Mädchen in Hosen, mit der Rute erzogen
Durch Zufall lernt er den jungen Mann kennen und lädt ihn auf seinen Landsitz ein. Durch Zufall merkt er dort, dass sein gast ein reizendes junges Mädchen ist, das an der Liebe großen Gefallen findet. (Verlagsinfo) Ein spätviktorianisches Sittengemälde aus dem Jahr 1902, das teilweise BDSM-Freunde anspricht.
Der Autor
Die Identität des Autors wird seitens des Verlags nicht offengelegt. Die Epoche ist spätviktorianisch oder schon edwardianisch (1902; Queen Victoria starb im Januar 1901). Es gibt zwar schon elektrische Klingeln und Gaslicht, aber keinerlei Autos, sondern nur Kutschen. Der Landadel, dem der Erzähler Charley offensichtlich angehört, hat keinerlei Sorgen um seine Einkünfte, muss aber sehr auf sein Auftreten und einen untadeligen Ruf achten.
Handlung
Der Erzähler Charley kehrt von einer erfolgreichen Vogeljagd zu seinem Landsitz in der Grafschaft Hampshire (die nächstgelegene Stadt ist Winchester) zurück, als er auf der Landstraße einen Jungen wandern sieht und ihn anspricht. Der Junge ist zwischen 13 und 14 Jahren alt, blond, blauäugig, schlank und offensichtlich erschöpft. Dennoch will Frank, wie er sich nennt, noch bis zum Hafen Southampton an der Küste wandern, um dort als Matrose anzuheuern. Das dürfte er wohl kaum schaffen, denn er ist jetzt schon fast pleite. Franks Ehrlichkeit und offenes Wesen sind einnehmend.
Eine Einladung
Charleys Interesse – und Mitleid – ist geweckt, denn der schmächtige Bursche dürfte in der Marine Ihrer Majestät wohl kaum lange überleben. Er nimmt ihn mit nach Hause, um ihm wenigstens eine ordentliche Mahlzeit und ein Dach überm Kopf zu spendieren. Die vorige Nacht hat Frank in einem Heuschober verbracht. Anscheinend ist Frank so etwas wie ein Ausreißer, doch was seine „Tanten“ von ihm wollten, das er ihnen verweigerte, wagt Charley nicht zu fragen. Dafür ist er zu gut erzogen. Doch immer wieder fällt ihm auf, was für zierliche Füße und Hände Frank hat.
Charley ist heterosexuell, hält im Londoner Stadtteil St. John’s Wood eine Mätresse namens Maud aus und hegt deshalb gegenüber Frank keinerlei sexuelle Wünsche. Beim Frühstück am nächsten Morgen haut Frank richtig rein, was auch die Köchin freut. Er ist gewaschen und neu eingekleidet worden. Als Charley ihm einstweiliges Asyl anbietet, nimmt Frank gerne an, unter Charleys Bedingung, dass er auch etwas lerne. Er bekommt sein eigenes Zimmer neben dem von Charley, und die Bedienten werden angewiesen, ihn wie ein Familienmitglied zu behandeln.
Entdeckungen
Doch Frank erweist sich als alles andere als fleißig und gehorsam, sondern legt Launen und Aufmüpfigkeiten an den Tag. Charley droht ihm, ihn mit der Rute zu verprügeln, doch das bewirkt nichts. Als es mal wieder soweit ist, schneidet sich Charley ein Bündel aus Birkenreisern zusammen und marschiert mit dieser Rute zur Bestrafung des Übeltäters. Anders als erwartet schickt sich Frank reumütig in sein Schicksal. Pardon wird nicht gegeben, und nachdem er seine Hosen heruntergezogen hat, erhält sein Hintern eine ordentliche Abreibung. Doch erst beim zweiten Mal macht Charley eine erschütternde Entdeckung: Da, wo sich seine Kronjuwelen befinden sollten, ist Frank nämlich ein Mädchen!
Nun wird Charley einiges erklärlich. Frank hat sich geweigert, wie ein Mann zu reiten, irgendeine Art von Sport auszuüben und sogar – man bedenke! – auf die Jagd zu gehen. Doch statt seinen Schützling dadurch zu beschämen, indem er dessen wahres Geschlecht bloßstellt, lässt Charley ihn die Charade weiterspielen. Der Grund ist einerseits der, dass ein Skandal in der Familie – ohne die ein Adliger nichts gilt – unvermeidlich wäre, wenn auf einmal ein unverheiratetes Frauenzimmer auf Charleys Anwesen auftauchen und leben würde: Jeder würde sie für eine Hure und Charley für ihren Zuhälter halten. Zum anderen hat das Spiel seinen eigenen Reiz. Und dann ist da noch die Rute, die beiden offenbar Freude bereitet. Frank entwickelt sich viel erwartungsgemäßer und vielversprechender.
Natürlich kann das Spiel nicht ewig dauern, denn Mutter Natur verlangt ihr Recht. Franks Körper entwickelt ausnehmend weibliche Rundungen und alle an den richtigen Stellen. Dass sie ihn liebt, ist unübersehbar. Doch Charley wartet, bis sie achtzehn und somit volljährig geworden ist, bis er der ganzen Sache eine solidere Grundlage zu geben gedenkt. Maud will eh heiraten, und so kann „Frances Howard“, wie sich Frank nun nennt, in das Häuschen in St. John’s Wood einziehen und Mauds Mobiliar übernehmen. Bleibt nur noch eine Sache zu bewältigen: Frances‘ Entjungferung…
Mein Eindruck
Dieser Roman ist hinsichtlich zwei Phänomenen bemerkenswert. Frauen in Hosen, die ihr natürliches Geschlecht verstecken, aber einen jungen Mann spielen, sorgten immer wieder für Aufmerksamkeit. Es lief der viktorianischen Auffassung von der häuslichen Rolle der Frau strikt zuwider, dass eine Frau so tat, als wäre sie etwas anderes. Königin Viktoria höchstselbst sorgte per Mikro-Management in ihrer neunköpfigen Nachkommenschaft, dass sich alle Mädels und Jungs entsprechend korrekt benahmen. Wie konnte es dann ein gewöhnlicher Untertan wagen, etwas anderes zu tun? Charley ist vor diesem Hintergrund also ganz schön frech.
Züchtigung
Das Transgender-Spiel mit seinen homoerotischen Untertönen wurde von George Sand, Sarah Bernhardt und bis hin zu Marlene Dietrich gespielt. Obwohl die männlichen und weiblichen Zöglinge des englischen Internats- und Pensionatssystems homoerotische Neigungen entwickelten, so fanden sie doch, wie der Herausgeber Franz Spelman nachweist, einen Weg, die Rolle des Penis durch die Rolle der Rute zu ersetzen: in der Züchtigung. Und obwohl der Erzähler beteuert, „Frank“ sei nie ungerechtfertigt bestraft worden, so macht er doch klar, dass sich ihr Charakter ohne die Freuden der Rute nie so wohlgeraten entwickelt hätte. (Im 3. Teil des Romans wird dies nochmals an Frances‘ zwei Stiefkindern demonstriert.) Charleys „Birching“ ist ein verbreiteter Topos in der englischen Trivialliteratur.
Untreu
Dass es im Leben eines reichen Adligen einen Zyklus zwischen Land und Stadt, Heimat und Ausland gab, dürfte schon bekannter sein, besonders wenn man ein Fan von Jane Austen ist. Engländer, die es sich – auch heute noch – leisten können, fliehen im Herbst rechtzeitig ihre bis dato regnerische und kühle Inseln, um in Italien, Griechenland und v.a. der Côte d’Azur Sonne zu tanken, das Touristenprogramm zu absolvieren und in Monte Carlo den Rest der Reisekasse auf den Kopf zu hauen. Frances tankt Kunst, Sonnst und Sex. Dass sie in Nizza auch mit jungen Männern anbandelt, führt im 2. Teil des Roman zu erheblichem ärger. Ist das Anlass für einen weiteren Ritt unter der Birkenrute?
Indiziert
Der interessanteste Aspekt hat diesem Roman wohl die Indizierung eingetragen. Dieser Band wurde am 30.03.1983, (Banz.-Nr. 62) von der Bundesprüfstelle indiziert. Es war der 3. PLAYBOY-EROTIK-Band, der der Indizierung zum Opfer fiel. Es ist nur ein kurzer Abschnitt von wenigen Seiten, doch es wird schnell klar, dass Frances Howard in Kensington unschuldig in einem Bordell gelandet ist, in dem minderjährige Mädchen wie sie selbst gegen ein Entgelt an Herren der Gesellschaft vermittelt werden.
In diesem Bordell für Minderjährige herrschen ihre beiden „Tanten“ Mrs. Leslie und Mrs. Dundas unbehelligt von der Polizei und uneingeschränkt über mehrere Mädchen, für die es kein Entkommen zu geben scheint. Charley macht sich nach fünf oder sechs Jahren einen eigenen Eindruck von diesem Etablissement. Er bleibt seiner geliebten Frances treu, sein Begleiter hat hingegen keinerlei Skrupel, eines der Mädchen aufs Zimmer zu nehmen.
Warum lief Frances nicht sofort davon, fragt er sich. Doch „Frank“ durfte, wie sie erzählte, hier zunächst ein halbes Jahr lang kostenlos logieren, bevor sie aufgefordert wurde, einem Herren zu Diensten zu sein. Weil sie sich weigerte, sollte hinausgeworfen werden. Sie schnappte sich die Männerkleider eines jungen männlichen Bewohners der Villa und verschwand. Nicht lange danach wurde sie von Charley aufgegabelt. Ihr Schicksal ist zwar traurig, aber keineswegs einzigartig. In London war die Not in den Elendsvierteln so groß, dass Mütter ihre noch jungfräulichen Töchter verkauften oder vermieteten (die Kunden wollten ansteckende Geschlechtskrankheiten vermeiden). Und so mancher Ehegatte wollte seine Frau verkaufen. Thomas Hardys Roman „The Mayor of Casterbridge“ schildert einen solchen belegten Fall.
Die Übersetzung
Der Übersetzer kommt aus Norddeutschland, möglicherweise Hamburg. Ihm sind Begriffe wie „trousseau“ geläufig. Aber er verwendet auch Wörter wie „beiläufig“ anders als sie heute verwendet werden. „Beiläufig“ bedeutet bei ihm soviel wie „annähernd, etwa“ anstelle von „nebenher“. Und er hat eine deutliche Abneigung, das Plusquamperfekt zu verwenden, also die Vorvergangenheit, so etwa auf S. 76..
S. 32: „Er [Frank] sagte nichts mehr, schob die Hosen hinunter [und] legte sich aufs Sofa.“ Das Wörtchen „und“ fehlt.
S. 70: „und die Ehe sollte schon in derselben Nacht konsumiert werden“. Das ist eine eins-zu-eins-Übersetzung des englischen Originals. Die übliche deutsche Entsprechung lautet, dass „eine Ehe vollzogen“ wird.
S. 76: „das ich erst vor einigen Stunden entjungferte [hatte]“: Der Übersetzung hat eine Abneigung, das Plusquamperfekt zu verwenden, also die Vorvergangenheit. Das führt dazu, dass beispielsweise die Entjungferte in der gleichen Vergangenheitsebene auftritt wie zu dem Zeitpunkt, als sie entjungfert wurde.
S. 96: „der deinen Trousseau zusammenstellt“: Gemeint ist die Gesamtheit aller Gegenstände, die die Ausstattung einer Frau von besserem Stand ausmachen, also Kleider, Kosmetika usw.
S. 98: „Dann wirst du erst in Wahrheit mein süßes, kleines Weibchen sein.“ Diese Formulierung verrät schon alles über die sexistische Einstellung des Übersetzers.
S. 141: „Er hat gesagt, dass [d]er mich liebe…“ Das D ist überflüssig.
S. 146: „dass ich wieder aufbrach, um in ein Chantant zu gehen.“ Vermutlich eine Art Music Hall für gehobene Ansprüche.
S. 173: „Ich schloss ein Brasselett um ihr Handgelenk als Hochzeitsgeschenk.“ Ein Armband.
S. 173: „um den Honigmonat in Italien zu verbringen.“ Gemeint sind die Flitterwochen, aber der Übersetzer benutzte lieber eine Eins-zu-eins-Übersetzung aus dem Englischen.
Trousseau, Brasselett, Chantant und viele weitere Ausdrücke aus dem Französischen lassen es ratsam erscheinen, gute Französischkenntnisse mitzubringen.
Unterm Strich
Ich habe den kurzweiligen Roman in nur zwei tagen gelesen. Es ginge sicherlich auch schneller. Am interessantesten ist sicherlich der erste Teil, den ich oben skizziert habe. Die beiden anderen Teile sind völlig konventionell, obwohl auch da die Stimmung zwischen Charley und Frances gut knistert. Zwischendurch heiratet Frances eine gute partie, zeiht mit den Stiefkindern nach Südafrika, leidet unter schlechten oder mangelndem Sex und kehrt nach dem Tod des Gatten zurück nach London, wo sie wieder mit Charley anbandelt.
Der erste Teil berücksichtigt die Aspekte Homoerotik, Transgender und Flagellation, eine typisch viktorianische Kombination. Worauf sie zurückzuführen war, erklärt das Vorwort des Herausgebers. Jedenfalls sorgt diese Mischung für ein Knistern ganz anderer Art. Bemerkenswert ist vielleicht noch, dass Charley als adliger Mann stets sein erotisches Vergnügen finden konnte, wenn er es darauf anlegte. Manche weibliche „Festung“ lässt sich eben leichter einnehmen als andere, und für einen Mann seiner Upper-Class war ein „Nein“ seitens einer ehrbaren Frau nicht akzeptabel. Insofern liefert der Roman Anschauungsunterricht einer Macho-Gesellschaft, in der Frauen wie Frances & Co. zusehen mussten, wie sie zurechtkamen, ohne von der „guten Gesellschaft“ geächtet zu werden.
Die Übersetzung ist anschaulich, wenn auch sprachlich veraltet, französisch beeinflusst und manchmal irreführend, so etwa beim Ausdruck „Honigmond“ oder „die Ehe konsumieren“.
Das englischsprachige Buch gibt es bei Amazon/Grove Press und als E-Book Amazon/Wordsworth.
Taschenbuch: 174 Seiten
Originaltitel: Frank & I.
Aus dem Englischen von unbekannt.
ISBN-13: 9783811862616
www.vpm.de
Der Autor vergibt: