Eigentlich ist der Königinnentag in Holland ein Feiertag, doch während ganz Amsterdam feiert, irrt ein vierzehnjähriger Junge im Dunkeln durch einen Park und hat Angst. Er weiß, dass er etwas gesehen hat, das er nicht hätte sehen dürfen, und nun ahnt er, dass ihn etwas Gefährliches verfolgt. Und richtig, es dauert nicht lange, bis er Schritte hinter sich hört und weiß, dass es nun zu Ende ist für ihn. Einen Tag später wird der Junge ermordet aufgefunden. Aber es ist nicht nur irgendein Mord, den Commissaris Bruno van Leeuwen aufzuklären hat, dieser Mord setzt neue Maßstäbe: Dem Jungen ist nämlich der Kiefer aufgestemmt und das Gehirn entfernt worden. Bruno van Leeuwen ist eigentlich nicht schnell zu erschrecken, hat er doch schon viel erlebt in seiner Laufbahn als Kommissar, doch diese brutale Tat lässt ihm das Blut in den Adern gefrieren.
Langsam tastet er sich näher, er verhört Zeugen und befragt die Freunde des ermordeten Jungen, die am Tatabend eigentlich verabredet waren, doch haben die Freunde vergeblich warten müssen. Viele Hinweise sind es allerdings nicht, die van Leeuwen zur Verfügung stehen, doch das Schicksal ist auf seiner Seite: Während er eines Abends durch die Straßen Amsterdams irrt, entdeckt er ein junges Mädchen, das auf der Suche ist nach einem Mann, mit dem sie die Nacht oder auch nur eine Stunde verbringen kann. Van Leeuwen quartiert es einfach in einem Hotel ein, kann aber noch nicht ahnen, dass genau dieses Mädchen einen wichtigen Hinweis für ihn parat hat.
Aber der Mordfall ist nicht die einzige Sorge, die Bruno van Leeuwen plagt, denn seine geliebte Frau Simone ist schwer krank, sie hat keine Erinnerungen mehr und ist den ganzen Tag auf Pflege angewiesen. Doch mitten in den Ermittlungen weigert sich die Pflegerin, weiterhin den ganzen Tag bis spätabends bei Simone zu bleiben, weil Bruno nie pünktlich nach Hause kommt, um sich selbst um seine Frau zu kümmern. Er ist verzweifelt, zumal es nicht lange dauert, bis er vor die Wahl gestellt wird: entweder seine Frau oder sein Job. Da er Simone immer noch über alles liebt, fällt ihm die Wahl nicht schwer – bis ein weiterer, noch grausamerer Mord geschieht und van Leeuwen Dinge aus Simones Vergangenheit herausfindet, von denen er lieber nichts gewusst hätte …
Claus Cornelis Fischer begnügt sich nicht einfach damit, einen spannenden Kriminalfall zu schreiben, nein, er gibt seinem Kommissar so viel Profil, dass er schon als tragischere Figur erscheint, als es ein Kurt Wallander jemals gewesen ist. Nach und nach kommt Bruno van Leeuwen den Geheimnissen des Mörders, aber auch den Geheimnissen seiner Ehefrau auf die Spur, und man weiß als Leser eigentlich nicht, was schlimmer ist: eine Frau, die viel zu verbergen hat, aber sich an ihre Geheimnisse nicht mehr erinnern kann und deswegen keine Aussprache mehr möglich ist oder ein brutaler Mörder, der seinen Opfern das Hirn entwendet. Dieses Buch ist folglich nichts für Warmduscher; man sollte sich schon warm anziehen, wenn man den ersten Fall dieses holländischen Kriminalkommissars zu lesen beginnt.
Was den vorliegenden Roman auszeichnet, ist die ausschmückende Sprache des Autors. Etwa die Hälfte des Umfangs verwendet er darauf, seine Charaktere von allen Seiten zu beleuchten, wir blicken mit Bruno van Leeuwen in die Vergangenheit, wir begeben uns an den Tag zurück, an dem er die schlimme Diagnose erfahren hat, wir durchleben die schwere Zeit mit, in der es Simone immer schlechter ging und sie es aber noch selbst bemerkt hat. Wir folgen auch jedem Gedanken des geplagten Ehegatten, der sich in seiner Fantasie oftmals ausmalt, wie es hätte kommen können, wenn Simone nicht krank geworden oder er selbst nicht so blind gewesen wäre. Manchmal gehen diese Tagträume allerdings so fließend in die Erzählung über und umgekehrt, dass man beim Lesen den Faden zu verlieren droht und den Gedanken nicht mehr so recht folgen kann. Claus Cornelius Fischer setzt seinen Schwerpunkt meiner Meinung nach etwas zu sehr auf die Figurenzeichnung und auf das tragische Familienleben des Kriminalkommissars. Klar, ich mag es auch, wenn die Charaktere an Profil gewinnen, wenn ein Autor erzählen und vor allem schön umschreiben kann, aber manchmal gerät der eigentliche Mordfall so sehr ins Hintertreffen, dass die Spannung arg absinkt und man ungeduldig die Seiten umblättert und auf den Moment wartet, wo es endlich wieder um die Ermittlungen geht.
Ein weiterer Minuspunkt ist die Konstruktion der gesamten Geschichte. Was sich Claus Cornelius Fischer da ausgedacht hat, ist zwar eine hochbrisante Tat mit spannendem Hintergrund, aber wie Bruno van Leeuwen dem Mörder schließlich auf die Spur kommt, ist mir persönlich mit zu vielen Zufällen verbunden. Immer wieder trifft er genau im richtigen Moment die richtige Person, die ihm netterweise den passenden Hinweis geben kann. Hier geraten van Leeuwens private Geschichte und seine beruflichen Ermittlungen zu sehr aneinander – was im Privatleben passiert, ist plötzlich das wichtige Aha-Erlebnis bei den Ermittlungen. Diese Schnittpunkte der beiden Handlungsstränge fügen sich allerdings nicht stimmig in die Geschichte ein, sondern sie werden so plump präsentiert, dass man den Eindruck gewinnt, dass der Autor sonst den Dreh nicht bekommen hätte.
Eigentlich schade, dass Claus Cornelius Fischer sich etwas in seiner Geschichte verfranst, denn sowohl sein Kommissar hat Potenzial als auch der Autor selbst, denn wenn man Fischer etwas zugute halten muss, dann, dass er sehr gut erzählen, Dinge beschreiben und Situationen so vortrefflich darstellen kann, dass man in der Geschichte versinkt. Nur leider versinkt man manchmal eben so sehr, dass man vergisst, hier einen Kriminalroman in den Händen zu halten. Was man Fischer für seinen hoffentlich nächsten Roman nur wünschen kann, ist, dass er die richtige Balance aus interessanter Rahmenhandlung und einem gelungenen Spannungsaufbau während der polizeilichen Ermittlungen findet; dann könnte der nächste Fall von Bruno van Leeuwen ein echter Leckerbissen und Lesegenuss für jeden Krimifan werden. Der erste Fall allerdings lässt leider noch ein paar Wünsche offen.
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