D. H. Lawrence – Lady Chatterleys Liebhaber (unzensierte Ausgabe)

Schöner Softsex mit Kulturanspruch

Der Ausbruch der schönen, jungen Lady Chatterley aus der leblosen Gutsherrengesellschaft ihres Gatten führt sie nicht nur in die idyllische Natur, sondern schließlich auch in die Arme eines anderen Mannes. D. H. Lawrence’s skandalumwitterter Erfolgsroman durfte erst 1960, 30 Jahre nach dem Tod des Autors, in ungekürzter Fassung erscheinen. Die Neuübersetzung von Axel Monte verleiht der konfliktreichen Dreiecksgeschichte, die in lebendiger, kraftvoller Sprache von leidenschaftlicher Liebe erzählt, den richtigen Ton. (erweiterte Verlagsinfo)

Die Frau eines Adligen, der durch eine Kriegswunde zeugungsfähig ist, lässt sich mit einem strammen Wildhüter ein, der es schafft, dass sie sich in ihn verliebt und ihren gefühlskalten Mann verlässt. Was ist nur aus den braven viktorianischen Heimchen am Herd geworden? Constance (die ‚Beständige‘) ist eine moderne Rebellin. Daas Buch wurde sofort verboten.

Dieser Bericht beruht auf der englischsprachigen Taschenbuchausgabe.

Der Autor

David Herbert Lawrence (* 11. September 1885 in Eastwood, Nottinghamshire; † 2. März 1930 in Vence, Frankreich) war ein englischer Schriftsteller, der in der englischen Literatur des 20. Jahrhunderts als erster Schriftsteller von Rang aus einer Arbeiterfamilie stammte. (Wikipedia.de)

Romane

The White Peacock. 1911 („Der weiße Pfau“)
The Trespasser. 1912 („Auf verbotenen Wegen“ / „Todgeweihtes Herz“; das Buch hat in verschiedenen deutschen Ausgaben unterschiedliche Titel)
Sons and Lovers. 1913 („Söhne und Liebhaber“, TB, ISBN 978-3-499-14212-3)
Neuerscheinung 2011 im Reclam-Verlag, Stuttgart, ISBN 978-3-15-010754-6 (Reclam Bibliothek); erstmals vollständig aus dem Englischen übersetzt von Hans-Christian Oeser
The Rainbow. 1915 („Der Regenbogen“)
Women in Love. 1920 („Liebende Frauen“, dt. von Petra-Susanne Räbel, 2008 bei Diogenes, ISBN 978-3-257-23731-3)
The Lost Girl. 1920 („Das verlorene Mädchen“)
Mister Noon. 1921.
Aaron’s Rod. 1922 („Aarons Stab“, ISBN 978-3-931135-74-4)
Kangaroo. 1923 (bisher nicht auf Deutsch)
Der Hengst St. Mawr. 1925, ISBN 978-3-257-20190-1.
The Plumed Serpent. 1926 („Die gefiederte Schlange“)
Lady Chatterley’s Lover. 1928. („Lady Chatterleys Liebhaber“; dritte Fassung des Romans)

Veröffentlichte Manuskripte

The First Lady Chatterley. 1926 fertiggestellt, 1944 postum veröffentlicht („Die erste Lady Chatterley“; erste Fassung von Lady Chatterley’s Lover)
John Thomas and Lady Jane. 1927 fertiggestellt, 1954 erstmals veröffentlicht („John Thomas und Lady Jane“; zweite Fassung von Lady Chatterley’s Lover)

Handlung

Es ist das Ende des Edwardianischen Zeitalters, aber keiner ahnt es. Lord Chatterley hat soeben die schöne, doch keineswegs jungfräuliche Constance geheiratet, angeblich „die Tochter eines Künstlers“, wie man tuschelt. Man empfindet sie offenbar als nicht seinem Stand gemäß. Doch er hat selbst Ambitionen hinsichtlich der Malerei, wie sich später erweist. Voll Energie stürzt er sich in eine Fuchsjagd ebenso wie in den Weltkrieg, der im September 1914 ausbricht.

Als Clifford querschnittsgelähmt und nervenkrank zurückkehrt, ist Constance noch kinderlos und wie es aussieht, wie sie es vorerst noch bleiben: Cliff ist zeugungsunfähig und künstliche Befruchtung noch nicht erfunden. Dennoch beginnt Connie sich, angeregt von Erzählungen einer ältlichen Adligen, Sorgen über das Altern zu machen. Sie träumt vom Urbild ungebändigter sexueller Energie: einem weißen ungezähmten Hengst. Zum Glück gibt ihr der vernünftige Gatte carte blanche, sich einen geeigneten Geliebten zu nehmen, um so zu einem Kind zu kommen, also einem Erben. Allerdings muss Connie da in ihrer Naivität als Nicht-Adlige etwas missverstanden haben. Cliff erwartet, dass sie einen Adligen als Galan nimmt. Es kommt ganz anders, und damit beginnt das Unglück.

Der Wildhüter

Da Cliffs neue Pflegerin, Mrs. Bolton, ihr empfohlen hat, möglichst viel an die frische Luft zu gehen, begegnet Connie auf ihren Spaziergängen auf den weitläufigen Ländereien von Wragby Hall dem Wildhüter Oliver Mellors, und zwar ausgerechnet in einem Augenblick, als der sich an einem Eimer Wasser völlig entkleidet vor seiner Hütte wäscht. Offenbar hat Connie so etwas Schönes noch nie in ihrem Leben gesehen und atemlos beobachtet sie Mellors aus einem Versteck heraus. Die Entdeckung verändert Connie, und sie entdeckt ihren eigenen Körper.

Doch Mellors behandelt Constance zunächst abweisend, weil er sie für eine hochnäsige adlige Schnepfe hält. Währenddessen findet Mrs. Bolton zunehmend persönlicheren Zugang zu Sir Clifford, dessen Fähigkeit zu normaler Bewegung sie trainiert und mit dem sie Schach spielt. Die Frage stellt sich Connie, was wohl passieren würde, wenn sie von Mellors ein Kind bekäme. Sie zählt auf das Verständnis ihres Gatten. Schließlich hat sie ja seine Erlaubnis, nicht wahr?

Mellors 2.0

Nachdem sich Mellors für seine Grobheit entschuldigt hat, finden die beiden zueinander. Beim Kontrollieren der Fasanenbrut, die sie auf Cliffords Geheiß vornimmt, kommt es zu einem ersten hitzigen Liebesakt zwischen Connie und Mellors. Das zweite Stelldichein ist da schon wesentlich romantischer, und das Paar findet Glück und Wonne im Stroh. Aus diesen intimen Begegnungen erwächst nicht platte Geilheit, sondern echte Liebe. Nach einer Weile erbittet Mellors von ihr eine ganze Nacht mit ihm, und sie sagt zu: Sie binden sich aneinander.

Der Unternehmer

Unterdessen beschließt der auf Gelderwerb bedachte Sir Clifford, seine Mine in den englischen Midlands wieder zu eröffnen und macht umsichtige Pläne für Investitionen. In der folgenden Nacht feiern Connie und Mellors ihre Liebe und würden am liebsten heiraten. Dass er sie mit Blumen schmückt wie eine Maikönigin, ist ein Ehegelöbnis wie aus heidnischen Zeiten. Mellors war selbst einmal verheiratet, aber er schickte die Frau weg, weil sie immer nur Sex wollte. Mit Connie hat er weit mehr als „die Fickerei“, wie er sich ungeschminkt ausdrückt: eine Vereinigung der Seelen.

Doch Connies Fernbleiben von ihrem (separaten) Bett während dieser Nacht wird von Clifford, der seine trainierten Muskeln aufs Äußerste fordert, entdeckt und führt zu üblen Folgen. Diese beiden Szenen sind kontrapunktisch gegeneinandergesetzt. Anscheinend leben Connie und Mellors in ihrer privaten Traumwelt. Connie tanzt sogar im Morgenregen und feiert ihre neu gefundene sexuelle Freiheit und Realität. Sie ruft: „Alles ist echt!“

Clifford reagiert menschenverachtend und ungerecht, nämlich mit Mellors‘ Entlassung und indem er Constance, sein „untreues“ Weib, nach Frankreich zu ihrer Schwester schickt. Connie zerreißt alle seine Briefe und entdeckt, dass sie schwanger ist. Sie kehrt zu Mellors zurück, der sich inzwischen in Cliffords Mine seinen Lebensunterhalt erarbeiten muss. Wie ein Tier muss er im Untergrund schuften und entsprechend entmenscht sieht er mit all dem Kohlestaub aus, als er wieder ans Tageslicht kommt. Er spare für die Überfahrt nach Kanada, erzählt er ihr. Sie erzählt ihm von ihrer Schwangerschaft und verspricht, mit ihm zu gehen. Inzwischen hat die stille, intrigante Mrs. Bolton Connie vollständig ersetzt. Vielleicht bleibt Clifford doch nicht der letzte der Chatterleys…

Mein Eindruck

Drei Versionen

Es gibt drei Fassungen des Romans, die sich v.a. durch ihren abweichenden Schluss unterscheiden. Sie wurden 1926, 1927 und 1928 fertig. Alle wurden von der Zensur 1928 auf den Index gesetzt, und erst 1960 konnte die erste vollständige Ausgabe (der 3. Fassung) auch in England erscheinen, wo sie reißenden Absatz fand und eine Flut von Nachahmungen auslöste. (Wikipedia: „Der Prozess führte zu Aufhebungen von Zensurbestimmungen und wurde Teil der Geschichte der „Sexuellen Revolution“, die in den 1960er Jahren Großbritannien und schließlich ganz Europa erfasste.“)

Das Gericht warf dem Buch jedes Mal Obszönität und Immoralität vor. Dabei ist Lawrence jedoch einer der moralischsten Schriftsteller, die es gibt; vielfach wurde bereits seine oberlehrerhafte Neigung zur Belehrung beklagt.

Es gibt in den drei Fassungen keine „obszönen“ beziehungsweise pornografischen Beschreibungen, denn der geschlechtliche Akt ist kein Selbstzweck, sondern stets Ausdruck innerer Zärtlichkeit und Verbundenheit. Der Autor ließ sich von seiner Frau Frieda von Richthofen extra die Empfindungen eines Frau beim Orgasmus beschreiben. Die Sprache weigert sich, auf scheinheilige Weise die Lüsternheit eines Publikums zu bedienen. Lawrence schreibt vielmehr ehrlich und genau, benutzt daher also auch die Ausdrücke, die ein Mann des Volkes wie Mellors benutzen würde, und dazu gehört eben auch „ficken“.

Die Alternativversion „John Thomas & Lady Jane“

In der zweiten und dritten Version „John Thomas & Lady Jane“ verlassen Mellors und Connie die englischen Gestade bzw. Zustände und fahren nach Kanada. Die beiden Namen haben sich Connie und Mellors selbst gewählt. ‚John Thomas‘ ist im Englischen traditionell eine Umschreibung für den Penis, so wie im Deutschen der Name „Johannes“ oder auch „Zebedäus“. Dem entsprechend ist ‚Lady Jane‘ ein sehr hübscher Name für den damit bezeichneten weiblichen Körperteil, der auch schon von den Rolling Stones besungen wurde.

Unterm Strich

Dies ist das Werk eines Pioniers. Das Feld, das Lawrence zusammen mit seiner emanzipierten Frau Frieda von Richthofen erschloss, ist das weite Feld der heterosexuellen Erotik, was keineswegs mit Pornografie zu verwechseln ist. Die Leser müssen eine ganze Weile Geduld aufbringen, bis sie die erste erotische Stelle erreichen, und dann geht es keineswegs gleich zur Sache. Erst im zweiten Anlauf kommen sich Connie und Mellors hautnah näher, und zwar auf die altmodischste Art, die bekannt ist.

Der Leser fragt sich vielleicht, ob Mellors seine neue Geliebte entweder als Heilige oder als Hure behandelt, doch der Autor zeigt einen Mittelweg: Wenn Mann die Frau als Verkörperung der fruchtbaren Natur auffasst, so gibt es überhaupt keine Verzerrung: Er gibt ihr, was sie braucht, und zwar mit allem Respekt, und sie gibt ihm, was er braucht, und zwar mit aller Hingabe.

Der Rest der handlung ergibt sich aus dem Konflikt, in den diese enge Beziehung mit ihrer gesellschaftlichen Umgebung gerät, stellt sie doch deren kommerzielle Interessen ebenso infrage wie das Prinzip des Patriarchats. Clifford Chatterley lebt andererseits selbst in einer Zeit des Umbruchs: Statt von den Pachterträgen seiner Ländereien zu leben, muss er seine Minen öffnen und seine Bergarbeiter ausbeuten, um einen Ertrag zu erzielen. Das war in den Midlands schon seit dem 18. Jahrhundert so, und Clifford ist nur der letzte Adlige in einer langen Reihe, der die Industrialisierung integrieren und nutzen muss. Da bleibt für erotische Phantastereien keinerlei Platz, und wenn es um die Fortpflanzung geht, muss er sich wegen seiner Impotenz etwas einfallen lassen – aber da ist ja die vertraute und intelligente Mrs. Bolton.

Der heutige leser kann nicht umhin, die Bilder aus den diversen Verfilungen zu berücksichtigen. Ich habe den Film Just Jaeckins mit Sylvia Kristel in der Titelrolle gesehen, und das war eine zum Gähnen langweilige Veranstaltung, insbesondere die Blumenszene. Modernere Fassungen heben den emanzipatorischen Aspekt hervor, den Connies Liebe zu einem nicht standesgemäßen Liebhaber darstellt. In einer Gesellschaft, die immer noch die Klassenunterschiede perpetuiert, sei es in UK, sei es in Frankreich, fordert Connies Liebe die gesamte Gesellschaft heraus. Sex ist Politik, voilà!

Taschenbuch: 440 Seiten
Originaltitel: Lady Chatterley’s Lover / John Thomas and Lady Jane (1928)
Aus dem Englischen von Axel Monte.
ISBN-13: 978-3423136365

www.dtv.de

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