Anonymus – Abenteuer einer Pariser Kokotte. Erotischer Roman

Abwechslungsreiche Abenteuer der Erotik

Die junge Léna de Mauregard ist eine Frau, die jeden Mann, der ihr begegnet, in ihren Bann schlägt. Leidenschaftlich, schön und anmutig, erregt sie das Verlangen der Kenner – und sie wäre keine Evastochter, keine Pariserin, wenn sie ihm nicht entgegenkäme… (Verlagsinfo) Auch dieser Roman der EROTIKON-Reihe des Goldmann-Verlags weist zeitgenössische Illustrationen auf.

Der Autor

Wahrscheinlich schrieb der produktive Monsieur J. Le Nismois diesen Roman Ende des 19. Jahrhunderts in Paris, aber um die Polizei der Zensurbehörde irrezuführen, gab der Verlag als Ort „San Francisco 1900“ an. Die deutsche Übersetzung erschien bereits 1908 als Privatdruck.

Handlung

Schon mit 18 Jahren geht die junge Frau, die sich Léna de Mauregard nennt, aber in Wahrheit Irene Breffer heißt, als Kokotte in die Liebesschule. Als sie spazieren geht, spricht ein Mann sie an und bietet ihr 100 Sous für einen Blowjob. Noch nie hat sie so leicht so viel Geld verdient, und Spaß macht es auch noch. Wie so viele Männer wollte er auch ihren runden Popo sehen. Das 100-Sous-Stück lässt sie durchbohren und hängt es sich als Talisman um den Hals. Die Magie des Talismans wirkt immer auf die Männer, die ihr begegnen, ist sie überzeugt, und die Praxis gibt ihr recht.

Der Graf

Als sie ihre Erinnerungen aufschreibt, blickt sie auf ein bewegtes Leben zurück. Sie ist mit Stanislaus verheiratet, den sie immer noch liebt. Ihm zahlt sie zwar 2000 Francs pro Monat, aber sie lebt nicht mit ihm zusammen, sondern in einer luxuriösen Wohnung, die ihr ein Graf gekauft hat. Von ihm wird sie ausgehalten, gegen entsprechende Dienstleistungen. Doch der Graf steht auf Po-Klapse und Quickies, und die sind auf Dauer echt öde.

Elvira

Als Überbringerin der 2000 Francs fungiert ihre beste Freundin Elvira, mit der sie gerne heiße Nächte verbringt. Elvira hatte mal etwas mit Stanislaus, aber eine andere, jüngere Frau namens Juana spannte ihn ihr aus. Und Juanas Freund Paulet hat mit Stanislaus „außerhalb der Natur“ angebandelt. Elvira muss zugeben, dass sie etwas geknickt ist, aber dagegen lässt sich ja etwas unternehmen. Lena nennt sie „Rinette“ und verbringt heiße Stunden mit ihr.

Der Gatte

Beim Ausritt im Bois (de Boulogne) erspäht Lena ihren Mann Stanislaus neben seiner Schnalle Juana. Ach, wenn sie ihn doch allein sprechen könnte! Diese Gelegenheit lässt sich herbeiführen, und als Stani seine liebe „Irene“ im Bois wiedersieht, gesteht er ihr, dass er sie noch immer liebe. Juana sei inzwischen langweilig geworden, ebenso deren Freund Paulet. Lenas Herz jubelt, doch sie braucht noch mehr Geld von ihrem Grafen, bevor sie sich mit Stanislaus zusammentun und selbständig machen kann. Denn als Reporter nagt er stets am Hungertuch, und eine Frau muss auch in der Liebe vernünftig sein.

Ein unmoralisches Angebot

Der Freier Barfleur macht Elvira ein unmoralisches, wenn auch sehr „vernünftiges“ Angebot: Sie auszuhalten, Lena einzuspannen und dann für jeweils zehn Louis essen gehen. Er mag zwar dick und kurzbeinig sein, aber er ist lernfähig. Und seit kurzem schickt er sogar Blumen. Das lässt hoffen. Doch Elvira sträubt sich (noch), denn sie mag ihre Wahlfreiheit.

Ausländische Konkurrenz

Der Journalist Albert Tisin, der für ein Gesellschaftsblatt schreibt, trägt Lena zu, dass ihr Graf am Abend zuvor mit der rothaarigen Amerikanerin Miss Leaf dinieren gewesen sei, und den Rest könne man sich ja denken. Lena ist besorgt und wütend ob dieser ausländischen Konkurrenz und beschließt, Maßnahmen zu ergreifen. Als sie zusammen mit ihrer lesbischen Standeskollegin Lucie des Etoiles im Bois spazierenfährt, erspäht sie Miss Leaf schon von weitem. Und auch Stanislaus: Er übergibt dieser ein Päckchen. Hat auch er etwas mit der Amerikanerin?

Die Eifersucht frisst Lena fast auf. Jedenfalls bis zum nächsten Tag, als sie Gelegenheit hat, ihn zur Rede zu stellen – in einer ruhigen Ecke hinter einer Hecke des Parks. Er habe Miss Leaf nur ein Päckchen wiedergegeben, das ihr heruntergefallen sei, das sei alles, beteuert ihr Gatte. Soll sie ihm glauben? Wie auch immer: Dieser ruhige Fleck bietet diskrete Gelegenheit für den erotischen Nahkampf.

Fatale Begegnungen

Statt mit ihrem Grafen verbringt Lena das Mittagessen und den Nachmittag bei Barfleur und Elvira. Ihre Freundin wartet mit einer Überraschung auf: Sie wird in der Operette als erotische Sängerin auftreten! Um eine Kostprobe ihres unerwarteten Könnens gebeten, entzückt Elvira ihre Freunde mit einer Darbietung, die alle in angeregtes Treiben versetzt. Doch die Strafe folgt auf dem Fuß.

Kaum heimgekehrt, wird sie von einer Furie besucht: Es ist eine im höchsten Grade eifersüchtige Lucie. Die Lüge, sie – Lena – sei beim Grafen gewesen, ist sofort durchschaut, denn Lucie hat ihre Informationsquellen in der ganzen Stadt: Lena war bei dieser Elvira! Erbost beginnt sie, die überraschte Lena nach Strich und Faden zu verprügeln. Nach Hieben und Knüffen an empfindliche Stellen ihrer Anatomie fällt Lena in Ohnmacht.

Eine geniale Idee

Anders als erwartet erwacht sie allerdings nicht bei den Engeln, sondern in einem schlichten Bett in ihrem Heim. Lucie ist erfreut und gelobt Besserung, ja, sogar Wiedergutmachung. Auch der Graf kommt und zeigt sich in höchstem Maße besorgt um Lenas Wohlbefinden. Das Leiden zieht sich noch ein paar Tage hin, doch dann kommt Lena eine nahezu geniale Idee: Lucie, die reuige Sünderin, soll ihr helfen, Stani wiederzusehen. Und vielleicht, wenn die Sterne günstig stehen, wird sie sogar wieder mit ihm zusammenleben können. Frau wird ja wohl noch träumen dürfen! Es käme auf einen Versuch an…

Mein Eindruck

Im Fin de siècle hatten Kokotten von Paris offenbar ihre Blütezeit. Irene Breffer kommt vom Lande und will nie wieder dorthin zurück. Um ihr Ziel der Selbständigkeit zusammen mit ihrem Mann Stanislaus zu erreichen, bringt sie zahlreiche, sehr lukrative „Opfer“. Von einem Grafen ausgehalten zu werden, ist noch die leichteste Übung, aber ihm zu gehören kommt nicht in Frage: Sie steht noch viele anderen zur Verfügung. Der Bericht ihrer Abenteuer gipfelt in der detaillierten Schilderung eines flotten Vierers, den man schon als Swinger-Paar-Event bezeichnen könnte.

Auf S. 43 verteidigt Lena ihre Lüsternheit:

„Alles ist relativ. Es gibt zwei Wesen in uns: ein moralisches und ein tierisches. Das moralische Wesen ist dasjenige, das wahrhaft Liebe verdient, das Tier in uns liebt den Schmutz und lässt sich gern hineinstoßen.“

Die liebe Konkurrenz

Sie liegt häufig im Clinch mit anderen Vertreterinnen ihres Gewerbes. Da ist Elvira, ihre beste Freundin, da ist Lucie, die ihr einen Kinnhaken verpasst, der sie ins Reich der Träume befördert, und da ist die Amerikanerin Miss Leaf, die viel Anlass zu Rivalität und Eifersucht gibt. Das Leben ist nicht einfach, wenn frau so viel Konkurrenz hat.

Eklat oder nicht?

Und dann muss frau ja auch stets auf Sittlichkeit und Anstand achten. Frau muss „dezent“ sein, um nicht angezeigt und verhaftet zu werden. Wie leicht landet man dann in den Klatschspalten oder, noch schlimmer, in einer Verbrecherkartei! Die Journalisten sind schon schlimm genug, denn sie können einem den guten Ruf verderben. Einen abzuweisen, ist schon riskant genug.

Aber dann passiert Lena mitten im Theater von Msr. Tiercelan auch noch ein höchst pikantes Malheur: Ihr Mieder rutscht herab und entblößt ihre wunderschönen Brüste! Während das – meist männliche – Publikum entzückt ist und aus dem Häuschen gerät, ist es die Polizei weniger. Auch ein gewisser fieser Reporter trägt sein Scherflein bei, um Lena ins Zwielicht zu rücken: War diese provokante Aktion nun Absicht oder Zufall?

Popologie

Aber es gibt auch lustige Tage, so etwa bei Msr. Tiercelan. Er behauptet, in der Lage zu sein, aus der Form eines Frauen-Popos auf ihren Charakter schließen können und liefert auch sofort eine Probe seines Könnens (S. 144-146). Lena tritt mit ihrem hübschen Hinterteil gegen Lucie an, die sie einst K.O. geschlagen hat. Lucie bekommt ihre Zukunft ebenso gewahrsagt wie Lena. Eine jede hat posterior ihre Vorzüge. Na, und wenn Lenas Gatte Stanislaus zugegen ist, lässt sich schwer etwas Negatives über seine Gattin sagen, nicht wahr?

Vernunft

Eine Frau muss auch vernünftig sein. Dazu gehört nicht nur der sensible Umgang mit Freiern und Verehrern, aber auch die Anhäufung von finanziellen Mitteln. Dass Lena ihren Gatten mit den Mitteln des Grafen aushält, ist in ihren Augen völlig vernünftig. Dass Stani ihr Geld wiederum für Juana und Paulet ausgibt, kann sie allerdings nicht verhindern.

Welche Frau würde schon einem Mann etwas verbieten wollen? Nun, auch hierbei gibt es Grenzen. Wo die persönlichen Grenzen von Lena liegen, bleibt lange Zeit im Dunkeln, doch dann will ihr ein Kellner eine Provision dafür, dass er ihr den Kontakt zu einem Prinzen herstellt. Das schlagt doch dem Fass die Krone ins Gesicht! „Flegel!“ kritzelt sie auf sein Anschreiben und schickt es postwendend zurück. Und den Prinzen soll wohl der Kuckuck holen.

Die Übersetzung

S. 19: „ich hielt sie zurück, den[n] ich hatte…“ Das zweite N fehlt.

S.49: „antipathisch“: Das Gegenteil von „sympathisch“.
S. 57: „Unsere Toiletten waren bezaubernd.“ Gemeint sind keine stillen Örtchen, sondern die textile Ausstaffierung einer Dame.

S. 65: “Ich wälzte mich rasch zur Seite und nahm eine dezente Stellung ein.“ „Dezent“ bedeutet hier „anständig“ anstelle von „subtil“.

S. 91: “En[t]schuldige…“: Das T fehlt.

S. 96: “Sürah”: Stoffsorte. „Surah ist eine Handelsbezeichnung für köperbindige Seiden-, Chemiefaser- oder Halbseidengewebe“

S. 149-151: Die erste Erwähnung der Rue Laugier ist rätselhaft, weil unerklärt. Nein, die ist nicht die Gesundheitsuntersuchungsstelle für Prostituierte, wie man annehmen könnte, sondern die Adresse eines Bankiers, der Lenas Dienste in Anspruch nehmen möchte. Das wird dann auf S. 151 ersichtlich.

Die Illustrationen

Die farbigen Illustrationen stammen laut Herausgeber von einem unbekannten Künstler des Fin de siècle. Sie sind von Geschmack und Humor gekennzeichnet. So lauscht etwa ein Pferdekutscher amüsiert, was seine beiden Gäste in der Kutsche so treiben.

Unterm Strich

Die literarische Qualität dieses abwechslungsreichen und amüsanten Romans ist höher als man erwarten würde, wenn man das Niveau berücksichtigt, das um 1900 gemeinhin herrschte, denn es gab bereits Massenproduktion in Buch- und Zeitungsdruck. Das Niveau war durchschnittlich bescheiden und auf die rasche Befriedigung einschlägiger Bedürfnisse abgestellt, die Druckwerke wurden unter der Hand in dunklen Ecken verhökert (ähnlich wie erotische Postkarten). Doch weil der Privatdruck „Abenteuer einer Pariser Kokotte“ so geschickt, klug und ideenreich erzählt, kam schon bald der Verdacht auf, es könne sich um ein anonymes Werk des Meistererzählers Guy de Maupassant handeln. Dieser Verdacht konnte nie erhärtet werden.

Ich fand den Roman durchgehend unterhaltsam, denn die „Erzählerin“ wartet nicht mit den üblichen Klischees auf, sondern dekliniert alle sexuellen Präferenzen durch: lesbisch, gay, flotter Dreier, swingender Vierer. Stets spielt der Popo eine wichtige Rolle, und Tiercelans popologische Weissagung bildet den Gipfel der Kehrseitenverehrung.

Die Erzählerin ist nie Opfer, außer wenn sie von einer vermeintlichen Freundin K.O. geschlagen wird. Sie weiß ihre Lust zu befriedigen, sinkt aber nie unter ein gewisses Niveau ab. Einen unverschämten Kellner, der sich als Leporello andient, lässt sie abblitzen. Dass ihr mal das Mieder im Theater verrutscht, nun, dafür kann sie nichts, denn die Assistentin hätte es besser befestigen müssen. Das Publikum ist jedenfalls begeistert von ihrem „Missgeschick“.

Französisch

Die Druckfehler halten sich in Grenzen, und nur der altertümliche Sprachgebrauch aus dem Jahr 1908 kann den einen oder anderen Leser stolpern lassen. Nicht nur die Gebrauchsgegenstände des Fin de siècle, die eine weibliche „Toilette“ ausmachen, haben ihre ungewohnten Bezeichnungen (Sürah usw.), auch die Umgangsformen wie etwa ein Billet oder ein Avis. Französischkenntnisse erweisen sich als sehr hilfreich.

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Taschenbuch: 173 Seiten,
O-Titel: Impressions d’une fille, 1900
Ohne Übersetzerangabe
Deutsch zuerst 1908
Goldmann,
1982, München
ISBN-13 9783442060306