D. H. Lawrence – Der Regenbogen (Brangwen-Saga 1)

Der RegenbogenUrsulas sexuelle Emanzipation

England um 1900: Die schöne und zwanglose Ursula Brangwen hasst alle konventionellen Werte, sucht Gleichberechtigung und wird dafür von Eltern und Gesellschaft geächtet. Der Regenbogen, unberührbar und kurzlebig, steht für das, wonach sie sucht: Wahrheit, Leidenschaft und Freiheit. Zügellos gibt sie sich allen Gelegenheiten hin und genießt die sinnlichen Aspekte des Lebens.

Ihre Turnlehrerin Winifred, ein Freigeist, bestärkt sie und macht sie mit ihren sexuellen Gefühlen vertraut. Ursula geht nach London und erlebt als Lehrerin Alpträume mit einem lüsternen Schulvorstand. Bei Winifrieds Hochzeit trifft die Leidgeplagte nach Jahren ihren Verehrer Anton wieder, und die Liebe flammt auf. Aber auch von Anton will sie sich nicht in die verhassten Konventionen zwingen lassen. Kurz darauf wird der Soldat nach Südafrika abgeordnet. Als Ursula von ihm schwanger wird, erfährt sie, dass der Geliebte dort geheiratet hat. Wird sie das Kind behalten?

Dieser Bericht beruht auf der englischsprachigen Taschenbuchausgabe. Die Fortsetzung der Brangwen-Saga trägt den Titel „Women in Love“ (1920) und wurde ebenfalls verfilmt.

Der Autor

David Herbert Lawrence (* 11. September 1885 in Eastwood, Nottinghamshire; † 2. März 1930 in Vence, Frankreich) war ein englischer Schriftsteller, der in der englischen Literatur des 20. Jahrhunderts als erster Schriftsteller von Rang aus einer Arbeiterfamilie stammte. (Wikipedia.de)

Romane

The White Peacock. 1911 („Der weiße Pfau“)
The Trespasser. 1912 („Auf verbotenen Wegen“ / „Todgeweihtes Herz“; das Buch hat in verschiedenen deutschen Ausgaben unterschiedliche Titel)
Sons and Lovers. 1913 („Söhne und Liebhaber“, TB, ISBN 978-3-499-14212-3)
Neuerscheinung 2011 im Reclam-Verlag, Stuttgart, ISBN 978-3-15-010754-6 (Reclam Bibliothek); erstmals vollständig aus dem Englischen übersetzt von Hans-Christian Oeser
The Rainbow. 1915 („Der Regenbogen“)
Women in Love. 1920 („Liebende Frauen“, dt. von Petra-Susanne Räbel, 2008 bei Diogenes, ISBN 978-3-257-23731-3)
The Lost Girl. 1920 („Das verlorene Mädchen“)
Mister Noon. 1921.
Aaron’s Rod. 1922 („Aarons Stab“, ISBN 978-3-931135-74-4)
Kangaroo. 1923 (bisher nicht auf Deutsch)
Der Hengst St. Mawr. 1925, ISBN 978-3-257-20190-1.
The Plumed Serpent. 1926 („Die gefiederte Schlange“)
Lady Chatterley’s Lover. 1928. („Lady Chatterleys Liebhaber“; dritte Fassung des Romans)

Veröffentlichte Manuskripte

The First Lady Chatterley. 1926 fertiggestellt, 1944 postum veröffentlicht („Die erste Lady Chatterley“; erste Fassung von Lady Chatterley’s Lover)
John Thomas and Lady Jane. 1927 fertiggestellt, 1954 erstmals veröffentlicht („John Thomas und Lady Jane“; zweite Fassung von Lady Chatterley’s Lover)

Handlung

Nordengland, Ende des 19. Jahrhunderts. Ort der Handlung ist die Marsh Farm, ein Bauernhof in Nottinghamshire, der Handlungszeitraum erstreckt sich über die Jahre 1840 bis 1905.

Die Brangwens

Die Romanhandlung beginnt mit der Heirat des jungen Tom Brangwen mit Lydia Lensky, einer polnischen Witwe. Tom liebt Lydia innig, sie ist ihm aber auch fremd; die Macht seiner sexuellen Wünsche und die Furcht, dass Lydia ihn verlassen könnte, erschrecken ihn zutiefst. Lydia, die nicht nur ihren ersten Mann, sondern auch zwei Kinder verloren hat, schwankt ihrerseits zwischen dem Wunsch nach Nähe und der Furcht vor erneutem Verlust. Die Ehe erweist sich als überaus schwierig.

Im zweiten Drittel des Romans wird die Geschichte von Anna Lensky, Lydias Tochter aus erster Ehe, erzählt. Anna heiratet Toms Neffen, Will Brangwen. Auch diese Ehe ist schwierig. Anna ist verwöhnt und unreif, will der Mittelpunkt von Wills Leben sein, hält es aber nicht aus, wenn er ihr zu nahe kommt. Dass Anna sich ihm beständig entzieht, treibt Will, der eigentlich passiv und ehrerbietig ist, zu Wutanfällen und Grausamkeiten.

Anna und Will haben neun Kinder. Im letzten Drittel des Romans wird die Geschichte von Ursula Brangwen erzählt, des ältesten Kindes.

Ursulas Weg

Schon mit fünf Jahren will Ursula zum Regenbogen laufen. Seine Versprechen ist gar zu schön. Doch ihr Vater hält sie gerade noch zurück, bevor sie in den Bach fällt. Die Brangwens leben in einem alten Pfarrhaus unweit der Kirche, in der Mr Brangwen als Organist und Küster arbeitet. Ursula teilt mit ihrer Großmutter und ihrer Mutter die Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben, die Zeiten haben sich aber gewandelt: Ursula findet relativ große Freiheit.

Ihre erste ernsthafte Begegnung mit dem anderen Geschlecht ereignet sich, als der junge Soldat Anton Skrebensky zu Besuch kommt, ein Schützling ihres Onkels Harry, eines Grubenbesitzers. Anton nimmt ihre Fantasie gefangen, und Ursula verliebt sich in den feschen Jüngling so sehr, dass sie mit in die verlassene Kirche und sich dort von ihm küssen lässt. Sehr unschicklich, weiß sie, aber genau das reizt sie. Zu Anton fühlt sie sich hingezogen; weil er ihren Bestrebungen nach Bildung und wirtschaftlicher Unabhängigkeit im Wege steht, schreckt sie vor einer Bindung aber zurück.

Eine Feministin

Im Schwimmunterricht fällt ihre unkonventionelle Art der Turnlehrerin und Feministin Winifred Inger auf, die auch gleich Annäherungsversuche unternimmt, die Ursula keineswegs zurückweist. Ganz im Gegenteil: Bei einem Stelldichein in Winifreds Landhäuschen genießt Ursula das Küssen und Streicheln. Zusammen mit Fred genießt sie ein Bad im Teich – hüllenlos, versteht sich.

Von „Fred“ erfährt sie mehr über die Männer und was die wollen: meist nur das Eine. Wie brutal diese Wesen sind, erfahren sie selbst, als sie friedlich auf den Berg wandern und fast einer Minensprengung zum Opfer fallen. Ihre nächste Bekanntschaft mit einem Mann verläuft auch nicht viel besser: Der Kunstmaler verspricht ihr zwar ein Modellhonorar beim Aktstehen, doch er wünscht sich auch, dass sie sich von ihm schlagen lässt. Da zieht Ursula die Grenze und verübelt es ihrer Freundin Fred ein wenig, sie mit einem solchen Sadisten verkuppeln zu wollen.

Working Girl

Inzwischen hat sie die Abschlussexamen bestanden und sucht nun zur Verwunderung ihres Vaters keineswegs einen Mann zum Heiraten, sondern eine Stelle zum Arbeiten. Na, sowas! Er weigert sich, dieses „unmoralische“ Verhalten zuzulassen, aber sie setzt sich wenigstens teilweise durch und zieht in die nächste Stadt, um dort an einer Schule als Lehrerin zu unterrichten. Leider stellt sich auch der Direktor als Schürzenjäger heraus. Erst als sie wutentbrannt einen renitenten Schüler mit einem Rohrstock derart verdrischt, dass der Stock bricht, lässt der erschrockene Direx von ihr ab.

Das Wiedersehen mit Onkel Harry, dem Minenbesitzer, führt zu einem unerwarteten Ereignis: Während sich Ursula über dessen „ausbeuterische Methoden“ ereifert, zeigt sich Winifred von dem Junggesellen außergewöhnlich stark angezogen. Wo Ursula in dem Massentöten von Kaninchen nur den ungerechten Tod erblickt, schaut Fred weiter und führt ihr neuen Monate später ihr kleines Neugeborenes vor.

Anton 2.0

Doch bis es dahin kommt, steht Ursula ein Wiedersehen mit dem Soldaten Anton, ihrem ersten Freund, bevor. Er macht sie zur Frau. Aber will sie ihn wirklich heiraten und ihm nach Südafrika in den Burenkrieg folgen? Nach einer Zeit des Verliebtseins und der Freiheit kommt doch schließlich der Moment der Wahrheit, in der er sie zur Rede stellt…

Mein Eindruck

Sex ist bei David Herbert Lawrence, der 1915 den Roman veröffentlichte (der sofort verboten wurde), nie Selbstzweck. Der Geschlechtsakt zwischen Mann und Frau ist vielmehr die Begegnung mit einer Urkraft des Menschlichen, die es ermöglicht, mit der Vergangenheit abzuschließen und Kraft für Weiterentwicklung zu schöpfen. Das mag hgeutzutage naiv klingen, aber für Ursula Brangwen, die Hauptfigur, bedeutet die homo- wie die heterosexuelle Liebe eine fortwährende Selbstbestätigung. Dies ist ihr Aufforderung genug, Freiheit und Unabhängigkeit zu suchen statt in die alten Verhaltensweisen der Vergangenheit zurückzufallen, wie sie von ihrer Mutter befolgt werden.

Lawrence hat die Geschichte Ursulas 1920 in „Women in Love“ (Liebende Frauen) weitererzählt.

Bei Lawrence ist manipulative Verführung selten angesagt, und auch der Regisseur Ken Russell will den Zuschauer nicht verführen und aufgeilen, sondern dessen moralische Verklemmtheit vielmehr durch Darstellung schöner Natürlichkeit herausfordern und überreden. Lediglich die Erweckung Ursulas zur Frau ist von epischer Länge. Als Anton sie auf dem Bett des Hausherrn (Onkel Harry, wer sonst?) entjungfert, starrt Ursula in das silberne Gesicht des Vollmonds.

Das muss etwas zu bedeuten haben, spürt der Leser, aber was? Wer sich ein wenig in der antiken Mythologie auskennt, der wird den vollen Mond sofort mit der Mondgöttin Selene bzw. Diana (bzw. deren Vorgängerinnen) assoziieren. Von jeher ist der Mond ein Symbol der weiblichen Fruchtbarkeit, weil der Mondzyklus mit dem Menstruationszyklus der Frau (mehr oder weniger) übereinstimmt: 28 Tage. Wenn also Ursula ihre Seele der Mondin weiht und ihren Körper der Liebe öffnet, so wird sie dadurch nicht nur in rein körperlichem Sinne zur Frau. Sie ist eine Verkörperung der Fruchtbarkeit, bereit, Leben hervorzubringen.

Aber macht sie das auch gleich zu einem Heimchen am Herd? Mitnichten! Ihre Menschwerdung muss also noch weitergehen, und so kommt es dann auch. Sie wird schwanger, opfert sich aber nicht, weder dessen Erzeuger noch dem Kind. Dass sie am Schluss (der Verfimung) mitsamt „Baby an Bord“ wieder zum Regenbogen aufbricht, mag ebenso naiv wirken wie der Anfang, aber der Kreis ist damit geschlossen – und mehr sollen Symbole eh nicht bewirken.

Die Geschichte entspricht der eines Bildungsromans, indem sie die Jugend und Frauwerdung bzw. Selbstfindung einer selbstbestimmten Frau schildert. Das ist eigentlich ein Thema, das jede Menge Drama und Erotik in sich birgt. Die ausbrechenden Pferde, vor denen Ursula Reißaus nehmen muss, stehen für männliche sexuelle Kraft, die nicht gezügelt wird, etwa in einer angedeuteten Vergewaltigung, sondern genutzt wird, um etwa mit Winifred ein Kind aufzuziehen.

E-Book: 465 Seiten
Originaltitel: The Rainbow, 1915.
Aus dem Englischen von Franz Franzius (Übs.) & Richard Steinheimer (Lektorat)
ISBN-13: 9783499153044

www.rowohlt.de

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