Archiv der Kategorie: Horror & Unheimliches

James Herbert – Blutwaffe

Heinrich Himmlers Wiederauferstehung

Die heilige Lanze: Instrument des Terrors, Symbol des Bösen.
Hinter der idyllischen Fassade eines Landhauses in Devonshire sind dunkle Mächte am Werk. Hier treffen sich die Anhänger eines obskuren Kultes, die einen legendären Speer in ihren Besitz gebracht haben – eine Waffe, die Tod und Verderben über die Menschheit bringen kann … (Verlagsinfo)

Der Autor
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James Herbert – Apokalypse

Letzte Zuckungen eines sterbenden Planeten

Orkane, Erdbeben, Sturmfluten, Vulkanausbrüche verheeren die Erde – letzte Zuckungen eines sterbenden Planeten. Eine Serie geheimnisvoller Ereignisse kündigt das Nahen einer globalen Katastrophe an. Alle haben die unheildrohenden Zeichen am Himmel gesehen – düstere Boten einer unvorstellbaren Apokalypse… (Verlagsinfo)

Der Autor
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Peter Straub – Schattenstimmen

Literatengrusel: Rückkehr zum Geisterhaus

„Schattenstimmen“ ist die indirekte Fortsetzung von „Haus der blinden Fenster“ mit dem Straub großen Erfolg hatte.

Willy Patrick ist eine erfolgreiche Autorin von Jugendbüchern (darunter „Schattenstimmen“) und steht kurz davor, einen noch weitaus erfolgreicheren Firmenanwalt zu heiraten. Doch Freunde warnen sie vor dem Mann, und Albträume suchen Willy heim. Vor zwei Jahren verlor sie ihren Mann und ihre Tochter bei einem Unfall. Nun erscheint ihr ihre Tochter bereits am hellichten Tag. Wird sie verrückt? Als ein Freund andeutet, dass ihr Verlobter etwas mit jenem Autounfall zu tun gehabt haben könnte, ergreift Willy die Flucht …

Willy stammt ebenso wie der Schriftsteller Tim Underhill aus dem kleinen Städt Millhaven in Illinois. Auch Tim wird heimgesucht: von seiner toten älteren Schwester April. Ein rabiater Fan scheint hinter ihm her zu sein und verwüstet sogar seine Wohnung. Obendrein bekommt er weiterhin unheimliche E-Mails. Als Underhill bei einer Lesung Willy Patrick kennen lernt, kriegt er Panik: Sie sieht genauso aus wie die Heldin in seinem neuesten Roman, an dem er vergeblich schreibt. Zudem scheint sie in der gleichen Gefahr zu schweben, die er für seine Heldin erfunden hat …
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Dan Simmons – Die Feuer von Eden

Magische Inseln, exzellenter Schmöker

„Die Feuer von Eden“ – damit sind die mächtigsten und aktivsten Vulkane der Welt gemeint, die auf Hawaii, besonders Mauna Loa und der benachbarte Kilauea. 9670 Meter ragt der Mauna Loa vom Meeresboden des Pazifiks auf – der höchste Berg der Welt. Ereignet sich in dieser Gegend ein Seebeben, verwüstet wenig später eine Tsunami von ungeheurer Wucht die Küstenstriche.

In dieser von Elementarkräften der Natur beherrschten Welt hat sich bis in unsere Zeit eine vielfältige Mythologie erhalten. In ihr beherrscht die Göttin Pele die Kräfte des Vulkanfeuers und des Erdbebens. Sie hat zahlreiche Feinde, darunter Kamapua, der mit Sturm und Regen ihre Feuer zu ersticken versucht. Er erscheint seinen Opfern, deren Seelen er frisst, als riesiger Eber. Um die Gebete, um diese beiden Naturgottheiten zu beschwören, wissen nur noch die kahunas, die weisen Männer auf Hawaii. Doch wie sich herausstellt, gibt es auch noch die Schwesternschaft Peles, die im Verborgenen wirkt … Optimale Voraussetzungen für einen horrormäßigen Zombie-Roman.

Der Autor

Dan Simmons ist bekannt geworden mit dem Horror-Roman „Sommer der Nacht“, der auch für „A Winter Haunting“ den Hintergrund bildet. Beide Romane sind in dem Buch „Elm Haven“ vereint. Noch erfolgreicher wurde er allerdings mit Science Fiction-Romanen: „Hyperion“ und Hyperions Sturz“ sowie „Endymion“ und „Endymion – Die Auferstehung“ fanden ein großes Publikum. Diese Tradition setzte er im Herbst 2003 mit seinem Roman „Ilium“ fort, in dem griechische Götter eine wichtige Rolle spielen. (Die Fortsetzung trägt den Titel „Olympos“.)

Außerdem ist Dan Simmons ein Verfasser exzellenter Kriminalthriller (z.B. „Darwin’s Blade/Schlangenhaupt“) und Kurzgeschichten (z.B. „Styx“ bei Heyne oder „Lovedeath“ bei Festa). Mit „Eiskalt erwischt“ hat er eine Krimireihe um den „gefallenen“ Privatdetektiv Joe Kurtz gestartet, die mit „Bitterkalt“ und „Kalt wie Stahl“ fortgesetzt wurde.

Dan Simmons‘ erster Roman „Göttin des Todes“ (Song of Kali) wurde mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet (siehe dazu meinen Bericht). Weitere Horror-Romane und zahlreiche –Stories folgten. Für seine Science Fiction-Romane um die Welten Hyperion und Endymion wurden er mit Preisen überhäuft.

In den letzten Jahren hat sich Simmons dem Mainstream angenähert. „Fiesta in Havanna“ erzählt von Hemingways Spionageabenteuern auf Kuba, und „Darwin’s Blade“ ist ein waschechter Kriminalthriller. Sein Bestseller „Terror“ wurde zu einer erfolgreichen TV-Serie verarbeitet.

Simmons lebt in Colorado in dem Ort Windwalker in einem Haus namens „Shrike Hill“. „Shrike“ heißt das Monster in den „Hyperion“-Romanen…

Handlung (deren zwei)

Der amerikanische Milliardär Byron Trumbo hat drei Frauen und ein teures Hotel. Zwei der Frauen will er loswerden, zugleich mit dem Luxushotel, das auf Big Island, der größten Insel von Hawaii, liegt. Als er es baute, zog er sich den Zorn der Insulaner zu, weil er in einer heiligen Gegend baute, gar nicht weit weg von Mauna Loa. Inzwischen häuft sich das mysteriöse Verschwinden von Hotelgästen.

Als er einfliegt, um das Hotel samt riesigem Areal mit zwei Golfplätzen an Japaner zu verscherbeln und sich damit zu sanieren, sind bereits neue Opfer zu beklagen. Die Gäste werden unruhig. Kurz nach seinem Eintreffen finden sich auch seine drei Frauen ein: seine Ex, seine Ex-Geliebte und seine aktuelle Loverin, eine Minderjährige. Damit beginnt für Byron Trumbo eine Kette von mittleren bis größeren Katastrophen – er bewältigt sie allerdings mit bewunderswerter Dickschädeligkeit. Trumbo ist ein richtiges New Yorker Arschloch, das seine Untergebenen opfert, wenn es ihm nur die eigene Haut rettet oder ihm einen Vorteil verschafft.

Eleanor Perry

Dr. Eleanor Perry ist Doktor der Philosophie in Ohio. Sie stellt Nachforschungen auf der Insel an, die auf Informationen aus dem Tagebuch ihrer Urururugroßtante Lorena Kidder beruhen, die im Jahr 1866 Big Island besuchte, zu einer Zeit, als Missionare versuchten, die Heiden zu bekehren und dabei manchmal Opfer von Pogromen der Einheimischen wurden. In Kidders Begleitung befand sich der junge Korrespondent Samuel Langhorne Clemens, besser bekannt unter seinem Schriftstellerpseudonym „Mark Twain“. Tante Kidders Tagebuch stellt eine parallel geschaltete Handlungsebene dar, die die unheimlichen Geschehnisse im Mauna Pele Hotel von Byron Trumbo auflockern, antizipieren und in ein neues Licht rücken. Tante Kidder steig nämlich mit Mr. Clemens in die Unterwelt hinab, um eine vom Gott Kamapua geraubte Seele zurückzuholen …

Cordie Stumpf

Begleitet wird Eleanor bei ihren Forschungen ins Unheimliche von Cordie Stumpf, einer pummelig und weich erscheinenden Geschäftsfrau aus Illinois, die sich jedoch als ein gestandenes Weibsbild herausstellt, das ebenso mit ihrer spitzen Zunge wie mit ihrem 38er-Revolver umgehen kann. Und das am Schluss für eine ziemliche Überraschung gut ist. Eleanor hat Cordie das Tagebuch von Tante Kidder zu lesen gegeben, und so weiß Cordie, womit sie es zu tun haben, als ihnen ein schwarzer Hund mit Menschen- statt Hundezähnen über den Weg läuft und als Cordie auf dem Wasser von einem Haifisch mit Menschenbeinen attackiert wird. Es sind Dämonen, die von Kamapua angeführt werden. Sie wurden von kahunas herbeibeschwört, die Trumbo vertreiben wollen. Das Tor zur Unterwelt ist geöffnet, und die kahunas können es nicht mehr schließen …

Ein Mitarbeiter Trumbos nach dem anderen wird ein Opfer der Dämonen. Krampfhaft versucht der Milliardär, nichts davon merken zu lassen, aber es nützt ihm nichts, als eines Nachts auch einer der Japaner verschwindet. Nachdem auch Eleanor das Opfer von Kamapua geworden ist, wird er schließlich von Cordie gezwungen, mit ihr zusammen – wie weiland Tante Kidder und Mark Twain – in die Unterwelt zu steigen. – Mehr soll nicht verraten werden.

Mein Eindruck

Der Roman bietet hochgradig spannenden und unterhaltsamen Lesestoff. Die letzten 50 Seiten sind einfach un-put-down-able! Die unheimliche Atmosphäre des Buches wird nicht vom Autor behauptet, sondern entsteht aus dem Zauber des Ortes, der in aller gebotenen Tiefe erklärten Mythologie und Kultur sowie durch die zeitliche Spannen zwischen 1866 und der Gegenwart der Erzählung. Was damals galt, gilt nun auch weiterhin. Und wer sich, wie Trumbo, diesen Gesetzen widersetzt, muss büßen. Da nützt auch Trumbo all seine Kaltschnäuzigkeit nicht, die ihn selbst in der Unterwelt zu einer frechen Antwort an Kamapua veranlasst…

So erscheint das Geschehen ebenso plausibel wie spannend. Simmons zieht den Leser unmerklich tiefer in den Bann der Story. Doch nicht allein Horror ist darin das treibende Element, sondern auch die keimende Liebe zwischen Tante Kidder und Samuel Clemens, einem höchst gegensätzlichen Paar, das dennoch in einer Unternehmung des blanken Wahnsinns – wer steigt schon freiwillig in die Welt der Toten und Dämonen? – zueinander finden. Allerdings gibt sie ihm nicht das Ja-Wort, was zwar ein Jammer ist, aber verhindert, dass ihre Geschichte in einem kitschigen, aufgesetzten Happyend ihren Abschluss findet. (Mark Twain fand wenig später die Frau seines Lebens.)

Fazit

Am Schluss hat man etwas fürs Leben gelernt: Die Inseln von Hawaii gehören gewiss zu den magischsten Orten der Welt! Empfehlung: uneingeschränkt lesenswert!

Taschenbuch: 450 Seiten
Originaltitel: Fires of Eden, 1994
Aus dem Englischen von Ute Thiemann
ISBN-13: 9783442415977

www.randomhouse.de

Der Autor vergibt: (5.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (6 Stimmen, Durchschnitt: 2,00 von 5)

Barker, Clive – Bücher des Blutes I-III, Die

_Das Leben der Toten, Dämonen und Verdammten: preisgekrönter Horror_

Nichts für schwache Gemüter und zartbesaitete Seelen – so lautet die Warnung im ursprünglichen Vorwort von Ramsey Campbell, ebenfalls ein renommierter Horrorautor. Für seine „Bücher des Blutes“ bekam Clive Barker 1985 den |World| und den |British Fantasy Award|. Seine Schrecken sind (meist) in der realen Welt angesiedelt, im Hier und Jetzt, oft sogar mitten in der Großstadt.

_Der Autor_

Clive Barker lieferte die literarischen Vorlagen für die Filme „Lord Of Illusions“, „Hellraiser“ (selbst verfilmt), „Cabal“ und „Candyman“. Zu seinen wichtigsten Werken gehören neben den „Büchern des Blutes“ auch „Imagica“, „Weaveworld“ (dt. „Gyre“) und „The Damnation Game“ („Das Spiel des Verderbens“). In den letzten Jahren hat er sich etwas zurückgehalten, doch mit „Coldheart Canyon“, das im September 2004 bei |Heyne| erschienen ist, gelang ihm ein kühner Kommentar auf das Filmbusiness, das er schon so oft aufgegriffen hat. In Kürze soll auch sein neuester Fantasy-Jugendroman „Abarat“ bei |Heyne| erscheinen.

_Storys in Band 1_

„Das Buch des Blutes“, sozusagen der Prolog, erzählt vom 20-jährigen Simon McNeal, der sich als Medium für die Botschaft der Toten ausgibt und seinen Schwindel grausam bezahlen muss. Die Toten und Verdammten schreiben ihre Geschichten auf seine Haut – kein Schwindel …

In „Der Mitternachts-Fleischzug“ verwandelt sich die New Yorker U-Bahn in einen Transporter zum Schlachthof, der die unterirdischen, wahren Herrscher Amerikas mit köstlichem Menschenfleisch versorgt.

„Das Geyatter und Jack“ ist auch als illustriertes Comic-Book unter dem Titel „Ein höllischer Gast“ erschienen. Hier legt sich ein englischer Importeur von Gewürzgurken namens Jack Polo mit einem Sendboten der Hölle an, der die Aufgabe hat, Jack in die Klauen des Wahnsinns zu treiben, um seine Seele der Hölle zu überantworten. Mal sehen, wer den Kürzeren zieht.

In „Schweineblut-Blues“ verwandelt sich ein Heim für schwer erziehbare Jugendliche zum Wallfahrtsort für eine Mastsau, die allem Anschein nach die Reinkarnation eines ehemaligen Insassen des Heims ist. Hier bekommen alle Beteiligten den Blues.

In „Sex, Tod und Starglanz“ gibt ein Theater und dessen Truppe (Barker schrieb eine Menge erfolgreicher Theaterstücke) eine letzte Abschiedsvorstellung mit Shakespeares „Was ihr wollt“ vor dem fachkundigen Publikum des halbverwesten örtlichen Friedhofs. Hier wird das alte Motiv des „Phantoms in der Oper“ neu und überraschend variiert.

Die letzte Geschichte im Band ist auch die eindrucksvollste und haarsträubendste. „Im Bergland: Agonie der Städte“ ist ein außergewöhnliches Schauspiel, das zwei homosexuelle Engländer in Jugoslawien (als es das noch gab) erleben. Die Einwohner zweier verfeindeter Städte (‚Agonie‘ bedeutet Todeskampf) haben sich jeweils an einem Gerüst zu einem Riesen zusammengebunden. Diese beiden Riesen marschieren nun aufeinander zu. Was folgt, muss man selbst gelesen haben.

_Fazit zu Band 1:_

Um mit Barker zu sprechen: „Am besten macht man sich auf das Schlimmste gefasst, und ratsam ist es, erst einmal die Gangart zu erlernen, ehe einem die Luft für immer wegbleibt.“ Jede der Geschichten für sich allein weckt selbst beim abgebrühtesten Leser einen ganz speziellen Schauder, den nur wirklich gute Horrorstorys erzeugen können. Die Übersetzungen von Peter Kobbe sind zumindest hier noch sehr gut. Viele dieser Storys wurden verfilmt, und als Klassiker gehört „Das erste Buch des Blutes“ in die Sammlung jeden Horrorfans.

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Auch im zweiten Band der Serie steht Clive Barker auf der Seite der Monster. Bei ihm sterben Sympathiepersonen, und das Gute wird nicht immer belohnt. Das macht ihn so ungewöhnlich. „Keine Wonne kommt der des Grauens gleich – solange es nicht das eigene ist“, schreibt der Autor in seiner ersten Geschichte hier.

_Storys in Band 2_

In „Moloch Angst“ lernen wir einen Psychopathen kennen, der mit allen Mitteln versucht, die Ängste seiner Zeitgenossen zu brechen. So sperrt er etwa eine Vegetarierin mit einem Stück Fleisch in eine Kammer ein, bis sie darüber herfällt. Im Verhalten, das seine Gefangenen an den Tag legen, sucht er den Schlüssel zu seiner eigenen Angst. Der Schluss der Story ist leider schon frühzeitig zu erahnen.

Auch die Grundidee von „Das Höllenrennen“ wirkt etwas an den Haaren herbeigezogen: Die Hölle macht einen Marathon mit (Merke: Die Briten sind große Läufer!). Unter der Hand jedoch geht es um nichts weniger als den Fortbestand der Welt, wie wir sie kennen. Barker greift zwar mit allen Stilmitteln in die Vollen, doch Spannung will nicht so recht aufkommen.

Da lob ich mir doch die folgende Geschichte (ah, wohlige Schauder!) – sie wird immer wieder in Anthologien aufgenommen, zu Recht ein literarisches Juwel: „Jacqueline Ess: ihr Wille, ihr Vermächtnis“. Jacqueline entdeckt ihre Fähigkeit der Telekinese und damit die Möglichkeit, per Gedankenkraft den Körper eines anderen Menschen zu zerstören. In einem Wutanfall vernichtet sie ihren widerlichen Ehemann und knetet seinen Kadaver zu einem Klumpen zusammen. Danach irrt sie ziellos durch die Welt, auf der Suche nach jemandem, der ihr hilft, ihre Furcht erregenden Fähigkeiten in den Griff zu bekommen …

Diese Erzählung ist eine schmerzhafte Elegie voll Sex und Sinnlichkeit, die stetig auf einen ungeheuren Höhepunkt zustrebt und deren Ende einer ungehemmten Explosion gleichkommt – mit Abstand die beste Story dieses Bandes.

In „Wüstenväter“ tummeln sich fleischige Dämonen in der Wüste, ein schießwütiger Sheriff macht mit seiner Gemeinde Jagd auf sie. Spannende Situationen und eine bizarre Spannung schaffen eine Stimmung, wie man sie selten in einer Story findet.

Wie eine Verbeugung vor dem Vater der Horror- und Detektivgeschichten, Edgar Allan Poe, klingt der Titel der abschließenden Erzählung: „Neue Morde in der Rue Morgue“. Wieder einmal ist ein mordender Affe der Täter. Er hat von seinem mittlerweile in Haft sitzenden Besitzer gewisse ‚menschliche‘ Züge anerzogen bekommen. Nun, da der Meister nicht mehr präsent ist, dreht er durch und betätigt sich als ‚Jack the Ripper‘ an Prostituierten. Ein cleverer Detektiv-Verschnitt kommt ihm auf die Spur, kann aber angesichts dieses Elends nicht handeln und zieht sich durch Selbstmord aus der Affäre. Anstatt dass Barker den Affen stilecht über den Jordan gehen lässt, darf der Bösewicht weiterleben, in seinem Anzug nur schwer zu unterscheiden von einem Betrunkenen in der Nacht …

_Fazit zu Band 2_

Auch „Das zweite Buch des Blutes“ bietet eine nicht immer gelungene Mischung aus völlig unterschiedlichen Storys, die teilsweise innovativ und rundherum erfrischend wirken. Insbesondere „Jaqueline Ess – ihr Wille und Vermächtnis“ ist unbedingt Pflichtlektüre für Horrorfans.

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Waren die ersten beiden Bände erstklassiger Stoff, so fallen im dritten Buch sowohl das Niveau der Einfälle als auch die Spannung in den fünf Erzählungen ziemlich ab.

_Die Storys in Band 3_

Schon die erste Story „Rohkopf Rex“ ist bezeichnend für diese Kollektion. Ein riesiges, Menschenfleisch fressendes Monster liegt unter einem großen Stein auf einem brachliegenden Feld begraben. Als der Bauer in mühsamer Arbeit den Stein wegräumt, kommt auch der Titel gebende Rohkopf frei und beginnt nun mordend die Protagonisten aufzufressen, bis ihm ein Familienoberhaupt eine Fruchtbarkeitsgöttin an den Kopf wirft. Das Resultat ist reichlich unappetitlich.

„Bekenntnisse eines (Pornographen-) Leichentuchs“ ist auch nicht viel besser. Ein Spießbürger arbeitet als Buchhalter für einen Pornoverkäufer, ohne über die delikate Ware im Bilde zu sein. Als er in der Zeitung damit in Verbindung gebracht wird, sucht er Rache, wird aber umgelegt. Sein Geist schlüpft in sein eigenes Leichentuch und formt daraus einen auf Vergeltung sinnenden Körper.

„Der Zelluloidsohn“ wurde in Barkers Interviews immer als recht interessant angesprochen, erfüllt aber nicht die Erwartungen. Ein an Krebs erkrankter Verbrecher schleppt sich mit letzter Kraft in ein Kino und stirbt dort. Fortan spukt es im Kinosaal, und John Wayne (selbst an Krebs gestorben) und Marilyn Monroe (brachte sich um) sorgen für Tod und Sex. Dahinter steckt der lebende Krebs. Eine reizvolle Idee, deren Ausführung aber als nicht gerade gelungen zu bezeichnen ist.

„Sündenböcke“ ist eindeutig die beste Story des Bandes. Hier strandet ein Boot auf einer nicht in den Karten verzeichneten Insel, unter der die Toten des Meeres ruhen. Natürlich wird diese Ruhe heftig gestört. Der Leser ahnt in diesem Text am ehesten die Wort- und Ideengewalt des |enfant terrible| der Horrorliteratur.

„Menschliche Überreste“ wurden in einem Grab aus der Zeit des römischen Britanniens gefunden, die Skulptur eines Standartenträgers namens Flavius, wie seine Grabinschrift besagt. Nun tauchen sie in der Badewanne des Archäologen Kenneth wieder auf und wollen nur eines: Leben! Doch diese Story wird aus der Sicht von Flavius‘ nichts ahnendem Opfer erzählt, des wunderschönen Londoner Strichers Gavin. Und der hält gar nichts davon, dass er einen Doppelgänger hat, der sich das körperliche Leben von seinen Mordopfern zurückholt – genau wie Frank in Barkers Film „Hellraiser 1“. Doch Flavius will nicht nur Gavins Körper, sondern braucht auch Gavins Seele, um wieder ein kompletter Mensch zu werden …

Leider ist die Idee des Doppelgängers, der sein Original vernichten will, schon reichlich abgedroschen. Barkers Ansatz daher: Schauplatz ist das Strichermilieu, denn da scheint er sich gut auszukennen.

_Fazit zu Band 3_

Alle Geschichten dieses dritten Bandes kranken daran, dass der Fortgang der Handlung und vor allem das Ende recht schnell abzusehen sind. Das mindert doch den Spaß am Lesen ein wenig.

_Unterm Strich_

Der Horrorfan ist dankbar, dass es endlich diese essenzielle Lektüre wieder zu einem vernünftigen, um nicht zu sagen: günstigen Preis gibt. Denn häufig gingen die Preise, die für die Taschenbuch- und erst recht für die gebundenen Ausgaben des |Knaur|-Verlags in Online-Auktionen usw. verlangt wurden, doch schon hart an die Grenze des Vertretbaren. Das gilt in erhöhtem Maße für die Bände 4 bis 6.

Die Ausgabe selbst kommt völlig ohne Schnickschnack aus: ohne Vorwort oder Nachwort, ohne Glossar oder sonst irgendetwas.Lediglich die Rückseite des Einbandes enthält das unvermeidliche lobende Zitat von Stephen King, das man sattsam kennt. Inzwischen handelt es sich bereits um „Kultbücher“, tönt der Verlag, und natürlich sind sie „nichts für zartbesaitete Gemüter“. Das kann ich nur unterstreichen. Die Storys sind ebenso grausig wie wortgewaltig, einfallsreich, unheimlich und sogar wollüstig – ein Element, das in Horrorstorys allzu oft unterdrückt wird.

Hintergrund für Clive Barker war das alte |Grand Guignol|-Theater, das billige Horroreffekte auf die Spitze trieb, um die Dosis, die es dem proletarischen Publikum verpassen wollte, ständig zu erhöhen. Mittlerweile sind auch wir, Barkers Publikum, durch seine und gegenüber seinen Storys etwas abgestumpft. Daher kommen uns die hier gesammelten Erzählungen mitunter recht zahm oder gar abstrus vor.

Ich jedenfalls verschlang sie Mitte der achtziger Jahre, als sie auf den deutschen Markt kamen, mit Haut und Haaren. An so manche, wie etwa „Jaqueline Ess“ kann ich mich immer noch erinnern – ganz einfach, weil sie einem immer noch die gleiche Dosis, den gleichen Schock verpassen können. Doch die Dosis ist bekanntlich bei jedem Leser unterschiedlich …

Stephen King – Die Arena. Under the Dome

King auf Speed: Armageddon im Dampfkochtopf

An einem gewöhnlichen Herbsttag wird die Stadt Chester’s Hill in Maine auf unerklärliche Weise durch ein unsichtbares Kraftfeld vom Rest der Welt abgeriegelt. Klingt nach den Simpsons und Marlen Haushofer, ist aber echt: Flugzeuge zerschellen daran, einem Gärtner wird beim Herabsausen der Kuppel die Hand abgehauen, Familien werden auseinandergerissen, Autos explodieren beim Aufprall.

All dies ist nicht sonderlich lustig, doch alle rätseln, was diese Wand ist, woher sie kommt und ob sie bald wieder verschwindet. Ein Entrinnen ist unmöglich, deshalb gehen bald die Vorräte zur Neige. Der bestialische Kampf ums Überleben in dieser unerwünschten Arena tobt zunehmend stärker. Wird es Überlebende geben?

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Koontz, Dean R. – Stimmen der Angst

_Tödliche Haikus_

Koontz erschafft diesmal einen furchterregenden Schurken: einen Psychotherapeuten, wie sie in Kalifornien so in Mode sind. Doch dieser stellt finstere Sachen mit den Seelen seiner Patientinnen – oder richtiger: Opfer – an.

_Handlung_

Zwei schreckliche Ereignisse zerstören das verhältnismäßig glückliche Leben von Martie und Dusty Rhodes. Martie ist eine Designerin von PC-Spielen, er der Leiter einer Anstreicherkolonne. Sie leben in Newport Beach südlich von Los Angeles, an der Küste, einem ansonsten friedlichen Örtchen.

Zur selben Zeit, als Dustys drogensüchtiger Bruder Skeet droht, sich von einem Hausdach in die Tiefe zu stürzen, weil er einem mysteriösen „Todesengel“ folgen will, hat Martie zu Hause ihren ersten Anfall einer unheimlichen Phobie vor sich selbst. Zunächst kann sie nicht glauben, dass sie ohne Grund entsetzliche Furcht vor ihrem eigenen Schatten, dann auch vor ihrem Spiegelbild hat. Und warum betrachtet sie plötzlich einen gezackten Autoschlüssel als potenzielle Mordwaffe?

Doch der charmante Psychiater Dr. Mark Ahriman kann ihr und Skeet vielleicht helfen. Schließlich behandelt er bereits Marties beste Freundin Susan wegen ihrer Agoraphobie, der Furcht vor offenen Plätzen. Leider zeigt sich schon bald, dass Dr. Ahrimans Hypnosesitzungen einem ganz anderen Zweck dienen als der Heilung von Kranken. Ahriman programmiert seine Patienten, ihm zu Willen zu sein und Aufträge auszuführen. Doch die Frage bleibt natürlich, warum er es ausgerechnet auf Dusty und Skeet abgesehen hat.

Da Dusty ein unglaublich cleverer Bursche ist und auch Martie bald ungeahnte Qualitäten an den Tag legt, gelingt es ihnen, Dr. Ahriman stets einen halben Schritt vorauszusein und ein altes Familiendrama der Rhodes‘ ans Licht zu bringen, in dessen Folgen alle umzukommen drohen. Doch das Attentat auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten können auch sie nicht mehr verhindern.

(Ich sollte hier wirklich nicht mehr verraten, denn sonst geht die Lust am Entdecken verloren; jedenfalls öffnet sich unter jedem gefundenen Stück Wahrheit stets noch eine weitere Falltür …)

_Eindrücke_

Was für ein Wälzer! Über 800 Seiten stark ist das Buch im Original – diesmal kann es Koontz locker mit Stephen Kings Ziegelsteinen à la „ES“ und „Sara“ aufnehmen. Aber die Geduld des Lesers lohnt sich: Koontz geht diesmal noch ein Stück weiter in seiner Erkundung der Phobien und Unzulänglichkeiten des Menschen.

Er führt den Leser noch ein Stück weiter auf die Nachtseite des real existierenden Lebens – und erschafft nicht nur ein einziges Ungeheuer, sondern mehrere. Das macht dieses Buch noch wesentlich beunruhigender und unheimlicher als die Romane, die er seit dem wunderbaren „Intensity“ vorgelegt hat.

Es ist mir wirklich schwer gefallen, dieses Buch aus der Hand zu legen. Obwohl es deutliche Einschnitte und zahlreiche witzige Intermezzi gibt, die zur Pause einladen, drängen sich doch so viele Rätsel auf, dass ich unbedingt erfahren wollte, wie es weitergeht und ob Dusty, Martie und Skeet überleben. Es ist die reinste Achterbahnfahrt zwischen atemloser Spannung und irrwitzigem Humor der schwärzesten Art.

Am Ende war ich froh, dass alles vorbei war. Puh! Eine verdammt lange Fahrt – sie umfasst zwar nur knapp eine Woche, ist aber so mit Einzelheiten angefüllt, die weit in die Tiefe und die Vergangenheit reichen, dass der Eindruck eines vielen größeren Zeitraums entsteht, den der Leser durchmisst, wenn ihn Dean Koontz an der Hand nimmt.

Ahriman – das Wort kommt aus dem Altpersischen und ist der Name eines Gottes – ist ein Monster, kein Zweifel. Andere Menschen sind seine Spielzeuge, und er veranstaltet mit ihnen Spiele, als befänden sie sich auf einem Schachbrett, auf dem „der Doktor“ sie wie Zinnsoldaten von hier nach da verschiebt.

Dieses Monster ist zwar ein Psychiater wie Dr. Hannibal Lecter und auch Ahriman ergötzt sich an fleischlichen Genüssen. Doch verspeist er nicht die Leiber seine Opfer, sondern ihre Seelen: Nachdem er sie „programmiert“ hat, gehören sie ihm, auf ein Stichwort hin erfüllen sie seinen Willen, so dass er sie leiden lassen kann – an Phobien etwa. Sobald er sich an ihren Tränen buchstäblich delektiert hat, wirft er sie weg wie alte Puppen, so beispielsweise die unglückliche Susan, Martys Freundin.

Die Programmierung erfolgt mit Hilfe von Stichwörtern in Haikus, wunderschönen japanischen Naturgedichten. Nach der Lektüre von „Stimmen der Nacht“ ist die Freude an diesen Gedichten weiß Gott nicht mehr ungetrübt.

Koontz erschuf das Monster Ahriman nicht um dessen selbst willen oder um einen tollen Horroreffekt zu erzielen. Ahriman ist ein Symbol, ein Symbol für vieles, was Koontz an der amerikanischen bzw. westlichen Kultur und Gesellschaft nicht (mehr) zu stimmen scheint.

Dazu gehört nicht nur die Herrschaft der Medien, die zum fließenden Übergang zwischen Wahrheit/Realität und Fiktion/Fantasy führt. Dazu gehört auch die Herrschaft der Pseudo-Religion Psychologie. „Pop-psych gurus“ sind Koontz ein Greuel, und er führt sie allesamt ad absurdum. Er nimmt sie aber immerhin so ernst, dass er die Hintermänner Ahrimans als Drahtzieher auf den höchsten Ebenen der Politik aufscheinen lässt. Ahriman wird nämlich von ganz oben gedeckt, er kann darauf zählen, dass er ungestraft mit Menschen spielen darf. Als er tot ist, weiß natürlich niemand mehr von ihm, man wendet sich mit geheucheltem Grausen ab.

Dr. Ahriman ist kein Monster aus der Retorte, sondern ist in Kalifornien aufgewachsen, erzogen und ausgebildet worden. Seine Tochter war Dustys im Kindbett gestorbene Schwester Dominique. Und als Dusty hier tiefer gräbt, merkt er, dass es noch größere Ungeheuer als Dr. Ahriman geben kann.

_Fazit_

Ein sehr gelungener Koontz, der nicht nur eine sehr spannende Geschichte erzählt, sondern darüber hinaus zum Nachdenken über unsere moderne Kultur anregt. Die Geduld und Ausdauer für diesen umfangreichen Roman lohnen sich, und er wird an keiner Stelle langweilig.

|Originaltitel: False Memory, 1999
Aus dem US-Englischen übertragen von Waltraud Götting|

Dan Simmons – Göttin des Todes

Apokalypse in Kalkutta

Der Publizist Robert Luczak wird nach Kalkutta geschickt, um ein seltenes Manuskript zu erwerben. Unversehens gerät er dabei in einen Albtraum: Denn das geheimnisvolle Manuskript enthält Beschwörungsformeln, mit deren Hilfe Kali, die Göttin des Todes, auf die Erde zurückgeholt wird. Luczak muss mit ansehen, wie das Böse von unserer Welt Besitz ergreift… (Verlagsinfo)

Dan Simmons‘ Erstlingsroman „Göttin des Todes“ wurde 1986 mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet. Es handelt sich nicht nur um eine Reise in das Herz der Finsternis, sondern auch um eine Erörterung der Rolle, die Dichter und Schriftsteller in der Welt spielen können.
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Eric Van Lustbader – Four Dominions (Testament, Band 3)


Okkult-Thriller: Die Wiederkehr Luzifers wird vorbereitet

Luzifers Testament ist endlich in den Händen von Braverman Shaw und seiner Schwester Emma. Doch sofort entfaltet es seine teuflische Wirkung und der darin verborgene Dämon übernimmt Emmas Seele und Geist. Um ein Haar hätte sie ihren Bruder getötet. Der Dämon ist einer der hundert gefallenen Engel, die einst Luzifer in die Hölle folgten und nun als Wegbereiter seine kommende Weltherrschaft vorbereiten. Wird Bravo rechtzeitig genesen und Hilfe finden, um sie aufzuhalten, bevor „die Summe aller Schatten“ (Band 4) die Macht über die Welt übernimmt?
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Stephen King – Puls

Odyssee ins No-fo-Land

Das Grauen steckt in jeder Hand- und Hosentasche. Das Handy ist ein moderner Heilsbringer, doch in Kings „Puls“ kommen mit dem Klingelton auch Wahnsinn und Tod.

Dieses Buch ist Richard Matheson, Autor der verfilmten Endzeitvision „Ich bin Legende“, und dem Zombie-Spezialisten George Romero gewidmet. Der kundige Leser ist gewarnt.

Der Autor
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Dan Simmons – Im Auge des Winters (Elm Haven 2)

Ungewöhnlicher, spannender Geister-Thriller

„Im Auge des Winters“ ist die Fortsetzung des preisgekrönten Horror-Romans „Sommer der Nacht“. Dreißig Jahre nach dem mysteriösen Mord, der seine Jugend überschattet hat, kehrt Dale Stewart, Professor an der Universität von Montana, gealtert in die kleine Provinzstadt Elm Haven in Illinois zurück. Vieles hat sich verändert – doch eines ist gleich geblieben: Das Böse ist immer noch dort.

Diesmal ist die Landschaft winterlich und unsicher. Nicht alle Wesen, denen Dale Stewart, begegnet, sind menschlich, auch wenn ihm das nicht sofort auffällt. Und es ist auch nicht immer eindeutig klar, ob Dale Stewart selbst ein Mensch ist. Möglicherweise ist er nach seinem gescheiterten Selbstmordversuch beides: ein Mensch UND ein Geist. Das würde zumindest einiges erklären…
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James Turner (Hrsg.) – Hüter der Pforten. Geschichten aus dem Cthulhu-Mythos

Cthulhu noster: Vielfalt des Mythos, Grusel der Geister

Die von Jim Turner herausgegebene Anthologie sammelt zweiundzwanzig Cthulhu-Erzählungen von zum Teil recht bekannten Autoren wie etwa Stephen King oder Robert Bloch. Selbstredend ist auch H.P. Lovecraft darunter vertreten, mit zwei seiner unvergleichlichen Erzählungen um die Großen Alten.
James Turner (Hrsg.) – Hüter der Pforten. Geschichten aus dem Cthulhu-Mythos weiterlesen

Straub, Peter – In the Night Room

_Zum Geisterhaus: Odyssee zum Ende der Nacht_

„In the night room“ ist die indirekte Fortsetzung von „Lost by lost girl“ [(„Haus der blinden Fenster“), 1003 mit dem Straub großen Erfolg hatte.

Willy Patrick ist eine erfolgreiche Autorin von Jugendbüchern (darunter „In the night room“) und steht kurz davor, einen noch weitaus erfolgreicheren Firmenanwalt zu heiraten. Doch Freunde warnen sie vor dem Mann und Albträume suchen Willy heim. Vor zwei Jahren verlor sie ihren Mann und ihre Tochter bei einem Unfall. Nun erscheint ihr ihre Tochter bereits am helllichten Tag. Wird sie verrückt? Als ein Freund andeutet, dass ihr Verlobter etwas mit jenem Autounfall zu tun gehabt haben könnte, ergreift Willy die Flucht …

Willy stammt ebenso wie der Schriftsteller Tim Underhill aus dem kleinen Städtchen Millhaven in Illinois. Auch Tim wird heimgesucht: von seiner toten älteren Schwester April. Aber auch ein rabiater Fan scheint hinter ihm her zu sein und verwüstet sogar seine Wohnung. Obendrein bekommt er weiterhin unheimliche E-Mails. Als Underhill bei einer Lesung Willy Patrick kennen lernt, kriegt er Panik: Sie sieht genauso aus wie die Heldin in seinem neuesten Roman, an dem er vergeblich schreibt. Zudem scheint sie in der gleichen Gefahr zu schweben, die er für seine Heldin erfunden hat …

_Der Autor_

Peter Straub zählt neben Stephen King, John Saul und Dean Koontz zu den herausragenden amerikanischen Horror-Autoren. Er wurde in Milwaukee, Wisconsin (wo viele deutsche Auswanderer wohnten), geboren und lebte ein Jahrzehnt lang in England und Irland. Seine Bücher sind in viele Sprachen übersetzt worden und hatten 1994 (!) eine Weltauflage von 10 Millionen bereits weit überschritten. Heute lebt er mit seiner Frau auf einer Farm in Connecticut.

Zusammen mit Stephen King schrieb er „Der Talisman“ und dessen Fortsetzung „Das schwarze Haus“. Seine eigenen Romane sind ebenfalls – meistens – bei |Heyne| erschienen:

Schattenland
Geisterstunde
Das geheimnisvolle Mädchen /Julia / Die fremde Frau
Der Hauch des Drachen
Wenn du wüsstest
Koko und die Fortsetzung „Der Schlund“ (Romane mit Tim Underhill)
Mystery
Reise in die Nacht / [Hellfire-Club 1110 (später umbenannt)
Mister X / Schattenbrüder (später umbenannt)
[Esswood House 1603
[Haus der blinden Fenster 1003

Die Storysammlungen „Haus ohne Türen“ und „Magic Terror“ sind ebenfalls sehr zu empfehlen.

_Handlung_

|Tim …|

… Underhill hat schon in „Lost boy lost girl“ ein paar unheimliche E-Mails ohne Absenderadresse erhalten. Nun bekommt er noch eine ganze Ladung mehr davon. Die meisten beleidigen ihn, als Mensch, aber schlimmer noch: auch als Schriftsteller. Er ruft beim „Sekretär für den Jahrgang“ an, mit dem Underhill von der Schule abging, und siehe da: Alle E-Mails sind von Menschen geschrieben worden, die erst kürzlich gestorben sind. Die Frage ist natürlich, wie kann ein Toter E-Mails verschicken? Und vor allem: Warum sollte er oder sie das tun wollen?

Eines Tages erhält Tim Besuch von einem seltsamen Mann, der sich als Fan ausgibt und der Tim bittet, fünf Exemplare von dessen neuem Buch „Lost boy lost girl“ zu signieren. Tim wird stutzig: Warum denn gleich fünf Bücher – würde denn eines nicht ausreichen? Jasper Kohle beleidigt Tim als Autor und als Mensch. Im Verlauf des Geprächs mit Kohle verändert sich auch dessen Gesicht. War es zunächst noch geradezu jugendlich, so erscheint es Tim schließlich, als Kohle sich in den Regen verabschiedet, alt, abgehärmt und eingefallen.

Doch er hat Kohle nicht das letzte Mal gesehen. Als Tim einmal ausgeht, um den Frust über das Stocken seines Schreiben durch Spazierengehen abzureagieren, geschehen noch merkwürdigere Dinge. Inzwischen hat sich Tim daran gewöhnt, dass er seine verstorbene Schwester April am hellichten Tag sieht. Sie ruft ihm etwas zu: „Hör auf uns!“ Meint sie die E-Mail-Schreiber?

Doch im Nebel, der nun auf der Hauptstraße herrscht, taucht ein junger Mann auf, der Tim ungnädig ansieht und sich sodann bis auf die Haut auszieht. Dort, wo sein Geschlecht sein sollte, befindet sich jedoch nur glatte Haut wie bei einer Puppe. Als ob das nicht Wunder nicht genug wäre, breitet der junge Mann immense Engelsschwingen aus, erhebt sich mühelos in die Lüfte und verschwindet in der Ferne.

Als Tim in seine Wohnung zurückkehrt, ist sie verwüstet. Auf seine Exemplare von „Lost boy lost girl“ hat jemand uriniert, und dreimal darf Tim raten, wer es war: Jasper Kohle. Die Polizei nimmt den Einbruch nicht besonders ernst, denn es wurde nichts gestohlen. Aber am gleichen Abend lässt sich ein E-Mail-Schreiber mit dem Usernamen „Cyrax“ dazu herbei, Tim die Anderswelt zu erklären, von wo er die E-Mails erhält – und wo sich auch „Jasper Kohle“ aufhält. Nur, dass dieser dort einen Tim wohlbekannten Namen trägt: Joseph Kalendar, der Serienmörder von Millhaven.

Joseph Kalendar hat in „Lost boy lost girl“ entdeckt, dass Tim ihn anklagt, seine eigene Tochter Lily missbraucht zu haben, schreibt Cyrax. Daher ist Kalendar mächtig sauer auf Underhill – mit den bekannten Folgen. Um dieses Unrecht wiedergutzumachen, werde Tim einen hohen Preis zahlen müssen. Cyrax will, dass Tim a) zur Hochzeit seines Bruders fährt und b) zu einer bestimmten Lesung …

|Willy|

Die Jugendbuchautorin Willy Bryce Patrick hat vor zwei Jahren ihren Mann James und ihre Tochter Holly verloren. Holly erscheint ihr immer noch in ihren Albträumen, und sie glaubt, verrückt zu werden. Als sie einen Preis für ihren neuen Roman „In the night room“ erhält, die renommierte Newbery Medal, lernt sie den Wirtschaftsanwalt Mitchell Faber kennen. Der weltgewandte Mann interessiert sich für die trauernde Witwe und macht ihr einen Antrag. „Sie wissen, dass Sie mich brauchen.“ Willy gibt ihm Recht, und das war das. Immerhin ist er fantastisch im Bett.

Er arrangiert alles für die Hochzeit und quartiert sie in seinem weitläufigen Gut in Virginia ein, wo zwei Aufpasser ihn vertreten. Aber wie wenig er ihr vertraut, kann sie an dem Umstand ablesen, dass sie keinen Zutritt zu seinen Büroräumen hat. Als sie ihm in Europa hinterher telefoniert, ist er nicht aufzutreiben. Natürlich erhält sie verlogene Erklärungen. Nichts soll sie vor der Hochzeit beunruhigen.

Als ein Sturm das Bürofenster beschädigt und man sich Zutritt verschaffen muss, entdeckt Willy per Zufall ein Foto von ihrem verstorbenen Mann: Er liegt mit drei Löchern in der Brust und abgehackten Händen auf dem Boden. Dies war mitnichten ein Autounfall. Vielleicht hat Willys Ex-Freund Tom Hartland Recht, wenn er Mitchell Faber als „böse“ bezeichnet. Die Hochzeit soll auf einem anderen Gut namens Nightwood stattfinden. Doch so lange wartet Willy nicht. Nachdem sie die Aufpasser ausgetrickst hat, macht sie die Fliege und fährt nach New York City.

|When Timmy met Willy|

Unterdessen hat sich Timmy zu der von Cyrax empfohlenen Lesung in einem Buchladen in der Stadt eingefunden. Die Art und Weise, wie die weiterhin verfolgte Willy dort eintrifft, ist nur für sie selbst spektakulär. Doch als Timmy sie in den hinteren Reihen seines Publikums sitzen sieht, muss er immerzu an sie denken. Nachdem alle Besucher gegangen sind und nur er und die Managerin noch da sind, kommt es endlich zu einer richtigen Begegnung zwischen den beiden. Timmy weiß, dass er sein Schicksal getroffen hat. Und Willy erwartet von ihm endlich Antworten auf das, was ihr Sonderbares zugestoßen ist. Beispielsweise auch zu ihren häufigen Geistesabwesenheiten, in denen sie Stunden zu verbringen scheint.

Timmy ist der Mann mit allen Antworten. Nicht nur das – er kennt Willy durch und durch und findet sie einfach noch viel bezaubernder, als er sie sich vorgestellt hat. Schließlich hat er sie in seinem Buch erschaffen, an dem er gerade schreibt …

_Mein Eindruck_

„In the night room“ ist nicht nur eine notwendig gewordene Fortsetzung zu „Lost boy lost girl“, es ist viel mehr. Natürlich wird das Unrecht, das Tim an Joseph Kalendar und seiner Tochter begangen hat, wieder korrigiert, gar keine Frage. Aber wie es dazu kommen kann, ist der entscheidende Punkt. Wie kann ein Schriftsteller, der sich in seine eigene Schöpfung – Willy – verliebt hat, diese wieder gehen lassen, um alles wieder ins Lot zu bringen?

Da ist zunächst einmal die Frage nach der Verhältnis zwischen Schöpfer und Schöpfung. Es ist die Frage, die sich heutzutage wohl die wenigsten kreativen Schriftsteller stellen, es sei denn, sie erschaffen mit ihrer Phantasie ein eigenes Universum. Das hat Tim Underhill, Peter Straubs Schöpfung, getan. Underhill – oder „Underdog“, wie Cyrax ihn nennt – ist seit über zwanzig Jahren Straubs Lebensgefährte. Straub weiß genau, wie Tim sich fühlt, als Willy seinem Helden begegnet. (Und wir erfahren dies „aus erster Hand“: aus Tims Tagebuch.) Aber wie fühlt sich Willy, als sie die Wahrheit herausfindet – hat schon mal jemand daran gedacht?

Willy ist zum Verlieben: Sie ist schön, sowieso, aber sie ist auch intelligent, dynamisch, fraulich – und sehr menschlich. Sie wundert sich selbst darüber, dass sie die ganze Zeit so einen Heißhunger auf Süßes verspürt: Sie kauft mit Tims Geld gleich eine Reisetasche voller Schokoriegel und Kekse ein – eine wunderbar komische Szene, die ich liebe. Und auch im Restaurant ist sie gut im Verdrücken von Pfannkuchen etc. Aber dann merkt sie, dass etwas nicht stimmt: Sie hat dieses seltsam leichte Gefühl, als ob sie gleich abheben würde. Und dann verschwindet ihre linke Hand. Sie kann durch ihre Finger sehen, bis die Hand wieder solide wird. Willy ist nicht schockiert. Sie ist eher verwundert, dann gefasst.

Tim bringt es kaum übers Herz, ihr die Wahrheit zu sagen. Dass sie seiner Imagination entsprungen ist wie Pallas Athene dem Haupt ihres Vaters Zeus. Dass er sie liebt, ist offensichtlich. Und dass sie ihn liebt, beweist sie ihm allnächtlich im Bett. Und sie kennt ebenfalls sein Innenleben, hat er einen Teil davon doch auch in sie investiert, um sie zu vollständig zu machen. Aber nun ist er ihr göttlicher Vater und hat plötzlich eine entsprechende Verantwortung. Es ist, als hätte Tim nicht nur eine Geliebte, sondern auch ein Kind bei sich. Und sieht sie nicht tatsächlich ein wenig jünger aus – etwa 19 oder 20 statt 38?

Dass dieser Zustand nicht anhalten kann, ist Willy bald klar. Sie fragt Tim, wieso sie hier, in seiner Welt, gelandet ist – oder hat sie jemand hierher verfrachtet? Es gibt in der Tat eine Mission, die sie und Tim zu erfüllen haben. Cyrax hat sie ihm explizit aufgetragen. Diese Mission besteht darin, erstens die echte Lily Kalendar in Tims Welt zu finden – es gibt sie – und zweitens die Stellvertreterin Lilys, nämlich Willy, in das Geisterhaus von Joseph Kalendar zu bringen, genauer: in den Night Room selbst.

Kaum also haben sich die beiden auf ihre seltsame Weise gefunden, müssen sie einander schon wieder verlassen. Tim muss Willy, seine Schöpfung, für ein höheres Ziel opfern. Dass dies notwendig ist, belegt die Anwesenheit von Joseph Kalendar, dem Finsterling am Ende der Straße. Nun fragt sich der Leser, warum sich Willy nicht weigert: Warum sollte sie sterben? Aber diese Frage verkennt, dass Willy bereits am Verblassen ist und nur zu eben diesem Zweck in diese Welt gekommen ist: um das Geisterhaus und alle, die darin gefangen sind, von einem alten Fluch zu erlösen. Deshalb ist Willy wundervollerweise bereit, auf Nimmerwiedersehen in dieses Haus zu gehen …

Tausend Fragen ergeben sich nun wieder daraus. Wenn Willy Tim Underhills Geschöpf ist und Tim Peter Straubs Geschöpf, wessen Geschöpf ist dann Peter Straub? Oder besser gefragt: Wessen Geschöpf ist der Tim Underhill in seinen Büchern, sobald die Millionen Leser von Underhill lesen? Ist Underhill nicht bereits ein Geschöpf, das im kollektiven Bewusstsein und Unterbewusstsein aller Leser existiert? Was würde geschehen, wenn Straub dieses sein ihm sicher lieb gewonnenes Geschöpf für einen höheren Zweck opfern würde?

Das wiederum erinnert unweigerlich an die Passion Jesu. Warum wurde Jesus von Nazareth in die Welt geschickt? Gab es ihn wirklich, als Geschöpf Jehovas, oder wurde er von den Lesern der vier genehmigten Evangelien unsterblich gemacht? Wir glauben inzwischen zu wissen, welchem Zweck Jesus diente und immer noch dient: als Abbild, als Mythos. Doch könnte er genauso wie Willy und die römischen Götter auch wieder verblassen. Dies liegt nicht mehr in der Hand seines oder seiner Schöpfer, der Evangelisten, sondern in der seiner „Leser“ oder Gläubigen. Das betrifft auch islamistische Fundamentalisten.

Straubs Roman zeigt das Verhältnis zwischen Fakt und Fiktion auf, präsentiert uns auch Religionsinhalte als Fiktion und wirft einige kritische Fragen auf. Welchen Absolutheitsanspruch hat der Schöpfer gegenüber seiner Schöpfung und welche Verantwortung? Wir Menschen können dies inzwischen auf unseren Planeten beziehen. Und da wir täglich damit konfrontiert werden, dass der Planet uns gegenüber keinerlei Verantwortungsgefühl an den Tag legt, stellt sich die Frage, was uns von der gleichgültigen Gaia unterscheidet. Können wir es uns leisten, unseren eigenen Schöpfungen gegenüber ebenso gleichgültig zu sein? Natürlich nicht. Deshalb haben wir die Ethik fürs Handeln und die Moral fürs Empfinden erfunden.

Nun wird es aber für Tim interessant. Er hat mitgeteilt bekommen – unter anderem von Cyrax – dass es eine andere Dimension gibt, das Reich. Dort gibt es Hierarchien, und die oberste besteht im PRIME. Hier leben nicht nur Engel, sondern auch verstorbene Seelen: sasha und zamani (Wörter aus der afrikanischen Sprache Kisuaheli). Eine Hölle gibt es nicht. Sasha jedoch materialisieren sich in Tims Welt (die unserer ziemlich ähnlich ist) und verursachen jede Menge potenziellen Ärger. Daher gilt es für Tim, Verantwortung gegenüber diesen sashas – z. B. Joseph Kalendar alias Jasper Kohle – zu zeigen und Fehler zu korrigieren. Darin besteht seine Mission mit Willy.

Der Leser kann nun dieses „Reich“ mit der jenseitigen Welt gleichsetzen, die für seine Konfession jeweils vorgesehen ist: römisch-katholisch, evangelisch, jüdisch, muslimisch, buddhistisch, usw. Für uns agiert Tim Underhill, als hätte er einen „göttlichen“ Befehl erhalten, als wäre er eine Art Prophet oder himmlischer Agent. Der Knackpunkt besteht wohl darin zu betrachten, wie er seine Verantwortung umsetzt und wie er Willy, seine Schöpfung, behandelt. Dieses Verhalten scheint mir eine moralische Lehre zu enthalten. Straub erzählt sie ohne erhobenen Zeigefinger und auf die charmanteste vorstellbare Weise: als ironische Liebesgeschichte und als das Märchen von Alice im Wunderland (Tims Tochter April taucht immer als Alice verkleidet auf: ein mahnender Geist).

_Unterm Strich_

Bereits in „Black House“ hat Straub das Element eines durch „slippage“ (so viel wie Schliddern) in die erzählte Welt geratenen Wesens genutzt, um für unheimliche Spannung zu sorgen. „In the night room“ verrät uns nun, woher solche Wesen kommen: aus dem Reich. Allerdings hat es fatale Ähnlichkeit mit dem Reich der Ahnen einerseits und dem christlichen Himmel andererseits. Immerhin gibt es keine Hölle, was ja schon ein Fortschritt ist. Vielleicht ist ja die Welt höllisch genug. Ganz bestimmt ist es nämlich der titelgebende „night room“. Vor dem haben wir uns schon in „Lost boy lost girl“ („Haus der blinden Fenster“) gefürchtet.

Der Schriftsteller Underhill ist unser Führer zu diesem Grenzbereich, und er ist ein guter Führer. Durch seine Vietnam-Erfahrungen abgehärtet, ist er gerüstet für übernatürliche Phänomene (vgl. „Koko“). Zugleich ist er dennoch so menschlich geblieben, dass er sich auf eine Liebesbeziehung einlassen kann. Eigentlich ist er ja schwul, aber, hey, bei seinem eigenen Geschöpf kann er ja wohl schlecht nein sagen, oder? Ist ja fast wie Selbstbefriedigung, denkt nun wohl so mancher Leser, aber das ist ein Trugschluss. Willy ist sehr eigenständig, und ihre Entwicklung fordert Tims ganzes Mitgefühl – bis zu ihrem Opfergang. Die „slippage“ funktioniert nämlich in beide Richtungen.

„In the night room“ ist sehr literarischer und intellektueller Horror, und ich fand mich bei zahlreichen Überlegungen, welche und wie viele Bedeutungsebenen der Autor in sein Buch hineingelegt hat. Da Tim Underhill ein Schriftsteller ist und nun sein Geschöpf als echten Menschen kennen und lieben lernt, ist die Erzählung auch ein Kommentar über das kreative Schreiben an sich. Alles Weitere dazu habe ich oben ausgeführt.

Doch die Erzählung ist weder schlüpfrig noch trivial-frivol gestaltet, sondern wendet sich vielmehr an Erwachsene, die sich etwas unter menschlichem Verantwortungsgefühl vorstellen können. Phantastische Elemente wie die als „Alice im Wunderland“ auftretende April Underhill und der als Dark Man auftretender Joseph Kalendar tun dem keinen Abbruch – jeder Geist muss eben sein eigenes Gewand wählen, um sich bemerkbar zu machen.

|Die sprachliche Dimension|

Die Sprache, deren sich Straub bedient, erfordert eine gute Englischausbildung. Nicht nur er selbst bewegt sich hauptsächlich in gebildeten Schriftstellerkreisen, sondern offenbar auch sein Held Tim Underhill. Dementsprechend ausgefallen können manche Eigenschaftswörter ausfallen, und dann heißt es nicht selten: Hol das Wörterbuch raus. (Übrigens hat Straub das Buch einem Literaturkritiker gewidmet. Gary K. Wolfe rezensiert seit Jahren für das bekannte LOCUS Magazine und gehört dort bestimmt bereits zum Inventar.)

Für die hoffentlich kommende Übersetzung erhöht nicht nur dies die Schwierigkeiten. Hinzu kommt auch, dass sich der Geist Cyrax einer in Chatrooms üblichen Kürzelsprache (z. B. „gr8“ statt „great“) bedient, die es ebenfalls authentisch wiederzugeben gilt. Nicht jeder Übersetzer verfügt über einen solchen Erfahrungsschatz. Aber diese Chatsprache ist eine wesentliche Quelle sprachlichen Humors, denn in diesen Chat-Mails wird Underhill von Cyrax und den anderen „sashas“ richtiggehend niedergemacht, und das passiert den wenigsten Hauptfiguren. Deshalb wäre es unverzeihlich, würde man dieses Stilelement durch Hochdeutsch verwässern oder gar weglassen.

Von mir bekommt das Buch die volle Punktzahl. Aber (bislang) nur im Original.

Koontz, Dean – Meer der Nacht

_Frank Sinatra und die Atombomben_

Eine übermenschliche Kraft zerrt am Grillkoch Odd Thomas, der die Toten sehen kann, und führt ihn an die Küste, in eine scheinbar beschauliche kleine Stadt. Bald nach der Ankunft quält ihn ein Albtraum: Das Meer erhebt sich in einer blutroten, apokalyptischen Flut, der Himmel brennt orange wie Feuer. Bei einem Abendspaziergang auf dem Pier überkommt ihn eine ähnliche Vision – und schon kurz darauf bricht das reale Grauen aus. Drei finstere Gestalten beginnen, ihn gnadenlos zu jagen. Doch nicht nur ihn: Sie haben unzählige Opfer im Visier … (abgewandelte Verlagsinfo)

_Der Autor_

Dean Koontz wurde 1945 in Pennsylvania geboren, musste in seiner Jugend hungern, schrieb Schundromane für einen Hungerlohn, lernte seine Frau Gerda kennen und konnte schließlich mit ihr nach Kalifornien ziehen, wo das Ehepaar seither stets mit einem Golden Retriever zusammenlebt. Es gibt kein einziges Koontz-Buch der letzten Jahre – etwa seit „Geschöpfe der Nacht“ -, in dem nicht mindestens ein Loblied auf diese Hunderasse angestimmt wird.

Die zahlreichen Thriller und Horror-Romane des schärfsten Konkurrenten von Stephen King wurden sämtlich zu Bestsellern und in über 30 Sprachen übersetzt. Weltweit hat Koontz laut Verlag über 300 Mio. Exemplare verkauft. Leider wurden bislang nur wenige von Koontz‘ Büchern verfilmt, so etwa „Watchers“. Die beste Verfilmung ist meiner Meinung nach „Intensity“, aber der Film strapaziert die Nerven derart, dass er höchst selten gezeigt wird.

Der |Odd|-Zyklus bislang:

1) Odd Thomas (Die Anbetung)
2) Forever Odd (Seelenlos)
3) Brother Odd (Schattennacht)
4) In Odd We Trust (Graphic novel)
5) Odd hours (Meer der Finsternis)

_Handlung_

Odd Thomas, der Garkoch mit den besten Omelettes der Welt, hat Pico Mundo und das Kloster auf dem Berg verlassen, um, gezogen von einer magnetischen Anziehungskraft, in Magic Beach sein Glück zu versuchen. Hier bekocht er einen alten Ex-Schauspieler namens Hutch Hutchison, der mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart lebt, und hat ein Auskommen. Odd wird verfolgt von einem Albtraum, in dem unter einem roten Himmel eine große rote Welle über das Küstenstädtchen Magic Beach hereinbricht. Aber auch eine geheimnisvolle Frau kommt in dem Traum vor.

Regelmäßig spaziert er mit einem zutraulichen Geisterhund namens Boo auf die Pier, setzt sich auf eine Bank und harrt der Dinge, die da kommen sollen, wie er aus Erfahrung weiß. Und eines Tages sitzt sie da, die Frau aus dem Traum. Sie heißt Annamaria und ist hochschwanger, außerdem trägt sie ein silbernes Glöckchen an einem Band um den Hals. Hat sie ihn erwartet? Beide schauen den drei Männern zu, die sich auf der Pier getroffen haben. Zwei Rotschöpfe mit von Meth geschädigten Zähnen in Daunenjacken begrüßen einen Muskelberg, der sicher zwei Meter groß ist und gelbe Augen hat. Das Trio beäugt Odd und Annamaria wie ein Rudel Wölfe seine Beute.

Vorsichtshalber schickt Odd die Frau weg und geht auf das Trio zu. Er drückt dem Muskelberg die Hand – und erlebt erstmals, dass dieser erstaunt die gleiche Schreckensvision wie Odd selbst erblickt. Klar, dass Odd jetzt ihre volle Aufmerksamkeit hat. Doch die drei Typen tun nichts – noch nicht. Odd versteckt sich im Balkenwerk, das die Pier stützt, bis die Typen mit einem Motorboot hier nach ihm suchen.

Er schlägt ihnen ein Schnippchen, klaut das Boot und geht an Land – und gerät genau in die Arme eines vierten Mannes. Nach einem Kampf geht der Kerl K. o. und Odd kann sich genau ansehen, was das für ein Typ ist: jemand von der Hafenmeisterei. Er lässt ihm sein Geld und nimmt nur die Ausweise mit. Zu Hause bemerkt Hutch nichts von Odds schwer lädiertem Zustand.

Annamarias Heim kann er leicht per Magnetismus aufspüren. Sie hat ihn schon erwartet. Aber die Zeit wird knapp, denn auf das Trio kommt – mit einem Wagen der Hafenmeisterei – um Annamaria zu besuchen. Sie verstecken sich, bis die Kerle wieder weg sind, die sicher nichts Gutes im Schilde führen. Aber was wollen sie eigentlich von der Frau, fragt sich Odd – denn sie selbst sagt immer nur: „Alles zu seiner Zeit.“ Zusammen gehen sie los, um eine Freundin zu besuchen, bei der Annamaria sich verstecken kann. Unterwegs verscheucht die geheimnisvolle Annamaria ein Rudel hungriger Coyoten: „Ihr gehört hier nicht her!“ Das magische Glöckchen aus Silber gibt sie Odd ebenso mitgegeben wie zahlreiche Rätsel und Ratschläge.

Odd zieht seinerseits los, um das Haus von Sam Whittle, dem Schläger von der Hafenmeisterei, zu durchsuchen. Aus Erfahrung weiß er, dass man über seinen potentiellen Gegner nie genug wissen kann. In der Tat stößt er auf ein paar aufschlussreiche Funde: eine erschossene Leiche in der Badewanne (Whittle himself), den sprachlos gewordenen Geist des unglücklichen Mordopfers sowie einen finsteren Dämon aus dem Badspiegel, der selbigen Geist zu sich holt. Und das ist noch längst nicht alles …

_Mein Eindruck_

Die Odd-Thomas-Romane sind eine Kombination aus übernatürlichem Horror, weltlicher Action und Odds ureigener Zutat: schräge Philosophie über die Welt und seine Mitmenschen. Alle diese Bauteile finden sich auch in der vierten Romankonstruktion wieder. Der Bauplan war vielleicht gut, doch mit der Ausführung haperte es diesmal. Das Ergebnis ist an vielen Stellen gähnende Langeweile.

Keine Bodachs künden das Unheil an, jene unheimliche schwarzen Geister, die als Zuschauer einer Katastrophe quasi als übernatürliche Touristen von Unglücksort zu Unglücksort vagabundieren. Das sollte Odd eigentlich in Alarmzustand versetzen. Denn er weiß ja, dass ihm der Traum eine Warnung geschickt hat: roter Himmel, rotes Meer, Riesenwelle – kein gutes Omen. Die Abwesenheit der Bodachs kann nur bedeuten, dass die Katastrophe bereits geschieht und Magic Beach dem Untergang geweiht ist.

Was für Odd, wie in allen Abenteuern zuvor, herauszufinden ist: Worin besteht das Unheil und wie kann er es verhindern? Denn die Macht, die ihn per psychischem Magnetismus hierher gezogen hat (die „Vorsehung“?), muss sich wohl etwas dabei gedacht haben. Die drei schrägen Typen, die Odd auf der Pier trifft, sind nur die Vorhut der Schurken, die Nummer vier ist der „Lampenmann“, der Odd eins mit der Taschenlampe über den Schädel zieht. Steckt die Hafenmeisterei dahinter? Der Fall ist so nebulös wie der dichte Dunst, der ganz Magic Beach wie in eine Art übernatürliche Watte packt.

|Das „Verhör“|

Ein großer Teil der Rätel findet seine Antwort, als die Cops ihn wegen eines verräterischen Reverends erwischen und auf die Polizeistation schaffen. Dort findet sich Odd bald in einer fensterlosen Zelle an einen Blechtisch gekettet – nicht gerade seine Auffassung von bürgerlicher Freiheit. Sheriff Shackett setzt sich ihm und starrt ihn erstmal eine Minute lang an. Odd starrt zurück. Und wie Odd erleichtert bemerkt, schaut der Geist von Frankie Sinatra ihrem Blickduell zu. Da kommt Odd eine fiese Idee.

Odd nennt sich im Verhör Harry Lime. Diesen Namen kennt der Sheriff offenbar nicht, aber jedem Krimi- und Filmfreund ist Harry Lime als der Agent in Graham Greenes Thriller „Der dritte Mann“ bestens bekannt. Und natürlich auch der im Nachkriegs-Wien herrschende Nebel, der die Undurchsichtigkeit aller Identitäten symbolisiert. Shackett nimmt Odds Hand und erlebt die gleiche Schreckensvision, die schon sein Handlanger, der Muskelberg Utgard auf der Pier erfahren hat. Dieser Harry Lime ist ein ungewöhnlicher Bursche, so viel ist mal klar, aber was will er in Shacketts schönem Städtchen – und zwar ausgerechnet jetzt?

Der Verlauf des Verhörs ist relativ außergewöhnlich, um es vorsichtig auszudrücken, denn Frank Sinatra betätigt sich mit Odds kräftiger Anstachelung als effektiver Poltergeist. Shackett und der hinzugekommene Riese Utgard werden in dem kleinen Vernehmungsraum mächtig vermöbelt, nachdem sich Odd, alias Harry Lime, bereits daraus verkrümelt hat. Aber Odd hat nun die meisten Antworten, die er suchte: Es geht um den Schmuggel von Atomwaffen in die USA und deren Zündung in amerikanischen Großstädten. Aber wozu? Ein Senator scheint dahinterzustecken …

|Der Showdown|

Nun muss sich Odd etwas einfallen lassen, um die Einfuhr illegaler thermonuklearer Sprengköpfe im Hafen von Magic Beach zu verhindern. Doch der Showdown findet auf hoher See statt, auf einem kleinen Schlepper. Odd bedauert es sehr, Waffen einsetzen zu müssen. Sein ungewöhnlichster Gegner ist indessen nicht der Muskelprotz Utgard, sondern eine zierliche Blondine mit dem klangvollen Namen Valonia Fontenelle. Sie trägt Fuchspelz und langes Haar, das wie gesponnenes Gold glänzt, ein Luxusgeschöpf voller Privilegien. Leider kennt sie weder Shakespeares „Hamlet“ noch „Harry Lime“, was ein Fehler ist.

„Du siehst nicht aus wie eine Frau, die ganze Großstädte in die Luft sprengen will“, findet Odd und trifft den Nagel auf den Kopf. Valonia ist das Töchterlein des Senators, der die Strippen zieht. Sie erwartet, dass er die Welt neu ordnen wird, denn die Welt ist so alt und müde geworden, dass sich etwas ändern muss. Allerdings hat sie auch etwas gegen ungebetene Zeugen, die bei der Übergabe thermonuklearer Sprengköpfe zuschauen …

Dieser ersten Action folgt ein zweiter Showdown, der noch wesentlich mehr Bluttaten mit sich bringt. Aber irgendwer muss ja auch Chief Shackett und seinen Verbündeten das Handwerk legen, oder?

|Philosophisches Beiwerk|

Nach Mystery und Action bleibt noch die Odd-Philosophie übrig, die es zu würdigen gilt. Der „Oddismus“ ist eine typisch amerikanische Mischung aus lebensnaher Erfahrung, schrägen Ansichten über das Leben, besonders das nach dem Ableben des Körpers, und schließlich über den Sinn und Zweck des menschlichen Lebens an sich. Odd gibt an keiner Stelle vor, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Er hat sie auch nicht mit der Muttermilch eingesogen, denn seine Mutter war eine verrückte Schreckschraube (sie tritt im zweiten Band auf).

Viel wichtiger für den „Oddismus“ ist Stormy Llewellyn, Odds interessante Freundin, die bereits im ersten Band ihr junges Leben lassen musste. Sie hat nicht nur ganz eigene Ansichten über ihre Aufgabe im Diesseits, sondern begreift sich auch als Wanderin auf dem Weg zum endgültigen Jenseits. Die Stationen auf diesem Weg zur Endstation erklären auch die Anwesenheit von Geistern in Odds Leben. Als Geister treten Hunde und Coyoten, aber auch Bodachs und andere Monster auf, nicht zu vergessen auch Elvis the King und Frank Sinatra.

|Sinatra und Shakespeare|

Odd weiß praktisch alles über Frankie Boy, der sich aus dem Italiener-Ghetto von Little Italy hinauf zum Olymp der Gesangsbühnen kämpfte und als Idol für Millionen endete. Nach ein wenig Vorgeplänkel kommt es zu dem extrem aufschlussreichen Verhör in Chief Shacketts Gefängniskeller. Odd drückt sämtliche Knöpfe in Sinatras Psyche, um ihn auf die Palme zu bringen. Das klappt ganz hervorragend. Aber abgesehen vom Unmittelbaren der Aktivierung eines Poltergeists geht es Odd auch um Sinatras Erlösung. Warum hängt Sinatra hier noch herum, statt sich auf den Weg ins Jenseits zu machen? Es scheint ihm ähnlich zu gehen wie Hutch, dem alten Schauspieler, der seiner längst vergangenen Glanzzeit nachhängt und sich täglich seine eigenen alten Filme reinzieht: Ist es Nostalgie oder Stolz?

Auch Shakespeare spielt eine zentrale Rolle. „Macbeths Hexen“ werden laufend zitiert, aber auch „Hamlet“ und diverse andere Stücke. Offenbar ist „etwas faul im Staate Dänemark“, nur dass diesmal die USA gemeint sind. Feinde aus dem Inneren wie der Senator machen sich daran, die legitimierte Ordnung umzustürzen und eine faschistische Diktatur zu errichten. Das riecht schon stark nach dem Königsmörder Macbeth, der sich zum verruchten Tyrannen aufschwingt. Valonia Fontenelle spielt Lady Macbeth, bis Odd auftaucht, um den Macduff zu geben, der beiden die nukleare Suppe versalzt.

|Annamaria|

Die rätselhafte Frau vom Strand, eine hochschwangere Verbündete, gibt nicht nur Odd eine Menge Rätsel auf. Sie hat eine eindeutige Verbindung zum Jenseits, denn das silberne Glöckchen bannt dessen Geister. Auch die Weisheiten und Kenntnisse, die sie wie selbstverständlich preisgibt, verraten einen Kontakt zu jemandem, der schon längst aus Odds Leben verschwunden ist: Stormy Llewellyn. Doch wie sagt Annamaria so schön? „Alles zu seiner Zeit.“ Im nächsten Band werden wir hoffentlich mehr über die neue Begleiterin des Helden erfahren – und über ihr Kind.

_Die Übersetzung_

99,9% des Textes sind fehlerfrei und daher sehr flüssig zu lesen, aber es haben mich doch ein paar Fehlerchen gestört. Die üblichen Flüchtigkeitsfehler will ich gar nicht aufzählen. Aber auf Seite 97 musste ich doch stutzen. Da heißt es: „Hätte mich jemand hinter (dem Fenster) beobachtet, so hätte ich eine Gestalt gewesen, die sich matt von der Schwärze der lichtlosen Zimmer abhob.“ Was will uns der Autor damit sagen? Zuerst dachte ich, es müsse korrekt „gesehen“ statt „gewesen“ heißen, aber das ergibt auch keinen logischen Sinn. Vielmehr sollte es wohl „wäre“ statt „hätte“ heißen – Odd höbe sich als Gestalt „matt von der Schwärze der lichtlosen Zimmer“ ab. Das ergibt einen Sinn.

Auf Seite 118 heißt es in der ersten Zeilen „wandten sich die Finger um den Türstock“. Aber die Finger wenden sich nicht, sondern sie winden sich. Und dann muss es „wanden“ heißen statt „wandten“.

Auf Seite 124 heißt es in der letzten Zeile: „Ja, aber mir müssen uns hier in der Nähe der Zäune halten.“ Okay, „mir“ kann man in Schwaben und sogar in Bayern sagen („mir san mir“), aber nicht im Hochdeutschen. Dort muss es „wir“ heißen. Auch die übrigen Fehler sind lauter solche Druck- und Flüchtigkeitsfehlerchen.

_Unterm Strich_

Bevor es zu den beiden actionreichen Showdowns kommen kann, verabreicht uns Odd Thomas eine gehörige Dosis seiner privaten Philosophie. Verschlüsselt in zahlreichen Szenen macht der Autor eine Bestandsaufnahme des amerikanischen Lebens in einem Küstenort, der ein wenig an die Truman-Show erinnert: ein Scheinleben, in dem nur noch Rollen gespielt werden, aber von echten Menschen.

Abgehalfterte Schauspieler (Hutch) und Geist gewordene Sänger (Sinatra) trauern einer Vergangenheit nach, von der sie in ihrem Stolz nicht lassen mögen. Kein Wunder also, dass das Senatorentöchterlein Valonia Fontenelle die Welt alt und müde findet. Folglich betreibt sie den Umsturz. Das beste Mittel dazu scheinen ihr ein paar Atomschläge zu sein.

Es dauert lange, bis sich dieses Szenario herausschält, ungefähr bis zur Hälfte des Buches. Hier bildet die Vernehmung durch Sheriff Shackett den Wendepunkt. Von hier ab ist klar, was Odd zu tun hat. Es gibt danach eine Menge Action, allerdings auch dunkle Andeutungen, dass sich im Untergrund von Magic Beach Unheilvolles tue. Aber das kennen wir bereits aus Koontz‘ Romanen „Geschöpfe der Nacht“ und „Im Bann der Dunkelheit“. Auch dort tritt mit Christopher Snow ein Außenseiterheld auf, der von einem Hund begleitet wird und die Welt vor der Katastrophe bewahrt.

An vielen Stellen findet sich die feine Ironie, die Odd kennzeichnet. Anspielungen auf Literatur, Philosophie und Film sorgen für assoziative Untertöne und ermöglichen dem Leser, sich seinen eigenen Reim auf das Geschehen zu machen. Alle diese Anspielungen sind jedoch an die ungebildeten Landsleute Odds völlig verloren. Stattdessen tragen sie Revolver in Damenhandtäschchen herum und schippern thermonukleare Sprengköpfe auf Hafenschleppern durch die Gegend.

Wer sich intensiver mit diesem und den anderen Odd-Romanen befasst, dürfte Koontz‘ eigene Sicht auf Amerika herausschälen können, doch in dieser Rezension ist nicht der geeignete Ort dafür. Dieses Amerika macht Angst – und genau das will Koontz ja. Diese Absicht zu erkennen, macht die Lage aber auch nicht besser.

|Für wen sich das Buch eignet|

Ich habe mich nur im zweiten Teil des Romans gut unterhalten gefühlt. Die erste Häfte plätschert so vor sich hin. Da hätte der Autor mehr draus machen können, fühlte ich und las nur weiter, weil ich die ganze „Odd Thomas“-Reihe lesenswert finde. Aber wer eine kriminalistische Ermittlung erwartet, ist hier an der völlig falschen Adresse. Dann schon lieber den neuen Mo Hayder oder Michael Connelly lesen.

|Taschenbuch: 382 Seiten
Originaltitel: Odd hours
Aus dem US-Englischen von Bernhard Kleinschmidt
ISBN-13: 978-3453266131|
[www.heyne.de]http://www.heyne.de
[oddthomas.deankoontz.com]http://oddthomas.deankoontz.com/

_Dean Koontz bei |Buchwurm.info|:_
[„Die Anbetung“ 3066
[„Seelenlos“ 4825
[„Schattennacht“ 5476
[„Meer der Nacht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5942
[„Meer der Finsternis“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6119
[„Todeszeit“ 5423
[„Todesregen“ 3840
[„Irrsinn“ 4317
[„Frankenstein: Das Gesicht“ 3303
[„Kalt“ 1443
[„Der Wächter“ 1145
[„Der Geblendete“ 1629
[„Nacht der Zaubertiere“ 4145
[„Stimmen der Angst“ 1639
[„Phantom – »Unheil über der Stadt«“ 455
[„Nackte Angst / Phantom“ 728
[„Schattenfeuer“ 67
[„Eiszeit“ 1674
[„Geisterbahn“ 2125
[„Die zweite Haut“ 2648

Dean Koontz – Schwarze Fluten (Odd Thomas 5)

Die Methusalem-Maschine

Eigentlich ist Odd Thomas ein bescheidener, sympathischer Schnellimbisskoch. Doch er hat besondere Fähigkeiten: Er kann die Geister der Toten sehen. Diesmal ist es eine ermordete Frau, die seine Hilfe sucht. Er soll ihren kleinen Sohn retten – vor dem eigenen Vater.

Gemeinsam mit seiner hochschwangeren Begleiterin Annamaria gelangt Odd Thomas auf den Landsitz eines mächtigen Filmproduzenten. Da Odd geradezu körperlich angezogen wird von dunklen Geheimnissen und unmenschlicher Gewalt, überrascht ihn eine unheilvolle Geistererscheinung dort nicht: Eine ermordete Frau erscheint ihm und fleht ihn an, ihr Kind zu retten, das in tödlicher Gefahr schwebt.

Also durchstreift Odd das Anwesen, findet aber zunächst statt eines Kindes nur weitere Schrecken: ein Mausoleum voller ermordeter Frauen, am helllichten Tag einbrechende Nacht und dunkle, menschenähnliche Kreaturen, die gnadenlos Jagd auf ihn machen. Offensichtlich hat sich der Hausherr mit bösen Kräften verbunden. Aber zu welchem Zweck? (Verlagsinfo)

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Jonathan Carroll – Die Stimme unseres Schattens

Die Kindheit holt dich ein

Nach „Land des Lachens“ ist dies Carolls zweiter Roman (1983). Er steht in einer Reihe mit „Land des Lachens“ und „Laute Träume“. Der Autor hat viel praktische Erfahrung mit dem Tod, und auch diesmal geht es darum. Allerdings porträtiert hier Caroll mit der Figur Ross einen wirklich existenten Kumpel und Mörder, den er mit zwölf Jahren, als er selbst „ein jugendlicher Krimineller“ war, kennen lernte – und ihn bewunderte. Man darf dann wohl annehmen, das Joe Lennox gewisse Züge von Carroll selbst aufweist. Welche das sind, möge der Leser selbst herausfinden.
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Lucius Shepard – Endstation Louisiana

Louisiana: Orpheus in der Unterwelt

Mittsommer. Grail, Louisiana, ist ein entlegenes Dorf mitten im Mississippi-Delta. In diesen Ort verschlägt es den Musiker Mustaine durch eine Autopanne. Der geheime große Macker des Dorfes Joe Dill lädt ihn in eine Bar ein, während sein Wagen repariert wird. In der Bar Le Bon Chance lernt Mustaine eine geheimnisvolle Frau kennen, die ihn sofort abschleppt und eine heiße Nacht mit ihm verbringt. Doch die Freude an der heißen Liebe zu Vida währt nur kurz, denn am nächsten Tag endet die 20-jährige Regentschaft der Mittsommerkönigin Vida. Gut, dass Mustaine noch nicht erfahren hat, was mit Vidas Vorgängerin passiert ist …

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Yancey, Rick – Monstrumologe, Der



Der Monstrumologe:

Band 1: _“Der Monstrumologe“_
Band 2: „… und der Fluch des Wendigo“ (20.01.2012)

Actionreicher Horror mit doppeltem Boden

Neuengland im April 1888: Der Junge Will Henry ist ein Waisenkind und arbeitet als Assistent des kauzigen Dr. Warthrop. Der gute Doktor hat sich auf ein ganz besonderes Gebiet spezialisiert: Er ist Monstrumologe, das heißt, er studiert Monster und macht notfalls Jagd auf sie.

Eines Abends kommt ein Grabräuber zu Will und dem Doktor ins Labor. Er hat eine Leiche gefunden, in die sich ein zahnbewehrtes Monster verbissen hat. Offenbar eine Monsterart, die Menschen tötet – und sich zudem rasch vermehrt. Die Einzigen, die nun zwischen diesen Bestien und der Menschheit stehen, sind der Doktor und der junge Will … (abgewandelte Verlagsinfo)

Der Autor

Rick Yancey wollte schon seit seiner Jugend Schriftsteller werden. Nach seinem Abschluss in Anglistik an der Roosevelt University in Chicago startete er in seiner Heimat Florida eine Künstlerkarriere. Während er in Teilzeit unterrichtete und sich als Theaterschauspieler versuchte, nahm er eine Anstellung beim Finanzamt an. Den Traum der Schriftstellerkarriere gab er nie auf, dafür aber nach zehn Jahren seine Beamtenstelle.

Über seine Zeit beim Finanzamt schrieb er ein Memoire („Confessions of a Tax Collector“), das vom Wall Street Journal als eins der fünf besten Bücher bezeichnet wurde, das je über Steuern geschrieben wurde. Seine Jugendbuchtrilogie über Alfred Kropp erschien in 17 Ländern und wurde für die berühmte Carnegie Medal nominiert. Rick ist stolzer Vater von drei Söhnen. Er lebt mit seiner Frau Sandy in Florida. (Verlagsinfo)

Handlung

Prolog

Der Herausgeber, eben Rick Yancey, ist ein Buchautor mit vielen Aufträgen. Als er den Direktor einer Irrenanstalt besucht, um ihm ein neu produziertes Buch zu übergeben, bittet ihn dieser, die Tagebücher eines gewissen William James Henry, seines Zeichens verstorbener Insasse, anzusehen. Will Henry behauptete nämlich zeit seines Lebens, er sei im Jahre des Herrns 1876 geboren worden, also vor nicht weniger als 133 Jahren. Die Ärzte hatten bei ihm jedoch Demenz festgestellt, so dass man nicht allzu viel auf diese Angabe geben könne.

Nach einer Weile beginnt unser vielbeschäftigter Herausgeber, die Tagebücher des Will Henry zu lesen, und sie erweisen sich als höchst ungewöhnlich …

Die Tagebücher

William James Henry lebt als zwölfjähriges Waisenkind in New Jerusalem bei Dr. Pellinore Warthrop, dem er in seinem medizinischen Beruf assistieren muss. Der Doktor hat stets interessante, um nicht zu sagen: sonderbare Besucher. Heute Nacht beispielsweise besucht ihn der Grabräuber Erasmus Gray. Gray ist klapperdürr, alt und müde. Aber sehr aufgeregt. Denn was er auf dem Old Hill Friedhof zufällig ausgegraben hat, verstört ihn zutiefst.

Zusammen schleppen er und Dr. Warthrop den Fund in den kühlen Keller auf den Seziertisch. Nachdem der Doktor ihn bezahlt hat, schiebt man den Grabräuber hinaus in den Nachtnebel. Danach beginnt der Arzt mit der Autopsie. Was für ein seltsamer Fund! Will Henry beginnen die Knie zu schlottern, während er das Diktat des Arztes aufnimmt, dem schon sein Vater assistiert hat.

Es handelt sich um ein junges Mädchen im Leichenhemd, dem ein Drittel seines Gesichts weggefressen wurde. Es wird auf obszöne Weise umarmt von einer Kreatur, die keinen Kopf hat und mindestens doppelt so groß ist. „Ein männlicher Anthropophage“, doziert der Doktor, „ein Alphamännchen.“ Das ist bemerkenswert, denn Anthropophagen kommen nur in Afrika und den Tropen vor. Wie kam es nach Nordamerika?

Das Wesen hat seinen zahnbewehrten Mund im Bauchbereich und das Gehirn sitzt darunter, während die schwarzen Augen auf den Schultern sitzen. Die Tatsache, dass es sich um ein fortpflanzungsfähiges Wesen handelt, veranlasst den Arzt zu einem Eingriff, der Will Henry die Galle in den Hals treibt: In der Leiche des Mädchens steckt ein lebendiger Nachkömmling, wie eine Larve in einem Wirtskörper.

Nachdem dieser Nachkömmling in einen Glasbehälter gesteckt und getötet worden ist, bleibt noch die Aufgabe, alles aufzuräumen und dem Mädchen ein christliches Begräbnis zukommen zu lassen. Natürlich im ursprünglich vorgesehenen Grab. Alles andere wäre etwas auffällig, findet Dr. Warthrop. Wieder muss Erasmus Gray bei diesem Transport helfen.

Will Henry begleitet die beiden Männer auf ihrem nächtlichen Weg zum Friedhof. Vielleicht liefert das Grab Hinweise auf die Herkunft des Anthropophagen. Denn wo einer ist, verbergen sich bestimmt noch mehr: die Weibchen …

Mein Eindruck

Was an der Reaktion des Doktors auffällt, ist genau, was später zu erheblichen Problemen führen wird: Er ruft nicht die Polizei zu Hilfe, noch informiert er auch nur irgendjemanden außerhalb seines kleinen Zirkels, zumindest vorerst. Als ihn später, nach einem blutigen Überfall auf die Pfarrersfamilie, der Wachtmeister zur Rede stellt, rechtfertigt sich Warthrop damit, er habe keine Panik auslösen wollen. Außerdem hätte ihm sowieso keiner geglaubt. Klingt wahrscheinlich. Dennoch muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, die Pfarrersfamilie indirekt auf dem Gewissen zu haben.

Warthrops Fehler: Er hat sich schlichtweg verkalkuliert. Er, der Fachmann für Monster, hat die Monster falsch eingeschätzt. Das kann nur daran liegen, dass er nicht über genügend Informationen verfügt. Es muss einen Faktor geben, den er nicht kennt und den er nicht berücksichtigt hat.

Vorgeschichte

Deshalb tut er zweierlei: Er recherchiert, im eigenen Archiv und bei einem Zeugen. Zum Zweiten holt er Hilfe herbei. Das Archiv aus Zeitungsartikeln der letzten drei Jahre berichtet zahlreiche tödliche Vorfälle sowieso Vermisstenmeldungen. Übertragen auf eine Landkarte, ergibt sich ein Wanderungsmuster, von der Küste bei Boston nach Dedham und New Jerusalem. An der Küste strandete anno 1865, also vor 23 Jahren, der Frachter „Feronia“, den Warthrops Vater Alistair gechartert hatte. Und von dem letzten überlebenden Zeugen der „Feronia“, dem Kapitän, der in einer Dedhamer Irrenanstalt dahinsiecht, erfährt Warthrop voll Entsetzen, was die „Feronia“ aus Afrika brachte: Anthropophagen. Doch zu welchem verruchten Zweck?

Sportsmann

Die Hilfe trifft ein: Ob er nun John Kearns, Richard Cory oder sonstwie heißt, verrät der britische Weltmann und Großwildjäger nie. Aber er verfügt über das Wissen, die Methode und die Werkzeuge, um Anthropophagen zur Strecke zu bringen. In seiner zynisch-flapsigen Art nennt Kearns sie einfach nur „Poppis“. Es ist Kearns, der eine für Warthrop undenkbare Theorie formuliert: dass Alistair Warthrop den Frevel begangen habe, Experimente mit den „Poppis“ anzustellen und den Monstren zu diesem Zweck zahlreiche Menschen zum Fraß vorwarf.

Philosophie

Diese Unterstellung – die sich wenig später erhärtet – rückt die „Philosophie“ der Monstrumologen allgemein ins Zwielicht. Ähnlich wie die Terroristenjäger und andere Verbrechensbekämpfer müssen sie sich derart auf die Interessen des „Feindes“ einlassen, dass sie eine moralische Grenze überschreiten und selbst zum Monstrum in Menschengestalt werden. Doch genau diese Moral lässt Kearns nicht für sich gelten. Er beruft sich auf Nietzsches Buch „Jenseits von Gut und Böse“, als er behauptet, dass die einzige gültige Moral die des Augenblicks sei und der werde bekanntlich vom Handeln bestimmt.

Diese Philosophie aber erlaubt es ihm, höchst fragwürdige Handlungsweisen an den Tag zu legen. Er benutzt nicht nur eine mitgebrachte Prostituierte als Köder, um die „Poppis“ anzulocken, sondern auch Will Henry selbst. Der anwesende Wachtmeister beißt um ein Haar den Stiel seiner Pfeife durch, so sehr erzürnt ihn solche Unmoral. Will Henry ist ebenfalls schwer geschockt, bringt ihn doch Kearns‘ Verrat in Lebensgefahr.

Finale Konfrontation

Nun, wir Leser können uns entspannt zurücklehnen, um dem sich entfaltenden Desaster zuzuschauen. Wir müssen ja keine ethischen Entscheidungen fällen, die unsere Lieben oder gar die Menschheit gefährden würden. Für uns zählen letzten Endes nur die Resultate, genau wie für Kearns. Die Poppijagd ist für ihn ein Sport, der ihn herausfordert.

Das bedeutet jedoch nicht, dass dieser Sport keine tragischen Opfer fordern würde. Es ist bezeichnend, dass der Showdown in den Tiefen der Erde, mit der Nestmutter der Anthropophagen als Gegner, nicht Warthrop und Kearns involviert, sondern die Jungs: Will Henry und seinen Schicksalsgenossen Malachi Stinner, den letzten Überlebenden der Pfarrersfamilie. An ihnen verdeutlicht der Autor, welche Motive und Opfer eine Rolle spielen. Malachi will seine Familie rächen und dabei zugleich die Schuld gegenüber seiner Schuld einlösen, die er seiner Meinung nach im Stich ließ. Durch Malachis Opfer angespornt, behält Will Henry, der Chronist, erbittert die Nerven, um es mit dem Feind aufzunehmen …

Väter und Söhne

Will setzt die Arbeit seines Vaters fort, der Alistair und Pellinore Walthrop gedient hat. Er ahnt noch nicht, was diese Arbeit seinen Vater an moralischen Skrupeln gekostet hat. Er weiß lediglich, dass sein Vater krank aus Südamerika zurückkehrte – der Brand, in dem er und die Mutter umkamen, erlöste ihn lediglich von einer furchtbaren Heimsuchung. Dass Pellinore Walthrop die Last seines Vaters ebenso trägt wie Will Henry die seines eigenen, macht diesen Roman zu einer Untersuchung über die Tragödie der Vater-Sohn-Beziehung.

Übertragen auf das Phänomen der Terrorbekämpfung, wird daraus ein Kommentar auf die moderne Rechtfertigung der Vereinigten Staaten. Wir wissen nur die Hälfte über die Vätergeneration, denn die Wahrheit wird stets unterdrückt und verborgen – doch die Söhne tragen stets die volle Last in ihrer eigenen Gegenwart.

Lovecraft lässt grüßen

„Der Monstrumologe“ ist eine Kreuzung aus Lovecrafts Monster-Mythologie, Neuengland-Mystik, moderner Terrorbekämpfung und alternativer Geschichtsschreibung. Auf raffinierte Weise hat sich der Autor gegen zu genaue Verfolgung und Prüfung seiner Quellen abgesichert. Die zentrale Handlung entstammt den drei ersten Tagebüchern eines unglaubwürdigen Chronisten. Will Henry muss über 130 Jahre alt gewesen sein, als er dieses Zeug schrieb – höchst unwahrscheinlich, oder?

Und von einem Ort namens New Jerusalem hat der Herausgeber noch nie gehört. Er hätte vielleicht mal nach Salem blicken sollen, das sich nur wenige Kilometer nördlich von Boston befindet. Dort fanden im 17. Jahrhundert Hexenprozesse statt, über die auch ein Stephen King vortrefflich zu fabulieren wusste (in „Salem’s Lot“ und anderen Werken). Hätte der Herausgeber nur mal Lovecrafts „Charles Dexter Ward“ gelesen!

Dass Anthropophagen der geschilderten Erscheinungsformung schon bei Plinius, Herodot und sogar William Shakespeare erwähnt werden, rechtfertigt ihr Erscheinen in der Chronik zwar, macht diese jedoch nicht wahrscheinlicher: Es wurden ja alle Beweise vernichtet! Aber eines steht fest: Der Herausgeber hat bislang nur das erste Fünftel von Will Henrys Chronik veröffentlicht, so dass wir uns noch auf den Werdegang und die Heldentaten des „Monstrologenassistentenlehrlings“ freuen dürfen.

Die Übersetzung

Axel Franken, der Übersetzer von Garth Nix‘ Fantasyreihe um Arthur Penhaligon, hat den Text fehlerlos übersetzt, verlangt dem deutschen Leser aber auch einige sprachliche Kenntnisse ab. Was mögen wohl Ausdrücke wie „kimmerisch“, „stygisch“, „acherontisch“ und „myop“ bedeuten, mag sich der unvorbereitete Leser fragen.

Nun, alle diese Ausdrücke würde man in einem Text von H. P. Lovecraft und Robert E. Howard wiederfinden. CONAN stammte bekanntlich aus Cimmerien. Styx und Acheron sind Flüsse der antiken Unterwelt Hades. Alle Bezüge verweisen auf Finsternis. Nur „myop“ stammt aus der Medizin: Es bedeutet „kurzsichtig“.

Diese und viele andere Ausdrücke verleihen dem Text eine mystisch-rätselhafte Anmutung, die genau zum Inhalt passt. Meines Erachtens hat der Übersetzer recht getan, sie stehen zu lassen.

Wer sich an dem pathetischen Ton so mancher Überlegungen und Schilderungen Will Henrys stört, darf die Schuld nicht beim Autor suchen. Der kann sich immer damit herausreden, dass ein so alter Kerl wie Will Henry eben schreibt, wie man sich im 19. Jahrhundert ausdrückte – mit jeder Menge Adjektive, die auf die Tränendrüse zielen. Durch diesen Knick gelingt es dem Autor, schauerliche Bilder heraufzubeschwören, ohne dass man ihm Effekthascherei vorwerfen könnte.

Unterm Strich

Wie jeder gute Horrorroman bietet auch „Der Monstrumologe“ mindestens zwei Ebenen an. Die Oberfläche dient der Unterhaltung, mit teils gruseligen, teils erschütternden Szenen, aber vor allem mit viel Action, die sich über das gesamte letzte Drittel erstreckt. Nach einer längeren Einführung inklusive Prolog können wir uns mit dem jungen Will Henry identifizieren. Das heißt nicht, dass sich der Roman für Zwölfjährige eignet. Einige Splatterszenen sind doch ziemlich heftig.

Die zweite Ebene betrifft die Rechtfertigung für den Posten des Monstrumologen. Warthrop ist kein Arzt, obwohl er über medizinische Kenntnisse verfügt und mit den Instrumenten, die auf zahlreichen Seiten abgebildet sind, zweifellos umgehen kann. Doch er betrachtet sich als Philosoph. Da er scheint es merkwürdig, dass er einfachste ethische Grundsätze missachtet: Er warnt die Bevölkerung nicht, noch informiert er die Polizei. Stattdessen scheint er sogar seinen Vater zu decken, den eine mindestens ebenso dubiose Ethik an den Tag legte.

Der zwei „Monstrumologe“ ist wohl John Kearns (nicht sein wahrer name), doch der Brite wirkt eher wie ein zynischer Großwildjäger. Er hängt Nietzsches Moral an, der Moral des Augenblicks, die vom Handeln bestimmt wird – möge die Nachwelt später darüber urteilen, ob der Zweck die genutzten Mittel heiligt. Kearns ist zwar amüsanter als Warthrop, aber fern davon, ein Vorbild zu sein.

Der vaterlose Will Henry befindet sich somit in einer moralischen Wüste: kein Leitfaden weit und breit. Es ist, als müsse Will in einer vater- und morallosen Gesellschaft aufwachsen. Sind dies die Monsterjäger, denen wir unser Leben anvertrauen würden? Die Fortsetzungen müssen erweisen, ob Will Henry vor unserem Urteil bestehen wird können.

Meine Lektüre

Ich habe den Roman in nur wenigen Tagen genossen. Die Geschichte ist leicht zu verfolgen, die Sprache – bis auf gewisse Ausdrücke (siehe oben unter „Die Übersetzung“) – leicht verständlich, ohne seicht zu wirken. Und Action gibt es im letzten Drittel genügend, um schlaflose Nächte zu durchwachen.

Die Abbildungen an den Seitenrändern sowie die Holzschnitt-haften Illustrationen von Jacopo Bruno tragen dazu bei, die Zahl der zu bewältigenden Seiten zu verringern und die Aufmerksamkeit nicht erlahmen zu lassen. Vielleicht sieht sich so mancher Leser dazu verleitet, sich den Verwendungszweck der Instrumente vorzustellen, wenn nicht sogar deren Einsatz …

HINWEIS:

Die Fortsetzung “ Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo“ erscheint am 20. Januar 2012 als Taschenbuch und E-Book.


Taschenbuch: 416 Seiten
Originaltitel: The Monstrumologist
ISBN-13: 978-3785760406

http://www.luebbe.de

Eine Leseprobe bietet der Verlag [hier]http://www.bic-media.com/dmrs/widget.do?isbn=9783785760406 an.

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Der Autor

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

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