Fructus, Nicolas – Thorinth 1: Der Narr ohne Namen

Debütarbeiten auf dem Comicmarkt sind jederzeit eine spannende Sache. Anders als nämlich im bevölkerten Belletristik-Segment lässt sich hier schon viel deutlicher die eigentliche Marschrichtung eines Autors ableiten und somit auch die ihm eigene Kreativität bzw. ein möglicher Hang zur Risikobereitschaft. Im Falle von Nicolas Fructus sind all diese positiven Attribute definitiv vorhanden. Seine erste Serie „Thorinth“ ist ein sehr eigenartiges Phantastik-Gebilde, das strukturell sehr unkonventionell aufgebaut ist und auch inhaltlich eine sehr eigenwillige Mischung aus Philosophie, Science-Fiction, Fantasy und actionreichem Drama abgibt. Oder etwas konkreter: Fructus begibt sich direkt mit seinem ersten Werk auf einen sehr innovativen Weg und gehört – so viel vorab – für seinen Wagemut auch belohnt!

_Inhalt_

Amodef, seines Zeichens Mitglied der Pellegren, die das menschliche Gehirn erforschen, plant den Bau eines gigantisches Turmes, in dessen Labyrinthen er fortan ungestört seiner Arbeit nachgehen kann. Doch die neidische Architektin Esiath missbraucht das Projekt für ihre eigenen Zwecke und treibt das Volk der Pellegren in den Abgrund, als sie einen Golem formt, der mit einem Schlag die Seelen aller Wissenschaftler in der näheren Umgebung aufsaugt – bis auf diejenige Asmodefs, der infolge dessen spurlos verschwindet.

Jahrzehnte später ist Thorinth das Zentrum des menschlichen Chaos‘: Verrückte und verwunschene Seelen werden hierhin verstoßen und gezwungen, sich der Herrschaft des aus dem Golem hervorgegangenen Narrenwächters unterzuordnen. Dieser wiederum wird von den Schnuffels kontrolliert, kleinen Wesen, die sich mit den Insassen verbündet haben, gegen die Ausbrüche des Wächters aber dennoch machtlos sind. Eines Tages dringt ein Mann in Thorinth ein und stellt das innere Gefüge komplett auf den Kopf. Auf der Suche nach seiner Frau Madalis Temroth gerät er mehrfach ins Abseits, erfährt aber immer wieder die Gnade des mutierten Golems. Dennoch soll er gerichtet werden, da die merkwürdigen Verhaltensweisen des Mannes von der Obrigkeit im Turm nicht länger geduldet werden …

_Persönlicher Eindruck_

Wow – hier reift etwas ganz Großes heran! Bereits die ersten Eindrücke dieses hierzulande mit arger Verspätung aufgelegten Fünfteilers („Thorinth“ wurde im Original schon 2002 veröffentlicht) sind gewaltig. Fructus hat hier in wenigen Zügen ein enorm weitreichendes Konzept erstellt, dessen philosophische Anteile hier hinter einem actionreichen Hauptstrang versteckt werden und sich dort mit einer unterschwelligen Gesellschaftskritik mischen, die hier in erster Linie den Missbrauch der Schöpfungsgeschichte betrifft. Doch nicht nur der Komplex im Allgemeinen, sondern auch die einzelnen Fragmenten der Handlung an sich sind sehr detailliert ausgearbeitet und bringen den Leser trotz der nicht abzusprechenden Vertracktheit der Erzählung ziemlich weich in die Geschichte um den Labyrinth-Turm hinein.

Dort wiederum mischen sich die verschiedenen Elemente aus Science-Fiction und Fantasy mit einem Dramen-Szenario à la „Running Man“, monströsen Szenarien im „Dune“-Style und Maskeraden, die auch einem George Lucas gut gefallen könnten. Fakt ist, die Szenerie ist kunterbunt, aber dennoch nicht überladen, weil Fructus das Ganze sehr zielorientiert vorantreibt, nur wenige Einschnitte zulässt und sich nach der ausführlichen Einleitung um das Schicksal Asmodefs nahezu ausschließlich auf die Geschichte des namenlosen Protagonisten konzentriert.

Dieser wiederum ist als Hauptfigur ähnlich ungewöhnlich wie die Handlung als solche, in seinem Vorgehen selten transparent, aber dabei von einer mythischen Aura umgeben, die einen nicht geringen Teil der Faszination einnimmt, die allgemein über „Thorinth“ schwebt. Diese sonderbare, kaum greifbare Atmosphäre, das andersartige, beklemmende Setting, die merkwürdigen inhaltlichen Umbrüche und überhaupt so viele einzelne Aspekte ergeben in ihrer kombinierten Form etwas Außergewöhnliches, dem man schon zum Debüt anmerkt, dass sein Potenzial selbst über das Überdurchschnittliche hinausgeht. Zwar erfüllt „Der Narr ohne Namen“ gewissermaßen auch erst mal nur den Part eines klassischen Auftaktbandes, dies jedoch mit einer Präzision und Detailfülle, die zu diesem Zeitpunkt einer neuen Serie schon ungewöhnlich hoch ist.

Kurzum: Einen besseren Einstand in die Comic-Szene hätte sich Fructus kaum ermöglichen können. Umso dümmer also, dass erst sieben Jahre nach Erstveröffentlichung ein deutscher Vertrieb gefunden wurde – oder Gott sei Dank, wie man nun will …

|Originaltitel: Thorinth: Les fou sans nom
56 Farbseiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-86869-032-3|
http://www.splitter-verlag.de

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