-Frosch“ war eine der letzten Erzählungen, die Poe vor seinem mysteriösen Tod verfasste und veröffentlichte. In einer von beißendem Spott, ja, von Verbitterung charakterisierten Darstellung führt er die idiotischen Minister mitsamt König ihrer Bestimmung zu: dem Verbrennen bei lebendigem Leib. Es ist die Rache für die Versklavung und Demütigung von „Hopp-Frosch“, dem Schwarzen, und seiner Geliebten Tripetta.

Ist also die Geschichte eine Streitschrift wider die Sklaverei? Das wäre gut möglich, denn schon in den vierziger Jahren des 19. Jahrhundert gab es zahlreiche Stimmen, die gegen die Sklavenhaltung auf amerikanischem Boden eintraten. In Großbritannien war die Sklaverei schon seit Mitte des 18. Jahrhunderts verboten, weshalb also sollte ausgerechnet die Nation, die sich der Freiheit aller (!) Menschen verschrieben hatte, weiter an der menschenverachtenden Praxis festhalten?

Der König und seine fiesen Minister sind nichts anderes als Sklavenhalter und verdienen es, dass ihr Sklave den Spieß umdreht. Da bei einem Maskenball die Rollen sowieso anders verteilt werden und sich häufig die Verhältnisse umkehren (siehe „Die Maske des Roten Todes“), betrachtet Hopp-Frosch das Orang-Utan-Kostüm für seine Opfer als angemessen. Schließlich spiegelt das Kostüm ihre wahre moralische Natur wider (ohne dabei die echten Affen beleidigen zu wollen): Sie agieren nur nach dem Lustprinzip und reagieren auf jede Laune des tumben Königs wie Speichellecker. Der König wiederum mag keine geistreichen Witze, sie sind ihm suspekt. Interessant ist, dass schon in der Detektivgeschichte „Die Morde in der Rue Morgue“ ein Orang-Utan auftaucht. Offenbar war Poe mit dieser Primatenart besonders vertraut.

Wer verbirgt sich nun hinter dem König? Es könnte sich um Poes zeitgenössisches Publikum handeln, das ihm seine bissigen Späße nicht mehr durchgehen ließ, oder um seine Gläubiger, die ihm keine Kredite gewähren wollten, oder sogar um die herrschende Klasse, was sich dann wieder mit dem Thema des Rassismus träge. In jedem Fall erfüllt sich der Autor einen Herzenswunsch: Mögen sie alle verbrennen! Hauptsache, er und sein Held entkommen dieser Hölle mit ihrer Liebsten. (Für Poe erfüllte sich dies nicht: Seine Frau starb 1847.)

Diese Wünsche entsprechen denen der Figur des Wanderers Poe ziemlich genau, die zumindest in deren Unterbewusstsein existieren. In der nächsten Episode, „Das ovale Portrait“, bricht sogar ein Feuer aus, während Poe und Leonie eingesperrt sind. Dort wäre die Übereinstimmung mit der Story „Hopp-Frosch“ wohl noch größer gewesen. Der Dramaturg hat sich für eine andere Kombination entschieden.

_Die Sprecher_

|Mr. Poe alias Jimmy Farrell / Hopp-Frosch|

Pleitgen spielt die Hauptfigur, ist also in jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen.

|Miss Leonie Goron / Tripetta|

Iris Berben bietet Pleitgens melancholischem und nachdenklichem Poe einen lebhaften Widerpart mit ihrer Leonie Goron. Und wie der grüblerische Poe sogar selbst merkt, zeichnet sich Leonie durch ungewöhnlichen Scharfsinn und eine kluge Feinfühligkeit aus. Sie hat erheblichen Anteil an Poes Rettung in der Rahmenhandlung von Episode 5 („Mahlstrom“). Spätestens ab „Der Goldkäfer“ wirkt sie wie eine kluge Freundin, die durch ruhige Überlegung und kluge, verständnisvolle Fragen bald zu seiner unverzichtbaren Ratgeberin wird. Leider kommt sie in dieser Episode nicht vor.

|Dr. Templeton / König|

Die Figur des Dr. Templeton alias Francis Baker alias „König“ wird im Booklet als „Imago“ bezeichnet, das heißt, dass diese Figur in zahlreichen anderen Gestalten auftreten kann, quasi wie ein Archetyp des Psychologen Carl Gustav Jung. Till Hagens Stimme ist unverkennbar, und viele von uns erkennen sie als die Synchronstimme von Kevin Spacey. Allerdings spricht Till Hagen weniger leise als in den meisten Spacey-Filmen, sondern vielmehr deklamiert er wie Jonathan Pryce in „Fluch der Karibik“, sowohl in „Hopp-Frosch“ als auch in „Das ovale Portrait“ und „Der entwendete Brief“.

_Musik und Geräusche_

Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt. Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet.

Die Musik erhält daher eine umso wichtigere Bedeutung: Sie hat die Aufgabe, die emotionale Lage der zwei Hauptfiguren und ihres jeweiligen Ambientes darzustellen. Diese rein untermalende Aufgabe ist auf den ersten Blick leichter zu bewerkstelligen als die Gestaltung ganzer Szenen, doch wenn es um actionarme Szenen wie diesmal handelt, zählt jede Note, jede Tonlage. Die serientypische Erkennungsmelodie erklingt in zahlreichen Variationen und wird von unterschiedlichsten Instrumenten angestimmt.

Musiker des Ensembles „Musical Halensis“ und des Filmorchesters Berlin sowie die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche – sie alle wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht.

|Der Song|

In der dritten Staffel der Serie hat |Lübbe| den Abschlusssong, den zunächst Heinz Rudolf Kunze beisteuerte, ausgetauscht durch den deutschsprachigen Song „Fünf Jahre“ von der österreichischen Gothicband „L’Âme Immortelle“. Im Booklet finden sich Angaben zur Sängerin Sonja Kraushofer und Bandleader Thomas Rainer. Der Song ist dem aktuellen Album „Gezeiten“ entnommen, dessen Cover im Booklet abgebildet ist.

Entsprechend der Musikrichtung ist die Instrumentierung heavy, düster, aber zugleich gefühlvoll. Das erinnert an die Werke der inzwischen aufgelösten Band „Evanescence“. Wenigstens ist aber der Abschlusssong in deutscher Sprache gehalten und somit halbwegs verständlich. Meinen Geschmack trifft der Song nicht, aber ich mag ja auch eher Led Zeppelin.

_Unterm Strich_

Die neunte Folge der Poe-Hörspiele fängt die Atmosphäre der literarischen Vorlage „Hopp-Frosch“ in der Binnenhandlung, dem Traum, gut ein: die allmähliche Enthüllung der Art und Weise, wie sich der verkrüppelte Sklave, der als Spaßmacher missbraucht wird, an seinen Peinigern rächt. Es ist nicht zu weit hergeholt, wenn man den Autor selbst zum Teil mit Hopp-Frosch identifiziert – alles Weitere siehe oben.

In der Rahmenhandlung passiert hingegen relativ wenig. Statt der entführten Leonie Goron hat Poe einen anderen Gefährten an der Seite, der ihm die nützliche Kunst des Messerwerfens beibringt. Zur Abwechslung kann sich Poe also künftig einmal seiner Haut erwehren. Das wird schon bald nötig sein.

Die neue Staffel weist ein ebenso hohes Qualitätsniveau wie die bisherigen zwei Staffeln auf. Ob die nächste Staffel (s. o.) wirklich wie angekündigt im November kommt, ist noch nicht sicher, wie der Webseite http://www.poe-hoerspiele.de zu entnehmen ist. Ulrich Pleitgen war bis Mitte Oktober mit Dreharbeiten beschäftigt.

|Basierend auf: Hopfrog, ca. 1845
62 Minuten auf 1 CD
Mehr Infos unter: http://www.poe-hoerspiele.de & http://www.luebbeaudio.de |

Stephen King – The Green Mile

Spannend, mystisch: Weltgericht im Todestrakt

Das Staatsgefängnis Cold Mountain im US-Bundesstaat Georgia, im Jahre 1932: Paul Edgecombe ist der für den Todestrakt verantwortliche Gefängnisaufseher. Hier wartet der elektrische Stuhl Old Sparky auf zum Tode Verurteilte. Doch mit Pauls Seelenruhe ist es vorbei, als der verurteilte Mörder John Coffey bei ihm landet. Er soll zwei junge Farmerstöchter missbraucht und getötet haben. Schon bald zweifelt Paul an Coffeys Schuld. Aber was ist Coffey dann? Eine kleine Maus taucht im Todestrakt, der „Green Mile“, auf. Sie scheint über besondere Fähigkeiten zu verfügen.

_Der Autor_

Stephen King – The Green Mile weiterlesen

Meyer, Kai / Hagitte, Christian / Bertling, Simon – Alchimistin, Die. Teil 4: Das Kloster im Kaukasus (Hörspiel)

_Zwischenfinale: Gewinne und Verluste_

Schloss Institoris, ein düsteres Gemäuer an einer einsamen Küste. Inmitten eines Labyrinths endloser Gänge und Säle wächst Aura heran, die älteste Tochter des Schlossherrn. Sie ist die Erbin eines uralten Rätsels, der Rezeptur des Steins der Weisen. Doch als ihr Vater im Auftrag seines Widersachers Lysander ermordet wird, schlägt die Stunde für Auras Stiefbruder Christopher – er beansprucht das Geheimnis der Unsterblichkeit für sich …

Folge 2: Aura enthüllt das Geheimnis ihrer Familie. Ausgerechnet der Mörder ihres Vaters, der geheimnisvolle Hermaphrodit Gillian, befreit sie aus den Klauen grausamer Mörder. Auf der Spur von Auras entführter Schwester Sylvette reisen sie nach Wien. In den Katakomben unter der Stadt geraten sie in einen Konflikt, dessen Ursprünge weit zurück ins Mittelalter reichen …

Folge 3: Sieben Jahre sind vergangen. Aura hat die Geheimnisse der Alchimie erforscht und das Erbe ihres Vaters angetreten. Doch alle, die ihr etwas bedeutet haben, sind tot. An der Seite ihres verhassten Stiefbruders Christopher muss sie abermals den Kampf gegen den alten Feind ihrer Familie aufnehmen – tief unter der Wiener Hofburg. Zugleich dämmert daheim auf Schloss Institoris eine neue Gefahr: Auras wahnsinnige Mutter Charlotte hat eigene Pläne …

Folge 4: Jenseits des Schwarzen Meeres, in den einsamen Bergen des Kaukasus, liegt die vergessene Festung der Tempelritter. Hier in der Wildnis am Ende der Welt nähern sich Ara Institoris und ihr Stiefbruder Christopher endlich dem Versteck ihres Gegners Lysander. Zugleich reist Gillian, der Hermaphrodit, mit den Institoris-Kindern nach Venedig ins neue Hauptquartier des Templerordens. Sein schwerster Kampf steht ihm noch bevor – gegen Morgantus, den unsterblichen Alchimisten … (Verlagsinfos)

_Der Autor_

Kai Meyer, Jahrgang 1969, studierte Film, Philosophie und Germanistik und arbeitete als Redakteur. Er schrieb schon in jungen Jahren und lieferte u. a. ein paar Jerry-Cotton-Abenteuer. Sein erster großer Erfolg war „Die Geisterseher“, eine historische „Akte X“. Seit 1996 ist er freier Schriftsteller und Drehbuchautor. Bisher sind rund 40 Romane von ihm erschienen. Selbst Kritiker waren von seinem historischen Mystery-Thriller „Die Alchimistin“ begeistert, später folgten „Die fließende Königin“ und „Göttin der Wüste“. Bei |Loewe| erschien mit den „Wellenläufern“ ein Jugend-Fantasyzyklus. „Frostfeuer“ aus dem Jahr 2005 ist eigenständiger Jugendroman. Das Buch wurde mit dem internationalen Buchpreis |CORINE| ausgezeichnet.

Die erste Staffel der achtteiligen Hörspielreihe umfasst die Folgen:

1) [Der Stein der Weisen 5052
2) [Das Erbe des Gilgamesch 5155
3) [Die Katakomben von Wien 5220
4) Das Kloster im Kaukasus

Im August 2008 erschien die zweite Staffel:

5) Die Unsterbliche
6) Die Schwarze Isis
7) Der Schatz der Templer
8) Der Alte vom Berge

Weitere Titel von Kai Meyer auf |Buchwurm.info|:

[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
[„Der Brennende Schatten“ 4506 (Hörspiel)
[„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 (Hörspiel)
[„Die Wellenläufer“ 3247 (Hörbuch)
[„Die Muschelmagier“ 3252 (Hörbuch)
[„Die Wasserweber“ 3273 (Hörbuch)
[„Frostfeuer“ 2111 (Hörbuch)
[„Die Alchimistin“ 73
[„Das Haus des Daedalus“ 373
[„Der Schattenesser“ 2187
[„Die Fließende Königin“ 409
[„Das Buch von Eden“ 890 (Hörbuch)
[„Das Buch von Eden“ 3145
[„Der Rattenzauber“ 894
[„Faustus“ 3405
[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
[„Lanze und Licht“ 4549 (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
[„Drache und Diamant“ 4574 (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)

_Die Inszenierung_

Erzähler: Friedhelm Ptok (Ian ‚Imperator Palpatine‘ McDiarmid)
Aura Institoris: Yara Blümel-Meyers
Gillian: Claudio Maniscalo (Jimmy ‚The Haitian‘ Jean-Louis)
Christopher Institoris: Timmo Niesner (Elijah ‚Frodo‘ Wood)
Charlotte Institoris: Kerstin Sanders-Dornseif (Susan Sarandon)
Sylvette Institoris: Natalie Spinell
Lysander: Lutz Riedel (Timothy Dalton, Udo Kier, Tom Wilkinson)
Morgantus: Hans-Werner Bussinger (Michael Ironside, Jon Voight)
De Dion: Freimut Götsch (Steve Buscemi in „Monster House“)
Lascari: Friedrich Georg Beckhaus (Robert Duvall, Klaus Kinski, Sir Ian Holm)
Tess: Aliana Schmitz
Gian: Paul Gerlitz
Marie Kaldani: Katharina Bellena
Und andere.

Für Regie, Ton und Musikkomposition zeichnen Christian Hagitte und Simon Bertling vom Studio |STIL| verantwortlich. (Das Hörspiel ist daher Cornelia Bertling gewidmet, die 2007 mit 40 Jahren starb.) Die Musik spielt das Filmorchester Berlin und der Hochmeisterchor Berlin unter der Leitung von Hagitte. Die Hörspielbearbeitung stammt von Stefan Maetz. |Lübbe Audio| produzierte das Hörspiel und nicht etwa ein Rundfunksender.

_Handlung_

Gian, der siebenjährige Sohn Auras und Gillians, ist ein ungewöhnliches Kind, genau wie Tess, die Tochter Sylvettes und Lysanders. Beide können in Visionen genetische Erinnerungen sehen. Dazu gehören Tempelritter, die vor 700 Jahren lebten. Sie sehen die Burg, die sie bewohnten, und die Kämpfe bei der Spaltung des Ordens.

Während der westliche Zweig vom französischen König und dem Papst vernichtet wurde, konnten sich die Mitglieder des östlichen Zweiges in Sicherheit bringen. Doch zwei Offiziere, Lysander und Morgantus, versuchten ihre Unsterblichkeit durch schwarze Magie zu sichern, Nestor Institoris hingegen durch das Lebenskraut, wie Aura weiß.

Lysanders Burg liegt in Georgien, im Kaukasus, und dorthin unternehmen Aura und Christopher nun ihre Rettungsmission, um Sylvette zu befreien und zurückzuholen. Falls sie noch lebt. Sie haben ihre Kinder Gian und Tess bei Auras Mutter Charlotte zurückgelassen. Das erweist sich als Fehler, denn Charlotte verrät sie und setzt die Kinder gefangen. Doch mit wem ist sie im Bunde?

In Suchumi an der Küste des Schwarzen Meeres heuert Aura die Einheimische Maria Caldani als Führerin an, die mit 18 Begleitern den Geleitschutz bildet. Sie reiten zusammen in die Berge, bis sie zur achteckigen Templerburg gelangen, wo sie Lysander vermuten. Seltsamerweise stehen die Tore offen und sind unbewacht. Das sieht nach einer Falle aus. Aber auch Maria Caldani hat Besseres zu tun, als in diese Burg einzudringen, und verrät Aura und Christopher.

Die Folgen sind schrecklich.

_Mein Eindruck (Achtung, Spoiler)_

Endlich erfahren wir die Hintergrundgeschichte über die Tempelritter, ihre Spaltung und die Kämpfe zwischen den Fraktionen. Auf einmal taucht darin ein gewisser Morgantus auf, und es vergeht eine ganze Weile, bis dessen Rolle dem Hörer klargemacht worden ist. Auch Morgantus hatte die üble Angewohnheit, sich durch Inzest fortzupflanzen, aber dabei setzte er noch einen in puncto Grausamkeit drauf. Wie sich zeigt, steht er in direkter Beziehung zu Gillian und Gian.

Klar, dass man eine so wichtige Figur nicht erwähnt, ohne sie eine zentrale Rolle spielen zu lassen. Und deshalb taucht Morgantus auf Schloss Institoris an der Ostsee auf, um die Kinder Gian und Tess zu rauben, die Charlotte für ihn gefangen genommen hat. Zum Glück ahnt auch Gillian, dass im Schloss etwas oberfaul ist, und kann helfend einschreiten. In der Folge kommt es zu einem ganz schön dramatischen Showdown an einem erhabenen Ort …

Doch auch Auras Finale ist nicht ohne gewisses Drama. Christophers Tod erschien mir allerdings ziemlich an den Haaren herbeigezogen, so als hätte der Autor die Figur loswerden wollen, um sich ganz auf Aura konzentrieren zu können. Dass sie ihre Schwester Sylvette wiederfindet, ist ja eh klar; dass hier aber auch Lysander und De Dion, der frühere „Monseigneur“ auftauchen, erscheint dagegen weniger wahrscheinlich. Aber ob Aura diese Burg, die offensichtlich eine Falle ist, auch wieder zu verlassen vermag, soll hier nicht verraten werden. Doch was wäre die zweite Hälfte des Buches ohne die Hauptperson?

_Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Kai Meyer lobt die Darstellung Yara Blümels in höchsten Tönen, insbesondere die Übereinstimmung mit seiner Vorstellung von der Entwicklung der Heldin Aura Institoris. Mittlerweile ist sie bereits eine selbständige junge Frau von 24 oder 25 Jahren, die ihrem Stiefbruder Christopher helfen kann. In der Schweiz hat sie gezeigt, dass sie Eigeninitiative besitzt und sich zur Wehr setzen kann, nun führt sie sogar einen Generalangriff auf Lysander an. Dies ist keine Frau, die etwas anbrennen lässt, wenn man es sofort erledigen kann. Yara Blümels Stimme weiß dies genau auszudrücken. Um Aura braucht man sich wirklich keine Sorgen zu machen – es sei denn, die Geschichte verlangt es.

Timmo Niesner ist die deutsche Stimme von Elijah „Frodo“ Wood. Er bringt in seine Rolle als Christopher Institoris eine Menge Feingefühl ein, um die verschiedenen Beziehungen, in denen er sich zu Vater und Mutter, zu Schwester und Bruder befindet, entsprechend flexibel auszudrücken. Die Figuren Sylvette und Daniel spielen hingegen praktisch keine Rolle. Eine größere Rolle spielt die Sprecherin Maria Kaldanis, Katharina Bellena. Sie versucht durch einen gewissen Zungenschlag anzudeuten, dass Maria eine Ausländerin aus dem Kaukasus ist.

Im Übrigen fand ich den Text im Vergleich zu der Musik und den (spärlichen) Geräuschen viel zu leise ausgesteuert.

|Die Geräusche|

Die realistisch gestalteten Geräusche sind auf das Land und das Meer verteilt. Der Showdown im Kaukasus-Kloster der Templer erfordert eine Reihe leiser Geräusche, und wider Erwarten kommt es kaum zu einer Auseinandersetzung. Das sieht bei den Szenen in Venedig und auf der Schlossinsel ganz anders aus. Hier fallen Schüsse, ertönen Schreie, bis alles vorüber ist. Erst im Epilog hören wir wieder Wellen und Möwenschreie, die von lachen begleitet werden.

|Die Musik|

Die Musik ist neben dem Text das überragende Merkmal dieser Hörspielreihe. Christian Hagitte und Simon Bertling vom Studio |STIL| haben sich wieder richtig ins Zeug gelegt und einen Score geschaffen, der diesen Namen auch verdient. Die Musik schafft die Stimmung für jede Szene, und wer auf die Musik achtet, bekommt sofort mit, wenn sich die Stimmung ändert, so etwa bei einem Wechsel des Schauplatzes.

Aufgrund dieser vielfältigen Wechsel fällt es nicht leicht, die Musik pauschal zu charakterisieren, aber mir ist aufgefallen, dass sich die klassische Instrumentierung häufig auf der melancholischen und wehmütigen, wenn nicht sogar düsteren Seite des Farbenspektrums bewegt. Allerdings ist diese Gemütslage höchst romantisch und keineswegs morbide oder zerfahren. Daher fällt es der Musik leicht, aus dem romantischen Ton in den dramatischen Ausdruck zu wechseln.

Wird die Musik dramatisch, kann sie auch recht flott werden, besonders in Kampfszenen, von denen es nicht wenige gibt. Doch die Musik muss aufpassen, dass sie nicht die Rufe und Schreie während dieser Kampfszenen überlagert. Die Figuren sollten immer die Oberhand über die Stimmung haben, sonst erscheinen sie als Marionetten.

Das Outro erfüllt diesmal eine andere Funktion als die eines Aufräumers. Es ist ein Ausklang, der eher heiter und ruhig gestaltet ist. Er erinnerte mich an Mahlers 5. Sinfonie, wird aber von einem Klaviermotiv abgeschlossen.

Lutz Riedel verweist wie üblich auf die Fortsetzung, die den Titel „Die Unsterbliche“ trägt.

|Das Booklet|

Ein Geleitwort des Autors lobt die Darstellung Yara Blümels in höchsten Tönen, sagt aber immerhin genau, was ihm daran so gefiel, nämlich die Übereinstimmung mit seiner Vorstellung von der Entwicklung der Heldin Aura Institoris. Außerdem gefiel die Musik ausnehmend gut. Er hat jetzt Lust, die Fortsetzung zu schreiben. Wird auch Zeit!

Der Rest des Booklets liefert einen Überblick über die erste Staffel und eine Biografie des Autors.

_Unterm Strich_

Das Hörspiel versucht, den goldenen Mittelweg zwischen Edgar Allan Poes [„Der Untergang des Hauses Usher“ 2347 und einer optimistischen Entwicklungsgeschichte à la „Anne auf Green Gables“ zugehen. Damit sind schon zwei Extreme hinsichtlich Plot, Aussage und vor allem Stimmung genannt. Der Mittelweg bedeutet ein ständiges Ringen um Selbstbehauptung für die Hauptfiguren Aura und Christopher. Der Gegner ist eine Altlast der Familie, die aus der Vergangenheit ihres Familienoberhauptes Nestor stammt: Lysander (wir erfahren nicht mal seinen Nachnamen). In dieser Folge finden mehrere Erzählstränge ihren krönenden Abschluss.

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und Stimmen von bekannten Schauspielern (u. a. Elijah Wood) einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Mir war die Umsetzung an vielen Stellen zu romantisch und melodramatisch, aber von einer statischen Handlung kann keine Rede sein, denn die folgerichtige Entwicklung von Auras Abenteuern im Kampf gegen Lysander und seinen Schergen ist mitreißend geschildert. Auch die romantische Liebe kommt – zumindest in der zweiten Folge – nicht zu kurz.

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für unheimliche Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert und die Stimmen der Stars vermitteln das richtige Kino-Feeling. Wer jedoch mit Melodramatik absolut nichts am Hut hat, sich aber trotzdem zünftig gruseln will, der sollte zu härterer Kost greifen.

|80 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3594-7|
http://www.kai-meyer.com
http://www.luebbe-audio.de
http://www.stil.name

Ligotti, Th. / Quiroga, Horacio / Stein, Leonard / Long, A. R. / Strobl, K.-H. / de Maupassant, Guy – Vampirric Collector\’s Box

_Neuverpackung: gut für Sammler und Ahnungslose_

Der Schweizer Multimediakünstler HR Giger ist am besten bekannt für seine Kreation des Alien-Monsters in Ridley Scotts gleichnamigen Science-Fiction-Horror-Film. Sein Museum befindet sich in Gruyères in der Schweizer – und natürlich auch im Internet: http://www.hrgigermuseum.com.

Giger, laut Verlag einer der bedeutendsten modernen Künstler, wurde 1940 in Chur, Schweiz, geboren. Im zweiten Stock des Elternhauses befand sich sein legendäres schwarzes Zimmer. Die fortschreitende Transformation aus einem Jugendzimmer zu einer Werkstätte, in eine Waffenschmiede, bis hin zu einer ägyptischen Grabkammer wurde zur ersten Kostprobe der Kreativität Gigers.

1977 erscheint sein Bildband „Giger´s Necronomicon“. Daraufhin folgt der weltweite Durchbruch. 1980: Oscar für „Alien“. Seit 1981: Arbeit an Projekten wie „Poltergeist 2“, „Species“ und „Alien 3“. 1988: Eröffnung der Giger-Bar in Tokio. 1991: Sein Bildband „ARh+“ erscheint in sieben Sprachen.

Seit Mitte der neunziger Jahre arbeitet HR Giger unermüdlich an seinem Museum. Dies befindet sich im mittelalterlichen Schloss Saint-Germain in Gruyères, Schweiz. Das Museum beherbergt Gigers persönliche Kunstsammlung, seine eigenen Bilder und Skulpturen. Das jetzige Museum ist die erste Stufe eines umfassenden Gesamtkunstwerks.

Inhalt in der Reihenfolge der CDs:

CD #1:
Thomas Ligotti: „Die verloren gegangene Kunst des Zwielichts“
Horacio Quiroga: „Das Federkissen“
CD #2:
Leonhard Stein: „Der Vampyr“
Amelia Reynolds Long: „Der Untote“
CD #3:
Karl-Hans Strobl: „Das Grabmal auf dem Père Lachaise“
CD #4:
Guy de Maupassant: „Der Horla“

_Vampirric CD #1_

In der ersten Folge von HR Gigers vierteiliger „Vampirric“-Reihe finden sich folgende zwei Vampir-Geschichten: „Die verloren gegangene Kunst des Zwielichts“ von Thomas Ligotti und „Das Federkissen“ von Horacio Quiroga. Beide Storys liest Lutz Riedel. Die Vorworte spricht HR Giger.

|Autor #1|

Thomas Ligotti, geboren 1953, hat sich mit seiner speziellen Machart des Horrors eine treue Anhängerschaft erschrieben. Seine erste Story erschien 1981, die erste Storysammlung „Songs of a Drad Dreamer“ 1986. Obwohl das Thema meist der Gothic-Fantasy angehört, ist seine Wahrnehmungsweise vielmehr die des Surrealismus (ohne den Thesen von Breton etc. zu gehorchen): Die meisten Szenen werden durch die verzerrte Perspektive des todgeweihten Erzählers betrachtet. Genau dies trifft auch auf die vorliegende Erzählung zu. Ligotti verdankt viele Impulse dem expressionistischen deutschen Film der 1920er Jahre, so etwa „Das Kabinett des Dr. Caligari“, aber natürlich auch den Großen des Horror.

HR GIGER: „Ach, Thomas Ligotti – mein Prinz der Nacht … Lauschen wir dankbar seiner Erzählung über eine Familie, die WIRKLICH seltsam ist. Lauschen Sie und kommen sie dem Wahnsinn ein Stück näher – und näher – und näher …“

|Handlung von „Zwielicht“|

In seiner Geschichte „Die verloren gegangene Kunst des Zwielichts“ geht es um einen jungen Mann namens André, der als Maler in einem einsamen Herrenhaus am Ufer eines amerikanischen Sees lebt. Seine Nenn-Tante besorgt den Haushalt, ein alter Diener tischt auf. André hat offenbar ausgesorgt. Trotzdem macht er sich schwere Sorgen. Besuch hat sich angesagt.

Der Besuch kommt aus Frankreich, der Heimat seiner Mutter. Doch diese Duvals haben vor zwanzig Jahren seiner Mutter Leid zugefügt. Bei Andrés Geburt war sein amerikanischer Vater bereits tot, die Tante Thérèse rettete das Neugeborene und brachte es zurück in die USA. Nun fürchtet André die Verwandten, die ihn auf seine Ungefährlichkeit prüfen wollen.

Leider weiß er selbst nicht, wie es um seine Beschaffenheit bestellt ist. Er weiß nur, dass er die Wahrheit im besonderen Zwielicht gefunden – und zu malen versucht – hat, das sich auf den Wassern des Sees spiegelt. Die Nacht, als die Duvals ankommen, ist in der Tat denkwürdig, denn ein Hexensabbat ist dagegen harmlos. Danach wird André das Zwielicht hassen, kündigt es doch den Hunger der Nacht an …

|Mein Eindruck|

Lutz Riedel liest „Die verloren gegangene Kunst des Zwielichts“ in rund vierzig Minuten mit leiser, Unheil verkündender Stimme. Lange wird der Hörer auf die Folter gespannt, was denn nun mit der Hauptfigur Sache ist. Auch die historischen Exkursionen in die französische Vergangenheit neigen eher dazu, zu verwirren statt zu erhellen. Dieser Teil ist daher mehrmals zu hören. Erst dann ist das Finale in seiner ganzen Tragweite zu erfassen. Hier bricht das Grauen mit ungebremster Wucht über die Welt des Erzählers herein, bis er selbst transformiert ist. –

Eine Erzählung, die uns Ligotti als großen Erzähler der Zwischentöne präsentiert. Als erste Story des Vampirric-Zyklus signalisiert sie einen hohen, literarischen Anspruch. Splatterfreunde sind hier an der falschen Adresse.

_Zweite Story: Horacio Quiroga: „Das Federkissen“_

|Autor #2|

Horacio Quiroga, 1878-1932, war ein urugaisch-argentinischer Erzähler, dessen Leben durch tragische Unfälle und Niederlagen geprägt war. Mehrere ihm vertraute Menschen begingen in seinem Beisein Selbstmord, und er verschuldete durch Unachtsamkeit den Tod eines Freundes. Ohne diese Biografie und die Kenntnis von Darwin, Kipling und Poe, seine Lieblingsautoren, sind seine Erzählungen kaum zu verstehen. Darin treten Menschen auf, die gegen eine überlegene Naturgewalt ankämpfen. 1917 erschienen seine „Geschichten von Liebe, Irrsinn und Tod“ (deutsch bei Suhrkamp 1985), 1921 die Sammlung „Anaconda“, deutsch als „Der Aufruhr der Schlangen“ 1985 veröffentlicht.

HR GIGER: „Mit meiner Auswahl von Geschichten in Vampirric möchte ich zeigen, dass ein Vampir in vielen verschiedenen Formen auftreten kann. Ich wette, die nun folgende kleine Geschichte wird Sie überraschen …“

|Handlung von „Das Federkissen“|

Die zweite Geschichte aus der Feder von Horacio Quiroga erzählt von einem Brautpaar, das gerade mal drei Monate verheiratet ist. Jordan und Alicia lieben einander innig, als sie in einen verwunschenen Palast einziehen, der sich zunehmend kalt und unbehaglich präsentiert. Und ungesund.

Alicia magert ab und erkrankt an Grippe. Anderntags muss sie wegen Schwäche im Bett bleiben. Während Jordan noch hofft, das werde schon wieder, verstärkt sich die Blässe von Alicias Gesicht. Sie wiederum halluziniert von einem höhnisch lachenden Menschenaffen. Alicias unerklärliche Blutarmut führt schließlich zu ihrem vorzeitigen Ableben, das Jordan untröstlich zurücklässt.

Seltsamerweise finden sich in ihrem Kopfkissen Blutflecken, auch das Gewicht des Kissens ist erstaunlich groß, und was es enthält, scheint nicht von dieser Welt zu stammen …

|Mein Eindruck|

Lange Zeit, den Großteil der 34 Minuten, wartet der Hörer vergeblich darauf, dass sich etwas Schlimmes ereignet. Doch dabei ist das Böse bereits am Werke, und zwar im titelgebenden Bettzeug. Die arme Alicia hat mich stark an Poes zum Tode kränkelnde Heldinnen erinnert, die wie seine eigene junge Frau Virginia an Tuberkulose oder ähnlichem starben. Doch die Ursache des Übels ist pures Lateinamerika.

|Der Sprecher|

Lutz Riedel ist ein hochkarätiger Synchron-Regisseur und die deutsche Stimme von Timothy Dalton. Er zeigt hier seine herausragenden Sprecher-Qualitäten, die den Hörer mit schauriger Gänsehaut verzaubern. Er war auch „Jan Tenner“ in der gleichnamigen Hörspiel-Serie. Lutz Riedel ist einer der besten Sprecher von Schauergeschichten à la Edgar Allan Poe. Er hat ja auch schon H. P. Lovecraft gelesen und mir damit kalte Schauer über den Rücken gejagt: „Das Ding auf der Schwelle“ und ganz besonders „Die Ratten im Gemäuer“. Sie sind beide von |LPL records| kongenial produziert worden.

|Unterm Strich|

Die Ligotti-Erzählung (ca. 40 Minuten) ist hohe literarische Kunst und wird Splatter- und Actionfreunde nicht zufrieden stellen. Das Grauen naht sich sozusagen nur aus der Erinnerung des Erzählers. Nur allmählich wird klar, dass dieser hoffnungsvolle Maler eigentlich todgeweiht ist (siehe meine Worte über den Autor) und das Potenzial in sich trägt, zu einem schrecklichen Ungeheuer erweckt zu werden – das Erbe des „alten Europa“, das er nicht abstreifen kann, befindet es sich doch in seinem Blut.

„Das Federkissen“ ist eine stimmungsvolle Geschichte (ca. 34 Minuten), die nur von einem einzigen Effekt getragen wird: der nagenden Ungewissheit und dem Ausgeliefertsein an ein namenloses Übel, das sich erst nach vollbrachter Tat offenbart. Genauso stellte sich der Autor seine eigene biografische Situation vor. Er hat seine Erfahrung in literarischer Form sublimiert und eine wirkungsvolle Erzählung geschaffen.

_Vampirric CD #2_

In der zweiten Folge von HR Giger´s „Vampirric“ finden sich die Vampir-Geschichten: „Der Vampyr“ von Leonhard Stein und „Der Untote“ von Amelia Reynolds Long. Beide Storys liest Helmut Krauss. Die Vorworte spricht wieder HR Giger.

|Autor #3|

HR GIGER über DER VAMPYR: „Zwischen 1918 und 1920 erschienen einige Erzählungen eines gewissen Leonhard Stein. Niemand weiß bis heute, wer dieser Autor war, vielleicht war der Name sogar ein Pseudonym, wer weiß. Auf jeden Fall werden Sie seine Geschichte über ein recht seltsames Arbeitsverhältnis nie vergessen, da bin ich mir sicher!“

_Erzählung Nr. 3: Handlung von „Der Vampyr“_

Den Anfang macht mit „Der Vampyr“ eine fast schon kafkaeske Horrorgeschichte, die sich auch als Parabel auf die Arbeitswelten der modernen Zivilisation lesen lässt.

Die Hauptfigur ist Herr Samassa, ein „schöner Mann“ und Genussmensch, der in der Anwaltskanzlei Dr. Herzfeld arbeitet. Er plant, demnächst die schöne Klara Gärtner zu ehelichen und eine Familie zu gründen. Privat wie beruflich dürfte ihm der Erfolg sicher sein.

Doch es soll anders kommen. Er lehnt die Annäherungsversuche der neuen Tippse ab, ist sie doch viel zu unansehnlich, schlecht gekleidet und verhärmt: ein Inbild des Misserfolgs. Zu seinem Verdruss muss er feststellen, dass sie in die Wohnung neben seiner eingezogen ist. Wie kann sie sich die denn leisten? Sie hat rotes Haar und betörende grüne Augen, die ihn, als sie im Nachthemd auftritt, in Versuchung führen. In einem Alptraum, so kommt’s ihm vor, saugt sie ihm das Blut aus den Adern. Er fühlt seltsamerweise keinen Schmerz, nur eine „tiefe Ermattung“. Schlaf und ein gutes Steak bringen Erhohlung, doch fortan wiederholt sich das nächtliche Phänomen.

Während die Tippse schön und proper gedeiht, verblasst ihr Wirt zusehends. Vergeblich bittet er um Entlassung des Vampirs, wird aber abschlägig beschieden. Nach einem Zusammenbruch bei Klara wird er ins Hospital eingeliefert. Er sieht nur einen Ausweg aus der Misere: Kurz vor seiner Hochzeit mit Klara quartiert er sie zwischen seiner Wohnung und der des Vampirs ein. Nachdem Klara den Löffel abgegeben hat, ist Samassa wieder an der Reihe. In dem Kollegen Iglseder findet er einen würdigen Nachfolger für die arme Klara.

Doch der Strom der Opfer, die er dem Vampir zuführen muss, um selbst überleben zu können, reißt nicht ab und nimmt Formen an, die eines Jack the Ripper würdig wären. Bevor er von der Polizei gestellt wird, sieht er nur noch einen Ausweg: Der Vampir muss dran glauben. Doch wie tötet man einen Unsterblichen?

|Mein Eindruck|

Der Vampir in Gestalt der hexenhaft gezeichneten Frau ist das genaue Gegenteil der wohlanständigen Heiratskandidatin Klara Gärtner, nämlich das Inbild hemmungsloser Lust und Sinnlichkeit. Diese Lust kennt jedoch keine Grenze, als wäre sie ein Traumbild. Vielmehr ist ihr Hunger unersättlich und erfordert immer neue Opfer. Bis schließlich nichts mehr ausreicht, will der Träumer Samassa nicht seine körperliche Existenz vollends verlieren. Ergo muss der Vampir sterben. Dass Samassa einen Teil von sich tötet, dürfte klar sein. Die Folgen sind dementsprechend.

Ein Hörer hat die Geschichte als Reflektion der modernen Zivilisation und ihrer Arbeitsverhältnisse interpretiert. Ein Marxist und Sozialtheoretiker könnte dies tun, würde aber dabei die psychoanalytischen Erkenntnisse eines gewissen Sigmund Freud sowie von dessen Schüler C. G. Jung außer Acht lassen. Der bekannte Wiener Arzt hat ja gerade solche Traumbilder und Extreme ebenso untersucht, wie Jung Archetypen postuliert hat. Eine rothaarige, grünäugige Frau von verlockender Sinnlichkeit und unersättlichem Blutdurst dürfte sämtliche Klischees furchterfüllter Männer mit Kastrationsangst befriedigen. So kommt man dem Kern der Sache schon näher, wie mir scheint. Und ein bajuwarisch-austriakischer Name wie Iglseder verlegt den Schauplatz sehr wahrscheinlich in die gleiche Großstadt, in der Freud wirkte: Wien.

Ähnlich wie „Der Golem“ von Gustav Meyrink oder die Romane „Nachts unter der steinernen Brücke“ und „Zwischen neun und neun“ von Leo Perutz baut die Geschichte sorgfältig ein Spannungsfeld auf zwischen Alltag und Normalität einerseits und nächtlichem Irrsinn andererseits auf. Dass diese Entwicklung in eine Katastrophe münden muss, erscheint folgerichtig. Sie spiegelt die Katastrophe des 1. Weltkriegs wider, der den Untergang der alten Monarchien zur Folge hatte.

_Erzählung Nr. 4: Amelia Reynolds Long: „Der Untote“_

|Autorin #4|

Über das Leben und Werk der Autorin Amelia Reynolds Long ist mir nichts bekannt. Ihre Geschichte folgt klassischen Mustern englischer Spukgeschichten.

HR GIGER über DER UNTOTE: „Während der Arbeit an Vampirric habe ich viel über das Thema Vampire nachgedacht – und über Blut. Ich erinnere mich an eine merkwürdige Vision während einer Autofahrt durch Zürich …“

|Handlung von „Der Untote“|

Henry Thorne erzählt seinem Besucher (und Ich-Erzähler) Michael, der der „Gesellschaft für psychologische Forschung“ angehört, zunächst von seinem verstorbenen Halbbruder, dem Baronet James Thorne, dann von seinem zurückgezogen in einem Turm des Herrenhauses lebenden Bruder George Thorne. Henry selbst hat ein nervöses Leiden, das er kuriert zu haben wünscht. Er fühle sich nämlich bedroht vom Schatten einer großen Fledermaus, von der ihm träume.

Dem Manne kann geholfen werden, denkt Michael. Er erwacht eines Nachts, erblickt auf dem Gang eine Gestalt, die in einen Lederumhang gehüllt ist und eine Laterne trägt. Vor allem ihr weißes Gesicht verstört Michael und er folgt der Gestalt, die in der Bibliothek verschwindet. Doch gleich nebenan liegt Sir Henrys Schlafzimmer. Dort beugt sich das Schattenwesen über den Schlafenden, doch Michaels Eintreten verscheucht es.

Anderntags werden zwei Tote in der Umgebung gefunden: ein Irrer und ein Junge. Handelt es sich um Opfer eines Vampirs? Michael schwant nichts Gutes und stellt dem nächtlichen Eindringling eine Falle.

|Mein Eindruck|

Die Zutaten der Kurzgeschichte von Amelia Reynolds Long sind derart klassisch, dass die Geschichte abläuft, als handle es sich um ein Uhrwerk. Allzu vorhersehbar sind die nächsten Ereignisse, als dass sie dem Kenner noch einen Anreiz bieten würden, neugierig das Ende zu erwarten. Es gibt keinerlei Überraschungen für den, der zwei und zwei zusammenzählen kann und nicht auf fünf kommt.

Selbst Helmut Krauss mit seiner charismatischen Stimme kann nicht viel mehr aus der Geschichte herausholen. Giger selbst, der Herausgeber, trägt nichts Erhellendes oder Reizvolles bei, denn seine Einleitung ist irrelevant.

|Der Sprecher|

Helmut Krauss ist seit Jahrzehnten ein viel beschäftigter Schauspieler. Sie kennen ihn als einen begnadeten Sprecher für fesselnde Hörspiele & prickelnde Literatur. In Hollywood-Filmen schenkt er Marlon Brando & Samuel L. Jackson sonore und beeindruckende Stimmen. Sein männlicher Sound lässt jeden Kino-Saal erbeben.

Helmut Krauss erweist sich als wahres Stimmwunder, wenn er nicht nur Stimmungen und Atmosphäre in seinen rauchigen, getragenen Vortrag legt, sondern er erweckt tatsächlich einen Charakter zum Leben, erschafft eine ganze Stadt um ihn herum und schickt ihm und dem Hörer dann einen fleischgewordenen Albtraum hinzu.

|Unterm Strich|

„Der Vampyr“ ist eine ganz besondere Geschichte für alle Freunde älterer Horrorkunst, die noch ohne viel Blutvergießen auskam. Giger hat hier eine echte Perle ausgegraben.

Nicht ganz so überzeugend wie die erste CD der „Vampiric“-Reihe, ist das Hörbuch doch immer noch weit jenseits der allermeisten anderen Horror-Hörbuchproduktionen und auf alle Fälle ein Kauftipp. Mit der titelgebenden Geschichte hat Giger eine wahre Meistererzählung vor dem Vergessen bewahrt. Dass „Der Untote“ den äußerst positiven Gesamteindruck schmälert, fällt da eigentlich nicht weiter ins Gewicht.

_Vampirric CD #3_

In der dritten Folge von HR Giger´s Vampirric findet sich nur eine Vampirgeschichte, aber die hat es in sich: „Das Grabmal auf dem Père Lachaise“ von Karl Hans Strobl. Es liest David Nathan. Das Vorwort spricht HR Giger. „Es ist eine unvergessliche Horrorgeschichte über Gier, Wahnsinn und Alpträume, die sich jeder selber macht“, behauptet der Verlag.

|Der Autor #5|

HR GIGER: „Dieses Mal erwartet Sie bei Vampirric eine Geschichte von Karl Hans Strobl, der zu Lebzeiten einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren war. Strobl, ein Österreicher, der zusammen mit Meyrink und Ewers zu den wichtigsten deutschen Phantasten des frühen 20. Jahrhunderts zählt, starb 1946. Es ist eine Geschichte über die teuflische Gier, das menschliche Übermaß und den Wahnsinn. Zu welchen Taten den Mensch ein wenig schnöder Mammon nur treiben kann! … Eine wirklich böse Story! Und ich mag böse Storys – Sie nicht auch?“

|Handlung von Erzählung Nr. 5|

„Das Grabmal auf dem Père Lachaise“ besteht im Wesentlichen aus den Tagebuchauszügen des Wissenschaftlers Ernest, der sich, da er bettelarm ist, auf einen äußerst merkwürdigen Deal einlässt: Die am 13.3.1913 – also wenige Jahre zuvor – verstorbene Gräfin Anna Feodorowna Wassilska hat in ihrem Testament verfügt, dass demjenigen Mann zweimal hunderttausend Franken aus ihrem Nachlass gegeben werden sollen, der es schafft, ein Jahr in ihrem marmornen Grabmal auf dem bekannten Pariser Friedhof Père Lachaise zu leben. Hier sind ja etliche Künstler begraben, darunter nicht zuletzt auch Jim Morrison.

Wir brauchen aber für Ernest, den Ich-Erzähler, keinerlei Mitleid zu hegen, denn er ist ein von sich selbst sehr überzeugter Jünger der optischen Physik. Im Grabmal schreibt er sein erstes Buch, das unter anderem auf seinen Aufzeichnungen im Grabmal basieren soll. Hier will er eine Theorie des Lichts aufstellen und untermauern. Von dem nicht unbeträchtlichen Lohn plant er eine Vortragsreise sowie einen Urlaub mit seiner Frau Margause zu finanzieren.

Um Verpflegung während des einen Jahres braucht er sich keine Sorgen zu machen. Iwan, ein „borstiger Tatar“, hässlich wie die Nacht und seiner nun toten Herrin noch immer treu ergeben, versorgt Ernest mit den exquisitesten Speisen, doch soll dies gemäß Testamentsbestimmungen der einzige Kontakt sein, den der Wissenschaftler pflegen darf. Schon bald nimmt der Leibesumfang des Grabbewohners erheblich zu. Soll er etwa gemästet werden? Der Tatar gibt keinen Piep von sich. Er erinnert Ernest lieber an die Geschichte vom nekrophilen Sergeanten, der auf dem Friedhof sein Unwesen treiben soll.

Doch auch das in der Gruft bestattete Frauenzimmer verdient unser Mitgefühl nicht. Ein Vamp bleibt eben ein Vamp. Die Madame Wassilska muss nach dem Bild, das Ernest uns zeichnet, nicht nur mannstoll wie Katharina die Große gewesen sein, sondern obendrein reichlich brutal und grausam. Einen Bäckerlehrling biss sie beispielsweise zweimal, so dass er lieber Reißaus nahm. Ihren Bediensteten, etwa wehrlosen Kammerzofen, trieb sie Nadeln ins Fleisch. Auf ihrem Foto fallen Ernst die ungewöhnlich „grausam weißen“ Zähne auf …

In der Gruft ereignen sich unerklärliche Phänomene. Obwohl kein Wind ging, sind Ernests zahlreiche und wohlsortierte Notizzettel durcheinander gewirbelt. Ein grünliches Leuchten geht vom Stein des eigentliches Grabes und der bronzenen Grabplatte aus – sehr interessant, gerade für einen Optophysiker. Handelt es sich etwa um Röntgenstrahlen oder gar um den mysteriösen Äther? Wirken hier intermolekulare Kräfte? Die Steinstruktur selbst scheint sich regelmäßig um Mitternacht in Gallert zu verwandeln. Der Gallert brennt auf der Haut. Das ist für Ernest aber auch nichts Neues, denn polnische Experimente im galizischen Lemberg beschreiben ein ähnliches Phänomen.

Richtig ernst wird’s für Ernest aber erst, als er nicht mehr durch den schmalen Zugang zur Gruft passt: Er ist so gemästet worden, dass er zum Gefangenen der Gruft geworden ist. Nach dem Allerseelentag stellt er fest, dass er gebissen und ausgesaugt wurde. Geradezu elend fühlt er sich, als er einen Zettel findet, auf dem eine Botschaft steht: „Der Atem der Katechana“.

Iwan verrät ihm auf seinen Drängen hin, dass es sich bei der „Katechana“ um die Gräfin handelt: „eine, die nie genug haben kann vom Opfer der Mannheit, bis jenseits des Todes“. Ernest beschleicht ein übler Verdacht: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Verflüssigung der Grababdeckung, dem grünen Leuchten und den allnächtlich wiederkehrenden Bissen in seinem Hals?

|Mein Eindruck|

Na, servus! Mit Physik hat dies wohl weniger zu tun als vielmehr mit Metaphysik. Schon solche antiquierten Begriffe wie der noch um 1900 herum postulierte „Äther“ als universelles Trägermedium kennzeichnen den Wissensstand des „Helden“ als einen Physiker, der immer noch auf der Schwelle zur Metaphysik steht. Und wenn es nicht um sehr viel Geld ginge, das ihn korrumpiert, hätte er sich wohl kaum auf eine solch makabre Forschungsstätte eingelassen, die eines echten Physikers schwerlich würdig ist.

Der eng umgrenzte Raum des Grabmals ist ein exzellentes Experimentierfeld: Hier treffen zwei Zeiten und Kulturen aufeinander. An der Nahtstelle zwischen modernem Leben und uralter Totenkultur treffen sich der wissenschaftlich-rational orientierte Westen mit dem weitaus mysteriöseren Osten des europäischen Kontinents, mit den alten legenden Asiens von den Vampyri. Von diesen Wesen hat Ernst offensichtlich noch nichts gehört, denn alle seine Erklärungsversuche und haltlosen Theorien betreffen nur Bildungsbruchstücke, gehen aber an dem eigentlichen Phänomen weit vorbei. Umso genauer treffen sie den Leser bzw. Hörer, der sich allmählich seinen eigenen Reim darauf machen muss. Umso wirkungsvoller ist das Grauen, das sich im Hörer unterschwellig breitmacht.

Bereits die Charakterisierung der Gräfin sollte Ernest einen wichtigen Hinweis liefern: eine männermordende Nymphomanin mit grausamen Zügen; mit „grausam weißen“ Zähnen und „Fingern wie Klauen“. Dazu passen die klassischen Versatzstücke wie etwa die Gruft, Nekrophilie, ewiger Hunger über den Tod hinaus, Bissmale, sich zersetzende Materie, der stumme Diener, ein Todeshauch, unheimliches Leuchten und dergleichen mehr. Doch der Vampir selbst ist, wie sich zeigt, weit mehr als nur ein materielles Phänomen. Er dringt in den Verstand seines Opfers und beschwört allerlei Trugbilder.

Ernst ist jedoch beileibe kein tumbes Opferlamm. Natürlich darf zwar der actionreiche Schluss nicht verraten werden, aber der als Opfer Auserkorene weiß sich durchaus wirkungsvoll seiner lädierten Haut zu wehren. Obwohl die Ereignisse im Grabmal auf eine Krise zutreiben, so verblüfft doch das Ausmaß der nun gebotenen Action den auf sachten Grusel eingestimmten Zuhörer.

|Der Sprecher|

David Nathan ist Regisseur und gilt außerdem als einer der besten Synchronsprecher Deutschlands. Im deutschsprachigen Kino erlebt man ihn als Synchronstimme von Johnny Depp, „Spike“ oder Christian Bale. Auch auf den Webseiten zu den „Drei ???“ findet man seinen Namen einschlägig erwähnt. Nathan hat für LPL records bereits eine Erzählung auf der Hör-Anthologie „Necrophobia 1“ gesprochen, außerdem tritt er auf „Das Ding auf der Schwelle“ und „Der Schatten über Innsmouth“ in Erscheinung. „Das Grabmal“ wird von ihm souverän und mit einer zunehmenden Eindringlichkeit vorgetragen, der man sich nur sehr schwer entziehen kann.

Ich konnte nur einen Aussprachefehler feststellen: Müsste der Name des bekannten Physikers und Mathematikers Henri Poincaré nicht französisch statt englisch ausgesprochen werden?

|Unterm Strich|

In seinem Aufbau ist „Das Grabmal“ offensichtlich an viele der Frauenerzählungen von Edgar Allan Poe angelehnt. Ob nun die vampireske Lady Ligeia, Morella, Eleonora oder wie sie alle heißen – es ist eine unheimliche Frauengestalt, die durch ihren Bann den ihr psychisch oder emotional ausgelieferten Mann erst um den Verstand und dann um sein armseliges Leben bringen wird. Das psychische Band ist jedoch bei Strobl durch physikalische bzw. metaphysische Phänomene ersetzt, was die Story zwar moderner, aber weitaus weniger romantisch macht.

Die andere Komponente, die Poe entspricht, ist die Bemühung der Hauptfigur, all die seltsamen Phänomene, die er beobachtet oder am eigenen Leib erfährt, wegzurationalisieren (im Sinne von „ratiocination“ à la Auguste Dupin), indem er die Erkenntnisse der Naturwissenschaft anführt. Diese geistigen Waffen gegen Geister einzusetzen, erweist sich selbstverständlich (und ironischerweise) als völlig zwecklos. Die immaterielle Welt obsiegt über die kläglichen Versuche, sie mit Erkenntnissen aus der materiellen Welt zu erklären. Insofern ist diese Erzählung wiederum zutiefst romantisch.

Stellt man Modernität und Romantizismus nebeneinander, so ergibt sich der Eindruck einer Erzählung, die einer Zeit des Übergangs entspricht. Gut möglich, dass sie unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs entstand, als die alte, so wohlgeordnet erscheinende Welt der Monarchien und des Großbürgertums unter den Stiefeltritten faschistischer und kommunistischer Bewegungen verschwand. Es dürfte wohl kein Zufall sein, dass die Gräfin Wassilska als Vertreter eines absolut herrschenden Adels genau im Vorjahr des Kriegsausbruches das Zeitliche segnete und fortan ihre Grabinsassen als Vampir beehrt – böser Schatten einer versunkenen Welt. Adieu, belle epoque!

Das Hörbuchs inszeniert diese reichhaltige Erzählung mit angemessenen Mittels. Besonders der Sprecher David Nathan vermittelt die unterschwellige Botschaft ausgezeichnet mit seinem Vortrag.

_Vampirric CD #4_

In der vierten Folge von HR Giger´s Vampirric findet sich die Vampir-Geschichte „Der Horla“ von Guy de Maupassant. Es liest Torsten Michaelis. H. R. Giger spricht wie auf den vorigen CDs persönlich das Vorwort und läutet so auf seine ganz persönliche Art das Grauen ein.

|Der Autor #6|

Guy de Maupassant lebte von 1850 bis 1893. „Der aus lothringischem Adel stammende, in der Normandie aufgewachsene Maupassant war nach Jurastudium und Teilnahme am Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 im Marine-, dann im Unterrichtsministerium tätig. Nach dem Erfolg der Novelle „Boule de suif“ (1880, dt. „Fettklößchen“, 1900) widmete er sich ganz der Schriftstellerei.

Die Bandbreite seiner fast 300 Novellen reicht von traditionellen schwankhaften Dreiecksgeschichten über die seit der Romantik beliebten Schauernovellen und phantastischen Erzählungen, meist tragisch endende Liebesgeschichten bis hin zu sozialkritischen Novellen. Er veröffentlichte sechs Romane, von denen „Bel Ami“ (1885) verfilmt wurde. In seinem Stilwillen und seiner Freiraum lassenden Erzählhaltung kommt Maupassant seinem literarischen Ziehvater Gustave Flaubert nahe, mit dem er auch die pessimistische Weltsicht teilt.“ (zitiert nach: Harenbergs Lexikon der Weltliteratur, S. 1945/46).

|Der Sprecher|

Ich kenne Torsten Michaelis als den Synchronsprecher von Wesley Snipes. Durch sein Spektrum an verschiedenen Klangfarben wird er für die unterschiedlichsten Rollen eingesetzt. Er kann auf über 400 synchronisierte Filme zurückblicken.

|Handlung von Erzählung Nr. 6|

Die Geschichte folgt der Form eines Tagebuchs. Der erzählte Zeitraum erstreckt sich über einen Sommer, von Mai bis September. Der Ich-Erzähler erzählt am 8. Mai von seiner ländlichen Heimat in der Nähe von Rouen, von wo er die Glocken der großen Kathedrale läuten hört. Unweit der idyllischen Ufer der Seine befindet sich der elterliche Landsitz. Auf der Seine betrachtet er die schönen Schiffe, darunter welche aus dem fernen Brasilien …

Nur wenige Tage später verspürt er eine seltsame Traurigkeit, Gereiztheit und später Fieber. Ihn beschleicht das Gefühl drohender Gefahr und er macht sich Gedanken um das „Mysterium des Unsichtbaren“: Der Mensch kann weder das unsichtbar Kleine, etwa Mikroben, noch das unendlich weit Entfernte sehen, etwa Galaxien.

Nach einem ergebnislosen Arztbesuch hat er einen Albtraum, dass ihn ein Dämon würgt, der ihm auf der Brust sitzt und den er nicht abzuschütteln vermag. Dies wiederholt sich Nacht für Nacht, bis ihn sogar tagsüber das Gefühl beschleicht, verfolgt zu werden. Wird er wahnsinnig?

Auf einer Kurreise zum Mont St. Michel erzählt ihm ein Mönch von Geisterstimmen. Nach der Rückkehr – es ist Anfang Juli – geht der Albtraum von Neuem los. Als er bemerkt, dass seine Wasserkaraffe am nächsten Morgen leer ist, fragt er sich, ob er nicht selbst ein Schlafwandler ist. Einfache Versuche mit der Karaffe bestätigen ihm jedoch, dass es ein anderes Wesen sein muss, das das Gefäß leert.

Doch welche Art von Wesen vermag zugleich unsichtbar zu sein und ihm die Lebenskraft auszusaugen?

|Mein Eindruck|

Die berühmte Erzählung thematisiert den Horror, der damit verbunden ist, dass eine unsichtbare, fremde Macht parasitär Besitz von einem Menschen ergreift und ihn zu Taten zwingt, die er gar nicht begehen will. Wohlgemerkt, hier geht es nicht nur um den Entzug von Lebenskraft, wie ihn der altbekannte, inzwischen schon heimelig wirkende Vampir praktiziert. Hier geht es vielmehr auch um die Inbesitznahme von Willen und Verstand des Opfers. Der solcherart Besessene wird quasi ferngesteuert, nur mit dem Unterschied, dass der Steuernde im Kopf seines Instrumentes sitzt.

Der Autor zieht die damals bekannten Techniken der psychischen Steuerung heran, nämlich die als Mesmerismus etc. bekannte Hypnose, insbesondere den posthypnotischen Befehl, etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt auszuführen. Der Erzähler wird selbst Zeuge eines solchen Psycho-Experiments an seiner Schwester, als er in Paris weilt, wo man den Dingen des Unsichtbaren normalerweise abgeklärt gegenübersteht. Als er seine eigene Notlage erklären will, um Hilfe zu erlangen, wird er daher ausgelacht.

Auf sich selbst zurückgeworfen, muss er umso angestrengter danach trachten, seinen Meister, den er inzwischen den „Horla“ nennt, zu besiegen. Sein Anstrengungen kann man einfach nur heldenhaft und einfallsreich nennen, wenn sie auch auf tragische Weise Neben-Opfer fordern. Was aber, wenn der Horla unsterblich ist und selbst den letzten Vernichtungsversuch überleben könnte?

Ein Aspekt, der in meinen Augen diese Geschichte aus dem Umfeld der Vampirstorys heraushebt, ist die Überlegung, dass der Horla a) der Nachfolger der Spezies Mensch auf der Erde ist und b) von den Sternen kommt. Beide Vorstellungen sind bislang der Science-Fiction vorbehalten geblieben, doch Maupassant hat sie bereits geäußert, lange bevor H. G. Wells 1898 seinen Invasionsroman „Krieg der Welten“ veröffentlichte, der fortan das Klischee vom Alien-Monster bestimmen sollte.

|Der Sprecher|

Manche Sprecher lesen eine Geschichte nur vor, manche aber spielen sie vor. Torsten Michaelis gehört mit „Der Horla“ zur zweiten Kategorie. Da der Schurke im Stück ja unsichtbar und quasi un(an)greifbar ist, gehört eine Menge Darstellungsvermögen dazu, die Reaktionen auf dieses Un-Wesen herauszustellen, um wenigstens auf diesem indirekten Wege den Horror, den es verbreitet, zu vermitteln. Und Michaelis gelingt dies auf sehr eindringliche Weise.

Man würde auch nicht unbedingt annehmen, dass sich die Form des Tagebuchs für eine dramatische Schilderung von Horror eignet. Doch hier ist eben der Knackpunkt: Der Horror ist rein psychologisch statt äußerlich (außer an einer Stelle). Deshalb ist es umso wirkungsvoller, dass Michaelis bestimmte Passagen im Tempo ebenso moduliert wie in der Tonlage und der Tonstärke. Mal liest er langsam, mal schnell, dann wieder leise oder laut. Auf diese Weise erzielt er nicht nur den gewünschten eindringlichen Effekt, sondern hält auch unsere Aufmerksamkeit wach.

|Unterm Strich|

Die beiden wirkungsvollsten und besten Erzählungen in der Vampirric-Reihe sind zweifellos „Das Grabmal auf dem Père Lachaise“ und „Der Horla“. Welche von den beiden nun die „bessere“ ist, hängt von der individuellen Vorliebe des Hörers ab. „Das Grabmal“ ist anschaulicher, szenischer aufgebaut und bedient weitaus mehr Klischees aus der Vampirliteratur.

Mit Vampiren dieser Art hat „Der Horla“ nichts am Hut. Auch die Bezeichnung „Vampir“ fällt kein einziges Mal. Und doch geht „Der Horla“ weiter als „Das Grabmal“, indem er den Horror, der von der Besessenheit durch ein Fremdwesen von den Sternen ausgeht, nicht nur zu einem globalen, aber weltimmanenten Grauen aufbauscht, sondern es sogar zu einem kosmischen Grauen à la Lovecraft ausbaut. Die Horlas werden Menschen ablösen – gibt es eine größere Horrovision? Und all dies ist mit einer Stilsicherheit erzählt und mit anschaulichen Beispielen gespickt, dass auch der Durchschnittsleser noch etwas damit anfangen kann (sofern er nicht Splatterfan ist).

Der Sprecher Torsten Michaelis macht mit seiner Präsentationskunst „Der Horla“ praktisch schon zu einem Hörspiel, und Geräusche und Musik kann man sich leicht hinzu denken, denn die Erzählung ist dafür anschaulich genug. Schaurig, so vermittelt es der Sprecher, ist auch das Finale der Novelle, wenn der Erzähler die letzte Konsequenz aus dem Erfahrenen erkennt und zieht. Das hat Klasse.

_Fazit_

Die vier CDs bieten reichlich Abwechslung in Sachen Vampirismus und Untote. Für Freunde des gepflegten Grusels dürfte dies sicherlich das Richtige sein. Lediglich die ersten beiden CDs sind etwas schwächer geraten, die CDs 3 und 4 hingegen umso besser.

Für denjenigen, der bereits die ersten Ausgaben von „Vampirric“ besitzt, bietet die Sammlerbox allenfalls Platzersparnis, denn es handelt sich lediglich um ein Repackaging der gleichen CDs in einem anderen Design, nämlich dem der |LPL-records|-Reihe: ein Dunkelrot in Kombination mit Schwarz und Gelb. Man vergleiche dies beispielsweise mit der „Necrophobia“- und „Necroscope“-Reihe.

Der Preis ist mit rund 25 Euronen angesichts dieser Recycling-Methode doch etwas happig geraten. Nur für denjenigen, der noch keine einzige Vampirric-CD hat, erscheint er wohl akzeptabel.

|4 CDs, 307 Minuten|

Meyer, Kai / Hagitte, Christian / Bertling, Simon – Alchimistin, Die. Teil 3: Die Katakomben von Wien (Hörspiel)

_Mystisch: Schrecken der Vergangenheit_

Schloss Institoris, ein düsteres Gemäuer an einer einsamen Küste. Inmitten eines Labyrinths endloser Gänge und Säle wächst Aura heran, die älteste Tochter des Schlossherrn. Sie ist die Erbin eines uralten Rätsels, der Rezeptur des Steins der Weisen. Doch als ihr Vater im Auftrag seines Widersachers Lysander ermordet wird, schlägt die Stunde für Auras Stiefbruder Christopher – er beansprucht das Geheimnis der Unsterblichkeit für sich …

Folge 2: Aura enthüllt das Geheimnis ihrer Familie. Ausgerechnet der Mörder ihres Vaters, der geheimnisvolle Hermaphrodit Gillian, befreit sie aus den Klauen grausamer Mörder. Auf der Spur von Auras entführter Schwester Sylvette reisen sie nach Wien. In den Katakomben unter der Stadt geraten sie in einen Konflikt, dessen Ursprünge weit zurück ins Mittelalter reichen …

Folge 3: Sieben Jahre sind vergangen. Aura hat die Geheimnisse der Alchimie erforscht und das Erbe ihres Vaters angetreten. Doch alle, die ihr etwas bedeutet haben, sind tot. An der Seite ihres verhassten Stiefbruders Christopher muss sie abermals den Kampf gegen den alten Feind ihrer Familie aufnehmen – tief unter der Wiener Hofburg. Zugleich dämmert daheim auf Schloss Institoris eine neue Gefahr: Auras wahnsinnige Mutter Charlotte hat eigene Pläne … (Verlagsinfos)

_Der Autor_

Kai Meyer, Jahrgang 1969, studierte Film, Philosophie und Germanistik und arbeitete als Redakteur. Er schrieb schon in jungen Jahren und lieferte u. a. ein paar Jerry-Cotton-Abenteuer. Sein erster großer Erfolg war „Die Geisterseher“, eine historische „Akte X“. Seit 1996 ist er freier Schriftsteller und Drehbuchautor. Bisher sind rund 40 Romane von ihm erschienen. Selbst Kritiker waren von seinem historischen Mystery-Thriller „Die Alchimistin“ begeistert, später folgten „Die fließende Königin“ und „Göttin der Wüste“. Bei |Loewe| erschien mit den „Wellenläufern“ ein Jugend-Fantasyzyklus. „Frostfeuer“ aus dem Jahr 2005 ist eigenständiger Jugendroman. Das Buch wurde mit dem internationalen Buchpreis |CORINE| ausgezeichnet.

Die erste Staffel der achtteiligen Hörspielreihe umfasst die Folgen:

1) [Der Stein der Weisen 5052
2) [Das Erbe des Gilgamesch 5155
3) Die Katakomben von Wien
4) Das Kloster im Kaukasus

Im August 2008 erschien die zweite Staffel:

5) Die Unsterbliche
6) Die Schwarze Isis
7) Der Schatz der Templer
8) Der Alte vom Berge

Weitere Titel von Kai Meyer auf |Buchwurm.info|:

[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
[„Der Brennende Schatten“ 4506 (Hörspiel)
[„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 (Hörspiel)
[„Die Wellenläufer“ 3247 (Hörbuch)
[„Die Muschelmagier“ 3252 (Hörbuch)
[„Die Wasserweber“ 3273 (Hörbuch)
[„Frostfeuer“ 2111 (Hörbuch)
[„Die Alchimistin“ 73
[„Das Haus des Daedalus“ 373
[„Der Schattenesser“ 2187
[„Die Fließende Königin“ 409
[„Das Buch von Eden“ 890 (Hörbuch)
[„Das Buch von Eden“ 3145
[„Der Rattenzauber“ 894
[„Faustus“ 3405
[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
[„Lanze und Licht“ 4549 (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
[„Drache und Diamant“ 4574 (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)

_Die Inszenierung_

Erzähler: Friedhelm Ptok (Ian ‚Imperator Palpatine‘ McDiarmid)
Aura Institoris: Yara Blümel-Meyers
Gillian: Claudio Maniscalo (Jimmy ‚The Haitian‘ Jean-Louis)
Christopher Institoris: Timmo Niesner (Elijah ‚Frodo‘ Wood)
Charlotte Institoris: Kerstin Sanders-Dornseif (Susan Sarandon)
Tess: Aliana Schmitz
Gian: Paul Gerlitz
Marie Kaldani: Katharina Bellena
Ballássy: Bodo Wolf
Und andere.

Für Regie, Ton und Musikkomposition zeichnen Christian Hagitte und Simon Bertling vom Studio |STIL| verantwortlich. (Das Hörspiel ist daher Cornelia Bertling gewidmet, die 2007 mit 40 Jahren starb.) Die Musik spielt das Filmorchester Berlin und der Hochmeisterchor Berlin unter der Leitung von Hagitte. Die Hörspielbearbeitung stammt von Stefan Maetz. |Lübbe Audio| produzierte das Hörspiel und nicht etwa ein Rundfunksender.

_Handlung_

Sieben Jahre sind seit den Kämpfen vergangen, die die drei Institoris-Kinder gegen Lysander geführt habe, der ihre Schwester Sylvette entführt hatte. Im Verlauf der Kämpfe wurde Daniel getötet und Christopher von der Wiener Burgwache gefangen und in den Kerker geworfen. Aura, inzwischen 25, hat überlebt und kennt die Katakomben Wiens inzwischen wie ihre Westentasche. Sie glaubt, ihr Geliebter Gillian sei damals umgekommen. Wenigstens hat sie ein lebendiges Andenken an ihn: ihren Sohn Gian.

Sie trägt zur Tarnung ihr Haar kurz wie ein Mann und kleidet sich auch wie einer. Weil ihre Mutter Charlotte dem Irrsinn verfallen und ihr Bruder ein verurteilter Häftling ist, haben die Behörden Aura zur Alleinerbin des Familienerbes eingesetzt. Die entführte Sylvette wurde vor zwei Jahren für tot erklärt. Inzwischen hat Aura die Alchimistenbibliothek ihres Vaters durchforstet und dabei viel gelernt, vor allem über die Wirkungsweise gewisser Pflanzen wie dem Lebenskraut …

Als sie die Wiener Zelle ihres Bruders Christopher betritt, erzählt sie ihm all dies und gibt ihm anschließend eine Zigarre, an deren Rauch er sterben könne. Weil Chris weiß, dass seine schlaue Schwester nie etwas ohne Grund tut, lässt er sich die Zigarre schmecken, immerhin ein letzter Luxus für einen Lebenslangen. Erst auf dem Friedhof wacht er wieder auf. Dort hat ihn der Friedhofsgärtner schon für tot gehalten und ein passendes Grab geschaufelt. Aura weiß jedoch, dass sie nur 33 bis 34 Stunden warten muss, bis der Betäubte wieder erwacht. Und so kommt es auch.

In ihrem Hotelzimmer hecken sie einen verwegenen Plan aus, um Lysander frontal anzugreifen, natürlich wieder durch die sattsam bekannten Katakomben. Inzwischen hat Aura eine ganze Söldnerarmee angeheuert. Keine halben Sachen diesmal!

Doch was sie in Lysanders Gemächern vorfinden, überrascht sie sehr. Ein kleines Mädchen entpuppt sich als Sylvettes Tochter Tess, und ein Zimmer weiter liegt eine lebende Mumie in einem Himmelbett: Ist das jetzt endlich der gesuchte Lysander? Röchelnd erzählt der Alte, Sylvette sei mit den anderen fortgegangen, doch wohin, verrät er nicht. Aura ist entschlossen, dem Alten das Mädchen zu entreißen, und hebt das Messer, um ihn zu töten. Er wäre nicht ihr erstes Opfer. Da fällt ihr jemand in den Arm …

_Mein Eindruck_

Diese Episode präsentiert gewissermaßen eine Wiederholung der zweiten Folge, denn nach sieben Jahren und einigen Personalveränderungen erfolgt schon wieder ein Angriff auf Lysander, und sogar am gleichen Ort wie zuvor, in den Katakomben unter der Wiener Hofburg.

Wieder narrt uns der Autor mit Uneindeutigkeiten. Die erste ist der scheinbare Tod Christophers durch die Zigarre, die ihm Aura gegeben hat. Hier folgt eine der ersten Aufhebungen des Todes durch Christophers Wiederauferstehung aus dem Grab des Friedhofsgärtners. Allerdings wird er alles andere als wie ein Messias verehrt, sondern darf gleich nochmal richtig ranklotzen, wenn er gegen Lysander kämpft. Auch als Lazarus hat man’s nicht leicht.

Die zweite Uneindeutigkeit ist die Identität jenes Mannes, der Tess begleitet und sich in seinem Himmelbett offenbar darauf vorbereitet, endgültig den Löffel abzugeben. Doch ist das wirklich Lysander, der da vor Auras blitzendem Messer liegt, oder nicht doch wieder einer dieser Handlanger, über die der ehemalige Tempelritter Lysander in Mengen zu verfügen scheint? Wahrscheinlich wird auch dieses Geheimnis erst in der nächsten Folge enthüllt.

|Unsterblich oder was?|

Wer schon immer Unsterblichkeit für eine mordsmäßig tolle und aufregende Sache gehalten hat, der dürfte erwarten, dass die darüber verfügenden Figuren in „Die Alchimistin“ vor Jubel einen Freudentanz aufführen. Diese Erwartung wird leider nicht erfüllt, muss ich sagen. Das liegt wohl an den Umständen. Erstens befindet sich Aura nun als Nestors Kind in einem exklusiven Zirkel, der es für angebracht hält, die Eigenschaft der Unsterblichkeit nicht an die große Glocke zu hängen. Und zweitens trachten ihr immer noch gewisse Gestalten nach dem Leben, die eben diesem Zirkel entstammen. Gestalten wie etwa Lysander, aber auch noch andere.

Aber immerhin gibt es etwas, worüber sich Aura in dieser Hinsicht freuen darf. Sie hat zwar Gillian verloren, aber dafür dessen Sohn Gian erhalten. Und nach dem Kampf in Wien verfügt sie nun auch über Sylvettes Tochter Tess. Wie sich herausstellt, verfügen beide Kinder über erstaunliche Fähigkeiten. Sie können nämlich ihre genetischen Erinnerungen abrufen (ob es die nun wirklich gibt oder nicht, sei mal dahingestellt). Das funktioniert wie psychisches Fernsehen, komplett mit Bildfolgen und Soundtrack. Dieser dramaturgische Trick ist wirklich klasse einsetzbar und verschafft dem Hörer eine ganze Reihe von Rückblenden voller Dramatik. (Dass die Erinnerungen nicht das alltägliche Teetrinken betreffen, liegt irgendwie nahe.)

Doch Aura weiß inzwischen, wie die Vererbung in einer Templerfamilie funktioniert: durch Inzest. Und folglich muss sie auch erkennen, dass sowohl Gian als auch Tess in großer Gefahr schweben …

_Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Kai Meyer lobt die Darstellung Yara Blümels in höchsten Tönen, insbesondere die Übereinstimmung mit seiner Vorstellung von der Entwicklung der Heldin Aura Institoris. Mittlerweile ist sie bereits eine selbständige junge Frau von 24 oder 25 Jahren, die ihrem Stiefbruder Christopher helfen kann. In der Schweiz hat sie gezeigt, dass sie Eigeninitiative besitzt und sich zur Wehr setzen kann, nun führt sie sogar einen Generalangriff auf Lysander an. Dies ist keine Frau, die etwas anbrennen lässt, wenn man es sofort erledigen kann. Yara Blümels Stimme weiß dies genau auszudrücken. Um Aura braucht man sich wirklich keine Sorgen zu machen – es sei denn, die Geschichte verlangt es.

Timmo Niesner ist die deutsche Stimme von Elijah „Frodo“ Wood. Er bringt in seine Rolle als Christopher Institoris eine Menge Feingefühl ein, um die verschiedenen Beziehungen, in denen er sich zu Vater und Mutter, zu Schwester und Bruder befindet, entsprechend flexibel auszudrücken. Die Figuren Sylvette und Daniel spielen hingegen praktisch keine Rolle.

Hervorzuheben ist der passende österreichische Tonfall des Friedhofsgärtners. Hier hat der Sprecher mitgedacht. Im Übrigen fand ich den Text im Vergleich zu der Musik und den (spärlichen) Geräuschen viel zu leise ausgesteuert.

|Die Geräusche|

Die realistisch gestalteten Geräusche sind zunächst recht zurückkahltend, denn in der Kerkerzelle und auf dem Friedhof ist wohl kaum größerer Radau zu erwarten. Dies ändert sich auch nicht mit dem Eindringen in Lysanders Räume, wo ein alter Mann jammert und röchelt. Noch nachdenklicher wird die Stimmung im Schloss an der melancholischen Ostsee. Ein gewisses Drama wird erst am Schluss angedeutet, als der Donner rollt und eine dunkle Gefahr über dem Schloss heraufzieht, nachdem Aura und Christopher sich auf den Weg in den Kaukasus gemacht haben.

|Die Musik|

Die Musik ist neben dem Text das überragende Merkmal dieser Hörspielreihe. Christian Hagitte und Simon Bertling vom Studio |STIL| haben sich wieder richtig ins Zeug gelegt und einen Score geschaffen, der diesen Namen auch verdient. Die Musik schafft die Stimmung für jede Szene, und wer auf die Musik achtet, bekommt sofort mit, wenn sich die Stimmung ändert, so etwa bei einem Wechsel des Schauplatzes.

Aufgrund dieser vielfältigen Wechsel fällt es nicht leicht, die Musik pauschal zu charakterisieren, aber mir ist aufgefallen, dass sich die klassische Instrumentierung häufig auf der melancholischen und wehmütigen, wenn nicht sogar düsteren Seite des Farbenspektrums bewegt. Allerdings ist diese Gemütslage höchst romantisch und keineswegs morbide oder zerfahren. Daher fällt es der Musik leicht, aus dem romantischen Ton in den dramatischen Ausdruck zu wechseln.

Wird die Musik dramatisch, kann sie auch recht flott werden, besonders in Kampfszenen, von denen es nicht wenige gibt. Doch die Musik muss aufpassen, dass sie nicht die Rufe und Schreie während dieser Kampfszenen überlagert. Die Figuren sollten immer die Oberhand über die Stimmung haben, sonst erscheinen sie als Marionetten.

Das Outro erfüllt die Funktion eines Aufräumers: Jetzt spielt das gesamte Orchester eine majestätische und dramatische Melodie, die nicht nur die Bedeutung des Gehörten unterstreicht, sondern Anlass zur Hoffnung auf weitere solche weltbewegenden Ereignisse gibt. Der Verweis auf die Fortsetzung, gesprochen von Lutz Riedel, unterstreicht dieses Versprechen, das die Musik gibt.

|Das Booklet|

Ein Geleitwort des Autors lobt die Darstellung Yara Blümels in höchsten Tönen, sagt aber immerhin genau, was ihm daran so gefiel, nämlich die Übereinstimmung mit seiner Vorstellung von der Entwicklung der Heldin Aura Institoris. Außerdem gefiel die Musik ausnehmend gut. Er hat jetzt Lust, die Fortsetzung zu schreiben. Wird auch Zeit!

Der Rest des Booklets liefert einen Überblick über die erste Staffel und eine Biografie des Autors.

_Unterm Strich_

Das Hörspiel versucht, den goldenen Mittelweg zwischen Edgar Allan Poes [„Der Untergang des Hauses Usher“ 2347 und einer optimistischen Entwicklungsgeschichte à la „Anne auf Green Gables“ zu gehen. Damit sind schon zwei Extreme hinsichtlich Plot, Aussage und vor allem Stimmung genannt. Der Mittelweg bedeutet ein ständiges Ringen um Selbstbehauptung für die Hauptfiguren Aura und Christopher. Der Gegner ist eine Altlast der Familie, die aus der Vergangenheit ihres Familienoberhauptes Nestor stammt: Lysander (wir erfahren nicht mal seinen Nachnamen).

Diese Episode ist relativ, denn durch Graben in der Vergangenheit müssen Aura und Chris herausfinden, wo sich ihr Erzfeind Lysander mitsamt der entführten Schwester Sylvette aufhält. Die Stimmung ist weiterhin mystisch und dramatisch, denn die Gegner zeigen sich noch nicht in eigener Gestalt, sondern nur als Ahnung kommender Schrecknisse. Die vierte Folge schließt diesen Spannungsbogen dann ab.

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und Stimmen von bekannten Schauspielern (u. a. Elijah Wood) einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Mir war die Umsetzung an vielen Stellen zu romantisch und melodramatisch, aber von einer statischen Handlung kann keine Rede sein, denn die folgerichtige Entwicklung von Auras Abenteuern im Kampf gegen Lysander und seinen Schergen ist mitreißend geschildert. Auch die romantische Liebe kommt – in der zweiten Folge – nicht zu kurz.

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert und die Stimmen der Stars vermitteln das richtige Kino-Feeling. Wer jedoch mit Melodramatik absolut nichts am Hut hat, sich aber trotzdem zünftig gruseln will, der sollte zu härterer Kost greifen.

|70 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3593-0|
http://www.kai-meyer.com
http://www.luebbe-audio.de
http://www.stil.name

John Sinclair – Shao (Teil 2 von 2, Folge 141)

Die Handlung:

Noch immer war mein bester Freund und Partner Suko in Shimadas Höllenschloss gefangen. Würde es mir gelingen, ihn aus den Fängen des Ninja-Dämons zu befreien? Und wie sollte ich ihm erklären, dass Shimada sich in seiner Abwesenheit bereits das nächste Opfer geholt hatte? Es war – Sukos Freundin Shao! (Verlagsinfo)

Mein Eindruck:

Ok, dieser zweite Teile der aktuellen Dilogie ist nicht nur aufgrund der Handlung interessant. Die Inhalte der Folge 140 stammten aus Heft 364, das im Juni 1985 erschienen ist und gar kein Teil eines Mehrteilers war. Dieser zweite Hörspielteil lehnt sich laut Verlagsinfo an die Inhalte aus gleich drei Romanheften an. Heft 450 („Sukos Totenfeier“ vom 16.02.1987), 451 („Drei Gräber bis Soho“ vom 23.02.1987) und 456 („Shao – Phantom aus dem Jenseits“ vom 30.03.1987). Wir machen also einen Zeitsprung von zwei Jahren zwischen den Teilen, interessant.

John Sinclair – Shao (Teil 2 von 2, Folge 141) weiterlesen

Koontz, Dean – Nacht der Zaubertiere (Lesung)

_Passionsgeschichte: Kampf um den Spielzeugmacher_

Als Zaubertiere hat sie Isaak Bodkins in seiner kleinen Fabrik erschaffen: Bär, Kaninchen, Hund, Katze und Elefant, dazu bestimmt, Kinder zu erfreuen und zu trösten. Nun ist Isaak tot, und sein Nachfolger muss das Erbe am gleichen Tag übernehmen, damit die Kraft des Guten wirksam bleibt. Denn im Keller der Fabrik herrscht von alters her eine andere, finstere Macht – böse Spielsachen, die jetzt ihre Stunde für gekommen halten und alles daransetzen, ihr grausames Regime auf der Erde zu errichten … Die Zaubertiere haben eine abenteuerliche Reise durch die nächtliche Stadt durchzustehen, um Isaaks Nachfolgerin zu informieren.

Empfohlen ab 10 Jahren.

_Der Autor_

Dean Koontz wurde 1945 in Pennsylvania geboren, musste in seiner Jugend hungern, schrieb Schundromane für einen Hungerlohn, lernte seine Frau Gerda kennen und konnte schließlich mit ihr nach Kalifornien ziehen, wo das Ehepaar seither stets mit einem Golden Retriever zusammenlebt. Es gibt kein einziges Koontz-Buch der letzten Jahre – etwa seit „Geschöpfe der Nacht“, in dem nicht mindestens ein Loblied auf diese Hunderasse angestimmt wird.

Die zahlreichen Thriller und Horror-Romane des schärfsten Konkurrenten von Stephen King wurden sämtlich zu Bestsellern und in über 30 Sprachen übersetzt. Weltweit hat Koontz laut Verlag über 250 Mio. Exemplare verkauft. Leider wurden bislang nur wenige von Koontz‘ Büchern verfilmt. Die beste Verfilmung ist meiner Meinung nach „Intensity“, aber der Film strapaziert die Nerven derart, dass er höchst selten gezeigt wird.

_Dean Koontz auf |Buchwurm.info|:_

[„Todesregen“ 3840
[„Frankenstein: Das Gesicht “ 3303
[„Die Anbetung“ 3066
[„Kalt“ 1443
[„Der Wächter“ 1145
[„Der Geblendete“ 1629
[„Stimmen der Angst“ 1639
[„Phantom – »Unheil über der Stadt« “ 455
[„Nackte Angst / Phantom“ 728
[„Schattenfeuer“ 67
[„Eiszeit“ 1674
[„Geisterbahn“ 2125
[„Die zweite Haut“ 2648

_Der Sprecher_

Jürgen Kluckert hat an der Schauspielschule „Ernst Busch“ studiert und spielte Rollen im „Tatort“, bei „SOKO“ und „Liebling Kreuzberg“. Auch am Theater und als Synchronstimme, unter anderem von Morgan Freeman, Nick Nolte, Robbie Coltrane und Chuck Norris, wurde er bekannt. 1994 übernahm er die Synchronisation von Benjamin Blümchen. Er ist auch die Stimme von „Mr. Krabs“ in „SpongeBob“.

_Handlung_

Isaak Bodkins, der Schöpfer der Zaubertiere, ist gestorben. Aber der Spielzeugmacher hat Vorkehrungen für diesen Fall getroffen und den Stoffbären Amis zum Anführer seiner Geschöpfe bestimmt. Diese Geschöpfe sind außergewöhnlich insofern, als sie sprechen, denken, fühlen und sich bewegen können. Sie wissen (noch) nicht, warum dies woanders anders sein sollte. Isaak hat Amis daran erinnert, was die Aufgabe der Zaubertiere sei, nämlich jedes der Kinder, dem sie geschenkt werden, zu trösten, zu beschützen und ihm Rat zu erteilen. Darin bestünde ihre Magie. Doch bei Erwachsenen sei sie schwach und deshalb dürften sie sie nur im Kinderzimmer anwenden und sich ansonsten vor Erwachsenen in Acht nehmen. Issak sagte, der Tod sei nicht sein Ende, sondern nur eine Durchgangsstation. Um die Magie nicht vergehen zu lassen, müssten seine Geschöpfe seine Nachfolgerin besuchen, Mrs. Martha Miller, und sie zur neuen Spielzeugmacherin machen.

Es gibt nur ein Problem. Mrs. Miller, der der Spielzeugladen gehört und an die Isaak alle seine Spielzeuge verkauft hat, lebt am anderen Ende der Stadt. Nur die tapfersten Spielzeuge können auf die Expedition mitgehen, zu der ihr Anführer sie nun aufruft. Folgende sind bereit, Amis in die kalte, stürmische Nacht zu folgen: Einstein, der Elefant; Der Gestiefelte Kater, sein Degen ist aus Hartgummi; Caramel, das Hundemädchen; Skippy, der Hase; und Der Alte, dessen Gattung nicht ganz klar ist, der aber alles über die Zaubertiere und Isaak Bodkins weiß. Sie überlassen die Werkstatt den Affen und anderen Tieren, klettern aus einem Kellerfenster und machen sich auf den Weg.

Doch da nun die Magie des Spielzeugmachers schwächer wird, regt sich zwei Stockwerke tiefer neues Leben. Dorthin ist Isaak nie gekommen und so wusste er nicht, dass hier die Spielzeuge seines Vorgängers eingelagert sind: Cerberus Toys. Als Erster regt sich ihr Anführer. Rex ist eine Marionette ohne Fäden, in feinem Smoking und Zylinder, doch in seinem Spazierstock steckt ein ausfahrbares Messer. Er weckt und befreit die anderen Spielzeuge: Lizzie, das Tanzmädchen aus den 1920er Jahren, ist auch eine fadenlose Marionette, doch ihre Zigarettenspitze glüht und kann ein Feuer entzünden; Eisenbeißer ist ein Roboter und leider ein wenig einfältig und monomanisch in seinem Zerstörungsdrang; Jack Weasel ist ein Kastenteufel mit einem Clownsgesicht; seine Lippen sind blutrot; Die Stecherin ist eine fliegende Hornisse, die über einen Stachel im Hinterleib verfügt, der so groß ist wie eine Taschenmesserklinge. Zusammen mit den anderen Cerberus Toys macht sich die Stecherin an den Aufstieg nach oben und findet den Weg aus dem Haus. Die Zeit ist gekommen, dass das Böse die Herrschaft übernimmt. Und so machen sie sich daran, die „Wattebäuche“ zu verfolgen, um ihnen den Garaus zu machen.

|Victor Bodkin|

Victor Bodkin ist der Neffe des verstorbenen Spielzeugmachers. Er ist ein lediger Buchhalter ohne Kinder und denkt nur an Profitmaximierung. Folglich will er das große Grundstück seines verstorbenen Onkels versilbern. Für dessen Beruf hat nichts als Kopfschütteln übrig. Doch als der 35-Jährige an diesem Abend zu dessen Haus fährt, bemerkt er sonderbare Bewegungen auf der Straße. Er stoppt und sieht sechs Stofftiere über die Straße laufen, die bei seinem Anblick erstarren. (Achtung, ein Erwachsener!) Er steigt aus. Auf Befehl des Bären eilen sie weiter und verschwinden zwischen den Bäumen des nahen Parks.

Doch der Spuk ist noch nicht vorüber. Aus der Richtung, aus der die Stofftiere kamen, taucht ein kleiner Roboter auf. Doch statt beim Anblick eines Erwachsenen stehenzubleiben, haut ihm der Roboter voll auf die Schuhe. Damit nicht genug, zückt eine Marionette im Smoking ein Messer und greift an. Eine Hornisse fliegt im Sturzflug heran und verfehlt Victors Kopf nur deshalb, weil er sich zu Boden wirft. Er tritt den strategischen Rückzug an und versucht sich verwirrt einen Reim auf das Gesehene zu machen. Spielzeuge, die sich bewegen?! Das muss er genauer sehen. Er folgt ihnen.

|Nick Jack|

Aus dem Süden kommend, ist Nick Jack endlich in der Stadt eingetroffen, in die ihn eine Stimme gerufen und ihn wie ein Magnet gezogen hat. Nick wurde erst am Morgen aus dem Knast entlassen, wo er 15 Jahre abgesessen hat. Er ist bis zur Halskrause von Hass erfüllt, von Hass auf alles und jeden. Das Einzige, was ihn erfreut, sind Tränen in gequälten Kinderaugen.

In einer Busstation hat Nick einen Schlüssel gefunden. Auf dem Schlüssel stand eine Schließfachnummer, und in dem Schließfach fand er einen großen Koffer. In dem Koffer befinden sich zwei Millionen Dollar in kleinen Scheinen. Das Gesicht, das er im Spiegel statt seines eigenen gesehen hat, verlangte von ihm, den Koffer einem Mann namens Victor Boskin zu geben. Es ist der Kaufpreis für dessen Spielzeugfabrik. Diese Fabrik soll Nick übernehmen, denn er sei der neue Spielzeugmacher in Diensten des Herrn der Finsternis. Und seine Spielzeuge werden sich die Welt untertan machen.

_Mein Eindruck_

Auch wenn die Geschichte wie ein Märchen aussieht, so werden hier doch metaphysische Konflikte verhandelt, die sich zwischen Gott und Teufel, Gut und Böse abspielen. Allerdings erweist sich diese Konstruktion als äußerst simpel. Aber immerhin gibt es eine Bekehrung und zwei Bestrafungen.

Ist Gott ein Spielzeugmacher?, fragen sich die Zaubertiere. Nein, aber wenn er Kinder mag, dann mag er bestimmt auch Spielzeug. Und Isaak Bodkin sowie Martha Miller, seine Nachfolgerin, sind Gottes Diener, quasi seine Bischöfe. Sie senden ihre Jünger aus, um die Kinder der Menschen zu trösten, zu beschützen – und zu unterweisen. Macht nichts, wenn die Kinder sie vergessen, sobald sie erwachsen sind. Hauptsache, sie habe ihre Kindheit seelisch unbeschadet überstanden.

Eine Zeit großer Gefährdung, wie die Spielzeuge deutlich machen, die Cerberus Toys produziert hat. „Cerberus“ ist der Sage nach der dreiköpfige Hund, der die Tore zur Unterwelt bewacht. Womit wir schon beim Thema wären. Das Böse lauert unten in der Finsternis und wartet nur auf seine Chance, um die Guten zu verderben und die Herrschaft über die Menschen zu übernehmen. Dazu hat der Herr der Finsternis seinen Knecht Rex auf die Mission geschickt, die Zaubertiere Isaac Bodkins zu töten, bevor sie ihren Auftrag erfüllen können. Aber er hat auch Nick Jack (Old Nick ist ein umgangssprachlicher Beiname für den Widersacher) ausgeschickt, um einen wichtigen Menschen zu verführen: Victor Bodkin, Isaacs Neffen.

Wie in zahlreichen religiös angehauchten Romanen, seien sie nun historisch oder phantastisch ausgerichtet, ist Victors Seele ein Schauplatz widerstreitender Kräfte. Sein Materialismus macht ihn dem Angebot Nick Jacks geneigt, doch zum Glück kommen ihm ernsthafte Zweifel an dessen Seriosität. Victors Stunde schlägt, als Amis von Rex‘ Hand stirbt. Victor muss sich entscheiden, ob er diesen kaltblütigen Mord hinnehmen will. Amis ist die Jesusfigur im Stück, deren Opfertod eine entscheidende Wende, vulgo: Bekehrung, in seinen Mitmenschen bewirkt. Ob es funktioniert, soll hier nicht verraten werden. Victor ist unser Jedermann und unser Stellvertreter. Die Auferstehung Jesu, pardon: von Amis, ist nur eine Frage weiterer Opfer, die als Gabe der Liebe gegeben werden.

Für diese Interpretation spricht, dass andauernd irgendwelche inneren und äußeren Stimmen und mystische Erscheinungen wie Spiegelgesichter Anweisungen geben und so die Akteure durch die Nacht treiben, um den Konflikt auszutragen. Das letzte Wort haben: der Herr der Finsternis, der seinen versagenden Diener zu sich ruft, um ihm Lenkfäden zu verpassen; die Polizei, die einige bohrende Fragen an den Ex-Knacki Nick Jack hat; und Martha Miller, frischgebackene Spielzeugmacherin für Zaubertiere.

Wie man sieht, handelt es sich bei „Nacht der Zaubertiere“ um eine Passionsgeschichte, die zwar einfach gestrickt ist, aber von jedem Kind – ab zehn Jahren – verstanden werden sollte. Sie lässt sich auch gut zur Weihnachtszeit erzählen oder anhören.

_Der Sprecher_

Jürgen Kluckert beherrscht die hohe Kunst der Charakterisierung vieler verschiedener Figuren mit stimmlichen Mitteln. Jede Figur der Stofftiere und der Cerberus Toys hat ihre eigene stimmliche Charakteristik, so dass man alle Figuren sofort auseinanderhalten kann. Nicht genug damit: Die Stimmen passen auch. Der Elefant spricht tief und langsam, der Bär mit vertraueneinflößender Autorität, der Hase hoch und schnell, das Hundemädchen ein wenig naiv und der gestiefelte Kater (ähnlich wie in „Shrek“) ein wenig adelig-kultiviert, aber tapfer. Jedes Kind kann sich sofort in diese Figuren verlieben.

Rex, die Anführermarionette, klingt entsprechend herrisch, doch seine Autorität flößt keineswegs Vertrauen ein, sondern Furcht. Dito der verrückte Kastenteufel Jack Weasel und die ziemlich stumme Lizzie. Eisenbeißer hingegen will alles niedertrampeln und redet wie eine Maschine. Die Hornisse Stecherin summt und sirrt und zischt, wenn sie spricht – Kluckert gestaltet sie wundervoll.

Doch Charakterisierung alleine reicht nicht für einen guten, kindgerechten Vortrag. Nun müssen sich die Figuren auch wie lebende Wesen verhalten und Gefühle äußern. Kluckert lässt sie wüten, jammern, flehen, triumphieren und trauern – und noch vieles mehr. Er führt sein eigenes kleines Kasperletheater auf, lässt die Figuren „Puha!“ rufen, hämisch lachen. Ganz besonders hat mir sein furchterregendes „Klickediklick!“ gefallen, das der Kastenteufel verursacht, wenn er seine Opfer sucht. „Klickediklick!“

_Musik_

Dies ist ein Hörbuch der neuen |Lübbe Audio|-Hörbuchreihe „Wellenreiter“, die sich an ausdrücklich an Kinder und Jugendliche wendet (genauso wie „Silberfisch“ bei |Hörbuch Hamburg|). Das ganze Akustik-Design ist völlig anders als in der Erwachsenenreihe.

Zuerst erklingt der Jingle für die Reihe, ohne Gesang, aber mit einer flotten Surfermusik. Danach folgt das In- und Outro , welches von einem modernen musikalischen Motiv bestritten wird. Am Schluss des Hörbuchs wiederholt sich das Ganze in umgekehrter Reihenfolge.

Geräusche gibt es leider keine, so dass man sich jederzeit voll auf den Vortrag des Sprechers konzentrieren kann. Ein paar Soundeffekte hätten aber wirklich nur gestört.

_Unterm Strich_

Dean Koontz erzählt überaus einfach in bester erprobter Kinderbuchsprache. Er lässt aber trotz dieser literarischen Verantwortung auch den Humor nicht zu kurz kommen. Was diesem Schreibstil widerspricht, ist jedoch der Inhalt, den man Kindern bis zehn Jahren kaum zumuten mag.

Da werden Plüschbäuche aufgeschlitzt, rasiermesserscharfe Klingen ausgefahren und Schrotflinten abgefeuert, dass es eine „Pracht“ ist. Das personifizierte Böse hat seinen festen Platz, und das böseste Spielzeug ist eine Marionette. Welches Kind würde nach dieser Lektüre noch eine solche Puppe anfassen? Man kann vielleicht seine Aggressionen ausleben, lautet eine Theorie, aber was ist, wenn das Kind im Dunkeln einzuschlafen versucht und die Bilder von aufgeschlitzten Puppen vor Augen hat?

Kontz scheint hier manchen Kritikern über das Ziel hinauszuschießen und zu viel Schrecken und Grusel in seine Geschichte hineinzupacken. Jugendliche hingegen, die man für die alternative Zielgruppe halten könnte, finden wahrscheinlich wenig Gefallen an der Kinderbuchsprache, denn sie sind Geschichten im Stil eines „Herr der Ringe“ gewohnt. Ich denke, dass heutige Kinder mit zehn schon so weit sind, auch Greueltaten wie die Ermordung eines Teddybären zu verkraften. Aber das müssen die Eltern selbst entscheiden.

Jürgen Kluckert liebt hörbar Kinder als Zuhörer, und wer sich nicht an einen Märchenonkel erinnert fühlt, sollte sich zurück in seine Kindheit versetzen lassen. Kluckert entfaltet mit seinen beträchtlichen Mitteln seine Sprach- und Stimmmagie – er braucht keine Zaubertiere mehr, denn das sind schon wir, seine Zuhörer.

|Originaltitel: Oddkins, 1988
Aus dem US-Englischen übersetzt von Sybil Gräfin Schönfeldt
Empfohlen ab 10 Jahren
235 Minuten auf 3 CDs|
http://www.luebbe-audio.de

Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Bertling, Simon / Hagitte, Christian / Sieper, Marc – Kopf des Teufels, Der (POE #29)

_Poes Absturz: ins Höllenloch_

Die Hörspiel-Reihe bringt unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör. Mit „Flaschenpost“ begann die 7. Staffel und der Auftakt zur zweiten Geschichte innerhalb des großen POE-Epos. Die Vorgeschichte finden man in den vorangegangenen 28 Folgen sowie in dem Roman [„Lebendig begraben“,]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3404156757/powermetalde-21 erschienen bei |Bastei Lübbe|.

USA um 1850. Der Mann, der sich POE nennt und kein Gedächtnis besitzt, versucht nach den schrecklichen Erlebnissen in New York City, ein neues Leben zu beginnen. Er glaubt, er ist Poe, wer sonst? Sicher ruht auf dem Friedhof von Baltimore ein Namenloser. Poe und Leonie mieten Landors Landhaus in den nördlichen Wäldern von New York. Doch sie kommen dort nicht zur Ruhe: Über dem Landhaus liegt ein Fluch. Und Leonies Vergangenheit ist dunkler, als Poe ahnt.

Leonie floh in Folge 28 vor den Geistern ihrer Vergangenheit nach New York City, und verzweifelt irrte sie durch die Straßen. Nun ist sie spurlos verschwunden. Eines Nachts erhält Poe eine geheimnisvolle Botschaft. Vielleicht kann er Leonie wiederfinden – aber ist die Botschaft echt? (Verlagsinfo)

Ulrich Pleitgen und Iris Berben haben auch an den ersten 28 Hörbüchern der Serie mitgewirkt:

#1: Die Grube und das Pendel
#2: Die schwarze Katze
#3: Der Untergang des Hauses Usher
#4: Die Maske des roten Todes
#5: Sturz in den Mahlstrom
#6: Der Goldkäfer
#7: Die Morde in der Rue Morgue
#8: Lebendig begraben
#9: Hopp-Frosch
#10: Das ovale Portrait
#11: Der entwendete Brief
#12: Eleonora
#13: Schweigen
#14: Die längliche Kiste
#15: Du hast’s getan
#16: Das Fass Amontillado
#17: Das verräterische Herz
#18: Gespräch mit einer Mumie
#19: Die Sphinx
#20: Scheherazades 1002. Erzählung (auch: Die 1002. Erzählung)
#21: Schatten (ursprünglicher Titel: Die Scheintoten)
#22: Berenice
#23: König Pest
#24: Der Fall Valdemar
#25: Metzengerstein

Siebte Staffel (03/2008):

#26: Die Flaschenpost
#27: Landors Landhaus
#28: Der Mann in der Menge
#29: Der Kopf des Teufels

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten.

_Die Inszenierung_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon mehrere Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren.

Toby Dammit: Simon Jäger (Heath Ledger, Josh Hartnett, Matt Damon)
Richter: Hans-Werner Bussinger (Michael Ironside, Jon Voight)
Landor: Peter Schiff (Louis de Funès, ‚HAL 9000‘)
Henker: Udo Schenk (Ray Liotta, Ralph Fiennes, Gary Oldman, Tim Roth, Kevin Bacon …)
Führer der Bürgerwehr: Claudio Maniscalco (Jimmy ‚The Haitian‘ Jean-Louis in „Heroes“)
Direktor: Friedhelm Ptok (Ian ‚Kanzler Palpatine‘ McDiarmid)
Templeton: Till Hagen (Kevin Spacey, Billy Bob Thornton)
Gorn: Lutz Riedel (Timothy Dalton)
Wärter: Andreas Sparberg

Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Giuliana Ertl, die Ansage erledigt André Sander. Die deutsche Hörspielfassung stammt von Melchior Hala nach einer Idee von Marc Sieper, Dicky Hank und Thomas Weigelt. Für Regie, Musik und Ton waren Christian Hagitte und Simon Bertling vom |STIL|-Studio verantwortlich.

|Das Titelbild|

Das monochrome Titelbild, das Simon Marsden (www.simonmarsden.co.uk) geschossen und mit einer speziellen Technik entwickelt hat, zeigt den verwitterten Kopf eines Wasserspeiers, der eine Teufelsfratze aufweist. Der Teufel ist gehörnt, wie deutlich zu erkennen ist.

Das Motiv der Rückseite ist immer noch das gleiche wie in der ersten Serie: das von leuchtendem Nebel umwaberte ausgebrannte Gemäuer einer alten Abtei, deren leere Fenster den Betrachter ominös anstarren. Die Innenseite der CD-Box zeigt einen spitzbogigen Mauerdurchgang in einem wilden, überwucherten Garten. Der Durchgang könnte die Passage zu neuen, gruseligen Erfahrungen symbolisieren, im Sinne von Aldous Huxleys „doors of perception“.

|Das Booklet|

Jede CD enthält ein achtseitiges schwarz gehaltenes Booklet. Eine kleine Biografie stellt Ulrich Pleitgen vor. Die mittlere Doppelseite zeigt alle bislang veröffentlichten CDs. Danach folgt eine Seite, die sämtliche Credits auflistet. Die vorletzte Seite wirbt für das Hörbuch „Edgar Allan Poe: Visionen“, das ich empfehlen kann. Die letzte Seite gibt das Zitat aus E.A. Poes Werk wieder , das am Anfang einer jeden Episode – jeweils abgewandelt – zu hören ist.

_Vorgeschichte_

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon 28 Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton als Francis Baker darin spielt.

Am Anfang rekapituliert Poe/Pleitgen sehr knapp die unmittelbare Vorgeschichte. Das erleichtert den Einstieg in die Serie ein wenig, aber nur minimal.

_Handlung_

Nach dem Verschwinden seiner Verlobten Leonie Goron grübelt Poe eine Weile über ihre Gründe nach, als ein Bote namens Toby Dammit an der Tür von Landors Landhaus eintrifft und ihm einen Brief übergibt. Die gesuchte Dame sei in den Höhlen zu finden – gezeichnet: ein Freund. Toby bietet Poe an, ihn dorthin zu führen. Von Landor leiht sich Poe dessen Schrotflinte, dann sucht er mit Toby den Eingang zu den besagten Höhlen. Er findet ihn in der Nähe einer alten Eiche, hier will Toby auf Poes Rückkehr warten.

In den Höhlen irrt Poe wie durch ein Labyrinth, irregeführt von Lichtpunkten in der Ferne, doch keine Leonie findet sich. Er stößt jedoch auf die Skelette zweier Menschen, die nebeneinander liegen, und nimmt einen rostigen Dolch an sich. Als er wieder aus dem Ausgang stolpert, wird er von Männerhänden grob gepackt. Die Bürgerwehr beschuldigen ihn des Mordes an Toby Dammit, der ohne Kopf unter der Eiche liegt. Trotz seiner Proteste führen ihn die Vigilanten ab, packen ihn auf einen Pritschenwagen neben die Leiche und karren ihn in die Stadt.

Doch der Weg führt nicht etwa zum Rathaus oder zu einer Polizeiwache, sondern zu einem alten grauen Haus: das Gefängnis, das man „Das Grab“ nennt. Nach einer Nacht in einem engen Schacht stellt man ihn vor ein städtisches geheimes Sondergericht, ein Femegericht. Die Anklage lautet auf Mord und Hexerei. Was hat Poe darauf zu entgegnen? Er sei unschuldig, beteuert er. Sein Fehler ist es allerdings, keinen Namen anzugeben. Das bringt ihm die Folter ein. Als er sich beugt, sich Poe nennt und auf einen gewissen Dr. Templeton beruft, findet er endlich Gehör und wird begnadigt. Halbwegs.

Denn zu seinem Horror beginnt sein Martyrium erst: auf Blackwell’s Island, in der Irrenanstalt. Dort trifft er einen alten Bekannten wieder …

_Mein Eindruck_

Dies ist eine sehr deprimierende Episode, wahrscheinlich sogar die Folge, die den Hörer am stärksten „runterzieht“. Erst findet Poe keine Spur von seiner Verlobten Leonie, dann wirft man ihn auch noch in ein finsteres Kerkerloch. Na, wenigstens dreht er dort nicht völlig durch. Aber das kann ja noch kommen, wenn er in der Irrenanstalt auf Blackwell’s Island landet. Aber wenigstens eines ist nun erreicht. Er trifft seinen alten Widersacher wieder, den er schon die ganze Zeit gebraucht hat, um seine in Episode 26 als dubios erkannte Identität festzustellen. Und sie vielleicht sogar zu korrigieren.

Parallel zu Leonies Konfrontation mit ihrer eigenen Vergangenheit in Episode 28 („Der Mann in der Menge“) sieht sich nun Poe den Schatten seiner eigenen Vergangenheit gegenüber. Das ist zwar wünschenswert, weil der Konflikt hoffentlich zu einer Lösung und Weiterentwicklung führt, aber der Weg dorthin ist doch für den Hörer ziemlich frustrierend: eine Kette von Nicht-Ereignissen.

Es ist wie in einem existenzialistischen Roman, in dem sich der Held einer Folge von Schicksalsschlägen gegenübersieht, die allesamt unverständlich und absurd erscheinen. Dass es einen Drahtzieher dafür gibt, lässt sich nur vermuten, aber auf diesen naheliegenden Gedanken verfällt Poe leider nicht. Denn sonst wäre ihm klar, was dies alles mit Leonie zu tun hat. Erst als der Drahtzieher vor ihm steht, erkennt er, was dieser ihm angetan hat, und plant seine Rache.

Worin die Verbindung mit dem Titel liegt, kann ich schlecht beantworten. Nur Toby Dammit, der Unglücksbote, faselt etwas von seinem Kopf, den er dem Teufel geben würde, wenn er Unrecht habe. Na, das passiert ihm denn auch. Nicht sonderlich erbaulich. Die zugehörige Poe-Geschichte dürfte zu den obskursten im ganzen Œuvre gehören, denn mir war sie bislang nicht bekannt.

_Die Inszenierung_

|Mr. Poe|

Pleitgen spielt die Hauptfigur, ist also in jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen. Aber Poe kann auch sehr pragmatisch agieren, und Pleitgen weiß die scharfe Beobachtungsgabe seiner Hauptfigur wie auch dessen Hinterlist ebenso glaubwürdig darzustellen. Sein Poe ist kein hilflos durch die Gassen torkelnder Somnambuler, sondern ein hellwacher Geist, der nur ab und zu unter ein paar Bewusstseinstrübungen leidet, die ihn in Gestalt von Träumen heimsuchen.

|Musik und Geräusche|

Der Sound liegt im Format PCM-Stereo vor, wie mir mein DVD-Spieler angezeigt hat, und klingt glasklar. Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt.

Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet. Zunächst künden Donner und Regen einen Schicksalsschlag an. Das Höhlenlabyrinth gibt zwar nicht allzu viele akustische Spezialeffekte außer Hall her, aber dafür die Szene von Poes Gefangennahme umso mehr: ein Pferd wiehert oder schnaubt, wird mit einem Peitschenhieb gefügig gemacht, Ketten klirren, schließlich hämmert jemand eine metallene Kettenschelle fest.

|Musik|

Die Musik erhält eine wichtige Bedeutung: Sie hat die Aufgabe, die emotionale Lage der Hauptfigur und ihres Ambientes darzustellen. Poes Lage ist diesmal besonders verzweifelt, und die Musik vermittelt seine Stimmung ungemindert, indem mehrmals der Chor „Dies irae“ angestimmt wird, der mittlerweile zu Poes Signatur geworden ist, um seine Verzweiflung und Verlassenheit zu beschreiben. Weitere dramatische Passagen lassen keinen Zweifel an der Berechtigung von Poes düsterer Stimmung aufkommen. Selbst der abschließende Song „Elenore“ ist eine Klage des Verlustes.

Ein Streichquartett, Musiker des Filmorchesters Berlin sowie die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht.

|Der Song|

Der britische Schauspieler Christopher Lee singt „Elenore“, das schon auf der CD [„Visionen“ 2554 zu finden ist. Hier liegt der EAP-Mix vor. Die Musik stammt wieder von Gaitte & Bertling, der deutsche Text von Marc Sieper. Sopran singen Rosemarie Arzt und Ricarda Lindner. Es spielt das Berliner Filmorchester unter der Leitung von Christian Hagitte.

Christopher Lee wurde am 27. Mai 1922 in London geboren. Seine Schauspielkarriere begann 1947. Den meisten dürfte der britische Schauspieler als Dracula bekannt sein, den Lee 1958 das erste Mal verkörperte und damit weltberühmt wurde. Noch vor seiner Zeit als Schauspieler war Lee in diversen Opernhäusern zu hören – er genoss eine Ausbildung als Opernsänger. Einige seiner aktuellen Rollen sind die des Saruman in „Herr der Ringe“ und Count Dooku in „Star Wars“. Insgesamt wirkte Lee in über 250 Filmen mit.

Ich wusste auch nicht, wie toll Christopher Lee singen kann – bis ich seine Aufnahme auf der CD „Visionen“ hörte. Der Gesang ist klassisch, die Orchesterbegleitung ebenso, zwei Soprane begleiten den Meister, streckenweise im Duett. Er gibt die dramatische Ballade „Elenore“, in der um die verlorene Liebste geklagt wird, zum Besten, und zwar mit viel Gefühl und Sinn fürs Dramatische. Man stelle sich eine schmissige Arie aus einem bekannten Musical vor, z. B. „Elisabeth“ – so umwerfend gut kommt das rüber. Die vorliegende Fassung wurde neu gemischt, um zur Instrumentierung des Hörspiels zu passen.

_Unterm Strich_

In einer parallelen Bewegung wiederholt Poes Gefangennahme und Einkerkerung die gleichen Geschehnisse, die Leonie in der Folge zuvor erleben musste. Allerdings befreite sie sich erfolgreicher als ihr Verlobter aus dieser misslichen Lage. Dafür ahnt er nun wenigstens, welche Verbindung besteht und wer für seine Einweisung in die Irrenanstalt verantwortlich ist und kann nun seine Flucht und Rache planen. De profundis – von hier ab kann’s nur aufwärts gehen.

Die akustische Umsetzung ist vom Feinsten, und man merkt in jeder Szene, wie viel Sorgfalt die Mitwirkenden und Macher aufgewendet haben, um die Episode reizvoll und stimmungsvoll zu gestalten. Ein Highlight ist für mich zweifellos Christopher Lees Song, auch wenn dieser eher Musical-Freunde ansprechen dürfte.

Die Reihe wird fortgesetzt. Immer noch fehlt die Umsetzung bedeutender Erzählung wie „Ligeia“ (Rückkehr einer toten Geliebten) und „William Wilson“ (das Doppelgänger-Motiv).

|Basierend auf: The Devil’s Head, ca. 1845
65 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3429-2|
http://www.poe.phantastische-hoerspiele.de
http://www.luebbe-audio.de

John Sinclair – Shimadas Höllenschloss (Teil 1 von 2, Folge 140)

Die Handlung:

Würde ich Suko noch einmal lebend wiedersehen? Seit Wochen suchte ich nach einer Spur meines Freundes, den der Ninja-Dämon Shimada durch ein Dimensionstor in sein Höllenschloss entführt hatte. Als ich schon glaubte, dass es nicht mehr schlimmer kommen konnte, schickte mir Shimada die Dämonentrommler – und kurz darauf war auch Sukos Freundin Shao verschwunden! (Verlagsinfo)

Mein Eindruck:

Diesmal hat sich der Verlag an die Hörspielumsetzung des Heftromans mit der Nummer 364 gemacht, das erstmalig am 24. Juni 1985 am gut sortierten Bahnhofskiosk oder manchmal auch in einer Buchhandlung zu bekommen war. Das Bild wurde übernommen, beim Titel wurde die aktuelle Rechtschreibung angewandt und „Schloss“ nicht mehr „Schloß“ geschrieben.

John Sinclair – Shimadas Höllenschloss (Teil 1 von 2, Folge 140) weiterlesen

Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – Mann in der Menge, Der (POE #28)

_Irrfahrt, Opium, Kerkerhaft_

Die Hörspiel-Reihe bringt unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör. Mit „Flaschenpost“ begann die 7. Staffel und der Auftakt zur zweiten Geschichte innerhalb des großen POE-Epos. Die Vorgeschichte finden man in den vorangegangenen 27 Folgen sowie in dem Roman [„Lebendig begraben“,]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3404156757/powermetalde-21 erschienen bei |Bastei Lübbe|.

USA um 1850. Der Mann, der sich POE nennt und kein Gedächtnis besitzt, versucht nach den schrecklichen Erlebnissen in New York City, ein neues Leben zu beginnen. Er glaubt, er ist Poe, wer sonst? Sicher ruht auf dem Friedhof von Baltimore ein Namenloser. Poe und Leonie mieten Landors Landhaus in den nördlichen Wäldern von New York. Doch sie kommen dort nicht zur Ruhe: Über dem Landhaus liegt ein Fluch. Und Leonies Vergangenheit ist dunkler, als Poe ahnt.

Leonie ist nun vor den Geistern ihrer Vergangenheit nach New York City geflohen. Verzweifelt irrt sie durch die Straßen. Ein Mann in der Menge ist der rettende Anker, aber nur scheinbar … (Verlagsinfo)

Die POE-Serie:

#1: Die Grube und das Pendel
#2: Die schwarze Katze
#3: Der Untergang des Hauses Usher
#4: Die Maske des roten Todes
#5: Sturz in den Mahlstrom
#6: Der Goldkäfer
#7: Die Morde in der Rue Morgue
#8: Lebendig begraben
#9: Hopp-Frosch
#10: Das ovale Portrait
#11: Der entwendete Brief
#12: Eleonora
#13: Schweigen
#14: Die längliche Kiste
#15: Du hast’s getan
#16: Das Fass Amontillado
#17: Das verräterische Herz
#18: Gespräch mit einer Mumie
#19: Die Sphinx
#20: Scheherazades 1002. Erzählung (auch: Die 1002. Erzählung)
#21: Schatten (ursprünglicher Titel: Die Scheintoten)
#22: Berenice
#23: König Pest
#24: Der Fall Valdemar
#25: Metzengerstein

Siebte Staffel (03/2008):

#26: Die Flaschenpost
#27: Landors Landhaus
#28: Der Mann in der Menge
#29: Der Kopf des Teufels

Das Taschenbuch ist unter dem Titel [„Lebendig begraben“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3404156757/powermetalde-21 bei |Bastei Lübbe| erschienen.

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten.

_Die Inszenierung_

Ulrich Pleitgen tritt diesmal nicht auf.

Iris Berben gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen hierzulande. Ihr Repertoire umfasst Krimis („Rosa Roth“) ebenso wie Komödien und klassische Werke. Für ihre Leistungen wurde sie u. a. mit dem Bambi und mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. In der POE-Serie interpretiert sie die weibliche Hauptrolle Leonie Goron und andere Figuren.

Gorn: Lutz Riedel (dt. Stimme von Timothy Dalton)
Mädchen: Marie-Luise Schramm
Trödler: Freimut Götsch

Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Giuliana Ertl, die Ansage erledigt André Sander. Die deutsche Hörspielfassung stammt von Melchior Hala nach einer Idee von Marc Sieper, Dicky Hank und Thomas Weigelt. Für Regie, Musik und Ton waren Christian Hagitte und Simon Bertling vom STIL Studio verantwortlich.

|Das Titelbild|

Das monochrome Titelbild, das [Simon Marsden]http://www.simonmarsden.co.uk geschossen und mit einer speziellen Technik entwickelt hat, zeigt vier männliche, schwarze Silhouetten vor einem hellen, leeren Hintergrund. Das Quartett steht unter den hängenden Zweigen einer Eiche, die hell von der Seite beschienen wird. Dass die Männer keine Merkmale und kein Gesicht aufweisen, entmenschlicht sie und rückt sie in das Reich des Geisterhaften und Unheimlichen.

Das Motiv der Rückseite ist immer noch das gleiche wie in der ersten Serie: das von leuchtendem Nebel umwaberte ausgebrannte Gemäuer einer alten Abtei, deren leere Fenster den Betrachter ominös anstarren. Die Innenseite der CD-Box zeigt einen spitzbogigen Mauerdurchgang in einem wilden, überwucherten Garten. Der Durchgang könnte die Passage zu neuen, gruseligen Erfahrungen symbolisieren, im Sinne von Aldous Huxleys „doors of perception“.

|Das Booklet|

Jede CD enthält ein achtseitiges schwarz gehaltenes Booklet. Eine kleine Biografie stellt die Sprecherin Iris Berben vor. Die mittlere Doppelseite zeigt alle bislang veröffentlichten CDs. Danach folgt eine Seite, die sämtliche Credits auflistet. Die vorletzte Seite wirbt für das Hörbuch [„Edgar Allan Poe: Visionen“, 2554 das ich empfehlen kann. Die letzte Seite gibt das Zitat aus E. A. Poes Werk wieder, das am Anfang einer jeden Episode – jeweils abgewandelt – zu hören ist.

_Vorgeschichte_

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon 27 Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton als Francis Baker darin spielt.

Am Anfang rekapituliert Leonie / Berben sehr knapp die unmittelbare Vorgeschichte. Das erleichtert den Einstieg in die Serie ein wenig, aber nur minimal.

_Handlung_

Leonie ist aus Landors Landhaus geflohen, nachdem sie einen Mann gesehen hat, den sie noch aus ihrer Heimat England kennt. Er ist ein „Meister der Verstellung an Körper und Seele“. Nun eilt sie voll Angst nach New York City, doch auch dort vermeidet sie jeden Kontakt, um nicht erkannt zu werden. Das führt dazu, dass sie von Straße zu Straße irrt, bis sie schließlich erschöpft Rast machen muss. Bei einem Trödler kauft sie Kleider aus zweiter Hand, mit denen sie sich verkleidet.

Sie driftet durch die anonyme Menschenmenge auf dem Bahnhofsvorplatz, als sie den Alten bemerkt. Sein weißes Haar und seine Brille lassen ihn ungewöhnlich aussehen, doch sein kalter, böser Blick ist abweisend. Auch er treibt wie entwurzelt durch die Menge. Ein erhaschter Blick auf Dolch und Diamant an seiner Weste entzünden ihre Phantasie. Sie folgt ihm wie ein Schatten durch die hereinbrechende Nacht, durch Nebel und enge Gassen, bis er schließlich ein Haus betritt, das leerzustehen scheint. Als sie aus dem Fenster eines leeren Zimmers im Obergeschoss blickt, spürt sie einen Schlag auf sich herabsausen …

Leonie erwacht in einem abgeschlossenen Zimmer und wartet, bis sie eine unsichtbare Stimme ihren Namen rufen hört: „Leonie, mein Liebling! Du Miststück!“ Ein Mädchen von etwa 16 Jahren bringt Essen und berichtet, der Kanarienvogel in seinem Käfig heiße ebenfalls Leonie. Das sind keine ermutigenden Nachrichten. Der Unsichtbare ist Gorn, der ihr wohlbekannte Meister der Verstellung, den sie aus England kennt. Er sollte eigentlich dafür hingerichtet werden, dass er ihre Eltern umgebracht hat.

Doch nun will er sie für sich, und er droht, ihren Verlobten Poe umzubringen …

_Mein Eindruck_

Der mittlere Teil der Handlung folgt erstaunlich getreu Poes literarischer Vorlage (siehe dazu [„Poes Meistererzähler“). 4832 Dies hat zwar seinen eigenen Charme und auch eine dramaturgische Funktion, aber eigentlich passiert ja nichts. Dieser Mittelteil könnte also relativ langweilig wirken. Doch erstens macht das Driften deutlich, dass Leonie inzwischen ziellos ist, zweitens Angst hat und drittens deshalb einem Lockvogel zum Opfer fällt, der ebenso wie sie zu sein scheint – ein verhängnisvoller Trugschluss.

Ganz nebenbei lernt der Hörer auch das Straßenleben einer amerikanischen Metropole kennen. Neben allerlei Fußgängern hören wir auch Droschken, eine Tram und sogar einen Omnibus rattern sowie eine Dampfeisenbahn mit Getöse abfahren. Neben anderen düsteren Orten landet Leonie auf ihrem Streifzug unter anderem in einer Opiumhöhle, wo sie versucht ist, sich einfach hinzulegen und auszuruhen.

Im dritten Teil der Handlung findet sich Leonie schließlich als Gefangene eines Unbekannten wieder, was sie natürlich ziemlich ängstigt. Doch nach einer Weile hat sie die Parameter ihrer Lage ziemlich gut erfasst und ihren Kidnapper als den alten Feind erkannt. Nun kann sie endlich handeln. Doch dafür muss sie selbst zu einer Verbrecherin werden. Keine leichte Wahl!

Auch wenn man kaum von einer Handlung reden kann, so hat mich diese Folge doch einigermaßen fasziniert. Sie ist in der ersten Hälfte voller Paranoia, doch die Raumangst der zweiten Hälfte mündet, wie so oft bei Leonie, in entschlossenes Handeln. Ihr Verbrechen ist dadurch gerechtfertigt, dass sie es begeht, um einen anderen Menschen vor dem Tod zu bewahren, nämlich ihren Verlobten, Mister Poe.

_Die Inszenierung_

|Die Sprecher:|

Miss Leonie Goron:

In der neuen Staffel tritt Iris Berben alias Leonie nicht mehr so energisch auf, sondern erscheint uns als mehrdimensionale Figur, die es zu ergründen gilt. Die weiteren Folgen legen ihre verborgenen Schichten offen und warten mit Überraschungen auf. Leonie hat uns (und Poe) beileibe nicht alles über sich erzählt. Zunehmend werden uns Einblicke in ihre Vergangenheit gewährt. Die Sprecherin stellt Leonie mit großem Einfühlungsvermögen dar, und das über die gesamte Episode hinweg. Das ist eine beeindruckende Leistung.

Dass sie ihre Leonie dabei in der ersten Hälfte als paranoid und gehetzt darstellt, liegt ausschließlich an der Handlung. Im letzten Viertel kehrt Leonie zu ihrer gewohnten Entschlossenheit zurück, ohne jedoch die Möglichkeit eines gegnerischen Angriffs auszuschließen. So bleibt die Spannung bis zuletzt erhalten.

Gorn:

Lutz Riedel ist es ein Leichtes, mit seiner tiefen Stimme einen Verbrecher wie Gorn entsprechend dämonisch darzustellen. Die Herausforderung besteht für ihn vielmehr darin, so freundlich zu tun, dass Leonie diesem Gorn, ihrem Kerkermeister, wieder vertraut. Als Gorn jedoch seine gewalttätige Seite aufblitzen lässt, verliert er dieses wieder. Schätzungsweise werden wir noch mehr von Mister Gorn hören.

|Geräusche|

Der Sound liegt im Format PCM-Stereo vor, wie mir mein DVD-Spieler angezeigt hat, und klingt glasklar. Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt.

Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet. Wie schon oben angedeutet, sind alle Gefährte der New Yorker Innenstadt zu hören. Ein Highlight ist sicherlich die Bahnhofszene mit der abfahrenden Dampflok. Ein weiterer Höhepunkt ist die Gestaltung der Opiumhöhle. Sie stützt sich jedoch stark auf die Musik, indem sie eine einlullende Flötenmelodie den Rauschzustand der Opiumraucher andeuten lässt.

|Musik|

Die Musik erhält eine wichtige Bedeutung: Sie hat die Aufgabe, die emotionale Lage der zwei Hauptfiguren und ihres jeweiligen Ambientes darzustellen. Diese untermalende Aufgabe dient diesmal mehr der Gestaltung der ganzen Episode, denn in der Umgebung der Opiumhöhle und des Gefängniszimmers ist die Ausarbeitung der beklemmenden Atmosphäre besonders wichtig, um die Aufmerksamkeit des Hörers zu fesseln und seine Emotionen zu steuern.

Die Emotionen der Hauptfigur werden relativ genau widergespiegelt. Doch statt der bekannten POE-Leitmotive muss der Komponist neue Elemente aufbieten, denn Leonie verfügt, so weit ich das erkennen konnte, über kein eigenes Leitmotiv. (Zeit dafür wäre es ja – nach 27 Episoden!) Die psychische und physische Qual in Leonies Kerker deutet ein völlig verstimmt klingendes Piano an.

Tiefe Bässe weisen auf sich nähernde Gefahr hin: Leonie fertigt ein Mordinstrument an. Die finale Actionszene wird musikalisch kaum entsprechend unterstützt, und die Nachwehen voll Anspannung sind mit einer tief gespielten Kirchenorgel unterlegt. Was dies ausdrücken soll, kann jeder für sich entscheiden.

Ein Streichquartett, Musiker des Filmorchesters Berlin sowie die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht.

|Der Song|

Der britische Schauspieler Christopher Lee singt „Elenore“, das schon auf der CD „Visionen“ zu finden ist. Hier liegt der EAP-Mix vor. Die Musik stammt wieder von Gaitte & Bertling, der deutsche Text von Marc Sieper. Sopran singen Rosemarie Arzt und Ricarda Lindner. Es spielt das Berliner Filmorchester unter der Leitung von Christian Hagitte.

Christopher Lee wurde am 27. Mai 1922 in London geboren. Seine Schauspielkarriere begann 1947. Den meisten dürfte der britische Schauspieler als Dracula bekannt sein, den Lee 1958 das erste Mal verkörperte und damit weltberühmt wurde. Noch vor seiner Zeit als Schauspieler war Lee in diversen Opernhäusern zu hören – er genoss eine Ausbildung als Opernsänger. Einige seiner aktuellsten Rollen sind die des Saruman in „Herr der Ringe“ und Count Dooku in „Star Wars“. Insgesamt wirkte Lee in über 250 Filmen mit.

Ich wusste auch nicht, wie toll Christopher Lee singen kann – bis ich seine Aufnahme auf der CD „Visionen“ hörte. Der Gesang ist klassisch, die Orchesterbegleitung ebenso, zwei Soprane begleiten den Meister, streckenweise im Duett. Er gibt die dramatische Ballade „Elenore“, in der um die verlorene Liebste geklagt wird, zum Besten, und zwar mit viel Gefühl und Sinn fürs Dramatische. Man stelle sich eine schmissige Arie aus einem bekannten Musical vor, z. B. „Elisabeth“ – so umwerfend gut kommt das rüber. Die vorliegende Fassung wurde neu gemischt, um zur Instrumentierung des Hörspiels zu passen.

_Unterm Strich_

Die Schatten der Vergangenheit holen Leonie Goron alias Sander endgültig ein. Ihr alter Widersacher aus England hat sie erwischt und gefangen gesetzt. Da er Poe bedroht, muss sie schleunigst ausbrechen, doch das ist leichter gesagt als getan. So kommt es zu einer finalen Actionszene. Bestimmender für diese Episode ist jedoch Leonies lange Irrfahrt durch die Innenstadt, die getreulich der Poe’schen Vorlage folgt. Über den Unterhaltungswert ließe sich trefflich streiten, aber ich fand diesen Teil unerlässlich, um Leonie und ihren Widersacher zu verstehen.

Die akustische Umsetzung ist vom Feinsten, und man merkt in jeder Szene, wie viel Sorgfalt die Mitwirkenden und Macher aufgewendet haben, um die Episode reizvoll und stimmungsvoll zu gestalten. Ein Highlight ist für mich zweifellos Christopher Lees Song, auch wenn dieser eher Musical-Freunde ansprechen dürfte.

Die Reihe wird mit „Der Kopf des Teufels“ fortgesetzt.

|Basierend auf: The Man of the Crowd, 1840/45
58 Minuten auf 1 CD|
http://www.poe.phantastische-hoerspiele.de
http://www.luebbe-audio.de

John Sinclair Classics – Der Albtraum-Friedhof (Folge 40)

Die Handlung:

Inmitten des Schwarzwalds nahe einem Friedhof liegt das Waldhotel König, in dem der deutsche BKA-Beamte Will Mallmann seinen Urlaub verbringt. Am Frühstückstisch begegnet er dem sonderbaren Archäologen Xaver Jurc, der in der Umgebung nach Zeugnissen der Etrusker sucht – und kurz darauf steigen die Toten aus ihren Gräbern!(Verlagsinfo)

Mein Eindruck:

Diesmal hat sich der Verlag an die Hörspielumsetzung des GESPENSTER-KRIMI-Heftromans mit der Nummer 176 gemacht, der erstmalig am 25. Januar 1977 am gut sortierten Bahnhofskiosk oder manchmal auch in einer Buchhandlung zu bekommen war. Das Titelbild des Hörspielcovers ist dabei eine Neuinterpretation der Thematik.

John Sinclair Classics – Der Albtraum-Friedhof (Folge 40) weiterlesen

Rebecca Gablé – Das Lächeln der Fortuna (Lesung)

Ein farbenprächtiger Gobelin des Mittelalters

Nach dem Tod seines Vaters, des wegen Hochverrats angeklagten Earl of Waringham, zählt der zwölfjährige Robin zu den Besitzlosen und ist der Willkür der Obrigkeit ausgesetzt. Besonders Mortimer, der Sohn des neuen Earl, schikaniert Robin, wo er kann. Zwischen den Jungen erwächst eine tödliche Feindschaft. Aber Robin geht seinen Weg, der ihn zurück in die Welt von Hof und Adel – an die Seite des charismatischen Duke of Lancaster – führt.

Doch das Rad der Fortuna dreht sich unaufhörlich, und während ein junger, unfähiger König England ins Verderben zu reißen droht, steht Robin plötzlich wieder seinem alten Todfeind gegenüber … (Verlagsinfo)

Die Autorin
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John Sinclair – Werwolf-Omen (Folge 139)

Die Handlung:

Mitten in der Nacht lief mir auf einer einsamen Landstraße das Mädchen Laura Ascot vor den Wagen – und flüchtete in die Dunkelheit! Sekunden später huschte an ihrer Stelle ein Wolf zwischen den hohen Gräsern der Böschung entlang. Ich folgte seiner Spur und geriet in einen Kampf, in dem sich Werwölfe und Vampire als erbarmungslose Gegner gegenüberstanden … (Verlagsinfo)

Mein Eindruck:

Diesmal hat sich der Verlag an die Hörspielumsetzung des Heftromans mit der Nummer
372 gemacht, das erstmalig am 19. August 1985 am gut sortierten Bahnhofskiosk oder manchmal auch in einer Buchhandlung zu bekommen war.

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King, Stephen – Brennen muss Salem (Lesung)

_Anti-Dracula: Vampire in Neuengland_

Ben Mears, ein mittelmäßiger Schriftsteller, kehrt nach Jahren in seine Heimatstadt Salem’s Lot zurück. Er interessiert sich auffällig für das Marstenhaus, das als Spukhaus gilt und seit dem rätselhaften Tod seiner Bewohner im Jahr 1939 leer steht. Von diesem Haus geht eine unheimliche Kraft aus, und bald zeigt sich, wer in Salem’s Lot sein Unwesen treibt: ein Vampir. Ben Mears wagt es mit einigen Helfern, darunter einem alten Mann, einer jungen Frau und einem Jungen, den Kampf gegen die Macht des Bösen aufzunehmen. Doch dieses Wagnis kostet furchtbare Opfer …

Der Roman ist die amerikanische Antwort auf Bram Stokers Klassiker [„Dracula“. 3489

_Der Autor_

Stephen King, geboren 1947 in Portland, Maine, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Schon als Student veröffentlichte er Kurzgeschichten, sein erster Romanerfolg, „Carrie“ (verfilmt), erlaubte ihm, sich nur noch dem Schreiben zu widmen. Seitdem hat er weltweit 400 Millionen Büchern in mehr als 40 Sprachen verkauft. Im November 2003 erhielt er den Sonderpreis der |National Book Foundation| für sein Lebenswerk. (Verlagsinfo) Er lebt in Bangor, Maine, und Florida. Seine Erstleserin ist immer noch seine Frau und Schriftstellerkollegin Tabitha King. Inzwischen schreibt auch sein Sohn Joe Hill erfolgreich: „Blind“ ist bei |Heyne| erschienen.

Sein Hauptwerk, das zeigt sich immer deutlicher, ist der Zyklus um den dunklen Turm. Er besteht aus folgenden Bänden:

„Schwarz“ (ab 1978); „Drei“; „Tot“; „Glas“; „Wolfsmond“; „Susannah“; „Der Turm“ (2005).

_Stephen King bei |Buchwurm.info|_ (Auswahl):

[„Brennen muss Salem – Illustrierte Fassung“ 3027
[„Briefe aus Jerusalem“ 3714 (Audio)
[„Friedhof der Kuscheltiere“ 3007 (Audio)
[„Puls“ 2383
[„Trucks“ 2327 (Audio)
[„Colorado Kid“ 2090
[„The Green Mile“ 1857 (Audio)
[„Das Leben und das Schreiben“ 1655
[„Atemtechnik“ 1618 (Audio)
[„Todesmarsch“ 908
[„Der Turm“ 822 (Der Dunkle Turm VII)
[„Der Sturm des Jahrhunderts“ 535
[„Tommyknockers – Das Monstrum “ 461
[„Achterbahn“ 460
[„Danse Macabre – Die Welt des Horrors“ 454
[„Christine“ 453
[„Der Buick“ 438
[„Atlantis“ 322
[„Das Mädchen“ 115
[„Im Kabinett des Todes“ 85
[„Duddits – Dreamcatcher“ 45

_Der Sprecher_

Jürgen Kluckert hat an der Schauspielschule „Ernst Busch“ studiert und spielte Rollen im „Tatort“, bei „SOKO“ und „Liebling Kreuzberg“. Auch am Theater und als Synchronstimme, u. a. von Morgan Freeman, Nick Nolte, Robbie Coltrane und Chuck Norris, wurde er bekannt. 1994 übernahm er die Synchronisation von Benjamin Blümchen.

Kluckert liest die ungekürzte Romanfassung der Übersetzung von 1995. Die Aufnahme erfolgte in den dc-Tonstudios, NRW-Berlin, unter der Regie von Kati Schaefer. Die Musik stammt von Dennis Kassel und Dicky Hank, die Aufnahmeleitung oblag Klaus Trapp.

_Handlung_

Als Ben Mears in sein Heimatstädtchen Jerusalem’s Lot zurückkehrt, lernt er die junge Frau Susan Porter kennen. Sie wiederum erkennt den Autor vom Umschlag seiner Bücher wieder, die sie in der Ortsbücherei ausgeliehen hat. Was er ihr verschweigt: Eigentlich wollte er es in der Großstadt zu etwas bringen, aber der Tod seiner Frau Miranda bei einem Motorradunglück hat ihn aus der Bahn geworfen.

Nun will er sich den Dämonen seiner Vergangenheit stellen und ein neues Buch darüber schreiben. Erst wenn er wieder mit sich im Reinen ist, so hofft er, kann er einen Neuanfang wagen. Und für diesen Exorzismus muss er noch einmal in das Marstenhaus zurück. Dieser alte Kasten thront auf einem Hügel über der Stadt wie ein dunkler Gott. Als er einmal bei einer Mutprobe in das Haus ging, stieß er auf die von der Decke baumelnde Leiche des bereits 1939 gestorbenen Besitzers Hubert Marsten. Er hatte sich erhängt, nachdem er seine Frau erschossen hatte. Hatte sich Ben dieses Erlebnis nur eingebildet oder war es real? Um dies herauszufinden, muss Ben noch einmal in das verfluchte Haus gehen. Da sieht er zu seinem Erstaunen ein Auto davor stehen.

Beim lokalen Immobilienmakler will er das Haus mieten, muss jedoch erfahren, dass es bereits verkauft wurde, an einen Mann namens Straker und seinen Partner, einen gewissen Mr. Barlow. Straker eröffnet einen Antiquitätenladen in der Hauptstraße. Ben ist enttäuscht, doch die freundliche Zuneigung Susans muntert ihn wieder auf. Sie stellt ihn ihren Eltern vor, doch die sind überrascht. Ist Susan denn nicht mehr die Verlobte von Floyd Tibbits? Susan sagt nein, doch Floyd scheint noch nichts davon zu wissen. Das dürfte Ärger geben, und Susans Mutter lehnt Ben, diesen „windigen Schreiberling anrüchiger Romane“, von vornherein ab.

Noch ahnt keiner außer einem Totengräber, dass ein Hund tot aufgefunden wurde. Er wurde an das schmiedeeiserne Tor des Friedhofs gehängt. In der folgenden Nacht wird einer der beiden Jungen der Glicks vermisst. Ralph war mit seinem Bruder Danny auf dem Weg durch den Wald, um Mark Petries Monstersammlung zu bewundern, als etwas im Wald sie angriff. Aber was war es? Als Danny ohne seinen Bruder wieder auftaucht, ist er schwer verletzt und steht unter Schock.

Ben Mears beteiligt sich sofort an der Suche nach Ralph, die jedoch ergebnislos verläuft. Der Arzt Jimmy Cody stellt bei Danny Glick mit Verwunderung hochgradige Anämie fest und bemerkt die kleinen Bisswunden an Dannys Hals nicht. Vielleicht hält er sie für Abschürfungen. Am nächsten Tag muss er bestürzt Dannys Tod feststellen. Als Ben davon erfährt, kommt ihm die Häufung dieser Fälle, die noch nicht als Verbrechen erkennbar sind, als nicht ganz zufällig vor. Er bringt sie gefühlsmäßig in Zusammenhang mit dem Auftauchen von Straker und Barlow im Marstenhaus. Da liegt er goldrichtig.

Noch ahnen er und Susan nichts von der wahren Natur der Gefahr, doch der Schatten des Verhängnisses macht sich bemerkbar, als der Totengräber, der den Hund fand, Danny Glicks Sarg öffnet und die Leiche darin die Augen aufschlägt und ihn hypnotisiert. Den Biss in den Hals spürt Mike Ryerson kaum noch …

_Mein Eindruck_

Anders als sein Romandebüt „Carrie“ erreicht Kings Vampirroman „Brennen muss Salem“ (1975) ein klassisches Niveau, auf dem es seine Aufgabe als moderne, amerikanische Antwort auf Stokers „Dracula“ (1897) erfüllen kann. Selbstredend kannte King das britische Vorbild und hat es immer wieder gelesen, wie er im Vorwort zur Ausgabe von 1999 schreibt. Kings Roman beschreibt das gleiche Gefühl einer Invasion durch etwas Falsches, zieht die Geschichte aber völlig anders auf.

|Anti-Dracula|

Während Stoker seinen Grafen die Invasion Britanniens aus den Gräbern heraus vorantreiben lässt, quasi als Rache der Toten, so beginnt Kings Roman völlig im Normalen, nämlich in der typischen neuenglischen Kleinstadt – mit einem Unterschied: Das Marsten-Haus ist wieder bewohnt. Die Invasion hat bereits begonnen, doch es vergeht mindestens ein Drittel des Buches, bis sie als solche erahnt, benannt, erörtert wird, und noch einmal ein Drittel, bis sie auch bekämpft wird. Denn es kann nicht sein, was nicht sein darf, zumal in der Kleinstadt, wo jeder jeden kennt.

Lieber halten sich die Einwohner an den zurückgekehrten Neuling Ben Mears und nennen ihn einen Eindringling, der weiß Gott was im Schilde führt. Man bekämpft lieber den Teufel, den man kennt (pfui, ein Schriftsteller!) als einen Teufel, von dem man noch gar nicht zugeben will, dass er vielleicht existieren könnte. Bis es dann schließlich zu spät ist.

|Invasion|

Die perfide Invasion geht mit überraschender Leichtigkeit vonstatten. Zum einen hat der Tod keine Macht mehr über die vom Obervampir infizierten Opfer. Diese wiederum infizieren ihre Nächsten: Freunde, Eltern, Geschwister, Geliebte. Die Invasion weist die Charakteristika einer Epidemie auf. Doch die Überträger müssen, ähnlich wie Elfen und anderes Zaubervolk, willkommen geheißen und ins Haus gebeten werden. Das setzt die Bekanntheit, ja Vertrautheit mit dem Überträger voraus. Auf diesem Infektionsweg ist es gerade die private und intime Mitmenschlichkeit, die den Opfern den Garaus macht und schließlich zum Untergang der Stadt führt. (Auch „The Stand – Das letzte Gefecht“ beginnt mit einer Seuche …) Auch Ben Mears wird dadurch zur Zielscheibe.

Ben Mears blickt schon frühzeitig durch, weil in ihm das Misstrauen gegen das Marsten-Haus tief sitzt: Er hat dort einmal ein Horrorerlebnis gehabt, als er noch ein Junge war. Aber er weiß auch aus seiner Lektüre, was ein Vampir ist, was er tut und womit man ihn bekämpft. In diesem Wissen wird er durch den Lehrer und durch den Pfarrer unterstützt. Nur das richtige Wissen über den Feind kann zum Sieg über ihn führen, das wusste schon Sun Tzu im alten China. Allerdings gibt es etwas, was Ben Mears und seine Mitstreiter brauchen, das ihnen in ganz Neuengland nur eine einzige Institution geben kann: die katholische Kirche.

|Segen von oben|

Diese Bedingung kam für mich doch etwas überraschend. In „Dracula“ begnügen sich die wackeren Vampirjäger um Prof. Van Helsing mit Eichenpflöcken, silbernen Kruzifixen und allerlei frommen Sprüchen, aber keiner braucht den Segen der Mutter Kirche. Ganz anders in Salem’s Lot: Hier müssen die Vampirjäger – Mears, Cody, Mark Petrie – in Pater Callahans Kirche erst die Beichte ablegen und um Vergebung ihrer Sünden bitten, bevor der Pater sie segnen kann und ihnen Weihwasser etc. mitgibt.

Was hat dies zu bedeuten? Nun, ganz offensichtlich geht es darum, einen Exorzismus auszuführen, und den kann man nicht erfolgreich durchziehen, wenn das eigene Gewissen nicht absolut rein und gesegnet ist. Denn die schwarzen Flecken auf der Seele würde der Widersacher als Erstes aufs Korn nehmen, in der Erwartung, dass sich sein Opfer vor Schuldgefühlen windet, wodurch es eine leichte Zielscheibe wird. Der Widersacher, in diesem Falle Barlow, ist ein uraltes Wesen aus den Tiefen der Zeit und nimmt keine Rücksicht auf irgendwelche amerikanischen Gernegroß-Vampirjäger. Es erlebt jedoch eine Überraschung nach der anderen. Katholisch gesegnete Amerikaner haben eben doch einiges an Artillerie vorzuweisen …

|Exorzist|

Man sollte bedenken, dass nur fünf Jahre vor „Brennen muss Salem“ „Der Exorzist“ veröffentlicht wurde und dessen Verfilmung durch William Friedkin alle Besucherrekorde schlug. Von diesem Film könnte sich King ein paar Tipps hinsichtlich eines ordentlichen Exorzismus‘ abgeschaut haben. Und wie dort muss auch in „Brennen muss Salem“ der Priester einen hohen Preis bezahlen.

|Bewährtes Muster|

An diesem frühen Roman lässt sich schon das Strickmuster vieler späterer Bestseller Kings ablesen, wie etwa „Tommyknockers“ und „ES“. Es ist die detailliert geschilderte Kleinstadt mit ihrem engmaschigen Netz aus Beziehungen und Abhängigkeiten, die der Autor einer plötzlichen, fremdartigen Bedrohung aussetzt. Das Übernatürliche wird häufig mit einem bestimmten Ort, etwa wie in „das Haus Usher“, verbunden und lässt sich dort am besten bekämpfen. Die Kämpfer sind ganz unterschiedlich, ebenso wie ihre Methoden und ihr Glaubenssystem. Denn ohne Glaube, Liebe und Hoffnung – in dieser Dreieinigkeit – ist der Kampf von vornherein verloren.

|Der Sprecher|

Tobias Kluckert ist ein vielseitiger und sehr erfahrener Sprecher, der Morgan Freeman, Chuck Norris und Nick Nolte seine Stimme geliehen hat. Insbesondere Freeman und Nolte sind mir als Charakterdarsteller bekannt, und besonders Freeman ist eine hohe Integrität zu eigen. Diese Integrität kommt wiederum dem Erzähler der Geschichte von Salem’s Lot zugute, denn sie verleiht ihm eine Glaubwürdigkeit und Autorität, die für die Präsentation eines so ungeheuren Geschehens wie dem Kampf gegen einen uralten Vampir notwendig ist.

Kluckert gelingt es, die Emotionalität einer Szene ebenso wiederzugeben wie eine Figur genau zu charakterisieren. Sein Sheriff Gillespie spricht behäbig und sehr tief, ganz im Gegensatz zu dem agilen Ben Mears. Die Frauenfiguren wie Susan und Ann Porter haben allgemein eine höhere Tonlage und eine sanftere Sprechweise, genau wie Mark Petrie, der ja erst zwölf Jahre ist. Im finalen Showdown muss Mark unglaublich mutige (oder verzweifelte) Taten vollbringen, und wenn er mal spricht, klingt er häufig ängstlich und leise.

Man darf nun aber nicht meinen, dass alle Figuren leise reden, im Gegenteil. Bens Konfrontation mit dem Vampir ist recht lautstark, und die entsprechenden Rufe der beiden Kontrahenten lässt der Sprecher klar und deutlich aus den Lautsprecherboxen klingen. (Natürlich nicht so laut, dass das Trommelfell des Hörers geschädigt wird.)

Nur mit Kluckerts Aussprache mancher amerikanischer Namen bin ich nicht ganz einverstanden. Er spricht den Namen des Polizisten Parker Gillespie [gilspi] statt wie üblich [gi’léspi] aus, analog zu dem Namen des bekannten Jazzmusikers. Den Namen der Familie Dougall hätte ich [du:gl] statt [dagl] ausgesprochen, in der Hoffnung, dass mir ein nativer Sprecher Recht gibt. Aber dies sind offensichtlich Einzelfälle, über die es sich nicht zu streiten lohnt.

Geräusche hat die Lesung nicht vorzuweisen, und auch keine Hintergrundmusik, dafür jedoch ein In- und ein Outro, das dem düsteren Thema der Geschichte angemessen ist.

_Die Übersetzung_

… stammt von Peter Robert und ist die erste vollständige deutsche Version des Originals. Zuvor veröffentlichten der |Zsolnay|- (Hardcover) und der |Heyne|-Verlag (Taschenbuch) eine gekürzte Übersetzung, die Ilse Winger und Christoph Wagner im Jahr 1979 angefertigt hatten. Ich habe diese alte Version mit dem Original verglichen und zahlreiche Kürzungen vorgefunden, so dass diese Fassung in keiner Weise den Absichten des Autors entsprochen haben dürfte.

Erst Peter Robert hat eine gültige Übertragung angefertigt. Zum Glück folgt die Lesung Kluckerts dieser Fassung. Die enthält sämtliche Motti, darunter zahlreiche Gedichte des griechischen Lyrikers Georgios Seferis (dessen Namen Kluckert sogar korrekt ausspricht!), aber auch ein in den USA bekanntes Gedicht von Wallace Stevens. Dessen Titel „The emperor of ice cream“ leiht dem mittleren Teil des Roman seinen Titel.

In solchen Motti macht sich bemerkbar, dass King kein Groschenschreiberling ist, sondern ein gebildeter Englischlehrer, der erzählen kann. Den Ritterschlag zum ernsthaften Schriftsteller erhielt er erst vor wenigen Jahren – was sofort einen Aufschrei empörter Kritiker zur Folge hatte.

|Statt eines Booklets|

… sind die Hüllen der CDs mit Informationen bedruckt, die über die Biografie des Autors, sein Werk und über den Sprecher eingehend Auskunft geben. Selbst ein King-Fan findet in dieser Biografie noch interessante Details, so etwa die, dass er seinen verfilmten Bestseller „Carrie“ (1974) bereits in die Mülltonne geworfen hatte, weil er das Manuskript zu schlecht fand, bevor seine Frau Tabitha es wieder herausfischte und ihn dazu brachte, das Buch weiterzuschreiben. Für die Filmrechte bekam King seinen ersten dicken Scheck: 400.000 Dollar …

_Unterm Strich_

„Brennen muss Salem“ wurde 1979 fürs Fernsehen verfilmt, der Streifen wird aber nur selten gezeigt. Das liegt sicherlich zum einen daran, dass das Thema Vampire von King nicht gerade originell behandelt wurde, aber auch daran, dass die Darstellung unbedingt die breite Leinwand des Romans benötigt, um funktionieren zu können.

Erst durchs literarische Erzählen vieler winziger Details und der Überlagerung von Erzählsträngen und Zeitebenen macht der Roman dem Leser sinnfällig, dass die neuen Besitzer des Marstenhauses keine gewöhnlichen Besucher sind, sondern innerhalb der räumlichen und zeitlichen Existenz der Stadt Jerusalem’s Lot eine Anomalie und Invasion darstellen, die ihr Fortbestehen bedroht.

Doch so wie sich ein Organismus gegen eine Infektion wehren muss, so gibt es auch in Jerusalem’s Lot Elemente, die die Invasion der Vampire bekämpfen, solche, die sich ihr beugen, und solche, die keine Ahnung haben. Natürlich gibt es auch feindliche Übernahmen, so etwa im Fall von Susan Porter. Wenn sie ihren Geliebten Ben Mears in die Reihen der Vampire einreihen möchte, so kommt es zu einem tiefgreifenden emotionalen Konflikt seitens Ben. Er muss sich fragen, was der Untod für ihn bedeuten würde – ewiges Leben an Susans Seite und / oder ewige Verdammnis? Was würde der echte Tod für Susan bedeuten – ewiges Nichtleben, aber dafür Erlösung?

Der Showdown zwischen Ben und dem Obervampir läuft in mittlerweile klassisch gewordener Manier ab, aber nicht ganz so, wie man es aus „Dracula“ kennt. Die ungekürzte Version, die hier wiedergegeben wird, enthält einen zusammengehörigen Pro- und einen Epilog, der die Hauptgeschichte wie einen Rahmen umgibt und das weitere Schicksal Ben Mears‘ und Mark Petries in knappen Worten erzählt.

|Das Hörbuch|

Tobias Kluckert ist als deutsche Stimme von Morgan Freeman und anderen jedem Filmfreund ein Begriff, zumindest in akustischer Hinsicht, und kann seine Stimme mit Integrität und Autorität, aber auch Warmherzigkeit verbinden. Diese seltene Kombination kommt der Präsentation eines so ungeheuren Geschehens wie einer Vampirinvasion sehr zugute. Kluckert kann nicht nur ruhig erzählen, sondern auch Figuren individuell gestalten und Szenen mit einer angemessenen Stimmung schildern. Nur mit seiner Aussprache von zwei amerikanischen Namen bin ich nicht ganz einverstanden.

Fazit: Volle Punktwertung für diese Produktion.

|Originaltitel: Salem’s Lot, 1975
Aus dem US-Englischen übersetzt von Peter Robert
1237 Minuten auf 17 CDs|
http://www.luebbe-audio.de

Lehane, Dennis – Shutter Island (Lesung)

_Ermittlung in der Irrenanstalt: Fall mit doppeltem Boden_

Im Sommer 1954 wird US-Marshall Teddy Daniels nach Shutter Island zum Ashcliffe Hospital für geisteskranke Verbrecher gerufen. Es soll eine angeblich geflohene Mörderin aufspüren. Doch bald erweist sich die Insel als gefährlicher Albtraum. Wird er sie überhaupt je wieder verlassen? (Verlagsinfo)

Der Psychothriller wurde von Martin Scorsese mit Leonardo DiCaprio und Ben Kingsley in den Hauptrollen verfilmt.

_Der Autor_

Seit 1994 veröffentlicht der Bostoner Autor einen exzellenten Krimi nach dem anderen. „Streng vertraulich!“ war sein erster und wurde gleich mit dem Shamus Award ausgezeichnet. „Mystic River“ von 2003 wurde oscargekrönt von Clint Eastwood verfilmt. In seinen Romanen verarbeitet Lehane u. a. seine Erlebnisse mit geistig behinderten und sexuell missbrauchten Kindern. Alle deutschen Übersetzungen erscheinen bei Ullstein und werden von Andrea Fischer besorgt.

|Dennis Lehane bei Buchwurm.info:|

[Kein Kinderspiel 1433
[Regenzauber 1346
[Mystic River 1340
[Shutter Island 1150
[Streng vertraulich 1435
[In tiefer Trauer 1436

_Der Sprecher_

Oliver Rohrbeck, geboren 1965 in Berlin, ist Schauspieler und Synchronsprecher. Er ist bekannt für seine Sprechrolle als Justus Jonas in der Hörspielserie „Die drei Fragezeichen“. Als Sprecher synchronisierte er Hauptrollen in vielen Filmen und ist die deutsche Stimmbandvertretung von Ben Stiller.

Rohrbeck liest eine von Frank Gustavus gekürzte Fassung. Regie führte Tanja Fornaro, die Herstellungsleitung hatten Christian Neumann und Monja Ecker inne.

_Handlung_

Shutter Island liegt im Außenhafengebiet von Boston, Massachusetts. Die Insel hat eine bewegte Geschichte hinter sich, so etwa dass Piraten hier ihr Gold gehortet hätten, bis das Militär sie vertrieb und eine Festung samt Leuchtturm baute. Nachden Militärs kamen jedoch die Ärzte: Ashcliffe Hospital ist eine Klinik für geistesgestörte Schwerverbrecher, die in drei Blöcken untergebracht ist. Es ist eine Einrichtung der Bundesregierung, und deshalb sind auch Bundes-Marshals Edward Daniels und Chuck All hingeschickt worden.

Marshal Teddy Daniels ist hier in der Gegend aufgewachsen, sein Vater war ein Fischer, der 1938 auf See an Bord eines Walfängers unterging. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte Teddy gegen die Deutschen, von der Landung in der Normandie bis in die Ardennen, der letzten westlichen Offensive der Wehrmacht. Nach dem Krieg lernte er seine Frau Dolores kennen und verliebte sich total in sie. Vor zwei Jahren ist sie beim Brand ihres Mietshauses ums Leben gekommen, doch den Brand legte der Hausmeister, ein gewisser Andrew Ladis. Ladis soll sich hier auf Shutter Island befinden, aber das ist natürlich nicht der offizielle Grund für Teddys Dienstfahrt. Die Vorgesetzten könnten sonst meinen, Teddy wolle sich an Ladis rächen.

Nein, der offizielle Grund, mit der Fähre zur Insel rauszufahren, ist die Flucht einer gewissen Rachel Solando, Patientin des Hospitals und Mörderin ihrer drei Kinder. Dr. Macpherson, der stellvertretende Anstaltsleiter, begrüßt die Marshals und bittet sie, ihre Dienstwaffen abzugeben. Sie tun dies nur unter Protest, der zu Protokoll genommen wird. Der Anstaltsleiter Cawley, ein Psychiater, erklärt ihnen, dass keiner wisse, wie die Patientin entkommen konnte. Oberpfleger Ganton, ein Schwarzer, habe sie ordnungsgemäß als Letzter eingeschlossen. Dennoch ist sie verschwunden – an vier wachhabenden Pflegern vorbei, und noch dazu barfuß. Doch als die Marshals um die Akten der Mitarbeiter bitten, werden diese ebenso verweigert wie die der Patienten. Cawley behauptet, er benötige dafür die Erlaubnis des Kuratoriums, das die Anstalt finanziert.

Die Suche im Hinterland verläuft erfolglos, Teddy bemerkt jedoch die Höhlen in den Klippen und den ehemaligen Leuchtturm. Der werde nun zur Abwasseraufbereitung verwendet, sagt man ihm. Er glaubt es nicht. Er glaubt vieles nicht, was man ihm hier erzählt. So etwa, dass die Strömung im Meer zu stark sei, um darin bis zur nächsten Insel schwimmen zu können. Nur die Ratten, die überall auf den Felsen zu sehen sind, die sind unwiderlegbar. Ein schwerer Sturm ist im Anzug. Wie Teddy erfährt, ist einer der Ärzte, ein gewisser Sheehan, mit der Fähre, auf der er kam, abgereist, um Urlaub zu machen. Ausgerechnet der Mann, der Rachel therapierte, ist also unerreichbar – na prächtig.

Die Vernehmung der Pfleger und der Patienten, die bei der letzten Gruppensitzung Rachels dabei waren, ergibt sehr wenig. Aber eine der Patientinnen, eine vernünftig redende Blondine, schreibt in Teddys Notizbuch: „Lauf!“ Nach dem Abendessen und einem Pokerspiel um Zigaretten gehen Teddy und Chuck zu Bett. In der Nacht träumt Teddy ungewöhnlich lebhaft von seiner Frau Dolores, die ihn der Lieblosigkeit und des Alkoholismus anklagt. „Zähl die Betten! Rachel ist hier!“ Als er den Zettel, den er in Rachels Zelle fand, entschlüsselt, wird ihm einiges klar: Es ist ein einfacher Zahlen-und-Buchstaben-Code, der Rachel Solandos Namen ergibt. Aber was bedeutet die Zahl 67? Auch Chefarzt Cawley weiß es nicht. Zum ersten Mal kommt Teddy der Verdacht, Rachel habe ihn hergelockt. Aber wozu? Teddy plagen Kopfschmerzen und er verrät Chuck die Sache mit Ladis, wegen der er sich um diesen Auftrag bemüht hat.

Inzwischen hat der Sturm die Insel erreicht. Chuck und Teddy finden in einem Mausoleum des Friedhofs Schutz vor stürzenden Bäumen und heulendem Wind. Mit einer Fähre ist jetzt garantiert nicht zu rechnen, sie sitzen hier fest. Das Ashcliffe Hospital ist keine Behandlungsklinik, sondern ein Forschungszentrum, das vom Komitee gegen unamerikanische Umtriebe finanziert wird, weiß Chuck. Aber was wird hier eigentlich erforscht? Vielleicht gibt die Station C darüber Aufschluss, doch Station C, untergebracht in der alten Festung, ist selbst für U.S. Marshals tabu.

Jedenfalls so lange, bis ihnen der Hurrikan dort Tür und Tor öffnet …

_Mein Eindruck_

„Shutter Island“ ist ebenso Thriller wie Psychodrama, und als solches stellt er die ganze Vorstellung, die sich der Leser bzw. Hörer von der Handlung macht, auf raffinierte Weise auf den Kopf. Zunächst betrachtet Teddy die Anstalt mit den Augen eines unter Verfolgungswahn Leidenden: Alle sind seine Feinde, insbesondere die Ärzte. Nach dem besuch in Station C stellt er sich ein stalinistisches Lager von Gehirnwäschern vor, das von Ex-Nazis geleitet wird. Aber ist das wirklich so, müssen wir uns fragen.

Teddy, unser Gewährsmann, hat die gelben Pillen von Dr. Cawley geschluckt, obwohl ihn seine innere Stimme (ganz besonders Dolorores) eindringlich davor gewarnt hat. Doch die Schmerzen der Migräne waren zu stark, und er schluckte die Pillen. Die Schmerzen sind vier Stunden später zwar weg, aber ist das, was er nun erlebt, auch wirklich – oder entspringt es nur seiner Einbildung? Mich erinnert dieser Plot sehr an einen der radikaleren Romane von Philip K. Dick, etwa an „Ubik“.

Nachdem Chuck für ihn das Einlieferungsformular für Andrew Ladis in Station C gefunden hat, hat Teddy die Handhabe, das Hospital schließen zu lassen und damit die Karrieren einer Menge verdienter Ärzte zu beenden, allen voran die von Dr. Cawley. Teddy erscheint es darum völlig logisch, dass die Anstaltsleitung alle Heben in Bewegung setzt, um ihn, Teddy, daran zu hindern, die Insel mit diesem brisanten Beweisstück zu verlassen. Sogar ein Ablenkungsmanöver wie die Sprengung von Dr. Cawleys geliebtem Oldtimer kann die Wachen nicht genügend abhalten, um die Fähre, die nun endlich eingetroffen ist, unbewacht zu lassen.

Teddy hat in den Höhlen, die er in den Klippen entdeckte, eine Frau getroffen. Da sie ein Skalpell trägt, muss sie entweder Patientin oder Ärztin sein. Er ist überzeugt, die echte Rachel Solando vor sich zu haben. Sie sagt, sie habe gegen die Methoden der Anstaltsleiter protestiert, doch vergeblich, und man habe sie zur Patientin degradiert. Denn es sei absolut unmöglich für einen, der zum Wahnsinnigen erklärt worden sei, seine Unschuld zu beweisen. Es ist ein Catch-22: Alles, was er argumentiert, wird als Beweis für seinen Wahnsinn aufgefasst.

Folglich gibt es kein Entkommen, auch nicht für Teddy Daniels. Teddy braucht Dr. Cawley nur zu sagen, er habe einen Kollegen namens Chuck All und – zack! – reif für die Klappsmühle. Denn Teddy glaubt doch nicht etwa, dass dieser Kollege, mit dem er noch nie zusammengearbeitet hat, echt ist, oder? Ob Teddy das Nervengift, das man ihm in Kaffee und Zigaretten verabreicht habe, schon spüre?

In einem Klima der wachsenden Paranoia muss Teddy alle seine Annahmen überprüfen – und wir ebenfalls. Um nicht alles zu verraten, sei nur gesagt, dass die Codes, die Rachel angeblich hinterlassen hat, wichtige Hinweise sind, auf das, was wirklich vorgeht. Es wird noch einige Überraschungen geben. Ich kann mir Leonardo DiCaprio in der Rolle des Teddy Daniels sehr gut vorstellen: ein Mann, der zunächst absolut integer erscheint, und sich dann doch als das Gegenteil erweist.

_Der Sprecher_

Oliver Rohrbeck, die deutsche Stimme von Ben Stiller, hat bereits in den Lesungen von Garth Nix’ siebenteiliger Fantasyreihe „Die Schlüssel des Königreichs“ seine sprecherischen Qualitäten und seine Vielseitigkeit unter Beweis gestellt. Ich hielt seinen Stimmumfang bislang für begrenzt, aber das hat sich jetzt geändert. Es gelingt ihm in „Shutter Island“ mühelos, die zahlreichen weiblichen Stimmen darzustellen. Insbesondere Dolores, Teddys verstorbene Frau, spielt eine ganz zentrale Rolle – als Stimme seines Gewissens, als Figur in seinen Träumen und als Hauptfigur in seinem finalen Erleben. Sie wirkt an keiner Stelle lächerlich: So könnte eine weibliche Stimme, die verführen soll, wirklich klingen. Natürlich gibt es auch vernünftig klingende Frauen wie Bridget Kearns, oder alte Schachteln wie die Moonpie-Lady, die eher krächzt als trällert.

Die Stimmen der männlichen Figuren sind eindeutig zu unterscheiden und charakterisieren die jeweilige Figur. Dr. Naring, der Kuratoiumsvorsitzende mit dem deutschen Namen (ein verkappter Nazi etwa?), klingt so zwielichtig böse, dass man Teddys Abneigung mühelos nachvollziehen kann. Dr. Cawley – im Film gespielt von Ben Kingsley – ist ebenso zwielichtig, einerseits scharfsichtig als Psychiater, andererseits fähig zu jeglicher Hinterlist, denkt Teddy. Und dann der Direktor erst: ein Bursche mit babyblauen Augen, der über die Notwendigkeit der Gewalt im Plan Gottes daherphilosophiert. Da schaudert es den Hörer unweigerlich.

Die wichtigsten Männerfiguren sind Teddy und Chuck. Chuck ist stets der coole Kumpel, mit dem man Pferde stehlen könnte, aber allmählich erscheint er in einem anderen Licht. Teddy klingt anfangs ganz normal, aber seine Stimme verändert sich je nach Situation und Emotion. Ganz hervorragend wechselt der Sprecher im finalen Showdown Teddys stimmlichen Ausdruck, von Selbstsicherheit und überlegenem Zweifel hin zu Selbstzweifel und Selbsthinterfragung. Bis in einem langen Monolog, der in einer traumhaft gehobenen Stimmlage vorgetragen wird (man denke an Hamlet oder Leopold Bloom in „Ulysses“), das Grauen langsam in Teddys Stimme schleicht, und aus Grauen Wahnsinn wird. Klasse!

Ich konnte keinerlei Aussprachefehler erlauschen.

|Musik|

Da es weder Musik noch Geräusche auf der Aufnahme gibt, brauche ich darüber kein Wort zu verlieren.

_Unterm Strich_

Der Thriller bleibt auf vier Fünfteln der Strecke absolut spannend und wird zunehmend beklemmend. Doch das letzte Fünftel ist nicht mehr Thriller, sondern pures Psychodrama. Das erweist sich aber auch als notwendig, um die Welt, die wir hier durch Teddys Augen gesehen haben, komplett auf den Kopf zu stellen. Die Werte von Gut und Böse, von Heiler, Opfer, Verfolger, Strafe und Erlösung verkehren und relativieren sich. Das Finale ist erschütternd, indem es Einblick in echten Wahnsinn gewährt. Der Schluss jedoch ist wieder auf ironsiche Weise witzig, nach dem Motto: Wir sind zwar die Irren, aber es wäre doch gelacht, wenn wir nicht aus dieser Anstalt rauskämen.

Die Aussage des Buches ist deutlich, und doch spannend verpackt. Dass sich die Geschichte obendrein in einer Ära der Kommunistenhatz und Paranoia zugetragen haben soll, wirft ein Licht auf jene Zeit. Ganz nebenbei kommentiert der Autor eine Wende in der Psychiatrie, weg von der Gesprächstheorie, die dem Patienten eine Chance lässt, hin zum Einsatz von Psychopharmaka, die der Patient schlucken muss, will er nicht der Lobotomie entgehen, der „Hirnamputation“.

Das klingt ziemlich grimmig, und wenn man die Hintergrundgeschichte mit Dolores und Teddy erfährt, dann wird sie auch erschütternd. Das man sie nun verfilmt hat, spricht aber dafür, dass die Geschichte ernstzunehmen ist. Sie ist kein Effekt heischendes Hirngespinst, sondern ein Kommentar auf den Zusammenhang zwischen Verbrechen, Gewalt und Wahnsinn , nicht nur bei Männern, sondern auch bei Frauen.

|Das Hörbuch|

Eigentlich hätte ich einen Sprecher mit einer tieferen, sonoren Stimmlage für einen so grimmigen Stoff erwartet, beispielsweise Wolfgang Pampel. Aber Oliver Rohrbeck macht seine Sache sehr gut, indem er sich als flexibler und feinfühliger Handhaber von Stimmlagen, Klangfärbungen und emotionalem Ausdruck erweist. Er kann die Figuren zwar nicht hundertprozentig zum Leben erwecken, aber er kann wenigstens hinter ihnen verschwinden, und das gelingt auch nicht jedem Sprecher. Um die Lesung zu einem Fünf-Sterne-Erlebnis zu machen, hat mir die entsprechende Musik gefehlt. Geräusche hätten hingegen nur gestört. Andy Matern hätte solche Musik wohl adäquat beisteuern können.

|6 CDs mit 470 Minuten Spielzeit
Aus dem US-Englischen übersetzt von Andrea Fischer
ISBN-13: 978-3-7857-4225-9|
[www.luebbe-audio.de]http://www.luebbe-audio.de/
[www.lauscherlounge.de]http://www.lauscherlounge.de/

Clive Barker – Das dritte Buch des Blutes (Lesung)

Der Leichentuchkiller: Wildwest in Soho

Leser mit schwachen Nerven seien gewarnt: Clive Barker ist nichts für zart besaitete Gemüter! In seinen phantastischen Geschichten beschwört er voller Wortgewalt das Grauen und geht über alles hinaus, was man sich in seinen schlimmsten Alpträumen vorgestellt hat. (Verlagsinfo) Für seine „Bücher des Blutes“ bekam Clive Barker 1985 den |World|- und den |British Fantasy Award|. Seine Schrecken sind (meist) in der realen Welt angesiedelt, im Hier und Jetzt, oft sogar mitten in der Großstadt.

Das Hörbuch enthält zwei ausgewählte Erzählungen und ist für Hörer ab 14 Jahren zu empfehlen.

Der Autor

Clive Barker, 1952 in Liverpool geboren, ist der Autor von bislang zwanzig Büchern, darunter die sechs „Bücher des Blutes“. Sein erstes Buch für Kinder trägt den Titel „The Thief of Always“ (Das Haus der verschwundenen Jahre). Er ist darüber hinaus ein bekannter bildender Künstler, Filmproduzent und -regisseur [(„Hellraiser 1“) 2433 sowie Computerspiel-Designer

Er lebt in Beverly Hills, Kalifornien, mit seinem Lebenspartner, dem Fotografen David Armstrong, und ihrer Tochter Nicole. Sie teilen sich das Haus mit vier Hunden, fünf Goldfischen, fünfzehn Ratten, unzähligen wilden Geckos und einem Papagei namens Malingo.

Seit 2002 veröffentlicht Barker einen Zyklus von wunderschön illustrierten Kinderbüchern mit dem Titel [„Abarat“. 1476 Alle Bücher spielen in der titelgebenden Fantasywelt, die – wie könnte es anders sein – auch einige teuflische Figuren vorweisen kann. Sie machen der 16-jährige Heldin Candy Quackenbush das Leben im Abarat schwer.

Der Sprecher und andere Mitwirkende

Matthias Koeberlin, geboren 1974, absolvierte die Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam. Für seine Verkörperung des Ben in „Ben & Maria – Liebe auf den zweiten Blick“ erhielt er den Günther-Strack-Fernsehpreis. Für seine Interpretation des Lübbe-Hörbuchs [„Das Jesus-Video“ 267 wurde er für den Deutschen Hörbuchpreis des WDR (2003) nominiert. In der ProSieben-Verfilmung des Bestsellers spielte er den Stephen Foxx.

Regie führte Kerstin Kaiser, die musikalischen Motive stammen von Andy Matern.

Andy Matern wurde 1974 in Tirschenreuth, Bayern geboren. Nach seiner klassischen Klavier-Ausbildung arbeitete er einige Jahre als DJ in Clubs. Seit 1996 ist er als freiberuflicher Keyboarder, Produzent, Remixer, Songwriter und Arrangeur tätig. Er kann trotz seiner jungen Jahre bereits mehr als 120 kommerzielle CD-Veröffentlichungen vorweisen. Darunter finden sich nationale und internationale Chart-Platzierungen mit diversen Gold- und Platin-Auszeichnungen.

Bereits Andy Materns erste Hörbuch-Rhythmen erreichten schnell Kultstatus bei den Fans und der Fachpresse. Durch seine musikalische Mitarbeit wurde „Der Cthulhu-Mythos“ zum besten Hörbuch des Jahres gewählt (Deutscher Phantastik Preis 2003). Andy Matern lebt und arbeitet in München. (Verlagsinfos)

Das Hörbuch bietet lediglich eine Auswahl aus den Storys des Buches, das 1984 erstmals erschien.

Die Erzählungen

1) Sündenböcke

Auf einem Segeltörn stranden die vier jungen Besatzungsmitglieder auf einer winzigen Hebrideninsel vor Schottland. Raymond, Jonathan, Angela und Frankie, die Köchin. Ray, der irgendwie das Kommando übernommen zu haben scheint, flucht über Nebel, Funkstille und überhaupt alles, was ihm über den Weg läuft. Nach einer Weile des Herumärgerns machen sich die vier Twens auf den Weg, um die öde Insel zu erkunden, auf der ihre |Emmanuelle| gestrandet ist.

Sie machen ein paar beunruhigende Entdeckungen. Erst einmal: Es wohnt keine Menschenseele hier, und es stinkt erbärmlich. Unrat und massenhaft Fliegen wirken nicht gerade einladend. Auf der anderen Seite stoßen sie auf einen Pferch, in dem drei krank aussehende Schafe weiden. Seltsam: Hat man die Viecher hier ausgesetzt? Aber wofür? Jonathan, der besoffen ist, nennt Angela, die zu Ray gehört, ein „dummes Luder“, und Frankie nennt ihn dafür ein „fieses Schwein“. Jonathan wiederum flucht über die „bekackten Schafe“, von denen eines zusammengebrochen ist. Mit einem Stein schlägt er dem wehrlosen Tier den Schädel ein. Als er wieder aus seinem Blutrausch erwacht, kotzt er sich die Seele aus dem Leib.

Frankie, die angeekelt ist, wundert sich über den Gestank und die ständig rieselnden und klappernden Steinlawinen. Was kann sie bloß verursachen? Inzwischen hat Ray herausgefunden, dass diese Insel ein Grabhügel für die Gefallenen der Weltkriege ist. Sie wurden hier angeschwemmt. Einer der kullernden Stein trifft Jonathans Schädel und schlägt ihn ein.

Da taucht ein Einheimischer auf, ein Fischer, wie es scheint. Er jammert: „Was habt ihr angerichtet? Ihre Gaben …“ Er hat das getötete Schaf gesehen. Die Schafe waren Gaben der Anerkennung an die Toten.

Diesen Frevel sollen die Anwesenden, ob Besucher oder Einheimische, mit dem Leben bezahlen. Denn nun machen sich alle Steine der Insel auf verhängnisvolle Weise selbständig …

Mein Eindruck

Die Erzählung greift drei Themen auf und verknüpft sie auf komplexe Weise. Die vier Reisenden auf dem Boot mit dem bezeichnenden Namen „Emmanuelle“ sind nicht miteinander verheiratet und frönen der freien Liebe, wenn auch nicht untereinander, sondern in den Paaren Ray & Angela sowie Frankie & Jonathan. Ihre lustbetonte Weltanschauung wird konfrontiert mit den zwei Themen Tod und Religion. Der Grabhügel gehört den Toten, welche nach Anerkennung heischen wie auf einem Friedhof. Stattdessen verhöhnt der besoffene Jonathan die Toten, indem er die Gabe der Anerkennung, eines der Schafe, mutwillig erschlägt.

Obwohl von Kreuzen und Kirchen weit und breit nicht die Rede ist, hat Jonathan dennoch gegen ein religiöses Gebot verstoßen: Ehrung der Toten. Die Sühne des Frevel kann nur in seinem eigenen Tod bestehen, doch dabei bleibt es nicht: Alle müssen sterben, damit sie sich dem Totenheer anschließen, selbst die relativ unschuldige Frankie.

Von Anfang an spielt der Text auf Jesus an. Raymond, der Anführer, soll einen „Jesus-Komplex“ haben, und seine Freundin Angela versucht „die Speisung der Fünftausend“. Ray schließlich sieht im Tod aus, als wolle er übers Wasser wandeln, doch er ist nur eine Marionette jener Puppenspieler, die auf der Insel der Toten das Sagen haben. Diese Puppenspieler haben für Jesus genauso wenig übrig wie Ray. Sie sind Heiden und verlangen Anerkennung, Huldigung. Ihre Strafe für Frevel ist nicht nicht christliche Vergebung, sondern heidnische Vergeltung. Die Opfer werden selbst Mitglieder des Totenreichs.

2) Bekenntnisse eines (Pornografen-) Leichentuchs

Ronny Glass, 32, dementiert, dass er jemals ein Pornograph gewesen sei, ja, er mochte nicht mal Sex, denn er war schließlich mit Bernadette, einer braven Katholikin, verheiratet und hatte zwei ebenso brave Töchter mit ihr. Der Buchhalter hatte nur ein einziges Laster, das ihm zum Verhängnis wurde: Habgier.

Eines Tages bot ihm ein Unternehmer namens McGuire einen Buchhaltungsjob in Soho an, den Ronny gleich hätte ablehnen sollen. Aber wie gesagt: Habgier. Und McGuire ist großzügig, denn er braucht Ronny, um seinem zwielichtigen Unternehmen einen seriösen Anstrich zu verleihen. Worin dieses besteht, entdeckt Ronny nur durch Zufall. Er stolpert in die Lagerhalle, und da stehen sie: Paletten voller Pornomagazine. Ronny kann sich kaum sattsehen an den Schweinereien. „Sex pur! Grauenvoll!“ Diese Ablehnung amüsiert McGuire keineswegs und er droht, Ronnys guten Ruf zu zerstören, sollte er nicht kooperieren. Angstvoll haut Ronny zu, doch McGuire schlägt zurück.

Ronny muss Bernadette anlügen und kann nicht schlafen. Am Sonntag ist seine Ehe ruiniert, sein Ruf zerstört: Die Sonntagszeitungen pfeifen es von allen Dächern, dass er ein Pornograph sei. Seltsam, dass McGuire kein einziges Mal erwähnt wird. Ronny sinnt auf Mord und greift McGuire und dessen Männer tätlich an, doch er zieht schließlich den Kürzeren und landet in der Leichenhalle. Hier beginnt Ronnys zweites Leben.

Nachdem sich sein Geist in das Leichentuch übertragen hat, bevor der Körper entsorgt wird, kann sich Ronny wieder auf den Weg machen, um seine Rache zu vollenden. Doch wie stellt es ein Leichentuch an, einen schwer bewachten Gangsterboss um die Ecke zu bringen?

Mein Eindruck

Thematisch dreht sich die Story um die Verflechtung der Unterwelt mit der Polizei, auch wenn es sich „nur“ um so genannte Pornographen handelt (von denen es in Merry Old England einige gibt) sowie um die Verstrickung eines unbescholtenen Mannes mit diesen kriminellen Kreisen.

In erzählerischer Hinsicht entwickelt sich die anfängliche Blut & Mord-Story zu einer immens grotesken Gespenstergeschichte. Ein auf der Straße wandelndes weißes Leinentuch, das Mordgedanken hegt? Wie lächerlich? Doch der Autor hieße nicht Barker, wenn er dieses irrsinnige Konzept nicht mit tödlicher Präzision und Beharrlichkeit ins Ziel steuern würde. Auch am finalen Schauplatz des Showdowns hagelt es wieder groteske Momente, so etwa der, als McGuire entdeckt, dass es seine Frau mit seinem Leibwächter treibt. Da fliegen wieder die blauen Bohnen um die Wette!

Doch was wird aus Ronny, dem heroisch rächenden Buchhalter mit den ungeahnten Machoqualitäten? Er endet als Wischtuch in einer Kirche. Dort haben die Spermaflecken, die der Pfarrer beim Fotografieren einer Nutte verursacht, schließlich nichts zu suchen. Der Kreis der Sünde schließt sich.

Der Sprecher

Als ausgebildeter Schauspieler weiß Koeberlin seine Stimme wirkungsvoll einzusetzen und die Sätze deutlich und richtig betont zu lesen. Auch die Aussprache aller englischen Namen und Bezeichnungen geht reibungslos vonstatten. Aber die Flexibilität seiner Stimme scheint noch relativ begrenzt zu sein. Der weiblichen Stimmlage passt sich Koeberlin ein wenig an. Selten sinkt die Lautstärke zu einem Flüstern herab oder erhebt sich zu einem Fauchen. Keuchen, Zischen, sogar Würgen gehören zum breiten Repertoire der situationsbetonten Darstellung.

Die Betonung hat sich inzwischen der des |Lübbe|-Stammgastes David Nathan angenähert, und das tut Koeberlins Vortrag sichtlich gut. Er ist wesentlich eindringlicher als noch beim „ersten Buch des Blutes“, besonders in der grotesken „Leichentuch“-Erzählung. Seine stimmliche Darstellung im Zusammenspiel mit den Soundeffekten und der Hintergrundmusik bildet ein eindringliches Stück Kopfkino, das mir selbst nach Wochen immer noch in Erinnerung geblieben ist.

Die Musik

Die Musik von Matern ist dasjenige Stilelement, das den Zauber dieser Lesung ausmacht. Sie kommt selbstverständlich als Intro und Outro zum Einsatz, und regelmäßig ist an den spannenden und dramatischen, sprich; gruseligsten Stellen Hintergrundmusik zu hören. Diese nun aber zu charakterisieren, stellt sich als schwierige Aufgabe heraus. Ich konnte kein einzelnes Motiv heraushören, vielmehr handelt es sich um Klangfolgen mit klassischen Instrumenten (und wohl dem einen oder anderen Synthesizer), die eine Atmosphäre der Beunruhigung, Anspannung, kurzum: des Grauens erzeugen. Um diese Wirkung erzielen, hat Andy Matern jedenfalls ganze Arbeit geleistet.

Unterm Strich

Ich kann das Hörbuch mit Einschränkungen empfehlen. Eine Einschränkung betrifft das Fehlen von drei der fünf Erzählungen aus der literarischen Vorlage: „Rohkopf Rex“, „Der Zelluloidsohn“ und „Menschliche Überreste“. „Sündenböcke“, die erste Erzählung des Hörbuchs, verrät etwas von der Sprachgewalt und Stimmungsmalerei, zu der Barker in seinen besten Geschichten fähig ist. „Bekenntnisse eines (Pornographen-) Leichentuchs“ ist mehr auf groteske Effekte und handfeste Action aus, sozusagen die Wildwestversion einer Gespenstergeschichte.

Die seit dem „ersten Buch des Blutes“ beträchtlich verbesserte Vortragskunst des Sprechers eignet sich meines Erachtens gut für die dramatischeren gruseligen Stellen. Massiv wird Koeberlin unterstützt von Andy Materns ausgezeichnet passender Musik, die für die entsprechende Gänsehaut sorgt.

Books of Blood vol. 3, 1984
Aus dem Englischen übersetzt von Peter Kobbe
147 Minuten auf 2 CDs

http://www.luebbe-audio.de/