Ian Rankin – Verborgene Muster (John Rebus 1)

John Rebus, Polizist in Edinburgh, wird von einem geistesgestörten Mörder persönlich herausgefordert. Dieser zerstört systematisch Familie und Leben seines Totfeindes, der lange nicht einmal ahnt, wie bzw. warum ihm dies geschieht … – Der erste Band der ungemein erfolgreichen Rebus-Serie entstand Jahre vor der Fortsetzung. Die Hauptfigur ist wesentlich schroffer gezeichnet, die Handlung eher Psycho-Thriller als Krimi. Gerade deshalb (sowie zügig geschrieben) ist dieser Roman spannend; sein Potenzial wurde in der Serie nachhaltig unter Beweis gestellt.

Das geschieht:

John Rebus, Detective Sergeant bei der Mordkommission der schottischen Metropole Edinburgh, ist ausgebrannt, sein Privatleben ein Desaster, und einen psychischen Zusammenbruch aus seiner Zeit als Elitesoldat einer mysteriösen Spezialeinheit hat er nie wirklich überwunden. Als Polizist ‚funktioniert‘ Rebus, weshalb man ihm einen schwierigen Fall überträgt: Ein Kidnapper geht um, dem bereits zwei kleine Mädchen zum Opfer gefallen sind – eine Zahl, die sich rasch erhöht. Die Polizei tappt im Dunkeln und steht unter heftigem Beschuss seitens der Medien und der Politik. Darüber bleibt zunächst unbemerkt, dass der Mörder ein bizarres Katz-und-Maus-Spiel mit seinen Jägern treiben möchte.

Das eigentliche Ziel ist John Rebus. Schon seit einiger Zeit erhält er anonyme Briefe, die stets nur einen Zettel mit kryptischen Texten wie „Überall sind Anhaltspunkte“, eine Schnur, in die ein Knoten geschlagen wurde, oder zwei zum Kreuz gebundene Streichhölzer enthalten. Rebus ignoriert die ungebetene Post; ein verhängnisvoller Fehler, denn der Mörder holt sich Rebus‘ Tochter Samantha, verletzt dabei ihre Mutter schwer und bringt deren Lebensgefährten um.

Fünfzehn Jahre zuvor wurde John Rebus im Rahmen eines Armeeprojekts zur Unterwanderung der irischen IRA ausgebildet und dabei grausamstem Terror unterworfen, um seine Widerstandskraft zu testen. Mit ihm nahm Soldat Gordon Reeve an diesem Programm teil, mit dem Rebus eine enge Notgemeinschaft einging. Um sich abzulenken, spielten die beiden „Kreuze und Nullen“ (= Knoten)” (Gemeint ist offenbar das alte „TicTacToe“-Kinderspiel.) Als Rebus nach Ansicht seiner Vorgesetzten den Psychotest bestanden hatte, wurde er ‚befreit‘, während Reeve zurückbleiben musste. Er verlor den Verstand, den ‚Verrat‘ hat er Rebus niemals verziehen. Über Jahre hat er seine Rache geplant, die Rebus alles kosten soll, was ihm lieb und teuer ist …

Serienstart mit Schubverzögerung

John Rebus, lateinisch „Bilderrätsel“. Hier traut sich ein Schriftsteller, schon mit dem Namen seiner Hauptfigur anzukündigen, was seine Leser erwartet: die Jagd auf einen geistesgestörten, aber gerissenen Mörder, der mit seinen Häschern ‚spielen‘ möchte und ihnen kryptische Rätsel – Rebusse eben – zukommen lässt, um ihnen angeblich den Weg zu sich weisen.

Der Plot ist nicht neu, um es vorsichtig auszudrücken, wird aber sauber entwickelt und kann in seinen Bann ziehen. Edinburgh ist bzw. war – „Verborgene Muster“ ist bereits 1987 erschienen und ein moderner Klassiker – als Kulisse relativ unverbraucht. Rankin kennt sich in seiner Heimatstadt aus, die zwar schon moderne Metropole ist, sich aber den Charakter der Hauptstadt eines eigenwilligen Menschenschlags – der Schotten – bewahren konnte. Es wird auffallend viel getrunken in Edinburgh, was nicht nur an den deprimierenden Erlebnissen der Protagonisten liegen könnte, sondern auch an der geografisch ungünstigen Lage einer Stadt im hohen europäischen Norden, in der es meist dunkel ist und regnet.

Den Wettlauf auf Leben und Tod tritt ausgerechnet ein Mann an, der meint, am Ende zu sein, weil ihm beruflich wie privat nichts mehr gelingt. Aber John Rebus, der ehemalige Fallschirmjäger, den die Folter einer perversen „Spezialausbildung“ fürs Leben zeichnete, ist ein besserer Polizist, als er sich selbst zugestehen mag: Selbst unter Stress lässt ihn seine Spürnase nicht im Stich, und sollte ihm sein alter Feind, der aufgeblasene Chief Inspector Anderson, wieder einmal gar zu sehr auf die Nerven fallen, gibt es treue und trinkfeste Kollegen wie die Sergeants Morton und Campbell, die ihm den Rücken stärken.

Im Rohzustand schon vorhanden

Das Personal der Polizeistation Great London Road wird dem Leser bald ebenso ans Herz wachsen wie die legendären Figuren des Ed McBainschen 87. Reviers. Dafür sorgt schon Rankins ausgeprägter Sinn für knochentrockenen Humor – die Übersetzerin kann gottlob mithalten -, der sich mit der düsteren Handlung ausgesprochen gut verträgt, nie aufgesetzt wirkt und die Lektüre zu einem reinen Vergnügen werden lässt.

Im Rückblick wundert es, dass zwischen diesem ersten und dem zweiten Rebus-Romas eine vierjährige Pause klafft. Rankin hatte den sturen Polizisten nicht als Serienheld konzipiert. „Verborgene Muster“ zeigt einen deutlich instabilen, selbstzerstörerischen Rebus. Nichtsdestotrotz blieb er den Lesern im Gedächtnis, was irgendwann auch Rankin zu Ohren kam.

Für den ‚Neustart‘ glättete er einige Ecken und Kanten behutsam. So wird auf Rebus‘ Zeit als Ex-Soldat später kaum mehr eingegangen. Beruflich und privat bleibt sein Leben turbulent, doch es fehlt der Unterton der Hoffnungslosigkeit. Rebus hat in den Jahrzehnten seiner literarischen Existenz viel einstecken müssen, doch wider Erwarten hat er sämtlichen Attacken (sowie der inzwischen erfolgten Pensionierung) überlebt und sich zu einem der bekanntesten Ermittler der britischen Kriminalliteratur entwickelt. „Verwickelte Muster“ zeigt noch die Rohfassung, aber das Potenzial ist erkennbar: Es macht Spaß, den ‚Ur-Rebus‘ (wieder) zu entdecken!

Autor

Ian Rankin wurde 1960 in Cardenden, einer Arbeitersiedlung im Kohlerevier der schottischen Lowlands, geboren. In Edinburgh studierte er ab 1983 Englisch. Schon früh begann er zu schreiben. Nach zahlreichen Kurzgeschichten versuchte er sich an einem Roman, fand aber keinen Verleger. Erst der Bildungsroman „The Flood“ erschien 1986 in einem studentischen Kleinverlag.

Noch im selben Jahr ging Rankin nach London, wo er u. a. als Redakteur für ein Musik-Magazin arbeitete. Nebenher veröffentlicht er den Kolportage-Thriller „Westwind“ (1988) sowie den Spionage-Roman „Watchman“ (1990, dt. „Der diskrete Mr. Flint“). Unter dem Pseudonym „Jack Harvey“ verfasste Rankin in rascher Folge drei Action-Thriller. 1991 griff er eine Figur auf, die er vier Jahre zuvor im Thriller „Knots & Crosses“ (1987; dt. „Verborgene Muster“) zum ersten Mal hatte auftreten lassen: Detective Sergeant (später Inspector) John Rebus. Mit diesem gelang Rankin eine Figur, die im Gedächtnis seiner Leser haftete. Die Rebus-Romane ab „Hide & Seek“ (1991; dt. „Das zweite Zeichen“) spiegeln das moderne Leben (in) der schottischen Hauptstadt Edinburgh wider. Rankin spürt den dunklen Seiten nach, die den Steuerzahlern von der traulich versippten Führungsspitze aus Politik, Wirtschaft und Medien gern vorenthalten werden. Daneben lotet Rankin die Abgründe der menschlichen Psyche aus. Nachdem er Rebus 2007 in den Ruhestand geschickt hatte, begann Rankin 2009 eine neue Serie um den Polizisten Malcolm Fox, kehrte aber bereits 2012 zu seiner Erfolgsfigur zurück.

Ian Rankins Rebus-Romane kamen ab 1990 in Großbritannien, aber auch in den USA stets auf die Bestsellerlisten. Die renommierte „Crime Writers‘ Association of Great Britain“ zeichnete ihn zweimal mit dem „Short Story Dagger“ (1994 und 1996) sowie 1997 mit dem „Macallan Gold Dagger Award“ aus. 2004 wurde Rankin für „Resurrection Man“ (dt. „Die Tore der Finsternis“) mit einem „Edgar Award“, 2007 „The Naming of the Dead“ (dt. „Im Namen der Toten“) als „BCA Crime Thriller of the Year“ ausgezeichnet. Rankin gewann weiter an Popularität, als die britische BBC 2000 mit der Verfilmung der Rebus-Romane begann.

Ian Rankins Website ist höchst empfehlenswert; über die bloße Auflistung seiner Werke verwöhnt sie u. a. mit einem virtuellen Gang durch das Edinburgh des John Rebus.

Taschenbuch: 544 Seiten (Doppelband mit „Das zweite Zeichen“)
Originaltitel: Knots and Crosses (London : The Bodley Head 1987)
Übersetzung: Ellen Schlootz
https://www.ianrankin.net
https://www.randomhouse.de/Verlag/Goldmann

eBook: 1577 KB
ISBN-13: 978-3-641-11396-4
https://www.randomhouse.de/Verlag/Goldmann

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