Seamark – Das Kokainschiff

seamark kokainschiff cover kleinIn London treiben Rauschgiftschmuggler ihr Unwesen. Kopf der Bande ist ein verschlagener Kapitän aus dem Fernen Osten, der vor Entführung und Mord nicht zurückschreckt, bis ihm wackere Polizisten und mutige Bürger das Handwerk legen … Reizvoll naiver Groschen-Krimi, der politisch völlig unkorrekt aber spannend zeitgenössische Klischees in eine schaurig-schöne, rasante Story packt und die Hafenkulisse Londons gut zu nutzen weiß: ein Lesevergnügen aus eindeutig vergangener Zeit.

Das geschieht:

London, Ende der 1920er Jahre: Seit einiger Zeit registriert Scotland Yard einen drastischen Anstieg des Kokainhandels. Die verbotene Droge kommt offensichtlich aus dem fernen China und wird über die Themse in die Stadt geschafft. Sergeant Manning von der Strompolizei hegt den Verdacht, dass Kapitän Grosman dahintersteckt. Der Seemann holländisch-chinesischer Herkunft und sein verkommener Frachtkahn „Yangtse“ haben schon mehrfach von der Strompolizei Besuch bekommen, ohne dass dem verschlagenen Schurken je etwas nachgewiesen werden konnte.

Das könnte sich ändern, denn just wurde der ungarische Matrose Gilan Maxick mit einem vergifteten chinesischen Dolch im Herzen aus dem Wasser gezogen. Maxick war der Polizei als Kontaktmann der Schmuggler bekannt. Offenbar tobt in der Londoner Unterwelt ein Krieg um die besten Pfründen. Scotland Yard mag dies nicht länger dulden und schickt Chefinspektor Sterling in den Einsatz. An Mannings Seite soll er die Kokaingangster ausheben.

Das versucht auch die abenteuerlustige Hillary Kittredge. Die junge Frau, zukünftige Verlobte des Industriellen Toby Essex und eine erfahrene Rennboot-Pilotin, erfuhr zufällig von der Suche nach dem Kokainschiff. Neugierig geworden schleicht sie sich an Bord der „Yangtse“, wo sie von Grosman entdeckt, gefangen gehalten und mit Rauschgift vollgepumpt wird.

Verzweifelt suchen Essex, Hillarys Bruder und ihr Vater nach Hillary. Manning weiß, dass Grosman zugeschlagen hat, doch wo hat dieser sein Hauptquartier? Der Kampf zwischen Gesetz und Unterwelt nimmt an Härte zu, doch der teuflisch schlaue Grosman scheint sämtliche Trümpfe in der Hand zu halten …

Anders ist immer verdächtig …

Das Motto, das über den Zeilen der Geschichte vom „Kokainschiff“ schwebt, lautet: Dem Fremden gegenüber sei misstrauisch! Dass du nichts oder wenig über ihn weißt, ist vor allem seine Schuld, sodass es nur gerecht ist, wenn er die Folgen tragen muss.

In unserem Fall trifft es ‚die Chinesen‘, die seit Anfang des 20. Jahrhunderts in großer Zahl in den Hafenstädten der westlichen Welt auftauchten. Weil der Fracht- und Passagierverkehr auf den Ozeanen stetig zunahm, arbeiteten auch Chinesen verstärkt als Matrosen oder verließen ihre Heimat, um ihr Glück an neuer Stätte zu suchen. Die Differenz zwischen der westlichen und östlichen Kultur war beträchtlich, die Ablehnung der ‚Gastgeber‘ unverhohlen. So blieben die Neuankömmlinge vorsichtshalber in der Fremde beieinander – und machten sich erst recht verdächtig: Was trieben die unverständlich sprechenden, seltsam gekleideten und undurchsichtigen Asiaten in ‚ihren‘ Stadtvierteln?

Sicherlich nichts Gutes, was die zeitgenössische Sensationspresse gern ‚bestätigte‘. Aber nicht nur in Zeitungsartikeln, sondern auch in Geschichten und Filmen dieser Zeit findet immer wieder chinesische „Verbrecherkeller“ und „Opiumhöhlen“ Erwähnung. Ganze Stadtteile wurden angeblich von den ‚Gelben‘ untertunnelt, um tief unter der Erde Verbotenes und Erschreckendes zu treiben.

Spannung um der Spannung willen

Auch „Seamark“ bedient sich dieser populärgruseligen und gänzlich aus der Luft gegriffenen Klischees. Vom realen Alltagsleben der chinesischen Bevölkerung in London hat er definitiv keine Ahnung, was jedoch unerheblich ist, da er nichts plante als ein simples aber spannendes Garn, das er möglichst zahlreichen Lesern verkaufen konnte: Seamark (alias A. J. Small) schrieb für die zeitgenössischen „Pulps“, d. h. die britischen Pendants zu den deutschen „Groschenheften“.

Die wurden zu allen Zeiten vom literarischen Establishment gern als „minderwertiger Schund“ geschmäht. „Das Kokainschiff“ belegt, wie unverdient dieses Pauschalurteil ist: Die Handlung ist simpel, wird aber effektvoll strukturiert, das Timing ist gut, das Geschehen schreitet zügig voran und gewinnt im rasanten Finale ständig Tempo. Quasi filmisch ‚schneidet‘ Seamark geschickt von einer brisanten Szene zur nächsten, wobei er mit einem Cliffhanger ausblendet, der den Leser ungeduldig die Fortsetzung erwarten lässt.

Die Kulisse ist exotisch, was nicht nur an den der Phantastik entlehnten Grusel-Atmosphäre liegt, die dicht vernebelte Hafengassen, unheimlich gurgelnde Flussläufe, verfallene Lagerhäuser mit geheimen Falltüren, düstere Schiffen und Giftdolche aus dem Hinterhalt bietet, sondern auch an den vielen Jahren, die seit dem Erscheinen des „Kokainschiffs“ vergangen sind. London mutet durch Seamarks Brille keineswegs wie eine moderne Metropole an. Obwohl PS-starke Schnellboote und schnittige Sportwagen zum Einsatz kommen, scheint im Hafenviertel das 19. Jahrhundert weiterhin präsent zu sein. Die Tradition der „Pulps‘ fordert einfach gestrickte Handlungen und actionreiches Geschehen. Also beschränkt sich auch die Polizeiarbeit primär auf publikumswirksame aber realitätsferne Verfolgungsjagden und spektakuläre Handstreiche, die hochrangige Beamte in absurde aber abenteuerliche Verkleidungen zwingen, an denen Sherlock Holmes seine Freude gehabt hätte.

Schwarz und weiß, gelb und weiß

Den Leser stört’s wenig. Blendet man die Hoffnung auf klassische Krimi-Kunst aus, stellt sich die Freude am gut gemachten Trash zuverlässig ein. Die Figuren sind altmodisch aber nicht zuletzt durch das Kino präsent geblieben. Wie einem Piratenfilm entsprungen wirkt die Crew der „Yangtse“; sie fällt zwischen den raubeinigen Seeleuten, die Seamarks malerisch verkommenen Spelunken bevölkern, kaum auf.

Die Polizei arbeitet noch ohne Hightech, sondern klettert im Bedarfsfall auch auf Laternenmasten, um Straßennamen zu entziffern … Von Teamwork halten die Ordnungshüter wenig; sie ermitteln separat vor sich hin und pflegen dabei absonderliche Manierismen. Die dafür notwendige Zeit haben sie, denn auch die Unterwelt schurkt gemächlich in diesen Tagen.

Theatralisch gibt man sich dabei. Die Guten und die Bösen verkleiden sich gleichermaßen gern. Grosman tritt gern als Alter Ego von Fu-Manchu in feinste chinesische Seide gewandet auf. Auch sein englischer Mit- und später Gegenspieler achtet auf Eleganz; in Abendanzug und Umhang tritt er zum Kampf um die Bandenführung an, ganz wie es sich für einen Gentleman-Verbrecher gehört. Die kriminelle Drecksarbeit erledigt farbenfroh gezeichnetes Gesindel, zu dem u. a. ein bemerkenswert hellsichtiger Blinder gehört …

Recht unharmonisch fügt die schöne Hillary sich in das sonst rein männliche Ensemble ein. Ihr Verhalten ist selbst für eine Frauenfigur aus einem Groschenroman ziemlich dämlich. Es hat den Anschein, dass Seamark der Handlung irgendwie eine Jungfrau in Not aufpfropfen wollte, weil dies so erwartet wurde. Selbstverständlich beschränkt sich der geile Grosman auf schmierige Andeutungen, piekt Hillary nur mit der Kokainspritze und hält ansonsten seine gelben Spinnenfinger im Zaum: An einer englischen Maid wagt er sich nicht zu vergreifen. Die (freilich latent rassistische) Offensichtlichkeit, mit der Seamark sich hier Zurückhaltung auferlegt, lässt heute eher schmunzeln. Es ist seitdem halt eine Menge Schmutzwasser die Themse hinabgeflossen …

Der Film nach dem Buch

„Down River“ wurde bereits 1931 nach einem Drehbuch des Autors Ralph Gilbert Bettison unter der Regie von Peter Godfrey verfilmt. Der kostengünstig gedrehte und aufgrund der neuen, noch sehr komplizierten Tontechnik recht statisch geratene Streifen ist längst in Vergessenheit geraten. Interessant macht ihn seine Besetzung: In einem seiner ersten Filmauftritte spielt der Charaktermime Charles Laughton (1899-1962) den finsteren Kapitän Grosman und eine seiner unvergesslichen Rollen als Furcht erregender Bösewicht.

Autor

Über „Seamark“ alias Austin James Small (1894-1929) – der offensichtlich als Austin Small Major geboren wurde – ist wenig in Erfahrung zu bringen. Er gehört wie Edgar Wallace, E. Phillips Oppenheim oder Victor Gunn zur Gruppe der „Masse-statt- Klasse“-Autoren, die in den Jahren vor und nach dem I. Weltkrieg Nachschub für die zeitgenössischen Story-Magazine lieferten, ohne aufgrund seines frühen Todes deren Bekanntheitsgrad zu erreichen. Smalls Geschichten waren turbulent und auf Spannung getrimmt. Wüste Verschwörungen und wilde Verfolgungsjagden, fiese Schurken und schöne Frauen in Not bildeten feste Konstanten. Dabei beschränkte sich der Autor nicht auf Kriminalgeschichten, sondern ‚produzierte‘ auch für andere Genres. „The Avenging Ray“ ist ein früher Science-Fiction-Roman; darüber hinaus schrieb Small Liebes- und Abenteuergeschichten.

Taschenbuch: 217 Seiten
Originaltitel: Down River (London : Hodder & Stoughton 1929)
Übersetzung: Ravi Ravendro
http://www.randomhouse.de/goldmann

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