Josephine Mutzenbacher – Die Geschichte einer Wiener Dirne von ihr selbst erzählt (Mutzenbacher 01)

Lehrjahre einer Professionellen

„Sie war sieben, als sie die ersten erotischen Erfahrungen machte, und dann trieb sie es mit jedem, verführte unschuldsvoll-dreist die Männer: den Bierversilberer Horak, den bruder Franzl, den lehrer, den Untermieter, den Pfarrer… jeden, der ihr gefiel.

Sie tat es zunächst aus Vergnügen, nicht für geld; erst später kam sie darauf, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, sich mit allen Schlichen und Kniffen ihres Metiers vertraut zu machen – eine ‚große gebildete Hure‘ zu werden…“ (korrigierte Verlagsinfo)
„Die Wiener Dirne Josephine Mutzenbacher ist eine der berühmtesten Halbweltdamen aller Zeiten gewesen, die sich der stattlichen Zahl von 365 Liebhabern brüsten konnte. Ihre Aufzeichnungen gehören zu den klassischen Werken der erotischen Weltliteratur.“ (Verlagsinfo Moewig)

Einzige illustrierte Ausgabe.

Die Autorin

Die Geschichte einer Wiener Dirne von ihr selbst erzählt ist ein Roman der erotischen Literatur, der erstmals 1906 in Wien publiziert wurde. Als Autor des anonymen Werks gilt Felix Salten (1869-1945), der diese Autorenschaft aber stets abstritt. Die jüngere Forschung geht aufgrund einer historischen und stilometrischen Untersuchung davon aus, dass Ernst Klein der Verfasser ist; dieser veröffentlichte oft unter dem Pseudonym „Richard Werther“.

Die als Erzählerin fungierende Protagonistin des Romans ist eine Wiener Prostituierte, die von 1852 bis 1904 gelebt haben soll. Sie erzählt von sexuellen Erlebnissen in ihrer Kindheit. Das Werk erschien 1906 in kleiner nummerierter Auflage von 1000 Stücken in Wien bei dem ungenannten Erotika-Verleger Fritz Freund unter dem Titel „Josefine Mutzenbacher oder Die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt“. Das Buch erschien auf Subskriptionsbasis, um die damalige Zensur zu umgehen. „Alle meine Liebahber“ ist die Fortsetzung und entspricht „Josefine Mutzenbacher: Meine 365 Liebhaber“. (Wikipedia.de)

Buchausgaben

Anon.: Josefine Mutzenbacher oder Die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt. [Erstausgabe.] Privatdruck [Wien], 1906.
Oswald Wiener (Hrsg.): Josefine Mutzenbacher: Die Lebensgeschichte einer wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt. Rogner & Bernhard, München 1969. Mit dem Anhang Beiträge zur Ädöologie des Wienerischen von Oswald Wiener und einer Vorbemerkung von K. H. Kramberg.
Michael Farin (Hrsg.): Josefine Mutzenbacher oder die Geschichte einer wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt: Ungekürzter Nachdruck der Erstausgabe aus dem Jahr 1906 mit Essays zum Werk. München, Schneekluth 1990. ISBN 3-7951-1170-6
Wolfgang Schneider (Hrsg.): Josefine Mutzenbacher. Lebensgeschichte einer Wiener Dirne / Josefine Mutzenbacher und ihre 365 Liebhaber. AREA Verlag, Erftstadt 2004, ISBN 3-89996-276-1.
Josefine Mutzenbacher: Sammelband. Josefines Jugend; Josefine Mutzenbacher; Peperl Mutzenbacher – Tochter der Josefine. Tosa Verlag, Wien, ISBN 3-85492-843-2. Sammelband mit zahlreichen zeitgenössischen Photographien. (Bemerkung: Tosa hat die Titel der ersten beiden Teile geändert. „Josefines Jugend“ entspricht „Josefine Mutzenbacher: Die Geschichte einer wienerischen Dirne“ und „Josefine Mutzenbacher“ entspricht „Josefine Mutzenbacher: Meine 365 Liebhaber“.)

Handlung

Josefine „Pepperl“ Mutzenbacher erzählt die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend in zwei Teilen. Sie sind durch den Tod der Mutter voneinander getrennt, der dadurch den Charakter eines tiefen Einschnitts erhält.

Der Vater ist ein Sattelmacher in der Vorstadt, verdient kaum was, hat aber schon drei Kinder. Schon mit fünf Jahren bemerkt Pepperl, dass die Männer ein intensives Interesse an ihrem Unterleib aufweisen. Einer der „Bettgeher“, einer von vielen Untermietern, der in der Mutzenbacherschen Wohnung nur übernachten darf, deckt sie auf und bewundert ihre Anatomie. Mit sieben Jahren beginnen die Spiele unter den Kindern, die keineswegs Doktorspiele sind, sondern „Vater und Mutter“ heißen. Hier lernt Pepperl am meisten über die anatomischen Unterschiede zwischen Mädchen und Jungs. Ihr Bruder Franzl ist dabei, doch der ältere Bruder Lorenz hat andere Prioritäten. Es wird ihr klar, dass manche Mädchen einen Busen früher bekommen als andere und ebenso Haare auf der Fut, der Vulva. Früh lernt sie, welches Körperteil wohin gehört. Und dass Diskretion von höchster Bedeutung ist. Fortan lernt sie das Lügen.

Der Bettgeher

Der Bettgeher Herr Ekhard ist der erste, der Pepperls Fut durchbohren kann, und sogleich muss sie ihm Diskretion versprechen. Aber weil das Erlebnis gar so angenehm war, schaut sie sich nach anderen Mannsbildern um. Die Frau Reinthaler aus der Nachbarwohnung ist bislang vergeblich von Pepperls Bruder Franz angehimmelt worden, doch nun fädelt sie ein Rendezvous ein. Als sie mitbekommt, dass die Reinthaler sich vom Bierversilberer Horak, der Bierfässer bis ans Haus fährt, bumsen lässt, spielt sie die Voyeurin. Es dauert nicht lang, bis sie die Reinthalerin mit dem, was sie gesehen hat, erpressen kann. Als sie die Frau zusammen mit ihrem Bruder auf dem Gang zur Wäschekammer abpasst, droht sie mit Indiskretion, es sei denn die Reinthalerin spielt mit. So kommt der Franzl doch noch zu seiner Eroberung – und die Pepperl an den Herrn Horak. Der erfreut sich vor allem an Analverkehr, was bei seinem langen dünnen „Spargel“ kein Problem darstellt.

Amtsmissbrauch

Nach einem Spaziergang auf das „Fürstenfeld“ wird sie gleich zweimal zum Sex genötigt, von einem Kutscher und von einem jungen Spanner, der sie zu verpfeifen droht. Mit etlichen weiteren Mannsbildern aus der Gasse erweitert Pepperl ihren Erfahrungsschatz. Sie lernt, wie man einen Schwanz durch eifriges Reiben und Lecken wiederauferstehen lässt, damit der „Freier“ ein zweites Mal kommen kann. Dass auch Pfarrer wie der „Katechet“ etwas von erotischen Künsten verstehen, lernt sie in dessen Lehrstunde. Ein Mädchen nach dem anderen muss sich von ihm „verwöhnen“ lassen. Damit es kein „Missgeschick“, sprich: Schwangerschaft, gibt, leckt er die Mädchen nur, während sie ihn wichsen müssen.

Eine weitere Amtsperson ist der Herr Schullehrer. Nach dem Ende der regulären Schulstunden lässt er noch Pepperl und zwei andere Mädchen nachsitzen, um ihnen zusätzliches Wissen zu vermitteln. Dies ist aber keine Schulweisheit aus dem Lehrplan, sondern aus dem Reich des Priapus: Pepperl wichst ihm regelmäßig einen ab, während er ihre Fut begrabscht. Das geht so lange gut, bis ein jüngeres und unbedarfteres Mädchen ihrer Mutter von diesen Aktivitäten berichtet, die Mutter zum Rektor geht und der den Lehrer verhaften lässt.

So kommt es, dass die Pepperl auf die Polizeiwache gerufen wird. Der Wachtmeister will genau wissen, ob sie den Herrn Lehrer etwa ermutigt habe. Und der Arzt untersucht Pepperl ohne Erlaubnis und bestätigt, dass sie keine Jungfrau mehr ist. Andere Mädchen wie etwa eine Wirtstochter sind ebenso aufgeweckt wie Pepperl und wissen sich ihre Zukunft zu sichern, während sie ihre Gegenwart verschönern.

Teil 2

Pepperl denkt, dass sie mit „Freunden“ wie dem Horak, dem Loisl und dem Schani bestens versorgt ist, als die Mutter stirbt. Der hatte sie mit einem netten Bettgeher einen Freund verschafft, der die Stelle des Vaters einnahm. Doch nun scheint alles aus zu sein, und der Vater ist am Boden zerstört. Woher soll er jetzt die Miete bezahlen, die von seiner Frau durch Prostitution eingenommen wurde?

Eine Abmachung

Doch der Rudolf, ein ehemaliger Kellner, weiß auch diesmal Rat: Seine Freundin bekommt von den älteren Herren, die sie „verwöhnt“, stets etwa zugesteckt, und zwar keine Pfennige, sondern Gulden. In einem eingehenden Gespräch kommen der Rudolf und der Vater überein, dass sie sich einigen können. Weil der Vater eh schon seine Tochter pimpert – er hat sie verführt, und sie konnte ihn ja schlecht abwehren – , bekommt der Rudolf, der das mitbekommen hat, eine Art Nutzungsrecht an der Pepperl. Und der Vater bekommt die Hälfte vom Lohn der Zenzi, wenn die anschaffen geht.

Ausbildung

Der nächste logische Schritt besteht darin, dass die Zenzi auf Bitten von Rudolf, ihrem Zuhälter, nun Pepperl ausbildet. Denn das Madl hat mit seinen 13 Jahren noch keinen Schimmer von der großen Welt. Um den Stephansdom herum und auf der Kärtner Straße gibt es ein paar feine Herren, die eine schnelle Nummer schieben wollen. Da geht auch ganz leicht, denn die Nutten haben noch nie was von Unterwäsche gehört. Sie könnten sie sich auch gar nicht leisten. Und noble Damen laufen sowieso nicht in dieser Gegend auf der Straße: viel zu gefährlich.

Hiebe und Triebe

So kommt es zu einem für Pepperl denkwürdigen Abenteuer, das in einem Zimmer stattfindet, welches Zenz von einer Bordellmutter gemietet hat. Der junge Freier scheint ganz in Ordnung zu sein, aber er kriegt keinen hoch. Da hat Zenzi einen Einfall und sie macht ihn zur Schnecke. Er wird richtig unterwürfig, und während sich Pepperl noch wundert, bemerkt sie die große beule in seiner Hose. Er genießt die Demütigung! Sobald er sich auf Befehl ausgezogen hat, traktieren Zenzi und sie den Burschen mit Reitgerten. Der Erfolg ist durchschlagend: Plötzlich geht ihm eine Ladung ab. Leider direkt Pepperl ins Gesicht. Der Lohn der Mühe ist sagenhaft: 20 generöse Gulden!

Der Pornofotograf

Noch viel erhellender ist die Begegnung mit einem Fotografen, der angeblich „künstlerisch wertvolle“ Bilder mit ihr machen will. Dass das Fotoatelier in einer Vorstadt in einem Hinterhof völlig versteckt liegt, macht Pepperl etwas stutzig. Doch der Mann ist verheiratet, und das beruhigt sie. Es wird keine Scherereien wegen Eifersucht geben. Von wegen! Es ist das Ehepaar, das aufeinander eifersüchtig ist. Er gönnt ihr keinen Sex mit dem männlichen Modell Albert, und sie passt auf wie ein Schießhund, dass ihr Mann nichts mit der Pepperl anfängt. Die Gattin findet einen Weg, wie sie auf ihre Kosten kommt, und Pepperl, wie sie an ihren Lohn kommt: nicht zu wenig für so wenig Arbeit.

Mein Eindruck

Nach einer kleinen Vorbemerkung geht die Autorin, die unter einem Pseudonym schrieb, gleich in medias res: Wie sie erfahren hat, dass in Menschheit in zwei Geschlechter aufgeteilt ist. Der männliche Blick des ersten Bettgehers auf ihre Vulva verrät schon viel: Er glotzt staunend, bleibt aber untätig. Dass es überhaupt Bettgeher gegeben hat, macht den Leser stutzig: Dürfen denn Mieter wie die Mutzenbachers überhaupt untervermieten? Und: Während Herr Mutzenbacher eine stetige Anstellung hat, sind andere nicht so glücklich. Merke: Es gibt immer noch eine soziale Stufe, die Josefine tiefer sinken könnte. Deshalb geht es immer auch ums Geld und den Status, der damit verbunden ist. Bald wird ihr klar, dass sie als Frau keinerlei Rechte hat.

Die Anfänge

Nach dem Spielen mit Sex im kreise ihrer Freunde und Geschwister beginnt sich daher Josefine schon bald erwachsene Freunde zu suchen. Leichter gesagt als getan. Die Reinthaler, der Horak, einige andere – sie sind Josefine wohlgesonnen. Doch es gibt auch Ausbeuter wie den Lehrer und den Katecheten. Dass die Kaste der Pfarrer bis zum heutigen Tag zu den missbrauchenden Ausbeutern von Kindern und Jugendlichen gehört, dürfte mittlerweile bestens bekannt sein, so schändlich diese Tatsache auch ist. Apropos Lehrer: Auch Schwimmlehrer, Trainer und viele andere haben ihre Schützlinge missbraucht.

Das Polizeiverhör

Ebenso niederschmetternd und vielsagend ist Josefines Verhör durch die Polizei. Obwohl eindeutig das Opfer, wird ihr dennoch eine Teilschuld zugeschrieben. Zum ersten Mal hört sie das Wort „Blutschande“, kann aber nichts damit anfangen. Dass sie minderjährig, aber schon längst entjungfert ist, löst im Polizeiarzt keinen Aufschrei aus, sondern eher Gleichgültigkeit. So sind halt in Ottakring die Verhältnisse in der plebs, was kann Mann da schon erwarten? Dass sich in solch einem „Milljöh“ auch rasend schnell Seuchen wie Cholera, Grippe oder Syphilis verbreiten könnten, spricht er mit keiner Silbe an.

Gewissen

Josefine entwickelt schnell sowohl ein soziales Gewissen als auch ein wirtschaftliches. Sie verhilft ihrer vom Vater unbefriedigten Mutter zu einem zufriedenstellenden Liebesleben. Gleich geht es der ganzen Familie viel besser. Das zeigt, wie wichtig die sexuelle Erfüllung einer zentralen Frauenfigur ist. Das zeigt Josefine, dass auch sie stets auf ihre Kosten kommen sollte, statt nur die Begierde der Mannsbilder zu befriedigen, beispielsweise ihren Vater. Sie ist eine unbezahlte Hure.

Bezahlt

Dass sie in die bezahlte Prostitution einsteigt, verdankt sie dem Tod ihrer Mutter, die eine moralische Autorität darstellt, und dem gewieften Zuhälter Rudolf und seinem „Pferdchen“ Zenzi. Der nötigt und überredet Josefines Vater, so dass sich die beiden in den sexuellen Gebrauch des Mädchens teilen: jeder profitiert davon. Josefines kommt es nur selten in den Sinn, gegen solche Abmachungen zu protestieren – es wäre ja eh zwecklos. Alle Kritik ist implizit, nicht explizit.

In Deckung

Welchen Zumutungen sie als Junghure ausgesetzt ist, erfährt der Leser schon bald aus den Berichten über die Freier und anderen Kunden. Da die Sittenpolizei Jagd auf Prostituierte macht, ziehen sich Zenzi und Josefine bewusst unauffällig an, selbst dann noch als sie sich feine Textilien leisten könnten. Der Rudolf hat sie eindringlich davor gewarnt. (Die Autorin erteilt noch viele weitere Tipps.)

Komödie

Die Schilderungen sind szenisch und dramatisch aufgebaut, mal als groteske Tragödie wie mit dem Masochisten, mal als köstliche Komödie wie beim Pornofotografen. Dessen Frau bemüht sich listenreich, endlich einen Orgasmus zu bekommen, ohne dass es ihr Mann, der hinter der Kamera steht, mitbekommt. Knifflig, um es gelinde auszudrücken. Es ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie es Frauen aller Gesellschaftsschichten gelingt, sexuelle Erfüllung zu finden, indem sie diverse Listen anwenden.

Alois

Die traurigste Figur ist der junge Mann Alois aus der besseren Gesellschaft, der völlig von seiner Kinderfrau Klementine er- und verzogen worden ist. Sie ist der alleinige Standard und Bezugspunkt für seine Liebesspiele. Der standardmäßige Punkt, an dem er verkündet, dass er kommen möchte bzw. werde, lautet der Spruch: „Schluss mit Genuss!“ Den hat er natürlich von seiner Kinderfrau-Geliebten übernommen. Und die gibt ihr auch einen Lohn: ein Zehnerl, also nicht mal einen Gulden. Merke: Die feinen Herrschaften treiben es mindestens so pervers wie „die da unten“. Letzten Endes ist Sex der große Gleichmacher.

Textbesonderheiten

S. 5: „in der Vorstand Hernals … geboren“: Gemeint ist die Wiener Vorstadt Hernals.

S. 8: „Bettgeher“: Schlafgänger, -bursche ((https://www.ostarrichi.org/wort/19774/Schlafgaenger__-bursche_))

S. 35: “ich bemerkte, daß sei sehr angenehm“: Korrekt wäre: „…das sei sehr angenehm“.

Der Wienerische Dialekt bietet zahlreiche Herausforderungen. Hier nur die größten.

S. 220: „vazierend“: freigestellt, umherziehend.

S. 248: “Falott“: Gauner, Betrüger.

S. 256: “Zenzi trischakte auf seinen Hintern los“: verhauen, schlagen, verklopfen ((https://www.ostarrichi.org/wort/10189/verhauen_schlagen_verklopfen))

S. 277: “Buserantenstellen / Buserantengeschichten” von “Buserant“: Homosexueller ((https://www.ostarrichi.org/wort/13581/Homosexueller)).

Überall: „tremmeln“: energisch hämmern ((https://www.ostarrichi.org/wort/7707/energisch_haemmern)).

„stad“: still (wie im Oberbayerischen).

„Duteln“: Brüste.

Die Illustrationen

Diese Ausgabe, die der Erstausgabe von 1906 folgt und ungekürzt ist, ist durch zahlreiche Illustrationen aufgewertet. Sie stammen von einem ungenannten Künstler aus dem Fin de siècle. Sie zeigen jeweils ein Paar bei einschlägigen Tätigkeiten. Leider sind alle Bilder schwarzweiß. Um auch farbige Illustrationen drucken zu können, wurde später die Verwendung von Hochglanzpapier notwendig.


Unterm Strich

Ich habe dieses unterhaltsame Erotikon in zwei Nachmittagen verschlungen, aber man kann es garantiert auch an nur einem verregneten Sonntagnachmittag genießen. Durchweg erzählt die Autorin in spannenden, anregenden Szenen, so dass man sich die auftretenden Figuren leicht merken und die Aktivitäten leicht vorstellen kann. Was ich immer wieder erstaunlich fand: Die Hauptfigur, das Pepperl, ist am Ende der Erzählungen, noch nicht mal 14 Jahre alt. Ihre sexuelle Erziehung und Ausbildung muss demnach in rasanter Geschwindigkeit erfolgt sein.

Sittengemälde

Keine Sexualgeschichte ohne Sittengemälde: Der Leser muss sich die Details zusammensuchen, denn die Berichterstatterin erklärt nichts, sondern berichtet einfach ganz neutral. Bewertungen und Urteile betrachtet sie nicht als ihre Aufgabe. Deshalb sieht sich jede Generation von Lesern in die Lage versetzt, selbst über die geschilderten Sitten und vor allem Unsitten urteilen zu können und zu sollen. Das macht dieses Buch zeitlos gültig.

Aufs Maul geschaut

Die einzige Hürde, die der unbefangene Leser nehmen muss, ist die Sprache. Besonders am Anfang wird der Wienerische Dialekt, wie er in Ottakring um 1860-1870 gesprochen worden sein mag, unredigiert wiedergegeben. Da wimmelt es von „Duteln“ – Brüsten – und allerlei anderen Bezeichnungen für Geschlechtsmerkmale, primäre und sekundäre. Das wirkt authentisch und zieht den Leser auch auf der stilistischen Ebene in das „Milljöh“ der Vorstadt. Später auf der feinen Kärntner Straße und am Stephansdom lernt Josefine, sich nahezu hochdeutsch auszudrücken.

Dialekt oder hochdeutsch? Diese verräterische Grenzlinie macht den Leser stutzig, wenn sich unvermittelt eine hochdeutsche Diktion in die Vorstadtschilderungen mischt. Hat hier jemand redigierend Hand anlegt, fragt man sich. Sogleich fällt der Verdacht auf Felix Salten, den Verfasser des erotischen Softpornos „Mimili“ (deutsch bei Heyne und anderen Verlagen), aber auch der Buchvorlage zum Disneyfilm „Bambi“.

Der Gipfel der Einmischung ist im letzten Kapitel (S. 282-299) nachzuverfolgen. Anstelle der gewohnten szenischen Schilderung bekommt der Leser lediglich einen Dialog vorgesetzt. Natürlich ist auch dieser einschlägig erotisch, wenn Zenzi ihrer Kollegin Josefine eine entsprechende Szene schildert.

Das letzte Kapitel soll nach Expertenmeinung von anderer Hand als Salten stammen. Diese editorischen Notizen sind nur für Sammler von Erotika interessant, insbesondere was Ausgaben und Bearbeitungen angeht. Auch die vorliegende Textfassung wurde sprachlich korrigiert und alle Verweise auf bekannte Persönlichkeiten getilgt. Dennoch sollte jeder Erotikfan die „Mutzenbacher“ kennen, ebenso ihre Fortsetzung „(Alle) meine 365 Liebhaber“.

Das Fazit der Autorin fällt ernüchternd aus:

„Denn im ganzen ist die Liebe unsinnig. Das Weib gleicht so einer alten Rohrpfeife, die auch nur ein paar Löcher hat und auf der man eben auch nur ein paar Töne spielen kann. Die Männer tun alle dasselbe. Sie liegen oben, wir liegen unten. Sie stoßen, und wir werden gestoßen. Das ist der ganze Unterschied.“

Taschenbuch: 302 Seiten
ISBN-13: 9783442060016

Goldmann-Verlag

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