Eine Million Jahre in der Zukunft. Die Technik ist bis auf wenige Reste verschwunden. Die Menschheit dämmert auf einer mittelalterlichen Kulturstufe dahin und harrt der Ankunft der Neuen Sonne, die ein neues Zeitalter der Zivilisation heraufführen soll.
Dies ist die Geschichte Severians, des Waisenjungen, der in der Zunft der Folterer aufwächst und sein Handwerk erlernt. Bis er eines Tages aus Mitleid einer Frau den Selbstmord gestattet und deshalb aus seiner Zunft ausgestoßen wird… Sein ehemaliger Meister schickt ihn mit einem Auftrag in die große Stadt Thrax, doch auf dem Weg dorthin gelangt er in den Besitz eines magischen Objekts, der „Klaue des Schlichters“, und lernt zudem den Autarchen kennen, den obersten Herrscher der Welt.
„Das Schwert des Liktors“:
Inzwischen ist Severian professioneller Henker, ein sogenannter „Liktor“, und in Thrax zudem Gefängnismanager. Eines Tages „legt er sein Amt nieder und durchstreift die Ruinen einer uralten Stadt. Er spürt die Seele eines fremdartigen Wesens auf, das den Körper eines Menschen bewohnt. Und in der dunklen Burg am Meer begegnet er den Außerirdischen.“ (erweiterte Verlagsinfo)
„Die Zitadelle des Autarchen“
Severian zieht in den Krieg. Auf der steten Flucht nach Norden gelangt der junge Folterer an die Front, wo sich die Truppen der Republik gegen die Ascier zur Wehr setzen. Seine Abenteuer sind also noch längst nicht vorbei.
Der Autor
Gene Wolfe ist einer der großen Stilisten der Science Fiction. Insbesondere seine Kurzgeschichten sind meisterlich feinsinnige Gratwanderungen zwischen Realität und Phantasie, die zum Nachdenken anregen. Zu seinen wichtigsten Story-Sammlungen gehören „The Island of Dr. Death and Other Stories“ (1980; s. meinen Bericht) sowie „Endangered Species“ (1989; s. meinen Bericht). Und natürlich das „Book of Days/Das Buch der Feiertage“ (1981; s. meinen Bericht).
Seine wichtigsten SF-Romane gehören den drei Zyklen um die Sonne an – die neue, die lange und die kurze:
DAS BUCH DER NEUEN SONNE
1) Der Schatten des Folterers
2) Die Klaue des Schlichters
3) Das Schwert des Liktors
4) Die Zitadelle des Autarchen
5) Die Urth der Neuen Sonne
DAS BUCH DER LANGEN SONNE
1) Die Nachtseite der Langen Sonne
2) Der See der Langen Sonne
3) Der Caldé der Langen Sonne
4) Der Exodus aus der Langen Sonne
THE BOOK OF THE SHORT SUN (unübersetzt)
1) On Blue’s Waters
2) In Green’s Jungles
3) Return to the Whorl
Weitere SF-Romane:
1) Frees Vermächtnis
2) Unternehmen Ares
3) Der fünfte Kopf des Zerberus
Wichtige Fantasyromane sind:
1) MYTHGARTHR 1: Der Ritter (dt. bei Klett-Cotta)
2) MYTHGARTHR 2: Der Zauberer (dt. bei Klett-Cotta)
3) Soldat des Nebels (dt. bei Heyne; Band 1 eines Zyklus’ aus bislang 3 Romanen)
4) Peace (unübersetzt)
5) Der Teufel hinter den Wäldern (Bastei-Lübbe)
6) Das Buch der Feiertage (Kurzgeschichten)
Handlung
Nach seinem Abenteuer am See Diuturna und dem Kampf mit dem Riesen (Band 3) reist Severian nach Norden, wo angeblich die Front des Krieges gegen die Acier verläuft. Als eine ganze Kolonne von Nessus-Soldaten an ihm vorbeimarschiert, muss er sich versteckt, sonst würde er rekrutiert. Im Gebüsch abseits der Straße führt ihn der Flug einer Fliege zur Leiche eines Nessus-Soldaten. Der Proviant des jungen Mannes ist höchst willkommen, ebenso ein Krummschwert und ein Mantel.
Vivimantie
Im Tornister des Toten entdeckt unser Chronist einen Brief, der an eine Geliebte in der Heimat gerichtet ist. Das bringt ihn auf eine Idee. Der Tote liegt noch nicht lange hier, denn sein Körper ist nicht angefressen. Mithilfe der Magie der Klaue des Schlichters erweckt Severian den Mann wieder zum Leben. Zunächst noch etwas wackelig auf den Beinen, begleitet der Soldat Severian auf seiner Reise nach Norden.
Fronten
Sie müssen achtsam sein, denn, wie aus dem Brief hervorgeht, wurde der Soldat von Leuten aus dem Hinterhalt erschlagen, die für den Räuberhauptmann kämpfen. Und wie Severian (in Band 2) herausgefunden hat, arbeitet Vodalus, den er schon seit dem Beginn seiner Abenteuer kennt, für den Autarchen selbst. Folglich gibt es drei Parteien in diesem Krieg: die Armee des Autarchen, die Acier und die Vodalier. Die Lage ist unübersichtlich und bietet allerlei Chancen und Gefahren.
Severian und der Soldat, den er Miles (das lateinische Wort für Soldate) nennt, erreichen ein Feldlazarett, das von den ganz in Scharlachrot gekleideten Pelerinen geleitet wird. Er muss sich irgendwie verletzt haben, denn er fiebert heftig und hat lebhafte Träume über seine Jugend und den sterbenden Meister Malrubius, der von zwei Hexen gepflegt wird: Sein Traum-Ich ist aber das von Thecla. Gestärkt erhebt er sich von seinem Lager. Wo ist Miles? Der ist noch da, aber schon auf dem Sprung.
Im Lazarett macht Severian die Bekanntschaft von Militärs unterschiedlichster Herkunft. Da ist Hallvard aus dem eisigen Süden, Foila die Husarin, Melito eine Bauernsoldat, und ein feindlicher Ascier, der sich „Diener der Gruppe der Siebzehn“ nennt. Foila wendet sich an Severian um Hilfe: Sowohl Hallvard als auch Melito bemühen sich um ihre Gunst, um sie zu heiraten, doch sie kann sich nicht entscheiden. Daher soll entscheiden, wer der bessere Geschichtenerzähler, und darüber soll Severian urteilen.
Hallvards Geschichte: Die beiden Robbenjäger
Hallvard erzählt die blutige Geschichte von den zwei Robbenjägern, wobei die Legende des norwegischen Heiligen Hallvard, der im Jahr 1043 getötet wurde, abgewandelt wird. Obwohl Hallvard ebenso wie die Frau, die er retten will, von Pfeilen durchbohrt wird, versinkt sein Körper nicht, wodurch die Untat seiner Mörder ruchbar wird. Der Soldat Hallvard erzählt von einem Brudermord wegen einer Frau, in den irgendwie eine Gestaltwandlung von Robbe zu Mensch (siehe „Selkies“) verwickelt wird.
Melitos Geschichte
Der Bauernjunge Melito gibt die Story „Der Hahn, der Engel und der Adler“ zum Besten. In dieser schlauen Abwandlung einer Fabel von Äsop bringt es ein Hahn zu Ruhm und Ehre auf dem Bauernhof, indem er sogar eine Eule besiegen kann, um seine Liebste zu beschützen. Er fordert das Schicksal heraus, als er sich brüstet, alles, das Federn trägt, besiegen zu können. Prompt kommt ein Engel des Herrn und tadelt ihn. Der Hahn gibt klein bei, wird aber kurz darauf von einem Adler attackiert (Gestaltwandlung des Engels?) und in Grund und Boden gehauen.
Die Geschichte des Dieners der Gruppe der Siebzehn: Der Gerechte (The Just Man)
Der kriegsgefangene Ascier kommt aus einer fremdartigen Gesellschaft, die nur an „genehmigte Texte“ glaubt bzw. glauben darf. Viermal muss der Mann, der rechtmäßig den Hof erben soll, zu den Behörden gehen und sich beschweren, bevor seine Mitbewohner, die ihn verprügelt haben, endlich das Weite suchen. Siehe dazu Psalm 37. „Die Sanftmütigen werden die Erde erben.“
Unterdessen hat Severian mit den Pelerinen zu tun, die das Lazarett leiten. Die Altgediente glaubt ihm nicht, dass die Klaue, die er ihr zeigt, die Klaue des Schlichters sein könne. Er erfährt zu seinem Erstaunen, dass es die Ordensleiterin selbst war, die ihre Kathedrale in Nessus in Brand setzte. Es gelingt ihm, die junge Novizin Ava zu seiner ersten Jüngerin zu machen und erfährt durch den Pelerinensklaven Winnoc vom Schicksal Meister Palaemons in den etwa zehn Jahren, bevor Severian geboren wurde. Aber warum musste Palaemon ins Exil gehen?
Foilas Geschichte: Die Tochter des Waffenträgers
Foila tritt in ihren eigenen Erzählerwettstreit ein, indem sie von einer weiblichen Waffenträgerin (Armigette) und ihren drei Freiern erzählt. Um ihre Freier auf die Probe zu stellen, entlässt sie ihren braunen Singvogel in die Freiheit und fordert jeden Freier auf, ihr den Vogel zurückzubringen. Sie erwählt denjenigen, der den Vogel verschont, sondern auf seine Rückkehr warten will.
Eine entsprechende Geschichte hat der Ascier erzählt. Die Geschichte wandelt ein japanisches Gedicht ab, das jedes Schulkind lernen muss: die drei Shoguns Nobunaga, Hideyoshi und Tokugawa, die Japan vereinen wollten – jeder hatte eine andere Methode, einen Vogel zu fangen. Alles in allem hat Foila durch ihre Taktik, frei zu bleiben, von 33 auf 50 Prozent erhöht.
Das Letzte Haus
Mannea, die Novizenmeisterin der Pelerinen, bittet Severian, darum, zu einem heiligen Eremiten nahe der Front zu gehen und ihn dort mit guten Worten oder auch Zwang herauszuholen und zu Mannea zu bringen. Als Passierschein gibt sie dem mittlerweile genesenen Severian einen Geleitbrief sowie eine Wegbeschreibung mit. In nur einem Tag gelangt er durch die Fronttruppen zu einem Tal, über dem sich ein steiler Hang erhebt. Weil er sich nicht an die Wegbeschreibung hält, muss er auf dem Gipfel der Klippe übernachten und braucht nochmals einen Tag, um den Eingang zum Letzten Haus zu finden.
Ein großer Mann mit einem schwarzen Bart empfängt ihn und gewährt ihm Obdach. „Nenn mich Ash“, bittet der Anachoret und gibt ihm zu essen. Seiner Bitte könne er allerdings nicht entsprechen. Severian wundert sich, warum das Gebäude wohl „Das Letzte Haus“ genannt werde, aber als er am nächsten Morgen erwacht, ahnt er es: Draußen besteht die Welt nur aus weißem Packeis.
Ash erklärt ihm die recht spezielle Eigenart seines Hauses. Oben könne man die Zukunft sehen, das Eis. In der Mitte gebe es ein wenig Gegenwart, nämlich da wo sie gerade stünden, und ganz unten gebe es nur Vergangenheit. Da Severian schon einige Erfahrung mit seltsamen Zeitphänomenen gemacht hat, lässt er sich nicht irritieren, sondern packt Ash beim Mantel und beginnt, ihn ins Tal zu ziehen. Doch Ash ist binnen eines Augenzwinkerns verschwunden.
Söldner
Die Rückkehr in Manneas Lazarett gestaltet sich sehr traurig: Ein Angriff der Ascier hat das Lager verwüstet und fast alle Insassen getötet. Der sterbenden Foila gibt er das Versprechen, sich an alle ihre Geschichten (siehe oben) zu erinnern, denn sie weiß, dass sein Gedächtnis unfehlbar ist. Der Altarstein, hinter dem er die Klaue des Schlichters verborgen hat, ist verschwunden (oder wird zumindest mit keiner Silbe erwähnt).
Umherirrend stößt er auf einen Trupp Söldner, die behaupten, für die Seite des Autarchen zu kämpfen. Indem er sich ihnen nolens volens anschließt, erringt er Ansehen und wird schließlich ihr stellvertretender Anführer. So kommt er in Kontakt mit Asciern und Tiermenschen. Da er schon einen Ascier kennengelernt hat, kann er sich mit diesen seltsamen Leuten verständigen.
Die Schlacht
In einem Tal gerät die Söldnertruppe mit anderen Einheiten in eine große Schlacht. Der gegner, vermutlich die Ascier, hat fremdartige Maschinen aufzubieten, die Energiepfeile und Projektile verschießen. Große Flugmaschinen verbreiten Angst und Schrecken. Fremdartige Völkerschaften treffen aufeinander, eine davon hat die Göttinnen des Krieges auf Reittiere gesetzt: wohlgenährte, dralle Jungfrauen, die von Kopf bis Fuß geschmückt sind. Sie werden zum bevorzugten Ziel. Zwerge auf Riesen, die Severian zunächst für Zentauren hält, verwickeln seine Reiterei in Einzelkämpfe.
Schließlich wird er bewusstlos geschlagen und erwacht erst unter den Augen eines ungewohnten Kämpfers: des Autarchen höchstselbst. Der hat einen sehr speziellen Auftrag für ihn…
Mein Eindruck
Dies ist kein Kriminalroman, obwohl es sehr viele Todesopfer auf Severians Weg an die Front und zurück gibt. Wie stets bekommt der Leser sehr viele Indizien geboten, aber was ist hierbei hilfreich und was nicht? In allen Krimis, die ich kenne, wird nach solchen Indizien gesucht, um den Täter dingfest zu machen. Doch Severian könnte nichts gleichgültiger sein. So sucht er nach der in Manneas Altarstein versteckten Klaue des Schlichters überhaupt nicht, und sie wird auch später nur am Rande erwähnt.
Sein einzigartiges Schwert „Terminus Est“ („Dies ist die Trennlinie“) wirft er, nachdem Baldanders es zerbrochen hat, in den See Diuturna. Ein drittes Detail ist eine Kapsel Gift, die ihm der sterbende Autarch anvertraut. Lange musste ich darauf warten, bis Severian davon Gebrauch macht, zusammen mit einem scharfen Messer – um damit den Schädel seines Vorgängers zu öffnen…
Der Herrscher
Nachdem er die Erinnerungen und früheren Inkarnationen des Autarchen übernommen hat, stehen ihm Worte der Macht und zahlreiche Geheiminformationen zur Verfügung. Mit diesen gelingt es ihm, eine herausragende Stellung im Haus Absolut wie auch in der Zunft der Folterer zu erlangen. Weitere Geheimnisse offenbaren sich ihm, und ihm wird klar, dass er die Vergangenheit aufklären muss, bevor er zu den Sternen fliegen kann. So gelingt es ihm, seinen bis dato unbekannten Vater und seine Mutter ausfindig zu machen. Er sieht Dorcas in der alten Ruinenstadt von Nessus wieder.
Die Tricks der Zeit
Fast ganz am Schluss eröffnet er uns, seinen Lesern, dass er nicht der erste Severian sein, so wie er keineswegs der erste Autarch ist. Zeit wird relativiert, und das auf vielfache Weise. Überall in der Handlung tauchen Zeitreisende auf, auch Leute wie Meister Malrubius, die in den „Korridoren der Zeit“ reisen. In Baldanders‘ Burg prüfen Severian mehrere Fremdlinge (siehe Band 3), die mit ihrem Vehikel in der Zeit reisen. Und eine Mandragora dient als Orakel, um ihm seine Zukunft vorauszusagen.
Aber nicht nur mechanische Hilfsmittel heben die konventionelle Auffassung von Zeit als einem geradlinigen Fluss auf, der nur eine Richtung kennt. Es ist Severian selbst, der beispielsweise Tote wiederauferstehen lässt, beispielsweise Dorcas und einige andere, etwa Miles, den Soldaten. Aber die Bedingung, die sich dabei ergibt, scheint zu sein, dass er diese Menschen selbst getötet haben muss. Das kann aber nicht stimmen, denn Severian hat weder Dorcas noch Miles selbst getötet.
Wie auch immer, Severians Weg führt zurück zu seinen Anfängen in der Zitadelle der Folterer: Hier findet sich auch die Zitadelle des Autarchen. Derjenige Leser ist klar im Vorteil, der sich noch gut an die Geschehnisse in Band 1 erinnern kann. Aber wenn nicht, ist das auch okay, denn Severian tut uns den Gefallen, alle relevanten Details vom Anfang von Band 1 wiederzuerzählen. Bevor er zu den Sternen abreist, räumt er also mit seiner frühesten Vergangenheit auf, um reinen Tisch zu machen. Sein Weg endet an einem sehr verborgenen Ort, der für das Erzählverfahren der Aufhebung der zeit typisch ist: im Atrium der Zeit.
Die Schlacht
In der Zitadelle erhält Severian einen Brief von Vater Inire, der ihn über den Fortgang des Krieges und das Ergebnis jener Schlacht unterrichtet, an der Severian selbst teilnahm. Diese Schlacht ist ganz klar der Actionhöhepunkt dieses Bandes und weist einige kuriose Merkmale auf.
Zunächst einmal das Schachbrettmuster, in dem sich Armeeeinheiten der Ascier bewegen. Es erinnert als die Schachfigurenarmee, die in Lewis Carrolls ALICE-Romanen auftauchen (neben der Spielkartenarmee). Auch die leicht geschürzten Töchter des Krieges sind leicht als Amazonen auszumachen, selbst wenn sie nicht mit Pfeil und Bogen bewaffnet sind. Dass virtuelle Zentauren auftreten, entpuppt sich als Selbsttäuschung, denn es handelt sich um Zwerge, die auf Riesen reiten. Diese Fabelwesen der Antike kontrastieren scharf mit den modernen Flugmaschinen und Energiewaffen der Ascier. Es ist eine für diesen Zyklus charakteristische Kombination aus Zukunftstechnik und antiker Sagenwelt, die den vielen Geschichten, die hier gebündelt sind, ihren besonderen Reiz verleiht.
Die Übersetzung
S. 32-33: Nach dem Bad im Lazarett: „Dann ließ man uns zum Aufweichen eine Weile nackt stehen.“ Wohl nicht zum Aufweichen, sondern zum Trocknen. Aber die Szene geht auf S. 33 weiter: „Der stämmige Mann… half mir aus dem Zuber…“ Also hat sich Severian immer noch im Zuber „zum Aufweichen“ befunden. Das „stehenlassen“ ist ganz anders zu verstehen: Er sitzt die ganze Zeit im Wasser des Zubers.
S. 178: „im flachen Stein des Morgenrots“: Gemeint ist wohl eher der SCHEIN des Morgenrots, das nicht flach, sondern fahl ist.
S. 188: Schon wieder ein entstellender Fehlers des Übersetzers: „eine Karre von Fußtruppen“. Gemeint ist ein „Karree von Fußtruppen“, wie die nächsten beiden Absätze zeigen.
S. 201: „Ich nicht… das heißt, nicht persönlich“: Nicht Severian spricht hier, sondern der Autarch, der ihn quasi verhört.
S. 227: Falsche Grammatik: “dreimal so groß als die eines Menschen“. Korrekt wäre „wie die eines Menschen“.
S. 238: “weil Ihr so mit euren Dienern verfährt“. „verfährt“ ist die Form der 3. Person Singular. Gemeint ist hier aber die 2. Person Plural. Korrekt müsste hier also „verfahrt“ stehen.
S. 264: “was der Volksmund Cocogens nennt“: Bislang war immer von „Cacogens“ die Rede.
S. 291: “und um Wi[e]derholung bitten musste“. Das E fehlt.
S. 296: “Metzen“: veraltetes Wort für Prostituierte.
S. 299: “die alte Klaue bei Jolente und Baldanders“. Bislang war immer von Jolenta die Rede, Severians Geliebter in Band 1 und 2.
S. 342: “Die schrägen Sk[la]len warfen ihre Schatten…“: Gemeint sind Sonnenuhren, die an Wände gemalt sind. Ein L ist überflüssig.
Unterm Strich
Auch dieser vierte Band reiht sich nahtlos in den großen Reigen des Zyklus „Das Buch der Neuen Sonne“ ein. Zumindest die ersten vier Bände bilden einen umfangreichen Roman von rund 1300 Seiten (plus Karten und Anhänge). Wie ich jetzt erkannt habe, sollte man sie zügig nacheinander lesen, denn wie in Band 3 häufig festzustellen ist, verweist die Hauptfigur nicht nur ständig auf frühe und früheste Geschehnisse aus den Vorgängerbänden, sondern zieht diese auch heran, um ein Argument anzuführen.
Ständige Begleiter
Hinzukommt, dass er seit Band 2 ein zweites Bewusstsein in seinem Kopf mit sich führt. Es handelt sich um Thecla, die schöne Gefangene aus der Burg der Folterer, der er den Suizid ermöglicht hat. Thecla gehörte zu den Oberen Zehntausend der Hauptstadt Nessus, hatte offenbar auch Kontakte zum Autarchen in seinem „Haus Absolut“ (das Severian in Band 2 besuchte). Nun kommen zu Thecla auch die vielen Erinnerungen hinzu, die Severian auf grausige Weise dem Gehirn des Autarchen entnommen und sich buchstäblich einverleibt hat.
Die vielen Einflüsse und Vorbilder habe ich bereits oben erwähnt. Sie heben die Geschichte aus den Niederungen der Pulp Fiction weit darüber hinaus auf eine Ebene, auf der symbolische Handlungen und philosophische Diskurse möglich sind. Sie haben seitdem vielen Literaturwissenschaftlern als Forschungsgegenstand gedient. Eine Forscherin untersuchte sogar die Familienbeziehungen Severians, was ein wenig erstaunt, denn der Folterer ist eine Vollwaise. Ob er seine Eltern wiederfindet, habe ich erst in Band 4 herausgefunden.
Die Erzählungen
Severian lauscht vier Erzählungen, die ihm im Lazarett der Pelerinen vorgetragen werden, von drei Freiern Foilas und von ihr selbst. Die Vielfalt der Erzähler spiegelt die Vielfalt des Staates und seiner Bewohner wider, während der Ascier mit seiner ungewöhnlichen Denkweise irritiert, die seine Kultur reflektiert. Diese Erfahrung kommt Severian mehrfach zugute, so etwa, als er von den Asciern abgeschossen und vor das Gericht von drei nornenartigen Frauen gestellt wird. Sie lassen ihn am Leben.
So demonstriert der Autor, dass Geschichten nicht nur unterhalten, um eine Frau zu gewinnen, sondern auch Wissen vermitteln. Die Ascier aus dem Norden (Mittel- und Nordamerika) sind wirklich sehr andersartig drauf, was ihre Äußerungen schwer verständlich macht. Das unterbindet in der Schlacht gegen sie jeden Verständigungsversuch. Ein Deutungsversuch: Sie sind Nordkoreaner und somit kommunistisch indoktriniert. Der Autor kämpfte ja im Koreakrieg Anfang der 1950er Jahre und könnte hier eigene Erfahrungen verarbeitet haben.
Vivimant und Gauner
Dieser Severian ist ziemlich sympathisch, auch wenn er uns manchmal anschwindelt: Sein Gedächtnis keineswegs hundertprozentig korrekt und lückenlos, wie er behauptet. Dies wird aber nur dem aufmerksamsten Leser auffallen. Aber wer könnte einem Vivimanten, der Tote oder Todkranke zum Leben erweckt, so etwas verübeln? Zumal er auch eine übermütige Überschläue wie Jack Vances Obergauner Cugel aufweist, die selten ungestraft ausgeübt wird. Komödie und Drama, Philosophie und Action findet man hier ganz nah beieinander.
Ganz anders der lange Schluss, als Severian als neuer Autarch sein altes Zuhause in der Zitadelle der Folterer besucht. Vieles ist zu erledigen und vorzubereiten, ja, er hat sogar Pläne, die Zunft der Wahrheitssucher und Büßer aufzulösen. Vieles wird angedeutet, und man muss jedes Wort auf die Goldwaage legen und sich an Band 1 gut erinnern, um das Schließen des Kreises von Severians Schicksals nachvollziehen zu können. Noch einmal: Die vier ersten Bücher bilden einen zusammengehörigen Roman von rund 1300 Seiten. Eine zügige Lektüre ist dem Verstehen sehr förderlich.
Fazit: 4,5 von fünf Sternen, denn für die Druckfehler gibt es Punktabzug.
Taschenbuch: 342 Seiten.
O-Titel: The Citadel of the Autarch, 1983
Aus dem Englischen von Reinhard Heinz.
ISBN-13: 978-3453310117
Der Autor vergibt: