Diski, Jenny – Regenwald

_Auf dem Wasser stehen: Selbstfindung einer jungen Frau_

Eine junge Frau findet zu sich selbst, wobei sich ihr rationales Denken mit der ‚irrationalen‘ Natur auseinandersetzen muss. – Dies ist der zweite Roman der britischen Autorin Jenny Diski, die mit dem sado-erotischen Roman „Küsse und Schläge“ Ende der 80er Jahre bekannt wurde.

_Handlung_

Auf den ersten Blick geht es in „Regenwald“ um alles andere als Sexualität. Die junge Wissenschaftlerin Mo arbeitet an einem ökologischen Projekt im Regenwald von Borneo. Die Ergebnisse ihrer Arbeit sollen für die Klimakontrolle genutzt werden.

Als rational denkende Wissenschaftlerin fühlt sie sich herausgefordert, hinter dem Chaos von Wachsen und Wandel irgendeine Art von Gesetzmäßigkeit zu entdecken. Sie findet keine. Während Mo ihre Untersuchungsraster über den nassen Waldboden legt und Resultate in Tabellen einträgt, setzt sich der Regenwald – mit seiner Vitalität ein Symbol für die Macht der Natur an sich – am Rand von Mos Bewusstsein fest.

Wieder nach London zurückgekehrt, fühlt sich die selbstsichere junge Frau durch die sexuellen Avancen des neuen Dozenten Joe Yates zwar in Versuchung geführt, lehnt jedoch letzten Endes sein Angebot ab. Bald darauf verändert sich ihre nächste persönliche Umgebung, beispielsweise beginnt ihr verheirateter Kollege Liam ein Verhältnis mit einer seiner Studentinnen, und Mos Mutter enthüllt ihr, dass sie vom Verhältnis ihres verstorbenen Mannes (Mos Paps) zu einer anderen Frau stets gewusst habe.

Mo, die dieses Wissen jahrelang als geheime Verbindung zu ihrem geliebten Vater gehütet hatte, ist wie vor den Kopf geschlagen. Vater und Mutter sind plötzlich zwei andere Menschen geworden. Die Frage stellt sich ihr nun, was sie selbst ist in diesem Ozean des Wandels?

Fluchtartig in den Regenwald auf Borneo zurückgekehrt, sperrt Mo ihre Gedanken in den engen Rahmen ihrer Untersuchungsraster. Ihr labiles Gleichgewicht wird zerstört, als Joe Yates wieder auftaucht. Er stürzt sie zunächst in Zweifel über ihre eigene Arbeitsmethode und „nimmt“, als kein Protest erfolgt, dann sie selbst.

Als er zwei Tage später weiterzieht, ist Mos Welt aus den Fugen geraten – Mo verfällt, da sie nun ihre Arbeit mit anderen Augen betrachtet, zunächst in Verzweiflung, dann in tiefste Depressionen. Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus sucht sie sich eine Stelle als Putzfrau. Dinge an ihren Platz zu stellen, befriedigt ihr Bedürfnis nach Ordnung. Aus dieser Perspektive erzählt sie die Geschichte ihres früheren Ichs.

_Mein Eindruck_

Chaos und Ordnung, Natur und Kultur, Verstand und Lust, Vernunft und Wahnsinn – zwischen diesen Polen entspinnt sich die Erzählung von Mos Leben. Während die meisten von uns noch an die Allmacht der Wissenschaft glauben mögen, zeigt Jenny Diski den Menschen in seiner Verrücktheit: Indem er nämlich meinte, er mache sich die Natur untertan, verlor er den Kontakt zu ihr, den festen Standpunkt. Nicht mehr als Teil von ihr agierend, ist sein Untergang vorhersehbar, und keine Wissenschaft vermag dies abzuwenden.

Diski, nach ihrem Debütroman „Küsse und Schläge“ schon als Doris Lessings Nachfolgerin in der Rolle der Kassandra angesehen, hat ein zwar weniger bizarres, dafür jedoch umso provokativeres Buch geschrieben.

Dass uns die Sprachsensibilität der Autorin so erreicht, wie es in ihrer Absicht lag, ist das Verdienst der sehr guten Übersetzung von Bettina Runge.

|Taschenbuch: 220 Seiten
Aus dem Englischen übertragen von Bettina Runge
ISBN-13: 978-3453056756|
[www.heyne.de]http://www.heyne.de

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