Ian Rankin – Tooth & Nail / The Wolfman (Inspector John Rebus 3)

Ein Schotte mischt London auf

Inspector Rebus soll in London helfen, den Wolfman zu fassen. Der Serienmörder wird von der Sensationspresse so genannt, weil er Bisswunden auf dem Bauch seiner stets weiblichen Opfer zu hinterlassen pflegt – und weil sein erstes in der Wolf Street gefunden wurde. Rebus‘ Gegenpart beim Yard ist Inspector George Flight, der alles gern methodisch und ruhig angeht. Das ist gar nicht Rebus‘ Ding. Mit einer ersten ungenehmigten Pressekonferenz entzückt er nicht nur die Presse, sondern schockt auch seine Gastgeber. Doch hinter seinem Wahnsinn steckt Methode – er will den Wolfman hervorlocken, damit er Fehler macht. Diese Taktik funktioniert schneller, als ihm lieb sein kann…

Diese Besprechung basiert auf der englischen Taschenbuch-Ausgabe von 2000.

Der Autor

Sir Ian Rankin gehört zu den wichtigsten Krimischriftstellern der britischen Insel. Sein Inspektor Rebus macht die schottische Hauptstadt Edinburgh nun schon in zahlreichen Abenteuern sicherer – soweit man ihn lässt!

Für „Die Kinder des Todes“ wurde Rankin mit dem Deutschen Krimipreis 2005 ausgezeichnet. Die englische Königin verlieh ihm für seine Verdienste um die Literatur den „Order of the British Empire“. Der Autor lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Edinburgh. Er schrieb auch andere Romane, u.a. unter dem Pseudonym Jack Harvey. Mehr Info: www.ianrankin.net .

Die Rebus-Romane:

1987 Knots and Crosses
Verborgene Muster, dt. von Ellen Schlootz, München: Goldmann 2000; ISBN 3-442-44607-4
1991 Hide and Seek
Das zweite Zeichen, dt. von Ellen Schlootz, München: Goldmann 2001; ISBN 3-442-44608-2
1992 Tooth and Nail, auch als: Wolfman
Wolfsmale, dt. von Ellen Schlootz, München: Goldmann 2001; ISBN 3-442-44609-0
1992 Strip Jack
Ehrensache, dt. von Ellen Schlootz, München: Goldmann 2002; ISBN 3-442-45014-4
1993 The Black Book
Verschlüsselte Wahrheit, dt. von Ellen Schlootz, München: Goldmann 2002; ISBN 3-442-45015-2
1993 Mortal Causes
Blutschuld, dt. von Giovanni Bandini, München: Goldmann 2003; ISBN 3-442-45016-0
1995 Let it Bleed
Ein eisiger Tod, dt. von Giovanni und Ditte Bandini, München: Goldmann 2004; ISBN 3-442-45428-X
1997 Black and Blue
Das Souvenir des Mörders, dt. von Giovanni Bandini, München: Goldmann 2005; ISBN 3-442-44604-X
1998 The Hanging Garden
Die Sünden der Väter, dt. von Giovanni Bandini, München: Goldmann 2006; ISBN 3-442-45429-8
1999 Dead Souls
Die Seelen der Toten, dt. von Giovanni Bandini, München: Goldmann 2006; ISBN 3-442-44610-4
2000 Set in Darkness
Der kalte Hauch der Nacht, dt. von Christian Quatmann, München: Goldmann 2001; ISBN 3-442-54521-8
2001 The Falls
Puppenspiel, dt. von Christian Quatmann, München: Goldmann 2002; ISBN 3-442-45636-3
2002 Resurrection Men
Die Tore der Finsternis, dt. von Claus Varrelmann und Annette von der Weppen, München: Goldmann 2003; ISBN 3-442-45833-1
2003 A Question of Blood
Die Kinder des Todes, dt. von Claus Varrelmann, München: Goldmann 2004; ISBN 3-442-54550-1
2004 Fleshmarket Close
So soll er sterben, dt. von Heike Steffen und Claus Varrelmann, München: Goldmann 2005; ISBN 3-442-54550-1
2006 The Naming of the Dead
Im Namen der Toten, dt. von Juliane Gräbener-Müller, München: Goldmann 2007; ISBN 3-442-54606-0
2007 Exit Music
Ein Rest von Schuld, dt. von Giovanni und Ditte Bandini, München: Manhattan 2008; ISBN 978-3-442-54639-8
2012 Standing in Another Man’s Grave
Mädchengrab, dt. von Conny Lösch, München: Manhattan 2013; ISBN 978-3-442-54722-7.
2013 Saints of the Shadow Bible
Schlafende Hunde, dt. von Conny Lösch, München: Manhattan 2014. ISBN 978-3-442-54723-4.
2015 Even Dogs in the Wild
Das Gesetz des Sterbens, dt. von Conny Lösch, München: Manhattan 2016, ISBN 978-3-442-54772-2.
2017 Rather be the Devil
Ein kalter Ort zum Sterben, dt. von Conny Lösch, München: Goldmann 2017, ISBN 978-3442314614
2018 In a House of Lies
2019 Ein Haus voller Lügen, dt. von Conny Lösch, München: Goldmann 2019, ISBN 978-3-442-31525-3
2020 A Song for the Dark Times

Malcolm Fox

1) Ein reines Gewissen (The Complaints, 2009)
2) Die Sünden der Gerechten (The Impossible Dead, 2011)

Die Jack-Harvey-Romane:

1) Blood Hunt
2) Witch Hunt
3) Bleeding Hearts

Andere Romane

1) Watchman
2) The Flood
3) Westwind

Handlung

Inspector John Rebus sitzt im Zug von Edinburgh nach London. „Mach uns bloß keine Schande“, hat ihm sein Vorgesetzter „Farmer Watson“ gesagt. Wie könnte er? Angeblich soll er nach seinem gelösten Fall von „Serienmorden“ bereits ein „Experte“ auf diesem wenig erforschten Gebiet sein. Na, es wäre sicher ein Fehler, seine Gastgeber in dieser Ansicht vor den Kopf zu stoßen.

Opfer und Vorgesetzte

Ohne zu zögern lässt er sich nach der Lektüre der Zeitung an den jüngsten Tatort bzw. Fundort kutschieren, ungeachtet der Tatsache, dass es nach 2 Uhr nachts ist. Dort kann er nicht nur Leiche einer sehr toten jungen Frau neben einem Kanal besichtigen, sondern auch gleich seine Gegenüber begrüßen. Da ist Inspector George Flight, der immer ein Auge auf ihn haben will (was ihm selten gelingt), da sind dessen Chef Philip Cousins und dessen Zeichnerin Imogen Penny und schließlich der Staatsanwalt Malcolm Chambers. Der verlangt, über alles informiert zu werden. Versteht sich von selbst. Der Umstand, dass er gleich in den ersten Sätzen als „von jenseits der Grenze“ und als „Jock“ bezeichnet wird, verärgert Rebus, doch er lässt sich nichts anmerken. „Fuck you too, pal“ (Du kannst mich mal), sagt er sich: „FYTP“.

Die Nacht im vorgebuchten Hotel ist viel zu kurz, denn Flight holt ihn aus den Federn. Sie machen eine Rundreise zu den anderen Fundorten. Sie liegen an Gleisen und anderen verkehrsgünstig gelegenen Stellen. Insgesamt sind es vier, drei Weiße, eine Schwarze. Alle weisen die gleiche Methode auf: Bisse auf dem Bauch, eine Stichwunde in der Kehle und üble Stichwunden im Anus – oben, Mitte, unten – ein Muster der Zerstörung.

Verlockung

Auf dem Revier lernt er nicht nur einen Störenfried namens Inspector Lamb kennen, sondern auch die ziemlich strenge Pressechefin und eine charmante junge Dozentin, die sich Lisa Frazer nennt. Sie behauptet, eine Polizeipsychologin zu sein und wünscht sich von Rebus nichts sehnlicher, als von ihm alle bekannten Fakten über den Wolfman-Fall zu erhalten. Im Gegenzug bietet sie ihm ein Täterprofil an. Diesem zweifachen Köder kann Rebus nicht widerstehen, zumal ihm seine Ex Rhona, die er in London besucht hat, mit kühler Abweisung begegnet ist. Sie will einen Mann fürs Leben, nicht einen Kerl, der schon mit seinem Job verheiratet ist. Und ihre Tochter Samantha hat auch schon einen Verehrer. Der nennt sich Kenny Watkiss und erzählt, er sei Motorradkurier. Das zählt bei Rebus als Kinderkram, und er lässt es Kenny spüren.

Neue Taktik

Gestärkt durch eine Liebesnacht mit Lisa beschließt Rebus, die Taktik zu ändern und den Wolfman aus der Reserve zu locken. Die Pressechefin soll ihn als Schwulen hinstellen. Die Presse schluckt den Köder sofort. Aber es gibt auch einen Trittbrettfahrer, der seinen simplen Einbruch als Wolfman-Tat inszenieren wollte. Als die Kripo mit ihm fertig ist, singt er wie ein Vögelein. Doch noch am Tatort stellt sich Rebus vor den entsetzten Blicken seiner Gastgeber vor die Kameras und Mikrofone der Pressehyänen und verkündet, der Wolfman sei gefasst und sie könnten jetzt alle nach Hause gehen. Die Pressechefin ist auf 180 und versucht, Rebus zur Schnecke zu machen. Da beißt sie aber auf Granit.

Der Umstand, dass Lisa Frazer, die fotogene Polizeipsychologin, dabei neben ihm steht, ist dafür verantwortlich, dass ihr Konterfei neben seinem in den Gazetten landet. Prompt landet ein Drohbrief mit ihrer beider Foto auf dem Revier: Die Köpfe sind abgeschnitten. Nun dreht der Wolfman endlich durch, sagt Rebus zu dem leicht schockierten George Flight. Der Text des Schreibens erweist sich mit all seinen Fehlern und idiomatischen Ausdrücken als wahre Fundgrube. Dieses „Get this!“ – wo hat er das schon mal gehört?

Verschwunden

Samantha, seine Tochter, wendet sich verzweifelt an ihn. „Kenny ist verschwunden! Bring ihn zurück!“ Wie könnte er seinem Herzstück diesen Wunsch abgeschlagen? Aber was, wenn jemand nicht gefunden werden will? Zum Glück hat George Flight ein Netz von Informanten in der Stadt und weiß dies auch mit etwas unorthodoxen Methoden zu nutzen. Allerdings ist auch Lisa Frazer wie vom Erdboden verschluckt. Als er an der Uni nach ihr fragt, stößt er auf ein paar erstaunliche Fakten, die sie ihm nicht erzählt hatte…

Mein Eindruck

Zu jedem ordentlichen Krimi gehören falsche Fährten. Diese nennt man in der britischen Literatur „red herrings“, vornehm spricht der Experte auch von „to lead someone up the garden path“ (siehe das augenzwinkernde Dankeswort des Autors am Schluss der englischen Ausgabe). Und solche „roten Heringe“ bietet der Autor gleich mehrfach an. So lenkt er das Augenmerk des Lesers erst auf Kenny, den Neffen eines bekannten Vergewaltigers – und Witwer eines der ersten Wolfman-Opfer. Na, wenn das nicht verdächtig ist!

Rote Heringe

Auch Lisa Frazer, mit der unser schottischen Superheld eine Affäre anfängt, wirkt nicht so astrein, wie Rebus gerne glauben würde. Der Leser muss auf kleinste Details achten. Sie ist es aber auch, die Rebus auf die Idee bringt, der Wolfman gar kein Mann, sondern eine Frau sein. Wieviel Kraft ist denn schon nötig, um jemandem eine spitzes Messer durch die Kehle zu stoßen? Selbst harmlose Zeuginnen wie die schüchterne Jan erscheinen im Verlauf der Handlung als verdächtig, na, und Trittbrettfahrer wie der Einbrecher sowieso.

Psychologie

Das liegt aber auch daran, dass uns der Erzähler direkten Einblick in die Psyche des Mörders gewährt. Es handelt sich um eine sehr verwirrte Psyche, die schwer von dem Eltern der Eltern traumatisiert ist. Diese Vergangenheit ist genau ausgetüftelt, um plausibel wirken zu können. Das Geschlecht des Täters ist dabei bewusst im Unklaren gelassen, doch der Vater missbraucht sein Kind in jedem Fall. Die Mutter will am liebsten Kunst hervorbringen, doch der Fluch des Vaters liegt dem Kind immer noch in den Ohren: „Fuck art!

Verdächtige Cops

Rebus ist von Anfang an als Außenseiter und sogar als minderwertig gebrandmarkt. Die Cops, die dies tun, meinen es vielleicht nicht so, als sie verprellen und ihn und machen ihn wütend: FYTP! So entsteht eine kritische Distanz zum Scotland Yard, der Rebus die tägliche Show der Cops durchschauen lässt. Sie haben ihre Rituale, ihre Hackordnung und ihre Standardvorgehensweise – kurzum: Sie sind extrem berechenbar, insbesondere vom Wolfman. Dagegen lässt sich etwas unternehmen, entscheidet Rebus, und mischt den ganzen Laden gehörig auf.

Romanze

Allerdings ist auch unser Schotte ein wenig betriebsblind. Das zeigt sich, als er Lisa Frazer auf den leim geht. Sie braucht sich nicht einmal auszuweisen, als er schon mit ihr zum Abendessen geht und ihr den ganzen Fall brühwarm erzählt. Danach ist die Nacht in ihrem Bett ein Kinderspiel. Er ist froh, dass er mit vierzig noch immer einen hochkriegt, und sie ist froh, Sex mit einem Mann zu haben, der keine Familie mit ihr gründen will (denn er hat ja schon eine).

Action

Als sie verschwindet und er sich auf ihre Fährte setzt, durchbricht er eine Geheimnisbarriere nach der anderen, bis er schließlich kapiert, in welcher Gefahr sie schwebt – eine Gefahr, von der sie noch gar nichts ahnt. Na, das wäre ja gelacht, wenn er sich jetzt nicht als ihr Ritter in die Schlacht gegen den Drachen werfen würde! Die Verfolgungsjagd im „geborgten“ Wagen eines Richters inklusive des dazugehörigen Richters ist der angemessene Höhepunkt dieses feinen Krimis.

Unterm Strich

Ich habe diesen frühen Rebus-Krimi in nur zwei Tagen verschlungen. Nicht nur, weil die Handlung voll überraschender Wendungen ist und in einer dramatischen Verfolgungsjagd gipfelt. Rebus‘ urbane Gastgeber sind – wieder einmal – entsetzt über seine wilde, so gar nicht mit ihnen abgestimmte Vorgehensweise – sehr zum Vergnügen des Lesers.

Aber der Roman hat Biss, vom ersten Augenblick an, bis zur letzten Zeile. Rankins Erzählstil ist inzwischen viel weiter entwickelt als in noch in den beiden ersten Rebus-Krimis. Die Sätze sitzen präzise und kurz wie Hammerschläge, als wolle der Autor jemanden kreuzigen. Die ironischen Formulierungen und der schwarze Humor ätzen wie Batteriesäure gegen das Londoner Polizei-Establishment.

Zwielichtige Typen wie Inspector Lamb (der tatsächlich Dreck am Stecken hat) sind kleine Fische gegen die richtigen Fieslinge, die Rebus aufspürt. Da bleibt selbst George Flight, der durchaus zu seelischer Folter fähig ist, die Spucke weg, als er mitkriegt, wen Rebus eigentlich in einem gestohlenen Wagen quer durch die Innenstadt jagt… Der Leser darf sich vor Schadenfreude die Hände reiben. Zweifellos einer der besten frühen Rebus-Krimis, die ich gelesen habe.

Taschenbuch: 275 Seiten
Originaltitel: Tooth & Nail / The Wolfman, 1992; 2. Auflage 2000
ISBN-13: 9780752809403

https://www.orionbooks.co.uk

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