Herman Melville – Moby Dick

„Moby Dick“ ist ein Literaturklassiker. Und das, obwohl es bei der Erstveröffentlichung des Romans von Herman Melville 1851 nach einem Flop aussah. Als „trostloses Zeug, stumpfsinnig und öde“ und als eine „übel zusammengeschusterte Mischung aus Abenteuerroman und Tatsachenbericht“ wurde der Roman in Rezensionen gescholten. Und gilt dennoch heute als größtes Werk des Amerikaners. Melville selbst sah die damalige Kritik eher gelassen, war er sich doch von vorneherein darüber im Klaren, dass „Moby Dick“ eine literarische Gratwanderung darstellte. Und so verwundert der folgende Ausspruch von ihm wenig: „Es ist besser, auf der Suche nach Originalität zu scheitern, als mit bloßer Nachahmung Erfolg zu haben.“

Heutzutage ist „Moby Dick“ ein Buch, das schon häufig interpretiert und adaptiert wurde. Besonders bekannt dürfte die Verfilmung von John Hudson mit Gregory Peck in der Rolle des besessenen Kapitäns Ahab sein. Besonders gut gefallen hat mir auch die Umsetzung, die ich vor einigen Jahren mit Patrick Stewart in der Hauptrolle gesehen habe. Und nun gibt es „Moby Dick“ auch als Hörspielproduktion des Hörverlags. Eine Adaption, die es in sich hat und Melvilles Meisterwerk in zehnstündiger Länge durchaus werktreu zum Leben erweckt.

Die Geschichte des weißen Wals

„Moby Dick“ erzählt die Geschichte von Ismael, der immer dann, wenn er das Leben an Land satt hat, in See sticht. Diesmal entscheidet sich Ismael, als Matrose an Bord eines Wahlfangschiffes anzuheuern und auf der Suche nach einem passenden Schiff lernt er in einer merkwürdigen nächtlichen Begebenheit in einem Gasthaus den Harpunier Queequeg kennen – auf den ersten Blick ein Kannibale, wie er im Buche steht. Die beiden schließen Freundschaft, rauchen eine Friedenspfeife und entschließen sich, zusammen auf einem Schiff anzuheuern. Ismaels schicksalhafte Wahl fällt auf die |Pequod|.

Die Beiden heuern an und stechen wenige Tage später in See. Den Kapitän bekommen sie erst zu Gesicht, als sie schon auf hoher See sind, dabei hätten sie gut daran getan, ihn schon vor der Abreise in Augenschein zu nehmen, denn vielleicht hätten sie sich dann doch lieber für ein anderes Schiff entschieden. Doch als Kapitän Ahab nach einigen ereignislos verstrichenen Tagen auf See zum ersten Mal das Deck erklimmt, ist es dazu zu spät. Ahab entpuppt nicht gerade als die Art Kapitän, dem man bedenkenlos sein Leben in die Hände gibt, wenn man mit ihm in See sticht.

Ahab ist ein verbitterter alter Mann. Verstümmelt im Kampf gegen einen Wal, ersetzt nun ironischerweise ein Stumpen aus Walknochen sein abgetrenntes Bein. Und während er in den langen Tagen der Krankheit in seiner Hängematte vor sich hinvegetierte, verfiel er allmählich dem Wahnsinn – dem Wahnsinn, den Verlust seines Beines rächen zu wollen und den Wal, der ihm seine Wunden zugefügt hat, durch die Weltmeere zu jagen und zu erlegen. Und nun steht er wieder an Deck eines Walfangschiffes und schwört seine Mannschaft darauf ein, besonders nach einem Wal Ausschau zu halten, nach Moby Dick, dem weißen Wal, der für sein Elend verantwortlich ist.

Ahab interessiert sich nicht für Profit, setzt zwar auch anderen Walen nach, ist aber dennoch nur auf den einen aus. Und aus lauter Gier nach Rache und Blutzoll vergisst er fast seine Mannschaft, die an Bord der Pequod ihrem besessenen Kapitän ausgeliefert ist und einem unheilvollen Ende entgegenzusteuern scheint …

„Moby Dick“ ist definitiv ein Klassiker, aber dennoch längst nicht bei allen beliebt. Es gibt Kinderbuchadaptionen, die sicherlich viele kennen, aber wer sich einmal an Melvilles Originalwerk herangewagt hat, der wird feststellen, dass dort einiges an Durchhaltevermögen verlangt wird. Melvilles Erzählart (die wohl auch der Grund für die damals teilweise so negative Resonanz auf sein Buch ist) fordert Konzentration und die Bereitschaft, sich auf sehr starke Spannungswechsel einzulassen. Eine Sache, die ganz sicher nicht jedermann liegt.

Melville schreibt seinen Roman mehr als eine Art Collage. Ismael erzählt seine Geschichte zwanzig Jahre nach den Ereignissen an Bord der Pequod in einer Rückblende und die eigentliche Handlung wird immer wieder unterbrochen, um Versatzstücken aus Sekundärliteratur oder philosophischen Betrachtungen Platz zu machen. So versorgt Melville den Leser zwar mit einer Fülle an Informationen, bremst seine Handlung aber immer wieder aus. Tempowechsel, die mit der Zeit auf Kosten des Durchhaltevermögens des Lesers gehen, und man ist geneigt, Melvilles Einschübe auf der Suche nach dem roten Faden zu überblättern.

Diese Art des Erzählens war damals komplett neu und Melville damit wohl seiner Zeit voraus. Gleichzeitig lässt diese sprunghafte Erzählart auch den Eindruck entstehen, Melville wäre mit seinem Buch nicht ganz fertig geworden. Es wirkt teilweise zusammengestückelt und bruchstückhaft, wenn er zu einem neuerlichen Exkurs ausholt. Doch auch auf diesen Einwand weiß Melville direkt im „Moby Dick“ die passende Antwort zu geben, indem er sein Werk als den „Entwurf eines Entwurfes“ bezeichnet. Die Sprunghaftigkeit kann also durchaus Absicht sein und bietet darüber hinaus eben auch heute noch jede Menge Spielraum für Interpretationen und Diskussionen.

„Moby Dick“ einzuordnen, fällt relativ schwer. Es ist kein reiner Abenteuerroman, denn dafür liefert Melville in seiner Collage zu viele sachbuchartige oder auch teils satirisch angehauchte, zeitkritische Exkurse, die hin und wieder eine ganz eigenständige Gegenhandlung entwickeln, zum Beispiel zur Klassifizierung der Wale, zur Technik des Walfangs und zu philosophischen Betrachtungen etwa der Farbe Weiß.

Unverkennbar ist bei „Moby Dick“ ein gewisser shakespearesker Einfluss. Parallelen zu den Dramen des englischen Poeten sind unverkennbar und lassen Kapitän Ahab fast wie einen waljagenden King Lear erscheinen. Teilweise erscheinen die Figuren, als wären sie frisch einer Tragödie von Shakespeare entsprungen und nehmen von Beginn an jede Hoffnung auf ein glückliches Ende. Die Geschichte quillt über vor düsteren Vorahnungen und Andeutungen der Tragödie, die sich anbahnt, was einen beachtlichen Spannungsbogen kreiert, trotz des immer wieder unterbrochenen Erzählfadens.

Melville schildert seine Figuren bis in die Nebenrollen außerordentlich facettenreich und lebhaft. Jede Figur hat ihre Ecken und Kanten, jeder der Männer an Bord trägt sein eigenes tragisches Schicksal. Das Leben auf hoher See wird fast zum Greifen nah, so eine dichte Atmosphäre zaubert Melville mit seinen Schilderungen. Mal wirkt der Roman mehr wie ein Tatsachenbericht, mal wie eine astreine Abenteuergeschichte, der man fasziniert folgt.

Ein Übriges tut Melvilles Sprache, die sicherlich auch aufgrund der Tatsache, dass der Roman bereits mehr als 150 Jahre auf dem Buckel hat, etwas gewöhnungsbedürftig ist. Sprachlich finde ich „Moby Dick“ aber unglaublich ausdrucksstark. Melville versteht sehr gut mit Worten zu jonglieren und schreibt mit einer schier unglaublichen Sprachgewalt. Sein Erzählstil und seine Wortwahl lassen Bilder im Kopf entstehen, die die Geschichte zum Leben erwecken. Die Geschichte fordert auch wegen ihrer sprachlichen Dichte und Komplexität Konzentration, aber dafür wird man mit einem sehr bildhaften und wortgewaltigen Roman belohnt, der bleibenden Eindruck zu hinterlassen vermag.

Die Umsetzung als Hörspiel

Die Hörspielbearbeitung von Klaus Buhlert geht mit der Vorlage sehr behutsam um und tastet auch Melvilles collagierenden Erzählstil nicht an. Da sich die eingeschobenen Versatzstücke in der durchgängigen Handlung aber natürlich nur schwer überzeugend für das Hörspiel einarbeiten lassen, arbeitet Buhlert ganz geschickt mit zwei Erzählern. Der erste ist Ismael, der die durchgängige Handlung erzählt. Der zweite wird als Melville bezeichnet. Buhlert legt die Einschübe damit dem Autor selbst in den Mund, was in der Umsetzung durchaus überzeugend ist. Die beiden Sprecher sorgen für eine gewisse Abwechslung und man kann als Hörer dank der verschiedenen Stimmen die Erzählstränge sortieren.

Die vorlagentreue Umsetzung schlägt sich nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich nieder und damit gilt letztendlich für das Hörspiel das Gleiche wie für das Buch: Man kann das Werk nicht nebenbei mal eben konsumieren, sondern muss bewusst und konzentriert zuhören, um die Geschichte in all ihren Facetten erfassen zu können. Buhlerts Hörspielproduktion konzentriert sich sehr auf die Sprecher und auf die Texte. Es gibt nur stellenweise und dann als lockere Überleitung eingespielte Musik. Melvilles Sprachgewalt wird dadurch auch in der Hörspielfassung noch sehr schön deutlich.

Buhlert lässt bestimmte wichtige Passagen, wichtige Sätze aus dem Roman an verschiedenen Stellen, eingebunden in dezent im Hintergrund erklingende Walgesänge, quasi „gebetsmühlenartig“ wiederholen. Wichtige Auszügen aus Monologen von Ahab (|“So ist denn der Prophet nun eins mit dem Vollstrecker.“|) oder wichtige philosophische Feststellungen prägen sich dadurch besonders ein.

Man taucht durch diese sehr stark textbetonte Hörspielumsetzung beim Zuhören tiefer in die Handlung ein, wird sich der dramatischen Tragweite der Geschichte und der mehr oder minder unvermeidbaren Handlungsweisen der Figuren bewusster. „Moby Dick“ wird dadurch greifbarer, doch gleichzeitig auch bedrückender. Nicht zuletzt zeigt sich daran auch Buhlerts Feingespür, mit dem er durch die Hörspieladaption „Moby Dick“ als wichtiges Werk der Literatur manifestiert und seine bedeutsamsten Bestandteile besonders betont. Obwohl ich das Buch auch vor dem Hörspiel schon mochte, ist es mir durch diese feinfühlige und respektvolle Darstellungsweise noch mehr ans Herz gewachsen.

Zehn Stunden dauert der ganze Spaß. Buhlert kürzt kaum, gibt alles sehr originalgetreu wieder und so verwundert es kaum, dass die erste Hörspielstunde schon fast vorbei ist, ehe unsere beiden Helden Ismael und Queequeg mit der Pequod in See stechen. Auch die Vorgeschichte stellt das Hörspiel detailliert dar, bis hin zur ausufernden Predigt von Vater Mapple. Wer also mit dem Roman nicht warm wurde, weil ihm Melvilles ausschweifender Erzählstil und seine sprunghafte Erzählweise nicht gefielen, der dürfte an der Hörspielfassung die gleichen Kritikpunkte finden.

Andererseits finde ich es ganz gut, dass das Hörspiel auch Melvilles Einschübe wiedergibt. Auch ich habe beim Lesen an spannenden Stellen Melvilles weiterführende Erläuterungen teilweise nur quergelesen oder überblättert. Im Hörspiel höre ich sie mir ohne Hast und viel bewusster an, als ich sie jemals gelesen habe, und entdecke dabei immer wieder neue Feinheiten, die mir bei der Lektüre entgangen waren.

Das Schönste an der exzellenten Hörspielumsetzung ist für mich neben den Sprechern und der werktreuen Inszenierung aber die Atmosphäre. Buhlert schafft es mit recht spartanischen Mitteln, richtige Seemannsstimmung aufkommen zu lassen. Die Geräusche an Bord sind sehr glaubwürdig und geradezu authentisch inszeniert, seien es das Flügelschlagen der Vögel, das Flattern der Segel im Wind oder die Geräusche eines blasenden Wals.

Aufgelockert wird die Erzählhandlung auch immer wieder durch typische Seefahrtsgeräuschkulissen. Man hört den Kapitän einen Befehl erteilen. Der erste Steuermann leitet den Befehl weiter, eine Glocke wird geschlagen, eine Pfeife ertönt und damit wandert der Befehl weiter von Deck zu Deck, bis er schließlich ausgeführt wird. Mit der Zeit glaubt man sich dank der überzeugend dichten Atmosphäre wirklich an Bord eines Walfängers.

Ähnlich feinfühlig wird die Musik eingesetzt. Es gibt keine monumentalen Orchestereinsätze und die Musik wirkt weniger wie ein begleitender Soundtrack, sondern mehr so, als wäre sie wirklicher Bestandteil der Geschichte. Streicher und Klavier findet man nur sporadisch, während die einprägsamere musikalische Untermalung von einem Chor stammt, der zwei verschiedene Seemannslieder über den Walfang zum Besten gibt, und einem Fiedler, der an Bord für Stimmung sorgt.

Auch experimentelle Musik kommt durchaus vor, beispielsweise in Form von Walgesängen oder verfremdeten Unterwassergeräuschen. Auch Queequegs gebetsartigen Gesänge dienen immer wieder als Hintergrundakustik. Durch diese Art von Musik, für deren Komposition Klaus Buhlert ebenso verantwortlich ist wie für Hörspielbearbeitung und Regie, wird die Atmosphäre besonders unterstrichen und die Sprache in den Vordergrund gerückt.

Das Sahnehäubchen auf dieser gut gemachten Hörspielproduktion ist ein 70-seitiges Booklet, das allerlei Informationen zu Herman Melville, zu Moby Dick, zur Hörspieladaption und zu den Sprechern enthält. Auch das gängige Seemannskauderwelsch, das einem im Hörspiel immer wieder begegnet, wird dank eines im Booklet abgedruckten Glossars verständlicher.

Die Sprecher

Lob verdienen auf ganzer Linie die Sprecher. Allen voran muss man hier Rufus Beck erwähnen. Vielen durch die Harry-Potter-Hörbücher bekannt, spricht er hier den Erzähler Ismael. Er klingt für mich wie der perfekte Ismael – weder zu jung, noch zu alt, lebens- und abenteuerlustig, kraftvoll, aber gleichsam nachdenklich. Rufus Beck bringt mit seiner Stimme all diese Facetten des Ismael sehr überzeugend zum Ausdruck.

Ein schöner Kontrast dazu ist die Stimme von Melville, gesprochen von Felix von Manteuffel. Er wirkt ruhig und verschmitzt, etwas älter und gesetzt und strahlt dabei sowohl Charme als auch Intelligenz aus. Damit bringt er genau die Eigenschaften mit, die es braucht, um Melvilles intellektuellen Ausflügen in andere Themengebiete Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Ein weiteres Highlight, das den Eindruck brillant besetzter Rollen vermittelt, ist Manfred Zapatka in der Rolle des Kapitän Ahab. Obwohl er mir von der Stimme her etwas zu jung erscheint (was Regisseur Klaus Buhlert aber damit entschuldigt, dass auch Gregory Peck damals als Ahab eigentlich zu jung war), passt er perfekt in seine Rolle. Er bringt den düsteren, besessenen Ahab zur vollen Geltung, spielt seine Stimmungsschwankungen, seine Wutausbrüche und seine einsamen Monologe voller Überzeugungskraft und unglaublich ausdrucksstark. Auch dank der Sprecherleistung von Manfred Zapatka kommt Ahab als tragischer Held, ähnlich einem Macbeth oder King Lear, zur vollen Geltung. Er wirkt genau so, wie man sich den von Melville beschriebenen „großen, gottlosen, gottgleichen Mann“ Ahab vorstellt.

Die Nebenrollen, z. B. die Steuerleute Starbucks, Stubb und Flask, überzeugen ebenfalls auf ganzer Linie. Sie passen in etwa zu der Vorstellung, die ich von ihnen hatte und sorgen damit für einen stimmigen Gesamteindruck. Besondere Erwähnung verdient auf jeden Fall noch Queequeg. Für die Rolle des Queequeg hat Klaus Buhlert so lange nach einem passenden Sprecher gesucht, bis er mit Rudolph Taroura Grün endlich die perfekte Besetzung fand. Grün hat deutsche Vorfahren und wurde auf Tahiti geboren. Er spricht teilweise in der Sprache Tahitis und teilweise in gebrochenem Deutsch, und das Ganze klingt so echt und unverfälscht, dass man den Eindruck hat, Queequeg würde leibhaftig vor einem stehen.

Unterm Strich

Der Anschaffungspreis von 50 €uro mag im ersten Moment abschrecken, dennoch kann man „Moby Dick“ eine entsprechend hochwertige Qualität nicht absprechen. Die zehnstündige Hörspieladaption des |Hörverlags| geht feinfühlig mit der Romanvorlage um, setzt in meinen Augen die richtigen Akzente und weiß obendrein durch exzellente Sprecher, eine passende musikalische Untermalung und eine atmosphärisch dichte Inszenierung zu überzeugen.

Wer die Vorlage kennt und schätzt, der dürfte auch mit der Hörspieladaption sehr zufrieden sein. Für Nichtkenner des Buches könnte die |Hörverlag|-Produktion einen interessanten Einstieg in Melvilles Meisterwerk bieten, denn wem das Buch zu anstrengend und komplex erscheint, der findet akustisch vielleicht einen etwas leichteren Zugang zu der Geschichte vom weißen Wal.

10 CDs
Laufzeit: ca 9 Std.