Kusnezow, Sergej – Hülle des Schmetterlings, Die

Bereits die Widmung von Sergej Kusnezows Buch „Die Hülle des Schmetterlings“ macht neugierig: |“Dieses Buch wollte ich zwei Freunden widmen. Beide haben sich geweigert es zu lesen und darauf bestanden, in keiner Weise damit in Verbindung gebracht zu werden.“| Was für ein Buch muss das sein, wenn Leute nicht damit in Verbindung gebracht werden? Der Verlag selbst sieht es als |“Das russische Gegenstück zu Thomas Harris‘ ‚Schweigen der Lämmer'“|, und damit hat er gar nicht mal so unrecht.

Ein Serienkiller hält die russische Hauptstadt Moskau in Atem. Schon seit Monaten foltert und tötet er Frauen zwischen 15 und 40, und die Polizei hat keine einzige Spur. Xenia, die junge Chefredakteurin einer mäßig erfolgreichen Internetseite, hat eine zündende Idee. Zusammen mit ihrem Kollegen Alexej und ihrer besten Freundin Olga ruft sie eine Website ins Leben, auf der alle Informationen zu dem Serienkiller zusammengetragen werden. Daneben werden Expertenmeinungen veröffentlicht und in einem Forum können die Besucher der Seite über die Morde diskutieren.

Ihr Plan geht auf. Die kontroverse Internetseite erlangt schnell Ruhm und Xenia wird zu einer kleinen Berühmtheit. Eines Tages meldet sich ein Fremder, der sich „alien“ nennt, über ICQ bei ihr. Xenia geht auf seine Gespräche ein und hört auch nicht auf, als der Fremde sie „kleine Schwester“ nennt und zu selbstverletzenden Aktionen zwingt. Ehe sie es sich versehen hat, steckt sie tief in einem Strudel aus roher Gewalt und blindem Gehorsam …

Sergej Kusnezow hat mit großer erzählerischer Beweglichkeit ein sehr düsteres Buch über die Abgründe im Menschen geschrieben. Diese Menschen arbeitet Kusnezow als originellen Charaktere sehr gut aus und versieht sie mit ganz eigenen Charakterzügen und einer detailreichen Vergangenheit. Auffällig ist, dass er auf positive Emotionen beinahe gänzlich verzichtet. So gut wie alle Protagonisten, allen voran natürlich der Serienkiller, zeigen nur ihre dunkle Seite, was dem Buch eine besondere Stimmung verleiht. An dieser Stelle sei besonders die Andersartigkeit der Charaktere betont. Xenia ist zum Beispiel Fan von BDSM-Spielchen, was ja nicht gerade alltäglich ist. Dadurch wird das Buch zusätzlich interessant und erlaubt einen Blick in Welten, die der normale Leser so nicht kennt.

Dieser Blick wird durch die unterschiedlichen Perspektiven ermöglicht. Der russische Autor legt hierbei eine große Kreativität an den Tag. Der Serienkiller berichtet sehr anschaulich, ohne zu viel von sich preiszugeben, aus der Ich-Perspektive. Neben Erinnerungen und aktuellen Ereignissen flicht er außerdem sehr poetische Kapitel ein. In einem schildert er zum Beispiel ausführlich, wieso jede Jahreszeit eine gute Jahreszeit zum Töten ist und greift dabei auf viele bildhafte Beschreibungen zurück. In anderen berichtet er in Form eines reimlosen Gedichtes davon, wie er seine einzelnen Opfer umgebracht hat. Kusnezow schafft es dabei, auf geniale Art und Weise die brutalen Details mit einer blumigen Sprache und der Liebe des Tötens, die der Killer verspürt, zu verbinden.

Die anderen Perspektiven wechseln dagegen munter durch. Zumeist schreibt er aus der dritten Person, manchmal aber auch aus der ersten, was die Gedanken und Gefühle des jeweiligen Ich-Erzählers besonders intensiv und oft beklemmend wirken lässt. Oft greift er aber auch auf eine völlig andere, unbekannte Art von Perspektive zurück, die „Du-Perspektive“. Eine Du-Perspektive setzt natürlich voraus, dass es einen Ich-Erzähler gibt, der das Du anspricht. Der Ich-Erzähler ist in diesem Fall der Serienkiller, auch wenn er sich in den Kapiteln mit der Du-Anrede, die zumeist an Xenia gerichtet ist, zurückhält. Er erzählt den Tagesablauf der Protagonisten so, als ob er sie gerade dabei beobachtet und sehr genau über ihre Gepflogenheiten Bescheid weiß. Das sorgt für Gänsehaut. Der teils verspielte, teils gruselige Ton, den Kuszenow dabei anschlägt, gibt dem Leser das Gefühl, dass der Serienkiller Macht über alle Personen in dieser Geschichte hat.

Auch wenn der Autor sich sehr stark auf seine Personen konzentriert – viele Kapitel handeln einzig von deren Gedanken und Gefühlen -, vernachlässigt er nicht die Handlung. Er schweift zwar oft ab und bietet dem Leser eine große Fülle an Informationen, aber diese lenken nicht unangenehm ab, sondern sorgen für eine hohe Erzähldichte. Die Handlung kommt zwar langsam in Gang, aber sie schreitet zügig fort und findet ihren Höhepunkt in einem überraschenden, offenen Ende. Oft gehen solche Experimente schief, doch Kusnezow gelingt es, seinen originellen Abschluss sauber über die Bühne zu bringen.

Was „Die Hülle des Schmetterlings“ neben den scharf gezeichneten Personen und dem Spiel mit den Perspektiven auszeichnet, ist der Schreibstil. Dieser ist rhetorisch bemerkenswert geschickt. Kusnezow benutzt viele Reihungen und Metaphern, Bilder und Vergleiche. Manche davon ziehen sich durch das ganze Buch; die Erwähnung eines schwarzen Kokons, zum Beispiel, auf den auch der deutsche Titel des Buchs anspielt. Der Autor hält mit diesem vielfältigen Schreibstil das ganze Buch zusammen und hebt sich wohltuend von anderen Thriller-Autoren ab.

„Die Hülle des Schmetterlings“ von Sergej Kusnezow ist ein selten guter Thriller. Eine spannende Handlung und tolle, düstere Charaktere verbunden mit einem virtuosen Schreibstil – und das in einem Genre, das nicht unbedingt für seine literarische Qualität bekannt ist. Der Vergleich mit Thomas Harris hinkt trotzdem. Aber es ist Harris, der gegen Kusnezows Kreativität nicht ankommt.

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