Gößling, Andreas – Dämonenpforte, Die

Der alte Marthelm Hegendahl war bei seiner spießigen Verwandtschaft nicht besonders beliebt, sein Nachlass dagegen schon. Doch der einzige Verwandte, dem der wunderliche Alte etwas vermacht hat, ist ausgerechnet sein Großneffe Marian. Als dieser den dicken Umschlag öffnet, hält er nicht nur irgendein ekliges, muschelähnliches Ding in der Hand, sondern auch noch die Aufforderung, die Welt zu retten! Wovor und wie, das muss Marian erst noch heraus finden … und dafür hat er gerade mal zwei Wochen Zeit!

Marian ist in mancherlei Hinsicht ein ungewöhnlicher Teenager. Welchem Fünfzehnjährigen ist es schon ehrlich egal, wenn Gleichaltrige ihn auslachen, weil er keine Markenklamotten trägt und nicht das neueste, superschicke Handy sein Eigen nennt. Noch weit ungewöhnlicher jedoch ist sein Interesse an Alchemie, Okkultismus und magischen Praktiken, und das nicht des Gruselfaktors wegen, sondern rein wissenschaftlich. Was bedeutet, dass er an nichts davon glaubt. Zumindest vorerst …

Auch Billa ist alles andere als gewöhnlich. Das junge Mädchen, das Marian am Wohnort seines verblichenen Uronkels kennen lernt, ist nicht einfach nur hübsch und keck. Sie hat etwas Ungezähmtes, Hitziges an sich, das Marian sowohl verwirrt als auch anzieht, außerdem neigt sie offenbar zu heftigen Stimmungsschwankungen.

Und dann wäre da noch Julian, der Lehrling des Apothekers, der bis über beide Ohren in die Tochter seines Lehrherrn verliebt ist. Der Bursche ist zwar mutig bis zum Leichtsinn, aber gleichzeitig auch naiv und gutgläubig, ja fast ein wenig dumm.

Damit hat sich die Charakterzeichnung auch schon erschöpft. Andreas Gößling hat sich bei der Darstellung seiner Figuren auf das für die Handlung absolut Notwendige beschränkt. Marian scheint außer seinem Faible für Übernatürliches keinerlei andere Interessen zu haben, weder Musik noch Sport oder etwas in der Art, seine Wünsche für die Zukunft werden lediglich in einem einzigen Satz kurz erwähnt. Ähnliches gilt für Billa, die nichts anderes als ihren verschwundenen Zwillingsbruder Jakob im Kopf zu haben scheint. Selbst der Antagonist zeichnet sich allein durch eine typische Eigenschaft eines Bösewichts aus, nämlich Machtgier. Das fand ich – vor allem nach Gößlings „Faust, der Magier“ – sehr enttäuschend!

Zum Glück ist die Handlung etwas interessanter ausgefallen. Marian hat nämlich nicht nur das Rätsel um den drohenden Weltuntergang zu lösen, sondern auch das um Billa. Letzteres ist wesentlich einfacher zu lösen, denn schließlich ist er ja, was Magie betrifft – zumindest in der Theorie – , nicht ganz unbedarft, und der Schlüssel zur Lösung des Rätsels sitzt direkt vor ihm.

Das Erstere dagegen ist genau dreihundertdreiunddreißig Jahre und neun Tage alt! Die Hinweise seines Urgroßonkels sind ausgesprochen spärlich, und obwohl Marian die Bibliothek des Verblichenen zur Verfügung steht, findet er dort nichts, das ihm weiter helfen würde, vor allem deshalb, weil das meiste sowohl in alten Sprachen wie Latein oder Hebräisch abgefasst als auch verschlüsselt ist. Also bleibt ihm nichts anderes übrig, als direkt in der Vergangenheit zu suchen.

Das wichtigste Hilfsmittel hierfür ist das muschelähnliche Ding, das der alte Marthelm ihm vermacht hat. Er nannte es ein Talmibro. Durch Zufall findet Marian heraus, dass er damit seinen Geist in genau die Zeit zurück schicken kann, aus der der Fluch stammt, den er aufhalten soll. Dumm nur, dass er dabei so gut wie keine Einflussmöglichkeit besitzt, denn er steckt dort im Körper eines Apothekerlehrlings namens Julian fest …

Abgesehen davon, dass der Autor seine Geschichte auf zwei Zeitebenen verteilt hat, hat er sie auch noch mit allerhand düsterem Beiwerk ausstaffiert.
Da wären zum Einen die Mitglieder einer Freimaurer-Loge, die Marian zwar jederzeit einlassen, ihm aber strickt verbieten, sich frei im Haus zu bewegen. Trotzdem bekommt Marian mit, dass die alten Herren im Keller einiges mauscheln … ausgerechnet im Keller!

Zum Anderen hat Gößling seiner Geschichte ein paar äußerst unangenehme alte Damen angedeihen lassen, die nicht nur Billa ausgesprochen biestig behandeln, sondern so ziemlich jeden, dem sie begegnen. Von ihren seltsamen Praktiken draußen im Moor mal ganz abgesehen.

Dazu kommt noch ein verzauberter Wald, der selbst bei Windstille ächzt und stöhnt und einen so schlechten Ruf hat, dass man ihn komplett eingezäunt hat. Nicht, dass wirklich jemand wüsste, wie es dort drin aussieht, denn es traut sich keiner rein. Wer allerdings aus Versehen dort hinein gerät, kommt in der Regel nur in geistig verwirrtem Zustand wieder raus.

Auch die übrige Umgebung wirkt höchst schauerlich: Drückende Hitze, Moor, abgestorbene Bäume, dichter, gelber Dunst, der nach Schwefel riecht. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass es dort einen Badesee geben sollte, an dem man es tatsächlich aushalten kann.

Im Vergleich zu all dem wirkt Marthelms alter Freund Hanno Bußnitz, der grässliche Schreie auf Tonband sammelt und Baumsärge ausgräbt, um die darin enthaltenen Moorleichen in seinem Backofen zu konservieren, richtig knuffig!

Insgesamt ein sehr gelungenes Szenario, von dessen Intensität ruhig ein gut Teil auf die Charaktere hätte abfärben dürfen.

Aber trotz des gelungenen Hintergrunds und des sauberen Handlungsaufbaus bin ich mit dem Buch nicht recht warm geworden. Vielleicht lag es daran, dass die beiden Zeitebenen sprachlich so unterschiedlich sind. Der Wechsel zwischen moderner Jugendsprache und altmodischer Ausdrucksweise ist zwar eigentlich nur konsequent, ich empfand ihn aber trotzdem als störend. Vielleicht lag es auch daran, dass mir ein Sympathieträger fehlt. Der blasse Marian ist einfach kein ausreichender Ausgleich zu dem gefühlstoten Hexenmeister, den grässlichen alten Weibern und dem unheimlichen Wald.

Auch logische Brüche sind mir aufgefallen. Wie sollten zum Beispiel die alten Weiber an eine Babylocke von Billa gekommen sein, selbst wenn sie tatsächlich ihr Vorhaben so weit im Voraus geplant hätten? Und wieso hat der Bösewicht ausgerechnet Julian geschickt, um die Golems zu holen, wo diese dem Lehrling doch überhaupt nicht gehorchen dürften, weil er nicht an ihrer Erschaffung beteiligt war?

Das Ende gibt der Geschichte schließlich den Rest. Obwohl durchaus überraschend, wird der Plot dadurch auf eine Weise in sich verkehrt, die ihn letzten Endes unwahrscheinlich macht. Denn um einen solchen Plan zu entwickeln, hätte der Planer ein Zeitzeuge sein müssen, sonst hätte er nichts von dem Lehrling Julian wissen können, der für die Durchführung des Planes absolut unverzichtbar ist.

Unterm Stich bleibt also nicht viel mehr übrig als der stimmungsvolle und gelungene Hintergrund für die Geschichte sowie der magische Aspekt. Die Charakterzeichnung bleibt nicht nur weit hinter meinen Erwartungen sondern auch weit hinter der Ausarbeitung des Schauplatzes zurück, und die im Grunde interessante Handlung wird letztlich dadurch verdorben, dass mit Gewalt ein überraschender Schluss erzwungen und der Plot dadurch ad absurdum geführt wird.

Schon allein deshalb finde ich dieses Buch nicht wirklich empfehlenswert, noch gewagter erscheint mir allerdings, dass das Buch als Jugendbuch ab 12 Jahre ausgewiesen ist. Mag ja sein, dass die heutige Jugend bereits ziemlich hart gesotten ist, aber was Marian da auf dem Weg zum Drachenmaul so alles über den Weg läuft, ist schon starker Tobak. Da muss der junge Mensch schon ein echter Horrorfan sein, um damit glücklich zu werden.

Andreas Gößling ist promovierter Literatur- und Kommunikationswissenschaftler und äußerst bewandert in Mythen und Kulturgeschichte. Außer diversen Sachbüchern in diesem Bereich hat er auch einige Romane geschrieben, darunter „Der Alchimist von Krumau“, „Die Mayapriesterin“ und „Der Sohn des Alchemisten“. Sein neuestes Werk „Opus – Das verbotene Buch“ kam Mitte Februar 2010 in die Buchläden.

|Taschenbuch: 512 Seiten
ISBN-13: 978-3570304914
Vom Hersteller empfohlenes Alter: ab 12 Jahre|
http://www.andreas-goessling.de

_Andreas Gößling beim Buchwurm:_

[Faust der Magier 3904
[Die Freimaurer. Weltverschwörer oder Menschenfreunde? 4791

Schreibe einen Kommentar