Ian Rankin – Bis aufs Blut

Routinierter, aber humorvoller Killer-Thriller

Michael Weston ist ein Killer. Noch nie hat er sein Ziel verfehlt, und jedes seiner Opfer mit einem perfekt platzierten Schuss ins Herz getötet. So auch bei seinem letzten Auftrag. Doch dieses Mal trifft die Polizei bereits am Tatort ein, als sein Opfer, eine britische Enthüllungsjournalistin, zu Boden sinkt. Dem Profi ist klar, dass er in einen Hinterhalt geraten ist. Mit knapper Not entgeht er einer Verhaftung und macht sich auf die Suche nach demjenigen, der ihm diese perfide Falle gestellt hat: Weston ist ins Visier eines skrupellosen Privatdetektivs geraten, der keine Gnade kennt … (erweiterte Verlagsinfo)

Der Autor

Sir Ian Rankin, geboren 1960, gehört zu den wichtigsten Krimischriftstellern der britischen Insel. Er war u.a. Alkoholtester“, Schweinehirte, Musikjournalist und Punkmusiker, bevor er sich dem Schreiben zuwandte. Sein Inspektor Rebus macht die schottische Hauptstadt Edinburgh nun schon in zahlreichen Abenteuern sicherer – soweit man ihn lässt!

Für „Die Kinder des Todes“ wurde Rankin mit dem Deutschen Krimipreis 2005 ausgezeichnet. Die englische Königin verlieh ihm für seine Verdienste um die Literatur den „Order of the British Empire“. Der Autor lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Edinburgh. Er schrieb auch Romane wie den vorliegenden unter dem Pseudonym Jack Harvey. Mehr Info: www.ianrankin.net

Die Jack-Harvey-Romane:

1) Blood Hunt
2) Witch Hunt
3) Bleeding Hearts

Handlung

London

Der Auftragskiller, den sie den Demolition Man nennen, ist ein vorsichtiger Bursche. Er kann ja nicht einfach in das Londoner Hotel reinspazieren, um dort die bezeichnete Zielperson abzuknallen. O nein, das geht nicht. Die Enthüllungsjournalistin Eleanor Ricks muss auf möglichst unauffällige Weise ins Jenseits befördert werden.

Mit einem Präzisionsgewehr ausgestattet, zielt der Demolition Man von der gegenüberliegenden Straßenseite auf den Eingang des Londoner Hotels, wo die Ricks eine britische Politikerin interviewt hat. Der Schütze befindet sich in einem im Bau befindlichen Haus, als er abdrückt. Als die Zielperson zusammenbricht, herrscht Verwirrung, dann zerren die Sicherheitsleute die Politikerin in Deckung, und Hotelgäste eilen Hals über Kopf durch den Eingang ins Hotelinnere.

Da heulen bereits Sirenen. Polizei! Jetzt schon?!, wundert sich der Schütze. Während die schwarzweißen Polizeiautos eintreffen und den Tatort abriegeln, ruft der Schütze kaltblütig eine Ambulanz: Er sei ein Bluter und habe eine Wunde erlitten, müsse sofort in eine Klinik. Sobald der Krankenwagen eingetroffen ist, gelingt es dem Schützen, ohne Aufsehen zu entkommen. In der Klinik macht er sich alsbald aus dem Staub. Schade um das schöne Gewehr allerdings. Doch wer hat die Bullen auf Michael Weston, den Demolition Man, angesetzt?

New York City

Dan Hoffer war mal beim New York Police Department, doch mittlerweile arbeitet er als Privatdetektiv. Kaum hat er erfahren, dass hinter dem Anschlag in der Londoner Innenstadt offenbar der Demolition Man steckt – dessen Handschrift ist unverkennbar -, ruft er Walkins an. Der Klient versucht sich seit Jahren an demjenigen Mann zu rächen, der seine Tochter auf dem Gewissen hat: Michael Weston. Für einen stattlichen Vorschuss verspricht ihm Hoffer, ihm den Kopf des Killers auf dem Silbertablett zu präsentieren.

London

In London dauert es nicht lange, bis Hoffer seine ganz speziellen Ermittlungsmethoden einsetzt. Den leitenden Ermittler Bob Broome besticht er, um an die Ermittlungsakten ranzukommen, ebenso dessen Mitarbeiter. Um eine Liste von Waffenhändlern in England zu erhalten, bei denen der D-Man, wie er ihn nennt, sein Scharfschützengewehr besorgen konnte. Bei dem Fälscher, der dem D-Man falsche Papiere anfertigte, bricht er, vollgekokst bis zur Halskrause, durch Haus- und Wohnungstür, bis er ihm endlich die Pistole an den Schädel setzen kann. Doch bevor ihn Drogenhändler aus dem Haus vertreiben, erfährt er nur, dass der D-Man noch in der Stadt ist. Das verwundert Hoffer. Was hält den D-Man hier noch?

Nach Schottland

Michael Weston hat sich mit Belinda, der unternehmeungslustigen Tochter seines Waffenhändlers Max Harrison, zusammengetan, um in London undercover ermitteln zu können. Als Polizisten ausstaffiert, taucht das Pärchen beim Anwalt der Ermordeten auf sowie bei ihrem Produzenten. Die Ausbeute an Informationen erstaunt Weston.

Es muss sein eigener Auftraggeber gewesen sein, der ihn an die Cops verpfiffen hat. Doch wer ist dieser Unbekannte? Michael hat nur einen nicht unterschriebenen, getippten Brief. Allerdings gibt es einen wichtigen Hinweis: Eleanor Ricks, seine Zielperson, recherchierte gegen die amerikanische Sekte Disciples of Love, die in Schottland eine Niederlassung betreibt. Interessant dabei: Ihre Interviewpartnerin, die Staatssekretärin Prendergast, verlor ihre Tochter in diese Sekte, bis sie und ihr Mann ein Kommandounternehmen durchzogen, um ihre Tochter aus den Klauen der Sekte zu befreien.

Hat sich die Sekte für diesen Akt rächen wollen? Aber warum sollte dann Ricks und nicht Prendergast sterben? Viele offene Fragen, die Michael nur beantworten kann, indem er sich in die Höhle des Löwen begibt. Belinda denkt gar nicht daran, sich von ihm abwimmeln zu lassen, weil das „ihrer Sicherheit diene“! Als Tochter eines Waffenhändlers kennt sie sich bestens mit Knarren und Sprengkörpern aus – was man von Michael nicht behaupten kann. Er hat seine Heckler-& Koch MP5 verkehrt herum gehalten, wagt sie anzumerken.

Erster Klasse fahren sie gen Nordwest-Schottland, wo auf sie einige Überraschungen warten. Bis Hoffer ihnen folgen kann, vergehen allerdings einige Stunden, in denen er sich weiterhin als Elefant im Porzellanladen betätigt …

Mein Eindruck

Es ist unglaublich, aber Hoffer begegnet seinem D-Man Angesicht zu Angesicht, ohne ihn zu erkennen. Michael hat sich zwar mit einem Schotten-Pulli verkleidet und seine haare gefärbt, aber trotzdem: Hoffer hat es sich nur seinem eigenen Kater und seinen ständigen Pillen zuzuschreiben, das er ihn nicht erkennt. Dieser Jagdhund, soviel wird klar, ist auf einem Auge blind. Und er braucht viel Glück, bis er seine Beute stellen kann. Leider wird das schließlich der Fall sein.

Auch die Sekte, die Michael und Hoffer nacheinander in Schottland besuchen, ist nicht das erhoffte Ziel, sondern nur eine Zwischenstation zum nächsten Informationslieferanten. Die Jagd scheint in Seattle, wo sich das Hauptquartier der Sekte befindet, zu enden, doch auch das ist lediglich ein Trugschluss, dem Michael und Belinda, die sich für den Mord an ihrem Vater an der Sekte rächen will, unterliegen. Zwar kommt es hier zu einem spannenden Shootout und einem interessanten Geständnis, aber auch das führt Michael der Antwort keinen Schritt näher: Wer hat ihn beauftragt, Eleanor Ricks zu töten und ihn dabei verpfiffen? Die Spur führt zurück nach London…

Im Rückblick erscheint mir der routiniert und humorvoll geschriebene Thriller wie eine Ansammlang aus Vorwänden, um den Leser zu unterhalten und ihn dabei bei der Stange zu halten. Das gelingt dem Autor halbwegs gut, obwohl es immer wieder mal Seiten gibt, bei denen ich einfach drüber weggelesen habe, so etwa bei Hoffers Eskapaden oder Westons Aufzählung seines Waffenarsenals in Seattle.

Die beiden Hauptfiguren

Das interessanteste Merkmal dieses Romans ist die Umkehrung der Charakterisierung der beiden „Helden“. Üblicherweise ist der Privatdetektiv sympathisch und steht auf der richtigen Seite des Gesetzes. Bei Hoffer ist genau das Gegenteil der Fall: ein Fettsack, der Drogen nimmt, stiehlt, lügt und besticht, sich also nicht gerade wie ein leuchtendes Vorbild aufführt. Ganz anders dagegen der „Schurke“ im Stück: Wir stehen auf der Seite des Killers, der nicht nur eine gerechte Sache zu verfechten scheint, sondern durch seine Bluterkrankheit auch unser Mitgefühl verdient. Wem sollen wir nun die Daumen drücken – Hoffer oder Weston?

Frauen

Im Unterschied zu dem später veröffentlichten Thriller „Blood Hunt“ stellt uns der Autor hier eine selbständig agierende weibliche Nebenfigur vor, die für die eine der beiden Hauptfiguren, Michael Weston, von wesentlicher Bedeutung ist. Belinda ist keineswegs eine Belastung, wie er anfangs annimmt, sondern eine hervorragende Helferin. Außerdem hilft sie ihm, sich emotional zu befreien und das Ende seiner Laufbahn als Auftragskiller ins Auge zu fassen.

Ein Pluspunkt ist natürlich, dass sie als Tochter eines Waffenexperten selbst bestens mit Kanonen und Knarren umgehen kann – und das bringt ihr sogar einen Heiratsantrag von einem texanischen Waffenfetischisten ein. Annie Oakley ist nichts gegen Bel Harrison. Dass sie sich im Amiland als Touristin aufführen darf, macht sie nicht nur zu einer Augenweide, sondern zu einer stillen Kritikerin dieses Landes.

Apropos Amiland: Die Schauplätze sind derart detailreich und realistisch geschildert, das ich zu der Überzeugung gelangte, der Autor müsse schon mal dort gewesen sein. War er aber nicht, denn er schrieb seine drei „Jack Harvey“-Thriller auf dem Lande in Südfrankreich. Das verrät er in seinem Vorwort zur Sammelausgabe dieser drei Werke. Der Realismus ist ein wichtiger Faktor, um im Leser den Eindruck der Glaubhaftigkeit der erzählten Geschehnisse zu erwecken und aufrechtzuerhalten.

Fehler

Auf S. 332 redet Michael Weston über einen gewissen „Kline“. Aber den Namen dieses zwielichtigen Typen kann er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht kennen. Den kennt nur Hoffer.

Unterm Strich

Rankins Versuche, unter dem Pseudonym „Jack Harvey“ Mainstream-Thriller jenseits von John Rebus zu veröffentlichen, waren nicht sonderlich erfolgreich. Das lag vor allem an seiner Routine-Erzähltechnik, die den Leser, der auf plötzliche Wendungen geeicht ist und auf gewaltsame Auseinandersetzungen – Schießereien etc. – lauert, vielmehr einlullt, statt ihn aufregend zu unterhalten. Erst ganz am Schluss erfolgt die große Schießerei, ein Fest für Waffenfetischisten und Actionfreunde.

Der Plot ist im Grunde nur ein Vorwand, genau wie in „Blood Hunt“. Der Hintergrund für das Auftreten der Sekte ist derart hanebüchen, dass er mitten aus den Achtzigern stammen muss. Im Nachwort verweist der Autor denn auch auf die Iran-Contra-Affäre, als ein gewisser Oberst Oliver North einen fehlerhaften Scheck (für nicaraguanische Rebellen) ausstellen ließ, der ihm zum Verhängnis wurde. Pfiffig ist lediglich der Schluss – wenn man auf ausgefallene Selbstmordmethoden steht.

Dicke Pluspunkte heimst der Autor für die Umkehrung der Charakterisierung seiner beiden Helden ein, ebenso für die weibliche Nebenrolle, die doch für Michael Weston ziemlich wichtig wird. Der Realismus der detaillierten Beschreibungen von Schauplätzen und Menschen ist so gut, dass ich dachte, der Autor müsse in den USA gewesen sein. Aber das war ja Karl May auch nie. Wenigstens im westlichen Schottland muss Rankin, der Schotte, mal gewesen sein – und das sind denn auch die besten und humorvollsten Szenen.

Taschenbuch: 512 Seiten
Originaltitel: Bleeding Hearts
Aus dem Englischen von Giovanni Bandini

http://www.randomhouse.de/goldmann