Pierre du Bourdel – Mademoiselle und ihre Freundinnen. Erotischer Roman

Spiele im Schloss

Die frühreife Lucette wartet nur darauf, in die Fußstapfen ihrer lebenslustigen Mama treten zu können. Ihre englische Gouvernante weiht sie in die Freuden der sapphischen Liebe ein, aber erst Sir Archibald, dem das kleine Luder in den Ferien auf einem herrlichen Schloss begegnet, zeigt ihr den richtigen Weg in das erotische Vergnügen. (Verlagsinfo)


Der Autor

Die Übersetzerin Sara Pitti hat ein Nachwort (s.u.) beigefügt, in dem sich „Pascal Pia“ die Mühe macht, eine Bibliographie des Autors Pierre Dumarchey zu erstellen, der unter den Pseudonymen Pierre du Bourdel, Mac Orlan und vielen weiteren erotische Romane verfasste. Sie wurden in Paris, Amsterdam und Brüssel mal legal, mal illegal veröffentlicht und meist heimlich unters Volk und an den Mann gebracht. Eine Aufzählung dieser Titel wäre müßig – man lese das Nachwort. Dumarchey scheint um 1880 geboren worden zu sein und schrieb bis 1926, doch seine frühesten Werke von ca. 1905 sind verschollen. Der Verleger Gilbert Sigaux brachte seine Werke in 25 Bänden heraus, ließ aber offenbar belanglose Texte weg. Der vorliegende Roman erschien offenbar 1910 oder 1911.

Handlung

Endlich Schulferien! Mademoiselle Lucette de Musette ist sowas von froh, das Lyzeum eine Zeitlang los zu sein. Endlich kann sie sich nach Herzenslust der Liebe hingeben. Oder wenigstens der Lust, denn ihre Mutter, die erst Mitte dreißig und schon verwitwet ist, sowie ihre Freundinnen erkunden die Spuren Amors in vollen Zügen.

Miss Kitty

Ihre Gouvernante, die 20 Jahre junge Engländerin Kitty Lawrence aus Brighton, hat es aber auch faustdick hinter den Ohren und verfolgt, was Lucette und Co. anbelangt, ihre eigenen, lesbischen Pläne. Einst hat sie am südenglischen Strand einem Offizier, der schon um die 50 war, einen runtergeholt. Der hervorspritzende Lohn ihrer Mühe war eine Offenbarung. Zuvor hatte er sie mit seiner Zunge an ihren geheimsten Stellen zärtlich verwöhnt. Nun weiß sie, wonach sich ihr Körper sehnt – und Lucette soll ihr williges Werkzeug werden.

Ein Schloss in Anjou

Das junge Schulmädchen ist mit der Familie in die Sommerfrische gefahren, auf ein Schloss in der Grafschaft Anjou. Hier entdeckt sie eine diskrete Kammer, die sich direkt neben dem Schlafzimmer ihrer Mutter befindet: ein idealer Spähposten. Von hier kann sie nicht nur hören, sondern sehen, was im mütterlichen Boudoir vor sich geht. Die Witwe ist reich, und so mancher Galan bemüht sich um ihre Hand. Der deutsche Adlige von Böhme ist bei Madames Gunstbeweisen bislang am weitesten gekommen, und in einer der ersten Nächte auf dem Schloss kann Lucette Erstaunliches beobachten. Nicht nur besitzt Maman einen sehr weiblichen Körper mit Rundungen an allen richtigen Stellen, sondern auch Monsieur de Böhme, der diese Ausstattung zu würdigen weiß, verfügt über ein Liebesinstrument von beachtlichen Dimensionen. Aber warum ist es so knallrot, fragt sich die jungfräuliche Unschuld.

Wenig später gelingt es Miss Kitty, die schon etwas aufgeregte und von wilden Phantasien geplagte Lucette zu verführen. Zusammen erkunden sie die Wonnen, die die Liebe à la Anandria für junge Damen bereithält. Kitty hat es besonders auf den Hintereingang Lucettes abgesehen, und ihr williges Opfer entdeckt, wie empfindsam sie dort ist. Wenn Kitty mal nicht aufzufinden ist (siehe unten), verführt Lucette ihre jüngere Schwester Marcelle zum Liebesspiel, und die erweist sich als ebenso lernbegierig. Sie werden allerdings von der Zofe Alice überrascht, die droht, sie an Mama zu verraten. Damit dieses Unglück nicht eintritt, versprechen die Mädchen ihr alles….

Die Aufteilung der Welt

Herr von Böhme hat im kaiserlichen Wien, wo man ja gerne Orgien feierte, Sir Archibald von den Britischen Inseln kennengelernt und ihm von jener reichen Witwe Madame de Mustelle und ihren reizenden Töchtern erzählt. Nun reist Sir Archibald nach gebührender Anmeldung mit Sack und Pack an und wird schon bald des erhofften Jagdwilds ansichtig. Er hat mit von Böhme vereinbart, ihm die Witwe zu überlassen, solange er sich um die Töchter usw. kümmern darf. Diese Aufteilung kommt beiden zustatten. Während also der Deutsche mit der Französin zur Jagd reitet, pirscht sich der Brite an die Mädchen heran.

Doch seine Avancen sind zunächst vergeblich. Lucette vergnügt sich zwar hörbar seufzend mit Raymonde, der Tochter des gräflichen Notars, doch sie weist die Avancen des Engländers ab. Er sinnt auf einen Plan B und sucht, seinen Neigungen entsprechend, nach dem stillen Örtchen des Schlosses. Da es uralt ist, befindet sich dieses draußen im Hof, gleich neben dem Weinkeller. Eine Inspektion beider Örtlichkeiten ergibt einen wundervollen Fund: Durch ein Loch in der Wand des Weinkellers kann ein begieriger Beobachter direkt in die Damentoilette spähen. Stunden und Tage liegt Sir Archibald auf der Lauer. Er darf die Hinterteile zahlreicher Damen und Mädchen und ihre jeweiligen Produktionen bewundern, doch das von Lucette ist nicht dabei. Wie kann das sein?

Lucette

Bei Lucette ist ein einschneidendes Ereignis eingetreten: Mit ihrer ersten Monatsblutung, der Menarche, ist sie zur Frau geworden. Als zweites stellt sie fest, dass ihr das Gelecktwerden nichts mehr gibt, was Nervenkitzel anbelangt. Außerdem vergnügt sich Marcelle jetzt mit Raymonde, und Miss Kitty lässt sich vom kräftig gebauten Stall- und Kammerburschen Firmin den Hintereingang polieren. Maman hat nach wie vor Herrn von Böhme als Lover. Lucette denkt, nun sei sie endlich bereit für jenen Mann, der den Boden unter ihren Füßen verehrt: Sir Archibald. In einer denkwürdigen Nacht lässt sie sich von ihm vorn und hinten entjungfern, bis sie fast tot umfällt: „wie eine tote Ophelia“ (S. 64) Der Lord schwebt im siebten Himmel und nützt seinen Vorteil weidlich aus.

Besuch aus Paris

Maman bringt aus Paris einen jungen Komponisten als ihren neuen Lover mit: Maurice Liane ist höchstens 17 Lenze alt und sieht aus wie ein Mittelding aus Junge und Mädchen. Mann braucht keine Kristallkugel, um den Homosexuellen an ihm schon auf Meilen zu erkennen. Der Lord schmiedet Eroberungspläne, und auch Lucette rechnet sich Chancen aus, denn schließlich ist der junge Bursche bereits mit Hintereingängen vertraut, und ihr eigner lechzt nach Eroberung. Zusammen mit Sir Archibald heckt sie einen raffinierten Plan aus, um dieses edle Wild zur Strecke und in ihr Bett zu bringen…

Mein Eindruck

Der Rowohlt-Verlag hat sich gescheut, diesen Text mit dem Attribut „Roman“ zu versehen, auch nicht auf dem Titelblatt. Es handelt sich nämlich eher um eine Abfolge von Episoden. Deren Intensität und Komplexität steigert sich ganz allmählich, so dass es zu keinen Dubletten kommen, die den (männlichen) Leser nur langweilen würden. Nein, jede Episode muss einen ganz bestimmten, einzigartigen Effekt liefern. Dabei spielt der Autor mit den Erwartungen des Lesers. Sir Archibald kann in diesem erotischen Katz-und-Maus-Spiel nicht sofort bei der süßen Lucette zum Zuge kommen: Sogar auf der Toilette ist das edle Wild nicht zu erspähen. Das spannt nicht nur ihn, sondern auch den Leser auf die Folter. Seinen Triumph feiert er dann zum Ausgleich mit einer doppelten Entjungferung.

Dass sämtliches Personal auf dem Schloss der Liebe frönt, versteht sich von selbst. Wozu sonst sollte sich noble Gesellschaft wie die de Mustelles aufs Land begeben? Man macht das Gegenteil dessen, was man in der Zuchtanstalt des Lyzeums leisten muss: Alles, wozu der junge, erwachende Körper Lust hat.

Es wäre allerdings fatal, wenn die jungen Damen alle miteinander schwanger würden, denn das würde sicherlich die Kirche und die Staatsgewalt auf den Plan rufen, die mit Sanktionen nicht zögern würden. So erging es ja dem bedauerlichen Oscar Wilde, als seine homosexuelle Neigung in aller Öffentlichkeit vor Gericht verhandelt wurde (die Rache einer Dame der Gesellschaft) und er ins Reading-Gefängnis gesteckt wurde.

Die Empfängnisverhütung dürfte mit ein guter Grund sein, warum die Akteure auf dem Schloss sich entweder dem Cunnilingus oder dem Analverkehr hingeben. Nur Lucette und ihre Mama lassen sich auf traditionellem Wege verwöhnen. Mama ist es so gewohnt und testet ihre Lover auf Ehetauglichkeit. Doch bei Lucette liegt der Fall ganz anders: Zwar wird nirgends ihr Alter angegeben, aber sie ist wohl minderjährig; zur Frau geworden, will sie sich entjungfern lassen.

Es wird zwar an keiner Stelle erwähnt, aber ihr dürfte das Risiko einer Empfängnis wohl bewusst sein. Verhütungsmaßnahmen? Fehlanzeige. Immerhin hat sie Verstand genug, vor der analen Entjungferung darauf zu bestehen, dass ihr Galan ein Gleitmittel verwendet. Zur Hand ist lediglich Seife (die wohl vor 100 Jahren eine andere Konsistenz hatte als heute) anstelle von Vaseline.

Sie verbündet sich mit ihrem Liebhaber, um ihrerseits eine weitere Jagdbeute zu erlegen: den jungen Maurice, der wohl eher in ihre Altersklasse schlägt. Er wirkt androgyn, ähnlich wie der polnische Junge in Thomas Manns Novelle „Tod in Venedig“. Kunst ist auch die Leidenschaft von Maurice: Er ist Komponist. Und seine eigene Flöte lässt er vorzugsweise von jungen Männern spielen. Dem gedenkt Lucette ein Ende zu bereiten beziehungsweise es zu ihrem Vorteil zu nutzen. Der Rest ähnelt dem finalen flotten Dreier in dem erotischen Roman „Emmanuelle oder Die Schule der Lust“.

Die Übersetzung

Sara Pitti bemüht sich, die erotischen Vorgänge möglichst geschmackvoll auszudrücken, doch feine Ironie ist ihre Sache nicht. Der Roman ist mit einem umfangreichen biographischen Anhang versehen (S. 81-90), der aber nicht von ihr, sondern von einem gewissen „Pascal Pia“ stammt.

S. 24: “frei wie ein[e] Engländerin…“: Das E fehlt.

S. 34: “seine Erregung duldete jetzt keine[n] Aufschub mehr.“ Da der Aufschub männlich ist, fehlt hier das entsprechende N.

Unterm Strich

Schon im 19. Jahrhunderts stand die erotische Literatur in voller Blüte, nicht nur in Frankreich, sondern auch in Großbritannien -allerdings nur im Untergrund, denn die Zensur war allgegenwärtig und konnte überall zuschlagen. Selbst einem jungen Autoren wie David Herbert Lawrence widerfuhr mehrfach das Ungemach, dass seine Romane – von „Lady Chatterleys Liebhaber“ (1916) bis „The Rainbow“ – verboten wurden. Auch ein gewisser James Joyce konnte seinen „Ulysses“ nur in Paris und den USA veröffentlichen. 1914 verbannte ein Schwurgericht in Paris den vorliegenden Roman in den Orkus der verbotenen Werke.

Der Autor war ein typischer Vielschreiber, und um Absatz zu erzielen, musste er gegen mehrere Tabus verstoßen. Die einzigen Tabu, die er nicht verletzt, sind Sex mit Kindern, Sex mit Tieren und Inzest. Deshalb fehlt auch der Gatte von Madame de Mustelle: Er hätte im Szenario nur gestört. Sex mit Minderjährigen ist ja auch schon fehlgeleitet genug. Der Autor hütet sich, uns das Alter von Lucette zu verraten. Von Miss Kitty erfahren wir nur, dass sie bereits 20 Jahre alt ist.

Ohne ein gesellschaftliches Panorama zu entfalten oder viel Mühe auf Psychologie zu verschwenden, entrollt der Roman eine erotische Episode nach der anderen. „Stellen“ finden sich regelmäßig. Es gibt durchaus Humor. So wird etwa Lucette gleich in der ersten Szene als Lügnerin entlarvt: Sie hat gar keine Haare an ihre Muschi, wie sie behauptet. Die Kammerzofe Alice und ihre Helfershelfer Firmin schauen gleich mal nach und prüfen die Fake News auf ihren Wahrheitsgehalt: Sie nackten Tatsachen widerlegen Lucettes Behauptung. Auch sonst erweist sie sich als kluge und sehr wissbegierige junge Frau. Das kommt der Handlung ebenso zugute wie dem Lesevergnügen.

Taschenbuch: 92 Seiten.
O-Titel: Mademoiselle de Mustelle et ses amies, 1911
Aus dem Französischen von Sara Pitti.
ISBN-13: 9783499149160

www.rowohlt.de

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