Franziska Latell/Werner Sudendorf (Hgg.) – Fritz Langs Metropolis

Nach mehr als 80 Jahren liegt „Metropolis“ wieder komplett vor. Zur Erstaufführung der rekonstruierten Fassung erschien 2010 dieser Prachtband, der die wechselvolle Geschichte des berühmten Stummfilms nicht nur nachzeichnet, sondern mit 600 oft großformatigen Bildern kongenial illustriert: eine faktenreiche und spannende Reise in die Frühzeit des deutschen Kinos.

Unverhoffte Vollendung

Nach mehr als 80 Jahren liegt „Metropolis“ wieder komplett vor. Zur Erstaufführung der rekonstruierten Fassung erschien 2010 dieser Prachtband, der die wechselvolle Geschichte des berühmten Stummfilms nicht nur nachzeichnet, sondern mit 600 oft großformatigen Bildern kongenial illustriert: eine faktenreiche und spannende Reise in die Frühzeit des deutschen Kinos.

Schon bevor „Metropolis“ 1927 endlich ins Kino kam, brachen Dauer und Kosten der Dreharbeiten sämtliche Rekorde und die produzierende Ufa an den Rand des Ruins. Überlang und für die schnelle, möglichst lukrative Auswertung ungeeignet, wurde der Film schon nach der Uraufführung radikal gekürzt und geschnitten. Die dabei entfernten Sequenzen verschwanden in den Mülltonnen des Schneideraums.

„Metropolis“ blieb als grandiose Filmruine zurück, die nach dem Zweiten Weltkrieg ganzen Generationen von Filmhistorikern zur Herausforderung wurde. Nachdem entdeckt wurde, dass sich die erhaltenen Kopien inhaltlich leicht unterschieden, wurden Versuche unternommen, die Urfassung wiederherzustellen. Kurze Sequenzen aber auch ganze Szenen konnten durch den Abgleich in den Filmarchiven der Welt zu einer „Metropolis“-Version ergänzt werden, der indes weiterhin mehr als eine halbe Stunde Handlung fehlte.

Nach mehrjähriger Stagnation diesbezüglicher Nachforschungen fanden sich 2001 erste Spuren einer kompletten „Metropolis“-Kopie im Museo del Cine Pablo C. Ducrós Hicken in Buenos Aires, Argentinien. 2008 wurde von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung eine neuerliche Rekonstruktion von „Metropolis“ gefördert. Auf der Basis der argentinischen Fassung entstand die aktuelle Version, die nur mehr acht Minuten vermissen lässt.

Ein Ereignis wird gewürdigt

Parallel zur feierlichen Aufführung auf der Berlinale im Friedrichstadtpalast bzw. in der Alten Oper Frankfurt am 12. Februar 2010 fand in den Räumen der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen in Berlin zwischen dem 21. Januar und 25. April 2010 die Sonderausstellung „The Complete METROPOLIS“ statt. Der vorliegende Band wurde von der Kinemathek als Katalog zu dieser Ausstellung vorgelegt. Auf 400 Seiten und illustriert mit 600 zuvor oft nie veröffentlichten Fotos präsentiert „Fritz Langs Metropolis“ auf feinstem Papier und im Großformat eine Filmhistorie mit Krimi-Qualität.

Bereits die Entstehungsgeschichte ist atemberaubend. Bernard Eisenschitz beschreibt im Kapitel „Wege und Umwege zu Metropolis“ (S. 13-33), wie Fritz Lang und Thea von Harbou 1925/26 entschlossen Zeit, Arbeitskraft und Geld in ihre monumentale Vision einer möglichen Zukunft investierten. Vor und hinter der Kamera leisteten ganze Heerscharen Großartiges. Lang genoss in diesen Jahren solches Ansehen, dass ihm das finanzierende Studio freie Hand ließ; als Dank riss Lang der Ufa quasi beide Arme aus und bestand auf der vollständigen Verwirklichung seiner Ideen.

Böses Erwachen

Die Realität holte das Projekt spätestens nach der Uraufführung am 10. Januar 1927 ein. Das zeitgenössische – und zahlende – Publikum hielt sich zurück. „Metropolis“ wurde gekürzt, umgeschnitten, verstümmelt – ein irreparabel scheinender Schaden, bis die zwar umkopierte aber vollständige argentinische Kopie auftauchte. Rainer Rother beschreibt in „Metropolis entdeckt“ (S. 34-47) die Geschichte dieses glücklichen Zufallsfundes. Martin Koerber skizziert in „Erneute Notizen zur Überlieferung des Films Metropolis“ (S. 49-64) die ebenso faszinierende Jagd der „Metropolis“-Detektive nach den in aller Welt versprengten Kopien und Alternativfassungen. Außerdem werden die Schwierigkeiten dargestellt, die mit der Rekonstruktion alten, empfindlichen und beschädigten Filmmaterials einhergehen.

Anke Wilkening beschäftigt sich in „Das Ende eines Mythos?“ (S. 64-75) mit der Frage, wie sich die Kenntnis der jahrzehntelang nur erahnten „Metropolis“-Sequenzen auf die Rezeption eines Films auswirkt, dessen Kritiker sich in ihren Urteilen bisher oft auf Einzelfotos oder gar Vermutungen stützen mussten. Erwartungsgemäß stehen für die Autorin die Vorteile der endlich möglichen Neubewertung im Vordergrund.

Frank Strobel beschreibt „Rekonstruktion und Originalmusik von Metropolis“ (S. 77-87), ein Vorgang, der sich keineswegs auf das chronologisch korrekte Zusammenleimen aller erhaltenen Szenen beschränkte. Detektivische Forschungsarbeiten in zahlreichen Archiven förderten Drehbuchentwürfe, Zensurkarten u. a. karge zeitgenössische Dokumente ans Tageslicht, die über die ursprüngliche Montage von „Metropolis“ informieren. Die Umsetzung solcher Informationen wurde schwierig, weil die Restauratoren immer wieder auf die eigene Interpretation angewiesen waren.

Ein Fest für die Augen

Der Bildteil nimmt drei Viertel des Katalogumfangs ein. Angesichts der optischen Opulenz des „Metropolis“-Films werden die Fotostrecken zum Ereignis. Fritz Lang war nicht nur ein Ausnahme-Regisseur. Auch in Sachen Öffentlichkeitsarbeit ging er neue Wege. Die Dreharbeiten von „Metropolis“ wurden einerseits fotografisch dokumentiert und andererseits von den Medien begleitet. Lang selbst sammelte Fotos, Entwurfszeichnungen u. a. Arbeitsunterlagen, die er später der Cinémathèque Française in Paris übergab. Auch die übrigen Mitglieder der Crew und natürlich die Schauspieler sicherten sich Andenken. Mit Hilfe zeitgenössischer und nachträglicher Interviews, Auszügen aus verschiedenen Drehbuch-Entwürfen, zitierter Artikeln und Erinnerungen rekonstruieren Kristina Jaspers, Franziska Latell, Peter Mänz und Werner Sudendorf die Geschichten hinter diesen Fotos.

Gegliedert wird der Bildteil durch die ‚Geografie‘ der Metropolis. Dem Blick auf die megalomanisch prunkvolle Oberstadt und das Kontrollzentrum von Joh Fredersen folgen der Abstieg in die Stadt der Arbeiter, die Maschinenräume der Unterstadt, die uralten Katakomben, in den Dom und in das Haus des „mad scientist“ Rotwang. Abgeschlossen wird der Bildteil durch eine Auswahl von Fotos, die berühmte Personen der Zeitgeschichte als Besucher in „Metropolis“-Kulissen zeigen.

Die Wucht der Fakten

400 Seiten à 29 cm Höhe und 26 cm Breite ergeben ein wahrlich gewichtiges Buch: 2 Kilogramm wiegt „Fritz Langs Metropolis“, was der inhaltlichen Bedeutung freilich vollauf entspricht. Dies ist keines jener aussageschwachen „Filmbücher“, die sich unter ausgiebiger ‚Nutzung‘ von Pressematerialien, mit ebenso ausführlichen wie überflüssigen Inhaltsangaben sowie meist verschwommener Szenenfotos mühsam über die Distanz retten. Hier steht jederzeit die Information im Vordergrund, die in dieser Qualität ihren Preis hat: Für „Fritz Langs Metropolis“ muss man ein wenig tiefer in die Geldbörse greifen, was den Käufer freilich mit den Ufa-Produzenten der 1920er Jahre verbindet …

Die Haupttexte sind knapp aber kundig und von Leuten geschrieben, die mit der Materie vertraut sind und mit dem Wort umzugehen wissen. „Fritz Langs Metropolis“ erschlägt seine Leser nicht mit Fakten, sondern stellt sachlich und spannend dar, was im Sachbuch oder gar in einem Ausstellungskatalog keine Selbstverständlichkeit ist. Auf einem breiten Rand finden sich Fußnoten mit zusätzlichen Informationen.

Die Abbildungen sind eine Offenbarung. Schwarz-weiße Fotos weisen eine bemerkenswerte Kontrast- und Detailschärfe auf. Im 21. Jahrhundert gerät dies oft in Vergessenheit, zumal viele alte Fotos nur in Kopie zum Druck vorliegen und durch Schlampigkeiten bei der Umsetzung weiter an Qualität verlieren. Für die Bilder in „Fritz Langs Metropolis“ wurde so weit wie möglich auf Originale zurückgegriffen, die für den Druck sorgfältig vorbereitet wurden. Dazu gehörte die Wahl eines hochwertigen Papiers, das dem auch gerecht werden konnte. So ist es kein Wunder, dass sogar die kleinformatigen Fotos an Schärfe nichts zu wünschen übrig lassen.

Der Aufwand lohnt sich. „Fritz Langs Metropolis“ wird zum seltenen Beispiel eines Filmbuches, das den Leser selbst dann fesselt, wenn er sich mit dem Film „Metropolis“ nicht anfreunden kann. Der Blick ruht zwar meist auf Langs Werk, aber er weitet sich darüber hinaus zur Darstellung des (deutschen) Films in den 1920er Jahren. Besser kann man es eigentlich nicht machen.

Gebunden: 400 Seiten
ISBN-13: 978-3-923646-21-0
http://www.belleville-verlag.de

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