Alle Beiträge von Michaela Dittrich

Beagle, Peter S. – letzte Einhorn, Das

Wenn man ein wunderschönes, unsterbliches Einhorn in einem idyllischen Wald ist, hat man kaum Wünsche. Und so lebt auch das letzte Einhorn aus Peter S. Beagles gleichnamigem Roman zunächst von einem Tag zum nächsten – bis ihm eines Tages aufgeht, dass es schon seit langer Zeit keinem anderen Einhorn mehr begegnet ist. Als ihm dann auch noch ein Schmetterling flüstert, dass alle anderen Einhörner von einem Roten Stier fortgetrieben wurden, beschließt es schweren Herzens, seine Heimat zu verlassen, um sich auf die Suche nach seinen Artgenossen zu machen.

Und wie das bei einem Abenteuer eben ist, findet das Einhorn auf seiner Reise eine Reihe von Gefährten, die es in seiner Suche unterstützen. Da wäre zunächst der glücklose Zauberer Schmendrick, der das Einhorn aus den Fängen Mami Fortunas befreit, die es gefangen genommen hatte, um es in ihrem fahrenden Zirkus auszustellen. Als nächste stößt Molly Grue zu der kleinen Gruppe, die vom Leben enttäuschte Gefährtin eines Räubers mit literarischen Ambitionen.

Bald treffen die drei auf den Roten Stier, der im Auftrag des verhärmten Königs Haggard auch das letzte Einhorn fangen soll. Um es zu retten, verwandelt es Schmendrick in eine junge Frau. In der Hoffnung, auf König Haggards Schloss Hinweise auf den Verbleib der anderen Einhörner zu finden, gehen sie bei Haggard in Dienst, woraufhin sich dessen Adoptivsohn Prinz Lír sofort in die schweigsame Lady Amalthea verliebt – keine andere als das letzte Einhorn. Zunächst ignoriert diese Lírs Annäherungsversuche, doch je mehr Zeit vergeht, desto mehr vergisst sie auch ihre wahre Gestalt und ihren Auftrag. Um also zu verhindern, dass Lady Amalthea den Prinzen heiratet, muss Schmendrick einen Weg finden, sie wieder in ein Einhorn zurückzuverwandeln.

Natürlich muss sich auch Peter S. Beagles 1968 erstveröffentlichter Fantasyroman „Das letzte Einhorn“ – wie wohl jeder Roman dieses Genres – mit dem allgegenwärtigen [„Der Herr der Ringe“ 5487 von J. R. R. Tolkien vergleichen lassen. Doch was Beagles melancholisches Märchen eben gerade zu etwas Besonderem macht, ist die Tatsache, dass es eine Art Gegenpol zu Tolkiens episch angelegtem Geschichtsentwurf ist. „Das letzte Einhorn“ ist geradlinig, fast schon minimalistisch und kann gerade damit gegenüber dem 1300-Seiten-Schinken über Mittelerde durchaus bestehen.

Was Beagles Roman so anrührend macht, sind die liebevoll gezeichneten Charaktere. Denn obwohl „Das letzte Einhorn“ eine Abenteuergeschichte ist – die Erzählung einer „quest“ -, die von Helden bevölkert sein muss, die übermenschliche Dinge vollbringen, um ihr Ziel zu erreichen, sind diese Figuren in der Regel alles andere als heldenhaft. Beagle beschreibt durchweg Verlierer, tragische Charaktere, deren Schicksal es ist, ständig die falschen Entscheidungen zu treffen. Das Einhorn lässt sich blauäugig auf ein Abenteuer ein, das es ab einem gewissen Punkt nicht mehr bewältigen kann. Schmendrick der Zauberer hadert mit seiner Mittelmäßigkeit und der offensichtlichen Tatsache, dass er dem Einhorn kaum eine Hilfe ist. Und der einzige wirkliche Held Lír – der auch im Text als solcher bezeichnet wird – wird für seine Taten nur mit dem Tod belohnt.

Es ist wohl aber Molly Grue, die dem (erwachsenen) Leser – und vielleicht auch dem Autor – am nächsten steht. Alt, verhärmt, vom Leben gezeichnet und ohne Hoffnung, ruft sie dem Einhorn bei ihrer ersten Begegnung verzweifelt zu: „Wo warst du, als ich jung war? Warum kommst du erst jetzt?“ Sie ist damit das Sprachrohr einer Generation ohne Träume, ohne Fantasie, die erst langsam wieder lernen muss, was es heißt zu hoffen und zu wagen.

Beagles Geschichte ist ein Juwel von einem Roman. „Das letzte Einhorn“ lässt sich als Märchen lesen, doch es bietet ironische Passagen, die unsere Realität spiegeln, ebenso wie metaliterarische Einschübe. So gibt es für jeden Leser und jedes Lesealter etwas zu entdecken, auch wenn „Das letzte Einhorn“ keineswegs in erster Linie Jugend- oder gar Kinderliteratur ist (dazu ist der Grundton der Erzählung einfach zu melancholisch).

|Der Hörverlag| hat „Das letzte Einhorn“ als ungekürzte Lesung auf sieben CDs herausgebracht, ansprechend aufgemacht in einer blauen Box mit Booklet. Als Sprecher läuft hier Andreas Fröhlich zu Hochform auf, der sicher vielen Hörbuch-Interessierten ein Begriff ist. Bei einem so wandelbaren Sprecher besteht nie die Gefahr, dass die sieben CDs lang oder eintönig erscheinen, denn Fröhlich gibt jeder Figur ihre ganz eigene Stimme. Er reimt, er singt, er klagt – da bleiben wirklich keine Wünsche offen.

„Das letzte Einhorn“ ist wohl ein Roman, der im amerikanischen Original noch größere Strahlkraft entwickelt. So schafft die Übersetzung von Jürgen Schweier zwar teilweise wirklich wunderbare Wendungen, doch wirft sie den Leser von Zeit zu Zeit auch mit Modernismen wie „D-Zug“ aus dem märchenhaften Ton der Erzählung. Wenn es aber tatsächlich die deutsche Übersetzung sein soll, dann ist man mit dem Hörbuch des |Hörverlags| wirklich gut beraten. Man bekommt hier auf sieben CDs eine solide und liebevoll gemachte Hörversion des Fantasyklassikers, der das Märchen vom letzten Einhorn auf ganz neue Art erlebbar macht.

|Siege ergänzend dazu auch unsere Besprechung zu [„Die Sonate des Einhorns“. 1286 |

http://www.hoerverlag.de

Richardson, Kat – Poltergeist

„Poltergeist“, Kat Richardsons zweiter Roman um die Privatdetektivin und Grauwandlerin Harper Blaine, knüpft an, wo [„Greywalker“ 5500 aufhörte. Und zur Freude des Lesers sind bei der Autorin noch längst keine Ermüdungserscheinungen zu erkennen: Die Fortsetzung kommt spannend und unterhaltsam daher und liest sich genauso flott wie der Vorgänger.

Harper hat weiterhin fleißig mit den Danzigers geübt und findet sich mittlerweile besser im Grau zurecht. Sie hat die Zwischenwelt besser unter Kontrolle, und es passiert nur noch selten, dass sie zufällig im Grau landet. Ben Danziger, als Wissenschaftler mit einigen Kontakten zur Uni von Seattle gesegnet, verweist Harper an einen Kollegen, der eine Privatdetektivin mit starken Nerven braucht. Professor Tuckman stellt mit großem Aufwand das bekannte Philip-Experiment nach und befürchtet, dass jemand die Ergebnisse manipuliert. Seit Monaten trifft sich eine bunt zusammengewürfelte Gruppe in Tuckmans verkabeltem Testlabor, um kraft ihrer Gedanken einen Geist zu erschaffen. Zwar hat Tuckman – wohl als positiven Verstärker für die Gruppe – einige Kniffe und technische Spielereien parat, um künstlich Klopfgeräusche und Tischewackeln zu erzeugen, doch in letzter Zeit scheint sich bei den Sitzungen der Gruppe tatsächlich ein Geist zu manifestieren. Das Problem ist nur: Tuckman glaubt überhaupt nicht an Geister. Und so soll Harper Blaine die Mitglieder der Gruppe überprüfen, um herauszufinden, ob jemand das Experiment sabotiert.

Harper nimmt den Fall an, und das, obwohl ihr Tuckman äußerst unsympathisch ist. Durch ihr Wissen als Grauwandlerin vermutet sie, dass die Gruppe bei ihren Sitzungen tatsächlich irgendetwas Übernatürliches auf den Plan gerufen hat. Doch um das glaubhaft zu vermitteln, muss sie erst nachweisen, dass tatsächlich niemand die Ergebnisse manipuliert. Der Fall verkompliziert sich jedoch plötzlich, als ein Mitglied der Gruppe tot aufgefunden wird.

„Poltergeist“ ist in vielerlei Hinsicht ein interessantes Buch. Kat Richardson hat sich mit der Grundidee und der Handlung viel Mühe gegeben, denn ein Großteil des Romans lebt ausschließlich von der umfassenden Recherchearbeit der Autorin. Sicher, der Leser erfährt auch Neues über das Grau und darf miterleben, wie Harper Fortschritte darin macht, sich zwischen den Welten zu bewegen. Doch hauptsächlich illustriert „Poltergeist“ verschiedene Aspekte des Spiritismus und der Psychologie und beleuchtet außerdem, wie sich beide beeinflussen können.

Die Handlung des Romans – eine Gruppe „kreiert“ durch gemeinsame Geistesanstrengung einen fiktiven Geist, der sich daraufhin selbstständig macht – basiert auf dem Philip-Experiment, das in den 1970er Jahren von einer Gruppe Parapsychologen in Kanada durchgeführt wurde. Zuerst erschuf die Gruppe die Biographie einer fiktiven Person, nämlich Philip Aylesford. In der Folge versuchten die Teilnehmer dann in Sitzungen, tatsächlich Kontakt zum Geist dieser fiktiven Person aufzunehmen. Nachdem die ersten Monate keine nennenswerten Ergebnisse zutage förderten, verlegte man sich auf klassische Séancen, und siehe da, Philip begann tatsächlich durch Klopfzeichen mit der Gruppe zu kommunizieren. Die Erfolge des Philip-Experiments inspirierten zahlreiche Nachahmer: Kat Richardsons fiktiver Professor Tuckman befindet sich also in durchaus illustrer (und realer) Gesellschaft.

Kat Richardson führt die Grundidee des Philip-Experiments, nämlich dass man durch anhaltende geistige Konzentration eine Art kollektiven Geist schaffen kann, konsequent weiter. In ihrer Version des Experiments entsteht nicht nur dieser kollektive Geist, der sich von der Psyche der Gruppenteilnehmer nährt, sondern dieser Geist übernimmt auch die unbewussten Aggressionen, Ängste und Wünsche der Teilnehmer. Da es in der Gruppe zunehmend zu Spannungen kommt, wird auch der Geist immer aggressiver, bis er gar die Teilnehmer bei einem Treffen mittels eines galoppierenden Tisches durchs Zimmer treibt und teilweise verletzt.

Die Autorin hat offensichtlich großen Spaß an diesen Gedankenspielen. Viel Action gibt es in „Poltergeist“ also nicht. Natürlich muss Harper Blaine auch ganz normaler Deketivarbeit nachgehen, d. h. sie verfolgt, vernimmt und wandelt im Grau. Doch geht es Richardson offensichtlich nicht um die Action. Stattdessen ist „Poltergeist“ ein theoretischer Roman, der geprägt ist von (pseudo)wissenschaftlichen Passagen und parapsychologischen Erläuterungen. Sie lässt viel von ihrer Recherche einfließen. Es wird viel referiert, z. B. über die Versuchsanordnung des originalen Philip-Experiments oder verschiedene Arten, Geisterscheinungen (Klopfgeräusche, sich bewegende Tische) vorzutäuschen. Dadurch kann man den Roman nicht nur als packende Urban Fantasy lesen, sondern auch als unterhaltsame Einführung in die Parapsychologie und den Spiritismus.

Mit dieser Konzentration aufs Theoretische und Wissenschaftliche läuft Kat Richardson natürlich Gefahr, trocken und langatmig zu klingen. Das wird jedoch durch die bunte Ansammlung von Charakteren verhindert, die die Autorin dem Leser präsentiert. Quinton, der geekige Bastler, ist wieder mit von der Partie, genauso wie die Danzigers. Ein Neuzugang ist Harpers Lieblingsbuchhändlerin Phoebe, die für heimelige Szenen in einer durch und durch gemütlichen und abgefahrenen Buchhandlung sorgt (und beim notorischen Amazon-Besteller ein wirklich schlechtes Gewissen aufkommen lässt). Einzig Harpers Love Interest Will kommt diesmal ziemlich kurz. Die Fernbeziehung (er arbeitet in London) tut den beiden keineswegs gut; sie scheinen sich einfach nichts mehr zu sagen zu haben. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Richardson in „Poltergeist“ keine Verwendung für Will hatte, sich jedoch alle Alternativen offen halten will. Und so tritt er dann auch kaum in Erscheinungen. Es bleibt abzuwarten, was sie in den folgenden Romanen mit dem Charakter anstellen möchte.

Kat Richardson hat die Begabung, leichte und unterhaltsame Prosa zu schreiben. Ebenso begabt zeigt sie sich, wenn es um ihre Personage geht. Keiner der Charaktere ist eindimensional, der durchaus umfangreiche Personenkreis des Romans ist bis ins Letzte durchcharakterisiert. Da bleiben keine Wünsche offen.

|Originaltitel: Poltergeist
Übersetzt von Franziska Heel
Taschenbuch, Broschur, 496 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-52486-6|
http://www.heyne.de

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Huff, Tanya – Blutspur (Blood Ties 2)

In „Blutzoll“, dem Auftaktroman von Tanya Huffs „Blood“-Serie, versuchte die Protagonistin Vicki Nelson gerade, sich damit abzufinden, dass ihre Augen zu schlecht sind, um noch bei der Polizei zu arbeiten. Stattdessen hatte sie sich als Privatdetektivin selbstständig gemacht. Offensichtlich lernt man in diesem Job die interessantesten Leute kennen, denn sie traf bei ihren Ermittlungen in einem Mordfall nicht nur auf einen Vampir, sondern wurde auch zum Blutopfer für einen Dämon auserkoren (eine zweifelhafte Ehre, die in der Regel tödlich endet).

Zu Beginn des zweiten Teils, „Blutspur“, ist Vickis Begegnung mit dem Dämon schon ein paar Monate her. Mittlweile scheint Vampir Henry eine feste Instanz in ihrem Leben zu sein, auch wenn er sich bisher weigert, noch einmal ihr Blut zu trinken – schließlich hatte sie erst kürzlich einen Großteil davon eingebüßt und muss sich nun erst erholen. Ihre Beziehung zu ihrem Ex-Partner Mike hat sich auch größtenteils normalisiert. Sie reden wieder miteinander, sie bekocht ihn und steckt ihn auch schon mal ins Bett, wenn er zu überarbeitet ist, um solche Kleinigkeiten selbst zu meistern.

Die Idylle wird jäh gestört, als Henry Vicki um Hilfe bittet. In der Nähe von Toronto lebt eine befreundete Familie von Werwölfen; inkognito natürlich. Trotzdem scheint jemand ihr Geheimnis erraten zu haben, denn bereits zwei der Familienmitglieder sind in Wolfsgestalt erschossen worden. Da die Familie nicht zur Polizei gehen kann, ohne ihre wahre Natur zu enthüllen, hoffen sie darauf, dass Vicki den Mörder finden kann.

Also fahren Henry und Vicki hinaus aufs Land, um sich auf der Schaffarm der Heerkens – sicherlich das perfekte Berufsbild für eine Gruppe von Werwölfen – umzusehen. Vicki braucht zunächst eine Weile, sich an das Gewusel aus Mensch und Wolf zu gewöhnen, auch weil die Werwölfe durchaus andere Moralvorstellungen vertreten als Menschen. Während Henry also gewöhnlich den Tag verschläft, sieht sich Vicki in dem kleinen Wäldchen um, aus dem die tödlichen Schüsse gekommen sein müssen. Zwar findet sie den Baum, auf den der Schütze offensichtlich geklettert ist, doch hilft ihr diese Erkenntnis kaum weiter. Denn es gibt einfach keine Verdächtigen …

Zur gleichen Zeit in Toronto nagt an Mike die Eifersucht. Streng genommen waren er und Vicki nie wirklich ein Paar, und trotzdem will er diesem Henry nicht einfach so das Feld überlassen. Irgendwas muss an dem Typen doch faul sei, findet er. Also stellt Mike heimlich Nachforschungen an und kommt bald zu einer beunruhigenden Erkenntnis, von der er findet, dass er sie Vicki möglichst sofort mitteilen muss. Und so fährt er auch zur Schaffarm, nur um mitten zwischen die Werwölfe, Henry und den Todesschützen zu geraten.

„Blutspur“ geht genauso rasant weiter, wie „Blutzoll“ aufgehört hat. Wieder präsentiert Huff ihrer Leserschaft einen übernatürlichen Kriminalfall, den es mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu lösen gilt. Und auch wenn Huff die Auflösung der Mordfälle hier etwas weiter hinauszögert, so liefert sie dem Leser doch wieder alle Indizien auf dem Silbertablett. Um das „Whodunit“ geht es nicht in erster Linie, sie führt also etwas anderes im Schilde.

In „Blutzoll“ war der Krimiplot Aufhänger für eine Kritik an der reißerischen und verantwortungslosen Berichterstattung der Massenmedien. In „Blutspur“ dagegen hat sich Huff eine neue moralische Grundsatzfrage ausgesucht, an der sie sich abarbeiten kann: den Gegensatz zwischen Recht und Gerechtigkeit. Da die Werwölfe eben kein menschliches Gericht anrufen können, ohne sich selbst bloßzustellen, nehmen sie das Recht selbst in die Hand. Die Frage, ob – und wenn ja, wann – Lynchjustiz zu akzeptieren ist, wird immer wieder im Roman gestellt. Ganz zu Anfang ist es Vicki, die sich mit dem Problem trägt, ob sie den Mörder den Werwölfen ausliefern kann (die ihn töten werden). Später ist es Mike, der die gleichen Fragen stellt, obwohl er gleichzeitig weiß, dass ihnen nicht viele Alternativen bleiben. Letztendlich wird der Gerechtigkeit genüge getan, nicht dem Recht.

Interessant an dem Roman ist vor allem die Beschreibung der Werwölfe. Sie werden weder romantisiert noch als blutgierige Bestien dargestellt. Stattdessen sind die Heerkens eigenbrötlerische Schafzüchter mit wenig Hang zu ordentlicher Lebensweise (offensichtlich hat wirklich niemand in dieser Familie einen Putzfimmel, denn so viele Wollmäuse wie hier gibt es sonst in keinem Buch). Wie Vicki schnell feststellt, ticken sie einfach grundsätzlich anders: So kann sie sie beispielsweise nicht davon abhalten, nachts in Fellgestalt hinauszugehen – und das, obwohl die Werwölfe verstehen, welches Risiko sie damit eingehen. Sie versuchen Vicki zu erklären, dass der Instinkt, ihr Revier abzulaufen und zu markieren, einfach stärker ist, doch das wiederum kann Vicki nicht nachvollziehen. Solche Missverständnisse gibt es häufiger und Vickis Geduld wird wiederholt auf die Probe gestellt. Letztendlich jedoch dienen diese Szenen hauptsächlich Huffs außerordentlich origineller und erfrischender Interpretation des Werwolf-Mythos.

Natürlich werden auch die drei Hauptcharaktere Vicki, Henry und Mike weiterentwickelt. Vicki und Henry tun |es| endlich, wenn auch völlig unromantisch auf einer Klappliege in einer Abstellkammer. Und Mike, der in „Blutzoll“ noch etwas blass blieb, darf sich hier, vom grünen Monster getrieben, zum rechthaberischen Macho aufspielen, nur um sich letztendlich doch wieder als ehrlicher und zuverlässiger Kerl zu erweisen. Die Rivalität zwischen Henry und Mike wird sicher auch in den folgenden Bänden der Serie eine Rolle spielen. Die beiden dabei zu beobachten, wie sie immer wieder aneinandergeraten, ist einfach zu amüsant und unterhaltsam, als dass Huff diesen Handlungsfaden so schnell wieder aufgeben wird.

Erwähnenswert ist außerdem der Handlungsort des Romans. Während in „Blutzoll“ noch Toronto eine zentrale Rolle spielte, ist es nun London – ein verschlafenes Städtchen irgendwo auf dem Land. Die Städter, allen voran Vicki und Mike, tun sich reichlich schwer damit, sich ans Landleben zu gewöhnen: Sie kämpfen mit widerspenstigen Büschen und Horden von Mücken und vermissen die Großstadt offensichtlich mit jeder Faser ihres Wesens.

Kurzum: „Blutspur“ ist ein ebenso überzeugender Pageturner wie Huffs Erstling „Blutzoll“. Vicki Nelson erweist sich einmal mehr als taffe Privatdetektivin, die nicht gut darin ist, ihre Schwächen zuzugeben, Hilfe anzunehmen oder in irgendeiner anderen Art und Weise gefühlsduselig zu werden. Außerdem zeigt sie sich äußerst anpassungsfähig: Einmal davon überzeugt, dass es Vampire gibt, hat sie nun auch mit anderen übernatürlichen Daseinsformen kein Problem. So wirft sie auch mal für einen jungen Werwolf Stöckchen, ohne dass sie daran etwas Seltsames finden könnte. Wieder ein gelungener Krimi!

|Originaltitel: Blood Trail
Deutsch von Claudia Wittemund
ISBN-13: 978-3-8025-3649-6|
http://www.Egmont-Lyx.de
http://www.bloodtiestv.com

_Tanya Huff auf |Buchwurm.info|:_

[„Blutzoll“ 5714 (aktuelle Ausgabe)
[„Blutzoll“ 123 (frühere Ausgabe)
[„Blutlinien“ 407
[„Hotel Elysium“ 1481 (Die Chroniken der Hüter I)
[„Auf Teufel komm raus“ 1995 (Die Chroniken der Hüter II)
[„Hüte sich wer kann“ 2545 (Die Chroniken der Hüter III)

Huff, Tanya – Blutzoll (Blood Ties 1)

Bis vor acht Monaten war Vicki Nelson noch eine der erfolgreichsten Ermittlerinnen in der Mordkommission von Toronto. Dann jedoch wurde bei ihr eine fortschreitende Augenkrankheit festgestellt, die sie für den Außendienst untauglich machte. Einen Bürojob wollte sie jedoch auf keinen Fall, und so kündigte sie lieber bei der Polizei und machte sich als Privatdetektivin selbstständig. Ihr ehemaliger Partner und unregelmäßiger Bettgenosse Mike Celluci hat ihr diesen Schritt allerdings übel genommen. Seit ihrer Kündigung haben sie kein Wort mehr miteinander gewechselt. Dumm nur, dass Vicki gleich am Anfang von Tanya Huffs „Blutzoll“ auf Mike stoßen wird, da sie zufällig Zeugin eines brutalen Mordes wird.

Als sie nach einem missglückten Date mit der U-Bahn nach Hause fahren will, wird auf den Gleisen ein junger Mann getötet. Die Leiche bleibt zurück, mit herausgerissener Kehle und völlig blutleer. Die herbeigerufene Polizei – und vor allem ihr Ex-Partner Celluci – stehen vor einem Rätsel. Bald stellt sich jedoch heraus, dass es sich um eine Mordserie handel muss. Weitere Opfer werden gefunden, die alle auf die gleiche Weise ermordet wurden. Zwischen den Opfern besteht keine Verbindung und die Polizei tappt völlig im Dunkeln. Es fehlen sowohl Tatverdächtige als auch ein Motiv. Die lokale Presse hat allerdings kein Problem damit, die Morde zu erklären: Mit großen Aufmachern behauptet das städtische Revolverblatt, dass die Morde von einem Vampir begangen wurden.

Das wiederum gefällt Henry Fitzroy gar nicht, denn Henry ist tatsächlich ein Vampir. Er befürchtet, dass die reißerische Berichterstattung sein unauffälliges Leben als Autor billiger Liebesschnulzen gefährdet. Er vermutet, dass die Morde tatsächlich von einem wild gewordenen Vampir verübt wurden, und macht sich auf, diesen Vampir zu finden und zu vernichten.

Vicki dagegen wird von der Freundin des ersten Opfers angeheuert, um den Mörder zu finden. Logisch, dass sich Vickis und Henrys Wege im Verlauf der Ermittlungen kreuzen werden. Und natürlich braucht es sowohl die Privatdetektivin als auch den Vampir, um den eigentlichen Bösewicht zu finden und unschädlich zu machen.

„Blutzoll“ ist der Auftakt zu Tany Huffs fünfteiliger Blood-Serie. Bereits 1991 auf Englisch erschienen, brachte der kleine Fantasyverlag |Feder & Schwert| die Serie 2004 auf den deutschen Markt. Nachdem dann die TV-Adaption „Blood Ties“ auf |RTL 2| anlief, übernahm |Egmont LYX| die Romanserie.

„Blutzoll“ ist ein wirklich unterhaltsamer Pageturner mit einem übernatürlich angehauchten Mordfall und überzeugend gezeichneten Charakteren. Natürlich lebt der Roman vor allem von der Protagonistin Vicki Nelson. Mit ihr präsentiert Huff ihren Lesern eine taffe und kompetente Frau, die mitten im Leben steht und sich auch von ihrer Nachtblindheit und von ihrem nicht vorhandenen peripheren Sehvermögen nicht in der Verbrecherjagd einschränken lässt. Vicki ist Realistin und völlig unromantisch. Als Mike wieder in ihr Leben stolpert, macht es beiden nichts aus, mal hier und da die Nacht miteinander zu verbringen, ohne dass große Gefühlsbekundungen folgen würden.

Vicki hält nichts von großen Gefühlen, das muss auch Vampir Henry Fitzroy bald feststellen. Eigentlich ist er der klassische romantische Held – gutaussehend, verführerisch, loyal und auch bereit, für die Dame seines Herzens den Kragen zu riskieren. Doch bei Vicki beißt er damit auf Granit. Zwar findet sie ihn anziehend und es werden in „Blutzoll“ auch schon erste Körperflüssigkeiten ausgetauscht (Blut, die Rede ist selbstverständlich von Blut!), doch viel weiter kommt der arme Henry mit seinen Avancen nicht.

Es ist gerade Vickis spröde Art, die den Reiz der Geschichte ausmacht. Da hat sie zwei Männer, die an ihr interessiert sind, und keinen von beiden mag sie erwählen. Mit Mike verbindet sie eher eine klassische Kumpelfreundschaft und mit Henry eine Art schwebende Romanze, bei der aber nie Fakten geschaffen werden. Es wird geflirtet, aber jeder legt sich in seinem eigenen Bett zur Ruhe.

Tanya Huffs Vampir ist natürlich von anderen Romanen beeinflusst. So bedient sich Huff bei einschlägigen Quellen, reinterpretiert diese aber originell und mit einem Augenzwinkern. So wird Henry beispielsweise in einem Club Rotwein angeboten. „Nur ein stärkerer Mann als Henry Fitzroy hätte dieser Vorlage widerstehen können,“ heißt es daraufhin. Und so lehnt Henry das Getränk mit den Worten, „ich trinke niemals … Wein“, ab. Ebenfalls interessant ist Henrys Einstellung zur Religion. Tanya Huff macht hier eindeutig einen Gegenentwurf zu Anne Rices vom Christentum enttäuschten Vampiren auf. Ihr Henry Fitzroy, vor 450 Jahren als unehelicher Sohn Henry VIII. geboren, ist ein guter Katholik. Während die bodenständige Vicki in brenzligen Situationen lieber Fäuste sprechen lässt, ist Henry nicht abgeneigt, auch mal himmlischen Beistand anzurufen. Dieses friedliche Nebeneinander von Vampirismus und Religion ist erfrischend. Es trägt auch dazu bei, Henry unproblematisch zu gestalten: Ja, er ist faszinierend, geheimnisvoll und attraktiv. Er hat allerdings kaum etwas von der Düsternis, von denen Vampire in der Regel umgeben sind. Er hadert nicht mit seinem Schicksal, sondern stattdessen wie jeder Schriftsteller mit der leeren Seite, denn wenn er seine Abgabetermine nicht einhält, kann er seine Miete nicht zahlen. Wie prosaisch, wie menschlich!

Hinter den kurzweiligen und durchweg sympathischen Hauptfiguren droht der Krimiplot von Zeit zu Zeit etwas zu verblassen, vor allem dann, wenn Huff sich eigentlich kaum Mühe gibt, den wahren Mörder zu verheimlichen. Sie erzählt aus verschiedenen Perspektiven, unter anderem eben auch aus der des Mörders (bzw. Mordsgehilfen). Das nimmt relativ schnell die Spannung aus den Ermittlungen – man wartet hauptsächlich darauf, dass Vicki und Henry dem Bösewicht endlich auf die Schliche kommen statt selbst zu knobeln, was denn des Rätsels Lösung sein könnte.

„Blutzoll“ überzeugt trotzdem. Die Handlung wird nie langweilig und mit den Hauptfiguren identifiziert man sich als Leser mehr als gern. Huff erzählt mit gekonnter Leichtigkeit: Ihre Personen gelingen ihr mühelos, und auch das Setting wirkt plastisch und real – wohl auch, weil die Autorin viele Jahre in Toronto gelebt hat. Diese Stadt, die auf der Karte der Fantasy wohl eher ein weißer Fleck ist, avanciert bei ihr selbst zum Protagonisten. Toronto lebt, brodelt und die Charaktere bewegen sich entlang der Lebensadern dieser Stadt – um Blut zu trinken, Mörder dingfest zu machen und Dämonen aufzuspüren. Ein lesenswerter Krimi mit fantastischem Einschlag.

|Originaltitel: Blood Ties
Ins Deutsche übertragen von Claudia Wittemund
351 Seiten
ISBN-13: 978-3-8025-3648-9|
http://www.Egmont-Lyx.de
http://www.bloodtiestv.com

_Tanya Huff auf |Buchwurm.info|:_

[„Blutzoll“ 123 (frühere Ausgabe)
[„Blutlinien“ 407
[„Hotel Elysium“ 1481 (Die Chroniken der Hüter I)
[„Auf Teufel komm raus“ 1995 (Die Chroniken der Hüter II)
[„Hüte sich wer kann“ 2545 (Die Chroniken der Hüter III)

Carlos Ruiz Zafón – Der Schatten des Windes

Carlos Ruiz Zafóns Roman „Der Schatten des Windes“ erklomm vor einigen Jahren die deutschen Bestsellerlisten. In seinem groß angelegten Panorama (immerhin umfasst der Roman fast 600 Seiten) widmet sich der Autor der Liebe zu Büchern, zu Frauen und zu verzwickten Rätseln und lädt den Leser ein, sich auf den Seiten dieses wunderbaren Schmökers für ein paar Stunden zu verlieren. „Der Hörverlag“ hat nun eine vom WDR produzierte Hörspielfassung vom „Schatten des Windes“ herausgebracht. Und da man sowohl vom WDR als auch vom |Hörverlag| eigentlich nur Gutes gewohnt ist, sollte auch dieses aufwendig und liebevoll produzierte Hörspiel ein Volltreffer sein. Doch auch die professionelle Hörspielbearbeitung eines Bestsellers kann offensichtlich einige Stolpersteine bieten, denn so ganz mag „Der Schatten des Windes“ in der Hörfassung nicht zu überzeugen.

Carlos Ruiz Zafón – Der Schatten des Windes weiterlesen

Lovecraft, H. P. – Berge des Wahnsinns (Hörbuch)

Der Geologe Willam Dyer ist 1931 Teil einer groß angelegten Expedition in die Antarktis. Mit zwei Schiffen, vier Flugzeugen, einer ganzen Horde Schlittenhunde und neuartigen Bohrern machen sich die Wissenschaftler um Dyer auf ins ewige Eis.

Zunächst geht auch alles glatt. Es werden Bohrungen in tiefe Eisschichten vorgenommen. Die Teilnehmer der Expedition stellen Erkundungsflüge an, man katalogisiert und beobachtet. Schließlich bricht Professor Lake mit einigen Mitstreitern und Hunden zu einer Expedition in westlicher Richtung auf. Bei dem Flug dorthin stößt er zunächst auf ein Gebirge gigantischen Ausmaßes – höher als alle Bergkämme der bekannten Welt. An den Felshängen meint er jedoch, seltsame Formationen auszumachen, als wäre der Stein bearbeitet worden.

Lake errichtet ein Basislager, in dem die neuartigen Bohrer zum Einsatz kommen. Bald stößt man bei den Bohrungen auf eine Höhle, in der sich vierzehn völlig unbekannte Lebensformen finden. Einige der Körper sind stark beschädigt, doch sechs sind in sehr gutem Zustand, und so kann Lake erste Untersuchungen vornehmen und seine Ergebnisse an Dyer funken. In dieser Nacht wütet ein schwerer Eissturm und am nächsten Morgen ist es den Leuten um Dyer unmöglich, Lake per Funk zu erreichen. Da die Vermutung naheliegt, dass Lakes Camp während des Sturm beschädigt wurde, organisiert man eine Rettungsmannschaft. Als die verbliebenen Expeditionsteilnehmer jedoch in Lakes Camp eintreffen, finden sie es vollkommen verwüstet vor. Sowohl die Hunde als auch die Menschen sind tot, und jeweils einer jeder Art fehlt. Es finden sich seltsame Begräbnisstätten, und die besser erhaltenen Lebensformen sind verschwunden. Die Expedition, die so vielversprechend begonnen hatte, hat sich zur Katastrophe entwickelt.

Dyer und der Student Danforth beschließen, mit einem Flugzeug die neu entdeckte Bergkette zu überfliegen, und stoßen auf der anderen Seite auf eine riesige, urzeitliche Stadt. Auch wenn ihnen das grauenvolle Schicksal von Lakes Expedition noch gegenwärtig ist, so weckt der Anblick doch ihr wissenschaftliches Interesse. Sie beschließen zu landen und die Gegend zu Fuß zu erkunden. Doch was, wenn die Stadt gar nicht so verlassen ist, wie es zunächst den Anschein hat?

H. P. Lovecrafts „Berge des Wahnsinns“ (engl. „At the Mountains of Madness“) ist mit 150 Seiten eine seiner längsten Erzählungen. Verfasst wurde sie 1931 und Lovecraft beschreibt sie als „the most serious work I have ever attempted“. Der Erzählung war zunächst jedoch kein einfaches Schicksal bestimmt. Vom damals allgegenwärtigen Magazin „Weird Tales“ wurde sie abgelehnt, wohl aufgrund der beträchtlichen Länge. Lovecraft, immer ein Pessimist, schrieb daraufhin, „it is altogether too slow for the cheap artificial market“. Erst 1936 fand „Berge des Wahnsinns“ eine Heimat bei „Astounding Stories“.

|LPL| hat nun in seiner Reihe „H. P Lovecraft – Bibliothek des Schreckens“ auch „Berge des Wahnsinns“ als Hörbuch herausgebracht. Wie auch schon in vergangenen Veröffentlichungen, nimmt sich Sprecher David Nathan der Geschichte in einer ungekürzten Fassung an. In gewohnter Manier geht seine Interpretation unter die Haut. Er füllt Dyers Bericht mit Leben (obwohl dieser sich mit seinen langen wissenschaftlichen Monologen stellenweise durchaus trocken liest), macht den Schrecken der Wissenschaftler erlebbar und geleitet den Hörer auch sicher durch die eher anspruchsvollen wissenschaftlichen Passagen, in denen von urzeitlichen Wesen und versteinerten Farnen die Rede ist.

Lovecraft hatte mit seiner selbstkritischen Einschätzung durchaus recht: „Berge des Wahnsinns“ ist langsam. Die Geschichte gibt sich den Anschein eines wissenschaftlichen Berichts. Dyer, der über die Ereignisse in der Antarktis lieber geschwiegen hätte, fühlt sich dazu verpflichtet, die Schrecken der Expedition wiederzugeben, um zu verhindern, dass neue Forscher mit neuem Gerät in diese Gefilde vordringen und so eventuell etwas auf den Plan rufen, für das die Menschheit nicht bereit ist. Dyers Worte sind also Bericht und Warnung zugleich – er will dem Leser ein Lehrstück liefern und lockt ihn immer wieder mit dem zu erwarteten Schrecken, ohne diesen über weite Strecken einzulösen. Lovecraft ist hier ein großer Verzögerer; er verlangt dem Leser viel Geduld ab und fordert ihn auf, sich währenddessen doch auszumalen, was alles passiert sein könnte. Das führt nun dazu, dass die Geschichte für den heutigen Leser, der mehr Action und schnelle Handlungselemente gewöhnt ist, reichlich behäbig daherkommt. Doch machen der unglaubliche Detailreichtum und Lovecrafts fundierte Beschreibung wissenschaftlicher Erkenntnisse vieles davon wieder wett.

Es ist augenscheinlich, dass Lovecraft viel recherchiert hat, um Dyers Aussage authentisch wirken zu lassen. Und so darf man sich als Leser mitgenommen fühlen auf eine Expedition ins Ungewisse. Man teilt die anfängliche Begeisterung, den Unglauben ob der ersten Beobachtungen, die Neugierde auf das Unbekannte. Diese Teile der Erzählung scheinen von echtem Forscherdrang durchzogen. Später konzentriert sich Lovecraft eher auf seinen Cthulhu-Mythos und macht eine breit angelegte Geschichte der Großen Alten auf, bei der man als Leser aufmerksam bleiben muss, um nicht den Überblick zu behalten.

„Berge des Wahnsinns“ ist ein groß angelegtes Panorama, bei dem es viel zu entdecken gibt. Es ist kein einfaches Stück Literatur, dafür ist es zu wenig auf den Effekt hin konzipiert und ergeht sich viel lieber in detailreichen Beschreibungen und theoretischen Erläuterungen. Trotzdem: Eine Empfehlung für alle, die schon immer wussten, dass in den unerforschten Teilen unserer Welt ungeahnte Gefahren lauern.

|Originaltitel: At the mountains of madness, 1936 (gekürzt), 1939 ungekürzt
Aus dem US-Englischen übersetzt von A. F. Fischer
346 Minuten auf 5 CDs|
http://www.lpl.de
http://www.luebbe-audio.de

MacAlister, Katie – Vampir im Schottenrock

Katie MacAlister schreibt Schnulzenromane über Mährische Dunkle. Jeder normale Mensch würde „Vampir“ sagen, aber MacAlister hat nun mal den Spleen, ihre Vampire Dunkle zu nennen. In den vergangenen drei Bänden der Serie hat sie ihrer Leserschaft groß und breit auseinandergelegt, dass Dunkle eben aus Mähren stammen (wohl einfach, weil Osteuropa so wildromantisch ist). Doch nun hat eben diese Leserschaft in MacAlisters Fanforum einmütig nach einem schottischen Vampir – pardon, Dunklen – verlangt und MacAlister beeilt sich, diesen Wunsch zu erfüllen.

In „Vampir im Schottenrock“ wird die Handlung also plötzlich nach Schottland verlegt. Der Dunkle Paen wird vorgestellt, der für einen Dämon eine ominöse Statue beschaffen soll. Schafft er dies nicht innerhalb von fünf Tagen, wird seine Mutter ihre Seele verlieren. Paen hat keine Ahnung, wie er die Statue finden soll, also macht er das einzig Richtige: Er wendet sich an die Detektei von Sam (Wahrsagerin mit abgebrochenem Studium) und Clare (blumenfutternde Fee), die sich darauf spezialisiert haben, verschwundene Gegenstände zu finden. Wie praktisch!

Sam besteht darauf, sich zunächst Paens Heimstatt (die sich bald ganz standesgemäß als Schloss herausstellen soll) anzusehen, um dort Statuen-Witterung aufzunehmen. Auf der Autofahrt dorthin kommen sich Paen und Sam natürlich näher und hätten wahrscheinlich sofort und gleich Sex, wenn Sam nicht ein kleines Partnerschaftsproblem hätte: Jedesmal, wenn sie sexuell erregt ist, verlässt ihre Seele ihren Körper (Glückwunsch an jeden Leser, der es schafft, bei dieser Szene nicht lauthals loszulachen). Sie entschwebt, während die Action woanders stattfindet. Naturgemäß findet sie diesen Zustand frustrierend, doch Paen verspricht natürlich sofort, ihr zu beweisen, dass er das Entschweben von Sams Seele verhindern kann. Sie vereinbaren, das bei der nächsten Gelegenheit auszuprobieren – zu rein wissenschaftlichen Zwecken, versteht sich -, doch soll es noch eine Weile dauern, bis sie die Zeit finden, wirklich in die Kissen zu sinken.

Zwischendurch wird nämlich noch Clare angeschossen, es taucht eine zweite Statue auf und Paen versucht, die Ursprünge der Dunklen zu ergründen. Es gibt ein paar Geister, blutdürstige Schmetterlinge und Affen à la „Fluch der Karibik“. Und ja, das ist alles genauso willkürlich, wie es klingt.

Katie MacAlister hat ja bereits in den vergangenen drei Bänden reichlich Angriffsfläche für harsche Kritik geboten. „Vampir im Schottenrock“ bildet da keine Ausnahme, denn auch hier gibt es wieder viel sinnloses Hin- und Hergelaufe und noch mehr nervtötendes Gelaber. Mittlerweile tritt aber so etwas wie Gewöhnung ein, denn anstatt aufzuregen, langweilt die Lektüre nur noch. Keiner der Charaktere entfacht so etwas wie Sympathie oder gar Interesse beim Leser und die vollkommen konfuse Handlung, die in der zweiten Hälfte komplett aus dem Ruder läuft, ist auch nicht dazu angetan, Begeisterungsstürme beim Publikum hervorzurufen.

Seit vier Bänden schreibt MacAlister nun also immer wieder das gleiche Buch. Sie tritt auf der Stelle – man erfährt nichts über Dunkle, das man nicht auch schon nach der Lektüre des ersten Bandes gewusst hätte. MacAlister macht sich nicht die Mühe, an einer Art übergeordneter Mythologie zu arbeiten, die ihre Welt zusammenhält. Stattdessen streut sie übernatürliche Wesen nach völlig willkürlichen Regeln ein, offensichtlich einfach nur, weil es pittoresk und irgendwie niedlich ist. So hatten wir bereits Geister, Wächter, Bannwirker, Beschwörer, Dämonen und Mumien – nicht zu vergessen Dunkle. Nun kommen Wahrsager, Feen und Elfen hinzu.

Ein ziemlich illustrer Haufen also, allerdings versäumt MacAlister, diese Begrifflichkeiten auch mit Leben zu füllen. Das einzige Charakteristikum, dass sie für eine Elfe liefert, sind ihre spitzen Ohren (sehr originell). Eine Fee dagegen scheint ein Faible für Blumen zu haben. Clare beispielsweise ist den Großteil des Romans damit beschäftigt, Blumensträuße zu arrangieren, die sie dann genüsslich verspeist. Das ist nicht wirklich ein wichtiges handlungstreibendes Element und trotzdem wird es von MacAlister wieder und wieder genüsslich ausgebreitet – eigentlich hat Clare außer der Blumenesserei im Roman kaum etwas zu tun. Oh, außerdem ist sie davon überzeugt, keine Fee zu sein (warum sie sich so gegen diese Tatsache sträubt bleibt MacAlisters Geheimnis), was sie zu folgenden Blüten der Wortkunst verleitet: „Ich bin keine Fee. Ich bin ein Unterwäschemodel. Das ist ein riesiger Unterschied.“

Das größte Problem ist allerdings MacAlisters Seelen-Fixierung. In ihrem Universum wird ein Dunkler ohne Seele geboren. Findet er seine Geliebte, bekommt er auch eine Seele. Nur: Was genau ist eine Seele bei MacAlister? Lässt sie uns fühlen? Pflanzt sie uns Leidenschaften und Ängste ein? Sagt sie uns, was richtig und falsch ist? Keine Ahnung … MacAlister fühlt sich nie berufen, diese Fragen zu beantworten. Stattdessen schwankt sie mal in die eine und mal in die andere Richtung – wie sie es eben gerade braucht – und behauptet abwechselnd, ohne Seele zu leben wäre gar kein Problem und ohne Seele zu leben wäre schrecklich.

So sagt Paen am Anfang: „Nun, ich bin ja auch verdammt! Ihr wisst doch gar nicht, wie das ist!“ Ein paar Kapitel später findet er dann aber: „Mir fehlt zwar die Seele, aber davon lasse ich mich in keiner Weise einschränken.“ Ja, was denn nun? Erschwerend kommt hinzu, dass zwischen Beseelten und Unbeseelten charakterlich keinerlei Unterschied besteht. Paen ist ohne Seele genauso wie mit Seele. Was soll also der ganze Seelen-Hokuspokus? Offensichtlich handelt es sich bei dieser Seele nur um ein schickes Accessoire, das einem Outfit zwar den letzten Pfiff verleiht, zur Not kommt man aber auch ganz gut ohne aus.

Fans von paranormal-romantischen Errettungsgeschichten werden bei „Vampir im Schottenrock“ sicher auf ihre Kosten kommen, doch wer abwechslungsreiche Lektüre mag, ist hier völlig fehl am Platze. MacAlister schreibt ihre Romane nach immer derselben Formel und erstickt so jegliche Spannung und Neugierde beim Leser im Keim.

|Die Dunklen|

1. „A Girl’s Guide to Vampires“ [(„Blind Date mit einem Vampir“) 4983
2. „Sex and the Single Vampire“ [(„Kein Vampir für eine Nacht“) 5633)
3. „Sex Lies and Vampires“ [(„Küsst du noch oder beißt du schon?“) 5673
4. „Even Vampires Get the Blues“ („Vampir im Schottenrock“)
5. „The Last of the Red-Hot Vampires“ („Vampire sind zum Küssen da“)

|Originaltitel: Even Vampires Get the Blues
Ins Deutsche übertragen von Antje Görnig
351 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-8025-8176-2|
http://www.egmont-lyx.de
http://www.katiemacalister.com

MacAlister, Katie – Küsst du noch oder beißt du schon?

„Küsst du noch oder beißt du schon?“ ist bereits der dritte Roman aus der Feder von Vielschreiberin Katie MacAlister, der sich mit der Frage beschäftigt, wie Dunkle (normale Menschen würden sie Vampire nennen) am besten die Frau fürs Leben finden. Im Erstling [„Blind Date mit einem Vampir“ 4983 geriet Joy and Raphael. Im zweiten Teil (vom Verlag |Egmont LYX| fälschlicherweise als Band drei herausgebracht) „Kein Vampir für eine Nacht“ drängte sich Allie ins Bett von Christian. Und im nun vorliegenden dritten Teil mit dem bereits oben erwähnten haarsträubenden Titel ist nun die Historikerin Nell dran, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Tschechien gelockt wird, um dort einen gekidnappten Jungen und als Bonus den Vampir für gewisse Stunden zu finden. Dabei passiert nichts, was MacAlister nicht schon in den vorangegangenen Bänden bis zum Erbrechen durchgekaut hätte.

Doch von Anfang an: Die Amerikanerin Nell ist Historikerin. Da ihr ein Blick auf eine außergewöhnliche Rüstung versprochen wird, reist sie nach Tschechien. Doch dort angekommen, eröffnet ihr die Besitzerin der Rüstung, dass sie es eigentlich auf Nells magische Kräfte abgesehen hat. Ihr Neffe wurde von einem Dämon entführt, und sie ist überzeugt, dass nur Nell helfen kann. Nun hat Nell in ihrem Leben genau einen Bann gewirkt, und der ist sowas von nach hinten losgegangen, dass sie aller Magie abgeschworen hat. Doch bevor sie auch nur dreimal „Blutsauger“ sagen kann, findet sie sich auf einem alten Schloss wieder, wird von einem verräterischen Vampir gekidnappt und flüchtet durch ganz Europa, um dem bösen Dämon auf die Schliche zu kommen.

Natürlich ist der Vampir, Adrian der Verräter, gar nicht so verräterisch und bösartig, wie es zunächst den Anschein hat. Und obwohl Nell ihn zunächst – natürlich – nicht ausstehen kann, erliegt sie schlussendlich doch seinem spröden Charme und wird zu seiner Auserwählten. Außerdem gilt es Sex, Mumien und nervtötende Vampirkinder in der Pubertät zu überstehen, bevor man den Roman nach knapp 400 Seiten erleichtert zuklappen darf.

Katie MacAlister ist zwar mit einer flinken Feder, aber nicht gerade mit einer blühenden Fantasie gesegnet. Anders ist es wohl kaum zu erklären, dass ihre Romanreihe um die Dunklen nun schon seit drei Bänden immer und immer wieder die gleichen Charaktere, Handlungsstränge und sogar Motive mit einer Gleichmut wiederkäut, die entweder darauf beruht, dass MacAlister es tatsächlich nicht besser weiß, oder aber, dass sie es genießt, ihrer Leserschaft für immer das gleiche Buch ständig aufs Neue das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Ein kleiner Vergleich mit dem Vorgänger „Kein Vampir für eine Nacht“ bringt die Parallelen ans Licht: Dort hatten wir Allie, die „störrische“ Amerikanerin, die sich in den „arroganten“ Dunklen Christian verliebt. Im aktuellen Band haben wir Nell, die „störrische“ Amerikanerin, die sich in den „arroganten“ Dunklen Adrian verliebt. MacAlister hat es noch nicht einmal für nötig befunden, die Charaktereigenschaften ihrer Protagonisten zumindest minimal zu variieren. Allie war nicht gerade perfekt, sie hatte ein vernarbtes Bein aufgrund eines Autounfalls. Nell dagegen ist nicht perfekt, da sie durch einen Schlaganfall halbseitig gelähmt ist. Allie ist als Beschwörerin eine Niete, findet aber im Lauf der Handlung ihr Talent und steht am Ende mit einer ganzen Sammlung Geister da. Nell möchte keine Banne wirken, tut es aber im Verlauf der Handlung doch und erweckt daraufhin eine ganze Schar Mumien, die ihr wie treue Hunde folgen. Allie kann Christian zunächst nicht leiden, ändert aber ihre Meinung und springt mit ihm ins Bett. Nell kann Adrian zunächst nicht leiden, ändert aber ihre Meinung und bearbeitet Adrian dann so lange, bis er einsieht, dass sie seine Auserwählte ist. Originell ist definitiv anders.

MacAlister meint, humorvolle und romantische Prosa mit übernatürlichem Einschlag zu schreiben. Nur leider ist das, was sie als humorvoll bezeichnet, so überzogen und überdreht, dass man den Eindruck hat, alle Charaktere agierten unter dem ständigen Einfluss von Stimmungsaufhellern. Schon im ersten Band führte das dazu, dass der Showdown spleening, überdreht und wie ein Kind auf Cola daherkam. Und auch hier besteht wieder das gleiche Problem: Es wird geredet und geredet; selbst im Angesicht des Bösewichts werfen sich die beiden Verliebten noch ein „Hasi“ und ein „Knackpopöchen“ (Originalzitat!) zu und diskutieren in aller Gemütsruhe, wer hier eigentlich wen rettet. Der Bösewicht selbst, der 400 Seiten lang aufgebaut und als fieser Dämon hingestellt wurde, wird dann so banal und nebenbei um die Ecke gebracht, dass man es fast überliest, wenn man nicht genau aufpasst. Und da MacAlister eben nicht erzählen und dem Leser die Handlung zeigen kann, lässt sie ihre Protagonisten dann noch drei Seiten lang darüber referieren, wie und warum sie den Dämon nun umgebracht haben.

Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, MacAlister würde sich ständig selbst parodieren. So führt ihre Unfähigkeit, Personen irgendwie eindeutig zu charakterisieren (z. B. durch deren Handlungen) dazu, dass Adrian ständig in Dialogen wiederkäut, dass er der Verräter ist und alle ihn hassen. „Ich bin kein Stimmungsring. Ich bin kein Spielzeug. Ich bin gefährlich und werde von allen gefürchtet!“ Das erinnert sehr stark an die bellenden Hunde, die nicht beißen, und so verbaut sich MacAlister selbst die Chance, Adrian als Vampir mit dunklem Geheimnis erscheinen zu lassen. Und wenn dieser große böse Vampir seine Auserwählte dann auch noch ständig Hasi nennt, dann ist die schmale Grenze zwischen lustig und unterirdisch definitiv überschritten.

Während die beiden vorangegangenen Romane noch so etwas wie einen nachvollziehbaren Plot hatten, wird es bei „Küsst du noch oder beißt du schon?“ bereits schwierig, einen solchen auszumachen. Es gibt zu viele Ungereimtheiten und klaffende Logiklöcher, um eine geradlinige Handlung erkennen zu können. Stattdessen wird viel hin- und hergerannt. Es wird viel verfolgt und weggelaufen, und irgendwann nach der Hälfte präsentiert uns MacAlister noch den bösen Zwilling, der eigentlich alle Fäden in der Hand hält. Das ist allerdings alles so abstrus und verwirrend herbeigeschrieben, dass man permanent mit dem Kopf schütteln möchte.

Ebenfalls mit dem Kopf schütteln möchte man bei MacAlisters schaurigem Einfall, ein paar Mumien einzubauen, um die Leserschaft zu amüsieren. Leider sind die Mumien vollkommen sinnlos, da sie für die Handlung keinen Zweck erfüllen. Sie sind reines Füllsel und leider zu eklig. um noch lustig sein zu können.

Schon „Blind Date mit einem Vampir“ und „Kein Vampir für eine Nacht“ waren keine Highlights der romantischen Vampirliteratur. Mit „Küsst du noch oder beißt du schon?“ schreibt sich MacAlister allerdings in ungeahnte Abgründe der Anspruchslosigkeit. So viel banal, plakativ und klischeehaft gibt’s selten fürs Geld!

|Die Dunklen|

1. „A Girl’s Guide to Vampires“ [(„Blind Date mit einem Vampir“) 4983
2. „Sex and the Single Vampire“ [(„Kein Vampir für eine Nacht“) 5633)
3. „Sex Lies and Vampires“ („Küsst du noch oder beißt du schon?“)
4. „Even Vampires Get the Blues“ („Vampir im Schottenrock“)
5. „The Last of the Red-Hot Vampires“ („Vampire sind zum Küssen da“)

|Originaltitel: Sex, Lies and Vampires
Ins Deutsche übertragen von Antje Görnig und Bettina Oder
398 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-8025-8140-3|
http://www.egmont-lyx.de
http://www.katiemacalister.com

Katie MacAlister – Kein Vampir für eine Nacht

In Katie MacAlisters „Blind Date mit einem Vampir“,  dem Auftaktroman ihrer Reihe um die „Dunklen“, durfte die geneigte Leserin verfolgen, wie die Hauptfigur Joy in Tschechien zwar nicht den Vampir, aber doch den Mann fürs Leben fand. In der Fortsetzung „Kein Vampir für eine Nacht“ kann man nun zwar erfahren, wie es mit Joy und Raphael weitergegangen ist, aber nur in einer Nebenhandlung. Tatsächlich hat sich MacAlister für den zweiten Band eine neue Protagonistin ausgedacht, die es auf den folgenden 400 Seiten erfolgreich zu verkuppeln gilt.

Allegra ist Beschwörerin, das heißt, sie ruft Geister herbei. Inwiefern so etwas die Miete, den Supermarkteinkauf und anfallende Rechnungen bezahlen soll, erklärt MacAlister zwar nicht. Trotzdem hat Allegra eine Festanstellung, und das, obwohl es ihr in ihrer gesamten Karriere noch niemals gelungen ist, auch tatsächlich einen Geist herbeizurufen. Ihr Chef ist davon kaum begeistert, darum hat er sie nach London geschickt, wo sie nun endlich mal etwas Ordentliches beschwören und damit den Beweis ihrer Fähigkeiten erbringen soll. Tatsächlich ist London ihrem geheimen Beschwörer-Gen offensichtlich sehr zuträglich, denn am Schluss des Romans hat sie sieben Geister beschworen, die ständig um sie herumschwirren (wenn sie sich nicht gerade im Fernsehen „Buffy“ ansehen).

Nebenbei soll sie bei ihrem London-Aufenthalt auch unbedingt einer Lesung von J. C. Dante beiwohnen und ihrer Freundin ein signiertes Buch mitbringen. Allie selbst hält von Dantes Romanen überhaupt nichts und wirft sich eher widerwillig in das weibliche Getümmel, das den Starautor paranormaler Romanzen umgibt. Allerdings lernt sie dort Joy und Roxy kennen, die sofort beschließen, dass Allie Dantes Auserwählte sein muss. Und dass, obwohl sie Dante unglaublich arrogant und unsympathisch findet! Es kommt natürlich alles, wie es kommen muss: Sie fällt mit Christian (also Dante) in die Kissen, sie gestehen sich ihre ewige Liebe und dazwischen müssen noch ein böses magisches Triumvirat besiegt und ein Dämon zurück in die Hölle geschickt werden – aber das ist eher lästiges Beiwerk. Stattdessen konzentriert sich MacAlister auf Bettgeschichten, wahnsinnig süßliche Liebesgeständnisse und unglaublich nervtötende Dialoge.

Wer „Blind Date mit einem Vampir“ kennt, kennt auch „Kein Vampir für eine Nacht“, denn die Fortsetzung ist „more of the same“, wie der Engländer so schön sagt. Wieder gibt es eine Ich-Erzählerin und wieder ist sie leicht fehlerhaft – diesmal sind es ein vernarbtes Bein und verschiedenfarbige Augen. Ganz klassisch kann sie den Mann ihrer Träume zunächst nicht ausstehen, nur um schließlich doch noch seinem Charme zu erliegen und als ultimativen Liebesbeweis ihr Leben für den Liebsten zu riskieren. Selbiger war zwar anfangs auch nicht von seiner Auserwählten angetan, doch ist er selbstverständlich gegen sein Schicksal machtlos: Allie ist dazu auserkoren, Christians Seele zu retten, und das wird sie auch tun, da kann der arrogante Macho sich noch so sehr wehren. Das bedient natürlich das gleiche Klischee wie der Erstling, nämlich das Männer zwar gutaussehend und sexy, aber geistig auf dem Stand von Neandertalern verblieben sind und deshalb nicht wissen, was gut für sie ist. Darum müssen sie gegen ihren Willen von einer gutmeinenden Frau verführt und in den Hafen der Ehe verschifft werden.

Viel Handlung ist bei „Kein Vampir für eine Nacht“ nicht zu erwarten, und was MacAlister an Handlung bietet, ist reichlich abstrus und teilweise widersprüchlich. Das macht der Autorin offensichtlich nichts aus, man hat nie den Eindruck, dass sie ihren Roman oder ihre Charaktere sonderlich ernst nehmen würde. Ihr Personal ist dermaßen überzeichnet und viele Szenen sind so slapstickartig aufgebaut, dass einem als Leser schnell schwindelig wird. Das alles soll natürlich kurzweilig und witzig sein, doch wirkt es meistens nur übertrieben und spleenig.

Offensichtlich ist MacAlister der Meinung, Vampire seien das Ultimum an Romantik. Deshalb nennt sie sie auch nicht „Vampire“, sondern „Dunkle“ – gerade so, als wäre Vampir politisch unkorrekt und diskriminierend. Dunkle, das sind bei MacAlister unsterbliche, Blut trinkende Männer, die verzweifelt auf der Suche nach ihrer Auserwählten sind, denn nur sie kann die Seele des Dunklen retten. Ohne Frau ist er verzweifelt, deprimiert, selbstmordgefährdet – mit Frau ist er vollkommen, glücklich und endlich ein ganzer Mann. So sagt Allie an einer Stelle über Christian: „Christian war im Grunde seines Herzens zutiefst verzweifelt und sehnte sich nach Liebe, denn sie war der Schlüssel zur Rettung seiner Seele.“ Hach, wie schön! Ist der Dunkle erst einmal romantisch errettet (d. h. aus seinem Neandertalerstadium befreit), mutiert er zum zuvorkommenden Liebhaber und potenten Sexgott; schließlich ist es fortan seine Lebensaufgabe, seine Geliebte wunschlos glücklich zu machen. Na, das sind doch Aussichten!

Schon diese völlig an den Haaren herbeigezogene und gänzlich auf den Romance-Plot ausgelegte Vampirmythologie ist an Kitsch kaum zu überbieten. Leider sind MacAlisters Charaktere auch nicht viel besser. Allie ist die typische Heroine, die nicht ganz perfekt ist und anfangs an sich zweifelt (es ist aber auch blöd, ein Beschwörer zu sein, wenn man offensichtlich gar nicht beschwören kann). Schlussendlich findet sie aber im Laufe der Handlung sich selbst und damit auch den Mann ihrer Träume. Und auch wenn sie anfangs mit Christian nicht viel anfangen konnte, so sieht sie doch irgendwann die Vorzüge eines Vampirs und erklärt ganz hingerissen: „Von einem Dunklen geliebt zu werden, ist alles, was sich eine Frau nur wünschen kann.“

Dumm nur, dass auch die Liebe völlig zerredet wird. MacAlister scheint unfähig, dem Leser Dinge zu zeigen – durch Taten oder Andeutungen. Schließlich hat sie einen Liebesroman geschrieben, und da muss alles deutlich und auch für den naivsten Leser zu durchschauen sein. Deshalb wird geredet, ständig und unaufhörlich. Anstatt zu zeigen, wie die Charaktere sich lieben, lässt MacAlister sie ihre Liebe gestehen – immer und immer wieder. Das geht so weit, dass selbst die Sexszenen so von Dialogen durchzogen sind, dass die Erotik vollkommen verloren geht. Wenn Allie und Christian das erste Mal Sex haben, hat man eher den Eindruck, die beiden würden eine gepflegte Unterhaltung führen (bei der sie zufällig nackt sind und Körperflüssigkeiten austauschen). Wie abtörnend.

Auch die Nebencharaktere sind nicht besser. Da hochschwanger, erscheint Joy noch mehr wie eine unförmige Planschkuh. Und deren beste Freundin Roxy, die schon in „Blind Date mit einem Vampir“ nie den Rand halten konnte, ist nun tatsächlich noch nerviger – unglaublich, aber wahr. Ständig plappert sie unzusammenhängendes Zeug, macht peinliche Bemerkungen und unterbricht Dialoge gerade dann, wenn doch einmal so etwas wie Handlung transportiert werden soll. Ohne Frage ist Roxy die Gülcan der Supernatural Fantasy. Leider fällt ihr nie ein Backstein auf den Kopf. Sie wird auch nicht vom Auto überfahren oder von einem Dämon gefressen. Es besteht also die berechtigte Gefahr, dass sie auch in zukünftigen Fortsetzungen ihr sinnloses Gelaber verbreiten wird.

„Kein Vampir für eine Nacht“ ist uninspirierte Schnulzenkost, ein Roman vom Fließband, der sich nur minimal vom Vorgänger „Blind Date mit einem Vampir“ unterscheidet. Wer Kitsch mag, ist hier vermutlich richtig. Wer eine gute Liebesgeschichte will, sollte sich eher ein anderes Buch suchen.

Man muss Egmont LYX zugute halten, dass sie die Romanreihe wunderbar aufgemacht auf den Markt gebracht haben. Die Covergestaltung und das Artwork sind wirklich peppig und liebevoll. Nur schade, dass der Inhalt nicht hält, was die Verpackung verspricht.

Die Dunklen

1. „A Girl’s Guide to Vampires“ („Blind Date mit einem Vampir“)
2. „Sex and the Single Vampire“ („Kein Vampir für eine Nacht“)
3. „Sex Lies and Vampires“ („Küsst du noch oder beißt du schon?“)
4. „Even Vampires Get the Blues“ („Vampir im Schottenrock“)
5. „The Last of the Red-Hot Vampires“ („Vampire sind zum Küssen da“)

Originaltitel: Sex and the Single Vampire
Ins Deutsche übertragen von Antje Görnig
398 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-8025-8139-7
www.egmont-lyx.de
www.katiemacalister.com

Kenner, Julie – Dämonen zum Frühstück (Die unglaublichen Abenteuer der Kate Connor 1)

Seit den Präsidentschaftswahlen in den USA im vergangenen Jahr kann auch jeder Bundesbürger etwas mit dem Begriff Soccer Mom anfangen. Eine Soccer Mom fährt mit ihrem riesigen Van die Kinder zur Schule, geht bei Wal-Mart einkaufen, holt die Kinder wieder ab, fährt sie zum Fußball, Ballett oder Kino und dazwischen macht sie den Haushalt und ist ihrem Ehemann eine treusorgende Ehefrau. Das klingt zunächst weder spannend noch nach dem Stoff für einen Roman, und doch hat sich Julie Kenner in „Dämonen zum Frühstück“ genau solch einer Soccer Mom angenommen.

Nun gut, es sollte vielleicht noch erwähnt werden, dass die Protagonistin des Romans, die zweifache Mutter Kate Connor, früher mal für die Forza – die Dämonenabteilung des Vatikan – Untote und Dämonen zur Strecke gebracht hat. Aber das ist schon seit Jahren vorbei. Mittlerweile ist sie mit dem Juristen Stuart verheiratet und hat zwei Kinder, eins im Teenager- und eins im Windelalter. Tatsächlich ist zu Beginn des Romans ihr größtes Problem eine Dinnerparty, die ihr Mann ihr kurzfristig aufs Auge drückt. Stuart will nämlich als Bezirksrichter kandidieren und muss dafür natürlich viele Hände schütteln. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass Horden von Politikern in Kates Haus einfallen und sie ihnen Delikatessen und teuren Wein auftischt, während sie gepflegte Konversation betreibt und die perfekte Ehefrau spielt. Für die meisten Frauen wäre schon diese Aufgabe Stress pur, doch Kates Situation verschlechtert sich schlagartig, als frühmorgens ein Dämon durch ihr Küchenfenster springt und sie zu töten versucht.

Plötzlich sieht sich Kate also mit mehreren Problemen konfrontiert: Sie war einst in das Städtchen San Diablo gezogen, weil es dort eben keine Dämonenaktivität gab. Wo kommt also plötzlich dieser Dämon her und was will er von ihr? Wie kann sie die Leiche verschwinden lassen? Und schafft sie es noch rechtzeitig, die Party vorzubereiten?

Julie Kenners Romanidee klingt zunächst spannend und kurzweilig: Was würde wohl passieren, wenn jemand wie die allseits bekannte Buffy Summers die Vampirjagd aufgibt und stattdessen sesshaft wird – so ganz klassisch mit Kind und Kegel? Und was passiert, wenn ihr altes Leben dann doch wieder an die Türe klopft? Dieser Clash der Kulturen könnte sich durchaus faszinierend gestalten, und doch schafft es Kenner nicht ganz, den Bogen zwischen humoristischer Frauenliteratur und fetziger Dämonenjagd zu schlagen.

Kenner schreibt ihre Kate Connor – die ihre Geschichte in der Ich-Form erzählt – flott und frei von der Leber weg. Das soll natürlich spritzig wirken und dem Leser den ein oder anderen Lacher entlocken. Nur leider traut Kenner ihrer Leserschaft nicht über den Weg. Jede ironische Bemerkung erklärt sie dem Leser groß und breit, was natürlich den Witz im Keim erstickt. Und ihr kurzweiliger Erzählstil führt hauptsächlich dazu, dass sie von einem Thema zum nächsten springt, in der Regel mit in Klammern gesetzten Einschüben, die auch schon mal eine halbe Seite in Anspruch nehmen können. Das nimmt das Tempo aus der Erzählung und nervt nach einer Weile nur noch.

Apropos nerven: Wer schon immer mal einen Roman über den Tagesablauf einer Hausfrau mit zwei Kindern lesen wollte, der ist bei „Dämonen zum Frühstück“ an der richtigen Adresse. Wer aber auf einen spannenden Roman hofft, in dem wenigstens zwischenzeitlich dämonisch die Post abgeht, der wird sich bei der Lektüre schnell langweilen. Kenner interessiert sich offensichtlich mehr fürs Hausfrauliche als fürs Dämonenjagende in Kate Connors Charakter. Wir erfahren nämlich ganz viel über Partys, Delikatessgeschäfte, pubertierende Mädchen, die Windeln eines Zweijährigen, Kates beste Freundin und darüber, dass deren Mann (der im Übrigen nie im Roman auftaucht) eine Affäre hat. Wir lernen was über Kindererziehung und wie man Leute verköstigt, wenn man nicht kochen kann. Wir begleiten Kate dabei, wie sie Todesängste aussteht, als sie ihren Sohn das erste Mal in den Kindergarten bringt, und steigen in die politische Karriere ihres Mannes ein. Wir erfahren dagegen ganz wenig über den Vatikan und dessen Geheimorganisation Forza oder Dämonen im Allgemeinen und Besonderen. Obwohl Kenner mehrmals von „Dämonen niederer und höherer Ordnung“ spricht, sieht sie sich nie bemüßigt, diese Begriffe wenigstens skizzenhaft auszuführen. So sind die Dämonen zwar irgendwie da, bleiben aber unerklärt – eine eigene Mythologie macht Kenner nicht auf.

Damit gibt es in „Dämonen zum Frühstück“ zwar ganz viel „Desperate Housewives“, aber ganz wenig „Buffy“, ganz viel amerikanische Alltagskultur, aber ganz wenig Dämonenjagd. Der Plot um den Oberdämon, der nach irgendeiner unbekannten Reliquie sucht, bleibt dünn und uninspiriert und die Auflösung am Schluss erweist sich kaum als überraschend. Überhaupt besteht Kates Dämonenjagd hauptsächlich darin, dass sie im verstaubten Kirchenarchiv sitzt und nach etwas sucht, von dem sie nicht weiß, was es ist. Diese Recherche-Szenen wiederholen sich, ohne dass sie den Plot voranbringen. Das wirkt auf Dauer ermüdend.

Genauso ermüdend sind die männlichen Charaktere, die Kenner einbaut. Kates Mann Stuart ist praktisch nie da (er arbeitet schließlich hart an seiner politischen Karriere), und da man die beiden selten zusammen als Eltern oder Ehepartner sieht, kann man nicht nachvollziehen, was Kate an ihm findet. Larson, der Kate als |alimentatore| (bei „Buffy“ würde man ihn Wächter nennen) vom Vatikan an die Seite gestellt wurde, zieht sich ebenfalls ständig aus der Affäre und taucht im Roman hauptsächlich auf, um Kate zu erklären, dass er keine Zeit hat und ins Gericht zurück muss (im Hauptberuf ist er Richter). Die einzige rühmliche Ausnahme ist der Karatetrainer Cutter, bei dem sich Kate kurzentschlossen anmeldet, um wieder in Form zu kommen. Cutter ist witzig und schlagfertig, definitiv eine Bereicherung für den Roman.

„Dämonen zum Frühstück“ ist ein Roman für Hausfrauen, die sich ein wenig mehr Action in ihrem Alltag wünschen. Wollte man Kenner hehre moralische Absichten unterstellen, so könnte man den Roman als ein Plädoyer dafür lesen, dass Mütter zurück in den Beruf sollten und es nicht verwerflich ist, sein Kind in eine Betreuung zu geben. Tatsächlich lässt Kenner Kates beste Freundin an einer Stelle sagen: „Du bist jetzt nicht mehr nur Hausfrau und Mutter. Kate Connor, du hast jetzt einen Job, der dich tagsüber beschäftigt.“ Eine solche Message ist natürlich zu begrüßen, doch scheint es, dass Kate Connor Probleme mit ihrem neuen „Job“ hat. Sie kann sich nicht recht trennen von ihrem Hausfrauendasein. Im Arbeitsleben ist sie jedenfalls noch lange nicht angekommen, und so mäandert der Roman irgendwo zwischen Küche und Waschmaschine und lässt dabei große Höhepunkte vermissen.

|Originaltitel: Carpe Demon
Übersetzung von Mechthild Barth
411 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-453-53283-0|
http://www.heyne.de

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Wilson, F. Paul – Handyman Jack – Die Gruft (Folge 3)

Handyman Jack bringt Dinge in Ordnung. Doch handelt es sich bei diesen Dingen keineswegs – wie Ottonormalverbraucher vermuten würde – um Abflüsse, Regenrinnen oder klemmende Türen. Stattdessen widmet sich Jack diffizilen Problem, die sonst keiner lösen will: Er beschafft Dinge wieder, befreit Geiseln und treibt auch schon mal Geld ein. Dabei verhält er sich zwar in der Regel durchaus moralisch (man könnte ihn mit einem modernen Robin Hood vergleichen), doch trotzdem bewegt er sich außerhalb des Gesetzes. Und damit er nicht auffällt, ist er „ausgestiegen“. Jack hat weder ein Bankkonto noch eine Sozialversicherungsnummer – er hat noch nicht mal einen Nachnamen.

Und genau aus diesem Grund hat sich seine Freundin Gia von ihm getrennt. In einem Anfall von Putzwut hatte sie einst in Jacks Wohnung aufgeräumt und war dabei auf ein ganzes Arsenal beeindruckender Waffen gestoßen. Als sie Jack zur Rede stellte und er erörterte, was er für seinen Lebensunterhalt tut, hat sie das Weite gesucht; zusammen mit ihrer kleinen Tochter Vicky, die Jack geradezu abgöttisch liebt.

Doch nun scheint es so, als bräuchte Gia gerade Jacks „besondere“ Hilfe. Ihre Tante ist verschwunden und die Polizei zeigt nicht viel Einsatz bei dem Versuch, sie wiederzufinden. Hier soll nun also Jack weiterhelfen, doch auch er findet zunächst keine heiße Spur außer einem ominösen unetikettierten Fläschchen, in dem sich angeblich Abführmittel befinden soll.

Zur gleichen Zeit wird er von dem Inder Kusum Bakti engagiert, um eine Halskette wiederzubeschaffen. Laut Bakti gehört die Kette seiner Großmutter, die nachts zuvor überfallen worden war. Nun ist das Schmuckstück kaum wertvoll, besteht es doch nur aus Eisen, doch es handelt sich um ein Familienerbstück und Bakti versichert, dass er es unbedingt wiederhaben müsse. Jack bezweifelt, dass es möglich sei, eine einzelne Kette in ganz New York wieder aufzutreiben, aber Bakti bietet ihm selbst für den Versuch einen ganzen Batzen Geld.

Es kommt, wie es kommen muss: Jack findet zwar (oh, Wunder!) die Kette wieder, doch es stellt sich heraus, dass Gias Großmutter tot ist. Tatsächlich ist Baktis Erscheinen daran nicht ganz unschuldig, doch wie Bakti in die ganze Sache verwickelt ist und vor allem, worin sein Motiv besteht, das gilt es fortan herauszufinden. Als dann auch noch die kleine Vicky in die Schusslinie gerät, ist für Jack Schluss mit lustig und er fährt die ganz großen Geschütze auf.

„Handyman Jack“ ist mittlerweile eine der Hausmarken von Lars Peter Luegs Hörbuch-Label |LPL records|. Das hier vorliegende Hörbuch „Die Gruft“ ist schon die dritte Veröffentlichung, letztes Jahr erschienen bereits die Kurzgeschichtenanthologien „Der letzte Ausweg“ und „Schmutzige Tricks“, beide dazu angetan, den geneigten Hörer anzufüttern und ihm Lust auf mehr zu machen. Mit „Die Gruft“ liefert |LPL| nun genau das; nämlich den ersten Roman um den Handyman, von Autor F. Paul Wilson ursprünglich 1984 veröffentlicht.

Wilson huldigt in seinen Handyman-Jack-Geschichten der Action und der Spannung. In der Regel muss Jack zwar auch „einen Fall lösen“, doch ist dieser kriminalistisch meist nicht besonders raffiniert. Stattdessen strebt die Handlung immer auf die nächste Actionsequenz oder die nächste Schießerei zu. Jack dabei zu beobachten (oder zu belauschen), wie er höchst professionell und in der Regel beeindruckend kaltblütig seine Aufträge erledigt, macht einfach Spaß – es ist nicht besonders anspruchsvoll, aber dafür spannend und flott erzählt.

In „Die Gruft“ fügt Wilson dem Action- und Krimiplot allerdings noch einen Schuss Horror hinzu. Er erfindet buchstäblich ein Monster, dass es erst zu identifizieren und dann zu töten gilt. Letzteres gestaltet sich selbstverständlich schwierig, da das Monster – wie jedes ordentliche Monster – praktisch unverwüstlich ist, doch gerade im Überwinden des Unmöglichen liegt ja der Reiz einer solchen Geschichte.

Nun tritt |LPL| sich leider ein wenig selbst auf die Füße, da auf dem bereits erschienenen Hörbuch „Schmutzige Tricks“ eine Fortsetzung zu „Die Gruft“ zu finden war. Wer „Schmutzige Tricks“ also kennt, wird in Bezug auf das Monster hier kaum Überraschungen erleben. Dabei besteht ja gerade ein Teil der Spannung von „Die Gruft“ darin, herauszufinden, worum es sich handelt und wie es zu töten ist. Zwar lässt auch Wilson dem Leser immer etwas Vorsprung, da er teilweise aus Baktis Perspektive erzählt und man so bereits in dessen Pläne eingeweiht ist, als Jack noch völlig im Dunkeln tappt. Doch möchte Wilson natürlich, dass man Jacks Schock und Unglauben teilt, wenn er das erste Mal auf die Monster trifft. Wer nun aber „Schmutzige Tricks“ kennt, ist so ungläubig nicht mehr … abgebrüht träfe es da schon eher. Daher Punktabzug für die seltsame Reihenfolge der Veröffentlichungen.

Trotzdem lohnt sich das Hören natürlich. Betrachtet man nur die Geschichte, so ist diese spannend bis zum letzten Atemzug. Betrachtet man dann aber noch die Leistung des Sprecher Detlef Bierstedt, so wird „Die Gruft“ vollends zum Hörgenuss. Bierstedt gibt den Titelhelden taff und unglaublich männlich. Seine tiefe Stimme suggeriert sofort ein Alpha-Tier, und wohl nicht nur als Frau würde man ihm sofort das Auffinden der verschwundenen Oma anvertrauen. Jacks schiere Präsenz, seine zupackende Art und seine Zuversicht, jegliche Situation lösen zu können – all das wirkt durch Bierstedts Stimme um so glaubhafter. Die Devise lautet hier also: hören statt lesen, auch wenn die Hörbuchfassung gegenüber der Romanveröffentlichung gekürzt ist.

|372 Minuten auf 5 CDs
ISBN-13: 978-3-7857-3710-1|
http://www.lpl.de
http://www.luebbe-audio.de
http://www.festa-verlag.de
http://www.andymatern.de

F. Paul Wilson auf |Buchwurm.info|:

[„Handyman Jack – Schmutzige Tricks“ 4939 (Folge 1)
[„Handyman Jack – Der letzte Ausweg“ 5129 (Folge 2)
[„Das Kastell“ 795
[„Tollwütig“ 2375
[„Die Gruft“ 4563

Harris, Charlaine – Falsches Grab (Harper Connelly 2)

2008 veröffentlichte der Verlag |dtv|, der sich auch schon Charlaine Harris‘ Serie um die gedankenlesende Kellnerin Sookie Stackhouse angenommen hat, den Auftaktroman zu einer neuen Serie aus Harris‘ produktiver Feder. In [„Grabesstimmen“ 4704 ging es um die junge Harper Connelly, die nach einem Blitzschlag in der Lage ist, Tote aufzuspüren und deren letzte Momente nachzuerleben. Zusammen mit ihrem Halbbruder Tolliver hat sie diese Gabe zu einem Zwei-Mann-Betrieb ausgebaut. Die beiden reisen von Auftrag zu Auftrag, finden Leichen und helfen der Polizei auch schon mal dabei, einen Mord aufzuklären.

Die Fortsetzung „Falsches Grab“ geht zunächst aber durchaus beschaulich los. Harper und Tolliver wurden von dem College-Professor Dr. Nunley eingeladen, um auf einem alten Friedhof die Todesursache der dortigen Leichen zu bestimmen. Nunley gibt ein Seminar zum Thema „Unvoreingenommenes Denken“, in dem er – dem Titel des Seminars völlig entgegengesetzt – Hexen oder Hellseher vor seinen Studenten bloßstellen will. Und so hat er für Harper die perfekte Versuchsanordnung aufgebaut; schließlich ist er im Besitz der offiziellen Aufzeichnungen des Friedhofs und kann jeder Leiche eine Todesursache zuordnen.

Womit er nicht gerechnet hat, ist, dass Harper dies ebenfalls gelingt. Zielsicher wandert sie über den Friedhof und liegt mit den Todesursachen, die sie den Leichen zuweist, immer richtig. Nunley wird zusehends erboster und ungehaltener, droht doch sein Plan zu platzen. Doch das Ziel des Seminars wird in den Hintergrund gedrängt, als Harper feststellt, dass ein Grab doppelt belegt ist: Über der zu erwartenden Leiche befindet sich eine zweite: Die verbuddelten Überreste der seit einem Jahr verschwundenen Tabitha Morgenstern.

Pikanterweise wurden damals gerade Harper und Tolliver damit beauftragt, Tabitha zu finden. Dass sie nun hier zufällig auf die Leiche des elfjährigen Mädchens stoßen, lässt vermuten, dass sie jemand in eine Falle locken wollte. Aber wozu? Und wer hat die Kleine nun tatsächlich umgebracht? Harper und Tolliver finden sich plötzlich mitten in Tabithas trauender Familie wieder, sie werden von Reportern verfolgt und von der Polizei misstrauisch beäugt.

Mit „Falsches Grab“ hat Charlaine Harris eine mehr als würdige Fortsetzung geschrieben. Auf der einen Seite liefert sie einen verzwickten Krimiplot mit so vielen Charakteren, dass man sich als Leser nie recht entscheiden kann, wen man nun eigentlich verdächtigen sollte. Auf der anderen Seite konzentriert sie sich ebenfalls auf ihre Figuren, hauptsächlich natürlich Harper und Tolliver, die sie gegenüber „Grabesstimmen“ weiterentwickelt und mit Leben füllt. Offensichtlich hat sie sich seit dem ersten Roman auch vermehrt mit den medizinischen Auswirkungen eines Blitzschlags beschäftigt, denn es finden sich in „Falsches Grab“ viele Passagen, in denen Harper mit Spätwirkungen zu kämpfen hat – derartiges war in „Grabesstimmen“ noch nicht so plastisch ausgearbeitet.

Doch zurück zu Harper und Tolliver: Tolliver ist Harpers wichtigste Bezugsperson. Die beiden haben eine unglaublich enge – geschwisterliche – Beziehung, da ihre Eltern ständig zu high oder betrunken (oder beides) waren, um ihre elterlichen Pflichten wahrnehmen zu können. Das hat die beiden zusammengeschweißt. Sie planen sogar, sich ein gemeinsames Haus zu kaufen, sobald sie genügend Geld gespart haben. Harper und Tolliver hatten nie eine wirkliche Familien und gerade deswegen ist sie ihnen so wichtig. Sie stehen nicht nur einander sehr nahe, sondern versuchen auch, zu ihren Halbgeschwistern regelmäßigen Kontakt zu halten, obwohl das deren Pflegeeltern nicht gern sehen, da sie wohl denken, bei Harper und Tolliver wären mehrere Schrauben locker.

Und so sind Harper und Tolliver ständig zusammen, 24/7, wie es so schön heißt. Und obwohl sie sich selbst als Geschwister bezeichnen, sind sie tatsächlich nicht blutsverwandt. Harris macht sich einen Spaß daraus, Nebencharaktere auf die seltsame Beziehung der Protagonisten anspielen zu lassen. Ständig werden diesbezügliche Fragen gestellt: „Wollen Sie ein Einzel- oder Doppelzimmer?“ ist da noch eine der braveren Möglichkeiten. Die Häufung dieser Anspielungen führt beim Leser unweigerlich zu der Annahme, dass Harris die Beziehung der beiden bald in eine andere Richtung steuern wird. Und tatsächlich, irgendwann nach zwei Dritteln des Romans, bekommt Harper den erwarteten „Tausend mal berührt“-Blues. Natürlich weiht sie Tolliver nicht in ihre plötzlich veränderten Gefühle ein, und es bleibt abzuwarten, wie lange ihr in der Regel durchaus aufmerksamer Bruder brauchen wird, um hinter das Geheimnis ihrer plötzlichen Stimmungsschwankungen zu kommen. Mal sehen, in welche Richtung es da zukünftig weitergeht!

Abgesehen vom Krimiplot wird auch die Mystery weiter ausgebaut. Harper begegnet zum ersten Mal einem echten Geist (nämlich dem „originalen“ Bewohner des doppelt belegten Grabs), und Harris stellt ihr kurzerhand eine wahrsagende verschrobene Oma und deren schwer tätowierten und gepiercten Enkel Manfred an die Seite. Manfred, der offensichtlich Gedanken lesen kann, darf gern auch in den zukünftigen Romanen vorkommen, denn offensichtlich knistert es zwischen ihm und Harper – auch wenn diese das Knistern nicht wirklich ernst nimmt.

Man sollte sich allerdings hüten, „Falsches Grab“ als Mystery mit Krimihandlung zu bezeichnen. Gerade umgekehrt wird ein Schuh draus: Harris‘ Serie um Harper ist erster Linie Krimi, die Mystery-Handlung ordnet sich dem Mordfall immer unter.

„Falsches Grab“ baut nahtlos auf „Grabesstimmen“ auf und kommt im Ganzen noch unterhaltsamer und spannender daher als der Erstling. Der Krimiplot ist verschachtelter – es gibt mehr Verdächtige und beteiligte Ermittler – und die Charaktere bekommen mehr Tiefe. Charlaine Harris ist also ein durchgehend überzeugender Krimi mit Mystery-Einschlag gelungen, in den man wunderbar eintauchen kann. Ein Pageturner allererster Güte.

|Originaltitel: Grave Surprise
Deutsch von Christiane Burkhardt
301 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-423-21121-5|
http://www.dtv.de

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_Charlaine Harris auf |Buchwurm.info|:_

|Sookie Stackhouse|

1. „Dead Until Dark“ ([„Vorübergehend tot“, 788 2006, ISBN 978-3-937255-14-9
2. „Living Dead in Dallas“ ([„Untot in Dallas“, 939 2006, ISBN 978-3-937255-15-6)
3. „Club Dead“ ([„Club Dead“, 1238 2005, ISBN 978-3-937255-16-3)
4. Dead to the World ([„Der Vampir, der mich liebte“, 2033 2005, ISBN 978-3-423-24474-9)
5. „Dead as a Doornail“ ([„Vampire bevorzugt“, 3157 2006, ISBN 978-3-423-24545-6)
6. „Definitely Dead“ ([„Ball der Vampire“, 4870 2007, ISBN 978-3-423-20987-8)
7. „All Together Dead“ [(„Vampire schlafen fest“, 5450 2008)
8. „From Dead to Worse“ („Ein Vampir für alle Fälle“, Juli 2009, ISBN 978-3-423-21148-2)

|Harper Connelly|

1. „Grave Sight“ ([„Grabesstimmen“, 4704 2008, ISBN 978-3-423-21051-5)
2. „Grave Surprise“ („Falsches Grab“)
3. „An Ice Cold Grave“

Melzer, Brigitte – Jägerin, Die (Vampyr 2)

In Brigitte Melzers Roman [„Vampyr“ 5459 ließen wir die Protagonisten in einer reichlich prekären Situation zurück: Nach dem alles entscheidenden Kampf mit dem Fiesling war Daeron lebensgefährlich verwundet worden. Catherine, in Ermangelung einer Alternative, machte ihn daraufhin zum Vampir. Im Folgeband „Vampyr. Die Jägerin“ erfährt der geneigte Leser nun, wie es mit Catherine und Daeron weitergeht.

Catherine, schon immer empfindsam, konnte es offenbar nicht ertragen, dass sie Daeron ebenfalls zu einem Leben als Vampir verdammt hat – wenngleich ihre Absichten natürlich redlich waren. Davon überzeugt, dass Daeron sie nun verabscheut, verlässt sie ihn. Sie hofft, dass es tatsächlich eine Möglichkeit gibt, die Vampirwerdung praktisch ‚umzukehren‘, und sucht verzweifelt nach dieser Methode, da sie davon ausgeht, dass Daeron ihr nur verzeihen wird, wenn sie ihn vom Vampirismus heilen kann.

Daeron hat derweil lange nicht so viele Probleme mit seinem neuen Zustand, wie Catherine angenommen hat. Er beschließt, sich von Tierblut zu ernähren, und da diese Methode die meisten moralischen Probleme des Vampirimus beseitigt, erfreut er sich ansonsten seiner neu gewonnenen Kräfte. Er sucht verzweifelt nach Catherine, kann sich aber gleichzeitig nicht erklären, warum sie ihn verlassen hat. Als die beiden dann endlich in Edinburgh wieder aufeinandertreffen, ist Catherine mit ihren Nachforschungen schon weit vorangekommen: Um Daeron (und sich) vom Vampirismus zu befreien, muss sie den allerersten Vampir töten. Das gelingt aber nur mit einem bestimmten christlichen Artefakt, von dem allerdings niemand weiß, wo es sich befindet. Doch auch der erste Vampir weiß, dass ihm dieses Artefakt gefährlich werden kann – für ihn Grund genug, es in seinen Besitz zu bringen.

Damit nicht genug, taucht zeitgleich in Edinburgh eine Handvoll Vampirjäger auf, die es auf alles abgesehen haben, was spitze Zähne hat. Doch wäre es nicht eine gute Idee, wenn sich die Jäger mit Catherine und Daeron verbünden würden, um den Obervampir zu vernichten?

Im zweiten Teil von Brigitte Melzers Romanreihe treffen wir altbekannte Charaktere wieder, allen voran natürlich Catherine und Daeron. Allerdings tritt Melzer glücklicherweise nicht erzählerisch auf der Stelle, und so baut sie eine ganze Reihe neuer Charaktere in die Handlung ein, die sie darüber hinaus an einem neuen Schauplatz (Edinburgh) spielen lässt. Das macht „Die Jägerin“ im Ganzen spannender und abwechslungsreicher als den Vorgängerband.

Melzers neue Lieblingsprotagonistin ist offensichtlich die Vampirjägerin Alexandra. Deren Familie wurde vom Unendlichen niedergemetzelt, als sie noch ein junges Mädchen war. Damals schwor sie Rache, und seitdem ist sie mit drei Männern unterwegs, um Vampire zu vernichten. Alexandra ist eine taffe Heldin, ganz wie man sich eine Jägerin eben vorstellt. Dahinter verblasst Catherine zusehends. Anstatt stärker, hat sie der Vampirimus vielmehr schwächer gemacht. Für jeden Handgriff scheint sie Daerons Hilfe zu benötigen, und selbst auf die Idee, sich von Tierblut zu ernähren, kommt sie nicht allein. Da macht es deutlich mehr Spaß, Alexandras Entwicklung zu folgen, der Melzer natürlich – zwischen all der Kämpferei und dem Weltretten – auch noch eine Liebesgeschichte auf den Leib schreibt.

Auch die Beschreibungen der Handlungsorte, im ersten Roman noch ein Schwachpunkt, haben sich stark verbessert. Edinburgh kommt wirklich sehr plastisch daher, und für den Leser ist es einfach, das Setting vor dem inneren Auge erstehen zu lassen. Viel spielt sich in „Die Jägerin“ in einer Close ab, einer engen Gasse, die von der Royal Mile (der damaligen Hauptstraße) hinab zum Nor Loch (wo sich heute – ganz unromantisch – der Bahnhof der Stadt befindet) führte. Diese ganz bestimmte Gasse, nämlich die Mary King’s Close, existiert(e) tatsächlich. Sie wurde freigelegt und kann seit 2003 besichtigt werden (sehr empfehlenswert übrigens). Melzer gelingt es also, schottischen Charme zu versprühen. Die Handlungsorte sind düster und irgendwie unheimlich – was natürlich ein echtes Muss ist, wenn man einen Vampirroman schreibt, der noch dazu in Schottland spielt.

Einige Ungereimtheiten gibt es dennoch. Melzer scheint sich an die Vampirtheorie aus „Lost Boys“ zu halten, nachdem der Obervampir vernichtet werden muss, um alle anderen Vampire wieder zu Menschen werden zu lassen. Woher Catherine und Daeron allerdings das Wissen beziehen, dass es sich gerade bei dem einzigen anderen Vampir, den sie kennen, um den ersten Vampir handelt, das bleibt wohl Melzers Geheimnis. Auch erscheint es ein wenig ‚billig‘, das alte Thema des guten und bösen Zwillings aufzurollen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich Melzer hier eines Kunstgriffes bedient, dessen es nicht bedurft hätte.

Alles in allem ist „Vampyr. Die Jägerin“ jedoch ungleich besser gelungen als der Vorgängerroman. Die Handlung ist verschachtelter und bietet mehr Spannung. Es gibt mehr überraschende Wendungen und detektivischen Einsatz der Charaktere. Außerdem wurde eine ganze Reihe neuer Figuren hinzuerfunden, um die Story frisch zu halten und Raum für weitere Geschichten zu schaffen. Melzer ist ein kurzweiliger Roman gelungen, der zwar nicht mit Tiefgang daherkommt, dafür aber mit einer unterhaltsamen Geschichte.

|Empfohlen ab 14 Jahren
319 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-8000-5350-6|

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Außerdem von Brigitte Melzer auf |Buchwurm.info|:
[„Elyria – Im Visier der Hexenjäger“ 4700

Richardson, Kat – Greywalker

_Die Privatdetektivin Harper Blaine_ ist gerade noch dabei, dem Leser zu erklären, dass ihr Beruf lange nicht so gefährlich und glamourös ist wie allgemein angenommen, da wird sie auch schon von einem Klienten so heftig zusammengeschlagen, dass sie prompt im Krankenhaus landet. Zwar wird sie bald wieder entlassen, doch plagen sie seitdem seltsame Visionen, die sie schier in den Wahnsinn zu treiben drohen. Schlussendlich stellt sich heraus, dass der Angriff ihres Klienten sie das Leben gekostet hat – zumindest kurzfristig, denn sie wurde wiederbelebt, als die Rettungskräfte eintrafen. Allerdings hat sie einen bleibenden Schaden davongetragen, denn sie ist nun eine „Grauwandlerin“. Sie ist sowohl in der Realität zu Hause als auch im Grau – einem Ort, wo Dämonen und Geister verweilen.

Harper ist von dieser Entwicklung alles andere als begeistert, das Grau tendiert nämlich dazu, ständig und überall in ihren Alltag einzudringen: Während sie spazierengeht, laufen ihr Geister über den Weg, und wenn sie nicht aufpasst, wird sie unangemeldet ins Grau gesogen und muss sich plötzlich gegen seltsame Biester zur Wehr setzen. Harper will einfach nur, dass das alles aufhört, doch stattdessen werden die Bewohner des Grau von ihrer Präsenz angezogen und wollen nur allzu gern ihre Dienste als Privatdetektivin in Anspruch nehmen. Und so sieht sie sich plötzlich genötigt, ein obskures Möbelstück für einen Geist zu suchen und PR-Arbeit für einen Vampir zu leisten.

_Kat Richardson weiß, wie man schreibt_ – sie hat mehrere Jahre als technische Redakteurin gearbeitet und verfasste Rollen- und Computerspiele. „Greywalker“, 2006 in den USA erstveröffentlicht, ist jedoch ihr erster Roman, der gleichzeitig der Auftakt zu ihrer Romanreihe um Harper Blaine ist. Schon nach den ersten paar Seiten des Romans wird klar, dass Richardson mit „Greywalker“ einen astreinen Pageturner geschrieben hat, der nicht nur spannend und originell ist, sondern auch interessante und sympatische Charaktere zu bieten hat.

Da wäre zunächst einmal ihre Ich-Erzählerin Harper Blaine. Nun ist es ja so, dass es – betrachtet man die Urban Fantasy oder die Supernatural Romance – geradezu eine Schwemme von Romanen gibt, in denen Autorinnen weibliche Ich-Erzähler zu Wort kommen lassen. Das wirkt auf Dauer schnell ermüdend, und man hat irgendwann den Eindruck, Bücher vom Fließband zu lesen, die sich nur noch marginal voneinander unterscheiden. Doch obwohl auch Kat Richardson sich für eine weibliche, taffe Heldin entscheidet und diese als Ich-Erzählerin agieren lässt, wirkt „Greywalker“ frisch und überhaupt nicht abgekupfert.

Das ist sicherlich der Meisterschaft und Unverbrauchtheit der Autorin zu verdanken, und so wirkt auch Harper Blaine überraschend erfrischend. Denn was Harper von vielen anderen Dämonenjäger/innen unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie zu Beginn des Romans ein ganz normaler Mensch ist. Ihre Fähigkeit ist ihr nicht angeboren und sie erfährt nur durch Zufall von der Existenz von Vampiren, Dämonen und Geistern. Damit erreicht Richardson zweierlei: Zum einen kann man sich als Leser wunderbar mit Blaine identifizieren – wie sie wagt man vorsichtig die ersten Schritte in das Grau hinein und ist gespannt darauf, was denn da nun kommen mag. Auf der anderen Seiten hat Richardson so eine hervorragende Möglichkeit gefunden, ihr eigenes Universum langsam und geradezu natürlich einzuführen. Schritt für Schritt erfährt man mehr über das Grau, diese parallele Realität, in der sich allerlei seltsame Wesen herumtreiben und die sich fast selbst wie ein Lebewesen verhält.

Doch nicht nur mit Harper freundet man sich schnell an. Richardson hält noch einen ganzen Apparat Nebencharaktere bereit, die jeweils genauso unterhaltsam, originell oder schräg sind. Da wären zum Beispiel die Danzigers, ein Pärchen, das mit seinem kleinen Sohn und seinem Hausgeist Albert in einem glühenden Haus wohnt (weil es auf einer magischen Ader steht) und sich mit allerlei Paranormalem auskennt. Mara Danziger ist Hexe und sich auch nicht zu schade, ihren Kuchen zu verzaubern, damit der Teig nicht anbrennt. Ben Danziger ist eher Theoretiker und wie alle Wissenschaftler überglücklich, wenn er jemandem seine Theorien auseinandersetzen kann. Gemeinsam nehmen sie Harper fortan an die Hand, um ihr zu erklären, wie sie sich am besten im Grau zurechtfindet.

Dann wäre da noch Quinton, eine Art MacGuyer für Alarmanlagen. Er baut innerhalb von Stunden aus drei Drähten und einem Kaugummi eine voll funktionstüchtige Alarmanlage und warnt Harper ganz trocken auch schon mal davor, sich nicht mit diesen Vampiren einzulassen. Quintons praktische und doch irgendwie skurrile Art könnte ihn in zukünftigen Bänden schnell zu Harpers bestem Freund werden lassen. Doch sollte er nicht Will in die Quere kommen, dem Love Interest – denn auch den muss es schließlich geben. Will ist Auktionator, groß gewachsen und ein Mann, wie er im Buche steht. Nur leider kommt Harpers neue Lebensphilosophie ihren Dates wiederholt in die Quere und die meisten Männer lassen sich nicht endlos versetzen …

Ebenso interessant wie Richardsons Charakterentwurf ist ihr Universum, das Grau. Bisher hat Harper nur erste Schritte in diese unbekannte Welt gewagt, und so kann man kaum vorhersagen, welche seltsamen Wesen Richardson noch aus dem Hut zaubern wird. Auf jeden Fall ist das Grau schon jetzt spannend und sicher in zukünftigen Romanen noch ausbaufähig.

Eigentlich gibt es nur einen Kritikpunkt, und auch der ist nicht völlig ernstzunehmen: Für einen Roman, der 2006 veröffentlicht wurde und offensichtlich im Hier und Jetzt spielt, ist es absolut anachronistisch, dass keiner der Charaktere ein Handy besitzt. Stattdessen laufen alle Figuren mit Piepern herum, die eigentlich schon seit zehn Jahren kein normaler Mensch mehr benutzt.

Doch das nur nebenbei… Denn ansonsten ist „Greywalker“ ein wunderbar runder Roman, den man mit Leichtigkeit in ein paar Tagen geradezu verschlingen kann.

_Kat Richardson_, geboren in Kalifornien, arbeitete nach einem Publizistikstudium in diversen Zeitschriftenverlagen in L.A., bevor sie sich ganz dem Schreiben von Romanen widmete. Derzeit lebt die Autorin, zu deren Hobbys Scheibenschießen und Motorradfahren zählen, mit ihrem Mann, zwei Frettchen und einer launischen alten Katze auf einem Segelboot vor Seattle. Ihr Mystery-Debüt „Greywalker“ war in den USA auf Anhieb ein Erfolg.

|Originaltitel: Greywalker
Übersetzt von Franziska Heel
512 Seiten, broschiert
ISBN-13: 978-3-453-43310-6|

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Hinweis: Im Dezember 2008 erschien der Folgeband „Poltergeist“, im August 2009 folgt „Underground“.

Philip Steele – City of Light. Die Letzten Tage von Jim Morrison

Jim Morrison ist eine Legende, und das liegt unter anderem auch an seinem frühen Dahinscheiden. Der Lyriker und Frontmann der |Doors| starb 1971, mit nur 27 Jahren, unter mysteriösen Umständen in Paris. Seither ranken sich allerlei Theorien um sein Ableben – wenn man denn tatsächlich an seinen Tod glaubt. In regelmäßigen Abständen kursieren nämlich auch angebliche Morrison-Sichtungen. Er soll gar nicht tot sein, sondern auf einer Karibikinsel faul in der Sonne liegen. Wer’s glaubt …

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Martin, George R. R. – Fiebertraum

Wir schreiben das Jahr 1857. Abner Marsh ist Dampfschiffer auf dem Mississippi und hat seine eigene Packet Company. Doch leider war ihm das Glück nicht hold – der letzte Winter war so kalt, dass der Fluss zufror. Das Eis zerstörte seine Schiffe; bis auf die kleine |Eli Reynolds|, ein altes, ziemlich unauffälliges Schiff, mit dem es schwerfallen wird, wieder zu Geld zu kommen.

Eigentlich ist Marsh also finanziell ruiniert, doch taucht unvermittelt ein neuer Geschäftspartner mit scheinbar uneingeschränkten Geldmitteln auf. Joshua York gibt vor, ins Dampfschiffgeschäft einsteigen zu wollen. Er will das Geld zur Verfügung stellen, um das größte, schnellste und imposanteste Dampfschiff bauen zu lassen, das je auf dem Mississippi unterwegs war. Als Gegenleistung dürfen er und seine Bekannten jederzeit kostenfrei auf dem Schiff fahren. Marsh ist skeptisch, schließlich vermutet er, dass York ihm nicht alle seine Motive offenlegt. Doch die Aussicht auf das schnellste Dampfschiff lässt ihn einschlagen: Ist es doch sein Traum, die |Eclipse| in einem Rennen zu schlagen.

Natürlich tut Marsh gut daran, York nicht uneingeschränkt zu vertrauen, denn gleich die erste Fahrt der neu gebauten |Fevre Dream| gerät zur Katastrophe: York, der eigentlich ein Vampir ist, verfolgt den Plan, alle seine Artgenossen am Flusslauf auszumachen und ihnen seine eigene Erfindung, nämlich eine Art künstliches Blut, anzubieten. Nicht alle sind von dieser Neuerung begeistert. Besonders der uralte Dämon Julian will nichts davon wissen, dass er in Zukunft nicht mehr an Frauenhälsen knabbern soll. Ein Kampf zwischen York und Julian entbrennt, und Marsh findet sich und sein Schiff plötzlich in der Schusslinie. Und dann macht sich Julian auch noch mit Marshs heiß geliebter |Fevre Dream| aus dem Staub.

George R. R. Martin, Jahrgang 1948, ist den meisten sicherlich durch seinen breit angelegten Fantasyzyklus [„Das Lied von Eis und Feuer“ 3637 ein Begriff, doch der Amerikaner hat noch einiges mehr zu bieten, unter anderem eben „Fiebertraum“ aus dem Jahr 1982. Martin verwebt hier zahlreiche Themen und Motive, sodass man nicht immer sicher sein kann, was für eine Art Roman man vor sich hat – aber dies macht in dem Fall einen Großteil des Lesevergnügens aus.

Ist „Fiebertraum“ vielleicht ein Vampirroman? Sicherlich, schließlich dreht sich die Handlung um die beiden antagonistischen Charaktere Joshua York und Dämon Julian. Wir erfahren viel über York, einen sensiblen, vergeistigten, gebildeten Mann, der es leid ist, dass Menschen und Vampire in Feindschaft leben müssen. Sein Traum ist es, mithilfe seines Wundertranks beide Rassen zu Freunden machen zu können. Julian dagegen ist ein geborenes Raubtier. Für ihn sind Menschen nichts weiter als Vieh, er bedient sich ihrer, um seinen eigenen Hunger zu stillen. Er kennt keine Moral und keine Gewissensbisse, denn für ihn ist ein Mensch kein gleichberechtigtes Wesen. Und so treffen zwei völlig gegensätzliche Weltanschauungen aufeinander, und beide Vampire kämpfen mit aller Macht um die geistige Vorherrschaft.

Dieses Gegenüberstellen von Menschenfreund und Raubtier hat es auch schon in anderen Romanen gegeben, als Beispiel seien nur Louis und Lestat aus [„Interview mit einem Vampir“ 68 genannt. War es in Anne Rices Roman von 1976 noch eine Schlüsselszene, dass der Vampir Louis sich in schierer Verzweiflung über die Abwesenheit Gottes auf einen Priester stürzt, so ist die gleiche Szene sechs Jahre später bei Martin kaum mehr als eine Fußnote: Dass Religion York nicht helfen kann, stellt er in wenigen Stunden fest. Der Priester, der mit ihm betete, überlebt die Begegnung nicht, und der Vampir wendet sich ohne Reue anderen Heilsbringern zu (in diesem Fall der Wissenschaft). Und obwohl der Konflikt zwischen „gutem“ und „bösem“ Vampir ein uralter ist, gewinnt ihm Martin doch immer wieder faszinierende Seiten ab. Während York kultiviert und freundlich daherkommt und man seinen Ausführungen mit Interesse und Zustimmung lauscht, ist Dämon Julian grausam bis zum kompletten Wahnsinn, scheint er doch nicht einmal sein eigenes Leben wertzuschätzen.

Und doch ist „Fiebertraum“ nicht nur ein Vampirroman. Martin eröffnet dem Leser gleichzeitig ein historisches Panorama von einer selten dagewesenen Pracht und Fülle. Er entführt ihn in diese fremde und vergangene Welt der riesigen Mississippi-Dampfer und zeigt den Luxus und die Dekadenz dieser Zeit. Da gibt es endlose Reihen von Spiegeln, Silberverzierungen, flauschige Teppiche, großformatige Gemälde und barock eingerichtete Kabinen. Und es wird gegessen! Marsh, ein 150-Kilo-Mann, isst ständig. Schon zum Frühstück verputzt er Brathuhn und Speck in rauen Mengen. Martin lässt sich keine Gelegenheit entgegen, seinen Dampferkapitän beim Essen zu zeigen, und natürlich sind diese Szenen nicht nur Selbstzweck. Sie beschreiben Marsh als einen Lebemann – gerade im Gegensatz zum asketischen York – während dem Leser bei der Beschreibung all dieser Leckereien unweigerlich das Wasser im Mund zusammenläuft.

„Fiebertraum“ ist genau das – ein Leseerlebnis, das unwirklich wie die Nebelbank auf einem Fluss erscheint. Der Roman ist spannend und fesselnd, die Charaktere packen den Leser und lassen ihn nicht mehr los. Doch darunter, unter dieser Oberfläche, da versteckt sich eine unterschwellige Melancholie, eine Art Trauer um die Vergänglichkeit der Zeit. So wie Martins New Orleans eine Stadt des versteckten Verfalls ist, so lässt er den Leser nie vergessen, dass hinter der Realität der Tod und das Vergessen lauern. Allein der Vampir lebt ewig, und genau das ist sein Fluch.

|Originaltitel: Fevre Dream
Übersetzung: Michael Kubiak
überarbeitete Neuausgabe 2008
ISBN-13: 978-3-453-53285-4|
http://www.heyne.de
http://www.georgerrmartin.com

Melzer, Brigitte – Vampyr

Catherine war vor Jahren aus ihrem Heimatdorf Asgaidh, einem kleinen Kaff im schottischen Hinterland, geflohen, weil sie mit angehört hatte, wie ihr Vater einen Verrat am dortigen Earl plante. Doch nun ist sie zurück, und als erste Amtshandlung rettet sie Martáinn, dem Sohn des damaligen Earls, das Leben, als auf diesen ein Mordanschlag verübt wird. Eigentlich möchte sie unerkannt bleiben, schließlich haftet noch immer der Verrat ihres Vaters an ihr, doch der Hauptmann der Burg Dun Brònach überredet sie, verkleidet als sein Knappe mit ihm zu kommen, um den Attentäter zu identifizieren.

An diesem Punkt verlässt Catherine das Glück: Es stellt sich heraus, dass tatsächlich jemand nach Martáinns Leben trachtet, dass ihr totgeglaubter Vater noch unter den Lebenden weilt (irgendwie jedenfalls) und dass sie in den walisischen Söldner Daeron verliebt ist. Zwischen all diesen Erkenntnissen wird sie von einem Vampir gebissen, verwandelt sich in eine Untote und es wird viel hin- und hergerannt (oder -geritten), um den allgemeinen Übeltäter zu finden. Dazwischen wird immer mal wieder der Geist einer vor zweihundert Jahren verbrannten Hexe, der Ushana, beschworen – offensichtlich einfach, weil ein bisschen Hexenglaube einem Vampirroman, der in den schottischen Highlands spielt, noch den letzten Schliff verleiht.

Brigitte Melzer, ihres Zeichens Fantasy-, Horror- und Historienautorin, hat ein begrenztes erzählerisches Talent, aber sie macht durchaus das Beste daraus. Sie führt solide und verlässlich durch die Handlung, auch wenn ihre Sprache von Zeit zu Zeit ins Blumige abdriftet, was dem Text keineswegs gut tut. In „Vampyr“ hat sie sich vorgenommen, zwei Konzepte zusammenzubringen, die für sich allein in der heutigen Unterhaltungsliteratur echte Renner sind: Da wäre zum einen der Vampirroman, der nie wirklich weg vom Fenster war, aber im Moment durch die Romane von Stephenie Meyer ungemeinen Auftrieb erfährt. Und da wäre zum anderen der in Schottland spielende historische Roman (bekannteste Vertreterin ist sicherlich Diana Gabaldon), der sich solcher Beliebtheit erfreut, dass er mittlerweile eigentlich eine eigene Genrebezeichnung verdient hätte. Eigentlich also sollte „Vampyr“ sowohl die Fans des einen als auch des anderen Genres begeistern, doch irgendwie will der Funke bei der Lektüre nicht überspringen. Woran liegt es?

Da wäre zum einen die Tatsache, dass Melzer ihr schottisches Setting kaum nutzt, und das, obwohl sie offensichtlich ein Fan der Highlands ist und Schottland mehrmals besucht hat. Zwar wirft sie mit unaussprechlichen gälischen Namen um sich und fügt ein Pseudoglossar an, um dem geneigten Leser zu erklären, was ein Kilt ist, aber darin erschöpft sich eigentlich auch schon die Verortung des Romans. Ja, es gibt ein Schloss mit vielen Geheimgängen und zugigen Fluren. Ja, es gibt eine verlassene Burg, in der geheime Rituale abgehalten werden. Und ja, am Rande der Handlung scheinen sich ein paar raue Berge zu befinden, aber all diese Beschreibungen wirken unoriginell und wenig plastisch. Es findet sich nichts Eigenes; nichts, was man so noch nie gelesen hätte – und das ist das Grundproblem des Romans.

Ein wirkliches Interesse am Schicksal der Charaktere will nicht aufkommen. Catherine, die Protagonistin, ist eine Frauenfigur, wie man sie schon in viel zu vielen Romanen gesehen hat. Sie kommt vermeintlich stark daher – immerhin traut sie sich, aktiv ins Geschehen einzugreifen, und tritt für ihre Überzeugungen ein. Doch dahinter verbirgt sich das altbekannte schwache Weibchen – ständig wird sie angegriffen und fällt in Ohnmacht, mit Vorliebe in die starken Arme eines der anwesenden Männer, die ihr selbstverständlich alle zu Füßen liegen. Zwar ist sie anfangs reichlich überrascht, als Daeron ihr seine Liebe gesteht (schließlich hatte er sie in der Vergangenheit ständig an den Zöpfen gezogen und sie geärgert), aber als sie diese Überraschung erst einmal überwunden hat, fällt es ihr natürlich leicht, ebenfalls in unsterblicher Liebe zu ihm zu entbrennen. Von da an wird die Liebesgeschichte vorhersehbar und kitschig, vor allem, als Daeron der frisch vampirisierten Catherine sein Blut als Nahrung anbietet. Die Szene ist ohnehin eher die kaum verhüllte Beschreibung einer Defloration, komplett mit der sich anfangs wehrenden Jungfer, die von ihrem starken Liebhaber zum Glück gezwungen werden muss (immerhin wurde das Konzept kess verdreht, da Catherine den „penetrierenden“ Part übernimmt, also diejenige ist, die ihre Beißerchen ins willige Opfer schlagen darf).

Gerade in solchen Szenen fragt man sich, mit welcher Art Roman man es bei „Vampyr“ nun eigentlich zu tun hat. Auf den ersten Blick scheint es sich um ein Jugendbuch zu handeln – dafür spricht die junge weibliche Heldin, mit der sich gleichaltrige Leserinnen sicherlich identifizieren können (vor allem in den Szenen, die vor Schmelz und unsterblichen Gefühlen nur so überfließen). Allerdings wird Melzer durchaus deutlich, wenn es um die Liebesgeschichte zwischen Catherine und Daeron geht. Die beiden verzehren sich mit solcher Leidenschaft nach einander, dass Daeron auch kein Problem damit hat, in heißer Erregung zu entflammen, als er eigentlich schon ziemlich verblutet und praktisch tot ist. Diese Szenen gehören natürlich eher in einen „erwachsenen“ Roman, doch schafft es Melzer nicht, sich dorthin zu schreiben. Ihre Handlung, ihre Beschreibungen und ihre Charaktere bleiben zu simpel gestrickt, um ältere Leser wirklich fesseln zu können.

„Vampyr“ ist nicht wirklich schlecht: Melzer hat einen grundsoliden Roman geschrieben, der sich aufgrund seiner leicht verständlichen Prosa flüssig lesen lässt. Und doch lässt den Leser die Geschichte um Catherine seltsam kalt: kein Buch zum Wiederlesen.

|271 Seiten, gebunden
Empfohlen ab 14 Jahren
ISBN-13: 978-3-8000-5268-4|

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Außerdem von Brigitte Melzer auf |Buchwurm.info|:
[„Elyria – Im Visier der Hexenjäger“ 4700

Harris, Charlaine – Vampire schlafen fest

„Eine Serie, die süchtig macht“, steht passend auf dem Umschlag von Charlaine Harris‘ neuestem Band aus der Sookie-Stackhouse-Reihe. „Vampire schlafen fest“ heißt er und ist mittlerweile der siebte Band der Reihe. Bisher zeigt Harris kaum Ermüdungserscheinungen; sie scheint sich immer noch mit der gleichen Begeisterung in dem von ihr geschaffenen Universum zu tummeln wie vor sieben Jahren, als sie den ersten Band der Serie, „Vorübergehend tot“, zu Papier brachte. Geradezu verspielt fügt sie immer wieder neue Details hinzu und denkt sich neue Verstrickungen für die Kellnerin Sookie Stackhouse aus, die im südamerikanischen Bon Temps lebt, Gedanken lesen kann und gelegentlich mit übernatürlichen Wesen ins Bett geht.

Sookie hat zugesagt, die Königin von Louisiana auf eine Vampirkonferenz zu begleiten. Sie braucht das Geld – zwar nicht so dringend wie noch vor einigen Bänden, doch scheint die Königin eine ebenso königliche Summe zu zahlen, denn Sookie will auf die Moneten keineswegs verzichten. Das Geld sollte ihr zumindest die Tatsache versüßen, dass ihr Ex Bill mit von der Partie sein wird. Sie hat sich vorgenommen, ihn nach Gestaltwandlerart zu ignorieren, und spricht von ihm nur noch als dem „Mann, dessen Name nicht genannt wird“. Auch Eric, mit dem sie zwischendurch mal in die Kissen gesunken ist, wird mit dabei sein. Und Quinn, ihr Aktueller, ist ebenfalls geschäftlich auf der Konferenz, da er als Eventmanager diverse Hochzeiten, Gerichtsverfahren und Abendveranstaltungen auszurichten hat. Sookie wird also ausgiebig damit beschäftigt sein, sich die eine Sorte Männer vom Hals (buchstäblich) zu halten und die andere in ihr Bett zu ziehen.

Darüber hinaus geschehen in dem Hotel, in dem die Konferenz stattfindet, seltsame Dinge. Herrenlose Koffer finden sich an, eine Bombe in einer Dr.-Pepper-Dose liegt einfach in einem Blumenkübel und draußen demonstrieren die fanatischen Vampirhasser. Im Verlauf der Handlung wird es immer wahrscheinlicher, dass irgendjemand einen Anschlag auf die Konferenz plant. Nur wer? Und wann? Und mit welchen Mitteln?

Der Vorgängerband „Ball der Vampire“ schwächelte etwas; gerade der Anfang des Romans trieb etwas richtungslos dahin und man konnte sich der Befürchtung nicht erwehren, dass Harris Probleme hat, sich Handlungsstränge auszudenken, die einen 300-Seiten-Roman tragen können. „Vampire schlafen fest“ beginnt wieder beschaulich, doch nimmt Harris ihren Plot diesmal an die Kandarre. Das Häusliche, Normale, ja geradezu Spießige (diesmal in Form einer Junggesellinnenparty und einer kurzfristigen Hochzeit) wird recht kurz abgehandelt, sodass Sookie bald mit einem Tross aus Vampiren und Dämonen zur besagten Konferenz aufbrechen kann.

Außerdem beschenkt Harris ihre Hauptheldin mit einer Mitbewohnerin: Die Hexe Amelia, die im letzten Band eingeführt wurde, hat sich in Sookies Haus wohnlich eingerichtet. Die beiden sind zu Mitbewohnerinnen und Freundinnen geworden – etwas, das der Serie bisher gefehlt hat. Sookie hatte zwar schon immer weibliche Bekannte, meistens Kolleginnen oder ehemalige Schulfreundinnen. Doch bisher hatte sie nie eine beste Freundin, eine echte Kumpeline, eine weibliche Bezugsperson, mit der sie wirklich offen reden kann. Es scheint, als wäre Amelia auf dem besten Weg dazu, diese beste Freundin zu werden.

Das beschauliche Heim in Bon Temps und die neue Freundin sind allerdings schnell vergessen, als Sookie auf der Konferenz eintrifft. Wo so viele Vampire aufeinandertreffen, da müssen zwangsläufig Köpfe rollen, und so dauert es kaum ein paar Stunden, bis es die ersten Leichen gibt. Von da an wird eigentlich alles nur noch schlimmer, da es Hinweise darauf gibt, dass jemand die Konferenz stören oder zumindest einige der Teilnehmer ausschalten will. Wie immer ist es an Sookie, den Plan zuerst zu durchschauen und dann zu vereiteln, wobei man aber anmerken muss, dass Harris diesmal auf den Krimiplot kaum Wert gelegt hat. Sie hinterlässt Hinweise in blinkender Leuchtschrift und selbst völlig unbedarfte Leser werden kein Problem haben, die Verstrickungen weit vor der Protagonistin zu entwirren. Immerhin, man muss Harris Respekt zollen, dass sie den Mut hatte, die Handlung derartig aufzulösen, dass man sich unweigerlich an 9/11 und die darauffolgende Terrorpanik erinnert fühlt. Derartiges in einen Unterhaltungsroman zu packen, verlangt dem Autor und dem Leser einiges ab. Die Serie verliert damit einen Teil ihrer spritzigen Leichtigkeit, bekommt dafür aber mehr Ecken und Kanten – und damit auch Tiefe. Leider wird vieles davon in der letzten Szene des Romans revidiert, als Harris das Postulat des Kleinbürgertums wiederherstellt, dem eine Hochzeit wichtiger ist als die großen politischen Ereignisse.

Abschließend muss natürlich auch noch etwas zu Sookies Männergeschichten gesagt werden: Mittlerweile hat sie eine ziemliche Anzahl an Typen angesammelt: Bill, Eric, Alcide und jetzt Quinn. Wobei Quinn – groß, stark, glatzköpfig und ein Wertiger – irgendwie zu fröhlich und nett ist, um die geneigte Leserin bei Laune zu halten. Ja, er ist ein guter Liebhaber. Ja, Sookie hat endlich das Gefühl. mit jemandem auch etwas gemein zu haben. Und ja, Quinn kann sogar kochen. Und trotzdem, irgendwie ist Quinn langweilig, auch wenn Harris darauf hinarbeitet, ihn zu einem richtig harten Typen zu machen (so erfährt Sookie auf Umwegen, dass Quinn mehrere Jahre als eine Art übernatürlicher Gladiator Kämpfe bis auf den Tod ausgefochten hat). Immerhin nimmt Harris die Liebeswirren, die sie Sookie durchstehen lässt, selbst nicht bierernst. An einer Stelle lässt sie einen frustrierten Bill fragen, ob sich Sookie eigentlich in jeden Mann verliebt, den sie trifft. Und mal ehrlich, es gibt wohl kaum eine Leserin, die das nicht auch mal – wenigstens heimlich – gedacht hat!

„Vampire schlafen fest“ liest sich flotter als der Vorgänger. Es gibt Action, sogar richtig viel davon, wir treffen viele alte Bekannte wieder und werfen erste Blicke auf bisher unbekannte Wesen. Offensichtlich hat Harris noch lange nicht genug von ihrer paranormalen Kellnerin. Und auch die geneigte Leserin fühlt sich wieder bestens unterhalten. Jetzt fehlt eigentlich nur noch, dass „True Blood“, die HBO-Serie, die auf den Sookie-Büchern basiert, endlich auch nach Deutschland kommt!

|Originaltitel: All Together Dead
Deutsch von Britta Mümmler
398 Seiten
ISBN-13: 978-3-423-21068-3|
http://www.dtv.de

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_Charlaine Harris auf |Buchwurm.info|:_

|Sookie Stackhouse|

1. „Dead Until Dark“ ([„Vorübergehend tot“, 788 2006, ISBN 978-3-937255-14-9
2. „Living Dead in Dallas“ ([„Untot in Dallas“, 939 2006, ISBN 978-3-937255-15-6)
3. „Club Dead“ ([„Club Dead“, 1238 2005, ISBN 978-3-937255-16-3)
4. Dead to the World ([„Der Vampir, der mich liebte“, 2033 2005, ISBN 978-3-423-24474-9)
5. „Dead as a Doornail“ ([„Vampire bevorzugt“, 3157 2006, ISBN 978-3-423-24545-6)
6. „Definitely Dead“ ([„Ball der Vampire“, 4870 2007, ISBN 978-3-423-20987-8)
7. „All Together Dead“ („Vampire schlafen fest“, 2008)
8. „From Dead to Worse“ („Ein Vampir für alle Fälle“, Juli 2009, ISBN 978-3-423-21148-2)

|Harper Connelly|

1. „Grave Sight“ ([„Grabesstimmen“, 4704 2008, ISBN 978-3-423-21051-5)
2. „Grave Surprise“
3. „An Ice Cold Grave“

H. P. Lovecraft – Jäger der Finsternis

„Jäger der Finsternis“, ein Hörbuch mit sechs Erzählungen des Horror-Großmeisters H. P. Lovecraft, ist in der ständig wachsenden Reihe „H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens“ bei LPL records erschienen. Diese mittlerweile durchaus umfangreiche Reihe ist eine wunderbare Möglichkeit, die Schrecken Lovecrafts entweder neu- oder wiederzuentdecken.

H. P. Lovecraft – Jäger der Finsternis weiterlesen

Meyer, Stephenie – Seelen

Irgendwann, in einer nicht näher bestimmten Zukunft, haben Parasiten die Weltherrschaft übernommen. Diese kleinen, silbrigen, quallenartigen Außerirdischen werden einem Menschen ins Rückrat implantiert und übernehmen fortan die Kontrolle sowohl über den Körper als auch den Geist. Die menschliche Seele, die dem Körper vorher eine Persönlichkeit gegeben hatte, wird verdrängt – sie stirbt -, und so ist die Menschheit fast gänzlich ausgestorben. Es gibt nur noch ein paar „reine“ Menschen, die sich in abgelegenen Gegenden verstecken, um nicht von den außerirdischen Suchern gefunden zu werden. Diese Menschen leben planlos vor sich hin, einzig darauf bedacht zu überleben. Einen organisierten Widerstand gegen die außerirdische Invasion gibt es nicht. Der Krieg ist verloren.

Melanie ist einer dieser Menschen. Mit ihrem kleinen Bruder Jamie und ihrem Freund Jared lebt sie versteckt in einer Hütte. Doch bei einem Ausflug in die Zivilisation wird sie entdeckt und gefangen genommen. Man setzt ihr eine Seele ein, doch Melanie erweist sich als stark. Sie kämpft für sich und ihren Körper und lässt sich nicht einfach verdrängen. Und so wohnen fortan zwei Seelen in Melanies Brust: Sie selbst, die unbedingt zu Jamie und Jared zurückkehren will, und die Seele Wanda, die mit ihren Prioritäten kämpft und zunächst versucht, diese Stimme in ihrem Kopf loszuwerden. Doch schließlich werden beide Freundinnen, teilen sie doch die gleichen Erinnerungen und Gefühle.

Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach Melanies kleiner Familie und stoßen dabei auf eine Widerstandszelle. Nicht nur Melanie, sondern auch Wanda findet bei den Menschen ein Zuhause und die Liebe. Doch während Melanie an nichts anderes als an Jared denken kann, fühlt sich die Seele Wanda zu Ian hingezogen. Eine vertrackte Situation.

Stephenie Meyer, deren derzeit fürs Kino verfilmte „Twilight“-Serie wohl vielen weiblichen Lesern ein Begriff ist, wagt sich hier auf neues Terrain. Ihr aktueller Roman „Seelen“ wird von Meyers amerikanischem Verlag mit dem Slogan „Science-Fiction für Leute, die keine Science-Fiction mögen“ verkauft, was den Nagel ziemlich genau auf den Kopf trifft. Ja, Wanda ist eine Außerirdische, und ja, Wanda erzählt auch von Zeit zu Zeit von den anderen Planeten, auf denen sie gelebt hat (denn ihre parasitische Rasse breitet sich im ganzen Universum aus), doch für Meyer ist die Science-Fiction nur ein Vehikel, um ihr eigentliches Anliegen zu transportieren: eine ungewöhnliche Liebesgeschichte in den Wirren einer chaotischen und apokalyptischen Zeit.

Dass Melanie und Wanda sich einen Körper teilen müssen und Wanda fortan mit den Wünschen und Gefühlen „ihres“ Menschen zu kämpfen hat, klingt zunächst seltsam, erweist sich aber – gerade am Anfang des Romans – als durchaus tragfähiges Konzept, das den Reiz der Geschichte ausmacht. Wanda, die schon auf mehreren Planeten gelebt und daher mehrere Lebensformen bewohnt hat, ist schier überwältigt von der Fülle der Gefühle, die auf sie einprasseln. Und Melanie, die Wanda zunächst als Feindin betrachtet, versucht gerade mit Hilfe dieser intensiven Gefühle auf Wanda einzuwirken, um ihr klarzumachen, dass sie unbedingt zu Jamie und Jared zurückkehren müssen. Auf die Zwiesprache zwischen den beiden und die langsame Entwicklung von Feindinnen zu Freundinnen zu Schwestern verwendet Meyer einen Großteil ihrer Zeit, und es ist diese ungewöhnliche Beziehung, die alle anderen im Roman in den Schatten stellt.

Dies gilt auch für die Liebesgeschichte. Sie hat das Potenzial, ebenso überlebensgroß zu sein wie die Liebe zwischen Bella und Edward in den Twilight-Romanen, denn Melanie setzt wahrlich Himmel und Hölle in Bewegung, um zu Jared zurückzukehren. Doch als das Unmögliche dann geschafft ist, als sich Melanie/Wanda in Jareds Gesellschaft wiederfinden, da verliert Meyer plötzlich die Geduld. Die Beziehung stagniert, über fünfhundert Seiten passiert nichts, außer dass Melanie sich körperlich nach Jared sehnt und Wanda nicht so recht weiß, wohin mit sich und den ungewohnten Gefühlen. Jared selbst ist nichts weiter als ein Fixpunkt, dem sich Meyer nie wirklich nähert. Man kann kaum nachvollziehen, warum Melanie so unsterblich in ihn verliebt ist, denn Meyer schafft es nie, Anknüpfungspunkte für den Leser zu schaffen. Jared wirkt immer nur wie ein unerreichbarer Schwarm, nie wie ein Mensch aus Fleisch und Blut.

Das gelingt ihr bei Ian, in den sich Wanda im Verlauf der Handlung verlieben wird, deutlich besser, doch hat sie dort offensichtlich tief in die Klischeekiste gegriffen, denn er ist der perfekte Schwiegersohn. Er hilft Wanda, wo er kann, ist zuvorkommend, liebenswürdig, immer bereit, sich für Wanda in Gefahr zu begeben. Er ist so gut, so glatt, so ohne jeden Fehler, dass man in seiner Gegenwart ein herzhaftes Gähnen unterdrücken muss. Kurzum, er ist ein Langweiler, wenn auch ein sympathischer.

Stephenie Meyer hat mit „Seelen“ einen Roman geschrieben, der origineller daherkommt als ihre Vampirserie, und doch tappt sie in genau die gleichen Fallen wie in ihren vorherigen Büchern. Zunächst einmal ist „Seelen“ mit fast neunhundert Seiten schlicht zu lang. Viel hätte gekürzt oder komplett gelöscht werden können. Gerade, als Wanda auf die kleine Gruppe Menschen trifft und von ihnen in einer winzigen Höhle eingesperrt wird, tritt die Handlung für etliche Kapitel auf der Stelle. Wanda, die eben noch todesmutig durch die Wüste spaziert ist, mutiert plötzlich zu einem passiven Angsthasen. Sie redet nicht mit den Menschen, die sie eben noch so herbeigesehnt hat. Sie erklärt auch nicht ihre Lage. Sie sitzt da und schweigt – über mehrere Kapitel hinweg, ohne dass sich die Handlung in irgendeine Richtung weiterentwickeln würde.

Auch ist Meyer immer noch mit ihren Nebencharakteren überfordert. Die Charaktere, die Wanda/Melanie umgeben, bekommen durchaus ein Gesicht: Jamie, Ian, Walter (Wandas erster menschlicher Freund). Doch alle anderen Personen sind nichts weiter als Statisten, die da sind, um die Buchseiten zu füllen – sie haben keine nennenswerte eigene Handlung, keine eigene Geschichte, nichts, dass sie irgendwie charakterisieren würde. Besonders problematisch ist das bei Maggie und Sharon, die Wanda bis zur Unvernunft hassen. Der Leser erfährt jedoch nie Näheres über die beiden und hat so keine Chance zu ergründen, warum sie so handeln, wie sie es tun. Damit läuft dieser – zugegeben kleine – Nebenschauplatz völlig ins Leere und bleibt innerhalb des Romans losgelöst und sinnentleert.

Der größte Stolperstein ist jedoch einer, über den Meyer immer wieder fällt, ohne ihn jemals aus dem Weg zu räumen. Wandas Rasse ist friedliebend und gutmütig. Nachdem sie die Erde übernommen hatten, gab es in den Nachrichten nur noch Erfreuliches zu berichten und bei den Olympischen Spielen bekamen alle Teilnehmer eine Medaille. Wanda wird schon schlecht, wenn Melanie nur an Gewalt denkt. Und doch hat Wandas Rasse praktisch die gesamte Menschheit ausgelöscht, ohne zu realisieren, dass ihre Anwesenheit eventuell unerwünscht sein könnte. „Alles, was wir uns nahmen, machten wir besser, friedlicher und schöner“, sagt sie an einer Stelle, als wäre das Grund genug, einen Planeten zu übernehmen. Wanda fühlt sich hingezogen zu all diesen Lebensformen, respektiert und liebt sie gar. Doch auf der anderen Seite stellt sie eine ungeheure Arroganz zur Schau, einen stetigen Unwillen, andere Lebewesen als eigenständig zu akzeptieren. Sie verabscheut Gewalt, spricht aber im gleichen Atemzug völlig leidenschaftslos von Euthanasie: „Ein Körper, der nicht richtig funktionierte, wurde schnell und schmerzlos aussortiert, denn er war genauso unnütz wie ein Auto, das nicht fuhr.“ Dass sie einen Menschen tötet, wenn sie dessen Körper und Geist übernimmt, erkennt sie nicht als Mord. Sie hat hehre moralische Überzeugungen, doch letztendlich ist sie nicht anders als jedes andere Lebewesen – willens, über Leichen zu gehen, um das eigene Überleben zu sichern. Wanda verweigert sich dieser Erkenntnis stetig, und auch Meyer trägt nichts dazu bei, den Kern dieses Widerspruchs zu ergründen oder aufzulösen.

Trotzdem, „Seelen“ ist unterhaltsam, meistens sogar kurzweilig. Gerade der Anfang der Geschichte überzeugt auf ganzer Linie, wohl auch, weil der Leser vollauf damit beschäftigt ist, sich in dieser fremden Welt zurechtzufinden. Meyer kann dieses Tempo nicht halten, der Schluss ist zudem zu zuckrig und lässt zu viele unbequeme Fragen zurück, als dass man uneingeschränkt glücklich mit der Auflösung sein könnte. Doch Meyers Geschichte lebt von Melanie und Wanda. Wenn man diese beiden mag, wird man die Lektüre nicht bereuen.

|Originaltitel: The Host
861 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-551-58190-7|

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[„Bis(s) zum Morgengrauen“ 4600 (Bella und Edward 1)
[„Bis(s) zur Mittagsstunde“ 4647 (Bella und Edward 2)