David Ambrose – Level X. Thriller

Gekonnter Psychothriller in der Welt nebenan

Wenn du deinen Namen nicht mehr kennst, wenn du denkst, deine Frau sei tot, wenn dein Sohn nie existiert hat und dein bester Freund dich skrupellos hintergeht… (Verlagsinfo)

Diesmal schickt Ambrose seinen Helden durch mehrere Parallelwelten, bis ein Drama um Liebe, Tod und Eifersucht seinen guten Ausgang gefunden hat. – Wieder einmal nutzt Ambrose moderne wissenschaftliche Theorien als Grundlage für eine verzwickte Thrillerhandlung, die mit etlichen Überraschungen aufwartet.

Der Autor

David Ambrose steht für spannende Wissenschaftsthriller am Rande der Wahrscheinlichkeit. Er begann seine Karriere als Drehbuchautor für den Regisseur Orson Welles, lehrte Recht an der Universität Oxford und hat für Theater, Film und Fernsehen gerarbeitet. In Deutschland ist er mit „EX“ bekannt geworden, der neben unangenehmen Geistern auch eine interessante Zeitschleife vorzuweisen hat. Auch der Vorgänger „Der 8. Tag“ wurde ein Erfolg. Es folgten „Epsilon“ und „Level X“. Im August 2005 erschien „Mysterium“ bei |Lübbe|.

Drehbücher für Filme

1979: Das Geheimnis der eisernen Maske (The Fifth Musketeer)
1980: Der letzte Countdown
1985: D.A.R.Y.L. – der Außergewöhnliche
1988: Ein Mann wie Taffin
1991: Verliebt in die Gefahr

Romane

A Memory of Demons. ISBN 0-7432-3070-1.
Epsilon. ISBN 3-431-03606-6, Originaltitel: The Discrete Charm of Charlie Monk ISBN 0-7434-1613-9.
Coincidence. ISBN 0-7432-0690-8.
Der 8. Tag. ISBN 3-404-25923-8, Originaltitel: Mother of God. ISBN 0-7434-8993-4.
Level X. ISBN 3-431-03330-X, Originaltitel: The Man who Turned into Himself. ISBN 0-312-10497-9
Ex. ISBN 3-404-14309-4, Originaltitel: Superstition. ISBN 0-446-60782-7.
Hollywood Lies. ISBN 0-330-34652-0.
Mysterium. ISBN 3-404-15365-0, Originaltitel: A Memory of Demons. ISBN 0-7434-4075-7.

Handlung

Der Tag X beginnt ganz friedlich für Rick Hamilton, einen braven, erfolgreichen Verleger von Fachzeitschriften an der amerikanischen Ostküste. Seine liebe Frau Anne kocht ihm den Kaffee, doch Sohnemann Charlie ruft, die Siamkatze sei aufs Dach geklettert und komme nicht mehr herunter. Fast alles in schönster Ordnung also. Bis Rick zur Katze aufs Dach steigt und abstürzt – zum Glück in den Komposthaufen. Nix passiert.

Dann geht’s aber auch schon los, denn heute steht ein wichtiger Termin an: Ricks Firma braucht einen neuen Kredit von der Bank, und sein bester Freund Harold, der Anwalt, hilft ihm dabei. Doch merkwürdig: Rick kann sich bei dem wichtigen Bankertreffen nicht konzentrieren, sondern kritzelt auf einem Block herum. Alarmiert stellt er fest, dass er eine ganze Abfolge von Szenen gezeichnet hat. Noch größer wird sein Entsetzen, als er begreift, was er sieht: Es ist Anne, sie kommt auf den Betrachter zu, mit aufgerissenen Augen, schreiend, blutend. Anne und Charlie?!

Mit einem Affentempo rast Rick durch die Stadt zum Highway, von dem er annimmt, dass dort der Autounfall passiert ist (passieren wird?), in dem die zwei liebsten Menschen auf der Welt umkommen könnten (umgekommen sind?). Er kämpft sich durch den Stau, der sich vor der Unfallstelle gebildet hat: Ein riesiger Truck versperrt ihm ebenso die Sicht wie die Menschenmenge davor. Anne liegt eingeklemmt in ihrem Wagen, während Charlie unverletzt zu sein scheint. Als sie stirbt, hält er ihre Hand.

Nach einem kurzen Blackout sieht Rick zu seinem maßlosen Erstaunen, wie sich Annes Augenlider wieder heben: Sie lebt. „Und Charlie lebt ebenfalls, Schatz.“ „Welcher Charlie?“ fragt sie. Jetzt ist Rick an der Reihe, das Bewusstsein zu verlieren.

Als er zwei Tage später im Krankenhaus erwacht, ist ihm die Welt zu einem Rätsel geworden: Seine Frai sieht zwar aus wie Anne, kleidet sich aber anders. Teurer. Sein bester Freund Harold ist ebenfalls noch ein guter Kumpel, aber etwas verändert – und er nennt Rick Richard A. Hamilton, einen bekannten Immobilienmakler. Charlie hat angeblich nie existiert. In was für einer Welt ist Rick nur aufgewacht? Kein Wunder, dass er eine Erklärung verlangt und etwas, äh, handgreiflich wird. Wochen später, nachdem er sich dieser Anne anvertraut hat, wird er in eine psychiatrische Klinik zur Behandlung eingewiesen – ob will oder nicht.

Ist er nun in einer anderen Wirklichkeit gefangen? Womöglich sogar in einem anderen Menschen, der als „Richard A. Hamilton“ in diesem Universum existiert? Wie ist so etwas möglich? Als er sich der blinden Psychotherapeutin Emma Todd anvertraut und sich von ihr hypnotisieren lässt, klärt sich die Frage „Was ist hier eigentlich los???“ Aber die Antwort bringt ihm Charlie und die echte Anne noch nicht zurück.

In dieser verzweifelten Lage schmiedet Rick Hamilton einen verhängnisvollen Plan…

Mein Eindruck

Kaum angefangen, kann man dieses Buch schon nicht mehr aus der Hand legen. Ich habe es in etwa drei Tagen ausgelesen. Es ist einfach viel zu fesselnd geschrieben, als dass man es für eine Weile vergessen oder verdrängen könnte. Die Figur des Rick Hamilton ist – ebenso wie Charlie Monk, der Held in „Epsilon“ – eingehend beschrieben, quasi zum Leben erweckt, so dass man sich gerne in seine Lage versetzt und ihm seinen innigsten Wunsch genau nachfühlen kann: seinen Sohn und die echte Anne Hamilton wiederzusehen.

Dank eifriger Lektüre von Science-Fiction und naturwissenschaftlichen Werken war es mir auch möglich, den Ausführungen zu folgen, die den Leser zu den Schwierigkeiten der Quantenphysik führen. Rick führt nämlich ein sehr einfaches Experiment aus, um uns das Problem der Quantenphysik anschaulich zu machen: Lässt man einen Lichtstrahl durch einen von zwei benachbarten Schlitzen fallen, so wird ein schlitzförmiges Bild entstehen, jeweils links ODER rechts. Schickt man den Lichtstrahl aber durch BEIDE benachbarte Schlitze, so entsteht ein Band mit merkwürdigen grauen und hellen Schattierungen. Was soll das denn? Die Erklärung: Licht ist sowohl Teilchen als auch Welle. Zeigte es sich zunächst als Teilchen, so hat es sich nun dazu „entschieden“, Welle zu sein. Doch woher weiß der erste Lichtstrahl, dass der zweite Schlitz geöffnet wurde? Genau an diesem Punkt tun sich zahlreiche Fragen auf.

Kurz und gut: Der Autor greift eine uralte Theorie von einem gewissen Everett aus dem Jahr 1957 auf, die besagt, dass es unendliche viele Paralleluniversen geben muss, weil das Licht – und zahlreiche verwandte Teilchen des elektromagnetischen Spektrums – sich ständig zwischen einem von zwei Zuständen entscheidet: Mal geht es in die eine Richtung, mal in die andere, mal Teilchen, mal Welle.

Also schön: Rick Hamilton ist irgendwie in einem Paralleluniversum gelandet, das sich minimal, aber signifikant von seinem eigenen unterscheidet. Das ist in der Science-Fiction und der umfangreichen Literatur über einen alternativen Geschichtsverlauf nichts Neues. Die Frage, die sich Rick am dringendsten stellt, lautet nun: Wie ist ihm der Sprung hierher gelungen und schafft er es, den Sprung zurück zu machen? Dr. Emma Todds Hypnose ist einer der Wege, die Rick einschlägt. Aber wie immer gibt es einen Haken bei der Sache: Rick kehrt beträchtlich verändert zurück.

Der Autor nutzt die Gelegenheit, die Schwierigkeiten zu erörtern, die sich aus dem Begriff „Identität“ ergeben. Ich bin mein Gedächtnis und denke – cogito ergo sum? Aber wenn ich schizophren bin oder von mehreren Persönlichkeiten wechselweise gesteuert, kann ich dann für meine Taten und Worte verantwortlich gemacht werden?

David Ambrose war wie erwähnt Rechtsgelehrter in Oxford und kennt sich mit den grundlegenden Fragen von Identität, Schuld und Verbrechen bestens aus. In seinem Roman stellt er ein paar knifflige Fragen und lotet mögliche Antworten aus. Er tut dies auf unterhaltsame Weise, wie sich dies gebührt, aber er scheut auch nicht vor einem komplizierten Thema wie der Quantentheorie zurück. Natürlich würden seine Bemühungen einem echten Quantenphysiker nur ein amüsiertes Lächeln entlocken – es tritt im Roman wirklich so einer auf, leider mit einem bescheuerten Namen: Wie kann man nur Tickelbakker heißen? Doch für die Zwecke der Geschichte reicht die Auslotung der Vorstellung von Paralleluniversen völlig aus. Diese Idee trägt Rick Hamilton bis zum Schluss und zu einem guten Ausgang der Story: Aber das ist natürlich pure Science-Fiction. Oder?

Unterm Strich

Obwohl ich nun überhaupt nicht auf das ebenfalls vorhandene Eifersuchtsdrama eingegangen bin – hat Harold etwas mit Anne? -, so ist doch hoffentlich bereits klar geworden, worum es dem Autor geht. Er beschäftigt sich mit den Themen Identität, Verantwortung, Verbrechen, Schuld und natürlich alternativer Geschichtsverlauf. Insgesamt also interessante Themen. Dass Ambrose es als seinen Job betrachtet, diese Aspekte menschlichen Seins und des größeren Zusammenhangs auf eine unterhaltsame und vor allem spannende Weise darzustellen, darf man ihm nicht verübeln.

Der Leser darf aber erwarten, dass diese Geschichte sowohl verständlich erzählt als auch auf ernstzunehmende Weise vorgetragen wird. Hier scheiden sich die Geister: Während die einen sagen, dass Eifersuchtsdramen ja wohl jenseits des guten Geschmacks liegen dürften, so meinen die anderen, dass ja die Gefühle es sind, die den Menschen im Kern ausmachen – und daher Eifersucht keineswegs ausgeblendet werden dürfe.

Mit der Verständlichkeit ist es dann auch so eine Sache. Wer sich bereits mit Physik beschäftigt hat (schließlich bestehen wir aus Physik, Chemie, Biologie usw.), der kann auch mit der Theorie der Paralleluniversen etwas anfangen, wie Ambrose sie präsentiert (muss ja nicht unbedingt korrekt sein). Zudem ist diese Vorstellung nicht gerade das Neuste auf dem Markt der Science-Fiction-Ideen.

Wer seine Erwartungen nicht zu hoch schraubt und nur gute Unterhaltung mit wissenschaftlichen Ideen erwartet, wird hier gut bedient. Wer Ambrose schon kennt, wird das Buch verschlingen.

Verblüfft haben mich jedoch Teil zwei und drei des Buches sowie der Nachtrag (ab Seite 217). Sie sind völlig anders geschrieben, nämlich als Briefe sowie als Gesprächsprotokolle Rick Hamiltons mit Dr. Emma Todd. Während sich dieser Teil sehr rasch lesen lässt, so bleibt doch ein Unbehagen zurück: Hätte man dies nicht ein wenig eleganter erzählen können?

Die Übersetzung

… wurde von Stefan Bauer angefertigt, dem Lektor der |Bastei-Lübbe|-Science-Fiction-Reihe. Er kennt sich also durchaus mit der Materie aus. Dementsprechend einwandfrei ist das Ergebnis seiner Mühe. Lediglich den Begriff „Korpuskel“ hätte ich vermieden und durch das leichter verständliche „Teilchen“ ersetzt.

Was nun den deutschen Titel anbelangt, so kommt im Text kein Bezug darauf vor. Es besteht lediglich eine ideelle Beziehung zum Konzept der Paralleluniversen. Da ist der Originaltitel „The man who turned into himself“ schon wesentlich vielsagender.

Taschenbuch: 270 Seiten
Originaltitel: The man who turned into himself, 1993
Aus dem Englischen übersetzt von Stefan Bauer.
ISBN-13: 9783404151714

www.luebbe.de

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