Robert Rescue – Der Intimitätendieb

Robert Rescue ist Lesebühnenautor. Sein angestammtes Metier sind die kurzen, knackigen, pointierten Texte über Berlin (seine Wahlheimat), seinen Kiez (Wedding), das Leben und was es im Allgemeinen so für Fallstricke für einen bereithält. Diese Texte trägt er dann auch regelmäßig auf den Lesebühnen der Stadt vor, unter anderem als Mitglied der Brauseboys. Dass so einer irgendwann den Wunsch verspürt, sich auch an der längeren Form des Romans zu versuchen, ist vielleicht nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist eher, dass sich der Autor mit „Der Intimitätendieb“ in ein ziemlich artfremdes Genre vorgewagt hat – das der Fantasy nämlich.

Es geht um Hexen. Genauer gesagt, es geht um Hexen in Berlin. Und zwar nicht in erster Linie um die, die lange Röcke tragen und Heilsteine in Esoterikgeschäften kaufen (die kommen im Roman allerdings auch vor). Nein, es geht um waschechte Hexen, die teilweise schon ein paar Jahrhunderte auf dem Buckel haben. Sie können Menschen verhexen und ihren Erzfeinden eine fiese Migräne verpassen. Allerdings reiten sie nicht auf Besen und leben in ganz normalen Mietwohnungen. Das Gesetz der Anonymität gebietet jedoch, keinen Namen auf dem Klingelschild zu haben und keinen Kontakt zu Nicht-Hexen zu pflegen. Dieses Gesetz wird zwar von den meisten Hexen zumindest teilweise missachtet, doch die Berliner Oberhexe Mathilda warnt immer wieder vor den Gefahren einer neuen Inquisition – schließlich hat sie die im Mittelalter mitgemacht. Und sie soll recht behalten, denn plötzlich werden Hexen ermordet und es gilt herauszufinden, wer dahinter steckt.

Diese Aufgabe fällt der jungen Hexe in Ausbildung Tasha Me quasi unverhofft in den Schoß. Plötzlich wird sie von Mathilda darauf angesetzt, dem Mörder auf die Spur zu kommen. Allerdings lässt ihr kriminalistischer Spürsinn etwas zu wünschen übrig und überhaupt ist sie eher an der Fehde mit ihrer Ausbilderin interessiert … und so braucht Tasha Me die Unterstützung einer ganzen Reihe skurriler Charaktere, bis sie dem Mörder endlich auf den Fersen ist.

Und wer ist nun der titelgebende Intimitätendieb? Nicht etwa der Bösewicht des Romans, wie man vielleicht vermuten würde. O nein. Der Intimitätendieb ist Hakim, ein irgendwie sympathischer Kleinkrimineller, der sich auf den Diebstahl von Geheimnissen spezialisiert hat, um diese dem Bestohlenen gegen Geld wieder zukommen zu lassen. Er ist mit Tasha Me befreundet und wurde von Mathilda mit einem ziemlich unangenehmen Fluch belegt. Auch er wird in das ganze Schlamassel um die ermordeten Hexen mit hineingezogen und das, obwohl er selbst auch mit einem nicht unerheblichen Problem zu kämpfen hat.

„Der Intimitätendieb“ strotzt nur so vor guten Ideen, skurrilen Einfällen und absurden Szenen. Robert Rescue lässt seinen Roman in einem Berlin spielen, das man zwar wiedererkennt, das aber trotzdem leicht verfremdet daherkommt. Ein zentraler Punkt der Handlung ist die temporäre Kneipe, in der Hakim seine zweifelhaften Geschäfte abwickelt. Die temporäte Kneipe kann überall sein – man öffnet einfach eine beliebige Kneipentür und nimmt sich fest vor, stattdessen die temporäre Kneipe zu betreten. Wie jede andere Kneipe auch hat sie so ihre Stammgäste, z. B. den Prinzipgast (was für ein herrlicher Begriff!), bei dem der Wirt Chat annimmt, dass die Kneipe schlicht verschwindet, sollte er jemals bezahlen und gehen. Allerdings sieht sie für jeden Gast auch ein bisschen anders aus – mal schick und modern, mal abgeranzt und finster.

Und während man noch staunt über solche – im wahrsten Sinne des Wortes – fantastischen Ideen, bombardiert dieser Rescue einen immer weiter mit tollen Einfällen. So lässt er einen Charakter auftreten, der Hölderlein heißt (oder vielleicht doch Hölderlin?), seine Bösewichte stehlen ihren Opfern die Seelen, eine abtrünnige Hexe namens Sabrina AufDemZaun hat ein Enthüllungsbuch über die Hexen in Berlin geschrieben, gegen Ende des Romans macht ein Zombie die Straßen Berlins unsicher und auf einem heruntergekommenen Dachboden haust inmitten von antiquarischen Schätzen der geheimnisvolle Thaddäus Harms. Es passiert viel in diesem Roman und es passiert einer ziemlich großen Anzahl von Figuren. Trotzdem verliert Robert Rescue nie den Faden: Der Roman ist dicht und schlank konstruiert. Es findet sich nirgends Ballast, was den Roman auf der einen Seite zu einem unglaublich kurzweiligen Vergnügen macht, auf der anderen Seite aber auch dazu führt, dass man eigentlich sofort Lust auf mehr hat, sobald man das Buch ausgelesen hat. Man möchte wissen, in welches Abenteuer Tasha Me als nächstes stolpert und ob Harms wieder in Schweigen verfällt. Man möchte wissen, ob Hakim weiter mit Intimitäten handelt oder sich auf eine andere Masche verlegt, um Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Und man möchte wissen, ob es Kommissar Brückmann nicht doch weiter zu den Hexen hinzieht.

„Der Intimitätendieb“ ist ein Roman für Leute, die Berlin kennen. Sie werden bei der Lektüre oftmals schmunzeln müssen. Es ist ein Roman für Leute, die noch nie in Berlin waren, denn sie werden sofort ein Zugticket lösen wollen, um die Stadt mit den Augen von Robert Rescue zu sehen. Es ist ein Roman für Fantasy-Fans, denn es geht um Hexen und allerlei andere seltsame Wesen. Es ist ein Roman für Leser, die sonst nichts mit Fantasy am Hut haben, denn die Fantasyelemente sind kein Selbstzweck, sondern ordnen sich immer der Geschichte unter. Und schlussendlich ist es ein Roman für alle, die es skurril und witzig, kurzweilig und abgefahren mögen. Und das sind doch eigentlich die meisten, oder?

Taschenbuch: 244 Seiten
ISBN 13:978-3943876680
periplaneta.com
robertrescue-wordpress.com

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