Packende, bewegende Dark Fantasy
Es ist die Zeit des zweiten Dämonenkrieges. Seit drei Jahrhunderten sind sie zurück, die die allnächtlich aus der Erde steigenden Dämonen und holen sich ihre Opfer. Die überlebenden Menschen hoffen auf den Erlöser, der vor 3300 Jahren den ersten Dämonenkrieg für die Menschen entschied. Und in einem Jungen, der seine Mutter an die Dämonen verloren und sich mit den Zeichen für Schutzzauber tätowiert hat, scheint endlich eine Wendung in Sicht. Doch Arlen will nur allein kämpfen. Erst sich ihm eine junge Heilerin und ein Junge mit magischem Fiedelspiel anschließen, ändert sich sein Sinn. Die Schlacht um Cutter’s Hollow kann beginnen…
Dieser Bericht beruht auf der Lektüre des englischsprachigen Originals „The Warded Man“.
Der Autor
Der US-amerikanische Peter V. Brett hat bei Heyne die Romane „Das Lied der Dunkelheit“ und Das Flüstern der Nacht“ veröffentlicht. Er wuchs mit Fantasy-Romanen, Comic Books und „Dungeons & Dragons“ auf. An der Universität von Buffalo (New York State) errang er 1995 den Grad des Bachelor of Arts, bevor er ein Jahrzehnt mit der Publikation pharmazeutischer Literatur verbrachte (daher auch seine tiefen medizinischen Kenntnisse). Dann kehrte er zur Fantasy zurück.
Er lebt in Brooklyn, New York City, mit seiner Frau Danielle und seiner Tochter Cassandra sowie einer Katze namens Jinx.
Der Demon-Zyklus
1) Das Lied der Dunkelheit (The Warded Man, 2009)
2) Das Flüstern der Nacht (The Desert Spear, 2010)
3) Die Flammen der Dämmerung (The Daylight War, 2013)
4) The Skull Throne: Book Four of The Demon Cycle (26.1.2016)
5) Der große Basar: Roman (Erzählungen aus Arlens Welt, Band 1)
6) Das Erbe des Kuriers: Novelle (Erzählungen aus Arlens Welt, Band 2) »Das Erbe des Kuriers« knüpft an die Ereignisse aus »Das Lied der Dunkelheit« an.
Handlung
Arlen ist erst elf, als er seine Mutter Silvy an die Dämonen verliert. Die Dunkelheit war in seiner Erinnerung noch nie ein sicherer Ort, und sobald die Sonne versunken ist, verbarrikadieren sich die Menschen auf Arlens Bauernhof sofort hinter ihren von Bannsymbolen geschützten Wänden. Doch die Dämonen, die mit Einbruch der Nacht aus dem Erdinneren, dem „Core“, emporsteigen und materialisieren, sind vielgestaltig: Es gibt sie im Holz, in der Luft, in Flammen und sogar im Fels – sie können überall sein. Einmal materialisiert, jagen sie die verhassten Menschen, um sie mit ihren rasiermesserscharfen Zähnen und sensenartigen Klauen zu zerfetzen. Selbst ein einfacher Kratzer kann durch das Gift zum Tode führen.
Die Bannzeichen
Kein Wunder also, dass sich die Menschen an den Schutz durch die Bannzeichen klammern, denn die errichten eine magische Barriere, in der die Dämonen verbrennen. Jedes Haus muss darauf bedacht sein, die Bannsymbole frisch zu halten, damit sie funktionieren. Wehe dem armen Opfer, das auf ein solches Symbol tritt oder es sogar verwittern lässt. Die Dämonen haben seit ihrer Rückkehr vor 300 Jahren fast alle Menschen außerhalb der „Freien Städte“ dezimiert. Und nur in diesen Festungen bestehen Gilden von Bannwirkern, die wirksame Bannsymbole anzubringen zu verstehen.
Doch es gibt noch andere, die Schutzzauber wirken können. Am Morgen, nachdem Arlen seine Mutter vor den Augen seines feigen Vaters verloren hat, trifft ein Kurier namens Ragen ein. So ein Kurier muss sich durch die Wildnis zwischen den Weilern und Dörfern wagen, um Botschaften von den Regenten der jeweils zuständigen Freien Stadt zu überbringen – und um nebenher noch ein paar Geschäfte zu tätigen. Denn die durch mobile Bannseile geschützten Kuriere bringen Nahrungsmittel, die die Dörfer erzeugen, zurück in die Städte.
Fort Miln
Als Arlen von Ragen erfährt, wie es ihm gelingt, die Nächte in der Wildnis zu überleben, schließt er sich ihm an. Er will nicht so enden wie Jeph, sein Vater, eingesperrt wie ein Tier im Käfig. Von Ragen lernt Arlen alles, was er zum Überleben braucht, und von dessen Jongleur, einem Gaukler und Geschichtenerzähler, lernt Arlen noch viel mehr. In Fort Miln, wo der Kurier als geachteter Mann mit seiner schönen Frau Elissa in einer großen Villa lebt, wächst Arlen fortan auf. Er will eines Tages auch ein Kurier sein.
Ragen gelingt es, den Jungen in die Lehre zu schicken, und bei seinem Meister, einem ehemaligen Kurier, lernt Arlen noch viel mehr Bannsymbole. Als die beiden nach ein paar Jahren auch die Schutzzeichen anderer Meister erlernen, macht Ragen dem Herzog klar, welch ein besonderer Bursche dieser Arlen doch ist. So kommt es, dass Arlen und sein Meister den Auftrag erhalten, die kostbare herzogliche Bibliothek mit Bannzeichen zu versehen (obwohl Arlen die Logik dahinter nich ganz einleuchtet).
Mery
Bei dieser Monate langen Arbeit lernt Arlen durch die List seines Meisters die junge Mery kennen und lieben, die Tochter eines hochgestellten Geistlichen, der die Bibliothek leitet. Während Arlen die Schätze der Bibliothek liest und Bannzeichen ritzt, redet sie immer von einer „Seuche“, die als „Strafe“ und „Prüfung“ zu den Menschen gesandt wurde. Was kann sie nur meinen, wundert er sich.
Der Angriff
Arlen hat sich unter den Dämonen einen Feind gemacht, der ihm seit Jahren folgt: einen Felsdämonen, dem er einen Arm abgeschlagen hat. Jede Nacht entsteigt dieser rachsüchtige Dämon der Erde vor den starken, bewachten Mauern von Fort Miln und sucht nach einer Lücke in dem magischen Schutzwall, den die Bannzeichen errichtet. Eines Nachts wird der Felsdämon fündig – und der Angriff auf Fort Miln nimmt rasch verheerende Ausmaße an. Zusammen mit Ragen und seinem Meister Cob sowie einer Vielzahl von Soldaten stellt sich Arlen dem Angriff entgegen, Sein Erzfeind hat ihn schon nach wenigen Herzschlägen gerochen und greift gnadenlos an…
Mein Eindruck
Ich habe diesen packenden Action-Roman in wenigen Tagen verschlungen. Mit diesem sorgfältig entworfenen Auftakt zu seinem DEMON-Zyklus hat sich der amerikanische Autor in die erste Liga unter den Dark-Fantasy-Produzenten katapultiert. Dark Fantasy, fragt sich der Leser. Das übernatürliche Element der Bannzeichen-Magie und ihrer Anwender ist der Fantasy zuzurechnen, und die Dämonen sorgen für zahlreichen schauerliche, mitunter reichlich blutige Horrorszenen.
Männliche Leser ab mindestens 14 Jahren werden sich sofort auf die Action-Szenen konzentrieren. Doch sie können nicht umhin, auch die für die weibliche Leserschaft attraktiveren Kapitel mit der Heilerin Leesha und um den magisch begabten Gaukler und Geiger Rojer zu lesen. Mir haben die Leesha-Kapitel ebenfalls sehr gefallen, denn mit ihren detailliert geschilderten medizinischen Kenntnissen trägt Leesha ihren ganz eigenen Zauber zu dem gemeinsamen Kampf der letzten Menschen gegen die Bedrohung bei.
Ihre Lehrmeisterin Bruna ist ein Meisterstück der Charakterisierung: eine wehrhaftere Hundertjährige kann man sich schwerlich vorstellen – das sorgt für etliche komische Szenen. Und natürlich verwickelt sich Leesha schließlich in eine komplizierte Beziehung mit Arlen. Mit großer emotionaler Intelligenz und der Erfahrung eines verheirateten Mannes und Vaters beschreibt der Autor, wie sich Leesha aus der bäuerlichen Vorstellungswelt, nach der sie so schnell wie möglich nach ihrer ersten Blutung zu heiraten und Kinder zu gebären hat, emanzipiert und dafür ein großes Opfer bringt: Einsamkeit. Obwohl sie in der Krankenpflege völlig aufgeht, scheint erst der Warded Man Arlen der Gefährte zu sein, den sie all die Jahre gesucht hat. Doch Arlen ist ein Mann mit einer Mission, und so wird ihr Kampf um ihn schwierig.
Der Dritte im Bunde ist Rojer, der seine Mutter bei einem Dämonenangriff verlor und bei einem Gaukler aufwuchs. Sein Schicksal ist ebenfalls abwechslungsreich geschildert. Der Autor muss viele Szenen aufwenden, um zu begründen, dass Rojer letzten Endes nach dem Tod seines Ziehvaters und Lehrmeisters kein anderer Ausweg mehr bleibt, als über die Dörfer zu ziehen. Er bietet der schönen Leesha an, sie zu ihrem in Not geratenen Heimatdorf Cutter’s Hollow zu geleiten. Doch seine Kenntnisse von der Welt sind noch unzureichend, und so fallen sie unter die Räuber…
Finale
Die Schlacht um Cutter’s Hollow bildet den folgerichtigen Höhepunkt dieses Action-Romans. Arlen organisiert die Verteidigung der kurz vor der Auslöschung stehenden Bevölkerung und motiviert zusammen mit Leesha die Männer – und Frauen – zum bewaffneten Widerstand gegen den nächsten Angriff. Dieser Aspekt hat mich an die Fantasy-Romane von David Gemmell über Druss, die Legende, erinnert, einen motivierenden Kämpfer, dem es stets gelingt, mit einem kleinen Häuflein Aufrechter den Sieg davonzutragen.
Bei (dem verstorbenen) Gemmell haben Frauen viel weniger beizutragen als bei Brett, und dieser Fortschritt spiegelt die Emanzipation der Frauen wider, die sich in den letzten 20 bis 25 Jahren ereignet hat. Wie auch immer: Die epische Schilderung der Schlacht ist an Dramatik kaum zu überbieten, und Actionfreunde kommen voll auf ihre Kosten. Am Schluss steht die Frage, ob Arlen vielleicht doch der verheißene Erlöser ist. Falls ja, bekommt er auf einmal unerwartete Konkurrenz…
Unterm Strich
Ich vergebe nur vier von fünf Sternen für diesen Fantasy-Roman mit Horror-Elementen, weil der Erzählstil des Autors noch weit davon entfernt ist, sprachlich wie auch stilistisch perfekt zu sein. Tatsächlich liest sich das Original stellenweise wie ein kaum ausgefeiltes Stück Fan-Fiction – Brett ist seit seiner Jugend ein großer Fan von Fantasy. Er erzählt seine verzweigte Geschichte möglichst geradlinig und übersichtlich, so dass jeder sie versteht.
Und das hat seine guten Seiten: Die drei zentralen Figuren, die ja allesamt Außenseiter geworden sind, wirken dadurch authentischer und glaubwürdiger. Der gestelzte Tonfall bei manchen Figuren in Tolkiens Romanen und Erzählungen fehlt völlig. Selbst der Herzog von Miln ist ein verachtenswerter Mann, der herzlich wenig Respekt einflößt und verdient. Der Leser braucht keinerlei akademischen Sprachkenntnisse mitzubringen. Das erweitert das Publikum beträchtlich.
Das einzige Kapitel, das wirklich aus dem Rahmen der Festungen und Dörfer fällt, spielt in der Wüstenfestung Krasia. Es handelt sich um eine Art Kasr, wie man es von Karl May kennt, mit einem Aufbau wie Minas Tirith: mehrere Ringe umgeben das Zentrum. Hierfür hat sich der Autor wirklich Mühe gegeben, sowohl was die Sprache und die Kultur anbelangt, als auch die Komplexität der Gesellschaft, die hier mitten in der Abgeschiedenheit der Sandwüste existiert. Der Grund dafür dürfte wohl darin zu sehen sein, dass aus Krasia im Fortsetzungsroman „Das Flüstern der Nacht“ eine weitere Bedrohung für Arlen und seine Gefährten kommt.
Wenn man diese Vor- und Nachteile in Betracht zieht, dürfte dieser Startband des mittlerweile sechsbändigen Zyklus‘ – siehe oben – doch für viele Leser und Leserinnen spannende und bewegende Stunde an Lektüre bereithalten. Natürlich gibt es das Buch ebenso wie seine Fortsetzung auch als Hörbuch. Das Original „The Warded Man“, dass man nicht 800, sondern nur 450 Seiten lesen muss.
Taschenbuch: 800 Seiten
O-Titel: The Warded Man, 2009;
Aus dem US-Englischen von Ingrid Herrmann-Nytko;
ISBN 9783453524767
https://www.heyne.de
Der Autor vergibt: