Michael Crichton – Gold. Pirate Latitudes (Lesung)

Weniger als mitreißend: Raubzug zum Goldschiff

Port Royal, Jamaika, im Jahre 1665. Captain Charles Hunter, Freibeuter in inoffiziellen Diensten des britischen Gouverneurs von Jamaika, heuert eine verwegene Crew von Spezialisten an, um den gewagtesten Raubzug anzutreten, den die Karibik je gesehen hat. Das Ziel: ein spanisches Handelsschiff, das tonnenweise Edelmetall an Bord haben soll.

Der Hafen, in dem das Goldschiff vor Anker liegt, gilt allerdings als uneinnehmbar. Und er wird vom ruchlosen Konquistador Cazalla schwer bewacht. Mit Cazalla hat Hunter noch eine Rechnung offen; der Spanier ließ Hunters Bruder grausam ermorden. Doch nicht nur er könnte den englischen Piraten am Erfolg hindern. Unter seinen Vertrauten befindet sich ein Verräter … (abgewandelte Verlagsinfo)

Der Autor

Michael Crichton wurde 1942 in Chicago geboren und studierte in Harvard Medizin. Crichton, der seit Mitte der Sechzigerjahre Romane schrieb, griff immer wieder neueste naturwissenschaftliche und technische Forschungen auf. Für die international erfolgreiche TV-Serie „Emergency Room“ schrieb er das Drehbuch. Seine Thriller – darunter „DinoPark“, „The Lost World“, „Enthüllung“, „Der 13. Krieger“ und „Next“ – wurden auch als Filme Erfolge. 27 Romane und mehr als 100 Millionen verkaufte Bücher stehen für sein Werk. Er starb im November 2008 im Alter von 66 Jahren. (abgewandelte Verlagsinfo)

Michael Crichton auf Buchwurm.info:

[„Next“ 3300
[„Welt in Angst“ 880
[„Sphere – Die Gedanken des Bösen“ 698
[„Timeline“ 360

Sprecher & Produktion

Hannes Jaenicke, geboren in Frankfurt/Main, absolvierte seine schauspielerische Ausbildung unter anderem am Max-Reinhardt-Seminar in Wien und spielte am Burgtheater, bei den Salburger Festspielen und am Schauspiel Köln. Es folgten zahlreiche TV- und Kinofilmauftritte, häufig in krimis. Neben seinen Filmproduktionen tritt Jaenicke als Drehbuchautor und Sprecher von Hörbüchern in Erscheinung.

Regie führte Bernadette Joos, die Aufnahme leitete Branko Novakovic von artaudio. Joachim Hoell kürzte die Lesefassung.

Handlung

Sir James Almond, der Gouverneur Seiner Majestät Charles II. auf Jamaika, macht erst einmal eine Stunde Toilette, bevor er bereit ist, seiner ersten Pflicht des Tages nachzukommen: Er wählt unter 32 frischen aus England importierten Zuchthäuslerinnen ein neues Hausmädchen aus. Seien Wahl fällt auf die minderjährige Diebin Anne Sharpe – keine schlechte Wahl, wie sich bald zeigt. Danach wohnt er einer Hinrichtung auf dem Hauptplatz bei: Ein Pirat wird mühsam am Strang aufgehängt. Sir James macht eine wichtige Unterscheidung zwischen Piraten und Freibeutern, wie er seinem neuen Privatsekretär Robert Hacklett klarmacht: Piraten sind Verbrecher, Freibeuter aber besitzen eine Erlaubnis, sich gegen Provokationen der ringsum siedelnden Spanier zu erwehren – wobei schon mal eine erkleckliche Beute in ihre Hände fallen kann.

Nachdem er mit Anne Sharpe geschlafen hat, erzählt sie ganz nebenbei, dass sie mit dem Schiff, das sie herbrachte, eine Insel der Spanier passierten, doch das vor Anker liegende Schiff verfolgte sie nicht. Merkwürdig, nicht? Wie von der Tarantel gestochen fährt Sir James hoch und fragt sie nach sämtlichen Details, an die sich junge Frau erinnern kann. Kein Zweifel: Es handelt sich um Punta Matanzaneros (= Gemetzel), die Insel des ruchlosen Konquistadors Cazalla. Und das Schiff, das in seinem gut geschützten Hafen vor Anker lag, war bestimmt eine spanische Galeone – möglicherweise eine der Schatzflotte, die alljährlich die Neue Welt verlässt, um Edelmetalle nach Spanien zu transportieren.

Sir James lässt durch seinen Diener Richards sofort nach Captain Charles Hunter rufen. Beim langweiligen Abendessen mit Hacklett und dem Festungskommandanten Scott werden weitere Details geklärt. Unter vier Augen fertigt Sir James einen Freibeuterbrief aus und sagt Hunter 500 Goldstücke für seine „Investitionen“ zu. Hunter macht sich sogleich an die Zusammenstellung eines Teams von Spezialisten, die er als Stoßtrupp auf Cazallas Insel einzusetzen gedenkt.

Abreise und erste Begegnung

Wenige Tage später hat er 60 Seeleute angeheuert und ist bereit, mit seinem Schiff, der „Cassandra“, in See zu stechen. Er lässt sich zum Kapitän wählen und verrät erst jetzt, worin die Beute besteht: ein Goldschiff der Spanier. Der Jubel hindert ihn daran zu verraten, wie viele Anteile daran er seinem besten Killer, Sans Son (= lautlos), versprechen musste, um ihn anzuheuern. Hunter ist scharf darauf, es Cazalla heimzuzahlen, dass der seinen Bruder ermorden ließ. Und der mitgenommene Erfinder Don Diego will sich an Cazalla dafür rächen, dass er seinen Sohn tötete.

Doch kaum hat die „Cassandra“ Hispaniola und Tortuga passiert, um nach Süden zu segeln, zwingt ein riesiges spanisches Kriegsschiff sie zum Beidrehen: Cazalla. Dass sie harmlose englische Seeleute auf der Suche nach Bluthölzern seien, nimmt er ihnen nicht ab und setzt alle gefangen. Er nimmt die „Cassandra“ ins Schlepp und kehrt nach Punta Manzaneros zurück. Doch er hat einen Mann übersehen: Sans Son. Dieser kommt nachts aus seinem Versteck und macht sich an sein blutiges Werk.

Der Angriff

Wenige Stunden später sind die Gefangenen befreit, etliche Wachen tot und die „Cassandra“ segelt wieder von dannen. Doch wie lange dauert es, bis Cazalla die Veränderung bemerkt? Sicher nur wenige Stunden. In dieser Zeit gelingt es Hunter, sich und sein Spezialisten-Team auf der abgewandten Landseite von Punta Manzaneras absetzen zu lassen. Dann bringt sich die „Cassandra“ in Sicherheit; sie wird in vier Tagen zurückkehren, um die erfolgreichen Beutejäger abzuholen.

Der nächste Schritt besteht in einer gefährlichen Kletterpartie eine steile Felswand empor, die das eine Ende eines Vulkankessels bildet. Ein Unwetter erschwert die Bedingungen beträchtlich. Von der Spitze der Klippe, wo Hunter mehr tot als lebendig ankommt, macht sich der kleine Trupp zur Festung auf. Dort teilen sie sich auf, und Hunter und Don Diego begeben sich in das Munitionsdepot. Außerdem manipulieren sie die Kanonen so, dass sie beim Abfeuern explodieren.

Doch Hunter hat auch eine Frau schreien hören und sucht sie neugierig. Er stößt auf eine Engländerin, die sich als Nichte von Gouverneur James Almond entpuppt. Er muss sie natürlich retten, selbst wenn die Zeit knapp wird. Cazalla erwacht von der Stille: Seine Wachen wurden alle getötet und rufen folglich keine Parolen. Die Sorge um sein Goldschiff, das Hunter schon erobert hat, treibt ihn ins Freie. Er erspäht wütend seinen Erzfeind, Hunter, der seine weibliche Beute entführt, und zieht seinen Degen, um sich ein Fechtduell mit ihm zu liefern …

Mein Eindruck

Dass dies ein Buch von Michael Crichton ist, merkt man praktisch gar nicht. Es könnte sich genauso gut um eines von Ken Follett, Bernard Cornwell oder einem anderen Spezialisten für historische Abenteuer handeln. Ganz klar ist der thematische Aufhänger für die Story die immens erfolgreiche Film-Trilogie um den „Fluch der Karibik“ – Teil zwei spielte über eine Milliarde Dollar ein.

„Fluch der Karibik“ reloaded?

Crichton versuchte in seiner Story – möglicherweise war dies sein letzter Roman – offenbar daran anzuknüpfen, zog sie aber ein wenig anders auf. Statt eine Crew verfluchter Geister-Piraten gegen die Sterblichen antreten zu lassen, dreht sich seine Geschichte um die Erbeutung eines Goldschiffes durch handverlesene Spezialisten – und vor allem um die daraus resultierenden Konsequenzen. Denn wer Gold erbeutet hat, muss erst mal versuchen, es auch zu behalten. Charles Hunter muss einsehen, dass dies gar nicht so einfach ist.

Um der Verfolgung durch Cazallas Stellvertreter Bosqué – dessen Chef den Löffel abgegeben hat – zu entgehen, trennen sich Hunter auf der Galeone und Sans Son auf der „Cassandra“, mit jeweils der Hälfte der Beute. Hunter gerät in ein Seegefecht mit Bosqués imposantem Schlachtschiff – und behält durch eine geniale Erfindung die Oberhand. Danach gerät er auf eine Kannibaleninsel, wo sich auch prompt die befreite Gouverneursnichte Sara Almond auf Abwege begibt und beinahe im Kochtopf landet. Dabei kommt es nicht mal zu einem Techtelmechtel mit Hunter, um ihn für ihre Befreiung zu entschädigen. Zu guter Letzt muss seine Galeone den Angriff eines Riesenkraken überstehen.

Das dicke Ende

Dass ihm besonders diese Episode niemand glauben wird, sieht er ganz richtig. Robert Hacklett, der in Port Royal Sir James gefangen genommen und abgesetzt hat, stellt Hunter als Pirat vor Gericht. Sein Hintergedanke ist zweifach: Hacklett und die Mitglieder seines Tribunals wollen sich die fette Beute unter den Nagel reißen. Und Hacklett als Richter bestraft Hunter unter anderem auch dafür, dass er seiner Frau Emily ein Kind gemacht hat (Hacklett ist offenbar impotent).

Der zum Tode Verurteilte wird natürlich von Sir James‘ Leuten befreit, wobei sich das zur Kurtisane gemauserte Hausmädchen Anne Sharpe von mutiger Listigkeit erweist. Im Laufe von Hunters Rachefeldzug sterben fast alle Mitglieder des fiesen Tribunals. Der Showdown mit Hacklett bildet das Finale, in dem auch dessen Frau Emily noch ein Wörtchen mitzureden hat. Überhaupt treten Frauenfiguren in dieser Geschichte ebenso selbstbewusst, tatkräftig und mitunter boshaft auf.

Ich könnte mir eine Verfilmung sehr gut vorstellen. Allerdings ist dies ein Erwachsenenabenteuer, in dem Sex und Brutalität eine große Rolle spielen. Disney dürfte deshalb als Finanzier ausfallen. Aber wer auf Sex und Gewalt steht, sollte sowieso gleich zum unzensierten und ungekürzten Buch greifen. Man kommt sicherlich auf seine Kosten, besonders, sobald es im Taschenbuch verfügbar wird.

Der Sprecher

Hannes Jaenicke hat eine tiefe, wenn auch nicht sonore Stimme. Damit kann er männliche Figuren kompetent darstellen, was ihm aber bei weiblichen Figuren weniger überzeugend gelingt. Die Frauen klingen alle gleich, mal mehr, mal weniger laut. Ausgezeichnet gefiel mir jedenfalls die Verführungsszene zwischen Hunter und Emily Hacklett – da kommt Laune auf.

Wichtiger für die Dramatik und Emotionalität der Handlung ist jedoch Jaenickes Ausdruck von Gefühlsregungen. Hier hapert es aber gewaltig, denn Jaenicke ist offenbar ein Anhänger der Theorie, durch ruhigen, gleichmäßigen Vortrag hinter der Geschichte zurückzutreten. Das klappt zwar in ruhigen Szenen und spannenden Passagen ganz gut, wirkt aber in dramatischen Szenen fehl am Platze. Selten einmal hört man ihn rufen, etwas häufiger hingegen heiser flüstern. (Es gibt sogar eine extra Figur dafür, die „Whisper“ heißt.)

Seltsamerweise sind es vor allem die Bösewichte, bei denen er sich engagiert: So wird Cazalla richtig freundlich, um hinterlistig zu wirken, bevor er böse wird. Und auch Robert Hacklett, zunächst noch empört, tritt im Tribunal geradezu zuvorkommend auf, was ihm als zwielichtiger Günstling am Hofe sicher leichtfällt. Und selbst Sans Son, der Verräter, tritt als ehrliche Haut auf, so dass der aufrichtige Hunter als Verbrecher dasteht. Leider gibt Hunter eine denkbar jämmerliche Figur ab, denn er hält lieber die Klappe, als sich weiter in die Bredouille zu plappern. Er ist eben ein Mann der Tat. Dennoch schwächt seine Haltung die Sympathie und Identifikation des Hörers mit ihm ganz erheblich.

Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, ist die zuvor so unschuldig und schutzbedürftig auftretende Sara Almond: Sie spielt den Brutus und verrät Hunter ebenfalls, denn kein anderer als Hacklett hat sie dazu genötigt (er hat ja ihren Vater in seiner Gewalt). Diese Gerichtsszene ist von Jaenicke mit großer Umsicht und Sorgfalt gestaltet, so dass keinerlei Verwirrung aufkommen kann.

Da es weder Musikuntermalung noch Geräusche gibt, brauche ich darüber kein Wort verlieren.

Unterm Strich

Michael Crichton erweist sich auch hier als einfallsreicher Nachahmer von Erfolgsmustern. Offensichtlich lieferte „Fluch der Karibik“ die Folie, vor der sein Spektakel eines Piratenüberfalls mit allen Schikanen abläuft. Dies wiederum erinnert an die Piratenabenteuer der 1930er (Errol Flynn) und 1950er Jahre (die Franzosen).

Crichton zieht sein Abenteuergarn zunächst wie einen sauber geplanten, aber wagemutigen Banküberfall auf. Doch danach bedient er die üblichen Klischees: die obligatorische Seeschlacht – furios inszeniert -, Kannibalenüberfälle und der Angriff eines Riesenkraken. Als Hunter in der Todeszelle von Port Royal landet, scheint wie üblich alles verloren.

Dieser Tiefpunkt gehört einfach zum vierten Akt jedes Dramas, denn dadurch wird das triumphale Finale mit umso mehr Erleichterung und Begeisterung begrüßt und durchlebt. Schade, dass hier Romantik praktisch kaum eine Rolle spielt, denn man würde Hunter dann schon die eine oder andere Lady seines Herzens gönnen.

Das Hörbuch

Hannes Jaenicke hält sich an die Maxime, durch ruhigen und konstanten Vortrag allmählich hinter der Geschichte und den Figuren zu verschwinden. Das klappt auch sehr gut in ruhigen Passagen, wo etwa auch Verführung eine Rolle spielt. Allerdings hätte ich mir in dramatischen Passagen etwas mehr Emotionalität gewünscht, ganz besonders von Hunter, der irgendwie zu lahmarschig und unterkühlt wirkt, um das Geschehen zu beeinflussen.

Manchmal ist auch Hunter ratlos und verwirrt, also ein Mensch, doch von einem Kapitän wird mehr Initiative und Autorität erwartet. Dass er vor dem Tribunal so schlecht abschneidet, ist jedoch die Absicht der Autors: Dadurch wird Hunters späterer Triumph umso gerechtfertigter und größer. Von einem anderen Sprecher mit Verve vorgetragen, hätte mich die heiße Story durchaus packen und begeistern können. Ich könnte mir Johannes Steck gut als Alternative vorstellen.

CD: 447 Minuten auf 6 CDs
Originaltitel: Pirate Latitudes, 2009
Aus dem US-Englischen übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
ISBN-13: 9783866049833

https://www.penguinrandomhouse.de/Verlag/Random-House-Audio/21000.rhd

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