Ian Rankin – Ehrensache (Inspektor John Rebus 4)

Schottenkrimi zwischen Highlands und Wasserleichen

Der beliebte schottische Parlamentsabgeordnete Gregor Jack wird bei einer Razzia in einem Bordell Edinburghs aufgegriffen. Die Presse ist so schnell zugegen, um über den Skandal zu berichten, das Detective Inspector John Rebus nicht an einen Zufll glauben mag. Aus purer Neugierde beginnt er, Nachforschungen über Gregor Jack anzustellen. Und nur wenige Tage später steckt Rebus bereits mitten in einem Mordfall: In den Highlands ist die Leiche von Jacks Ehefrau Elizabeth gefunden worden. (nicht ganz korrekte Verlagsinfo)

Der Autor

Sir Ian Rankin, geboren 1960, gehört zu den wichtigsten Krimischriftstellern der britischen Insel. Er war u.a. Alkoholtester“, Schweinehirte, Musikjournalist und Punkmusiker, bevor er sich dem Schreiben zuwandte. Sein Inspektor Rebus macht die schottische Hauptstadt Edinburgh nun schon in zahlreichen Abenteuern sicherer – soweit man ihn lässt!

Für „Die Kinder des Todes“ wurde Rankin mit dem Deutschen Krimipreis 2005 ausgezeichnet. Die englische Königin verlieh ihm für seine Verdienste um die Literatur den „Order of the British Empire“. Der Autor lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Edinburgh. Er schrieb auch andere Romane, u.a. unter dem Pseudonym Jack Harvey. Mehr Info: www.ianrankin.net.

Die Rebus-Romane:

1) Knots & Crosses (1987)
2) Hide & Seek
3) Tooth & Nail (auch als „Wolfman“ veröffentlicht)
4) Strip Jack (1992, dt. als „Ehrensache“)
5) The Black Book
6) Mortal Causes
7) Let it bleed („Ein eisiger Tod“)
8) Black & Blue
9) The Hanging Garden
10) A Good Hanging and other Stories
11) Resurrection Men (2001, dt. als „Die Tore der Finsternis“)
12) A Question of Blood (2003; deutsch als „Die Kinder des Todes“)
13) The Falls (dt. als „Puppenspiel“)
Und so weiter.

Handlung

Bei einer Razzia der Edinburgher Polizei in einem Nobelbordell stoßen die Beamten auf den Parlamentsabgeordneten Gregor Jack. Detective Inspector John Rebus wundert sich. Wer gab dem Polizeichef Watson den Tipp, genau heute Abend zuzuschlagen? Und was hat ein verheirateter Abgeordneter, der gute Arbeit leistet, im Bordell zu suchen? Was Rebus ebenfalls spanisch vorkommt, ist die Presse, die draußen vorm Haus ausschließlich auf Gregor Jack gewartet hat und sich für die Damen des Hauses nicht die Bohne interessiert. Offenbar hat der Anrufer, der Watson den Tipp gab, auch sämtliche Edinburgher Zeitungen informiert, dass es hier etwas zu holen gibt. Ein abgekartetes Spiel: der Einsatz ist Jacks politische Karriere, der Lohn ist – was?

Gregor Jack ist Rebus eigentlich recht sympathisch, deshalb setzt er sich intensiv mit dem Mann und dem Fall auseinander. Was ihn zunehmend wundert, ist die auffällige Abwesenheit von Elizabeth Jack, die reiche Tochter von Sir Hugh Ferrie, einem einflussreichen Industriellen. Wieso ist sie nicht an Jacks Seite, wenn er in der Klemme steckt? Er lässt die lokale Polizei in Jacks Ferienhaus in den Highlands nachsehen – keine Spur von der Frau.

Kein Wunder: Sie ist mausetot, als man sie in der Nähe von Edinburgh findet. Ist es wirklich ein Zufall, dass sie in dem gleichen Bach gefunden wird, der an dem Haus ihrer Freundin Catherine Kinnoul vorbeifließt. Die Frau des Schauspielers Rab Kinnoul hat sogar die Leiche Elizabeths gefunden – und ist dementsprechend traumatisiert. Sie und Gregor Jack gehören zu einer Clique aus Schultagen, die sich „die Meute“ nennt. Alle haben Spitznamen. Der von Gregor ist Beggar, also Bettler und Habenichts. Der von Catherine ist „Tollpatsch“. Elizabeth gehörte einer ganz anderen Klasse an, dem Jet Set, der wirklich Reichen und Nichtstuer. Gregor Jack heiratete sie offenbar nur wegen ihres Geldes.

Während er offiziell ein paar gestohlene antiquarische Bücher zu suchen hat, schnüffelt Rebus viel lieber dem Leben von Gregor Jack und seiner Frau nach. Er stößt auf eine Menge Ungereimtheiten. Als am interessantesten erweist sich die Durchsuchung des Ferienhauses in den Highlands: Hier haben ziemlich heftige Partys stattgefunden. Er stößt auf Kokainreste und Seidenstrümpfe an den Bettpfosten, mit denen offenbar jemand gefesselt wurde.

Leider unterlässt er es, das Haus überwachen zu lassen – ein dummer Fehler: Am nächsten Tag ist eingebrochen worden. Das Koks ist ebenso weg wie die Seidenstrümpfe. Dafür findet sich eine Zeitung mit der Meldung über die Razzia im Bordell. Elizabeth wusste also Bescheid. Wollte sie sich von Gregor trennen? Und was passierte dann?

Doch seine Chefs winken ab. Sie haben bereits einen Kandidaten für diesen Mord und für einen anderen Fall mit einer Wasserleiche. William Glass nennt sich der Landstreicher und Säufer, dem Rebus keine Sekunde lang einen Mord zutraut, selbst wenn er sich damit brüstet. Während Rebus also im Umfeld Gregor Jacks schnüffelt, fällt es ihm zunehmend schwerer, seine substanzlose Theorie als die Wahrheit zu verkaufen. Aber soll Elizabeth Jacks Mörder wirklich ungeschoren davonkommen? Niemals, schwört er sich.

Mein Eindruck

Der Krimi stammt aus dem Jahr 1992 und brauchte zehn Jahre, bis er zu uns fand. Er stammt aus der Frühpase von Rankins Werk; heute brauchen die Übersetzungen nicht mehr so lange, denn Sir Ian ist mittlerweile zur nationalen Institution aufgestiegen. Das heißt aber nicht, dass die Übersetzungen deswegen besser geworden seien, wie meine Anmerkungen zu den drei Romanen, die ich gelesen und besprochen habe, belegen.

In diesem kurzen Krimi scheint der Autor auf den ersten Blick einen Abgeordneten aufs Korn zu nehmen. In Wahrheit sind es jedoch ganze Klassen (in England existiert immer noch das Klassensystem, 1992 noch stärker als heute), die Rankin aufs Korn nimmt. Am schlechtesten kommt die Oberschicht weg, der Elizabeth Jack, geborene Ferrie, angehört. Dementsprechend unwohl fühlt sich das Arbeiterkind John Rebus in Gegenwart eines solchen Obermackers, wie Tom Pond es ist. Der Starachitekt kutschiert ihn in einem teuren italienischen Sportwagen (Ferrari, Lamborghini, who cares) derart schwungvoll über die Piste, dass sich Rebus angstvoll anklammert.

Autos spielen eine große Rolle als Statussymbol. Rebus beispielsweise fährt einen „Schrotthaufen“ und wird dafür mitleidig angesehen. Gregor Jack fährt angeblich einen weißen Saab der 9000er Serie, den Rebus mal genauer in Augenschein nehmen darf – er bewundert das Gefährt und hält heimlich Auschau nach verräterischen Indizien im Wageninneren. Gregors Freund Ronald Steele fährt einen Citroen BX, ebenfalls eine hübsche Karosse, aber warum fahren beide ein ausländisches Fabrikat? Auch Elizabeth fährt so eines: einen BMW. Noch ein wenig teurer als Saab oder Citroen (wegen des Zolls).

Wie sich herausstellt, geht es nur um die Fassade. Wer den Schein wahrt, hat schon die halbe Miete. Es wird gelogen, dass sich die Balken biegen, falsche Alibis sind die Regel – Rebus kommt ins Schwitzen. Auch eine Nobelfrau wie Elizabeth Ferrie gehört für den Abgeordneten Jack wie der Wagen zu den Insignien seines Amtes. Kein Wunder, das er sie nicht liebte. Kein Wunder ebenfalls, dass sie einen Liebhaber hatte. Dass Gregor Jack eine Schwester hat, die als Prostituierte arbeitet, darf möglichst keiner wissen. Das wäre ein gravierender Riss in der Fassade. Und genau dies geschieht bei der Razzia bzw. kurz danach.

Als Abgeordneter ist Jack am Ende. Aber er hat noch eine Rechnung offen mit dem Liebhaber seiner Frau. Daher kommt es zu einem actionreichen Showdown in den Highlands, als Rebus kapiert, wer der Liebhaber von Elizabeth Jack sein muss – falls er noch lebt! Es kommt zu einem Wettlauf auf Leben und Tod. Wieder kommt Rebus, nicht gerade der Fitteste, gehörig ins Schwitzen…

Die Übersetzung

Die Übersetzung wurde kompetent durchgeführt, so dass man sie flüssig lesen kann. Die zahlreichen idiomatischen Wendungen, die eine Sprache so lebendig und anschaulich machen, wurden alle korrekt ins Deutsche übertragen.

Allerdings gibt es auch eine Reihe von Flüchtigskeitsfehlern. So wurde auf Seite 197 aus einem „aus“ ein „als“. Auf Seite 233 heißt es „wie an etwas Ungenießbaren“. Statt des Akkusativs sollte hier der Dativ stehen, also „Ungenießbarem“.

Hinzukommen noch einige englische Ausdrücke, die die Übersetzerin einfach stehenließ, in der Annahme, der Leser sei Englischkenner. So findet sich auf Seite 247 der Ausdruck “Head-in-burrow“ als Verballhornung der richtigen Aussprache des Namens „Edinburgh“. Doch was bedeutet “Head-in-burrow“? Wörtlich bedeutet es „Kopf im gegrabenen Bau“. Aber wer die abfällige Ausdrucksweise kennt, könnte sich vorstellen, dass statt „Bau“ etwas weniger Schmeichelhaftes gemeint ist, nämlich der Hintern.

Und was mag wohl auf Seite 350 mit dem Ausdruck “Doggie-bag“ gemeint sein, mag sich der Leser fragen. Ursprünglich ist damit eine Tüte gemeint, in der die Essensreste für den Hund transportiert wurden. Heute meint man damit eine Tüte, in der eine Mahlzeit, z.B. Grillhähnchen, mit nach Hause transportiert werden kann. Eine praktische Erfindung. Aber auch dieser Ausdruck hat abfällige Untertöne, denn wenn man jemandem einen Doggie-bag gibt, bedeutet das, ihm bloß was „für unterwegs“ oder gar Essensreste zu überlassen.

Unterm Strich

Ich habe diesen frühen Rebus-Krimi in nur zwei, drei Tagen gelesen, denn er bietet keinerlei Verständnisschwierigkeiten, ist durchweg flott und ironisch-humorvoll erzählt und am Schluss mit einem erstklassigen Actionhöhepunkt versehen. Davor liegt natürlich die Ermittlung, die aber auch ihre Höhen und Tiefen hat, quer durch die Edinburgher Bevölkerungsschichten, quer durch noble Hütten und finstere Löcher wie etwa eine Irrenanstalt. Hinzukommt Rebus’ Dilemma, dass er sich für oder gegen seine Freundin Patience, eine Ärztin, zu entscheiden hat.

Der Mann hat’s nicht leicht. Nur seiner Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass der Mörder enttarnt wird. Und nur dank der Hilfe seines Schützlings Brian Homes entgeht Rebus selbst einer Messerattacke! Der Roman hat seine Schockeffekte, zum Glück alle fein dosiert.

Das lustigste Stück Prosa, das ich in letzter Zeit gelesen habe, ist jedoch die Beschreibung von Rebus’ Aufenthalt in den Highlands. Nur alte Damen scheinen noch die Gegend zu bewohnen, aber was für welche. Der Autor macht sich einen Spaß daraus, die Highlands, die eigentlich eine blutige Vergangenheit haben, als Schauplatz von Autorennen, Jet-set-Partys und verschrobenen Muttis darzustellen. Das ist weitab jeder Touristenromantik und ein echtes Kontrastprogramm zu der Szene Edinburghs. Aber es macht aus „Ehrensache“ noch keinen Heimatkrimi.

Taschenbuch: 382 Seiten
Info: Strip Jack, 1992
Aus dem Englischen von Ellen Schlootz
www.randomhouse.de/Verlag/Goldmann

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