Meyer, Kai / Maetz, Stefan / Berling, Simon / Hagitte, Christian – Vatikan-Verschwörung, Die

_Der Herr der Einfälle …_

wurde Kai Meyer dereinst von |Sat.1| betitelt, und an Einfällen scheint es dem umtriebigen Federschwinger beileibe nicht zu mangeln, betrachtet man seine muskulöse Bibliographie, die seit 1993 auf über 40 Romane herangewachsen ist, die zusätzlich Hörspiele, Hörbücher und zwei Drehbücher für zwei Filme enthält. Da ich hier nur einen unbefriedigend kleinen Ausschnitt aus Meyers Schaffen beleuchten könnte, lasse ich den Versuch hiermit vollends bleiben und widme mich stattdessen der „Vatikan-Verschwörung“, einer High-End-Hörspieladaption des Romans „Das Haus des Daedalus“.

_Kirchen, Kunst und Killerkardinäle._

Zumindest für die ersten beiden ist Rom bekannt, weshalb Kunstdetektiv Jupiter seinem Job dort in einer alten Kirche nachgeht. Er nutzt die Gelegenheit, um Coralina wiederzutreffen, und da sie keine 15 Jahre mehr alt ist, kann er sich endlich eingestehen, wie hübsch sie ist. Außerdem ist sie selbst zu einer erwachsenen Kennerin des Kunstgewerbes herangewachsen, wie Jupiter spätestens dann feststellen muss, als sie ihm in besagter Kirche einen fantastischen Fund offenbart: 16 Druckplatten, Grundlage für die morbiden „Carceri“-Motive des Künstlers Piranesi. Aber damit nicht genug: Coralina hat eine 17. Druckplatte gefunden, von deren Existenz die gesamte Kunstwelt keine Ahnung hat. Ehe Coralina damit auf illegale Weise ihre knappe Kasse füllen kann, wird sie zusammen mit Jupiter in einen Strudel des Geheimnisvollen gerissen:

Polizei und hohe Würdenträger der Kirche versperren den Zugang zur Kirche, in der Coralina die 16 Platten des Piranesi gefunden hat, aber ehe die beiden unauffällig von dannen ziehen können, fällt ihnen der Straßenkünstler Cristofero ins Auge: Der hockt nämlich seelenruhig auf der Straße und hat ein genaues Abbild der 17. Druckplatte angefertigt! Schnell versuchen sie den Straßenmaler in Sicherheit zu bringen, dumm nur, dass sie dabei vom zwielichtigen Kirchenmann Landini beobachtet wurden.

Ab diesem Zeitpunkt werden Jupiter und Coralina gejagt, entführt und gefoltert, sie dringen in das Herz des Vatikan vor, enthüllen dort interne Zerwürfnisse und schreckliche Geheimnisse, von denen das Geheimnis um die 17 Kupferplatten des Piranesi das beunruhigendste ist, wie sie bald am eigenen Leib erfahren müssen …

_Warum isset im Vatikan so schön?_

Das möchte man fragen, wenn einem der Rahmen der Story ins Auge hüpft. Geheimbünde, Geheimnisse, fiese Folterer im Namen der Kirche, Verschwörungen und Unerklärliches, das alles in den Mixer und gut durchgemanscht. Na, das hatten wir doch schon. Aber halt: Man darf dabei nicht vergessen, dass „Die Vatikan-Verschwörung“ bereits 2000 erschienen ist, unter dem Titel „Das Haus des Daedalus“! Meyer in diesem Zusammenhang Trittbrettfahrerei nachzusagen, wäre daher unfair und schlicht falsch; die große Welle startete in Deutschland erst 2003 mit Dan Browns „Illuminati“.

Ich allerdings habe die Story eben 2007 gehört, zugebombt und gemästet mit diesem Sujet, und das macht es mir verdammt schwer, einen objektiven Eindruck über „Die Vatikan-Verschwörung“ zu äußern. Angefangen hat es überaus atmosphärisch und spannend: Kunstdetektiv Jupiter, herrlich gesprochen von Andreas Fröhlich (u. A. Edward Norton und „Gollum“), führt den Hörer mit seiner angenehmen Stimme in die Story hinein, in der gleich zu Beginn subtile Anzeichen eine mysteriöse Stimmung erzeugen: So regt sich Jupiter darüber auf, dass in Rom nicht mehr alles dort zu sein scheint, wo es sein sollte, und löst mit diesem Eindruck auch bei eingefleischten Einheimischen unbehagliche Zustimmung aus …

Aber auch so entwickelt sich die Story dicht und mitreißend: Hintergrundinfos über Coralina und Jupiter fließen locker in den Spannungsaufbau ein, ohne ihn zu behindern. Als die Druckplatten von Piranesi entdeckt werden, gestaltet sich die Informationssuche der beiden Protagonisten als spannende Schnitzeljagd, die von Verfolgern geprägt ist, von Gefahren und zweifelhaften Verbündeten – schon zu Beginn zeichnet sich ab, dass es sich bei den Druckplatten nicht nur um ein unschätzbar wertvolles Kunstwerk handelt!

Und Meyer setzt der dichten Atmosphäre noch einen drauf: Zwischen den Szenen bollert immer wieder eine herrlich rumpelige Tonbandaufnahme aus den Boxen, auf der Unbekannte mit ängstlichen Stimmen eine Art Expeditionstagebuch führen. Dass die Luft immer schlechter wird, sagen sie, dass ihnen der Abstieg zunehmend körperliche Mühen bereitet und irgendwann übertönen überaus beunruhigende Geräusche die ängstlichen Rufe der Sprechenden … Und genau das fixt den Hörer an und unterstreicht, dass Jupiter und Coralina auf etwas sehr Unheimliches gestoßen sind.

_Flotte Fahrt zu fadem Finale._

Das Problem bei der Sache ist und bleibt allerdings, dass sich für den übersättigten Kirchenthrillerfreund so manche Enthüllung recht unspektakulär anfühlt. Die besagten Geheimbünde sind nichts Neues, und dass Vertreter der Mutter Kirche über Leichen gehen, um Geheimnisse zu bewahren, ist beileibe kein schockierendes Attentat auf das moderne Weltbild mehr. Trotzdem fiebert man mit den beiden Protagonisten mit, denn wer Freund ist und wer Feind, das erkennt auch ein geschultes Thrillerauge (oder -ohr) nicht auf den ersten Blick.

So richtig bei der Stange halten einen allerdings das Geheimnis der 17 Druckplatten und das seltsame Tonband. Leider bekommt der Leser nicht die Antworten, die er sich wünscht – zumindest gilt das für mich. Als Jupiter und Coralina diesen Geheimnissen auf die Spur kommen und nebenbei noch das Rätsel um die seltsamen Ortsverschiebungen in Rom lüften, bleibt ein leicht fader Nachgeschmack. Oh, Fragen bleiben keine offen, aber dummerweise machen die Antworten fast neugieriger, als es die Fragen zu Beginn der Story getan haben. Und das ist für mich der entscheidende Kritikpunkt an der „Vatikan-Verschwörung“.

Dass die Story zu spät auf den Markt gekommen ist, dafür kann Meyer natürlich nichts, aber dass die „Vatikan-Verschwörung“ genau dort mit Ideen geizt, wo sie eigentlich so richtig hätte loslegen können, enttäuscht mich gewaltig. Meyer baut Spannung auf, reißt den Deckel von etwas wirklich Großem herunter, um ihn sofort wieder draufzuknallen, nachdem man einen unbefriedigend kurzen Blick hineingeworfen hat. Verschenktes Potenzial, ein Mystery-Häppchen, auf das kein Hauptgang kommt.

_Professionell angerichtetes Ohrenfest._

Das drückt „Die Vatikan-Verschwörung“ dann auf das Prädikat „unterhaltsam“ herunter. Spaß macht das Hörerlebnis nämlich allemal, die Figuren zeichnen sich zwar nicht durch unauslotbare Tiefen aus, sind aber vollkommen glaubwürdig und echt, die beiden Protagonisten sind sympathisch, die Gegner sind schön hinterhältig und böse. Der Spannungsaufbau ist sauber und der Informationsfluss ist es auch; Meyer hat ein solides Puzzle gebastelt, das man gemeinsam mit Coralina und Jupiter zusammensetzen darf. Es gibt Action, es gibt Fieslinge, es gibt Wendungen, Romantisches gibt es auch und historisch Interessantes sowieso.

Soundtechnisch ist das Ganze obendrein hochprofessionell umgesetzt worden: Bombastische Choräle und Kirchenmusik sorgen für Hollywood-Flair, die Spannungsmusik wurde exquisit ausgewählt und eingesetzt und Hintergrundgeräusche erwecken mit großer Liebe zum Detail römisches Flair, Kirchen- oder Höhlenstimmung.

Selbst Unterhaltungen werden überaus detailliert dargestellt, Stühle knarren, wenn jemand aufsteht, die Stimme des Aufgestandenen wird leiser, wenn er sich entfernt, verrückt sich im Stereobild in der Richtung, in die er unterwegs ist, und wird mit Schrittgeräuschen untermalt. Klasse! Die hervorragend ausgewählten Sprecher tun ihr Übriges, um das sprichwörtliche „Kino im Kopf“ entstehen zu lassen: Wenn Andreas Fröhlich zur Vernunft drängt, kann man das besorgte Gesicht von Julius beinahe sehen; ähnlich ergeht es einem mit Coralina, wenn Antje von der Ahe mit einem koketten kleinen Lachen Zustimmung signalisiert und gleichzeitig zeigt, wie jung und verspielt Coralina eigentlich noch ist. Keine Frage, hier haben absolute Profis den Figuren von Meyer Leben eingehaucht und sorgen für ein Hörerlebnis auf Hollywood-Niveau.

Für kurzweilige Unterhaltung sorgt die Vatikan-Verschwörung also unbedingt; ob man die B-Noten Abzüge verkraften kann, für das überstrapazierte Vatikan-Thema und das enttäuschende Finale, muss der geneigte Mystery-Freund aber selbst entscheiden. Ein Fehlkauf ist diese Doppel-CD aber bestimmt nicht.

|Originaltitel: Das Haus des Daedalus, 2000
158 Minuten auf 2 CDs|
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