Aus Isaac Asimovs großem Foundation-Zyklus liegt uns mit „Das Foundation-Projekt“ der siebente Band vor. Es ist der direkte Vorgänger der berühmten „Foundation-Trilogie“, die gleichsam Ursprung und wichtigstes Werk des Zyklus‘ ist. Im Foundation-Projekt lässt Asimov uns den Weg des großartigen Mathematikers Hari Seldon verfolgen, seinen Lebensweg und seine Entwicklung der Psychohistorik, durch die er der Menschheit den Weg aus dem Chaos nach dem Fall des Trantorschen Imperiums ebnen will.
Isaac Asimov wurde in der Sowjetunion geboren und emigrierte mit seinen Eltern in die USA, wo er neben seinem Studium der Chemie bereits Science-Fiction-Erzählungen schrieb und veröffentlichte. Besondere Steckenpferde waren ihm seine Erzählungen um die Roboter und ihre Psychologie sowie der große Entwicklungsbogen um die Zukunft der Menschheit; beide verband er schlussendlich in dem zehnbändigen „Foundation-Zyklus“, der somit als sein großes Werk angesehen werden kann. Asimov starb im April 1992.
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DER FOUNDATION-ZYKLUS
1. Meine Freunde die Roboter
2. Die Stahlhöhlen
3. Der Aufbruch zu den Sternen
4. Das galaktische Imperium
5. Die frühe Foundation-Trilogie
6. Die Rettung des Imperiums 7. Das Foundation-Projekt
8. Die Foundation-Trilogie
9. Die Suche nach der Erde
10. Die Rückkehr zur Erde
Hari Seldon arbeitet als Mathematikprofessor an einer Universität auf und in Trantor, der Hauptwelt und –stadt des Imperiums. Vor einigen Jahren hielt er einen übereifrigen Vortrag über seine Idee der Psychohistorik – einem mathematischen Modell zur Berechnung menschlicher Handlungen, nur anwendbar auf sehr große Gruppen, vergleichbar mit den physikalischen Gesetzen der Thermodynamik. Er wurde verlacht, nur Kaiser Cleon I. und sein Kanzler Demerzel (hinter dem sich der Roboter Daneel Oliwav verbirgt – was für eine Überraschung!) interessieren sich vorerst für seine Ansätze, könnte damit doch die Zukunft vorhergesagt und das bereits zerfallende Imperium gerettet werden!
Entgegen vielerlei Gefahren und politischen Attentaten, treibt Seldon seine Forschungen voran und entwickelt dabei mit Hilfe eines Teams die Geräte und die Mathematik, die später von der Zweiten Foundation benutzt werden würden. Gerade seine Enkeltochter entpuppt sich als erste Kandidatin für die zweite Foundation, die mit geistigen Kräften über die erste Foundation wachen soll. Das Projekt steht in den Startlöchern, Seldon ist mittlerweile uralt und hat alle seine Freunde und Verwandten überlebt, abgesehen von seiner Enkelin und ihrem Partner, Stettin Palver.
Dieser siebente Band des Zyklus stellt den Auftakt zur Foundation-Trilogie dar, die viele Jahrzehnte früher geschrieben wurde. Das Foundation-Projekt erschien erstmals im Jahre 1991, wohl als letzter Baustein des großen Zyklus. Man merkt ihm leider auch an, dass er eine Lücke füllt und das Geheimnis um den mysteriösen Entwickler der Psychohistorik lüftet. Die Handlung ist durchdacht und in Asimov-typischem Stil geschrieben, aber gewisse Details (wie die Anwesenheit von Daneel und anderer Roboter) lassen den Roman überladen wirken.
Stettin Palver ist tatsächlich ein Urahn von Preem Palver, der im Laufe der Trilogie eine wichtige Tat zur Rettung des Projekts vollbringt. Somit konnte es Asimov auch hier nicht lassen, Anspielungen auf seine „früheren“ Romane (die zeitlich später spielen) anzubringen. Daneel Oliwav, der Roboter, der bereits in den ersten Agentenromanen um die Entwicklung der Menschheit auftritt (siehe: Die Stahlhöhlen), hat ein kurzes Gastspiel und offenbart schon Fähigkeiten, die erst im zehnten Band ihre Erklärung finden (siehe: Die Rückkehr zur Erde). Insgesamt wirkt der Roman deutlich konstruiert, und mit seiner Entmystifizierung von Seldon hat Asimov dem großen Ganzen keinen Gefallen getan. Die einzelnen Romane bleiben für sich spannend, aber schließlich bleiben so gut wie keine Fragen mehr offen, die zu jenem universellen Gefühl führen könnten, das man allgemein als „sense of wonder“ bezeichnet (und das leider viel zu oft auch sinnentfremdet Verwendung findet).
Empfehlenswert ist, die Foundation-Trilogie und die beiden Folgeromane in Reihenfolge zu lesen und zu genießen, außerdem bieten die ersten Bände um die Roboter und die Agentengeschichten bis mindestens zur „Frühen Foundation-Trilogie“ hervorragende Unterhaltung. Band 6 „Die Rettung des Imperiums“ kann ich nicht beurteilen, da es leider vergriffen ist, aber den vorliegenden Band 7 sollte man nur lesen, wenn man nicht von Asimov lassen kann und der künstlich zusammengestellten Reihe vollständig folgen will. „Das Foundation-Projekt“ ist zweifellos ein unterhaltsames Buch, aber durch Asimovs zwanghafte Versuche, sein Werk in eine Form zu pressen, verliert es durch seine künstliche Konstruktion und die Überladung mit Anspielungen ein nicht unerhebliches Maß an Reiz.
Rob, bist du das? Ich hatte kaum zwei Sätze gelesen, schon fühlte ich mich stark an Rob, den Plattenladenbesitzer aus Nick Hornbys „High Fidelity“, erinnert. Kritischer Blick auf den Buchdeckel. Nein, kein Hornby. Also doch nicht Rob, auch wenn die ersten Sätze aus „Eureka Street, Belfast“ auch von ihm stammen könnten: |“Es war an einem späten Freitagabend, vor sechs Monaten, sechs Monate, seit Sarah weg war. Ich saß in einem Pub und plauderte mit einer Kellnerin namens Mary. Sie hatte kurzes Haar, einen sehr runden Arsch und große, traurige Kinderaugen. Ich kannte sie gerade mal drei Stunden und kriegte schon die Zweijahreskrise.“|
Der Mann mit der Zweijahreskrise ist Jake. Von der Freundin verlassen, lebt er allein mit seinem Kater in Belfast und geht miesen Jobs nach, für die er eigentlich überqualifiziert ist. Seit er von seiner Freundin verlassen wurde, die es in Nordirland nicht mehr ausgehalten hat, hat er kein gutes Händchen mehr in Bezug auf Frauen. Die meisten Annäherungsversuche enden entweder damit, dass er beschimpft oder verprügelt wird oder beides.
„Eureka Street, Belfast“ erzählt die Geschichte von Jake, allerdings nicht nur die Geschichte von Jake. Im Grunde geht es um eine Clique schräger Vögel, von denen einer Jake ist. Ein anderer schräger Vogel und Jakes bester Freund ist Chuckie. Chuckie ist ein Spinner, ein Phantast. Er ist dreißig, hat aber noch immer kein eigenes Geld verdient. Dennoch träumt er davon, reich zu werden, und wie durch ein Wunder kommt der Träumer schon bald seinem Ziel ein Stückchen näher, als er merkt, dass er die verrücktesten Ideen zu Geld machen kann.
|“Als Chuckie noch arm war, waren auch seine Tagträume eher bescheiden gewesen: ein Auto, ein leichter Job, oraler Sex mit Filmstars, den Mädchen von der Wettervorhersage und Gameshowmoderatorinnen. […] Jetzt aber träumte Chuckie davon, das Sozialministerium und die Royal Ulster Constabulary aufzukaufen. Vor allem aber träumte Chuckie davon, Irland aufzukaufen. Er sah die Anzeige des Immobilienmaklers für die Irland-Auktion schon vor sich: Schönes altes Land, kürzlich geteilt. Politisch leicht reparaturbedürftig. Sofort zu verkaufen.“|
Zugegeben, sowohl Chuckies Träumereien als auch seine „Projekte“ muten etwas absurd und merkwürdig an, dennoch verleihen sie dem Buch einiges an Witz. Chuckies Aufstieg vom armen Schlucker zum Selfmade-Man hat schon etwas unglaublich Skurriles. Dennoch wird er, teils durch seinen geschäftlichen Aufstieg, teils durch seine Liebe zu Max, einer Amerikanerin, im Laufe des Buches langsam erwachsen.
Jake dagegen scheint immer wieder auf der Stelle zu treten. Gerade anfangs konnte ich mich nie so recht entscheiden, ob ich ihn mögen soll oder nicht. Einerseits ist er ziemlich rücksichtslos und gleichgültig, andererseits zeigt er auch immer mal wieder, dass unter der harten Schale ein weicher Kern steckt und dass er doch vernünftigere Ansichten hat, als man ihm zunächst zutraut.
Besonders deutlich wird dies immer wieder in seinen politischen Auseinandersetzungen mit Aoirghe, einer ebenso überzeugten wie radikalen Republikanerin. In diesen Momenten kommt, wie an vielen anderen Stellen auch, immer wieder der Nordirlandkonflikt zum Tragen. Jake ist Katholik, Chuckie Protestant. Die beiden haben keinerlei Probleme mit der religiösen Gesinnung des anderen. Für sie zählt die Freundschaft mehr als republikanische oder unionistische Interessen.
Dass eine solche Haltung in Belfast nicht selbstverständlich ist, zeigt sich immer wieder sehr deutlich an den teils wirklich absurden Auswüchsen, die der Nordirlandkonflikt im Alltag annimmt. Sei es der Friedenszug von Belfast nach Dublin, der gegen den ständigen Bombenterror auf der Bahnstrecke protestieren will und seine Fahrt prompt wegen einer Bombendrohung abbrechen muss, oder die haarsträubenden Gespräche, die Jakes Arbeitskollegen mit ihm führen, in dem Glauben, er wäre wie sie Protestant. An solchen Punkten stimmt einen das Buch immer wieder nachdenklich, auch wenn in den Worten des Autors oft ein Prise Sarkasmus mitschwingt.
Was an „Eureka Street, Belfast“ besonders fasziniert, sind die Beschreibungen des alltäglichen, ganz normalen Wahnsinns zwischen Bombenterror und UVF- bzw. IRA-Slogans. |“Du hast die Fahnen gesehen, die Schrift auf den Wänden, die Blumen auf dem Pflaster. Das hier ist eine Stadt, in der die Menschen bereit sind, für ein paar bunte Stofffetzen zu töten und zu sterben. Das sind die Normen zweier Völker, die ein vier- oder achthundertjähriger nationaler und religiöser Unterschied spaltet.“|
Es ist schon schockierend und faszinierend zugleich, wie sich unter solchen Bedingungen etwas wie Alltag einstellen kann. Jake und seine Freunde scheinen aus dem Chaos inmitten all des Terrors das Beste zu machen. Der Terror ist allgegenwärtig, und dennoch scheint er weder Chuckie noch Jake sonderlich zu beeindrucken. Der Alltag läuft weiter: |“Es war natürlich nichts Ernstes. Ein stinknormales Belfaster Bombenattentat. Nicht viel zu erzählen. Niemand ist gestorben, niemand hat geblutet. Nichts Besonderes. […] Was war uns denn schon passiert? Seit wann macht einer Piep, wenn’s bei den Nachbarn knallt?“|
Die fast schon spielerische Art, mit der Autor Robert McLiam Wilson den Terror teilweise bis ins kleinste Detail beschreibt, und die Art, wie er anschließend wieder zur Tagesordnung übergeht, hat schon etwas Schockierendes und Brutales. Dadurch wird deutlich, wie das Leben der Menschen in Belfast inmitten des Terrors abläuft. Auf jede Bombe folgt auch wieder Alltag. Für die Menschen, die nicht in so einem Konflikt aufgewachsen sind, undenkbar. Doch auch Kritik schwingt in vielen Beschreibungen Wilsons von Belfast mit: |“Man hat Erde ins Meer gekippt, und darauf wurde Belfast gebaut. Morast, Neuland. Die Stadt ist eine Düne, ein Widerlager. Die Einheimischen sagen, sie sei dem Wasser entstiegen wie ein Gott, die Wahrheit aber ist, man hat sie ins Meer gekippt, doch sie ist nicht versunken.“
Viele der Szenen des Buches spielen in den ärmeren Stadtteilen von Belfast, wo die Extremisten beider Seiten noch die Zügel in der Hand halten. Eine Stadt zwischen Ausnahmezustand und Alltag. Menschen zwischen Aufruhr und alltäglichem Trott. So in etwa sieht das Bild aus, das Wilson von Belfast zeichnet. Eine Stadt, wie es in England oder Irland viele gibt, und dennoch ist alles anders.
Der Klappentext versteht Wilsons Sicht der Stadt als Liebeserklärung an Belfast und tatsächlich scheint es stellenweise so zu sein. Inmitten all des Terrors schafft er es, Belfast mit seinen Bewohnern immer wieder von einer faszinierenden, fast liebenswürdigen und menschlichen Seite zu zeigen.
„Eureka Street, Belfast“ scheint irgendwie immer zwischen Dramatik und Leichtigkeit hin und her zu pendeln. Es gibt genauso viele Szenen zum Schmunzeln, wie es Augenblicke zum Innehalten und Nachdenken gibt und Momente, die einen schockieren. Die Story hat viel „Drive“, entwickelt sich flott und mit einem durch ständige Perspektivenwechsel angeheizten Tempo.
Gesamturteil: Lesenswert, um es kurz und knackig auf den Punkt zu bringen. „Eureka Street, Belfast“ vereint schräge Figuren, alltägliches Leben und den Herzschlag einer vom Terror geplagten Stadt. Und Robert McLiam Wilson versteht sich genug aufs Geschichten erzählen, dass er daraus ein wirkliches mitreißendes Buch macht.
Mit „Die Haarteppichknüpfer“ gab Andreas Eschbach sein Debüt im Roman. Die Geschichte spielt in einer fernen Zukunft, in einer fernen Galaxis, in einem Universum, das zu großen Teilen vom „Sternenkaiser“ beherrscht wird. Zu seinen Ehren und um seinen unvorstellbaren Sternenpalast zu schmücken, gibt es die Haarteppichknüpfer, die ihr Leben lang an einem einzigen Teppich aus dem Haar ihrer Frauen und Töchter arbeiten.
Andreas Eschbach lebt und arbeitet „im Urlaub“, in der französischen Bretagne, wohin es ihn kürzlich mit seiner Familie zog. Neben Science-Fiction-Romanen wie „Quest“, „Solarstation“ und den Jugendbüchern um „Das Marsprojekt“ ist er auch sehr erfolgreich mit den Thrillern „Jesus-Video“ (verfilmt), „Eine Billion Dollar“ und „Der Letzte seiner Art“. Mit „Der Nobelpreis“ wird im September 2005 sein neuester Roman erscheinen. Und seit 2005 ist sein erster Roman unter dem Titel „The Carpet Makers“ in den USA erschienen.
Weitere Infos: http://www.andreaseschbach.de.
Wohin damit?
In der Klause des Haarteppichknüpfers Oswan spielt sich eine Tragödie ab: Traditionell ernährt ein Knüpfer eine Familie mit vielen Frauen und Töchtern, um an verschiedenfarbiges Haar zu kommen, aber höchstens einen Sohn, da der Erlös eines Haarteppichs nur für eine Familie reicht. Oswans Sohn ist dem Gewerbe jedoch abgeneigt und besucht lieber die Schule und den Lehrer bei seinen Diskussionsabenden, um Bücher zu lesen (was verboten ist) und Wissen zu erlangen (was normalerweise unmöglich ist). Oswan ist verzweifelt. Es scheint ein Zeichen des Kaisers zu sein, als seine Frau einen zweiten Sohn gebärt. Oswan nimmt das traditionelle Schwert von der Wand und erschlägt den älteren.
Als ein Haarteppichhändler die Stadt besucht, sickert das erste Mal das Gerücht durch, der Kaiser habe abgedankt! Völlig unglaublich, denn der Kaiser herrscht schon seit Jahrtausenden über sein Reich. Es tauchen Männer auf, die sich Rebellen nennen und mit einer Fotografie des toten Kaisers ihre Überzeugungsmission beginnen, doch oft scheitern sie an den Traditionen und der Borniertheit der Menschen. Bis sie auf ein Geheimnis stoßen: Jeder Planet dieser Galaxis dient einzig der Haarteppichproduktion, und jeder Planet ist der Meinung, einziger Produzent zu sein. Doch im Sternenpalast findet sich kein einziger Haarteppich. Wohin also verschwindet die Produktion einer ganzen Galaxis?
Gut, aber warum?
Die „Haarteppichknüpfer“ kann man kaum nüchtern analysieren. Was genau macht diese Geschichte zu etwas Besonderem? Das große Rätsel um den Sinn der Teppiche und damit den Sinn des Lebens einer ganzen Galaxis hält eine große Spannung über den ganzen Roman aufrecht, in Bruchstücken erhalten wir die Informationen, die wir brauchen, um das Bild zusammenzusetzen, und langsam zeichnet sich ein faszinierendes, unglaublich weiträumiges Drama ab, dem wir aber bis auf die letzten Seiten nicht in letzter Konsequenz selbst auf die Spur kommen können, ohne die führende Hand der Protagonisten, wo der Archivar des Kaisers eine sehr wichtige Rolle spielt. Wie die Rebellen, stehen wir vor dem Berg des Wissens und wissen doch nicht genug, um die Wahrheit zu erkennen. Zum Glück entsteht eine erstaunliche Liebe, die einen Insider zu unserem Informanten macht, unter dessen gewaltigem Wissen das Rätsel seine Lösung findet.
Dieser eine Teil der Geschichte ist ein bisschen unbefriedigend, wenn man auf die großartige Handlung der vorangegangenen Kapitel zurückblickt. Hier enthüllt jemand in einer mündlichen Erzählung die letzten Geheimnisse; ohne diese Unterstützung hätte das Buch seine Aufgabe nicht erfüllen können. Und im Endeffekt stehen wir doch nur staunend vor der Geschichte, die sich noch unüberschaubar in die Tiefen jenes Reservoirs erstreckt, aus dem die guten Erzählungen stammen.
Auch nach zehn Jahren seit dem ersten Erscheinen des Romans fesselt er den Leser uneingeschränkt, womöglich durch seine Zeitlosigkeit, die er aus folgenden Tatsachen bezieht: Gheera, die Galaxis der Haarteppichknüpfer, dümpelt ihrerseits zeitlos dahin, gefangen in den Traditionen, die keinen Ausbruch erlauben; der Sternenkaiser lebt seit über hunderttausend Jahren und herrscht seit annähernd der gleichen Zeit über sein Reich, was eine zeitlose Stabilität erfordert, und Stabilität widerspricht der Veränderung. Außerdem verzichtet Eschbach auf irgendwelchen technischen Schnickschnack, der 1995 vielleicht futuristisch angemutet hätte, heute möglicherweise bereits überholt und damit Ballast für die Geschichte gewesen wäre.
Seelenfänger
Ursprünglich erschien das erste Kapitel des Romans als Kurzgeschichte. Erst einige Jahre später verfasste Eschbach auf dieser Grundlage den Roman, der die Geschichte der Haarteppichknüpfer, der Haarteppiche und der Menschen dieses Universums aus verschiedenen unterschiedlichen Blickwinkeln in kurzen Episoden erzählt und so ein großartiges Gesamtbild schafft, bis dem Leser der Atem stockt. Viel wurde über diesen Roman geschrieben, Eschbach erhielt Preise dafür und schrieb sich sofort in die Herzen seiner Leser (die jetzt ungeduldig auf den nächsten Science-Fiction-Roman warten), aber berechtigterweise werden einige Tatsachen immer wieder betont: Mit unfassbarer Ideenvielfalt führt uns Eschbach lebendige, fremdartige und doch seltsam vertraute Charaktere und ihre Probleme vor, lässt uns Teil haben an ihrem Schmerz und ihrem Glück, badet uns in dem See ihrer Erlebnisse und macht uns zum Teil ihrer Geschichte, indem wir uns während der Lektüre in ihrer Seele wiederfinden.
Bücher wie dieses hier sind ja eigentlich nur für wirkliche Fans einer Band interessant, weil sie zu 99 Prozent Insider-Informationen enthalten und so für den ‚fremden‘ Leser auch schon mal wie chinesische Logogramme wirken können. Das ist der Normalfall. Andy Mabett ist es dennoch gelungen, die Geschichte von PINK FLOYD kurz und bündig, aber dennoch so informationsreich zu gestalten, dass selbst der Neueinsteiger in Sachen PINK FLOYD viel aus diesem Buch mitnehmen kann und sein Interesse für diese Kult-Gruppe definitiv steigern wird.
Der Autor selbst war zehn Jahre lang Mit-Herausgeber von „The Amazing Pudding“, dem angesehenen Fanzine über PINK FLOYD und Roger Waters. Er hat für verschiedene Zeitschriften, darunter „Q“ und „MOJO“, über PINK FLOYD geschrieben, hat Beiträge zu „Crazy Diamond – Syd Barret and The Dawn of Pink Floyd“ geliefert und mit Miles zusammen „Pink Floyd – A Visual Documentary“ geschrieben. Mabbett hat die Band also jahrelang begleitet und dabei dermaßen viel an Informationen sammeln können, dass sie den Umfang dieses kleinen Taschenbuches um ein Vielfaches sprengen könnten. Trotzdem hat sich der Autor darauf beschränkt, kurz und kompakt die wichtigsten Details herauszufiltern und so Stück für Stück, Album für Album und schließlich Komposition für Komposition die Geschichte dieser Ausnahmeerscheinung aufzurollen.
Natürlich ist dabei der Insider im Vorteil, weil er selber die hier beschriebenen Nummern oder zumindest den Großteil davon kennt und schon wer-weiß-wie-oft gehört hat. Unsereiner, der nur die ‚Pflichtexemplare‘ aus dem Backkatalog von PINK FLOYD besitzt, ist da klar im Nachteil, was aber keinesfalls heißt, dass die Geschichte deswegen weniger interessant wäre. Mabbett entlockt der Sache nämlich immer wieder einige besondere Anekdoten, berichtet über die Entstehungszeit der verschiedenen Songs, kommt dabei auch immer auf die aktuelle Situation der Musiker zu sprechen und versteift sich zu keiner Sekunde darauf, lediglich zu analysieren. Insofern hat er auch genau das erreicht, was ein solches Buch so lesenswert macht, er hat nämlich |keine| bloße Liste mit Kurzbeschreibungen der Kompositionen erstellt – und das ist meistens auch der größte Kritikpunkt an solchen Büchern -, sondern sie mit allem, was dazugehört, teilweise auch noch recht detailliert, beschrieben.
Erwartungsgemäß sind die Gechichten zu den bekannteren Songs wie zum Beispiel ‚Shine On You Crazy Diamond‘, ‚Comfortably Numb‘ und natürlich dem mehrteiligen ‚Another Brick In The Wall‘ etwas umfangreicher, überspannen aber auch nie das Maß einer ganzen Seite und schweifen so nicht vom eigentlichen Thema ab – genau das ist auch das Schöne an diesem Buch: keine überflüssigen Längen, null Geschichten und Anekdoten, die man als Nicht-Insider sowieso nicht versteht, vor allem aber nie die Offenbarung, dass PINK FLOYD die wichtigste und größte Band überhaupt waren bzw. sind – das macht den Schreibstil von Andy Mabbett nicht nur sehr sympathisch, sondern gleichermaßen auch sehr natürlich.
Sein Ziel, wieder Interesse für diese Band zu erwecken, hat Mabbett somit auf jeden Fall erreicht, und seine Schilderungen erleichtern uns dabei Stück für Stück den Zugang zur Musik und den beteiligten Musikern. 16 Seiten mit Illustrationen und Fotos aus den verschiedenen Schaffensperioden verfeinern den Eindruck dabei noch zusätzlich, zeigen abr auch sehr schön den äußerlichen Werdegang von PINK FLOYD von damals bis heute.
Gratulation also zu einem wirklich gelungenen Unterfangen und einem neutralen, dennoch aber sehr informativen Überblick aus einer sehr interessanten Perspektive. „Pink Floyd – Story und Songs kompakt“ sei daher vor allem Freunden von Musiker-Biographien, besonders aber natürlich PINK FLOYD-Fans ans Herz gelegt – oder eben jenen, die gerade dabei sind, es noch zu werden.
Als ein pensionierter Meisterermittler ermordet wird, berät der chinesische Kriminalbeamte Charlie Chan die ratlose Polizei und verknüpft zahlreiche lose Enden zur Lösung des Falls … – Gelungener Beitrag zur „Charlie-Chan“-Reihe und ein klassischer „Whodunit“. ‚Unmögliche‘ Morde mit bizarrer Indizienlage, drohende Fratzen am Fenster, Verdachtsmomente und deduktive Sackgassen, schließlich die überzeugende, so niemals erahnte Auflösung, präsentiert von einem exzentrischen Genie: ein gemütlicher Feierabend-Thriller mit allen geschätzten Elementen. Earl Derr Biggers – Charlie Chan und die verschwundenen Damen weiterlesen →
„Das große Spiel“ behandelt die Geschichte eines jungen Genies und seine militärische Ausnutzung zur Errettung der Menschheit vor einer außerirdischen Gefahr, der die Erde vor einigen Jahrzehnten bereits knapp entkommen konnte. Diesmal soll sie endgültig beseitigt werden. Auf einer isolierten Militärschule für Genies im Kindesalter wird nach dem großen Führer gesucht, der die Streitkräfte der Menschen in den Sieg führen soll. Ender Wiggin scheint ein Kandidat für diesen Posten zu sein.
Orson Scott Card arbeitete als Theaterautor, bevor er mit „Ender’s Game“ seinen Durchbruch in der Science-Fiction hatte. Für die deutsche SF war Card in den letzten Jahren ein wichtiger Mann in den USA: Er trat für die Übersetzung und Veröffentlichung eines wichtigen deutschen SF-Romans ein, der dieses Jahr unter dem Titel „The Carpetmakers“ erschien. Damit schaffte Andreas Eschbachs Roman „Die Haarteppichknüpfer“ den Sprung über den großen Teich, was der Masse der deutschen Literatur nicht vergönnt ist. Card lebt und arbeitet in North Carolina.
Weitere Infos: http://www.hatrack.com
Körperlich ist Ender Wiggin nicht unbedingt der Größte. Geistig schon. Das zieht ihm viele Feinde zu, vor allem unter den körperlich großen, die geistig nicht so viel vorzuweisen haben. Als Ender in die unvermeidliche Bedrängnis durch Stilsson und seine Leute gerät, ist ihm klar, dass er sich nur mit einer äußerst brutalen und nachhaltigen Aktion vor späteren Nachstellungen der Gang schützen kann. Aufgrund dieser Erkenntnis tritt er Stilsson sofort in die Hoden und weiter in den Leib, als er zusammensackt. Er hört nicht auf, sondern attackiert sein Gesicht und jedes empfindliche Körperteil, bis der Gegner sich nicht mehr rührt.
Von seiner eigenen Tat verwirrt und entsetzt, lässt sich Ender alle Schikanen seines älteren Bruders gefallen, der ebenso wie er ein Genie ist, aber durch übermäßige Brutalität und fehlender Gefühle nicht für den Militärdienst taugt. Enders Schwester, seine einzige Vertrauensperson, ebenfalls Genie, aber durch vorherrschende Gefühle und fehlende Brutalität untauglich für den Dienst, tritt wie immer zwischen Peter und Ender, wenn es zu hart wird.
Ender wird zur Militärschule an der Peripherie des Sonnensystems berufen und im Kommenden völlig isoliert. Nur auf sich gestellt und im Zusammenspiel mit seinen Mitschülern, beginnt für ihn eine harte Zeit der Prüfungen, in der es keine Erleichterung gibt, nur immer schwerere Aufgaben. Dabei spielt das „Spiel“ die größte Rolle: In einem schwerelosen Raum werden taktische Kämpfe inszeniert, bei denen mit besonderer Technik realistische Treffer simuliert werden. Ender entwickelt sich schnell, wird der beste Spieler, gewinnt Ansehen – und wird in die nächste Stufe versetzt, ehe er sich ausruhen kann. Viel zu schnell kommt es zur Abschlussprüfung, die Ender nach einer Erschöpfungsohnmacht absolvieren soll. Danach wartet der Krieg auf ihn.
Card entwickelt die Geschichte aus der Sicht von Ender, dem sechsjährigen Genie, der immer allein und unterfordert war, weil die Lehrer nicht schlau genug für seine Fähigkeiten waren. Seine Gedanken und seine Sprache wirken oft eher wie die eines Erwachsenen (was Card auch häufig vorgeworfen wurde), doch erkennt man in den Details das Kind und seine Sehnsüchte, die viel zu früh vom Militär eingeschränkt, sogar völlig unterdrückt werden. Die Argumentation, er werde zum Nutzen und zur Rettung der Menschheit gebraucht (und missbraucht), schmeckt schal und erinnert an die Propaganda totalitärer Staaten wie jene des Dritten Reiches. Hier muss man aber trennen zwischen Card, der eine Geschichte erzählt, und der Geschichte, der bestimmte Gegebenheiten zugrunde liegen, nach denen sich auch der Erzähler richten muss. Nachdem die Menschheit knapp der totalen Vernichtung entgangen ist, hat sie sich unter einem militärischen Oberinteresse zusammengefügt und existiert intern politisch weiter wie zuvor, unbeweglich durch die Angst vor dem Feind, dessen Wiederkehr vor allem anderen befürchtet wird. Card stellt deutlich heraus, dass dieses Gefüge mit dem Ausschalten der Gefahr zerbrechen wird und alte Interessen die Oberhand gewinnen.
Diesem Aspekt der Geschichte widmet sich die Entwicklung von Enders Geschwistern, die über eine dem Internet vergleichbare Informationssphäre zu Macht und Ansehen kommen, mit dem großen Ziel, den Zusammenbruch der Zivilisation und den erneuten Ausbruch irdischer Kriege zu verhindern. Card beschrieb eine realistische Art von Internet, bevor es existierte, doch seine Einschätzung der Möglichkeiten ging ein wenig weiter, als wir es kennen gelernt haben. So ist es heute, vor allem unter Berücksichtigung der Dimensionen des Internets, undenkbar, allein durch Diskussionen in Foren oder Artikeln in E-Papers politische Macht zu erlangen.
Natürlich muss auch Ender den Weg aller Helden gehen: Weitgehend unbekannt und nach der Invasionsgefahr für die Menschheit nutzlos, verschwindet er in der Versenkung und sucht seinem Leben einen neuen Sinn zu geben. Die Dramatik dieser Tatsache kommt dem Leser deutlich zu Bewusstsein, auch wenn Card seinem Ender keine enttäuschten Gefühle einpflanzt, wegen denen er sich nach Anerkennung und Rampenlicht sehnen würde. Trotzdem: Wir fühlen die Ungerechtigkeit. Die Tragik findet in Enders Traum ihren Höhepunkt, als er auf die geistige Hinterlassenschaft des einstigen außerirdischen Gegners trifft.
Cards Anspruch, eine Geschichte ohne hintergründige Doppeldeutigkeiten zu erzählen und jedem Leser den Zugang zu ermöglichen, liefert als Resultat eine dichte Erzählung von größter Unterhaltung. Manche mögen sie verabscheuen, andere lieben sie, aber zu allen spricht sie, keinen lässt sie unberührt.
Dr. Stephen Flowers ist in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung – als germanophiler Amerikaner, als Wissenschaftler und auch als Vordenker des westlichen [Pfades zur Linken Hand.]http://de.wikipedia.org/wiki/Pfad__zur__linken__Hand Nach einem Studium der germanischen und keltischen Philologie unter Prof. Edgar Polomè erhielt er 1984 mit seiner Dissertation „Runes and Magic: Magical Formulaic Elements“ (welche später auch in Buchform publiziert wurde) den Doktortitel. Seine akademischen Publikationen scheinen eine überwiegend positive Resonanz zu erfahren: So bestätigt etwa der deutsche Runenexperte Klaus Düwel (welcher sich im Vorwort seiner Abhandlung „Runenkunde“ explizit von jedweder „Esoterik“ distanziert), Flowers habe eine „für runologische Arbeiten brauchbare Bestimmung von Magie“ vorgelegt.
Flowers begnügt sich indes nicht nur mit der Entwicklung wissenschaftlicher Paradigmen: Unter dem Pseudonym Edred Thorsson hat er eine Reihe von Büchern über Runen und „germanische“ Magie verfasst, welche in der „neuheidnischen“ Subkultur ebenfalls einen guten Ruf genießen. Flowers verfolgt eine holistische Strategie – er will die germanische Tradition sowohl auf säkularer als auch auf religiöser Ebene kommunizieren und wiederbeleben.
|“Das jüdisch-christliche Denksystem war sehr dazu geeignet, auf solche Art säkularisiert zu werden, dass man es in ein Modell für moderne politische und ökonomische Theorien umwandeln konnte. […] Judentum und Christentum können von der etablierten akademischen Welt toleriert werden, weil man sie betrachten kann als theoretische Prototypen des materialistischen und positivistischen Modells, das nun im westlichen Denken vorherrscht. Frühere traditionelle Modelle werden weniger als eine Bedrohung der Religion als vielmehr der monolithischen politischen und wirtschaftlichen Ordnung gesehen. […] Eindeutig rührt die Feindseligkeit gegenüber jenen, die einen Wert in vorchristlichen Modellen erkennen, nicht aus der religiösen Seite der Debatte, sondern eher aus der säkularen Bedrohung, die der Traditionalismus für die gegenwärtige politische Ordnung darstellt. Was hier nötig erscheint, ist eine Kampagne für die Umerziehung der akademischen Welt, um zu zeigen, dass die idealisierte Zukunft viel wahrscheinlicher auf dem Mosaik vorchristlicher Traditionen basieren wird als auf dem monolithischen christlichen Vorbild. […]
[Es gab] eine Zeit, da „heidnisches Wissen“ etwas bedeutete, das von Anfang an streng war und sich allmählich in höhere Bereiche des im alltäglichen Unaussprechlichen entwickelte. „Christlicher Glaube“ war etwas, das im Gegensatz zu „heidnischem Wissen“ stand, und wurde von Anfang bis Ende des Prozesses durch Subjektivismus und endlose Anrufungen unverfizierbarer Autoritäten geprägt. Auf diese Weise kann man sehen, wie der typische „New Ager“ oder „Wicca“-Anhänger (sic) in paradigmatischer Hinsicht dem ursprünglich christlichen Denkmodell viel näher steht als der durchschnittliche „gläubige“ Christ von heute. Ernsthafte christliche Seminaristen kämen nie auf den Gedanken, das Studium des Lateinischen, Griechischen und Hebräischen zu ignorieren, doch die vielen Anwärter auf eine „Priesterschaft“ im heutigen Àsatrù glauben, es sei unnötig, die altnordische Sprache zu erlernen. Es ist bemerkenswert, wie viele Menschen noch nicht einmal die Orthographie ihres vermeintlich „nordischen Namens“ richtig hinbekommen!“|
[Aus einem Interview mit Michael Moynihan in der Ausgabe Nr. 6 / 2003 des ZINNOBER]
Kontroversen sind angesichts einer solchen Position natürlich vorprogrammiert. Ein „heidnisches“ Äquivalent zur christlichen Theologie, wohlmöglich noch als anerkannter Studiengang an einer Universität – viele werden dies als spinnerte Utopie abtun. Doch ist die Bibelexegese eines Theologen nur deswegen seriöser, weil SEINE Tradition auf jüdischem Monotheismus und hellenischer Metaphysik aufbaut? Schließen sich neuheidnische Ideen und wissenschaftlicher Anspruch zwangsläufig aus? Flowers‘ Argumentation scheint mir hier durchaus plausibel zu sein: Es ist NICHT auf die Position der christlichen Theologie in unserer Gesellschaft zurückzuführen, dass Àsatrù & Co. gemeinhin mit dem Etikett „Esoterik“ versehen und somit aus dem wissenschaftlichen Diskurs ausgeschlossen werden.
Zwei andere Faktoren sind hier tatsächlich von entscheidender Bedeutung: Erstens, der Unwille vieler Wissenschaftler, sich des christlichen Ursprungs vieler ihrer säkularen Überzeugungen bewusst zu werden und ihr Weltbild dementsprechend zu modifizieren. Zweitens, der Unwille vieler Neuheiden, ihre Überzeugungen den Standards des wissenschaftlichen Falsifikationsprinzips anzugleichen. Wer sich aber weigert, den Anforderungen der Wissenschaftlichkeit Rechnung zu tragen, muss sich nicht wundern, wenn seine persönlichen Überzeugungen von der restlichen Gesellschaft als Unsinn abqualifiziert werden. „Ernsthafte“ Neuheiden sind für Flowers keine Gläubigen, sondern Suchende.
1979 gründet Flowers seine eigene initiatorische Gruppe, die Rune-Gild, welche sich der ernsthaften Erforschung des inneren Erlebens innerhalb der indoeuropäischen Tradition im Allgemeinen und der germanischen Tradition im Besonderen verschreibt. „Okkultisten“, welche ihre Praxis nicht auf harte Fakten stützen wollen, sind in der Gilde nicht willkommen. Jeder neue Adept muss sich zunächst als Lehrling bewähren, bevor er seine Gesellenprüfung absolvieren und schließlich sein persönliches „Meisterstück“ anfertigen darf. Erst wenn er oder sie all diese intellektuellen und spirituellen Hürden genommen hat, darf er oder sie sich als „Runenmeister“ bezeichnen.
„Die Neun Tore von Midgard“ wurden ursprünglich als exklusiver Lehrplan für die Mitglieder eben dieser Runengilde entwickelt. Mittlerweile hat Flowers diesen Lehrplan aber auch öffentlich zugänglich gemacht, und im |Arun|-Verlag ist nun auch die deutsche Übersetzung erschienen.
Flowers selbst ist darüber übrigens so erfreut, dass er es sich nicht nehmen ließ, ein zusätzliches Vorwort für die deutsche Ausgabe zu verfassen. Der „Geist“ des Buches sei nun nach Hause gekommen: „Die viel gepriesenen deutschen Neigungen zu Gründlichkeit und Disziplin, verbunden mit dem nun meist vergessenen deutschen Drang zu Idealismus und heldenhafter Bemühung, liegen der ursprünglichen Vision des Buches zugrunde.“ Kein Kommentar … 😉
Was bringt ein solcher Lehrplan nun Nichtmitgliedern der Gilde? Zunächst einmal einen kohärenten, in dieser Form völlig neuen Überbau für Neuheidnisches Denken. Im Gegensatz zu Àsatrù & Co. strebt Flowers keine Wiederbelebung des Polytheismus an, sondern führt den Begriff des „Odianers“ ein:
„Odianer meint, im Gegensatz zur Bezeichnung Odinist, jemanden, der den Gott Odin (Wodan) nicht anbetet, sondern ihm vielmehr nacheifert. Der Odinist betet an, der Odianer wird selbst zu ihm. Dies ist die wahre Natur des Odinkultes. Der Odianer sucht keine Vereinigung mit Odin, sondern mit seinem einzigartigen Selbst. Dies ist die fromme Aufgabe von Odin selbst. Wenn wir danach streben, unser Selbst irgendeiner anderen Macht zu unterwerfen, wird Odin das mit Sicherheit nur erbärmlich finden. Wahre Odianer gibt es nur wenige.“
An dieser Stelle ist es vielleicht hilfreich zu wissen, dass Flowers in gutem Kontakt zu Michael Aquino und Don Webb vom Temple of Set steht. Man könnte „Odianer“ und „Odin“ ebenso gut durch „Setianer“ und „Set“ oder „Satanist“ und „Satan“ austauschen. „Odin“ ist in diesem Kontext als Archetyp des „Fürsten der Finsternis“ bzw. der „Isolierten Intellegenz“ zu betrachten, wie ihn etwa Don Webb in seinem [„Uncle Setnakt’s Essential Guide to the Left Hand Path“ 278 beschreibt.
Flowers Festlegung auf das „germanische“ Paradigma ist aber durchaus ernst gemeint: Wer sich die Mysterien der Neun Tore wirklich erschließen möchte, dem empfiehlt Flowers eindringlich, sich für dieses Vorhaben a) mindestens ein oder zwei Jahre Zeit zu nehmen und b) es auf keinen Fall „in ein unübersichtliches Wirrwarr alternativer Ideen“ einzureihen.
Wer sich dazu entschließt, die „Neun Tore von Midgard“ tatsächlich für seine eigene Praxis zu verwenden, sollte sich allerdings darüber im Klaren sein, dass Flowers / Thorsson hier keineswegs das Paradigma der altnordischen Magietradition eins-zu-eins rekonstruiert – dafür ist der wissenschaftliche Erkenntnisstand einfach zu lückenhaft. Vielmehr versucht er, auf den gesicherten Fakten aufzubauen und sie durch eigene Erfahrungen zu ergänzen. Im Prinzip bleibt ihm ja auch nichts anderes übrig, da wir die Zeit nicht einfach um 1000 Jahre zurückdrehen können.
Der Großteil der einzelnen „Tore“ bzw. Kapitel widmet sich der Übung ritueller Techniken. Zusätzlich vermittelt Flowers aber auch einige Anleitungen zur Herstellung persönlicher Utensilien. Aber auch wer sich aus bestimmten Gründen nicht diesen praktischen Übungen widmen möchte, profitiert dennoch von Flowers theoretischen Grundsatzerklärungen und den zahlreichen Lektüreempfehlungen.
Alles in allem wird dieses Buch vermutlich nur wenige Leute dazu anregen, seine Inhalte von A bis Z praktisch umzusetzen – dafür ist es einfach zu straight und fordernd, zumal ja der gemeine Leser nicht auf die Unterstützung der Gilde zurückgreifen kann. Hinzu kommt, dass Flowers auf seinem Gebiet keine wirkliche Konkurrenz hat. Das spricht zwar einerseits für die Qualität der „Neun Tore von Midgard“, sollte aber andererseits nicht dazu führen, dass man jede seiner Thesen kritiklos als Gesetz akzeptiert.
Wer sich für Flowers Runengilde interessiert, kann unter http://www.runegild.org weitere Informationen einholen.
In einer nicht näher definierten Zukunft, vielleicht im 21. Jahrhundert, lernen wir die Robinsons aus Los Angeles im US-Staat Kalifornien kennen: Vater Paul, just zum Pressesprecher der Mondstadt Tycho ernannt, Mutter Helen, Kronprinz Jack (18 Jahre) und Brüderchen Frank (6) – eine amerikanische Durchschnitts- und Bilderbuchfamilie, die fest zusammenhält und es deshalb überall schaffen wird.
Das muss sie rasch unter Beweis stellen. Der Umzug gerät wegen eines Defekts im Bordcomputer des Raumschiffs „Aurora“ zum Fiasko. Statt auf dem Mond finden sich die Reisenden im Orbit des wolkenverhangenen Planeten Venus wieder. Schnöde lassen der Kapitän und seine Mannschaft Schiff und Passagiere im Stich. Knapp gelingt eine Bruchlandung. Die Robinsons haben überlebt. Sie finden sich auf einer Albtraumwelt wieder. Heiß und feucht ist es auf der Venus, und unheimliche Tiere schleichen durch die ewig halbdunklen Urwälder.
Bei Chris Wooding handelt es sich um einen recht jungen Fantasy-Autor, der bereits im Alter von neunzehn Jahren seinen ersten Roman veröffentlichte. Wooding wurde am 28. Februar 1977 in den britischen Midlands geboren, wusste schon bald, dass er eines Tages Bücher schreiben wollte, und verbrachte nach seinem Studium der Englischen Literatür seine Zeit in verschiedenen Winkeln Europas, um sich dort inspirieren zu lassen. Große Einflüsse für seine im Folgenden erscheinenden Bücher holte er sich schließlich in Japan und Südafrika, wo er selbst des Öfteren in Lebensgefahr geriet.
Mittlerweile 28, brachte Wooding nun die Geschichte um „Alaizabel Cray“ heraus, die ihm international ein Mehr an Beachtung verschaffte und seinen Namen nach einigen eher unauffälligen Horror- und Fantasy-Erzählungen erstmals etablierte. Die mehrfach ausgezeichnete Story verhalf ihm schließlich zum Durchbruch, doch Wooding plante auch schon seinen nächsten Roman, besser gesagt eine Trilogie, bei der er die Inspiration der fernöstlichen Kultur noch weiter einzubringen gedachte. Der erste Teil ist nun vor kurzer Zeit auch auf dem deutschen Markt herausgebracht worden und heißt „Die Weber von Saramyr“, ein beeindruckendes Buch mit viel Liebe zum Detail und einem Autor auf dem Höhepunkt seines bisherigen Schaffens:
_Story:_
Als Kaiku mitten in der Nacht aus ihren Träumen gerissen wird, kann sie sich noch gar nicht ausmalen, was um sie herum geschehen ist. Ihre gesamte Familie ist soeben von den Shin-Shins, Dämonen in Form von mutierten Riesenspinnen, angegriffen und getöten worden. Lediglich ihre Zofe Asara ist bisher von den Attacken verschont geblieben und verhilft Kaiku in dieser schicksalsträchtigen Nacht zur Flucht. Als sie auf einer Insel vor den Shin-Shin Schutz gefunden haben, kommen sie erstmal wieder zur Ruhe – doch nicht für lange Zeit; Asara stirbt noch vor Ort und Kaiku wird nach einem langen Schlaf doch noch lebend vom Priesteranwärter Tane gefunden, der sie pflegt und bei dem Kaiku wieder zu Kräften kommt.
Kaiku schwört Rache und Vergeltung für den Mord an ihrer Familie und macht sich nach einigen Wochen in Tanes Kloster auf den Weg zu Mishani, einer einflussreichen Freundin aus ihrer Jugendzeit, bei der sie zunächst einmal unterkommen möchte.
Währenddessen werden in den kaiserlichen Festen einige Intrigen gesponnen. Als nämlich eines Tages die erschreckende Tatsache an die Öffentlichkeit dringt, dass es sich bei der Thronerbin Saramayrs um eine Ausgeburt handelt, gleicht das einem Eklat. Das Volk, vor allem aber die einflussreichen Weber, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Ausgeburten jeglicher Art schnellstmöglich aufzuspüren und qualvoll sterben zu lassen, fordern den sofortigen Tod der jungen Lucia, andere wiederum möchten die Kaiserin in die Knie zwingen und sie zum Abdanken verleiten. Doch die Geblütskaiserin Anais bleibt standhaft und verteidigt sowohl den Thron als auch ihre Tochter – ganz zum Widerwillen einiger anderer Völker, die ebenfalls in Richtung Thron schielen.
Derweil haben Kaiku und Mishani nach langer Zeit wieder zueinander gefunden, jedoch wird ihre Freundschaft schon bald auf die Probe gestellt, denn in Kaiku schlummern ungeahnte Kräfte, von denen bislang niemand etwas wusste – nicht einmal sie selbst. Als diese Kräfte zum ersten Mal entfesselt werden, wird allen Beteiligten klar, was vor sich geht: Auch Kaiku ist eine Ausgeburt und wird als solche von Mishani nicht mehr geduldet. Mishani verweist sie des Hofes und Kaiku ist wieder auf sich allein gestellt. Dann jedoch trifft sie eine Person, die eigentlich gar nicht mehr existieren dürfte. Die wiederbelebte Asara schließt sich Kaiku an, und gemeinsam mit ihrem Gefährten Tane, dessen Kloster von den Shin-Shins komplett ausgerottet wurde, machen sie sich auf den Weg, das düstere Geheimnis der Ausgeburten zu lüften, die finstere Wahrheit hinter der Kaste der Weber ans Licht zu bringen und die Tochter der Geblütskaiserin vor dem Tod zu bewahren. Auf dem langen Weg machen sie jedoch so einige schreckliche Beobachtungen und Erfahrungen. Doch nicht nur das: Kaiku weiß nach einiger Zeit nicht mehr, wem sie trauen kann und wem nicht, beschließt, die Sache auf eigene Faust durchzuziehen – und begibt sich so auf eine lebensgefährliche Reise …
_Bewertung:_
Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich vom Erzählstil Chris Wodings komplett und vollauf begeistert bin. Es ist schon fast faszinierend, mit welcher Detailverliebtheit er die einzelnen Orte und Personen beschreibt, sich dabei selbst in den spannendsten Momenten die Zeit und Ruhe nimmt, den Rahmen der Handlung näher zu beleuchten, trotzdem aber nie so weit abschweift, dass der Leser den Überblick verlieren könnte. Besonders gelungen ist ihm dabei die Beschreibung der versteckten Dimension der Weber, in die man sich bereits mit wenig Fantasie sehr schnell hineinversetzen kann.
Doch auch die einzelnen Beziehungsgeflechte, die dabei entstehenden Emotionen sowie die Ängste der Hauptfiguren hat Wooding exzellent hervorgehoben, gerade im Fall von Tane und Kaiku.
Obwohl der Erzählstil trotz allem recht leicht verständlich ist, braucht man anfangs dennoch eine Weile, bis man sich in der Welt von Saramyr zurechtgefunden hat, weil auch hier erst einmal die gesamte Protagonisten-Riege vorgestellt wird. Weil Wooding es sich nicht nehmen lässt, diesbezüglich sofort in die Tiefe zu gehen (was sich später als wertvoll herausstellt), braucht man schon die ersten gut einhundert Seiten, bis man sich in die Story einfindet. Aber zu diesem Zeitpunkt hat man sich bereits in der Welt von Kaiku, im Kaiserreich der Geblütskaiserin Anais, in der düsteren Vergangenheit von Tane, aber auch in den brutalen Gedankengängen der Weber verloren und kann „Die Weber von Saramyr“ nicht mehr aus der Hand legen.
Mir persönlich sagt auch noch der fernöstliche Touch der Geschichte zu, der hier sowohl in Form von typischen Bräuchen als auch in der Beschreibung der gesamten Kultur verankert ist. Das macht den Beginn dieser Trilogie gleichzeitig zum ‚etwas anderen‘ Fantasy-Buch, was es aber aufgrund der teilweise ziemlich schwer verdaulichen und harten Handlung auf jeden Fall schon ist. Und was die Sache noch zusätzlich sympathisch macht: Hier findet man wirklich mal keine Tolkien-Versatzstücke, weder stilistisch noch inhaltlich. Wooding hat seine eigene Welt kreiert, mit einem eigenen Kulturgut und Charakteren, wie ich sie in dieser Form noch nicht kennen gelernt habe. Nach scheinbar schleppendem Beginn entfaltet sich so über die Distanz von 550 Seiten ein Meisterwerk der jungen Fantasy-Literatur, bei dem ich mir schon fast wünschen würde, dass es ebenfalls bald den Sprung auf die Leinwand schafft – weil es eben so anders ist.
Gerade diejenigen, die von immer wiederkehrenden Strukturen und Inhalten die Nase voll haben, werden hier bestens bedient, während Fernost-Fans schon fast verpflichtet sind, sich in kürzester Zeit durch dieses Buch zu arbeiten. Ich habe die Geschichte in zwei Tagen gelesen, weil mich das Ganze so enorm gefesselt hat – mehr brauche ich wohl nicht mehr zu sagen …
Wer kennt das nicht? Man ist auf einer Party, man trinkt ein wenig, alles ist ganz lustig, aber irgendwie fehlt der letzte Pepp! Hinter dem zugegebenermaßen recht plakativen Titel „Trinkspiele – 44 Wege, sich mal richtig die Kante zu geben“ verbirgt sich ein unterhaltsames und Langzeitspaß garantierendes Werk, das für Trinkspiel-Profis und -Anfänger gleichermaßen interessant ist. Die Spiele sind in die Kategorien Karten-, Würfel-, Sprach- und Bewegungsspiele aufgeteilt und jedes einzelne enthält in sehr übersichtlicher Art und Weise neben den obligatorischen Spielregeln und benötigten Utensilien auch die Anzahl der Spieler sowie eine Bewertung nach Trinktempo, Glück und Konzentration. Die Autoren Timo Müller und Thomas Schmitt schaffen es tatsächlich, keineswegs nur ein oberflächliches und ziemlich seichtes „Nachschlagewerk“ für Quartalstrinker und Party-Süchtige herauszubringen, sondern ein sehr kurzweiliges Büchlein, das durchaus auch den siebzigsten Geburtstag der Oma aufpeppen kann, wenn die anwesenden Onkels und Tanten ein Minimum an Spielfreude und Durst besitzen …
Gary Lovisi: Holmes und der Kannibale („The Loss of the British Bark Sophy Anderson“, 1992), S. 7-57: Im winterlichen London des Jahres 1887 verfolgen Holmes & Watson einen Menschen fressenden Serienmörder, der als Schiffbrüchiger auf den Geschmack gekommen ist …
Gary Lovisi: Mycrofts großes Spiel („Mycroft’s Great Game“, 2003), S. 59-95: Im Frühjahr des Jahres 1891 sieht sich Mycroft Holmes, der zum Wohle des britischen Empire Ränke auch mit Unterstützung krimineller Elemente schmiedet, gezwungen, seinen obsessiv Verbrecher jagenden Bruder Sherlock auf eine falsche Fährte zu locken, die diesen ausgerechnet in die Arme seiner Erzfeinde laufen lässt …
Barrie Roberts: Das Rätsel des Addleton-Fluches („The Mystery of the Addleton Curse“, 1997), S. 97-129: Ein altes Grab birgt ein wahrlich strahlendes Geheimnis, das Unglück und Tod über den bringt, der es aufzudecken wagt; erst Sherlock Holmes, der nicht an das Übernatürliche glaubt, kommt dem Rätsel auf die Spur …
Martin Baresch: Das späte Geständnis im Mordfall Mary Watson (2003), S. 131-157: Im Frühsommer des Jahres 1912 wird Sherlock Holmes in seinem Altersruhesitz in Sussex von der lange verdrängten Wahrheit überfallen, dass Mary, die geliebte Gattin seines Gefährten Dr. Watson, vor zwanzig Jahren einem Mord zum Opfer fiel, in den beide Freunde verwickelt sein könnten …
Geoffrey Landis: Die einzigartigen Verhaltensmuster der Wespen („The Singular Habits of Wasps“, 1994), S. 159-186: Im Frühjahr 1888 treibt in den Gassen von Whitechapel Jack the Ripper sein Unwesen, den Sherlock Holmes als wahrlich unmenschliche Geißel der Menschheit entlarvt …
(Storynachweis: S. 187; Die Autoren: S. 188/89)
Arthur Conan Doyle hätte sich gewundert – und geärgert. In einer der hier versammelten „neuen“ Geschichten lässt ihn der Verfasser persönlich auftreten und erklären, ihm seien seine historischen Werke stets wichtiger gewesen als die Holmes-Storys, die er eher als (einträgliche) Gedankenspielereien betrachte. Dies entspricht der Wirklichkeit, doch leider (oder glücklicherweise) ist das Publikum störrisch und urteilt nach eigenem Ermessen. So liest heute kaum mehr jemand Doyles Lieblingsbücher, während Sherlock Holmes triumphiert.
Er ist ohnehin auf seinen geistigen Vater schon lange nicht mehr angewiesen. Noch zu Doyles Lebzeiten entstanden die ersten Holmes-Pastichés im Stil des Meisters. Nach 1930 nahm deren Zahl beständig zu. Doyles Geschichten vom Meisterdetektiv sind formal wie inhaltlich recht einfach strukturiert und leicht nachzuahmen (oder zu parodieren). Ehrfürchtig oder spottlustig versuchten sich auf der ganzen Welt Autoren an Sherlock Holmes. Bemerkenswertes und Eigenartiges entstand dabei – Holmes-Geschichten, die das Original übertrafen, es geschickt oder plump imitierten, mit ihm ’spielten‘ und den starren Formeln neues Leben einhauchten.
In „Holmes und der Kannibale“ finden wir sämtliche Varianten. Gary Lovisi belegt mit den beiden ersten Storys das Wider und Für einer Holmes-Nachschöpfung. Die Titelgeschichte ist Doyle pur: die fast ängstliche Rekonstruktion einer Erzählung wie „Der Vampir von Sussex“, die Holmes auf das (vermeintlich) Übernatürliche, auf jeden Fall aber viktorianisch Erschröckliche treffen lassen. „Holmes und der Kannibale“ soll wirken wie Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben. Ob dies Lovisi, dem Verfasser, gelungen ist, muss offen bleiben. Der Übersetzer war seiner Aufgabe jedenfalls nur zum Teil gewachsen – das Bemühen ums nostalgisch Altmodische bleibt allzu spürbar in der steifen Mischung aus Altem und Neuem.
Lovisi selbst ist es, der belegt, wie man es besser macht: „Mycrofts großes Spiel“, einerseits die flotte und gelungene Neuinterpretation einiger zentraler Holmes-Klassiker, ist andererseits keine Geschichte, die Doyle selbst so hätte schreiben können und wollen. Sie entstand viel später im 20. Jahrhundert und in wissender Rückschau auf die historischen Verhältnisse um 1890. Doyle hätte Mycroft niemals als skrupellosen Zweckpolitiker dargestellt, der planmäßig illegale und unehrenhafte Methoden zur Sicherung des Empires einsetzt und sogar seinen Bruder betrügt. Solche Kritik wäre dem viktorianischen Zeitgenossen Arthur Conan Doyle wie Landesverrat erschienen. Er glaubte fest an die Rechtmäßigkeit des Systems (dessen Schattenseiten ihm freilich nicht fremd waren). Der Realität sah er sich nicht verpflichtet. Außerdem hielt sich Doyle an einen strengen moralischen Kodex. Nicht von ungefähr ließ er Holmes nie gegen Jack the Ripper antreten, obwohl die beiden schließlich „Zeitgenossen“ waren. Dies blieb Doyles Nachfolgern überlassen. In diesem Band ist es Geoffrey Landis, der sich des Ripper-Motivs bedient – das freilich auf recht unerwartete Weise. (Michael Dibdin zeigte da 1978 weniger Zurückhaltung und identifizierte in „The Last Sherlock Holmes Story“ – dt. „Der letzte Sherlock-Holmes-Roman“ – den völlig wahnsinnig gewordenen Meisterdetektiv selbst als Ripper …)
Auch „Das Rätsel des Addleton-Fluches“ würde ohne die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft als Story nicht funktionieren. Der Leser der Jetztzeit kennt schon nach wenigen Seiten die Lösung des Rätsels. Nun liegt der eigentliche Reiz darin zu beobachten, wie Sherlock Holmes in Unkenntnis der Fakten die Indizien zu einem Bild zusammensetzt, das ihn nachvollziehbar logisch darauf schließen lässt, was sich da in dem alten Grab verbirgt. Darüber hinaus wartet „Das Rätsel des Addleton-Fluches“ mit einer hübschen Schaueratmosphäre in winterlicher Mooreinöde auf, die schon den „Hund der Baskervilles“ eindrucksvoll zur Geltung brachte.
Mit Martin Baresch (der auch zwei der hier besprochenen Geschichten übersetzte) versuchte sich ein deutscher Autor an Sherlock Holmes. „Das späte Geständnis im Mordfall Mary Watson“ kann sich sehen bzw. lesen lassen, auch wenn die Auflösung der (unnötig) kompliziert verschachtelten Handlung nur bedingt gerecht werden kann. Auch die Prämisse stimmt nachdenklich: Ausgerechnet Sherlock Holmes soll einen Nervenschock erlitten haben, der sich erst nach zwei Jahrzehnten zu lösen beginnt? Zwar geht es um den Mord an Watsons Ehefrau, den unter anderen Verdächtigen auch Holmes selbst begangen haben könnte. Dennoch ist ihm in seiner wechselvollen Karriere wesentlich Schlimmeres ohne gravierende Folgen zugestoßen. Mycroft Holmes und Arthur Conan Doyle werden eher schlecht als recht in den Plot gezwungen. Und schließlich: Ist Watson wirklich so tumb, dass er sich beim Anblick seiner von Bienen zerstochenen Gattin mit der Diagnose „Lungenkollaps“ zufrieden gegeben hätte? Nichtsdestotrotz ist „Das späte Geständnis …“ eine lesenswerte Story, weil sie das typische Fanzine-Niveau deutscher Genregeschichten weit hinter sich lässt und eine bemerkenswerte stilistische Sicherheit erkennen lässt.
Geoffrey Landis lässt schließlich jede Ehrfurcht vor den alten Formen fahren. „Die einzigartigen Verhaltensmuster der Wespen“ ist pure Spielerei, welche die Regeln der kriminalistischen Deduktion außen vor und Holmes & Watson in eine Science-Fiction-Invasion außerirdischer „Schlupfwespen“ geraten lässt. Bei der wilden, blutigen Jagd, in der Holmes unfreiwillig die Rolle von Jack the Ripper übernehmen muss, werden unsere Helden von einem angehenden jungen Schriftsteller namens H. G. Wells unterstützt, der seine Erfahrungen 1897 in einen Romanbestseller namens [„Krieg der Welten“ 1475 einfließen lassen wird – ein hübscher Gag am Rande, der die „historische Relevanz“, die vielen Neo-Doyles sehr wichtig ist, zusätzlich ad absurdum führt.
|Anmerkung|
Normalerweise versorgt der BLITZ-Verlag ein einschlägiges Publikum mit SF- und Horrortrash, der hübsche Titel wie „Die Mordanaconda“, „Retortenmonster“ oder „Sturm auf den Feuerwall“ trägt. Zwischen diesem liebenswerten Unfug verstecken sich einige Reihen, die nicht nur anspruchsvoller wirken, sondern es sogar sind. „Sherlock Holmes Criminal Bibliothek“ ist eine noch junge Schöpfung, die – vorausgesetzt wird die Akzeptanz einer literarischen Seltsamkeit, die auf der künstlichen Wiederbelebung eines längst untergegangenen Kapitels der Krimigeschichte basiert – ausschließlich „neue“ Holmes-Romane und Storysammlungen präsentiert. Solche Werke sind auch in Deutschland seit Doyles Tod immer wieder erschienen, aber erst der BLITZ-Verlag unternimmt es jetzt, etwa zweimal im Jahr gezielt Nachschub an Holmesiana zu liefern. Die (Erst-)Auflage beträgt jeweils 999 Exemplare, das Layout ist hübsch nostalgisch, der Kaufpreis beläuft sich auf günstige 9.95 Euro. Unter diesen Umständen kann der Sherlock-Holmes-Fan praktisch nichts falsch machen, wenn er hier zugreift.
Jeanine Krock hat mit ihrem Romandebüt „Wege in die Dunkelheit“ (die Ähnlichkeit des Titels mit dem Urgestein aller Vampirportale – pathwaytodarkness.com – ist nicht von der Hand zu weisen) einen dichten und wirklich spannenden Vampirroman vorgelegt, der gleichzeitig einen Einblick in die Gothic-Szene der 80er Jahre bietet und fast nebenbei einen ganzen Vampirmythos aufbaut. Daher bleibt kaum verhüllt, „wo“ die Autorin herkommt: Gothic-Szene und Vampirwirklichkeit bedingen sich in „Wege in die Dunkelheit“ gegenseitig – die Faszination an der dunklen Seite der Existenz, das theatralische Pathos, das Kokettieren mit melancholischen Zuständen und tiefen Gefühlen bringen Vampire und Mitglieder der Subkultur unweigerlich zusammen.
Die Geschichte startet in Deutschland mit dem jungen Nik, der auf einem Konzert an die überirdisch schöne Shamina gerät. Selbige Shamina ist natürlich eine Vampirin und ganz in der Tradition des 19. Jahrhunderts grünäugig, sinnlich und unwiderstehlich. Nik ist sofort Feuer und Flamme und vergisst darüber seine – zugegebenermaßen – nervtötende Freundin Katharina. Shamina wiederum, durchaus von Nik angetan, hat keine Möglichkeit, aus den Verpflichtungen ihres Vampirismus auszubrechen, wird sie doch von ihrem Master Sylvain aufgefordert, ihm bei der Vernichtung eines urbösen Vampirs zu helfen.
So wandert die Handlung von der westdeutschen Provinz ins brodelnde Berlin, ins absolut überschäumende London und auf Sylvains englischen Landsitz. In Flashbacks erfährt der Leser darüberhinaus so einiges über die handelnden Vampire. Vor einer farbenfrohen historischen Kulisse gibt es da rauschende Feste und Straßenräuber, unsterbliche Diener und einen nie enden wollenden Vorrat an Blut.
Es ist schwierig zu entscheiden, wo man bei „Wege in die Dunkelheit“ ansetzen soll. Das Buch ist so voll von Ideen, Handlungssträngen und Themenkomplexen, dass man daraus ohne Probleme eine ganze Romanreihe hätte machen können, ohne dass dem Leser langweilig würde. Mehr noch, es hätte der Autorin die Möglichkeit gegeben, bestimmte Situationen nicht nur anzureißen und den historischen Hintergrund der Vampire deutlicher auszuleuchten. So aber werden ganze Handlungsstränge (beispielsweise Shaminas Vampirwerdung) nur kurz rekapituliert und damit Potenzial verschenkt. Ebenso ergeht es dem eigentlichen Knackpunkt des Romans, nämlich der geplanten Vernichtung des Oberschurken Ludovico, die blass und schablonenhaft bleibt und auf minimalem Raum abgehandelt wird. Auf die Charakterisierung der Gefahr, die von Ludovico (der nie wirklich auftaucht) ausgehen soll, wird überhaupt keine Tinte verwandt und man wird den Eindruck nicht los, dass er nur ein |plot device| ist, um die Vampire zusammenzuführen.
Wirklich gelungen ist dagegen die Beschreibung der deutschen und englischen Subkultur. Von der Darstellung von Bands bis zur ausführlichen Beschreibung von Hairstyles und Klamotten ist alles vertreten. Der dazugehörige Lebenstil komplett mit übertriebenen Gefühlen und plötzlichen Liebesbezeugungen durchtränkt den gesamten Roman und man ist klar im Vorteil, wenn man eine Gothic-Affinität besitzt. Ansonsten kann einem beim hohen Pathos-Grad schnell schwindelig werden. Hier werden sich jedoch auch die Leser finden, für die „Wege in die Dunkelheit“ wie auf den Leib geschneidert ist. Das Buch ist eine relativ unverhüllte, zweihundert Seiten lange Wunschvorstellung vom Vampirismus, die sich nicht damit abmüht, die damit verbundenen Problematiken zur Sprache zu bringen. Krocks Vampire sind durchweg menschenliebende Humanisten, die zur Blutbeschaffung natürlich nie jemanden töten würden – zumindest wenn es sich um die richtige Gruppe Menschen handelt. Einen Pulk Skins genüsslich um die Ecke zu bringen, bereitet ihnen dagegen keine moralischen Kopfzerbrechen.
Für Anhänger der schwarzen Subkultur sollte „Wege in die Dunkelheit“ also ein wahres Fest sein, der Durchschnittsleser wird aber ebenso gut unterhalten. Trotz der Schwächen (und der positiven Schwäche, dass das Buch ruhig hätte länger sein können), schafft es Krock, den Leser zu fesseln und zu unterhalten und ein breites Panoptikum an Schauplätzen und Figuren zu präsentieren. Die Verbindung des Vampirthemas mit der Gothic-Szene ist für das deutsche Genre ein Novum und schon daher die Lektüre wert.
Was abschließend noch erwähnt werden sollte, ist, dass dem Roman ein wirkliches Lektorat fehlt. Nicht nur hätte das den Stil an einigen Stellen geglättet, sondern dem Buch auch sonst eine „runde“ Form gegeben. Scheinbar war man sich aber bei |Ubooks| nicht ganz sicher, ob man nun die neue oder alte Rechtschreibung benutzen solle. Und um eine Entscheidung zu vermeiden, wurde einfach alles durcheinander verwendet. Das Gleiche gilt für die Zeichensetzung, besonders, wenn es um die wörtliche Rede geht. Da werden munter verschiedene Anführungszeichen verwendet, ohne darauf zu achten, wie diese mit den normalen Satzzeichen korrespondieren sollten. Man muss kein Grammatikgenie sein, um über solche wilden Satzkonstruktionen Verwunderung zu empfinden.
Nachdem der [erste Teil 1477 von „Taken“ eigentlich nur eine Art Einleitung war, um die Hintergründe der Generationen überspannenden Geschichte deutlich zu machen, geht es nun beim zweiten Teil „Unter fremden Sternen“ schon etwas mehr in die Tiefe, weil hier die ersten Spätfolgen des UFO-Absturzes über Roswell im Jahre 1947 sichtbar werden. Dementsprechend gibt es auch eine ganze Riege neuer Hauptakteure, weil man mittlerweile schon im Jahre 1980 angelangt ist und die alten Helden entweder schon verstorben oder in einem für die Geschichte nicht mehr relevanten Alter sind.
Die wichtigste Figur ist jedoch auch schon aus dem ersten Roman bekannt, nämlich Jacob Clarke, der Sohn des Außerirdischen John und der Farmerin Sally, dessen außergewöhnliche Fähigkeiten ihn ja schon im ersten Teil mit dem militärischen Geheimdienst in Konflikt geraten ließen. Ein weiterer Bekannter ist Jesse Keys, der Sohn des im Krieg entführten Russell, dessen Schicksal von Bedeutung ist, denn er konnte der Bedrohung aus dem All nicht mehr entkommen. Aber vor allem geht es hier bereits um die dritte Generation und somit um die Kinder von Jesse und Jacob, die im Endeffekt das Ziel des langfristig angelegten Plans sind …
_Story:_
Nach eltichen Jahren kehrt der mittlerweile verheiratete Jacob mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern in sein Elternhaus zurück. Jacob hat sich schwer verändert, ist seit einiger Zeit nämlich tatsächlich dazu imstande, ein normales Leben zu führen. Dort trifft er nicht nur auf seine beiden Geschwister, sondern auch auf eine sterbende Mutter, deren Tod letztendlich auch Jacobs Kräfte schwächt und sich auf sein Verhalten auswirkt. Sein Bruder hat seine Zweifel bezüglich UFOs derweil komplett abgelegt und beschäftigt sich seit geraumer Zeit intensiv mit dem Phänomen. Dabei gelingt es ihm sogar, Eric Crawford das geheime Projekt aus den Händen zu reißen, und bis auf das Geschenk seines Vaters verliert Crawford schließlich sämtliche Unterlagen und Beweisstücke über die Aliens. Eric taucht eine Zeit lang unter, soll aber später noch groß in Erscheinung treten …
Erics Tochter Mary hat sich ebenfalls dem Thema gewidmet und geht dabei über Leichen. So freundet sie sich mit Dr. Wakeman an, der inzwischen große Fortschritte bei der Analyse der gefundenen Aliens gemacht hat und hinter das Geheimnis der eingepflanzten Sensoren gekommen ist. Er hat herausgefunden, dass die betroffenen bzw. entführten Personen allesamt einen Sender ‚eingebaut‘ bekommen haben und für die Außerirdischen jederzeit aufspürbar sind. Dies hat sich Wakeman selber zunutze gemacht und eine Karte erstellt, mit Hilfe derer er ebenfalls genau nachsehen kann, wo sich die Menschen mit diesem Sender derzeitig befinden. Als es Wakeman schließlich noch gelingt, das Signal abzuschirmen, macht er den größten Coup, denn so kann er die Aliens täuschen.
Nach und nach entwickelt sich die ganze Geschichte, wobei Charlie, der Sohn des entführten Jesse Keys, sowie Jacobs Tochter Lisa am Ende die wichtigste Rolle übernehmen, denn wie sich herausstellt, sollen die beiden laut dem Plan der Aliens ein gemeinsames Kind zeugen, welches schließlich menschliche und außerirdische Eigenschaften und Fähigkeiten miteinander verbinden soll. Und der Plan gelingt tatsächlich; das Kind, Allie, wird schnell zum begehrtesten Wesen auf dem ganzen Planeten und alle machen Jagd auf sie. Selbst ein gewisser Eric Crawford taucht plötzlich wieder auf der Karte auf …
_Bewertung:_
Im zweiten Teil laufen viele Geschichten parallel, und auch wenn das oben Angeführte ein wenig konfus klingen mag, so gelingt es Thomas H. Cook dieses Mal viel besser, die Geschichte spannend und logisch zu erzählen. Im Gegensatz zum ersten Buch werden hier nicht bloß Fakten aneinander gereiht, sondern wirklich erzählt. Sehr angenehm ist dabei, dass sich die einzelnen Zeitsprünge in Grenzen halten, die Geschichte also in einem recht limitierten Zeitrahmen stattfindet – auch hier sehe ich eindeutige Vorteile zum ersten Buch.
Vor allem aber erscheint mit dem zweiten Teil langsam aber sicher alles logisch. Die vielen Optionen, die sich mit dem ersten Buch aufgetan haben, werden hier tiefgreifender beschrieben und ihr Zusammenhang deutlicher und verständlicher herausgestellt. Trotzdem muss man den Inhalt des ersten Bandes aber kennen, um der Story in „Unter fremden Sternen“ folgen zu können.
Man könnte also behaupten, dass „Wir sind nicht allein“ die etwas mühselige Einleitung für die ‚richtige‘ Geschichte ist, die erst jetzt beginnt, dafür aber dann auch sofort sehr spannend wird, vor allem, weil so viele Dinge zunächst offen bleiben und sich eine ganze Reihe neuer Optionen infolge des teuflichen Plans der Aliens ergeben.
Bei dem Eindruck, dass ich die TV-Serie in diesem Fall bevorzuge, bleibe ich dennoch, denn Steven Spielberg hat hier wirklich etwas Einzigartiges kreiert, das sich eben besser in bewegten Bildern als in der von Thomas H. Cook beschriebenen Story verstehen lässt. Dennoch finde ich dieses zweite Buch sehr gelungen und toll erzählt, kann es also als Alternative zum Fernsehereignis auch bedenkenlos empfehlen.
Endlich hat David sich der Frage nach der Zerstörung des Fürstenrings zugewandt, nur um in jeglicher Hinsicht einen Rückschlag einzustecken! Der Ring hat nicht einmal die Andeutung einer Beeinträchtigung abbekommen, stattdessen haben die Experimente Belials Schergen auf den Plan gerufen. David muß schleunigst untertauchen.
Aber wenigstens ein Gutes ist dabei herausgekommen: Sein Freund Lorenzo di Marco, zu dem der Kontakt während des Zweiten Weltkriegs komplett abgebrochen war, ist wiedergefunden und begleitet David nun nach New York, um seine Recherchen für David dort weiter zu betreiben.
David ist zunächst noch einmal in Südamerika unterwegs, denn ein Gespräch mit dem nach jahrelanger Suche endlich aufgetriebenen von Papen hat ihm in einigen Punkten die Augen geöffnet. Kaum aus Südamerika zurück, verlangt die Kuba-Krise seine volle Aufmerksamkeit. Das eigentliche Ziel des Interesses jedoch sind die Qumram-Rollen, von denen David sich Aufschluss über frühere und vielleicht auch jetzige Versammlungsorte des Kreises der Dämmerung erhofft. Seine Suche führt ihn über Griechenland und Russland in die Türkei. Die Reise lüftet das Geheimnis der einfachen Siegelringe, aber nicht das um den Fürstenring. Und die letzten beiden Logenbrüder des Kreises sind wie vom Erdboden verschluckt! David tritt auf der Stelle, und die Zeit läuft ihm davon …
Nachdem die ersten drei Bände des Zyklus einen Zeitraum von lediglich knapp sechzig Jahren behandelten, rechnete ich schon fast damit, dass die Handlung bereits weit vor dem Jahrtausendwechsel enden würde. Das sollte sich als Irrtum herausstellen.
Bei Davids Rückkehr aus der Türkei schreibt der Autor das Jahr 1982. Die darauf folgenden Jahre werden durch die Zusammenfassung verschiedener Eckdaten recht straff zusammengefasst. Erst im Jahr 1995 geht die Handlung mit Davids letzter Japanreise wieder mehr ins Detail. Die letzten hundertfünfzig Seiten umfassen dann die extrem kurze Zeitspanne von nur neun Monaten, vom April bis zum 31. Dezember 1999.
Davids Charakter macht in diesen letzten vierzig Jahren keine großen Wandlungen mehr durch. Erwachsen ist er schon, leidgeprüft auch, und für das Entwickeln von Schrullen, wie alte Leute es häufig tun, hat er gar keine Zeit. Auch körperlich bleibt er überraschend jung, im Alter von fünfundneunzig Jahren wirkt er noch wie ein Fünfzigjähriger, was wohl zu seinen Gaben als Jahrhundertkind gehören dürfte, denn die Lebensspanne von hundert Jahren wäre wohl kaum diese hundert Jahre wert, wenn davon zwanzig Prozent oder gar mehr durch Gebrechlichkeit beeinträchtigt wären.
Trotzdem ist David gegen Ende seines Lebens auf ein wachsendes Heer von Helfern angewiesen. Getarnt als Nachrichtenagentur, sammeln eine Menge Leute für ihn alles an Informationen, was zu kriegen ist. Dazu gehören neben Lorenzo und Ruben inzwischen auch Dee-Dee und Davy, zwei junge Computer-Freaks, die für ihn, wenn nötig, auch mal in fremde Rechner einbrechen. Denn der Giftgas-Anschlag in Tokyo geht David nicht aus dem Sinn, und tatsächlich ergibt die Recherche Ungeheuerliches …
Ob das Szenario, das Isau da entwirft, so wirklich möglich ist, dürften noch nicht einmal Koryphäen der Wissenschaft beantworten können, denn das Thema selbst ist längst nicht genügend erforscht. Davon ganz abgesehen, enthält die Sache einen kleinen Logikfehler: Wenn die Basis zur Vernichtung, die Zündschnur quasi, bereits verlegt ist, wie Kellipoth sagt, was sollte es dann nutzen, wenn David das Zünden der Lunte verhindert? In den folgenden Jahren nach der Jahrtausendwende kann jeder beliebige Unfall die Lunte nachträglich in Brand setzen! – Erstaunlicherweise hat David diese Erkenntnis selbst bereits im Zusammenhang mit dem Giftgasanschlag in Tokyo geäußert! Das Ende der Geschichte ist, zumindest im Hinblick darauf, deshalb nicht ganz befriedigend ausgefallen.
Die Erwähnung des Pik-Ass zu einem Zeitpunkt, da David es noch gar nicht erhalten hat, war wohl ein Lapsus des Lektorats, und die Äußerung bezog sich auf das Kreuz-Ass, das David von Südamerika nach Rom gelotst hat.
Verwunderlich erschien mir dagegen, dass der Kreis auch nach den Ereignissen, die ihn bereits mehrere seiner Brüder gekostet hat, immer noch nicht zu wissen scheint, welche außergewöhnlichen Gaben David besitzt! Eigentlich sollte man meinen, dass der mächtige Lord Belial das mal rauskriegt und die Übrigen über die Einzelheiten informiert. Allgemeine Warnungen dürften aufgrund Davids unübersehbarer Erfolge ziemlich überflüssig sein!
Ebenso verwundert hat mich der Fatalismus, mit dem Davids Angehörige die Meldung hingenommen haben, er sei im Pazifik gefallen. Sie alle wussten von Davids Lebensaufgabe und seinen Fähigkeiten. Eine solche Meldung hätte ich nur angesichts seines Leichnams geglaubt!
Auch mit dem Epilog hatte ich gelinde Schwierigkeiten. So relativ nach Einstein auch alles sein mag, wie immer David es geschafft haben mag: Eine Doppelexistenz über mehrere Jahrzehnte, ohne dass irgendwelche Behörden, Banken, Versicherungen oder sonstige Leute damit ein Problem bekommen und die Sache auffliegt, das kommt mir doch sehr unwahrscheinlich vor! Andererseits haben wir es hier nicht umsonst mit Fantasy zu tun, also sei David die Entschädigung für seinen langen Kampf gegönnt.
Trotz dieser kleinen Mängel fand ich das Buch im Ganzen gelungen. Spätestens nach der Kuba-Krise geht es ans Eingemachte, und vor allem auf den letzten 150 Seiten zieht die Spannung deutlich an. Nicht allein deshalb, weil David die Zeit davonläuft, sondern auch, weil der Leser zum ersten Mal nicht weiß, worum es diesmal wirklich geht und wie es endet.
Insgesamt gehört derKreis der Dämmerung zu den besten Büchern, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Isau hat seine fantastischen Elemente geschickt mit der historischen Realität verwoben, seine fundierte Recherche zu den beschriebenen Geschehnissen war dazu die beste Grundlage. Entstanden ist daraus eine intelligente und faszinierende Geschichte, die durchaus deutlich Stellung zu den Ereignissen und Entwicklungen des Jahrhunderts enthält, und das ganz ohne Polemik oder erhobenen Zeigefinger. Ein echter Leckerbissen, sowohl für Freunde des Fantasy-Genres als auch für Liebhaber des Historienromans.
Ralf Isau, gebürtiger Berliner, war nach seinem Abitur und einer kaufmännischen Ausbildung zunächst als Programmierer tätig, ehe er 1988 zu schreiben anfing. Aus seiner Feder stammen außer der Neschan-Trilogie und dem Kreis der Dämmerung unter anderem „Der Herr der Unruhe“, „Der silberne Sinn“, „Das Netz der Schattenspiele“ und „Das Museum der gestohlenen Erinnerungen“. In der Reihe Die Legenden von Phantásien ist von ihm „Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ erschienen. Im Juli dieses Jahres kam der erste Band der Chroniken von Mirad unter dem Titel „Das gespiegelte Herz“ heraus, im September wird „Die Galerie der Lügen“ herausgegeben. In der Zwischenzeit arbeitet der Autor an den Folgebänden der Chroniken von Mirad.
Dem Vorwort des Herausgebers Frank Festa (S. 4/5), der sich für die Leserresonanz auf den ersten Omen-Band bedankt und dem Horror auf dem deutschen Buchmarkt eine optimistische Prognose stellt, folgt mit „Mister Bradbury“ (S. 25-28) ein erster Bericht der „Omen-USA-Korrespondentin“ Paula Guran, die einen öffentlichen Auftritt des Phantastik-Veteranen Ray Bradbury erlebte. Auch die nächsten drei Beiträge stammen von Guran: ein „Interview mit Clive Barker“ (S. 49-69), gefolgt von einer „Ergänzung“, die dem Schriftsteller den Maler und Zeichner Barker zur Seite stellt: „Die Kunst des Clive Barker“ (S. 89-96). Schließlich gibt es ein „Interview mit Neil Gaiman“ (S. 97-104). Konstantin Paustowski erinnert an das unglückliche Leben und das reiche Werk des russischen Schriftstellers Alexander Grin (S. 115-133). Dirk Berger führt das dritte Interview dieses Journals mit Tim Powers (S. 150-165).
|Storys:|
– Brian McNaughton: Meryphillia („Meryphillia“, 1990, S. 7-28): Ein weiblicher Friedhofsghoul verliebt sich in einen überspannten Dichter und beweist eindrucksvoll, dass Liebe tatsächlich durch den Magen gehen kann …
– Howard Phillips Lovecraft: Pickmans Modell („Pickman’s Model“, 1927, S. 30-44): Die schrecklichen Nachtmahre, die ein junger Maler auf die Leinwand bannt, wirken nicht grundlos so lebensecht …
– Daniela Klug & Stefan Krüger: Jack, der U-Bahn-Klopfer (2005, S. 45-48): Ein gelangweilter Streckenwärter verfällt tief unter der Erde seiner Angst vor der Finsternis …
– Henry Kuttner: Das Geheimnis von Schloss Kralitz („The Secret of Kralitz“, 1936, S. 70-77): Der 21. Nachkomme eines verderbten Adelsgeschlechts lernt den Familienfluch kennen …
– John Metcalfe: Das Ödland („The Bad Lands“, 1925, S. 78-88): Eine Art Raumfalte verschafft dem nervenschwachen Kurgast Zugang in eine fremde Dimension, deren böses Herz er mit einem reinigenden Feuer auszubrennen gedenkt …
– Tim Powers: Wo sie lauern („Where They Are Hide“, 1995, S. 166-191): Kreuz & quer springt der Zeitreisende durch die Jahrzehnte und tilgt unerfreuliche Handlungsträger aus der Weltgeschichte, welche sich indes nicht kampflos verdrängen lassen, sondern als übellaunige „Zeitgeister“ in die Gegenoffensive gehen …
– William Hope Hodgson: Die Insel des Ud („The Island of the Ud“, 1912, S. 192-214): Auf einer einsamen Südseeinsel steht ein mit Perlen geschmückter Totempfahl, auf den es ein habgieriger Kapitän abgesehen hat; freilich steht allerlei Monsterpack zwischen ihm und dem ersehnten Reichtum …
Brian Calvin Andersons Kurzcomic „Teddybär“ (S. 105-114) erzählt von den Schrecken, die in einem nächtlichen Kinderzimmer hausen können …
Unter dem Titel „Fenster zur Phantastik“ rezensieren Jan Gardemann, Malte S. Sembten und Uwe Vöhl verschiedene deutschsprachige Horrortitel der vergangenen Monate (S. 134-149, 219-222). Diverse Leserbriefe, die Herausgeber Festa selbst beantwortet, schließen „Omen 2“ ab (S. 215-218).
|Darstellung|
Gleich vierfach ist Paula Guran mit einschlägigen Horror-Beiträgen vertreten. Warum dies so bzw. wer diese Dame eigentlich ist, enthält uns das „Omen“-Team vor. Daher muss man sich selbst schlau machen, was glücklicherweise einfach ist, da Ms Guran äußerst aktiv ist (vgl. http://www.darkecho.com/darkecho/web/about.html#guran ). Ihr Ruf als Genre-Expertin lässt sich demnach begründen, wichtiger sind aber wohl ihre Verbindungen zu Autoren, Regisseuren und anderen Horror-„Machern“. Die Interviews mit Barker und Gaiman wurden professionell geführt und sind informativ (wenn auch bereits leicht angestaubt), der Artikel über den Künstler Clive Barker fällt zwar sehr subjektiv aus (woraus die Verfasserin keinen Hehl macht), ist aber ebenfalls interessant. Missfallen erregt hingegen der Beitrag über Ray Bradbury, welcher an mittelalterliche Heiligenverklärung grenzt, aber immerhin sehr schön den US-amerikanischen Hang zur organisierten Gefühlsduselei („Dennoch waren wir zu Tränen gerührt. Wir nahmen mehr mit, als wir mitgebracht hatten. Wir waren inspiriert worden.“ – S. 28) verdeutlicht. Wohltuend sachlich und konzentriert befragt Dirk Berger einen offensichtlich gut gelaunten Tim Powers.
Erst irritiert, dann zunehmend ärgerlich macht die Lektüre von „Über Alexander Grin“. Der Anlass ist (wahrscheinlich) der Geburtstag dieses russischen Schriftstellers (1880-1932), der sich heuer zum 125. Male jährt. (Vermerkt wird das an keiner Stelle.) Natürlich braucht es keinen direkten Grund, um an den Verfasser phantastisch-romantischer Meisterwerke wie „Purpursegel“, „Tod durch Ratten“ oder „Wogengleiter“ zu erinnern. Dies sollte dann freilich nicht durch einen Artikel geschehen, der völlig veraltet und höchstens noch – wenn überhaupt – als zeithistorisches Dokument lesbar ist. Konstantin Paustowski (1892-1968) schrieb als strammer (bzw. vorsichtiger) Bolschewist in einer Sowjetunion, die „Abweichler“ auch in der Kunst planvoll mundtot machte. Aus dem Menschen und Schriftsteller Grin, der sowohl im Zarenreich als auch nach der „Revolution“ trotz eher hilfloser Anbiederungsversuche ein missachteter und verfolgter Außenseiter blieb, macht Paustowski nachträglich einen Kulturrevolutionär im Geiste Lenins. Auch sonst müssen die wenigen biografischen und literaturgeschichtlichen Fakten aus einem Wust von Politkitsch, paustowskischen Treuebekenntnissen zum Sowjetregime und schwülstig literarisierten Episoden der Grin-Vita geklaubt werden. Ob Paustowski einst so schreiben musste, ist an dieser Stelle irrelevant. Im 21. Jahrhundert und Jahre nach dem Ende der Sowjetdiktatur des Geistes dürfte es bessere Artikel über Grin und sein Werk geben. Falls dies nicht zutrifft, sollte man lieber selbst einen schreiben oder besser ganz darauf verzichten. Wer Grin war und was seine Arbeiten (nicht nur unter phantastischen Aspekten) zu etwas Besonderem macht, bleibt hier jedenfalls ungesagt.
Die Kurzgeschichten übertreffen den redaktionellen Teil an Qualität. (Halbwegs) Modernes (McNaughton, Powers) mischt sich mit Klassischem (Lovecraft, Kuttner, Metcalfe, Hodgson), wobei wie in „Omen“ Nr. 1 echte Neu- bzw. Wiederentdeckungen zu verzeichnen sind. McNaughton balanciert mit seiner Story um eine in Liebe entflammte Leichenfresserin und ihren spinnerten menschlichen Schatz auf dem schmalen Grat zwischen Ernst und Parodie, wobei der fabelhafte Schwarzhumor dem grotesken Geschehen eine ganz besondere Note (darf man sagen: „Hautgout“?) verleiht. Kuttner – hier mit einem ansehnlichen Lovecraft-Pastiche vertreten – ist schon lange vom deutschen Phantastik-Buchmarkt verschwunden, Metcalfe praktisch ein Unbekannter; in beiden Fällen ist dies eine Schande. Besonderes Lob verdient Tim Powers mit einer vertrackten Zeitreise-Story, die neben den Robert-A.-Heinlein-Klassikern „By His Bootstrap“ (1941; dt. „Im Kreis“) und „All You Zombies“ (1959; dt. „Entführung in die Zukunft“) ausgezeichnet bestehen kann.
Ob H. P. Lovecrafts x-fach nachgedruckte Story um den Monster-Maler Pickman unbedingt an dieser Stelle Wiederauferstehung feiern musste, ist eine Frage, die mancher Leser, der sie vielleicht doch noch nicht kannte, sicherlich anders beantworten wird als Ihr Rezensent. Unbeeinflusst davon bleibt „Pickmans Modell“ natürlich ein Klassiker mit ungebrochener Gruselwirkung (auch wenn die Auflösung wohl niemanden mehr überraschen kann). Apropos Auflösung: Endlich erfährt der Leser auch, was auf der „Insel des Ud“ wirklich geschah. Technische Probleme (oder übernatürliche Sabotage) machten in „Omen Nr. 1“ aus W. H. Hodgsons Meeresschauer unbeabsichtigt einen Zweiteiler. Nun folgen nicht nur die unter den Tisch gefallenen Seiten, sondern noch einmal die gesamte Story, was sicherlich die richtige Entscheidung ist.
Zu den weisen Entscheidungen muss man auch diejenige zählen, dem deutschen Gruselnachwuchs dieses Mal nur eine Gelegenheit zur Lautäußerung zu gewähren. Obwohl gleich als Doppelpack aktiv, gelingt (bzw. misslingt) dem Autorenduo Klug & Krüger mit „Jack, der U-Bahn-Klopfer“ nur eine bis ins vorhersehbare Finale spannungslose Fanstory im Groschenheft-Stil („Keuchend stieß er den Atem aus.“), die zwischen dem Porträt eines frustrierten Nine-to-Five-Arbeitsroboters und (wohl psychologisch angelegtem) Horror dahinschlingert. Ebenfalls überraschungsarm, aber ansprechend schwarzweiß und wortlos umgesetzt, präsentiert Brian Calvin Anderson die Mär vom Kinderspielzeug, in das der Teufel fährt.
Die Leserbriefe äußern (positive wie negative) Kritik zur „Omen“-Ausgabe Nr. 1; sie dienen gleichzeitig Herausgeber Frank Festa als Podium für allgemeine Aussagen zu Form und Inhalt des Journals. So nimmt er beispielsweise zur „Festa-Lastigkeit“ der im Journal vorgestellten Autoren Stellung, die er weder bestreitet noch zu ändern gedenkt. Das „Omen“ ist in der Tat Informations- und Werbeträger gleichzeitig, was uns in der Nr. 3 eine Art Brian-Lumley-Sonderausgabe bescheren wird: keine Ankündigung, die Anlass zur generellen Freude gibt, aber die Bedeutung dieses nicht gerade begnadeten, aber überaus erfolgreichen Verfassers gerade für den Festa-Verlag widerspiegelt. Diplomatisch und mutig zugleich nimmt der Hausherr außerdem Morgenluft witternden Nachwuchsautoren aus deutschen Landen den Wind aus den Segeln und bittet vor der Einsendung einer mit Herzblut geschriebenen, aber oft Hirnschmalz (& grammatische Grundregeln) entbehrenden Story noch einmal Selbstkritik walten zu lassen. Dem kann man sich als Leser nur anschließen.
Was die Rezensionen angeht, so befassen sich diese ausschließlich mit deutschsprachigen aber nicht von |Festa| verlegten Werken – eine Zurückhaltung, die hier eigentlich unnötig ist, da das hauseigene Programm viele Titel umfasst, die einer Besprechung eher Wert wären als die hier ausgewählten, meist deutlich mittelmäßigen Romane und Kurzgeschichtensammlungen.
Bleibt abschließend die schwer oder gar nicht zu beantwortende Frage, welche Nische das „Omen“-Journal auf dem sekundärliterarischen Horror-Sektor eigentlich einnimmt. Noch sind (zu) viele Beiträge – hier seien vor allem die Guran-Texte genannt – für diverse Websites und Webzines entstanden. Sie wurden sichtlich für den „schnellen Verbrauch“ geschrieben, verlieren rasch an Aktualität oder haben – wie Gurans Bradbury-Eloge – eher Blog-Charakter. Ein Journal, das nur einmal jährlich erscheint, sollte doch Themen finden, die eines Berichtes würdiger sind, um es etwas pompös auszudrücken. So wird aus dem „Omen“ jedenfalls kein deutsches „Weird Tales“! (Ausgespart bleiben von diesem Tadel die nicht deutschsprachigen Storys, deren Wahl – und Übersetzung – zu keinen Klagen Anlass geben.)
An der Überpräsenz von „zweitverwerteten“ Artikeln wird sich wohl zukünftig wenig ändern, da das „Journal“ einerseits sehr zeitaufwändig in der Zusammenstellung ist und andererseits nur von einem kleinen Team realisiert wird. Deshalb wird es wohl nichts mit umfassenden Blicken auf den Horror fremder Länder, auf dass wir in Deutschland wenigstens erfahren, was anderswo geschrieben und gelesen, uns leider jedoch in der Regel vorenthalten wird.
Dessen ungeachtet füllt das „Omen“-Journal hierzulande eine Lücke für den Genrefan, dem ansonsten nur die Möglichkeit bleibt, sich auf die Informationssuche in den Weiten des WWW zu begeben. Das ist – vor allem, wenn man des Englischen mächtig ist und ein bisschen Qualitätsstudium betreibt – eine ergiebige und verlässliche Quelle, aber auch der nicht konservative Horrorfreund liebt halt noch immer das Papier bzw. die gebündelte Lieferung von Hintergrundinfos. Deshalb trotz einiger kritischer Worte abschließend ein uneingeschränktes „Ja“ zum „Omen“.
Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ lässt sich sicherlich zu den Literaturklassikern zählen. Geschrieben 1899, wird das Werk auch heute immer wieder neu verlegt, gelesen, adaptiert, neuinterpretiert und verfilmt. Mit der Ausgabe vom Juni 2005 legt der |dtv| nun eine komplette Neuübersetzung von Conrads bekanntestem Werk vor.
„Herz der Finsternis“ ist eine klassische Rahmenerzählung. Kapitän Marlow ist mit ein paar anderen Männern an Bord einer Hochseeyacht auf der Themse unterwegs. Sie warten auf die einsetzende Flut und während sie warten, beginnt Kapitän Marlow eine Geschichte zu erzählen, die vor Jahren passierte und die er seitdem im Stillen mit sich herumgetragen hat.
Acht Leichen sind der Anfang. Es ist tiefe Nacht, als man die toten Körper am Ufer des Huangpu Jiang entdeckt. Ein groteskes, schreckliches Bild: Die Toten sind aufs Ärgste verstümmelt und gleichzeitig mit Eisenketten aneinander gefesselt. Ein unwirkliches Rad der Brutalität. Sun Piao, Hauptkommissar bei der Mordkommission von Shanghai, übernimmt den Fall. Und bereits am Tatort kündigt sich an, dass hier etwas unter der Oberfläche gärt, was nicht ans Licht kommen soll.
Zuerst ist es nur der Polizeipathologe, der sich weigert, die Toten zu untersuchen und auch Sun dazu rät, von der Sache abzulassen. Als dann auch noch einige hohe Kader am Ufer des Huangpu auftauchen und sich in die Ermittlungen einmischen, wittert Piao großen Ärger auf sich zukommen. Doch diesmal wird er nicht nach den Vorgaben des Systems handeln. Diesmal wird er sich nicht unterordnen und einfach abnicken, was seine Vorgesetzten ihm diktieren. Er ist fest entschlossen, die Hintergründe der Tat ans Licht zu zerren und in der korrupten, verkorksten Welt Shanghais ein einziges Mal für Gerechtigkeit zu sorgen. Zusammen mit seinem Kollegen Yaobang beginnt er auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen.
Im Jahr 2656 hat sich das Antlitz der Erde grundlegend verändert. Nach der zweiten Sinflut ist der Meeresspiegel drastisch gestiegen, weite Teile Europas stehen unter Wasser und der Begriff „Britannische Inseln“ hat eine ganz neue Bedeutung gewonnen: Ganz Britannien ist in viele kleine Inseln zerfallen, London selbst ist eine einzige große Inselfestung geworden.
Auf dem Armut leidenden Kontinent kämpft die angelitische Kirche mit ihren Engeln und unzähligen Gläubigen gegen die |Traumsaat| genannten Dämonen der Hölle. Der Technologie der Britonen steht man ablehnend und feindselig gegenüber, ihrem Glauben an heidnische Götter und Götzen der keltischen Sagenwelt ebenso.
Darum hat man eine gewaltige, schwimmende Festung gebaut. Die |Terra Nova| soll unzählige Gläubige, Templer und Engel nach Britannien übersetzen, um das Gelingen der Invasion der Inseln sicherzustellen. Die Engelsschar des Michaeliten Lumael, dessen Gruppe der Leser begleiten wird, ist nur eine der vielen Engelsscharen, die sich an diesem Feldzug beteiligen. Tief im Feindesland dagegen spioniert der Sarielit Joel, eine Mission, die ihn in höchste Gefahr bringt: Er wird zum Mundschenk des Sommerkönigs, eines der höchsten Götzen der Britonen, auserwählt …
„Terra Nova“ erzählt zusammen mit dem noch nicht erschienenen „Terra Incognita“ die Geschichte dieser Invasion. Die Duologie spielt im |Engel|-Rollenspieluniversum von |Feder & Schwert|, ein auf Phantastik und Rollenspiel spezialisierter Verlag, der von |Wizards of the Coast| die D&D-Lizenz für Deutschland erhalten hat und bereits zuvor für die Übersetzung von |Dungeons & Dragons|-Romanen wie der Reihe [Der Krieg der Spinnenkönigin 183 verantwortlich zeichnete.
Nicht-Rollenspieler können jedoch aufatmen, es sind keine der zahlreichen Bücher über die verschiedenen Engelsorden dieser Welt oder andere Sourcebooks, wie bei rollenspielbasierten Serien oft üblich, erforderlich, um „Terra Nova“ verstehen und genießen zu können. Die Autoren Verena Stöcklein und Thomas Plischke lassen die notwendigen Informationen elegant in die Handlung einfließen, die so mit einigen Aha-Effekten aufwarten kann und Interesse weckt.
Alleine die Idee des Engel-Universums hat ein hohes Unterhaltungspotenzial: Ein mittelalterliches Europa, in dem die Kirche noch stark ist, der Aberglaube weit verbreitet und der Teufel mit seinen Dämonen auf Erden wandelt. Die andersgläubigen Britonen setzen auf Technologie und heidnische Magie, Toleranz ist auf beiden Seiten nicht vorhanden, dafür sorgen die Priester beider Seiten mit markigen Predigten. Die von einer zweiten Sinflut heimgesuchte und durch sie veränderte Welt ist auf interessante Weise an unsere Geschichten und Sagen angelehnt, die in ihr verfremdet belebt und neu kombiniert werden. So wurden die Gralsburg oder der Gralsberg |Munsalvaesche| beziehungsweise |Montsalvasch| zum |Mount Salvage| umbenannt, während in |Roma Aeterna| der Chor der Sarieliten seine Ausbildung erfährt, neben den Gabrieliten, die mit Feuer und Schwert die Todesengel und somit die Kämpfer unter den Engeln stellen. Hier fließt das Rollenspielelement am stärksten ein, besteht doch die uns durch das Buch begleitende Engelsgruppe aus dem altbekannten Muster Kämpfer, Heiler, Magier.
Die Engel werden sehr menschlich dargestellt; so hat der Michaelit und Anführer der Schar, Lumael, panische Angst vor dem Wasser. Wie der Rest seines Engelsordens kann er jedoch für kurze Zeit jegliche Furcht unterdrücken, während die Gabrieliten mit Feuerschwert und feuerfester Rüstung ins Gefecht ziehen – auch hier sieht man das Regelwerk eines Rollenspiels hindurchscheinen, die zweigleisig erzählte Handlung schreitet jedoch flott voran und ist sehr abwechslungsreich, so dass dies nicht allzu störend wirkt.
In Britannien wird die Geschichte aus der Sichtweise von George, einem zuckerkranken Goldschmied, erzählt. Er kann nur durch das industriell hergestellte Insulin überleben, etwas, das es im angelitischen Europa nicht gibt, das alle Maschinen ablehnt. Als Angelit lebt er versteckt unter den heidnischen Britonen, die von keltisch angehauchten Druiden und Priesterinnen beherrscht werden. Weltlich werden sie von an altenglische Verhältnisse angelehnten „Thanes“ regiert, zwischen beiden Parteien kommt es immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten. Er soll dem Engel Joel als Partner zur Seite stehen, der ihn bitter nötig hat. Trotz aller Ausbildung und göttlichen Gaben mangelt es dem Engel an Kenntnis von Land und Leuten, sein überirdisch gutes Aussehen lässt sich zudem nicht verbergen und er wird zum Mundschenk des Sommerkönigs bestimmt, einem mächtigen Götzen der Britonen, was George an den Rand des Wahnsinns treibt. Konfliktpotenzial ist mehr als gegeben!
Interessant ist, dass die Engel sowie George durchaus kritisch reflektieren können, für was und gegen wen sie streiten. So sind nicht alle Engel aus Lumaels Schar angetan vom fanatischen Eifer der Templer und dem bevorstehenden Gemetzel, während Joel durch die Begegnung mit dem Sommerkönig in den Grundfesten seines Glaubens erschüttert wird. Wenig wird in diesem Band auf die Traumsaat-Dämonen eingegangen, er fokussiert das Geschehen stark auf die britannischen Inseln, auch treten interessanterweise weder Gott noch Teufel in Aktion und halten sich trotz aller übernatürlicher Präsenz im Hintergrund.
_Fazit:_
Auch wenn sich das Buch gezielt an Rollenspieler wendet und für das Engel-Rollenspiel wirbt, kann die fantasievolle Welt auch für gewöhnliche Fantasyleser einen Charme entfalten, dem man sich nicht entziehen kann. Wer D&D-Rollenspiele satt hat, bekommt hier eine frische und unverbrauchte Welt geboten, die sehr vielversprechende Ansätze bietet. Der Roman weist nur 259 Seiten auf, diese sind recht klein gedruckt, allerdings hervorragend gesetzt und so sehr gut lesbar – man könnte bei normaler Druckgröße von knapp 400 Seiten Umfang ausgehen, was die Qualität der Geschichte unterstreicht; ich hätte gerne noch weiter gelesen. Diese relative Kürze, verbunden mit den offenen Ende, stellt auch meinen Hauptkritikpunkt dar; man muss zwangsweise auch den zum Zeitpunkt dieser Rezension noch nicht erschienenen zweiten Band, „Terra Incognita“, lesen.
Hervorheben möchte ich auch das hochwertige Erscheinungsbild des Romans: Alleine die ausgefallene schwarz-weiß-goldene Gestaltung des Covers im Stil des Engel-Universums macht einen außergewöhnlich guten Eindruck, der sich im sorgfältigen Lektorat und der liebevollen Gestaltung der Kapitelüberschriften bis hin zu den Seitennummern fortsetzt. Hier steht das Engel-Universum ganz in der Tradition von |Feder & Schwert|; die Zeiten schlecht übersetzter amerikanischer Rollenspielfantasy sind endgültig vorbei. Misslungen ist hingegen der viel zu verspielte Titelschriftzug des Romans: Weder „Terra Nova“ noch „Der Schwur des Sommerkönigs 1“ kann man auf Anhieb lesbar erkennen, hier sollte man in Zukunft nachbessern.
Die hochinteressante postapokalyptische Welt spielt gekonnt mit Mythen, Geschichte und Legenden und schafft so eine tolle Atmosphäre; die Liebe zum Detail zeigt sich nicht nur im Roman, sondern setzt sich auch in der wunderschönen optischen Gestaltung fort. Ich kann sie jedem Rollenspieler nur empfehlen, der einmal ausgetrampelte D&D-Pfade verlassen und etwas Neues ausprobieren möchte. Dieser gelungene Roman erweckt Interesse und macht Appetit auf mehr.
Homepage des Engel-Rollenspiels:
http://www.engel-net.com/
Homepage von Feder & Schwert:
http://www.feder-und-schwert.com/
Leicht kann man bei der Übermacht an englischen Fantasy-Romanen vergessen, dass auch in anderen Ländern von fremden Welten, Magie und seltsamen Wesen erzählt wird. Selten genug veröffentlichen deutsche Verlage Romane aus dem französischen oder auch anderen Sprachräumen. Mathieu Gaborits Zyklus um das „Reich des Feuervogels“ ist eine solche Ausnahme.
„Der scharlachrote Turm“ ist der Auftakt der Geschichte und entführt uns auf eine Inselgruppe, deren Reiche nicht nur die Namen von Fabelwesen wie Greif, Drache und Einhorn tragen, sondern in denen auch tatsächlich solche Wesen mit den Menschen leben, ihnen die Magie geben und sie beschützen.
Einzig die Diener der Phönixe haben kein eigenes Reich gegründet. Ihre Gilde ist in allen Ländern beheimatet, denn die Feuervögel sind zum einen mächtiger als die anderen Fabelwesen, zum anderen aber auch nur von wenigen zu kontrollieren und zu bezähmen. Zu schnell kann Chaos und Vernichtung aus deren Feuer entstehen.
Der junge Januel ist ein solcher Diener, ein Phönike. Er wird im Turm von Sedana ausgebildet und hofft wie so mancher andere junge Alkoluth, für die Erweckungszeremonie eines Phönix erwählt zu werden. Doch es ist sein Kamerad Sildinn, der offiziell in die Hauptstadt des Greif-Imperiums geschickt wird, obwohl er die schwächeren Fähigkeiten besitzt.
Doch kaum ist dieser abgereist, wird Januel von seinem Meister Farel beiseite genommen und erfährt, dass er eigentlich an den Hof gebracht werden soll, doch dass es gefährlich sei, das offen zu tun. Er weiht ihn in schreckliche Geheimnisse ein. „Das Aas“, die Nachfahren und die Essenz pervertierter Fabelwesen, der Inbegriff des Bösen, ist auf dem Vormarsch und bedroht die anderen Reiche. Sie wollen Chaos und Tod über die Länder der Inseln bringen, und sie haben es auch auf die Phöniken abgesehen. Denn allein das Feuer der Phönixe kann dem Aas Einhalt gebieten …
Nach einer langen, gefahrvollen Reise kommen Januel und Farel am Hofe des Greifen-Imperators an. Sie hoffen, ein Beispiel setzen zu können, doch bei der Wiedererweckung des kaiserlichen Phönix kommt es zu einer Katastrophe …
Wenn ich früher französische Fantasy in deutscher Übersetzung gelesen habe, so war ich meist von dieser enttäuscht, da sie meist nur an versponnene exzentrische Kunstmärchen erinnerte.
Deshalb begann ich dieses Buch auch mit einer gewissen Skepsis zu lesen, wurde aber angenehm überrascht. Mathieu Gaborit gelingt es, vertraute Versatzstücke der Fantasy neu anzuordnen. Er konzentriert sich auf Fabelwesen, die in den meisten angloamerikanischen Romanen gerne vernachlässigt werden und begeht nicht den Fehler, sie zu vermenschlichen oder als bloße Tiere zu betrachten, wie es ebenfalls oft genug passiert. Zudem verknüpft er die Magie auf glaubwürdige und interessante Weise mit den verschiedenen Kreaturen, wobei vor allem die Phönixe eine Rolle spielen.
Januel wächst wie der Leser in die Geschichte hinein und lernt das auf leisen Sohlen heranschleichende und zielgenau zuschlagende Böse erst nach und nach richtig kennen. Er ist nicht von Anfang an der erfahrene Auserwählte, sondern macht eine Entwicklung durch, die ihn einerseits sehr schnell reifen lässt, andererseits aber auch von ihm verlangt, viele Eröffnungen sehr schnell zu verkraften und die daraus gewonnenen Erkenntnisse zu einzusetzen. Letztendlich gelingt es dem Autor auch hier, ein wenig abseits von ausgetretenen Pfaden zu wandeln und einige Dinge konsequent bis zum bitteren Ende zu führen.
Es ist also kein Fehler, den ersten Band genauer in Augenschein zu nehmen, wenn man einmal magiebetonte High-Fantasy fernab von den anglo-amerikanischen Gewohnheiten lesen will.
|Originaltitel: Les Chroniques des Feals 1: Coeur des Phenix
Aus dem Französischen von Michael von Killisch-Horn|
_Christel Scheja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|
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