Der junge, leichtlebige Kalifornier Johnny Truant gerät an die hinterlassenen Schriften eines verstorbenen alten Mannes namens Zampano, der im gleichen Haus wie Johnnys Kumpel Lude wohnte. Es handelt sich um eine riesige Blättersammlung, die sich mit Analysen und Interviewabschriften zu einem Dokumentarfilm mit unheimlichen Ereignissen befasst, dem „Navidson Report“. Je mehr sich Truant in diese Schriften vertieft, desto stärker wird er selber von der erschreckenden Geschichte gefangen genommen, die sich ihm darbietet.
Der Pulitzer-Preisträger Will Navidson, ein Fotograf, zieht mit seiner Freundin Karen und ihren beiden Kindern Chad und Daisy in ein altes Haus in Virginia. Die Familie erhofft sich in der ruhigen Gegend eine ländliche Idylle. Bald stellt sich heraus, dass mit dem Haus etwas nicht stimmt – denn seine Maße ergeben, dass es innen größer sein muss als außen. Das Haus scheint ein Eigenleben zu führen, es lässt Gegenstände verschwinden und verändert seine Räumlichkeiten. Navidson ruft seinen Zwillingsbruder Tom zu Hilfe und installiert Kameras, welche die Vorkommnisse dokumentieren sollen.
Wie aus dem Nichts erscheint plötzlich ein Flur, von dem niemand weiß, wohin er in die Dunkelheit führt. Navidson ist besessen von dem Gedanken, das Haus zu erforschen. Gemeinsam mit ein paar Höhlenforschern steigt er in die labyrinthische Tiefe des Korridors hinab, immer mit Kameras ausgestattet, die alles festhalten, was ihnen geschieht. Navidson und seinen Freunden steht ein Grauen bevor, das ihr aller Leben für immer verändern wird …
Ein Buch im Buch im Buch – das ist die äußerst komplexe Form, die Mark Danieleswki für seinen Kultroman, der sieben Jahre nach seinem Erscheinen in den USA nun auch in Deutschland veröffentlicht wurde, wählt. Auf (mindestens) drei Ebenen erzählt das Werk die Geschichte des Fotografen Will Navidson, zusammengestellt vom verstorbenen Zampano und überarbeitet von Johnny Truant.
|Außergewöhnliche Form|
Schon ein flüchtiges Durchblättern dieses Mammutwälzers, der trotz DIN-A-4-Format immer noch knapp 800 Seiten umfasst, zeigt, worin seine Besonderheit liegt. Es handelt sich um ein Sammelsurium verschiedener Schrifttypen und unkonventioneller Anordnungen, gespickt mit ausschweifenden Fußnoten, um den Charakter so authentisch wie möglich zu halten. Den äußeren Rahmen bildet Johnny Truants Geschichte aus der Ich-Perspektive. Er berichtet vom Fund der Schriften und kommentiert zwischendurch abschnittweise das Manuskript – und wird hin und wieder von den Herausgebern wiederum selber noch kurz kommentiert. Dem Leser werden Abhandlungen aus Interviews, Briefe, Zitate aus Sekundärliteratur und Zeitungsartikel präsentiert, fein säuberlich mit Angaben von Verfasser und Datum.
Hin und wieder stößt man auf Auslassungen im Text, die beispielsweise damit erklärt werden, dass durch Truants Verschulden manche Passagen durch Tinte geschwärzt und unleserlich wurden, oder Durchstreichungen und Korrekturen. Im Anhang sind Skizzen und Fotos beigefügt, um den Eindruck der Geschichte zu vervollständigen und sogar prominente Zeitgenossen wie Anne Rice, Stephen King, Stanley Kubrick oder Jacques Derrida melden sich angeblich zu Wort und kommentieren (fiktiv) den „Navidson-Report“, jeder in einem für sich typischen Tonfall. Erinnerungen werden wach an den Pseudo-Dokumentarfilm „Blair Witch Project“, der bei ahnungslosen Zuschauern den Eindruck einer echten Hexenjagd mit mörderischen Folgen erweckte und auch „Das Haus“ könnte uneingeweihten Lesern beinah als Tatsachenwerk verkauft werden.
|Subtiles Grauen|
Bücher über Spukhäuser gibt es zuhauf, allerdings nicht in dieser unkonventionellen Form. Wichtig ist vor allem, dass der Schrecken des Hauses und seine Ursachen hier bis zum Schluss kaum beleuchtet werden. Der Leser erfährt zwar, dass das Haus unheilvolle Veränderungen an den Menschen bewirkt und dass manch einer in seinen Tiefen verschollen bleibt, doch es gibt keine Monster, keinen greifbaren Schrecken. Es ist unklar, was das Haus eigentlich will und was es macht, was bleibt, sind die Resultate. Da ist der joviale Tom, den das Haus nach jahrelangem Kontaktabbruch wieder mit seinem Bruder zusammenführt und der seinen Einsatz für Will Navidson teuer bezahlen muss. Da ist Karen, die unter der Besessenheit ihres Freundes leidet und sich von ihm zurückzieht. Da ist der Expeditionstrupp mit dem Forscher Holloway Roberts, dem schüchternen Jed Leeder und dem abenteuerlustigen Bergsteiger Wax Hook, der zerstört wieder zurückkehrt, einer von ihnen dem Wahn verfallen und im Haus verschollen, ein anderer tot, der dritte verletzt.
Selbst Johnny Truant wird über das Manuskript hinweg in den Sog des Hauses hineingerissen. Zu Beginn ist er ein leicht abgewrackter Tattoo-Zeichner, dessen Alltag vorwiegend aus Drogen und Sex besteht. In schnodderigem Tonfall und mit grammatischen Fehlern durchflochten erzählt er sein halbseidenes Leben, das durch den Manuskriptfund auf den Kopf gestellt wird. Vor allem das Ende mit den angefügten Briefen von Johnnys Mutter, aber auch Johnnys seitenweise Abschweifungen, die sich hinterher als Lügengespinst entpuppen, fordern den Leser heraus, sich seine eigene Interpretation zu bilden. Wahrheit und Fiktion fließen ineinander, weder der verstorbene Zampano noch der unstete Johnny sind zuverlässige Herausgeber und es darf munter spekuliert werden, wie viele ihrer Hinterlassenschaften erlogen oder einem wirren Verstand zuzuschreiben sind.
|Schwere Lektüre|
Man ahnt es bereits beim Anblick des Buches: Hier ist Durchhaltevermögen gefragt. Ohne Frage hat Danielewski ein anspruchsvolles Werk erschaffen, das sowohl vom Umfang als auch vom Inhalt mehr als opulent geworden ist. Der Autor jongliert mit der Sprache, dass Ullysses-Fans das Herz aufgeht, bringt Mythen und visuelle Spielereien hinein, etwa Querverbindungen zur Sage von König Minos und dem Ariadnefaden oder zu geometrischen Formen angeordnete Textspalten und Rückwärtsschrift. Das Analysematerial für den Leser ist enorm, allerdings auch anstrengend zu bewältigen. Nur wenige Sequenzen sind wirklich spannend, beispielsweise wenn die Expedition im Haus in akute Gefahr gerät oder Tom sich alleine im Zelt verschanzt und tagelang nur per Funk mit seinem Bruder und Karen kommuniziert, während sein Verstand auf eine harte Probe gestellt wird. Diese Szenen können jedoch nicht die vielen Längen, die durch ausufernde Fußnoten und Johnnys Schwafeleien entstehen, ausgleichen. Will man das Buch konsequent vollständig lesen, muss man etliche Längen in Kauf nehmen, die gewiss so manchen Leser verprellen werden. „Das Haus“ ist ein Kunstwerk voller Originalität, aber alles andere als eine konsumfreudige Schöpfung. Die eigentliche Handlung lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen, und hat man sich erst einmal an die merkwürdige Form gewöhnt, verliert sich der Reiz des Buches ein wenig. Ein weiteres Manko ist das Fehlen einer durchgängigen Bezugsperson, mit der sich der Leser identifizieren kann. Weder der obsessive Navidson noch der oberflächliche, auf Sex und Drogen versessene Johnny eignen sich dazu, die restlichen Personen kommen entweder früh um oder werden nicht intensiv genug dargestellt.
_Als Fazit_ bleibt ein äußerst komplexes Werk mit mehreren Ebenen, das sich bis in ellenlange Fußnoten hinein als Dokumentation präsentiert und sich um ein Haus voller gefährlicher Mysterien dreht. Wahrheit, Lüge und Einbildung verschwimmen ineinander und öffnen den Raum für mannigfaltige Spekulationen beim Leser, zu kurz kommen allerdings Spannung und Identifizierung mit den Charakteren. Ein schwer zu konsumierendes und gleichzeitig höchst originelles Buch für geduldige Leser.
_Der Autor_ Mark Z. Danielewski, Jahrgang 1966, ist Sohn eines polnischen Filmregisseurs. Er studierte Englische Literatur in Yale und arbeitete danach im Film- und Verlagswesen. An seinem Debütwerk „Das Haus“ arbeitete er zehn Jahre lang, ehe es 2000 in den USA erschien und dort schnell zum Kultroman aufstieg. Sein zweites Buch, „Only Revolutions“, ist bisher nicht auf Deutsch erscheinen.
http://www.hobbitpresse.de
http://www.danielewski.de/
|Ergänzend dazu:|
[Bericht zur Lesung und erste Eindrücke zum Autor und seinem Werk]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=84