Paul Stewart – Twig bei den Himmelspiraten (Die Klippenland-Chroniken II)

Band 1: „Twig im Dunkelwald“

Nachdem Twig im ersten Teil der „Klippenland-Chroniken“ auf der langen Reise durch den Dunkelwald seinen Vater bei den Himmelspiraten entdeckt hat, geht die Geschichte um den nun etwas reiferen Jungen weiter. Gemeinsam mit seinem legendären Vater und dessen Mannschaft zieht er hier auf eine weitere spannende Reise, die wieder einmal von Hörbuch-Genius Volker Niederfahrenhorst erzählt wird. War die erste Geschichte schon sehr gut, kann sich das Ganze in der Fortsetzung sogar noch einmal steigern, denn die Action und die Spannung nehmen bei „Twig bei den Himmelspiraten“ nochmals zu – leider aber auch die Zahl der Todesopfer, die im Verlaufe der Produktion anfallen …

Story

Vilnix Pompolnius, der allerhöchste Akademiker von Sanktaphrax, hat bei einem Experiment seine Heimatstadt sehr stark ins Wanken gebracht. Sanktaphrax, die schwebende Stadt, wird immer schwereloser und die Kette, mit der Sanktaphrax an der verruchten Unterstadt befestigt ist, droht bald zu reißen.

Um die Stadt noch zu retten, braucht man Sturmphrax, eine Substanz, die in der Dunkelheit enorm schwer ist und die Stadt so wieder ins Gleichgewicht bringen kann. Doch dieses Sturmphrax ist gar nicht mal so einfach zu beschaffen. Leute, die sich an entlegene Orte begeben haben, um nach dem Pulver zu suchen, kommen nicht mehr zurück oder sterben aus Leichtsinn, weil sie versuchen, das Material zu teilen, obwohl jeder weiß, dass der Stoff nur auf eine ganz bestimmte Weise bearbeitet werden darf, damit er nicht explodiert. Wie dies funktioniert, ist den Leuten in Sanktaphrax nicht bekannt, und weil Sturmphrax auch noch die Eigenschaft hat, dass man damit Trinkwasser herstellen kann, ist auch die halbe Stadt hinter dem Material her, weil damit auch sehr große Macht verbunden ist.

Twig und sein berühmter Vater, Captain Wolkenwolf, haben derweil mit der Mannschaft des „Sturmpfeils“ eine Ladung Eisenholz aufgetrieben und wollen von den Verkaufserlösen dieser Handelsware ihre Schulden tilgen. Doch Twig unterlaufen beim Navigieren des Himmelschiffes einige Fehler, so dass Wolkenwolf Befehl geben muss, die Ladung über Bord zu werfen, um nicht selber bei der Reise in Gefahr zu kommen. Twig wird zum Buhmann auf dem Schiff, und die Schulden bei Mutter Pferdefeder sind nach wie vor nicht bezahlt. Doch die alte Dame gibt dem Captain des „Sturmpfeils“ noch eine letzte Chance: Er soll im Dämmerwald Sturmphrax auftreiben und damit auch Sanktaphrax retten.

Also macht sich Quintinius Verginix alias Wolkenwolf erneut auf den Weg, ordnet aber vorher an, dass sein Sohn nicht mitreisen darf, weil die Fahrt für ihn zu gefährlich werden könnte. Dennoch mogelt er sich auf das Schiff und erlebt auf dem „Sturmpfeil“ und im Dämmerwald einige haarsträubende Abenteuer …

Meine Meinung

Der zweite Teil der „Klippenland-Chroniken“ beginnt etwas verwirrend. Die Geschichte wechselt anfangs noch zu oft das Szenario, und da auch immer wieder neue Charaktere eingeführt werden, braucht es einige Zeit, bis man sich mitten im Geschehen befindet. In dem Moment aber, in dem das Schiff von Twigs Vater sich auf den Weg in den Dämmerwald begibt, blickt man jedoch endgültig wieder durch, und von da an entwickelt sich auch erneut eine sehr spannende Erzählung mit zahlreichen Wendungen, vielen Intrigen, wunderschönen Hauptfiguren (hierfür lohnt sich auch ein Blick ins Begleitheft) und einem enorm hohen Erzähltempo. Trotz einer nicht allzu umfassend erscheinenden Spielzeit von knapp fünf Stunden hat die Handlung nämlich sehr viel Inhalt und entwickelt sich dabei immer wieder in neue Richtungen, die auch immer eng mit der Hauptperson Twig verbunden sind. Auch die Schauplätze des Geschehens sind sehr vielfältig. Die ganze Welt des Klippenlands ist Teil der Erzählung und wird wie gehabt sehr schön beschrieben, von der schwebenden Stadt Santaphrax bis hin zum mysteriösen Dämmerwald, und von der kriminellen Gegend in der Unterstadt bis hin zu den gefürchteten Modersümpfen.

Einzig und allein die Beziehung zwischen Twig und seinem lange Zeit vermissten Vater wird ein wenig zu kurz abgehandelt. Quintinius Verginix ist stolz auf seinen jungen Sohn, gleichzeitig aber auch sehr besorgt um ihn. Doch in der Absicht, ihn zu schützen, enttäuscht er Twig auch. Der wiederum enttäuscht seinen Vater bei seinem ersten Flug, dem die ganze Ladung schließlich zum Opfer fällt. Hier wäre das Potenzial für eine dramatische Vater-Sohn-Geschichte definitiv gegeben, doch Paul Stewart hat sich zumindest in der Hörbuchfassung darauf nicht sonderlich eingelassen und stattdessen die Action weiter vorangetrieben.

Action gibt es nämlich in „Twig bei den Himmelspiraten“ satt und genügend. An vielen Orten im Klippenland werden Twig und seine Gefärhetn in Kämpfe verwickelt, und nicht selten enden diese auch für manche Beteiligte tödlich. Aus diesem Grund ist die Fortsetzung von „Twig im Dunkelwald“ auch relativ hart bzw. die Altersfreigabe ab zehn Jahren vielleicht bedenklich. Schließlich werden die Leichen hier nicht wie im Märchen in eine sanfte Erzählung mit eingebunden, sondern gehören zum harten Alltag im Klippenland und werden meist emotionslos hingenommen. Ob man dies jetzt kritisieren sollte, ist fraglich, erwähnen möchte ich es aber auf jeden Fall an dieser Stelle.

Die realitätsnahe und verhältnismäßig ’schwerkostige‘ Handlung sind aber nicht die Ursache dafür, dass die Geschichte schließlich noch besser gefällt als der Vorgänger. Bei „Twig bei den Himmelspiraten“ ist zum Beispiel das Ende – im Gegensatz zur vorherigen Story im Dunkelwald – nicht vorhersehbar. Stewart hat sich einige Möglichkeiten offen gelassen und lässt sich nie so richtig in die Karten schauen. Bis zum Ende ist das Ganze gefüllt mit überraschenden Wendungen, die immerfort neue Impulse bringen. Langweilig wird einem daher auch zu keiner Sekunde, und weil die Erzählstimme von Volker Niederfahrenhorst mal wieder wirklich überragend ist und er sich allenthalben noch besser und flexibler bei der Ausmalung der verschiedenen Charaktere zeigt, kann ich für dieses Hörbuch auch nur erneut sehr großes Lob aussprechen.

Spätestens jetzt sind „Die Klippenland-Chroniken“ auch für mich eine der interessantesten und innovativsten Fantasy/Märchen-Serien und aufgrund der Vielschichtigkeit der Inhalte auch für jedermann bestens geeignet.

4 CDs
Auflage: 15. Januar 2003