Robert E. Howard – Die Kreatur (Gruselkabinett 86)

Unheil über der Stadt: Wer lässt kleine Kinder verschwinden?

Eine Kleinstadt in den Südstaaten der USA 1935: Die Suche nach Bozo, dem spurlos verschwundenen Malteser Kater seiner Freundin Marjory, lässt den jungen Michael Strang in der Dämmerung in einem einsam gelegenen Haus am Ende der Straße die Bekanntschaft des geheimnisvollen neuen Besitzers machen … (Verlagsinfo)

Der Autor

Der Texaner Robert E(rvin) Howard (1906-36) ist am besten bekannt als Schöpfer der Figur des mächtigen Kriegers Conan. Der Brieffreund von Howard Philips Lovecraft schuf aber in der Zeit der Großen Depression noch viele weitere Gestalten, allesamt Abenteurer und Outlaws, so etwa Bran Mak Morn, Solomon Kane (ein Pirat des 16. Jahrhunderts) und King Kull. Seine rund 160 Erzählungen für „Weird Tales“, die er ab 1925 veröffentlichte, umfassen neben Western, Piratengeschichten und dergleichen auch exzellente, vielfach abgedruckte Horrorgeschichten.

Durch seine Handhabung verschiedener Motive und Themen beeinflusste er die heroische Fantasy, insbesondere die Variante der Sword & Sorcery, im restlichen 20. Jahrhundert. Obwohl er weder Sword & Sorcery noch Heroic Fantasy erfand, etablierte er doch den diffusen Hintergrund eines Schauplatzes, der zwischen dem legendären Irland, prähistorischen Reichen wie Atlantis (bei Conan Hyperborea usw.) und dem alten Norwegen oszilliert. Von den nordischen Sagen (Islands Eddas) stammt möglicherweise der Fatalismus sowie die Verachtung für krankhaft wirkende Zivilisationen, die seine einzelgängerischen Helden an den Tag legen.

Jede Menge Zauberei schwingt in den Erzählungen mit, gewirkt von meist boshaften, egoistischen Magiern und Hexern beiderlei Geschlechts, denen der HELD sich entgegenstellen muss, um zu überleben. Hervorragende Kampffähigkeiten helfen ihm dabei, doch er gewährt selten Gnade. Er ist, wie gesagt, ein fatalistischer Einzelgänger, obwohl er Gefährten, die es verdienen, treu sein kann. Gegenüber Frauen ist der Barbarenkrieger oft rauh und zupackend, doch stets ohne Bösartigkeit.

Howards Artikel in der „Encyclopedia of Fantasy“, aus dem ich zitiert habe, umfasst nicht weniger als 4,5 Spalten, was für einen Unterhaltungsschriftsteller, der nur zwölf Jahre lang schrieb, erstaunlich viel ist. Der Grund für diese Länge ist die Aufzählung der ungeheuer vielen CONAN-Romane und -Erzählungen, die in Howards Nachfolge geschrieben wurden, sowie die Aufzählung von Howards anderen Werken, die der Artikel sonst nicht abdeckt. Herausgeber wie Lin Carter und L. Sprague de Camp ergänzten und veränderten Howards nachgelassene Manuskripte (genau wie viele von HPLs Manuskripten), so dass der Sammler aufpassen muss.

Der mittlerweile wohlhabende Autor erschoss sich im Alter von 30 Jahren, kurz vor Fertigstellung eines Romans, wohl aus Kummer über den Tod seiner Mutter. Die englische Wikipedia bietet zu REH einen umfassenden Artikel.

Howard-Titel im Gruselkabinett:

– Tauben aus der Hölle (Gruselkabinett 52)
– Der Grabhügel (Gruselkabinett 60)
– Besessen (Gruselkabinett 63)
– Schwarze Krallen (Gruselkabinett 70)

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher und ihre Rollen:

Manfred Lehmann: John Stark
Jannik Endemann: Michael Strang
Maximiliane Häcke: Marhory Ash
Traudel Haas: Mrs. Ash
Hasso Zorn: Sheriff

Marc Gruppe schrieb wie stets das Buch und gemeinsam mit Stephan Bosenius setzte er es um. Die Aufnahme fand im Fluxx Studio statt und wurde bei Kazuya abgemischt. Die Illustration stammt von Ertugrul Edirne.

Handlung

Eine Kleinstadt in den Südstaaten der USA 1935 ist Schauplatz eines wachsenden Dramas von kosmischen Dimensionen. Es fängt ganz harmlos an: Eine Katze verschwindet. Natürlich nicht irgendeine Katze, sondern der Lieblingskater von Marjorie Ash, der Freundin von Michael Strang. Unter Schluchzen bittet sie ihn, nach dem armen Bozo zu suchen. Ehrensache! Denn Bozo ist keineswegs das erste verschwundene Tier, und weitere Tiere wurden sogar vergiftet aufgefunden.

Michaels Suche führt ihn zum letzten Haus in der Straße, das von einem verwilderten Garten umgeben ist. Es ist ein alter Kasten mit nur einem einzigen Bewohner, und der kommt auch noch von der Ostküste. John Stark scheint ein ehemaliger Mediziner oder so zu sein, denkt Michael. Als der Bewohner, der am Stock geht, nach dem Kater gefragt wird, verneint er, ihn gesehen zu haben. Aber er lädt Michael auf einen Drink ein.

Drinnen sind die Fenster verhängt, überall hängt Tabakgeruch in der Luft, und die Bibliothek, in die Stark ihn führt, ist bis zur Decke mit Druckerzeugnisse vollgestopft. Stark ist stolz darauf, sie alle, seit seiner Kindheit, gelesen zu haben. Sein Whisky ist ausgezeichnet, aber Stark muss ein Geheimnis haben, denn auf die Frage, wer oder was da auf seinem Dachboden Lärm veranstalte, antwortet er wiederholt nicht. Da kann Michael noch so oft fragen.

Zum Trost für Marjorie und als Ersatz für den nicht gefundenen Kater kauft Michael ihr eine Bulldogge, die er ebenfalls „Bozo“ nennt. Wochen vergehen, und inzwischen hat Marjorie Michael den ersten verheißungsvollen Kuss geschenkt, als sie ihm berichtet, jemand habe versucht, Bozo 2 zu stehlen. Wenig später muss Michael seinen Nachbar John Stark aus einem Baum retten: Bozo hat ihn angegriffen. Wieder heben sie einen Whisky, wieder hört Michael etwas auf dem Dachboden – es klingt wie ein trappelndes Fohlen. Wieder leugnet Stark, etwas zu hören.

Als der erste Mensch verschwindet, kommt es in der Kleinstadt zu einer Krise, und Angst legt sich über die Menschen. Der kleine Timmy Bishop ist verschwunden. Der Sheriff klappert die Gegend ab und warnt auch Michael, auf dem Weg von und zur Arbeitsstelle die Augen offenzuhalten. Timmy wird nie gefunden, sondern drei weitere Kinder geraubt – direkt aus ihren Bettchen. Was hat der Serientäter nur vor, und um wen könnte es sich handeln?

Es ist nur eine Frage der zeit, sagt der Sheriff, bis der erste Erwachsene verschwindet. Michael traut seinen Ohren nicht, als Marjories Mutter nach ihrer Tochter fragt, die zu ihm, Michael, wollte – sie ist nie angekommen! Nach einer weiteren Begegnung mit John Stark, die sehr merkwürdig verläuft, kommt ihm ein finsterer Verdacht, und seine Träume werden qualvoll …

Als er Bozo böse zugerichtet vorfindet, schnappt sich Michael ein Breitschwert, das Erbstück seiner Familie, und macht sich damit auf den Weg zum Haus von John Stark: „Such Marjorie!“ Er ist entschlossen, es mit allem aufnehmen, was darin lauern mag. Wie sich zeigt, ist dieses Etwas weitaus größer, als er befürchtet hat …

Mein Eindruck

In einer kunstvollen Abfolge von Rückblenden steigert der Autor durch immer wieder neu gelieferte Informationen die Spannung im Hörer. Besonders Marjorie leitet diese Rückblenden ein, und als Michael sie aus ihren ketten befreit, liefert sie ihm die wichtigste Informationen: Was John Stark getan hat, was er vorhatte und womit er kläglich scheiterte. Aber das hat das von ihm geschaffene Monster nicht beseitigt, ganz im Gegenteil …

Die Kreatur wurde mit okkulten Mitteln geschaffen und von Stark, dem Wissenschaftler aufgepäppelt – erst mit Tier-, dann mit Menschenblut. Sie ist eine Metapher für etwas Grausiges, das die Wissenschaft spätestens seit 1935 (der Autor starb ja 1936) erforscht und entwickelt. Damit kann durchaus die Atomkraft gemeint sein, und als wäre es Prophetie, dauerte es nur noch zehn Jahre, bis zwei Atombomben Hunderttausende von Menschenleben vernichteten.

Bei Howard ist das Monster ein Wesen aus einer anderen Dimension des Raums, ganz so, als wäre sie einer der Großen Alten, die sich sein guter Brieffreund H. P. Lovecraft ausdachte. Das Ungeheuer erinnert mit seinen Flügeln, den Hufen und Tentakeln keineswegs an H. R. Gigers „Alien“, sondern mehr an Cthulhu, den tentakelbewehrten Gott aus der Meerestiefe.

Der Showdown hat sämtliche Eigenschaften, die ein Kampf des Drachentöters mit dem Monster braucht: Dramatik, Horror, eine schreiende Jungfrau – und natürlich Feuer. Denn wie so oft in US-Geschichten reinigt Feuer vom Bösen – und hat gleichzeitig die angenehme Eigenschaft, sämtliche Spuren zu beseitigen. Da braucht man auch als Drachentöter nicht mehr viel zu erklären, etwa gegenüber dem Sheriff. Da Jung-Siegfried seine Männlichkeit zur Genüge unter Beweis gestellt hat, dürfte einer baldigen Familiengründung nichts mehr im Wege stehen.

Der Sprecher/Die Inszenierung

Die Rollen stellen keine großen Anforderungen an die jungen Vertreter des Sprecherensembles. „Michael Strang“ ist der junge Held, „Marjorie“ die Jungfer in Not, die es zu retten gilt, und der Sheriff ist, na ja, eben ein alter Knacker, der sehr besorgt um die beiden ist.

Ein ganz anderes Kaliber ist dagegen Manfred Lehmann in der Rolle des John Stark. Durch seine Verstellung gelingt es ja diesem Schurken, die Bevölkerung der Kleinstadt, die er plündert, so lange zu täuschen, bis er sich auch Marjories bemächtigen kann. Diese Verstellung erfordert sozusagen die Darstellung zweier Figuren: die des harmlosen, gehbehinderten Mitbewohners, der zufällig auch Wissenschaftler ist; und die des Raubtieres in Menschengestalt, das Marjorie einfängt und in Ketten legt.

Manfred Lehmann ist schon derart lange Synchronsprecher und Rezitator, dass er beide Figuren spielend in der Rolle des Jaohn Stark verkörpern kann. Man stelle sich nur Bruce Willis, Kurt Russell oder auch Gérard Depardieu – Lehmanns Synchrondarsteller – als Bewohner dieses alten Gemäuers vor, der hartnäckig und sehr freundlich leugnet, dass da etwas auf seinem Dachboden rumort. Da könnte man selbst in Zweifel geraten.

Geräusche

Die Geräusche sind genau die gleichen, wie man sie in einem realistischen Spielfilm erwarten würde, und die Geräuschkulisse wird in manchen Szenen dicht und realistisch aufgebaut. Das trifft ganz besonders auf die Szenen nach dem Betreten des alten Hauses zu. Sehr deutlich sind diesmal die knarrenden, quietschen Türen zu hören. Dahinter steckt sicherlich Absicht. Jede Türe ist symbolisch der Übergang in eine andere Zone der Befindlichkeit, der Gefahr. Am Schluss ist es Michaels und Marjories Aufgabe, sämtliche Türen zu öffnen, um bis zum Herz der Finsternis vorzustoßen …

Wichtiger als all die Schritte, Hundegebell, Kettengeklirr, Schwertschläge und die unirdischen Laute, die das Monster von sich gibt, ist aber die Musik, denn erst diese erschafft die nötige Atmosphäre.

Musik

Die Musik entspricht wieder einmal dem Score für ein klassisches Horrormovie. Das Intro führt mit seinen sehr ruhigen Harmonien bereits in die richtige Idylle ein, doch schon nach wenigen Sätzen kippt die Stimmung und wird unheilvoll. Das Tempo der klassisch instrumentierten Musik wechselt von unternehmungslustiger Dynamik über ahnungsvolle Langsamkeit bis zu höchst dramatischer Schnelligkeit im Finale. Der Hörer bekommt also die volle Bandbreite geboten.

Ergänzt wird die Orchestermusik von Soundeffekten, zu denen beispielsweise sehr tiefe Bässe gehören. Trickreich ist der Musikeinsatz durchaus: Nach dem dramatischen Finale spiegelt die heiter-ruhige Piano-Musik vor, dass alles in Butter ist. Aber in der Stimme von „Michael Strang“ schwingt Nervosität mit. Was, wenn das von Stark geöffnete Tor in die andere Dimension noch offen ist?

Musik, Geräusche und Stimmen wurden so fein aufeinander abgestimmt, dass sie zu einer Einheit verschmelzen. Dabei stehen die Dialoge natürlich immer im Vordergrund, damit der Hörer jede Silbe genau hören kann. An keiner Stelle wird der Dialog irgendwie verdeckt.

Das Booklet

… enthält im Innenteil lediglich Werbung für das Programm von Titania Medien. Auf der letzten Seite finden sich die Informationen, die ich oben aufgeführt habe, also über die Sprecher und die Macher.

Im Booklet finden sich Verweise auf die im Frühjahr 2014 kommenden Hörspiele aufgeführt:

Nr. 84: John Willard: Die Katze und der Kanarienvogel Teil 1 (nach dem Theaterstück)
Nr. 85: dito: Die Katze und der Kanarienvogel Teil 2
Nr. 86: Robert E. Howard: Die Kreatur
Nr. 87: H.H. Ewers: Alraune
Nr. 88: William Wymark Jacobs: Die Affenpfote (1902)
Nr. 89: Per McGraup: Heimgekehrt

Das Hörspiel

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Besonders gut gefielen mir die sehr sorgfältig ausgearbeitete Geräuschkulisse, die so realistisch wie möglich ist, um das zunehmend unheimliche Geschehen im alten Haus auszugleichen. So sollte man beispielsweise auf die Grillen achten, die eine Stimmung der Idylle verbreiten.

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der Hollywoodstars vermitteln das richtige Kino-Feeling.

Unterm Strich

Das relativ kurze Hörspiel steuert ziemlich geradlinig auf seinen dramatischen Showdown zu, so dass es leicht zu verstehen ist. Die Spannung steigt kontinuierlich an, verzögert nur durch Rückblenden und Spielszenen auf Nebenschauplätzen. Denn bleibt stets klar, dass die Kleinstadt in höchster Gefahr schwebt, völlig ausgelöscht zu werden.

Die Lösung ist ein wenig simpel, indem nämlich der Schurke seiner eigenen Kreatur zum Opfer fällt und Jung-Siegfried mit dem Breitschwert erst die holde Jungfer in Not befreit und dann den Drachen, pardon: die Kreatur erschlägt. Der Hörer kann nur Vermutungen anstellen, wofür die Kreatur symbolhaft steht. Ist es die Atomkraft, über die sowohl Howard als auch sein Freund Lovecraft Bescheid wussten? Ist es der sich ausbreitende Faschismus, der auch in den USA und Großbritannien Fuß fasste? Im Gegensatz zu Allegorien haben Symbole und besonders Metaphern die schöne Eigenschaft, in der Interpretation für alle möglichen anderen Dinge stehen zu können.

Ich fand die Story spannend, aber doch ein wenig vorhersehbar. Manfred Lehmann tut sein Bestes, um als guter Wissenschaftler zu erscheinen, der nur „zufällig“ eben ein kleines, ähm, Geheimnis auf seinem Dachboden verbirgt. Mit seiner Darstellung der Figur des John Stark steht und fällt der Erfolg des Plots. Denn wer will schon weiterhören, wenn der Fall von vornherein klar wäre?

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (2 Stimmen, Durchschnitt: 4,50 von 5)

Audio-CD mit 59 Minuten Spielzeit
Der Verlag empfiehlt sein Hörspiel ab 14 Jahren.

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