In dieser 17. Auswahl aus Isaac Asimovs Magazin finden die Leser unter anderem folgende Geschichten:
1) Die Story von der Kneipe, der man nach dem ersten Drink auf ewig treu blieb.
2) Die Story von der Rocker-Gang, die ihre Freunde unter der Landstraße begrub.
3) Die Story von dem Weltreich, wo Niesen bei Todesstrafe verboten war.
4) Die Story von Methusalem und seiner Frau, die sich ganz schön kindisch an ihrer Umwelt rächten.
Die Herausgeber
Friedel Wahren war lange Jahre die Mitherausgeberin von Heynes SF- und Fantasyreihe, seit ca. 2001 ist sie bei Piper verantwortlich für die Phantastikreihe, die sowohl SF als auch Fantasy veröffentlicht.
machte seinen Doktor. Deshalb nennen seine Fans ihn neckisch den „guten Doktor“. Viel bekannter wurde er jedoch im Bereich der Literatur. Schon früh schloss er sich dem Zirkel der „Futurians“ an, zu denen auch der SF-Autor Frederik Pohl gehörte.
Seine erste Story will Asimov, der sehr viel über sich veröffentlicht hat, jedoch 1938 an den bekanntesten SF-Herausgeber verkauft haben: an John W. Campbell. Dessen SF-Magazin „Astounding Stories“, später „Analog“, setzte Maßstäbe in der Qualität und den Honoraren für gute SF-Stories.
Unter seiner Ägide schrieb Asimov nicht nur seine bekannten Robotergeschichten, sondern auch seine bekannteste SF-Trilogie: „Foundation“. Neben SF schrieb Asimov, der an die 300 Bücher veröffentlichte, auch jede Menge Sachbücher, wurde Herausgeber eines SF-Magazins und von zahllosen SF-Anthologien.
Die Erzählungen
1) Robert Silverberg: Stammgäste (Regulars)
Es ist wieder mal in einer stürmischen Nacht, in der die üblichen Stammgäste in Charlie Sullivans gemütlicher Kneipe zusammensitzen, als ein neuer Besucher aus dem Dauerregen hereinschneit. Unser Chronist erkennt an ihm sofort den Seemann, und tatsächlich bekennt er auf Anfrage, dass er von der „Pequod Maru“ gekommen sei, die auf dem Weg nach Maracaibo in Venezuela sei. Klar, dass man ihm sofort den Spitznamen „Ishmael“ verpasst (denn bekanntlich war Ishmael in Herman Melvilles Roman „Moby Dick“ der einzige Überlebende der Pequod„, der die dramatische Geschichte von der Jagd auf den weißen Wal erzählen konnte; sein Name bedeutet „Gott hat erhört“, aber auch „Gott möge (er)hören“).
Der Stammgast Mors Longa (der lange Tod) versucht dem Neuankömmling, der sofort zu einem guten Whisky eingeladen wird, zu vermitteln, was es mit dieser Kneipe auf sich hat, denn einmal hier gelandet, will keiner mehr weg. Es sei denn, um für einen Neuankömmling Platz zu machen. Auf diese Weise nie ein Gedränge wie auf dem Times Square in New York City, sondern bleibt stets so gemütlich wie im Jahr 1934 – dieses Jahr zeigt jedenfalls der Kalender. Die Kneipe sei sogar so etwas wie das Platonische Ideal aller irischen Kneipen, und wer würde da weg wollen?
Dass dieses Bleibegesetz auch für Ishmael gilt, erweist sich, als er gehen will. Kaum im rauschenden Regen bei Blitz und Donner, kehrt er auch schon wieder völlig durchnässt zurück. Die Einsicht folgt auf dem Fuße: Hier bei Charlies ist es am behaglichsten. Mors Longa gibt allen einen aus, und sofort biet Ishmael eine neue Geschichte an. Alle sind neugierig: der Papst, Karl Marx, Toulouse-Lautrec, Miss Bewley, die Naive und der Hauptdarsteller (und der Chronist). Also legt Ishmael los…
Mein Eindruck
Dies ist eine von Silverbergs schönsten Geschichten, und bei einem Autor, der hunderte von Geschichten veröffentlicht hat, will das was heißen. Charlies Kneipe ist nicht so sehr ein Ort im hier und jetzt, sondern möglicherweise zur Sperrstunde verschwunden, bis sie legalerweise wieder öffnen darf. Insofern qualifiziert sie sich tatsächlich als Platonisches Ideal von einer gemütlichen Kneipe: die Kneipe aller Kneipen. Und wer einmal hier Stammgast, will bestimmt nicht wieder weg. Als wäre sie sozusagen ein irdisches Jenseits.
Dafür sprechen einige versteckte Hinweise. Die Namen der Stammgäste sind, wie gesagt, Spitznamen: Karl Marx ist nicht wirklich Karl Marx, und der „Papst“ ist sowieso austauschbar. Ebenso austauschbar sind die Hollywood-Klischeerollen „Die Naive“ und „Der Hauptdarsteller“. Oder „Ishmael“, durch den literarischen Bezug zur „Pequod“, dem Schiff der Verdammten Kapitän Ahabs. Ishmael ist ein verstoßener, aber auch ein Überlebender, ausgestattet mit einer Geschichte, die auch Gott erhören möge (siehe Namensbedeutung oben).
2) Coleman Brax: Das Zepter des Despoten (The Scepter of the Despot Ronin)
Sunharra, die Holzmagierin, trägt einen Umhang, der aus kleinen Holzstückchen gemacht ist. Wie gewobener Stoff umgibt der Umhang ihren schlanken Körper, als sie die Stadt des Königs zum ersten Mal besucht. Sie sagt der Bildhauerin in deren Werkstatt, sie müsse nichts mehr lernen, aber solche Behauptungen stoßen stets auf Widerspruch: Sunharra soll erst einmal demonstrieren, was sie angeblich kann. Beispielsweise einen Zierteller für den Vizekönig. Sogleich macht sie sich ans Werk und formt mit den Kräften ihres Verstandes und Willens aus einem unscheinbaren Stück Holz eine Servierplatte.
Doch das Stück ist aus formbarem Elfenbeinholz, Grennholz ist ein viel härterer Stoff. Und aus dem muss eben das Zepter sein, dass des Despoten würdig wäre. Sunharra braucht mehrere erschöpfende Anläufe, bis sie das Zepter fertig hat. Und dann beklagt die Meisterin auch noch, dass es zwar das Gesicht des Despoten zeige, aber als Greis! Nicht gerade schmeichelhaft.
Dennoch wagt sich Sunharra damit zur Burg des Despoten…
Mein Eindruck
Die Fantasygeschichte von einer besonders begabten jungen Frau hätte eigentlich eine Vorgeschichte verdient gehabt. Wie auch immer, hier findet Sunharra, deren kultureller Hintergrund unklar bleibt ihre Bestimmung. Sie ist erstaunlich selbstbewusst und beharrlich, selbst dann, als die „Bearbeitung“ des Grennholzes sie erschöpft und bettlägerig macht. Ihre Meisterin unterstützt sie, denn die muss keine Repressalien des Despoten befürchten. Vielmehr warnt sie vor den Folgen, die die Missachtung des Empfängers eines Werkstücks nach sich ziehen kann. Und zumindest einmal hört Sunharra auf sie.
Das Besondere an ihrer Kunst liegt nämlich darin, dass sie mit ihrer Magie nicht nur den hölzernen Stoff formt, sondern zugleich in Harmonie mit dem Holz eine Geschichte entspinnt, die sich in der Endfassung widerspiegelt. Sie erlebt sie zwei grundverschiedene Versionen des Zepters. Ihre Meisterin vermutet, dass Sunharra in einem Konflikt mit dem Despoten steht, doch in welchem, will die junge Frau nicht preisgeben. Vielleicht geht es ihr um Freiheit, was ja bei einem Despoten nicht verwunderlich wäre.
Zurück bleibt der Eindruck, dass diese Geschichte weiter ausgearbeitet gehört. Insbesondere die Hauptfigur weckte mein Interesse, ebenso ihre ungewöhnliche Art der Magie. Die Rahmenhandlung zeigt den Mann mit dem uralten Zepter, der Kindern Geschichten erzählt, so wie die von Sunharra.
3) Joan Aiken: Das Rennen (Two Races)
Inspektor Vidame fährt 1930 mit dem Zug von Paris in die kühle Bretagne, die gerade den Winter überstanden hat. Er stoppt in Zinzac, muss sich aber mit einer seltsamen Seilbahn hinunter ins Dorf am Hafen lassen. Dort fragt er sich zu Madame Dodman durch, die hier eine kleine Pension betreibt. Es war ihr Sohn, dessen Tod den Kriminalinspektor zu ihr geführt hat. Aber die Frau weiß herzlich wenig über ihn zu sagen, außer dass er 15 Jahre alt war.
Ihre Tochter Daniella, die dicke, dunkle Augengläser trägt, ist da schön vernünftiger und gesprächiger. Ihr Name erinnert ihn an eine Varietékünstlerin gleichen Namens, doch worin bestand ihr Trick, der die Männer hypnotisierte? Vidame kann sich nicht erinnert. „Das war Großmutter“, sagt Daniella. Sie zeigt auf die Halbstarken, die sich auf dem anderen Ufer des Flusses versammelt haben. „Die Heronen“, erklärt die junge Frau: „Denen wollte sich mein Bruder anschließen, aber sie haben ihn abgewiesen. Sie schickten seine abgehackte Hand, eingewickelt in Seegras.“ Das weist in Vidames Augen auf heidnische Bräuche in diesem unheimlichen Land hin.
Daniella berichtet von den Motorradrennen, die die Heronen auf der Serpentinenstraße den Steilhang hinunter veranstalten. In dieser Straße hätten sie die Leiche ihres Bruders einbetoniert. Wenig später kann Vidame dabei zuschauen, wie sich die Biker den Berg hinunterstürzen. Aber Daniella prophezeit den Heronen Vergeltung für den Tod ihres Bruders. Vidame kehrt unverrichteter Dinge nach Paris zurück.
Er kehrt erst im Sommer zurück, diesmal ohne Auftrag, und quartiert sich bei Madame Dodman ein. Als er deren Tochter Daniella sucht, muss er weit laufen: Sie kauert am Ende des Piers. Aber das Gespräch ist nicht konstruktiv. Aber am nächsten Tag entdeckt er die „Heronen“ in einer Art Aula oder Kapelle am Steilufer: Alle Motorräder stehen an die Wand gelehnt. Indem er sich auf einen der Sättel stellt, gelingt es ihm, in eines der Fenster zu schauen. Drinnen führt Daniella den Zaubertrick ihrer Großmutter vor. Vidame ist sowohl beeindruckt als auch verstört.
Als die Männer zufrieden wieder auf ihre Bikes steigen, kommt es bei ihrem traditionellen Rennen die Serpentinenstraße hinab zu einem „tragischen Unglück“, wie es die Presse, das Radio und die Ortspolizei später nennen werden.
Mein Eindruck
Die Autorin Joan Aiken hat sich durch ihre unheimlichen Romane Weltruhm erworben. Auch hier erweist sie sich als routinierte wie auch raffinierte Erzählerin. In einem realistischen Ambiente, das einen doppelten Boden aufweist, findet eine Art Vergeltung statt. Die Methode, die Daniella anwendet, gehört möglicherweise ins Reich der übernatürlichen Fähigkeiten. Denn sie trägt ihre dunklen, dicken Augengläser aus einem guten Grund…
4) Paul E. Holt: Gold gab ich für Eisen (Good as Gold)
Ein Alien ist gelandet, und der Präsident der USA hat die Ehre, ihn fünf Minuten lang nach allem Möglichen befragen zu dürfen: nach dem Weltfrieden, nach Gott, nach einem Allheilmittel. Der Mann schlurft in seiner Rüstung herein und fragt gleich nach dem Bleistift in der Hand des Präsidenten. Der erklärt es ihm: „Ja, und dann werfen wir das Holz weg.“ Um den Bleistift gebeten, übergibt er ihn, denn er Dutzend in Reserve. Dabei fällt sein Blick auf den Anhänger des Alien: Es sieht aus wie Gold, ist es zu fassen? Und der Alien würde ihn als Nahrung verzehren!
Auf seine Bitte hin erhält er den Anhänger aus Gold und steckt ihn heimlich in die Hosentasche. Weitere Bleistifte und Goldstücke werden getauscht, dann der Notizblock und die lederne Aktentasche. Der Präsident erhält Reichtümer, denn wenn ihn seine Augen nicht trügen, dann ist die Rüstung des Alien mit Diamanten bedeckt. Tja, und dann heißt es: Die Zeit ist um!
Mein Eindruck
Wie man sieht, kommt es auf den jeweiligen Wert an, die der eine Händler den Objekten des anderen beimisst. Das ist eine schlitzohrige Yankee-Botschaft. Genauso humorig lautet der letzte Satz: Der Präsident ist sicher, dass der Alien wiederkommen wird. Oder etwa nicht?
5) Gregory Benford: Belichtungen (Exposures)
Der Ich-Erzähler ist Astrophysiker am California Institute of Technology nahe Los Angeles. Er beschäftigt sich mit der Auswertung von Radioteleskop-Aufnahmen einer Galaxie namens NGC-1097. Ziemlich deutlich ist zu sehen, wie rot- und blauverschobene Partikelströme andere Materieströme in der fernen Milchstraße durchkreuzen. Etwas unheimlich.
Doch nichts im Vergleich zu dem, was er auf dem Zentralrechner vorfindet, auf dem die Fotos bearbeiten will. Jemand hat in den ihm zugewiesenen Slot an Rechenzeit andere Fotos eingestellt, und zwar von einer Strahlenquelle im Zentrum unserer eigenen Galaxis. Sagittarius-A weist ebenfalls mysteriöse Partikelströme auf. Das besondere an den Aufnahmen: Es ist nicht einmal von den Betreibern des Rechenzentrums festzustellen, woher sie stammen, wer sie gemacht und auf welche Weise sie in den Speicher gelangt sind. Das ist, gelinde gesagt, unmöglich. Dennoch sind sie da, und zwar in bester Qualität.
Unterdessen beschäftigt sich unser Chronist mit seinem Sohn, der gerade lernt, zu zeichnen und korrekte Sätze zu bauen. Er erfährt von ihm auch, dass seine Lehrerin Krebs hat. In der Zeichenstunde hat unser Astronom eine Erleuchtung: Was, wenn die Ursache für die roten und blauen Partikelströme ein Schwarm von Schwarzen Löchern wäre, und zwar nicht bloß in NGC-1097, sondern auch gleich in der Nachbarschaft, in Sagittarius-A?
Und der Schwarm kommt näher…
Mein Eindruck
Bei Ed Bryant hieß es: „Fiction trifft Wissenschaft“, bei Benford ist es umgekehrt: Wissenschaft trifft Fiction. Man merkt, dass sich der Astrophysiker total auf seinem gebiet auskennt, und wer den Jargon nicht draufhat („Dopplerverschiebung“ etc.), wird von der Geschichte nur die Hälfte verstehen. Die andere Hälfte besteht zum Glück aus leicht verständlichen Alltagsszenen: beim Elternabend, in der Episkopalkirche beim Gottesdienst, daheim beim Zubettgehen mit der Ehefrau. Sehr heimelig.
Der Reiz der Erzählung besteht natürlich aus dem Kontrast und den Parallelen. Hier das scheinbar geordnete Leben auf der Erde, dort das Chaos in den Galaxien. Doch dass Krebs ebenso wie harte Strahlung aus Schwarzen Löchern überall zuschlagen können, lässt das Leben auf der Erde ganz besonders verletzlich und kostbar erscheinen.
6) Scott Sanders: Berge der Erinnerung (Mountains of Memory)
Das sind jetzt also die modernen Zeiten in Oregon City: Alles ist überkuppelt, überwacht und künstlich geformt. So wie diese drei Berge in der Mitte der Stadt: alles aus Stahl und Plastik. Doch täglich hinterlassen junge wie alte Besucher ihren Müll an den Flanken dieser Berge, und das finden Herbert und Mildred nicht in Ordnung. Er ist schon 90, sie schon 88, diverse Körperteile sind ihnen vom Fürsorge-System ersetzt worden, und sie sollten eigentlich dankbar sein.
Aber den Müll, den sie jeweils zwischen 22 und 24 Uhr sammeln, können sie nur noch zwei Wochen heimlich in den Lüftungsschacht werfen, dann ist der Platz alle: Die künstlichen Höhlen unter dem größten Berg sind fast voll. Doch Herberts Vater rackerte noch in den Kohleminen von Kentucky und hat seinem Sohn alles beigebracht, auch wie man einen Stollen sprengt: mit Dynamit und einem Zündkabel. Mildred findet ebenfalls, dass man den heutigen Bewohnern der Kuppel – draußen ist die Umwelt tödlich – eine Lektion erteilen sollte.
Schon bald kommt es zur großen Mülleruption mitten in Oregon City, und ihr folgt unbeschreibliches Chaos…
Mein Eindruck
Mildred und Herbert stammen noch aus unserer Zeit, daher haben sie so manches Problem mit der neumodischen Musterstadt, in der sie leben müssen. Es ist ein Leben unter einer Kuppel, einer Art Biosphäre. Sie existiert immerhin nicht im Krieg oder im Post-Holocaust, aber Opfer gibt es trotzdem: Durch ungezügelte Umweltverschmutzung ist die Außenwelt unbewohnbar geworden.
Warum also machen diese Nachfahren von Philemon & Baucis auch die eigene Stadt unbewohnbar? Weil sie im Herzen nicht nur Feinde des Mülls und der dahinter stehenden Ignoranz, sondern auch Rebellen sind. Insofern bemüht sich der Autor, eine ökologische Warnung an seine zeitgenössischen Leser zu richten, indem er unterhaltsam-neckisch schildert, was passieren kann, wenn entschlossene Aktivisten den Müll dorthin schießen, woher er gekommen ist. Und das ist überhaupt nicht „kindisch“, wie der Klappentext behauptet.
7) Sydney J. Van Scyoc: Die Unterweisung (Teaching)
Der Siedlerplanet Brakrath ist eine raue, grausame Welt, das weiß die junge Lara ganz genau. Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz: Die Schafzüchter bleiben in ihren geschützten Bergtälern, denn über die Ebenen draußen blasen kühle Winde. Seit sie gesehen hat, wie sich ihr Vater ohne Hilfe von starken Haustieren abrackern musste, hat sich Lara vorgenommen, dieses Gesetz zu brechen. Sie will den Hütern der Rotmähnen ein oder zwei Paare stehlen und sie selbst für ihre Zwecke züchten.
Sie hat bereits eine Stute am Zügel, als zwei Hüterinnen auftauchen. Sie greifen sie nicht an, sondern fragen sie, ob sie überhaupt das Wissen besitze, um diese einheimische Tiere erfolgreich halten und züchten zu können. Lara kann es kaum glauben, aber Tehla und ihre hochgewachsene Kollegin wollen ihr wirklich helfen. Denn sie ist bei weitem nicht die erste Frau aus den Bergen, die auf diese Idee gekommen ist. Deshalb versucht Tehla, Lara auf eine andere Weise zu überzeugen, ihr Vorhaben aufzugeben.
Lara soll der Unterweisung einer Rotmähnen-Großmutter lauschen und lernen. Die Tiere sind tatsächlich telepathisch veranlagt. Lara lässt sich auf eine Geistreise mitnehmen und sieht ein, dass das „Pferdestehlen“ keine gute Idee war. Und das mit der Zucht wird auch nichts, denn nicht die Hengste wählen die Stuten aus, sondern es ist genau umgekehrt.
Aber was bleibt ihr noch zu tun übrig? Sie findet es heraus, als es ihr gelingt, zwei Paare Rotmähnen in das erste Bergtal zu führen. Aber wo kommt auf einmal Nummer fünf her? Gedanken unterhalb des Bewusstseins ergreifen Besitz von ihr, und schildern die Leiden der Tiere. Schließlich führt sie alle zurück in die sanfte, mit saftigem Gras bewachsene Ebene. Es kann nicht ausbleiben, dass sie Telah wiedertrifft. Die nimmt sie zu einem besonderen Versammlungsort mit.
Eine uralte Rotmähnenstute wendet ihre Unterweisungen an die versammelten Herden – und auch direkt an Lara. Sie lernt, dass viele der Hüterinnen aus den Bergen kamen und dass diese nicht die Tiere der Ebenen vor den Talbewohnern beschützen, sondern es sich genau umgekehrt verhält: Die Rotmähnen würden die Talbewohnern mit ihrer Telepathie bekehren, so dass diese auswandern würden.
Telah führt ein letztes, entscheidendes Argument an: Wer sagt denn, dass die Evolution der Talbewohner bereits abgeschlossen sei, so wie es die der Rotmähnen ist? Die Talbewohner haben sich im Lauf von Jahrhunderten zwar an die raue Umgebung angepasst, aber die Mutationen gehen immer weiter. Wer gibt also Lara das Recht, sich für besser zu halten als die Rotmähnen und deren Hüterinnen?
Mein Eindruck
Und so kehrt Lara wieder in ihr Tal zurück, vermutlich um die Evolution ihres Volkes fortzuführen, d.h. sie wird Kinder bekommen und Enkel, die ihre Gene weitergeben. Die Autorin Scyoc ist mir schon viele Male durch ihre einfühlsamen, aber ökologisch wohlbegründeten Geschichten aufgefallen. Stets wirft sie ein Schlaglicht auf eine Gemeinschaft, die ungewöhnlich ist; hier sind es gleich drei Gemeinschaften.
Stets bilden mehr oder weniger ausgefallene Kommunikationsformen die Grundlage für den Wandel innerhalb der Ökologie. Hier treiben die Rotmähnen diesen Wandel voran. Sie haben kein Archiv mit technischen Methoden erstellen, sondern geben ihre Erinnerungen und Erfahrungen von den Alten an die Jungen weiter. So wie es bei Nomadenvölkern wie den Sami in Finnland seit tausenden von Jahren Tradition gewesen ist. Bei den Sami starb der letzte Schamane, der das uralte Heldenepos „Kalevala“ vollständig auswendig rezitieren konnte, Ende des 20. Jahrhunderts und offenbar gibt es dazu eine TV-Dokumentation.
(Für Tolkien bedeutete die „Die Geschichte von Kullervo“ in „Kalevala“, die er übersetzte, den Startpunkt für seine Heldengeschichten. Túrin Turambar ist die weiterentwickelte Version von Kullervo, und Aragorn im „Herrn der Ringe“ die Version Nr. 3.)
8) Lowell Kent Smith: Der Schnupfen (Sneeze)
Arbeiter Berdatchew hat es getan: Er hat geniest. Obwohl das im Arbeiterstaat bei Todesstrafe verboten ist. Sofort erfasst ihn schreckliche Angst. Wird er beobachtet? Ein Junge, eine Seniorin, ein Hund. Da, ein Polizist! Es gelingt ihm, mittels einer Lüge davonzukommen. Doch in einer Bar wird er von einem Fremdling angesprochen. Dessen Frage macht ihn sofort nüchtern.
Während sie zusammen im Park spazieren gehen, erhält Berdatchew ein unmoralisches Angebot, ausgerechnet vom kapitalistischen Klassenfeind: Er könne reich werden, wenn er dabei helfe, Arzneimittel ins Reich der Arbeiter zu schmuggeln, wo es ja angeblich keinen Grund für Erkältungen, Schnupfen, Husten usw. gebe. Berdatchew denkt an die schrecklichen Arbeitsbedingungen in seiner Fabrik und sagt ja.
Doch er kommt nicht weit: Kaum klopft die Polizei an seine Haustür, muss er durch den Hintereingang flüchten. Die Gewerkschaft hilft ihm, gegen die aufgefahrenen Panzer zu bestehen und zu entkommen. Doch das Haus der Gewerkschaft wird ebenfalls von Panzerbesatzungen gestürmt und Berdatchew, der Kapitalverbrecher, verhaftet.
Der Marschall ist ratlos, was man mit ihm anstellen soll, und so landet er schließlich vor dem Großen meister höchstpersönlich. Auch dieser ist relativ ratlos, lässt Berdachew eine Zusicherung unterschreiben, etwas derart Subversives und Staatsgefährdendes nie wieder zu tun. Klar, dass unser Held unterschreibt. Er geht gerade durch eine verborgene Geheimtür im Palast des Volkes, als er ein vertrautes Geräusch vernimmt: ein geradezu vulkanartiges Niesen…
Mein Eindruck
Wenn es je eine Posse auf den real existierenden Sozialismus vor dem Jahr 1989/90 gegeben hat, so ist es diese ungewöhnliche Satire. Sie enthält alles, was der Westen schon immer über den Osten vermutet hat: totale Überwachung mit nachfolgender Paranoia, Ausnahmezustand beim geringsten Fehlverhalten, Panzer fahren bei Protesten oder „Subversiven“ auf. Ungewöhnlich ist die Existenz einer Gewerkschaft – die gab es im Osten nur in einer Krise, etwa Solidarnosc in Polen.
Dass Schnupfenviren auch vor dem „Großen Meister“ – eine pure Erfindung nach dem Vorbild von Stalin – nicht haltmachen, ist der ironische Höhepunkt in der Entwicklung der Geschichte vom Antihelden Berdachew.
9) Charles L. Grant: …was in ernstem Schweigen (…What in Solemn Silence, 1982)
Peter hat es seit seiner Geburt im Reservat unter den Weißen zu etwas gebracht, eine liebevolle Anglo namens Amanda geheiratet und vier Kinder in die Welt gesetzt. In letzter Zeit muss er etwas kürzer treten, und auch die Augen sind nicht mehr die besten. Da ruft ihn Onkel Michael an, der immer noch in Wyoming im Wind River Reservat lebt, ob er ihn nicht mal besuchen könnte. Früher hätte Peter eine Entschuldigung gesucht, aber er hat ja die Geschäfte abgegeben, daher sagt er: in 14 Tagen.
Er und Amanda kommen drei Tage zu spät. Michael habe sich mit einem Rucksack oder ähnlichem auf den Weg in die Berge gemacht, erzählt die Nachbarin. Sie machen sich auf den Weg, um Onkel Michael zu suchen. In letzter Zeit erblickt Peter dunkle Schatten, die nicht von fehlendem Sonnenschein stammen, und träumt von einem Wesen, das zwischen Sternen lebt, und dessen Augen rot glühen.
Alle Suchunternehmungen verlaufen vergeblich, selbst die der Polizei, und mach einer Woche reist Amanda wieder ab, nach 24 Tagen verlangt sie, er solle zurückkommen. Nur die Träume werden häufiger, und wie sich herausstellt, hat Onkel Michael auch. Der ruft aus dem Krankenhaus in Cheyenne an, und ahnt sein Ableben voraus. Peter fährt hin und entdeckt einen toten Mann, der nur noch aus Haut und Knochen besteht. Michael habe seit Monaten nicht mehr essen wollen, heißt es.
Aber Michael war hellsichtig und sagte einst den Krebstod von Peters Bruder William voraus. Diese Vorahnung, zusammen mit den Träumen und den Schatten in den Ecken, veranlassen Peter, alles aufzugeben und ins Reservat zurückzugehen. Nacht für Nacht wird die Vorahnung stärker, dass das Wesen, das zwischen Sternen lebt, näher kommt und dass er den Tag seiner Landung ebenso wenig erleben will wie zuvor Onkel Michael…
Mein Eindruck
Was wie eine zärtliche Beziehungskiste zwischen indianischen Verwandten anfängt und durchaus tragisch enden könnte, entwickelt sich auf den letzten zwei Seiten zu einer kosmischen Horrorgeschichte unter „Präkogs“. Sie hätte auch einem H.P. Lovecraft zur Ehre gereicht, denn das Grauen ist nicht irdisch, sondern hat seinen Ursprung draußen im Universum.
Etwas ungewöhnlich ist der Reichtum der indigenen Hauptfigur: Dass Weiße Indigene zu Reichtum und einer großen Familie mitsamt eigenem Unternehmen kommen lassen, ist zwar bestimmt realisierbar, findet aber in der Literatur kaum einen Widerhall. Weil es nicht ins Klischee des unterdrückten Ureinwohners als Underdog passt?
10) Friedrich Hagemeyer (D): Weltweit Mrs. Struthers
Der letzte Überlebende der Pandemie wendet sich an die Roboter. Er erzählt, wie alles mit einer mutierten Virenkultur bei General Electric begann. Diese wurde eingesetzt, um Fotos auf einer Bildplatte und in einer Nährlösung so zu entwickeln, dass das Foto sofort vervielfacht wurde. Virox hieß das doppelte System, und über ein Jahr lang ging alles gut, das System wurde zu einem Verkaufsschlager à la Polaroid.
Doch dann kam es auf einer Insel der Azoren zu einer fatalen Mutation, als das britische Ehepaar Struthers ein Foto aufnahm und entwickeln ließ. Die Viren töteten nicht nur die beiden harmlosen Briten, sondern die gesamte Inselbevölkerung aus – nach der Inkubationsphase kam ja erst die Ausbruchsphase, so dass sich das Virus weltweit verbreiten konnte.
Nun ist nur noch er selbst übrig, als ihn die Roboter – – so sehen die Vermummten in den Schutzanzügen zumindest aus – ruhigstellen, Blut läuft ihm aus der Nase…
Mein Eindruck
Geradezu prophetisch mutet diese kurze Story von nur 3-4 Seiten heutzutage an, nachdem wir die Covid-19-Pandemie hinter uns haben ( so will man uns zumindest glauben machen). Die Ursache ist hier eine simple Mutation, wie sie alltäglich unter Viren und Bakterien auftritt. Glücklicherweise haben wir das Stadium chemischer Fotografie hinter uns gelassen, denn heutzutage werden Fotos rein digital erzeugt, gespeichert und verarbeitet. Doch für digitale Inhalte gibt es inzwischen Viren ganz anderer Art….
Die Übersetzungen
S. 89: „einige spu[c]kten sogar ganz unbefangen auf die gläsernen Wege.“ Das C fehlt. In dieser sauberen Stadt gibt es garantiert keine Spukwesen!
S. 122: Ein Buchstabendreher: „waren für das Leben Brakrath geeigent“ statt „geeignet“.
Unterm Strich
Ohne dass eine bestimmte Kurzgeschichte oder Novelle besonders herausragen würde, verdient diese Auswahl doch mindestens vier von fünf Sternen. Es gibt keinen Totalausfall, vielmehr heben die Beiträge von Silverberg, Benford, Scyoc und Sanders das Niveau doch beträchtlich an.
Der ungewöhnliche Beitrag von Joan Aiken, die mehr im Krimi-Genre zu Hause ist, fällt durch seine ausgefeilte Hintergrundstory aus, die sich der Leser, genau wie der Inspektor, zusammenreimen muss. Die Handlung scheint völlig im Hier und Jetzt verankert zu sein, doch der Schein trügt: Je realistischer das Ambiente, desto phantastischer Grundidee: Dass es nämlich zwei Rassen menschlichen Aussehen gebe, die sich jedoch in ihren Eigenschaften grundlegend unterscheiden. Ich wünsche jedem Leser viel Vergnügen beim Entdecken des Clous!
Der deutsche Beitrag von Hagemeyer jagt jedem, der die Covid19-Pandemie miterlebt hat, kalte Schauder über den Rücken. Das hat der Autor vielleicht gar nicht beabsichtigt, denn seine Idee mit der belichtenden Fotoemulsion, die eines Tages mutiert, mag zunächst an den Mundwinkeln des Lesers zupfen und lächerlich anmuten. Aber Mutationen ereignen sich fortwährend, denn sie sind der eine der zwei Pfeiler der Evolution, der andere besteht in der Selektion: Nur was sich anzupassen und durchzusetzen weiß, kann seine Gene weitergeben: Und diesem Virus gelingt weiß Gott wirklich erfolgreich, sehr zum Leidwesen der Menschheit.
Taschenbuch: 209 Seiten plus Buchtauschbörse und Bestenwahl für IASFM-Band 16
O-Titel: IASFM 1982
Aus dem Englischen von diversen Übersetzern;
ISBN-13: 9783453308890
www.heyne.de
Der Autor vergibt: